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Antonia Sommer

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Beschreibung

Die Liebe findet dich, wenn du es am wenigsten erwartest

Auf der Insel Norderney führt Raik nach dem Tod seiner Eltern deren Fahrradladen weiter und kümmert sich um die vier jüngeren Geschwister. Bei so viel Verantwortung bleibt keine Zeit für Beziehungen. Und aus Prinzip lässt er sich nicht auf Touristinnen ein. Doch als er Svea kennenlernt, wirft er seine Vorsätze über Bord. Was als Urlaubsflirt beginnt, entwickelt sich schon bald zu echten Gefühlen. Aber Sveas Leben ist ein einziges Chaos. Sie hat sich gerade erst von ihrem Mann getrennt und muss herausfinden, was sie will. Und dann stellt auch noch ein Anruf von Raiks Ex-Freundin alles gehörig auf den Kopf ...

Der Auftakt einer zauberhaften Wohlfühl-Liebesroman-Reihe um fünf Geschwister an der ostfriesischen Nordseeküste.

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Seitenzahl: 345

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Personenregister

Playlist

Raik

Svea

Raik

Svea

Raik

Svea

Raik

Svea

Raik

Svea

Raik

Svea

Raik

Svea

Raik

Svea

Raik

Svea

Raik

Svea

Raik

Raik

Raik

Svea

Raik

Svea

Svea

Raik

Svea

Raik

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Nachwort

Über die Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Auf der Insel Norderney führt Raik nach dem Tod seiner Eltern den Fahrradladen seiner Familie und kümmert sich um seine vier jüngeren Geschwister. Bei so viel Verantwortung bleibt keine Zeit für Beziehungen. Und aus Prinzip lässt er sich nicht auf Touristinnen ein. Doch als er Svea kennenlernt, wirft er seine Vorsätze über Bord. Was als Urlaubsflirt beginnt, entwickelt sich schon bald zu echten Gefühlen. Aber Sveas Leben ist ein einziges Chaos. Sie hadert mit ihrer Vergangenheit und ist noch nicht bereit, sich auf eine neue Liebe einzulassen. Und dann stellt auch noch ein Anruf von Raiks Ex-Freundin alles gehörig auf den Kopf ...

Der Auftakt einer zauberhaften Wohlfühl-Liebesroman-Reihe um fünf Geschwister an der ostfriesischen Nordseeküste.

Für Jürgen und Ulrike

Eure Liebe hat auf Norderney begonnen.

Sie wird für immer

in euren Kindern und Enkelkindern

weiterleben.

Personenregister

Raiks Familie:

Beeke: Zwillingsschwester

*Klaas: Jüngerer Bruder

Nele: Jüngere Schwester

Tessa: Jüngste Schwester

*Yara: Tochter

*Lena: Ex-Freundin

*Daniel: Klaas’ Ehemann

Tante Anouk: Tantouk, Schwester mütterlicherseits

†Hauke und Ingrid: Eltern

Freunde:

Wiebke und Micha mit Magda

Katrin und Helge mit Thorben

Rieke und Enno mit Svenja und Tilda

Mina und Tobi

*Joon: Raiks bester Freund, Beekes erster Freund

Sveas Familie:

Oma Leni: Großmutter mütterlicherseits

*Reena und *Alexander: Eltern

Annika und Timo: Cousine und deren Ehemann

Claudia: Annikas Mutter

*Martin: Ehemann

Inselbewohner:

Ruth: Lenis Freundin

Jann Petersen: Vater von Joon und Wiebke, Beekes Chef

Tom und Maria: Nachbarn und Freunde von Raiks Vater

*lebt nicht auf der Insel

Playlist

Days Goes By – Blank & Jones, Coralie Clement

Ride It – Regard

Million Years Ago – Adele

Breaking Me – Topic, A7S

Say You Won’t Let Go – James Arthur

Chasing Cars – Snow Patrol

More Than Words – Extreme

See You – Iggy

Un-Break My Heart – Toni Braxton

Nights Like This – St. Lundi

Hold Me While You Wait – Lewis Capaldi

Don’t Let Me Down – Poolside Remix – Milky Chance, Jack Johnson, Poolside

Try – P!nk

All Fall Down – OneRepublic

Another Love – Tom Odell

Raik

Es regnete seit Tagen. Selbst die schönste Insel verliert ihren Charme, wenn sie nur noch ein dunkler Fleck im ewigen Grau ist, und mit seiner Insel war das leider nicht anders.

Das Wetter drückte auf Raiks Stimmung, auf die Stimmung aller. Sie hatten sich einen goldenen Herbst gewünscht und ihn nicht bekommen. Sie hatten sich einen kalten, trockenen Winter gewünscht – und bekamen ihn ebenfalls nicht. Der langersehnte Frühling stürzte nun in Unmengen von Wasser auf sie herab und beraubte jeden, wirklich jeden, seines Strahlens.

Niemand war noch gut gelaunt.

Raik freute sich auf die Möglichkeit, dem Trübsal zu entkommen und sie wenigstens für ein Wochenende in sein Leben zu lassen: die Sonne in ihrer pursten Form.

Yara, seine Tochter, war mittlerweile vier Jahre alt und Raiks ganzes Glück. Heute Abend würde er sie endlich wiedersehen.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass Beeke gleich kommen müsste. Er war seiner Zwillingsschwester mehr als dankbar, dass sie im Fahrradladen für ihn einsprang, denn so konnte er eine frühere Fähre nehmen und wäre entsprechend eher in Köln, wo Yara mit ihrer Mutter Lena lebte.

Tatsächlich mochte er die Großstadt nicht, dabei war Köln sicher noch eine der schöneren. Sechs Monate hatte er es dort ausgehalten, und die Hälfte der Zeit nur noch aus Liebe zu seinem Kind. An diese Zeit dachte er nicht gern. Seine Beziehung mit Lena hatte von Anfang an unter keinem guten Stern gestanden, und ihr Zusammenleben hatte daran nichts geändert.

Aber das war lange vorbei. Mittlerweile wohnte er wieder auf Norderney, und Lena hatte längst eine neue Beziehung. Das war okay für ihn, denn bislang hatte es seine Besuchswochenenden nicht beeinflusst. Alle paar Wochen sah er sein Kind, und das war ihm wichtig.

»He, Träumerchen«, riss ihn Beekes Stimme aus seinen Gedanken.

»Oh, he. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass du schon da bist.« Er fuhr sich über den Bart.

»Das habe ich gemerkt. Alles okay?« Beeke brachte ihre Jacke ins Büro. Sie war nicht nass, und mit einem Blick aus den bodentiefen Fenstern stellte Raik erleichtert fest, dass es aufgehört hatte zu regnen. Na, das war doch mal was.

»Ja, ich habe nur über Köln nachgedacht«, sagte er, als sie wieder bei ihm war. Er ging zur Kasse, zog die Tastatur heran und öffnete das Programm, mit dem er das Radlager, den Fahrradladen, den er nach dem Tod seiner Eltern übernommen hatte, verwaltete. Heute war nicht viel los, und bei dem Wetter würde sich das auch nicht ändern. Wer fuhr schon gern im Regen Fahrrad? »Danke, dass du einspringst.«

Beeke kam zu ihm herum und lehnte den Kopf an seine Schulter. »Immer. Bringst du mir wieder was aus der Großstadt mit?«

Raik grinste. »Was hätte mein Schwesterchen denn diesmal gern?« Er wuschelte ihr durch die Haare.

»Schokolade! Zeig deinem Kind endlich die wichtigen Dinge des Lebens und geh mit ihr ins Schokoladenmuseum. Und von da bringst du mir was mit!« Als wäre Beeke selbst noch ein kleines Kind und nicht bereits Anfang dreißig, strahlte sie ihn an, und er musste lachen.

»Du weißt schon, dass du das, was dort hergestellt wird, in jedem Laden kaufen oder bestellen kannst?«

Sie zog eine Schnute. »Das ist aber nicht das Gleiche! Und nun mach dich weg hier, sonst war es vollkommen umsonst, dass ich mich an meinem freien Tag so früh aus dem Bett gequält habe!«

Raik zog die Augenbrauen hoch. »Wenn ich mich nicht irre, warst du vor mir auf, du Wribbel.«

»Nun geh endlich!« Sie schob ihn vom Tresen weg.

»Ich mach ja schon. Wieso hast du eigentlich so gute Laune?« Lachend holte er seinen Hoodie aus dem Büro und zog ihn über.

»Es ist Wochenende! Es soll aufhören zu regnen, ich habe frei, und heute Abend gehe ich mit meinem Lieblingsbruder aus«, zählte sie auf.

Raik schnaubte. »Es ist überhaupt nicht wahr, dass Klaas dein Lieblingsbruder ist.«

Beeke kicherte. »Aber es ärgert dich so süß, wenn ich das sage.«

Er schlang den Arm um Beekes Nacken und murrte, als sie ihm in die Seite kniff. Sie rauften kurz miteinander, bevor er sich losmachte und sein Haargummi herauszog, um seinen Zopf neu zu binden.

»Verschwinde doch einfach, Nervensäge!«

»Pass bloß auf, du, sonst gebe ich noch mehr Mitbringsel in Auftrag.« Mit der Hüfte schubste sie ihn weg.

Raik grinste. »Lieber nicht. Ich habe schon eine Liste von Tessa bekommen.«

Beeke lachte auf. »Auch Schokolade?«

»Wenn‘s doch nur so einfach wäre.« Er nahm seine Tasche, die er ebenfalls aus dem Büro geholt hatte, und hing sie sich um. »Nein, unsere kleine Schwester möchte gern ein ganz bestimmtes T-Shirt haben und einen Mini-Dom.« Raik verdrehte die Augen. »Und neue Bilder von Yara, weil ich ihrer Meinung nach nie genug Fotos von uns mache.«

»Da hat sie recht!«

Stöhnend verließ Raik den Fahrradladen. Doch er freute sich, wie viel Anteil seine Schwestern an seiner Situation nahmen. So viel Verständnis sie auch für ihn gehabt hatten, sie waren damals sehr traurig gewesen, als er Norderney verlassen hatte. Nun unterstützten sie ihn, damit er sein Kind oft besuchen konnte.

Wobei aller Support nichts nutzte, wenn es dann doch nicht klappte. Zwei Stunden später warf er genervt sein Handy aufs Bett, von dem es mit einem Poltern auf den Boden fiel.

»Ach, verdammt!« Er unterdrückte sämtliche Schimpfworte, die ihm in den Sinn kamen, und ballte die Hände zu Fäusten.

Gestern Abend hatte er Lena noch einmal gefragt, ob es dabei bleiben würde, dass er Yara heute besuchen kam, und sie hatte Ja gesagt. Natürlich, Raik. Auf jeden Fall, Raik.

Und jetzt sagte sie ab.

Weil etwas dazwischengekommen war.

Innerhalb nicht mal eines Tages.

Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht.

Mit einem heftigen Windstoß knallte das offene Fenster gegen den Rahmen und schreckte ihn auf. Missmutig schloss er es. Die Fensterbank war nass, es regnete schon wieder.

Was für ein beschissenes Wochenende.

»Alles in Ordnung?« Nele, die mittlere seiner Schwestern, lugte vorsichtig durch den Türspalt.

»Lena hat mein Besuchswochenende gestrichen.« Vom Wäscheberg auf dem Boden zog er ein Handtuch hervor und wischte lustlos damit über die Fensterbank.

»Mit welcher Begründung?« Sie trat ein, hob sein Telefon auf und reichte es ihm.

Seufzend nahm er es entgegen. »Eine spontane berufliche Einladung.«

»Und es hätte gestört, wenn Yara in der Zeit bei dir gewesen wäre?«

»Mein Besuch passt zeitlich nicht rein. Ihre Eltern kümmern sich.«

»Ach, Mist. Das tut mir leid. Ich weiß, wie sehr du dich gefreut hast.« Sacht drückte sie seinen Arm.

»Ich kann nachher mit Yara zoomen«, sagte er mit gespielter Freude, verzog dabei jedoch das Gesicht.

Nele verdrehte die Augen. »Toll. Weil die Maus ja auch so gern vor der Kamera rumsitzt.«

Raik hasste es, auf Lenas guten Willen angewiesen zu sein. Das hatten weder er noch seine Tochter verdient. Als sie noch ein Paar waren, hatte er alles getan, um es ihr recht zu machen. Er war sogar in diese verdammte Stadt gezogen, hatte alles aufgegeben, um bei ihr und seinem Kind zu sein.

Und zum Dank musste er immer noch nach ihrer Pfeife tanzen.

Nele schien ihm seine Gedanken anzusehen. »Na komm. Bisher war Lena immer zuverlässig. Sei gnädig mit ihr.«

»Ich weiß.« Niedergeschlagen seufzte er. »Ich habe mich nur so auf die Kleine gefreut. Wir wollten zusammen Pizza backen.«

Nele umarmte ihn. »Du kannst mir helfen, das Essen zu planen. Wir könnten auch Pizza machen.«

»Wollte Tessa nicht grillen?« Raik drückte sie kurz, dann löste er sich und steckte sein Handy in die Hosentasche.

»Ja, aber da es regnet, haben wir das verschoben. Ich muss gleich noch zum Supermarkt. Dann kann ich direkt für das Wochenende einkaufen.«

»Alles klar. Ich rufe eben Bee an und sag ihr Bescheid, dass ich doch da bin.«

Beeke bestand darauf, dass er zu Hause blieb und nicht wieder zum Laden kam. Wie erwartet, verlief der Tag ruhig, und sie nutzte die Zeit zum Arbeiten.

Nach dem Telefonat ging er in die Küche, wo Nele vor dem Kühlschrank stand und den Zeitplan der Familie studierte, der dort hang. »Ich könnte was zu essen brauchen. Soll ich uns was machen? Isst du ein Porridge mit? Wo ist Tessa?«, fragte er.

Nele drehte den Kopf zu ihm und blinzelte. »Äh.«

»Zu viele Fragen?« Er grinste und schob sie vom Kühlschrank weg. Schnell zupfte sie das Kalenderblatt ab und wedelte damit.

»Porridge ist super, Zimt und Zucker reicht, und Tessa ist bei Amelie. Sie schläft auch dort.«

»Hm? Ich dachte, sie wollte unbedingt grillen?« Raik nahm die Milch aus dem Kühlschrank, holte einen kleinen Topf heraus, füllte Haferflocken, Quark und Milch hinein und stellte ihn auf den Herd.

»Ja, sie übernachtet zwar bei ihrer Freundin, wird aber trotzdem um sechs zum Abendessen kommen. Sie isst dort nicht.«

Raik hob die Augenbrauen. »Dein Ernst?«

»Mein völliger Ernst.« Nele setzte sich mit dem Kalenderblatt, Stift und einem Schreibblock an den Tisch. »Irgendwann wirst du das auch noch kapieren, Bruderherz.«

»Was? Dass sie Teenagerallüren hat, für die uns Mama die Ohren langgezogen hätte?«

»So würde ich das nicht bezeichnen. Abendessen mit jemandem aus der Familie ist eins der Rituale, die sie braucht, um ausgeglichen und glücklich zu sein. Und ein pünktliches Essen, auf das sie sich verlassen kann, ist wichtig für sie. Ist Tessa zufrieden, sind wir zufrieden. Es ist eigentlich ganz einfach.«

»Aber sie kommt extra von der Freundin, bei der sie übernachtet, nach Hause, um mit ihrer Familie zu essen, und das genau um sechs?« Er verstand das beim besten Willen nicht.

Nele fuhr mit dem Stift die Spalten entlang. »Genau. Sie braucht die Sicherheit der Familie und des gemeinsamen Essens. Kannst du ihr das nach allem, was war, verdenken? Ich finde das schön. Vielleicht hört sie irgendwann auf, die Familie so wichtig zu nehmen. Bis dahin sollten wir das genießen. Es ist traurig genug, dass Klaas nicht hier lebt. Also, ich habe diese Woche Frühschicht und Bee einige Termine. Gut, dass Klaas kommt und bis zur Hochzeit bleibt.«

»Was für eine Hochzeit?« Raik füllte das fertige Porridge in zwei Schüsseln, stellte sie mit dem Zimtzuckertopf auf den Tisch und setzte sich zu seiner Schwester.

»Annika und Timo heiraten.« Nele zog ihre Schüssel an sich. »Manchmal frage ich mich wirklich, ob du irgendwas auf dieser Insel mitbekommst.«

»Nichts, was mich nicht interessiert.« Er zuckte mit den Schultern und begann zu essen.

»Es sollte dich interessieren, wir sind eingeladen.« Nele lächelte. »Ich habe mir einen coolen Hosenanzug bestellt. Ich hoffe, er kommt pünktlich an.«

Raik stöhnte auf. »Ich hab‘s vergessen, tut mir leid. Was soll ich anziehen?«

»Du bist ein erwachsener Mann, Raik Radtke. Darum wirst du dich gefälligst allein kümmern.« Mit dem Löffel deutete sie auf das Kalenderblatt. »Abgesehen davon: Das Ding hängt nicht zur Deko am Kühlschrank.«

Er brummte. »Also, was essen wir morgen, pünktlich um sechs?«

Nach dem Video-Call mit seiner Tochter fiel ihm die Decke auf den Kopf. Yara war wie erwartet unruhig gewesen, hatte in die Kamera gewinkt, unverständliche, zusammenhanglose Dinge erzählt und war dann verschwunden. Trotzdem liebte er diese Momente, wenn er das Gefühl hatte, ihr Leben nicht völlig zu verpassen.

Lena hatte sich für ihre kurzfristige Absage entschuldigt und ihm erklärt, wie wichtig die Einladung für sie wäre. Sie war bisher sehr zuverlässig gewesen, da hatte seine Schwester recht, also schluckte er seine Enttäuschung herunter und zeigte Verständnis. Die Situation war für sie beide nicht einfach, da musste er sich ja nicht noch zusätzlich wie ein Arsch aufführen.

»Verträgst du noch eine schlechte Nachricht?« Mit zerknirschtem Gesicht lugte Nele um die Ecke.

Raik hatte sich auf die Couch gelegt und Netflix durchforstet. Nele und er wollten einen Serienabend veranstalten und vielleicht noch tanzen gehen, um ihn abzulenken. Morgen früh konnten sie ausschlafen, und abends würden sie zusammen essen. Das hatten seine Geschwister geplant, weil sein Bruder Klaas, mit dem Bee den Abend in Norddeich verbrachte, für eine Woche auf die Insel kam. Nun würde Raik auch dabei sein, womit sie mal wieder vollzählig sein würden.

Er setzte sich auf. »Nein, aber habe ich eine Wahl?«

»Ich muss arbeiten.« Sie seufzte. »Meine Chefin hat angerufen. Es haben sich zwei Leute abgemeldet. Tut mir leid. Ich muss um vier aufstehen, also geh ich direkt schlafen. Aber wir holen es nach, ja?«

Er seufzte. Dieses Wochenende war eindeutig dazu gedacht, ihm gänzlich die Laune zu verderben. »Ach, das ist doch scheiße.«

»Ist nicht so, als hätte ich Lust dazu.« Nele seufzte ebenfalls und lief durchs Wohnzimmer zur Terrasse hinaus, um zu ihrem Tiny House zu gelangen. Kurz danach ging dort das Licht an und bald auch wieder aus.

Raik zappte sich durch verschiedene Serien, hatte aber keine Lust, allein rumzuhängen. Den Abend hatte er sich echt anders vorgestellt. Also entschloss er sich, joggen zu gehen. Doch als ihm auf dem Dünenweg schon nach wenigen Metern zu viele Menschen entgegenkamen und er ständig ausweichen und langsamer laufen musste, bog er kurzerhand am Krankenhaus wieder ins Wohngebiet ab. Die Runde durch die Nordhelmsiedlung war kurz, aber so konnte er am Radlager noch nach dem Rechten sehen. Danach lief er heim, duschte und stylte sich – um sich eine halbe Stunde später wieder in bequeme Sachen zu werfen. Er hatte keine Lust, allein auszugehen.

Früher war es das Highlight der Woche gewesen. Wie all seine Freunde hatte er sich aufs Tanzen, Trinken und Feiern gefreut. Heute musste er schon richtig Lust darauf haben. Um kurz vor elf überlegte er, ins Bett zu gehen, da rief Beeke an.

»Genau der richtige Moment, um deinem gelangweilten und schlecht gelaunten Lieblingsbruder gute Nacht zu sagen«, begrüßte er sie. »Geht dir dein anderer Bruder schon auf den Keks?«

»Ich musste Klaas absagen, ich bin noch auf der Insel, vielmehr im Hotel. Frag nicht. Manchmal könnte ich diese Frau erwürgen.«

Sofort wusste er, wen sie meinte. Beekes direkte Vorgesetzte bei Petersen Hotels, Sarah Kluut, schien ihren Angestellten gern das Leben schwer zu machen. »An einem Freitagabend?« Er nahm sich eine Flasche Wasser aus dem Kasten neben dem Kühlschrank.

»Erwürgen kann man immer.«

Raik lachte leise. »Was wollte sie so Wichtiges?«

»Ist egal, erzähle ich dir morgen. Warum ich anrufe, ist viel spannender. Steffi, meine andere Lieblingskollegin«, Beeke zögerte, »hat nämlich den Junior Chef erwähnt, der am Nachmittag abgereist ist.«

»Joon war hier?« Vergessen war seine Langeweile. Eben wollte er die Treppe nach oben nehmen, doch wie vom Blitz getroffen blieb er stehen. »Ist sie sich sicher?«

»Sie war mit ihm im Bett. Da wird sie ihn wohl erkennen«, erwiderte Beeke, und der Spott in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Unwillkürlich zog er den Kopf ein. Das hatte er vergessen. »Er hatte Geschäftliches mit dem Chef zu besprechen und würde nun nach Berlin zurückfahren. Zitat Ende.«

»Wow!« Raik fuhr sich über den Bart. Das war ein Ding.

»Du hättest mir ja gesagt, wenn er sich gemeldet hätte, oder?«

»Beeke! Was für eine Frage.«

»Entschuldige. Es ist nur ... Wieso war er nicht bei uns?«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Na ja. Ich dachte, ich erzähle es dir. Aber ich muss auflegen, bin offiziell nur auf dem Klo. Ich schätze, ein Stündchen dauert die Besprechung noch, aber ich schlafe in meiner Wohnung. Helge wollte vorbeikommen.«

Sie verabschiedeten sich, und nachdenklich ging Raik in sein Zimmer hoch.

Er hatte Joon das letzte Mal vor drei Jahren gesehen. Damals hatte er auf Ibiza gelebt und war zur Beerdigung von ihren Eltern nach Norderney gekommen. Und nun lebte er in Berlin und war hier gewesen, ohne sich zu melden. Sein »bester« Freund.

Raik schnaubte. Entschlossen nahm er seine Klamotten wieder aus dem Schrank und zog sich um. Er band seine Haare zu einem ordentlichen Dutt und tat das, was er all die Jahre mit Joon getan hatte – er ging aus.

Svea

Zum ersten Mal seit Tagen fiel dieses schwere Gefühl von ihr ab.

Seit sie am Morgen auf Norderney angekommen war, hatte Svea ein Wechselbad der Gefühle erlebt. Die Freude, ihre Familie wiederzusehen, die Anstrengung der Reise, die Erinnerungen, die plötzlich hochkamen. Nicht zuletzt, während sie allein in ihrem Zimmer ihre Taschen auspackte, das Heimweh und der Schmerz.

Auf einmal fühlte sich das alles so sinnlos an.

Doch das war es bestimmt nicht. Das durfte es nicht sein.

Sechs Wochen Norderney würden ihren Kopf klaren.

Svea versuchte, die Gedanken abzuschalten.

Jetzt war nicht der Zeitpunkt für Grübeleien. Sie hatte sich vorgenommen, auszugehen und diese wichtige Zeit ihres Lebens so zu gestalten, wie sie allein es wollte. Zum Grübeln war noch genug Zeit.

Svea streckte ihr Gesicht der Musik entgegen und gab sich mit geschlossenen Augen dem Rhythmus hin. Wie früher, wenn sie und ihre Freundinnen sich gegenseitig auf die Tanzfläche gezerrt hatten, um ein Lieblingslied nach dem anderen zu feiern. Jeder einzelne Song hatte seine Bedeutung, seinen Wert, bezeichnend für den einen wichtigen Lebensabschnitt oder den einen wichtigen Kerl. Noch heute dachte sie daran, wann immer einer der Songs im Radio lief.

Eine Playlist des Lebens.

Das jetzige Leben ließ nicht mehr viel Raum für diese Dinge. Seit Martin ... Nein. Sie verbot sich diesen Gedanken.

Nicht an Martin denken.

Doch es war zu spät.

Sofort fühlten sich Lautstärke und Musik viel zu intensiv an, verdrängte eine müde Trägheit die Lust aufs Tanzen.

Sie brauchte dringend etwas zu trinken und beschloss, eine Pause zu machen.

Er stand an der Theke.

Immer noch.

Jedes Mal, wenn sie während der letzten zwei, drei Songs die Augen geöffnet hatte, hatten sie sich angesehen. Er war ein Typ wie tausend andere. Ganz in Schwarz gekleidet, braune Haare, Hipster-Dutt, lässige Ausstrahlung.

Sie war nicht hergekommen, um jemanden aufzureißen, und schon gar nicht einen wie ihn. Männer mit so einem direkten Blick bedeuteten nichts als Ärger.

Aber was sprach gegen einen Flirt, gerade jetzt, wo Martin ... stopp.

Mit einem Lächeln auf den Lippen bahnte sich Svea ihren Weg durch die Tanzenden, direkt auf ihn zu. »Ein Glas Lillet bitte.« Sie zwinkerte dem Barkeeper zu, während sie sich mit den Händen gegen die Theke drückte und dem Typen zeigte, dass sie diese Art Augenkontakt auch aus der Nähe nicht scheute.

Die Lichter der Retro-Discokugeln zauberten passend zur Musik bunte Farben auf sein Gesicht. Mit hochgezogenen Mundwinkeln musterte er sie, und sie hielt den Augenkontakt.

Allerdings fiel ihr nichts ein, was sie sagen konnte, obwohl sie für gewöhnlich nicht auf den Mund gefallen war. Verdammt, wie ging das noch mal? Wie sprach man einen Mann an, der einem gefiel? Es war so unfassbar lange her.

Und überhaupt, wieso machte er denn nicht irgendeinen uncoolen Spruch, irgendwas, worüber sie beide grinsen und damit das Eis brechen konnten?

Zumindest, wenn der Spruch nicht allzu platt war.

Schmunzelnd nahm sie ihr Glas entgegen, und genau das erreichte ihn.

»Was bringt dich denn da gerade zum Lächeln?« Er sah wirklich heiß aus. Die Augen ganz dunkel, ein paar Strähnen fielen ihm ins Gesicht.

»Nur so ein alberner Gedanke«, antwortete sie.

»Verrätst du ihn mir?«

»Ich habe gedacht, dass es echt peinlich ist, dass ich nicht mehr weiß, wie ich einen Kerl anmache, der mir gefällt.« Oh wow, hatte sie das wirklich gesagt?

Sein überraschtes Grinsen zeigte ihr: Sie hatte. Er beugte sich zu ihr und hob ihr seine Flasche entgegen. Svea ließ ihr Glas dagegenklirren, fast schwappte die Flüssigkeit über.

»Anscheinend brauchst du keine Tipps. Ich bin Raik.«

Sie grinste. »Svea.« Die Aufregung in ihrem Bauch wuchs. Das hatte sie ewig nicht mehr gespürt. Aber sie hatte so etwas auch ewig nicht mehr gemacht.

»Hallo, Svea. Schön, dich kennenzulernen. Du machst gerade Urlaub?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht so wirklich. Du?«

»Ich lebe hier.« Er lächelte, und auf einmal kam ihr dieses Gesicht bekannt vor, erschienen Augen und vor allem das Lächeln vertraut. Sein Name. Die Erinnerung schickte einen Schauer über ihren Rücken.

Das konnte nicht sein. Doch je länger sie ihn betrachtete, desto sicherer wurde sie in ihrer Vermutung.

Ihr halbes Leben lang war Svea nicht auf Norderney gewesen, obwohl sie früher jede Ferien auf der Insel verbracht hatte. Deshalb hatte sie ihn nicht sofort erkannt, aber er sie anscheinend auch nicht.

»Du bist Klaas’ Bruder, oder?«

Überrascht hob er die Augenbrauen und nickte. »Ja, das stimmt. Woher ... warte. Svea?« Nachdenklich musterte er sie. »Klaas hatte früher eine Ferienfreundin, die so hieß. Das bist du? Die Enkelin von Leni Struck?«

Sie lächelte. »Genau die. Ich habe dich erst nicht erkannt.«

»Das ist ja witzig. Du bist bestimmt wegen der Hochzeit da, oder? Oh, da wird Klaas sich freuen. Er lebt ja schon lange nicht mehr auf Norderney.«

»Ach was? Das wusste ich nicht. Ich habe kaum was mitbekommen die letzten Jahre.«

»Na, dann habt ihr viel Gesprächsstoff. Wollen wir dich ankündigen? Er kommt morgen nach Hause. Machen wir ein Selfie?«

Svea lachte leise. Schlagartig hatte sich die Flirt-Stimmung in eine gelöstere gewandelt. Denn auf einmal war alles ganz einfach. »Na klar!«

Raik stellte seine Flasche ab und nahm sein Handy aus der Hosentasche. Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. »Ist das okay?«

Oh ja, das war es. Es fühlte sich sogar mehr als okay an, ihn so nah zu spüren. Vermutlich war ihr Körper vom Tanzen ebenso erhitzt wie seiner, denn er strahlte eine irrsinnige Wärme aus.

»Natürlich. Cheese.« Sie lachte in die Kamera.

Er zeigte ihr das Bild, und Svea nickte es ab. Trotz des schummrigen Lichts war es gut getroffen. Das Tanzen hatte ihr eine leichte Röte ins Gesicht gezaubert, und ihre Augen strahlten. Sie sollte wirklich öfter ausgehen. Direkt nahm er wieder etwas Abstand von ihr, tippte ein paar Worte und schickte die Nachricht ab.

»Du hast also wenig mitbekommen, bist aber trotzdem zur Hochzeit eingeladen? Was ist Annika von dir? Cousine?«

»Ja, genau. Na ja, eher Großcousine, ich weiß es nicht genau. Unsere Großväter waren Brüder. Aber es Cousine zu nennen ist einfacher.«

Auf einmal war ihr Kummer wie weggeblasen. Nicht nur, dass sie ihren alten Jugendfreund Klaas wiedersehen würde.

Nein, vor ihr lag vor allem eine Nacht im Club mit diesem hübschen Kerl, der wirklich durchdringende Blicke draufhatte. Weder die laute Musik noch die generelle Lautstärke in dem Club schienen ihn von ihr abzulenken. Ein Kribbeln machte sich in ihrem Bauch breit.

Als die ersten Töne von Ride it erklangen, wurde sie unruhig. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.

Sie nahm einen letzten Schluck aus ihrem Glas, stellte es ab und ergriff Raiks Hand. »Tanz mit mir«, flüsterte sie an seinem Ohr, damit rechnend, dass er dankend ablehnen würde, weil er wie die meisten Männer lieber nur zuschaute.

Doch Raik überraschte sie. Er folgte ihr auf die Tanzfläche.

Unklar, wie viel Zeit verging, wie viele Lieder sie tanzten, wie viele Drinks sie hatten.

Zu viel von allem.

Irgendwann zog Raik sie an sich, gab ihrem durch die Musik berauschten Blut noch mehr Impulse.

Er tanzte gern. Er tanzte gut.

Göttin, wie heiß sie Männer fand, die sich bewegen konnten.

Worüber sie redeten – keine Ahnung.

Nicht mehr über seinen Bruder, nicht mehr über früher.

Über nichts Wichtiges.

Stattdessen teilten sie sich ein Sandwich, bestellten einen weiteren Drink und tanzten noch ein Lieblingslied zusammen. Unablässig sah er sie an, und Svea vergaß, was sie an diesem Abend in diesen Club geführt hatte.

Sie war hier, um mit Raik zu tanzen.

Als sie den Club verließen, wurde es bereits hell. Draußen schlug ihnen frischer Frühlingsmorgenwind ins Gesicht, aber immerhin regnete es nicht. Svea zog ihre Jacke enger. Unschlüssig stand sie Raik gegenüber, ihre Gedanken rasten. Sollte sie ... Wollte sie das wirklich?

War sie schon so weit weg von Martin?

Abgesehen davon: In ein paar Tagen fand die Hochzeit statt. Raik würde bestimmt auch da sein. Würde es unangenehm sein, ihn dann wiederzusehen?

Er sah sie an und erforschte ihr Gesicht, offensichtlich auf der Suche nach Antworten auf seine eigenen Fragen.

»Was ...«

»Soll ich ...«, fielen sie sich gleichzeitig ins Wort.

Mit dem Schließen des Clubs war ihre Blase aus Musik, Alkohol und Kribbeln im Bauch kurzzeitig geplatzt. Nun fingen sie beide an zu lachen, und das brach das Eis wieder.

Sie standen mitten in der Nacht, am frühen Morgen, auf einer Straße in der Stadt und wussten beide nicht, wie ihr Wiedersehen enden sollte – oder wo.

Um sie herum schienen viele Menschen in einer ähnlichen Situation zu sein. Die einen liefen zum Strand, andere schauten unschlüssig umher und wussten auch nicht recht, wohin mit sich.

Raik legte den Kopf schief, dann ergriff er ihre Hand. »Komm.«

Schweigend spazierten sie durch die Straßen. Als hätte der Club ihre Gesprächsthemen hinter der geschlossenen Tür behalten, fühlte es sich wie ein neues Kennenlernen an. Nun war kein Platz mehr für Small Talk. Gespräche in der Nacht waren tiefgründig und intensiv.

Verstohlen warf sie ihm Blicke zu. Er hatte noch seinen Dutt neu gerichtet, bevor sie losgegangen waren, und sie fragte sich, wie lang seine Haare wirklich waren und wie sie sich anfühlen würden, wenn sie mit ihren Fingern ...

Svea zog die Nase kraus und unterdrückte die Gedanken, die hochkamen. Die begleitenden Gefühle ignorierte sie ebenfalls. Keinen Mist machen.

Aber wäre es wirklich falsch?

Sie hatte ihre Beziehung beendet. Sie war frei, und sie wollte auch frei sein. Frei von Männern, die ihr was vormachten. Die sie verarschten.

Beim Überqueren der Kaiserstraße hörte sie das Meer rauschen. Gerochen und geschmeckt hatte sie es schon ein paar Meter vorher, aber jetzt griff es nach ihr.

Svea ließ Raiks Hand los und rannte.

Rannte über den kleinen Kreisverkehr den Weg hoch und entschied sich bei den vielen Möglichkeiten, die sich ihr boten, für die Treppe in der Mitte, die zum Strand führte.

Die Buhne war noch rutschig vom wiederholten Niederschlag der letzten Stunden. Vielleicht aber hatte auch das Meer seinen Anteil daran. Vorsichtig betrat sie die glitschigen Steine. Am Ende blieb sie stehen, breitete die Arme aus und hörte Raik hinter sich leise lachen.

In wenigen Stunden würde Hochwasser sein. Schon jetzt war das Meer nahe und brandete gegen die Steine. Der Wind zerzauste Sveas lange Haare, und das war alles, was sie hörte. Alles, was sie in diesem Moment brauchte. Den Wind und das Meer.

Raik schlang seine Arme um ihren Bauch und zog sie an sich. Seine Wärme übertrug sich sofort auf ihren ganzen Körper, und die Geborgenheit, die sie mitbrachte, ließ Svea lächeln. Sie legte ihre Hände auf seine, spielte mit seinem Armband. Und so blieben sie stehen.

Er redete nicht. Vielleicht verstand er, was sie fühlte, was bestimmt viele Menschen fühlten, wenn sie das erste Mal oder nach langer Zeit wieder am Meer standen und die Gewalt der Natur spürten.

Nachts zeigte sich die Nordsee düster und dunkel, ein bisschen geheimnisvoller und viel gefährlicher als tagsüber, wenn sie blau lockte und die Möwen kreischten.

Svea drehte sich um und legte ihre Arme um Raiks Hals. Fuhr von unten in seinen Dutt und löste mit einer schnellen Bewegung das Haarband.

»Hey«, protestierte er leise, doch er wehrte sich nicht. Seine schulterlangen Haare umwehten nun sein Gesicht, sein Blick war unablässig auf sie gerichtet, und Svea dachte, dass sie nie einen schöneren Mann gesehen hatte. Einen interessanteren. Der ihr schon die ganze Nacht gutgetan hatte, beim Tanzen, beim Lachen, beim Unterhalten. Doch das reichte ihr nicht.

»Wir brauchen ein Taxi«, sagte sie mutig und sah das Verstehen in seinen Augen blitzen. Das aufbrausende Gefühl in ihrem Bauch zog tiefer.

Dann legte er den Kopf schief. »Hast du ... eine moralische Verpflichtung jemandem gegenüber? Bist du mit jemandem zusammen?«

Oh. Das zu erklären würde zu weit führen.

Allein die Frage implizierte, dass er bei einem Ja der Sache mit dem Taxi nicht zustimmen würde. Und sie wollte unbedingt, dass er den gleichen Wunsch hatte, wie diese Nacht enden sollte.

»Nein. Zu beidem.«

Er lächelte, dann nahm er sein Handy aus der Tasche, drückte zwei Tasten. »Bist du frei? ... Georgshöhe. Danke.« Nachdem er das Telefon verstaut hatte, suchte er direkt wieder ihre Nähe.

Sveas Herz klopfte schneller. Sie hatte noch nie einen One-Night-Stand gehabt. Sex war immer in Beziehungen übergegangen, und auch davon hatte es nicht sehr viele gegeben. Martin war seit so vielen Jahren in ihrem Leben, dass die Zeit vor ihm kaum eine Rolle zu spielen schien.

Jedoch schmerzte die Trennung in diesem Moment etwas weniger, weil haselnussbraune Augen sie ansahen. Als wüssten sie, dass sie einen inneren Kampf ausfocht.

Und genau diese Augen gaben ihr die Sicherheit, dass sie keinen Fehler begann, wenn sie mit ihm ging. Immerhin kannten sie sich ein Leben lang. Zumindest so ein bisschen.

Raik drängte nicht. Er fragte nicht. Er war einfach da und gab ihr Zeit, hielt sie fest, wärmte sie, bis das Taxi kam und sie durch die dunkle Nacht zu ihrem Ziel fuhren.

Vor seinem Haus wurde aus dem, was ein bemerkenswerter Zufall war, neue Gewissheit.

Dieses Haus kannte sie.

Diese Familie kannte sie.

Bilder aus vielen Jahren Ferienliebe fluteten sie. Fragen kamen auf, doch Svea ließ sie durchlaufen.

Morgen. Morgen würde sie sich damit befassen.

Das Taxi fuhr weg. Sie wusste, sie konnte auch jetzt noch Nein sagen, doch wollte sie das? Oder wollte sie herausfinden, wie gut ihr dieser Mann noch tun konnte?

Raik trat neben sie. »Sicher?«

Sie drehte sich zu ihm um, überrascht über den feinen Radar, den er für ihre Stimmung zu haben schien. »Ich wäre wirklich gern noch ein bisschen mit dir zusammen.«

Die Art, wie er schluckte und sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, ganz unbewusst, entfachte ein tiefes Kribbeln in ihrem Bauch, und er zog sie mit zur Eingangstür, die er öffnete und behutsam schloss.

Im Haus war es dunkel und still.

»Möchtest du was trinken, oder ...«

Svea lächelte. »Oder.«

Er erwiderte das Lächeln und ergriff ihre Hand. Im Dunkeln führte er sie eine Treppe hinauf, zum letzten Zimmer auf der linken Seite. Ließ sie eintreten und gab ihr die Zeit, anzukommen.

Der Raum war nicht sehr groß. Ein Bett, ein Schrank. Kein Schreibtisch. Ein Balkon, an der Wand daneben standen zwei Gitarren. Zum Nebenraum gab es eine Verbindungstür, die geschlossen war. An den Wänden hingen Bilder, auf denen sie nicht viel erkannte. Aber es fühlte sich gut an. Raiks Zimmer strahlte Ruhe aus. Behaglichkeit.

»Lebst du allein?«

»Nein.« Er lachte leise. »Das ist etwas kompliziert.«

»Ach ja?« Neugierig schaute sie ihn an.

Raik ging an ihr vorbei und öffnete die Balkontür. Kühle Luft strömte herein. »Das da draußen ist das Zuhause von Nele, meiner jüngeren Schwester. Ich weiß nicht, ob du dich an sie erinnerst.«

Sie spähte an ihm vorbei und entdeckte ein kleines Holzhaus im Garten. »Nur vage. Ein Tiny House?«

»Ja. Unser Vater hat es ihr vor ein paar Jahren gebaut. Tessa, die Jüngste, lebt am Ende des Flurs, sie ist erst sechzehn. Daneben hat meine Zwillingsschwester Beeke ihr Zimmer, sie verbringt mehr Zeit dort als in ihrer Wohnung. Na ja, und wenn Klaas da ist, schläft er nebenan.« Er deutete auf die Verbindungstür.

Klaas war nicht hier, so viel hatte er gesagt. Aber die anderen?

»Tessa schläft bei einer Freundin, die anderen beiden sind arbeiten«, meinte Raik. Erneut schien er ihr ihre Gedanken vom Gesicht abzulesen, und kam langsam auf sie zu. »Wir sind allein.«

»Ich glaube, ich bin gerade ziemlich gern mit dir allein«, flüsterte sie, überrascht davon, wie einfach und leicht es sich anfühlte, mit ihm zu flirten und ihm nahe zu sein.

»Geht mir genauso.« Sein tiefes Lächeln verursachte ihr schon wieder dieses Kribbeln im Bauch. Und weil sie es erwiderte und ihre Augen vermutlich noch deutlicher ausdrückten, was in ihr vorging, griff er nach ihrer Hand. Sanft spielte er mit ihren Fingern und zog sie Schritt für Schritt zu sich. »Du verzauberst mich, Ferienmädchen.«

Sie legte ihre Hände auf seine Hüften, schob sein Shirt hoch und verhakte ihre Finger in dem Gürtel seiner Jeans. Sein Atem ging schneller. »Möglicherweise ist das Absicht.«

»Hmm«, machte er und grinste dann. »Du weißt also sehr genau, wie du einen Kerl anmachst, der dir gefällt – und dem du gefällst.« Mit diesen Worten beugte er sich zu ihr.

Auf einmal konnte sie es kaum erwarten, ihn nicht endlich noch näher zu spüren und den Kuss zu empfangen, nach dem sie sich die ganze Nacht gesehnt hatte. Und hatte sie gedacht, mit seinen Lippen auf ihren würde sich die Spannung endlich abbauen, hatte sie sich getäuscht. Das, was sein Kuss auslöste, explodierte in ihrem Inneren.

Svea verließ das Haus erst wieder, als es längst hell war. An der Wand im Flur hingen Familienbilder, die sie an Lenis Anruf vor einigen Jahren erinnerten. Dass sie es nicht übers Herz gebracht hatte, sich bei Klaas zu melden, als seine Eltern verunglückt waren. Sie erinnerte sich an die beiden. Eine warmherzige, lustige Frau und ein in sich gekehrter, eigenbrötlerischer Mann. Klaas’ Eltern. Raiks Eltern.

Deren Beerdigung sie nicht beigewohnt hatte, weil Martin es albern fand, diesen Aufwand für einen Jugendfreund zu betreiben, mit dem sie seit Jahren keinen Kontakt pflegte. Jetzt, mit den Bildern vor Augen, schämte sie sich dafür. Sie hätte herkommen sollen.

Raiks Abschiedskuss war verhaltener als alles, was die paar Stunden davor geschehen war.

Sie hatte mit Leidenschaft gerechnet, mit Wildheit und offensiven Berührungen. Doch Raiks vorsichtige Zärtlichkeit hatten ihr mehr als einmal in dieser Nacht den Atem geraubt, und seine Blicke waren intensiv, zu jedem Zeitpunkt.

Geredet hatten sie nicht mehr viel. Es gab nichts zu sagen, weder über früher noch über heute, und erst recht nicht über morgen.

»Danke, Svea«, sagte er leise und strich ihr über die Wange. »Du hast mir mein Wochenende gerettet.«

»Jederzeit.«

Doch seine Antwort war nur ein Lächeln.

Raik

Obwohl es noch früh am Morgen war, war es schon richtig warm. Endlich regnete es einmal nicht. Als er zum Bäcker lief, fühlte sich Raik seltsam beschwingt. Er wollte noch Frühstück holen, denn ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass Beeke bereits zu Hause war, statt noch mit Helge in ihrer Wohnung was auch immer zu tun.

Svea also.

Seine Gedanken wanderten zu ihr. Raik hatte sie nicht erkannt und war völlig überrascht gewesen. Erst im Laufe der Nacht blitzten immer wieder Erinnerungen an das Ferienmädchen auf, in das sein Bruder so lange verknallt gewesen war. Bis Klaas feststellte, dass Mädchen es eben doch nicht für ihn waren. Nun war er schon lange mit Daniel in einer Beziehung, und die Sache mit Svea sicher nicht mehr wichtig.

Gott sei Dank reiste sie nach der Feier wieder ab.

Mit ihren blitzenden blauen Augen, den langen blonden Haaren und dem weichen Körper hatte sie seine Schwermut in Leichtigkeit verwandelt. Ihn bezaubert, mit ihrem Lächeln und ihrem Charme, mit ihren Berührungen und ihren Küssen.

Diese Nacht hätte er um nichts auf der Welt verpassen wollen. Und doch war er froh, dass nach dem nächsten Wochenende alles so weitergehen würde wie vorher auch.

Es war ruhig in den Straßen, hier und da gingen Lichter in den Häusern an. Doch zu Hause war noch alles still. Er legte die Tüten mit den Brötchen und den Croissants in die Küche und machte die Kaffeemaschine an. Das laute Geräusch des Vollautomaten lockte wie gewünscht seine Zwillingsschwester an, die genauso müde aussah, wie er sich fühlte.

»Du bist da«, stellte Beeke fest. »Das ist schön. Ich könnte wen zum Reden brauchen.«

»Frühstücken wir zusammen und du erzählst mir, wieso du schon zu Hause bist? Danach muss ich dringend schlafen.« Er ging auf sie zu, umarmte sie kurz und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. Sie umschlang ihn, seufzte leise und legte ihren Kopf an seine Brust.

»Ja, unbedingt. Kaffee, ein Brötchen und meinen Bruder. Mehr brauche ich nicht.«

Oje. Da war aber jemand sehr frustriert.

Einen kurzen Moment blieben sie so stehen, dann wuschelte er ihr durch die Locken, wie er es immer tat, seit er größer war als sie. »Immerhin bin ich auf Platz drei in der Wichtigkeit. Ich gehe noch kurz duschen, gib mir zehn Minuten, ja?« Raik ließ sie los und war schon fast an der Treppe, da rief sie ihn zurück.

»Raik? Was ist passiert? Du wirkst verändert.«

Unwillkürlich musste er lächeln. »Ich war aus. Und es war anders als sonst.« Er nahm die ersten Stufen, doch als die Haustür aufging, hielt er erneut inne.

»He«, begrüßte er seine jüngste Schwester, die mit ihrem üblichen Kopfhörer auf den Ohren das Haus betrat und deutlich ausgeschlafener aussah als Beeke und er. Aber sie ignorierte ihn, hing ihre Jacke auf und stapfte in die Küche.

Im Vorbeigehen warf sie Bee ein Lächeln zu. »Guten Morgen, Bee.«

Beeke grinste. »Guten Morgen, Tess.«

Raik verdrehte die Augen und ging wieder in die Küche zurück. »Guten Morgen, Tess«, versuchte er es ebenfalls auf diesem Weg, doch sie reagierte erst, als er hinzufügte: »Ich habe dir ein Schokocroissant mitgebracht.«

»Danke, ich habe keinen Hunger und bin auch gleich wieder weg. Zum Abendessen bin ich zu Hause, aber vorher braucht ihr nicht mit mir zu rechnen. Was gibt es?« Sie zog sich einen Kaffee und sah Beeke dabei abwartend an.

Bee zuckte mit den Schultern. »Ich habe mir noch nicht überlegt, was wir heute Abend essen.«

Statt zu antworten, wartete Tessa schweigend.

Raik wusste nicht, ob er sie für ihr Selbstbewusstsein bewundern oder schütteln wollte. »Wir hatten an Krabbenauflauf und Baguette gedacht. Und zum Nachtisch eine Mousse. Nele war noch einkaufen gestern.«

Tessa nickte. »In Ordnung.« Sie nahm ihre Tasse und stapfte an ihm vorbei. Als sie ihn streifte, rümpfte sie die Nase. »Du solltest duschen gehen.«

Ehe er antworten konnte, war sie die Treppe hochgelaufen. Er grunzte, und mit Beekes leisem Lachen im Rücken folgte er Tessa.

In seinem Zimmer machte er Musik an, und leiser Jazz entzog dem Raum seine Stille. Er öffnete das Fenster, atmete die Seeluft ein, die von der Nordsee herüberwehte. Entfernt vom Spielplatz meinte er, Kinderlachen zu hören und verdrängte den Schmerz, der sich sofort in ihm aufbauen wollte. Er würde Yara bestimmt bald wiedersehen.

Nachdem er sich ausgezogen hatte, warf er seine Klamotten in die Wäschebox, legte Armband und Uhr ab und ging duschen. Das heiße Wasser tat gut. Tessa hatte recht, es war auch nötig. Mit dem Wasser im Abfluss verschwand der Geruch nach Alkohol, Nachtleben und fremder Haut von seinem Körper.

Und Letzteres bedauerte er.