Für immer Meeresträume - Antonia Sommer - E-Book

Für immer Meeresträume E-Book

Antonia Sommer

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nele hat die Nase voll von Männern. Nach einer üblen Trennung sucht sie Abstand im Schwarzwald. Auf keinen Fall will sie sich wieder auf eine Beziehung einlassen - zu tief sitzt der Schmerz der Vergangenheit, zu groß ist die Angst, wieder enttäuscht zu werden. Als sie nach Norderney zurückkehrt, trifft sie Mattes wieder. Mattes trägt ausschließlich Schwarz, ist tätowiert und fährt Motorrad. Aber hinter der harten Fassade verbirgt sich ein liebevoller Mann, der gern Briefe und Gedichte schreibt und Neles Herz höherschlagen lässt. Doch ist sie schon bereit, sich auf eine neue Liebe einzulassen?

Der dritte Band der Wohlfühl-Liebesroman-Reihe über den Zauber von Freundschaft, Liebe und Familie.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 318

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Playlist

Nele

Mattes

Mattes’ erster Brief

Nele

Mattes

Neles Brief an Mattes

Nele

Mattes

Nele

Nele

Mattes

Neles Brief, vor Raiks Hochzeit

Nele

Ansichtskarte vom Schauinsland

Mattes

Mattes

Nele

Mattes

Mattes’ Brief, nach Raiks Hochzeit

Nele

Mattes

Nele

Mattes

Nele

Nele

Mattes

Nele

Mattes

Nele

Mattes

Nele

Mattes

Neles Brief an Mattes

Mattes

Nele

Mattes

Nele

Mattes

Nele

Mattes

Nele

Tantouk

Nachwort

Danke

Über die Autorin

Impressum

Liebe Leserin, lieber Leser,

herzlichen Dank, dass du dich für ein Buch von beHEARTBEAT entschieden hast. Die Bücher in unserem Programm haben wir mit viel Liebe ausgewählt und mit Leidenschaft lektoriert. Denn wir möchten, dass du bei jedem beHEARTBEAT-Buch dieses unbeschreibliche Herzklopfen verspürst.

Wir freuen uns, wenn du Teil der beHEARTBEAT-Community werden möchtest und deine Liebe fürs Lesen mit uns und anderen Leserinnen und Lesern teilst. Du findest uns unter be-‍heartbeat.de oder auf Instagram und Facebook.

Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich für unseren kostenlosen Newsletter an:be-heartbeat.de/newsletter

Viel Freude beim Lesen und Verlieben!

Dein beHEARTBEAT-Team

Melde dich hier für unseren Newsletter an:

Über dieses Buch

Nele hat die Nase voll von Männern. Nach einer üblen Trennung sucht sie Abstand im Schwarzwald. Auf keinen Fall will sie sich wieder auf eine Beziehung einlassen – zu tief sitzt der Schmerz der Vergangenheit, zu groß ist die Angst, wieder enttäuscht zu werden. Als sie nach Norderney zurückkehrt, trifft sie Mattes wieder. Mattes trägt ausschließlich Schwarz, ist tätowiert und fährt Motorrad. Aber hinter der harten Fassade verbirgt sich ein liebevoller Mann, der gern Briefe und Gedichte schreibt und Neles Herz höherschlagen lässt. Doch ist sie schon bereit, sich auf eine neue Liebe einzulassen? 

Der dritte Band der Wohlfühl-Liebesroman-Reihe über den Zauber von Freundschaft, Liebe und Familie.

Für meinen Mann.

Du hast Freiheit mitgebracht.

Playlist

Bliss – Kissing

Frank Sinatra – Fly Me to the Moon

Adele – Set Fire to the Rain

Taylor Swift – Fresh Out The Slammer

a-ha – Hunting High and Low

Alanis – Head Over Feet

Frank Sinatra – My Way

Coldplay – Everglow

Glashaus – Haltet die Welt an

Dermot Kennedy – Kiss Me

Florence & the Machine – Never Let Me Go

Lewis Capaldi – Pointless

Linkin Park – In The End

Lost Frequencies & Bastille – Head Down

Blank & Jones – Flaming June

Nele

Weißgraue Flocken über dunklem Meer. Die weiße Silhouette Norderneys war nicht mehr als ein müder Schatten. Nur ein paar wenige Spaziergänger liefen über den Strand.

Nele hatte sich lediglich einen Kaffee holen wollen und kurzerhand beschlossen, für die Überfahrt zur Insel unter Deck zu bleiben. Dort war es wesentlich wärmer als im Auto. Auf ihr Buch konnte sie sich allerdings nicht konzentrieren. War sie bisher emotionslos Richtung Heimat gefahren, kroch nun eine gewisse Unruhe in ihre Glieder.

Ein Jahr und vier Monate hatte sie im Schwarzwald und nicht auf Norderney gelebt. In dieser Zeit war sie genau drei Mal zu Besuch gekommen: Direkt nach wenigen Wochen, weil das Heimweh sie überkommen hatte, und als die Zwillinge im Abstand von wenigen Monaten geheiratet hatten. Jedes Mal hatte sie sich nur wenige Tage auf Norderney aufgehalten, denn sie wollte ihre schwerkranke Patientin ungern für länger in den Händen einer anderen Pflegerin zurücklassen. Doch Rosalie hatte ihr gut zugeredet: Familie sei so wichtig, und sie würde schon nicht ausgerechnet in den Tagen sterben, in denen Nele nicht da sei.

Mit einem wehmütigen Lächeln dachte Nele an die tapfere Frau, die ihr in den Monaten, in denen sie einander so nahegekommen waren, eine liebe Freundin geworden war.

Doch nun lebte Rosalie nicht mehr, und Nele kehrte auf ihre Insel zurück. Wie lange sie auf Norderney bleiben konnte, stand allerdings in den Sternen.

Als die Fähre im Hafen angelegt hatte, umklammerte Nele das Lenkrad, atmete tief durch und startete den Wagen. Es gab keinen Grund, nervös zu sein.

Zumal eh niemand wusste, dass sie nach Hause kam.

»Das kannst du doch nicht machen!«, hatte Tantouk entsetzt ausgerufen. Ihre Tante Anouk, die von allen nur Tantouk genannt wurde, weil die Geschwister den schwierigen Namen als Kinder nicht aussprechen konnten, lebte derzeit ebenfalls in Freiburg. Überraschend war sie Nele nach einer enttäuschten Liebe in den Süden gefolgt und hatte sich zwischenzeitlich gut eingelebt. Selbstverständlich hatte Nele sie gefragt, ob sie mit nach Hause fahren wollte, doch Tantouk hatte abgelehnt. Sie würde erst zu Weihnachten nach Norderney kommen. Und Nele war gespannt, ob sie ihren neuen Partner mitbringen würde.

Nachdem sie ihrer Tante die Gründe dargelegt hatte, weswegen Nele ihre Ankunft nicht angekündigt hatte, musste diese letztlich zugeben, dass sie ihre Vorgehensweise verstehen konnte.

Denn sie kannten ihre Familie. Die Geschwister würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Nele einen entsprechenden Empfang zu bereiten, und genau das wollte sie vermeiden. Zudem befanden sich Raik und Svea in den verdienten Flitterwochen, die wären am Ende noch zu Hause geblieben.

Nein, Nele wollte sich ganz heimlich ins Haus schleichen und ihre Schwestern Beeke und Tessa sowie ihren Bruder Klaas überraschen.

Genau wie Mattes.

Während Nele durch ihre Siedlung fuhr, schweiften ihre Gedanken zu Mattes’ letztem Brief. Er war erst vorgestern angekommen. Sie hatte sie nicht gezählt, aber es mussten über dreißig Briefe sein, die er ihr seit ihrem Umzug im letzten Jahr geschrieben hatte. Nie hätte Nele erwartet, was sich aus seinem ersten überraschenden Anschreiben entwickeln würde.

Ich kann es kaum erwarten, dich an Weihnachten wiederzusehen, und ich gebe zu, der Gedanke daran macht mich nervös.

Noch hatte sie ihm nicht geantwortet, aber nervös war sie auch. Immerhin waren sie sich bei ihrem letzten Treffen etwas nähergekommen.

Nele parkte vor dem Haus, und wie erwartet lag es ruhig vor ihr. Nichts deutete darauf hin, dass jemand zu Hause war, und die Stille im Inneren des Hauses bestätigte das.

Nach und nach brachte sie ihr Gepäck hinein. So schön der leichte Schneefall anzusehen war, so unangenehm kalt klebte die Feuchtigkeit auf ihrer Kleidung und drang gefühlt in jede Hautpore. Zudem hatte sie die lange Fahrt ausgelaugt. Also duschte sie heiß, zog sich bequeme, trockene Sachen an und setzte sich mit einem großen Kaffee auf den Esstisch, der direkt vor dem bodentiefen Wohnzimmerfenster stand. Die Füße stellte sie auf einem Stuhl ab und hörte in ihren Gedanken die Stimme ihrer Mutter, die ihr diese Unsitte immer mit einer liebevollen Ermahnung hatte durchgehen lassen.

Sie fehlte ihr.

Tief atmete Nele ihr Zuhause ein.

Es roch unvertraut. Das Haus hatte sich verändert. Am auffälligsten war die neue Wandfarbe. Offenbar hatten Raik und Svea einen neuen Anstrich gewollt, denn das vorher matte Weiß war einer Kombination aus einem herbstlichen Rotbraun und sandfarbenen Akzenten gewichen. Eine neue Couch mit farblich passenden Kissenbezügen, unbekannte Fotos auf den Regalen, eine Spielkiste für Yara in der Ecke. Nele fremdelte etwas. Das war auch ihr Zuhause gewesen.

Nun fühlte es sich nicht mehr danach an.

Ihr Blick schweifte zu ihrem verwaisten Tiny House, das ein fast malerisches Bild in dem schneebedeckten Garten abgab. Ihr Vater hatte es für sie vor einigen Jahren gebaut. Nach einer gescheiterten Beziehung war sie wieder zu Hause eingezogen. Zwar hätte es Platz im Haus gegeben – Klaas lebte in Oldenburg, die Zwillinge hatten eigene Wohnungen – doch ihr Vater kannte Nele gut und hatte ihr eine ganz eigene Rückzugsmöglichkeit angeboten. So wurde es nie zu voll, wenn alle Geschwister zu Hause waren.

Nach dem Tod ihrer Eltern waren Raik und Beeke zurück ins Elternhaus gezogen, um für Tessa da zu sein, und nun war die Jüngste die Einzige, die noch mit Raik hier lebte. Also hatte Nele sich überlegt, in Beekes altes Zimmer statt ins Tiny House zu ziehen. Nach über einem Jahr Abwesenheit würde sie erst einige Kontrollen durchführen müssen, bevor sie es bewohnen konnte. Raphael, ein Bekannter, mit dem sie in Freiburg ein paar schöne Nächte verbracht hatte, arbeitete als Elektriker und hatte ihr eines Morgens auf ihre Anfrage hin sehr genau erklärt, worauf sie zu achten hatte, wenn sie das Häuschen wieder in Gang bringen wollte. Das war sexy gewesen, und hilfreich noch dazu. Denn abgesehen von dem ganzen elektrischen Kram, von dem sie nichts verstand, war es notwendig, das Haus innen und außen auf Schäden zu überprüfen, die Toilette vorzubereiten, die Wasserleitungen durchzuspülen und und und ... Die Liste war lang.

Zu lang.

Die Wohnsituation war Punkt eins ihrer To-do-Liste gewesen und diesen hatte sie mit der Wahl auf Beekes Zimmer schnell abhaken können. Ein neuer Job und Mattes standen als Nächstes an.

Vor einigen Wochen hatte Nele bei ihrer ehemaligen Chefin angefragt, ob sie sie einstellen würde, und zu ihrem Erstaunen eine Absage erhalten. Sie war sich sicher gewesen, dass das Krankenhaus Personal suchte, doch die überraschende Kündigung im letzten Jahr hatte man ihr anscheinend übel genommen. Zum Glück hatte Nele einige Rücklagen. Nicht nur, dass sie in der privaten Pflegestelle, wegen der sie Norderney verlassen hatte, geradezu fürstlich bezahlt worden war. Nein, Rosalie hatte ihr überraschenderweise eine größere Summe Geld vermacht. Damit würde sie nun eine Weile über die Runden kommen.

Das Vibrieren ihres Handys riss Nele aus den Gedanken. Es war eine Nachricht von Tantouk, die fragte, ob sie gut angekommen wäre. Nele antwortete erst ihr und schrieb dann ihrer Freundin Caro. Carolins Mutter war es gewesen, die Nele im letzten Jahr gepflegt hatte. Als bei Rosalie eine aggressive Krebsform diagnostiziert worden war, hatte Caro Nele gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, Rosalie bei diesem Prozess zu begleiten. Nele, die zu diesem Zeitpunkt zunehmend unglücklicher auf Norderney wurde, hatte direkt zugesagt, gekündigt und war kurze Zeit später in den Schwarzwald gezogen – und hatte es keinen Tag bereut.

Das war im Sommer des letzten Jahres gewesen.

Es hatte sie alle glücklich gemacht, dass Rosalie einige Monate länger leben durfte, als ihr prophezeit worden war. Der Abschied war zwar eine traurige, aber auch achtsame Zeit gewesen. Eine Zeit, in der Nele den Sinn ihres Berufs mehr gespürt hatte als all die Jahre zuvor. Und daran wollte sie festhalten.

Ein Leben zu führen, in dem sie jeden Abend mit einem Lächeln zu Bett gehen konnte, weil sie das Beste aus ihrem Tag gemacht hatte.

Sie wollte keine Zeit mehr verschwenden.

Die Vergangenheit endlich loslassen.

Warm eingepackt spazierte Nele den beinahe menschenleeren Strand entlang. Der November war keine beliebte Reisezeit. Dafür stieß man wieder auf mehr Inselbewohner, die sich trafen, um die Restaurants und Cafés zu besuchen, die sonst von den Touristen gestürmt wurden. Zu den Feiertagen kamen meist nur die Stammgäste auf die Insel, die dem Familientrubel entfliehen wollten und sich einen ruhigeren Jahreswechsel wünschten.

Nele wäre gern länger im Schwarzwald geblieben, wenn es sich angeboten hätte. Doch nach Rosalies Tod hatte sie Caro in schweren Momenten beigestanden und zudem geholfen, das Haus auszuräumen. Ein bisschen hatte das auch die Wunde geheilt, die der Tod ihrer eigenen Eltern vor wenigen Jahren in sie gerissen hatte. Aber irgendwann hatte sie eine Entscheidung treffen müssen. Und die war zugunsten ihrer eigenen Familie ausgefallen. Wobei, nein. Eigentlich war Weihnachten das Sandkörnchen auf der Waage gewesen. Natürlich vermisste sie ihre Geschwister, den Zusammenhalt und die Nähe, aber es waren die Feiertage, die Nele unbedingt mit ihnen verbringen wollte. Nur was sie danach tun würde, wusste sie noch nicht.

Derzeit pendelte Nele zwischen zwei Welten: Auf der einen Seite die Enge der Insel und die Vertrautheit der Familie, auf der anderen Seite die endlose Freiheit des Landes und seiner Möglichkeiten. Sichere Familie oder räumliche Freiheit.

Sie zog die Nase kraus. Das Gefühl, derart unentschlossen zu sein, mochte sie ganz und gar nicht.

Als das große, schlanke Hotel in Sicht kam, in dem Beekes Mann Joon ein Apartment bewohnte und das nun auch das Zuhause ihrer Schwester war, warf Nele einen Blick auf die Uhr. Es war Mittagszeit, und sie hatte keine Ahnung, wo Beeke sich aufhielt oder was das Baby zu dieser Zeit brauchte. Vielleicht hätte sie doch anrufen sollen. Sie wollte nicht ungelegen kommen.

In der Hotellobby schlug ihr warme Luft entgegen. Sie zog ihre Mütze vom Kopf und sah sich um. Eine holzgetäfelte Rezeption, eingerahmt von großen Pflanzen in massiven Kübeln, zog den ersten Blick auf sich. Das gesamte Ambiente war in Gold und Blau gehalten. »Zeitlose Eleganz« hatte Beeke es einmal in einem ihrer Postings beschrieben. Ihre Schwester arbeitete als Social Media Managerin für Petersen Hotels, zudem war sie auch die Frau des Chefs. Wegen des Babys hatte sie ihre Arbeitsstunden derzeit aber verringert.

Tatsächlich war Nele noch nie in diesem Hotel gewesen. Sie hatte keine Ahnung, wie ihre Schwester lebte. Dass das Apartment ganz oben war, wusste sie, hatte es aber bisher nur auf Bildern oder in Video-Calls gesehen. Ob sie da einfach so hochfahren konnte? Nicht dass der Aufzug aufging und sie direkt im Wohnraum stand.

Doch all diese Gedanken wurden zunichtegemacht, als ihr Joon, ihr Schwager, über den Weg lief. Er bemerkte sie nicht, also zupfte sie ihn kurz am Ärmel.

»Der Tunnelblick der wichtigen Menschen«, spottete sie und musste bei seinem darauffolgenden Gesichtsausdruck grinsen.

»Das ist ja eine Überraschung«, rief Joon aus und bot ihr eine Umarmung an.

Dagegen war nichts einzuwenden. Nele mochte ihn gern und kannte ihn bereits ihr Leben lang. Von klein auf war er der beste Freund der Zwillinge gewesen und in ihrem Elternhaus ein und aus gegangen.

Strahlend begutachtete er sie. »Bee hat nicht erzählt, dass du kommst. Hast du dich heimlich nach Norderney geschlichen?«

Unschuldig blinzelte sie ihn an. »Vielleicht?«

Joon schüttelte ungläubig den Kopf. »Du bist mir ja eine. Bee ist oben. Ich hab leider«, er warf einen Blick auf die Uhr, »gerade gar keine Zeit.«

»Kann ich einfach hochfahren? Ich war nicht sicher, ob ich dann nicht direkt im Wohnzimmer stehe und in eine unangenehme Situation platze.«

Er lachte leise. »Nein, keine Sorge. So modern sind wir nicht. Neunter Stock, linkes Apartment, eine geschlossene Wohnungstür!«

»Und ich wecke das Baby auch nicht?«, hinterfragte sie.

Joon zuckte mit den Schultern. »Schätze, das wirst du herausfinden. Ich muss los. Mach gern was mit Bee aus, Abendessen oder so.« Er drückte sie noch mal, dann lief er eiligen Schrittes in einen schmalen Flur.

Also verfolgte Nele ihren ursprünglichen Plan und stieg in den Fahrstuhl. Beim Aussteigen hielt sie sich links und klopfte leise an die Tür des Apartments. Es befand sich keine Klingel und auch kein Namensschild daran, aber Nele hoffte, es war die richtige.

Sie hörte leise Schritte, die Tür ging auf, und vor ihr stand ihre ältere Schwester Beeke.

»Oh Göttin!«, rief sie aus und fing an zu lachen. »Deshalb hat mein Mann mir eben geschrieben, dass ich mir besser was anziehen soll!« In der Tat trug Beeke Jeans und einen übergroßen Hoodie, nur an den Füßen war sie barfuß.

»Ach was, mir hättest du auch im Schlabberlook oder nackt öffnen können. Passt es gerade?«

»Willst du mich veräppeln? Komm rein!« Drinnen umarmte Beeke sie fest. »Wie schön, dass du da bist. Aber wieso hast du denn nichts gesagt? Wir hätten dich doch anständig empfangen.«

»Genau deswegen! Ich wollte weder Umstände machen noch Aufregung verursachen.« Nele lächelte ihre ältere Schwester an. Sie waren schon immer gut miteinander ausgekommen, doch im letzten Jahr hatte Bee verstärkt Wert darauf gelegt, engen Kontakt zu halten.

»Wo ist Mayla?« Suchend sah sie sich um, doch sie entdeckte das Baby nirgendwo.

»Tessa hat sie sich vor ein paar Minuten zum Spaziergang ausgeliehen, damit ich in Ruhe duschen kann. Du hast sie knapp verpasst. Geduscht habe ich allerdings immer noch nicht«, erklärte Beeke.

»Dann mach das doch eben, und ich koche uns in der Zeit einen Kaffee?«

Gesagt, getan. Beeke zeigte ihr alles Notwendige, und während sie unter die Dusche hüpfte und der Kaffee durchlief, schaute sich Nele in dem großzügigen Apartment um. Direkt neben dem Eingang war das Bad, gleich gegenüber befand sich die Küche. Von einem kleinen Flur, der in das großzügige Wohnzimmer überging, erspähte sie durch eine halb geöffnete Tür das Schlafzimmer.

Alles war hell und freundlich eingerichtet. Beeke hatte ihr Anfang des Jahres viel von der Renovierung und Neuausstattung erzählt.

In diesem Punkt hatte sich das Leben ihrer Schwester sehr geändert, denn sie hatte einen der reichsten Männer der Insel geheiratet: Joons Familie besaß mehrere Hotels und Restaurants auf Norderney und Juist, und im Moment arbeiteten Joon und Beeke gemeinsam an der Idee eines weiteren Hotels. Die beiden waren schon als Jugendliche ein Paar gewesen und Nele hatte es nicht gewundert, dass sie im letzten Jahr wieder zusammengefunden hatten. Vielleicht hatte sie auch selbst ein bisschen nachgeholfen.

Bei der Erinnerung an die Partys, die sie oft im Garten gefeiert hatten, musste Nele lächeln. Auch im Schwarzwald war sie einige Male ausgegangen. Freiburg war eine tolle Stadt und nicht weit entfernt von dem kleinen Ort gewesen, in dem sie bei Caro und Rosalie gewohnt hatte. Viele Abende hatte sie nicht freigehabt, weil ihre Patientin rund um die Uhr Betreuung gebraucht hatte, aber die eine oder andere Nacht war dabei gewesen. Großstadtluft hatte sie bis dahin noch nie geschnuppert, und die Freiheit, die sie eingeatmet hatte, hatte sich in ihr ausgebreitet und sie nicht wieder losgelassen.

Gleich nachdem der Kaffee fertig war, kam auch Beeke umgezogen und mit Handtuchturban ins Wohnzimmer, und die Schwestern ließen sich auf dem Sofa nieder. Bodentiefe Fenster boten einen unglaublich schönen, weiten Ausblick aufs Meer.

»Hier würde ich auch nicht ausziehen. Es muss traumhaft sein, diese Aussicht jeden Tag vor Augen zu haben«, stellte Nele fest.

Ihre Schwester nickte. »Das ist es, aber ich vermisse unser Haus schon arg. Aber reden wir nicht von mir! Wieso bist du schon da? Ist was passiert? Wolltest du nicht erst zu Weihnachten nach Hause kommen?«

»Ja, das war der Plan, aber irgendwie ...« Nele zog die Nase kraus. »Rosalies Tod war hart für mich.« Bisher hatte sie noch mit niemandem darüber gesprochen – die Briefe an Mattes ausgenommen –, und so laut gesagt fühlte es sich noch ein bisschen schmerzhafter an. »Wir haben das Haus ausgeräumt, weil Caro umgezogen ist, und sie hatte mich eingeladen zu bleiben, aber ich hatte das Gefühl, ein bisschen Zeit für mich zu brauchen. Also dachte ich, komme ich früher und genieße die Vorweihnachtszeit mit meinen Geschwistern. Ich freue mich so, die Jungs und Tessa wiederzusehen.« Emotional berührt nahm sie Beekes Hand, die ihre drückte, aber gleichzeitig eine Schnute zog.

»Klaas und Daniel sind nicht da«, sagte sie sogleich. »Sie nutzen Raiks Abwesenheit und die geänderten Öffnungszeiten des Radlagers ebenfalls für Urlaub und anschließende Besuche in Oldenburg.«

»Oh nein.« Nele seufzte. »Wann kommen sie wieder?«

»Sie sind am Samstag erst gefahren und werden zeitgleich mit Raik und Svea zurückkommen, also Anfang Dezember. Tut mir leid.«

»Fast vier Wochen«, murmelte Nele. Das warf ihre Pläne und Hoffnungen durcheinander, denn sie hatte fest damit gerechnet, mit ihrem Bruder und seinem Mann Zeit verbringen zu können. »Und Tess?«

Beeke lächelte. »Du wirst staunen. Sie ist so erwachsen geworden im letzten Jahr. Und wahnsinnig glücklich mit Finn.«

Nele runzelte die Stirn. »Finn?«

»Ihr Freund. Den hat sie jetzt seit ... hm, vier, fünf Wochen?«

Ganz offensichtlich war es doch nichts mit der geschwisterlichen Enge. Anders konnte Nele sich nicht erklären, dass sie das alles nicht mitbekommen hatte. »Hab ich sonst noch was verpasst?« Nur mit Mühe konnte sie einen enttäuschten Tonfall verbergen.

»Dass die Jungs weg sind, stand doch im Chat?« Beeke zog ihr Handy hervor und wischte darauf herum. »Oh.« Ihre Wangen färbten sich rot.

Gleichzeitig hatte Nele die Geschwister-WhatsApp-Gruppe geöffnet, doch da war seit einer Weile kein Eintrag mehr gewesen. Sie sah auf. »Was?«

»Es ... es steht in der anderen Gruppe. Mist, das ist mir jetzt unangenehm.« Beeke atmete tief durch. »Seit deinem Geburtstag letztes Jahr gibt’s eine Gruppe, in der du nicht bist, weil wir da dein Geschenk geplant haben. Und offensichtlich haben wir einige Sachen dort geschrieben. Sorry, das war unachtsam.«

Ihre Schwester wirkte ehrlich betroffen, also versuchte Nele, das fiese Zwicken zu verdrängen, was sich in ihr breitmachte. Sie war ja selbst schuld. Schließlich war sie weggegangen und hatte Distanz zwischen sie gebracht.

»Schon okay«, versuchte sie die unangenehme Situation tapfer wegzulächeln. »Jetzt bin ich ja da und krieg wieder alles mit.«

»Aber natürlich! Ich glaube, von Finn weißt du nichts, weil das in die Zeit fiel, als deine Patientin gestorben ist. Und du weißt ja, wie Tessa ist. Sie macht nicht gern Aufhebens um sich.«

Wie ich, dachte Nele kurz, bevor sie den Faden von vorher wieder aufnahm. »Wir werden schon noch Zeit zum Quatschen haben. Ich habe mich nicht angekündigt, weil ich nicht wollte, dass ihr euch viel Mühe macht. Hinterher hätten Raik und Svea noch ihre Pläne geändert. Aber nun erzähl auch von dir: Wie geht es dir? Wie ist es, Mutter zu sein? Kriegst du genug Schlaf?«, bombardierte Nele Beeke mit Fragen, und zu ihrer Erleichterung ließ diese sich darauf ein. Dass es nur eine Taktik war, um von unbequemen Themen abzulenken, war Nele bewusst, aber sie würde noch genug Zeit haben, sich über alles Gedanken zu machen.

Jetzt wollte sie erst einmal zu Hause ankommen. Sie schob die negativen Gefühle und Gedanken beiseite und ließ sich voll auf ihre Schwester ein. Nur wenig später stieß die Jüngste dazu.

Tessa freute sich überschwänglich, dass sie da war, und wich nicht mehr von ihrer Seite. Mit ihr und dem Baby lockerte sich die Stimmung endgültig auf, und Neles Unruhe legte sich. Je mehr sie redeten, je mehr Beeke und Tessa erzählten, desto entspannter wurde sie.

Sie war zu Hause.

Mattes

Sorry, hab mich in den Steuern verloren. Bin auf dem Weg.

Hastig tippte Mattes die Nachricht in sein Handy, bevor er es in die Hosentasche schob, aus der Tür eilte und sie hinter sich zufallen ließ. Direkt musste er noch einmal umdrehen, um sie noch abzuschließen. Herrgott, er war so verpeilt an diesem Tag.

Auf dem Weg zu seinem Fahrrad klaubte er die Post aus dem Briefkasten, grüßte eine Nachbarin und dachte wehmütig an sein Motorrad. Mit dem wäre er schneller unterwegs.

Mattes war mit seinem Bruder verabredet, genau genommen seit einer Viertelstunde. Aber wie immer, wenn er sich auf etwas konzentrierte – in diesem Fall die Steuern –, vergaß er die Zeit. Ohne Timer am Handy lief nicht viel bei ihm, doch heute hatte er sogar das vergessen. Timo hatte ihn um Hilfe bei der Kontrolle der Ferienwohnungen gebeten. Im Winter, wenn wenig bis gar keine Gäste buchten, nutzten die meisten Vermieter die Zeit für Renovierungsarbeiten. Denn auch nur in diesen Monaten hatten sie die Möglichkeit, lärmintensive Arbeiten durchzuführen, bevor der Baulärmstopp ab Mai diese untersagte. Normalerweise kümmerten sich Timo und seine Frau Annika allein darum, doch Mattes’ Schwägerin war schwanger. Also hatte Mattes seine Hilfe angeboten.

Er stopfte die Briefe in den Rucksack, schwang sich aufs Fahrrad und fuhr los. Mit einem kritischen Blick in den Himmel seufzte er. Es sah danach aus, als würde es heute wieder schneien. Aber gut, sie würden eh den ganzen Tag beschäftigt sein.

Als er ankam, war Timo bereits dabei, die Wand abzukleben, die sie streichen wollten. Den letzten Feriengästen war ein Missgeschick passiert, und der Becher Kakao, den ihr kleiner Sohn in einem Trotzanfall von sich geworfen hatte, hatte Wand und Sofa mit einem schmutzigen Braun gesprenkelt.

»Entschuldige«, sagte Mattes und legte seinen Kram ab, um sich direkt an die Arbeit zu machen.

»Kein Ding«, meinte Timo und hielt ihm die Hand hin. Sie schlugen ein, dann ließ Mattes seinen Blick durch den Raum wandern, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sein Bruder deutete auf einen Farbeimer. »Alles okay? Wir nehmen die Farbe, die auf der Fensterbank steht.«

»Hab nicht auf die Zeit geachtet«, erklärte Mattes und nahm sich den Eimer. Pinsel und Rollen lagen bereit, Timo war gut vorbereitet.

Eine Weile arbeiteten sie schweigend, bevor Timo das Gespräch wieder aufnahm. »Anni möchte dich zum Essen einladen, als Dank für deine Hilfe. Hast du Sonntag Zeit?«

»Das ist nicht nötig, nehm ich aber gern an«, antwortete er lächelnd und versuchte sich an seine Arbeitszeiten für den Rest der Woche zu erinnern. In den letzten Tagen hatte er ein paar Überstunden abgebaut, da verschob sich sein Zeitgefühl immer etwas. »Ich muss schauen. Gerade bin ich mir nicht sicher, welche Schicht ich habe. Aber ich meine, ich hab Zwölf-Stunden-Dienst.«

»Schau einfach nach heute Abend.«

»Klar. Erinnere mich morgen noch mal, wenn ich nichts gesagt habe.«

»Alter, ich kenn’s ja nicht anders, aber dass du immer noch so vergesslich bist ...« Timo grinste ihn an. »Wo sind deine Gedanken? Die Steuern können es wohl kaum sein. Wie heißt sie noch gleich?«

Mattes lächelte. Es gab da durchaus eine Sie, die seine Gedanken immer wieder einfing, doch das war nicht der Grund für seine Schusseligkeit. Er war schon immer so gewesen. »Du weißt, dass es da niemanden gibt.«

»Ich weiß, dass du verknallt bist.«

Er verdrehte die Augen. »Und wenn schon«, murmelte er. »Das beschäftigt mich nicht. Wenn mich was ablenkt, ist es eher der Job. Ich bin froh um die paar freien Tage.«

Timo ließ die Farbrolle sinken. »Und du hattest nichts Besseres zu tun, als uns zu helfen?«

»Und wenn schon«, wiederholte Mattes. »Ich mach’s gern.«

Sein Bruder schnaubte. »Früher hättest du sonst was gemacht, statt mir freiwillig zur Hand zu gehen bei meinen handwerklichen Experimenten. ’ne Motorrad-Tour oder so.«

Mattes lachte leise und deutete aus dem Fenster, wo es mittlerweile angefangen hatte zu schneien. »Hat ’nen Grund, warum Biker im Winter nicht viel fahren. Abgesehen davon ist das hier kein Experiment. Immerhin lebt ihr davon, dass die Gäste wiederkommen. Es ist euch wichtig, also ist es auch mir wichtig.«

»Punkt für dich.« Timo hob ergebend die Hände.

Das Gespräch verebbte wieder, doch das war nicht schlimm.

Mattes verstand sich gut mit seinem Bruder, und mit ihm nicht ständig quatschen zu müssen war etwas, was er sehr zu schätzen wusste.

Während einer kleinen Pause bei einem heißen Tee und ein paar belegten Broten, die Anni ihrem Mann mitgegeben hatte, schaute Mattes seine Post durch. Erstaunt zog er einen Brief von Nele hervor. Direkt zog ein Kribbeln durch seinen Körper. Und er konnte nicht widerstehen, ihn sofort zu lesen.

He, Mats,

habe mich wie immer sehr über deinen Brief gefreut. Leider habe ich derzeit wenig Zeit zum Antworten, das tut mir leid.

Aber weißt du, was ich mich frage? Stehen die Weidenkorbstühle auch im Winter auf der Aufsichtsplattform? Ich werde es herausfinden. Vermutlich heute Nachmittag, so um vier. Da oben ist es bestimmt entzückend, wenn es schneit.

Liebe Grüße, Nele

Mattes ließ das Papier sinken und starrte Timo an. »Oh, wow.« Mit einem Mal war sein Herzschlag in die Höhe gerast und das Gefühl in seinem Bauch nahezu unerträglich.

Sein Bruder hob die Augenbrauen. »Schlechte Nachrichten?«

»Nein, im Gegenteil.« Er überflog erneut die Zeilen. Verstand er das richtig? Nele war auf Norderney? Wie unerwartet, doch was für eine verdammt schöne Überraschung. »Schätze, ich muss dich hängen lassen.« Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, dagegen konnte er einfach nichts tun. »Der ist von Nele. Sie ist wieder da.«

»Nele also.«

»Mhm«, machte Mattes. Das Lächeln hatte sich in sein Gesicht gebrannt. Sein Bruder würde nicht lockerlassen, somit konnte er es ihm auch direkt erzählen. »Erinnerst du dich, wie geschockt ich war, dass sie auf der Begrüßungsparty für Joon und mich letzten Sommer nicht da war? Sie ist kurz vorher für einen Job in den Schwarzwald gezogen. Seitdem ... Na ja, seitdem schreiben wir uns. Ich dachte, sie kommt erst an Weihnachten wieder, aber offensichtlich ist sie auf der Insel. Und sie will mich sehen.«

»Du warst ziemlich durch den Wind nach der Hochzeit«, bestätigte Timo. »Das mit den Briefen, da klingelt es vage in mir. Aber so kannst du nicht zu einem Date gehen. Verschwinde. Und morgen schuldest du mir Hilfe und eine Geschichte, Bruder.« Timo klopfte ihm auf die Schulter.

Mattes ging ins angrenzende Bad und wusch seine Streichutensilien aus. Dann zog er seine Jacke an und ging zur Tür. Er konnte es kaum abwarten, nach Hause zu kommen.

An der Haustür kam ihm ein Gedanke, und er drehte sich um.

»Kann ich mir dein Auto leihen?«

Timo schüttelte wortlos den Kopf, zog seine Autoschlüssel aus der Hosentasche und warf sie ihm zu. Mit einem Lächeln hob Mattes dankend die Hand, dann lief er zu Timos altem Volvo und fuhr nach Hause.

Neles überraschte Rückkehr machte sämtliche Pläne zunichte, die er aufgestellt hatte, um ihr zu Weihnachten einen liebevollen Empfang zu bereiten. Er hatte ihr Tiny House festlich schmücken wollen, mit Lichterketten und Tannengirlanden. Zudem hatte er Neles Bruder um Erlaubnis gebeten, das kleine Haus in Schuss zu bringen, damit sie direkt dort einziehen konnte, wenn sie nach Hause kam. Raik hatte das mit einem amüsierten Grinsen zur Kenntnis genommen, aber keine Fragen gestellt.

Mattes musste lächeln. Das mit Nele und ihm war so eine Sache. Sie hatten einander lange, intensive Briefe geschrieben, und zweimal hatten sie sich zwischenzeitlich gesehen. Und an das letzte Treffen konnte er nicht ohne dieses Kribbeln im Bauch denken, was ihn auch jetzt befallen hatte.

Zu Hause angekommen sprang er als Erstes unter die Dusche. Während er sich danach deutlich mehr Mühe mit seinem Styling gab als sonst, dachte er darüber nach, dass es eine witzige Begebenheit war, dass er ausgerechnet in der Wohnung von Neles Schwester Beeke lebte. Als Mattes im Sommer letzten Jahres zurück nach Norderney gekommen war, hatte er zuerst bei seinem Bruder und seiner Schwägerin im Gästezimmer gewohnt, und als Beeke im Herbst zu Joon gezogen war, hatte sie ihm ihre kleine Wohnung in der Stadt zur Miete angeboten. Das war ein totaler Glücksgriff gewesen.

Es hatte ihm total viel Spaß gemacht, sie einzurichten. Vor seinem Umzug hatte er einiges bei einem Kumpel in Bremen gelagert, und als er das endlich abholen konnte, war das ein befreiendes Gefühl gewesen. Dabei brauchte er nicht einmal viel. Zu viel Kram sorgte nur dafür, dass er im Chaos versank, deshalb versuchte er, so wenig wie möglich anzuschaffen.

Mattes fühlte sich wohl in seinem Zwei-Zimmer-Apartment. Einige neue Pflanzen hatte er sich gegönnt und ein großes Bücherregal. Er mochte sein Zuhause, denn es gab ihm ein behagliches Gefühl von Gemütlichkeit.

Während er ein paar Utensilien in seinen Rucksack stopfte, setzte er einen Tee auf. Er wusste ganz genau, wo Nele ihn erwartete, und bei diesem Wetter würde ihnen ein heißes Getränk gute Dienste leisten. Einem Impuls folgend fuhr er früher los und besorgte noch Gebäck, bevor er den Weg in den Osten der Insel einschlug.

Die Schneeflocken wehten ihm ins Gesicht. Trotzdem hatte Mattes auf eine Mütze verzichtet. Er mochte es, wenn der Wind ihm die Haare zerzauste. Den Rucksack auf den Schultern machte er sich auf den Weg nach oben.

An drei verschiedenen Orten der Insel waren vor vielen Jahren Aussichtsplattformen errichtet worden, die Spaziergänger und Fahrradfahrer zum Erholen einluden. Auf jeder dieser Sehenswürdigkeiten war die Aussicht einmalig. Die, deren feuchte Holzplanken er nun mehr entlangrutschte denn ging, bestach durch unterschiedlich designte Sitzmöglichkeiten. Sie verbargen allerdings auch hervorragend, ob sich Menschen oben aufhielten, und er konnte nur hoffen, dass die Fußabdrücke im zuckrigen Schnee Neles waren.

Mattes war aufgeregt. Er hatte sich oft vorgestellt, wie das Wiedersehen zwischen ihnen sein würde, doch die Möglichkeit, dass es hier stattfand, an diesem Ort, war in seiner Fantasie nie dabei gewesen. Diese Überraschung freute ihn ungemein.

Als Nele vor einem Jahr zu Weihnachten und Beekes Hochzeit zu Hause gewesen war, hatten sie sich das erste Mal nach Beginn ihrer Brieffreundschaft getroffen, aber wegen des Zeitmangels nur im Beisein ihrer Geschwister und der gemeinsamen Freunde. Im Sommer hatte das schon anders ausgesehen. Auf Raik und Sveas Hochzeit war er Neles Tischnachbar gewesen. Sie hatten gleich gewusst, dass die Verbundenheit, die sie schriftlich verspürt hatten, auch im realen Leben Bestand hatte und sie mehr Zeit miteinander verbringen wollten. Sie hatten heftig geflirtet, doch erst kurz vor Neles Abreise waren sie einander nähergekommen. Trotz der wenigen Tage, die sie auf Norderney war, und der vielen Menschen in ihrem Leben hatte sie sich Zeit genommen. Früh am Morgen waren sie schwimmen gegangen, wo Nele versucht hatte, ihm Surfen beizubringen. Danach hatten sie einige Stunden in der Sonne gelegen, waren essen gegangen und hatten den Abend genau an diesem Ort verbracht – und sich zum ersten Mal geküsst.

Ein tiefes Kribbeln lief durch seinen Körper, als er die einzige Gestalt am Rand der Plattform erblickte. Sie hatte die Hände tief in die Jackentasche vergraben und war in Schal und Mütze eingemummelt.

Leise zog er den Rucksack ab und legte ihn im Vorbeigehen auf die Holzbank, bevor er zu ihr ging. »He, Hobbit.«

Langsam drehte sie sich um, und da war sie. Nele. Mit ihren dunklen Augen, dem Strahlen darin und diesem Wahnsinnslächeln. Sein Herz raste, und schlagartig war sein Mund trocken.

»He, Lieblingsmats.« Sie zog die Hände aus ihrer Jacke und griff in die Vorderseite seiner. »Nervös?«, fragte sie, während der Schalk aus eben jenen Augen blitzte, die ihm wieder fast den Verstand raubten.

»Du hast ja keine Ahnung.« Er grinste und beugte sich herunter, um sie zu umarmen. Direkt schlang sie die Arme um ihn. So standen sie einen langen Moment, und Mattes wünschte sich, er würde nie vorübergehen.

Oder vielleicht doch, aber nur, um ...

»Sag mal ...«, murmelte er und schielte zu ihr herunter.

Nele legte den Kopf zurück und blickte ihn neugierig an, noch immer lag das Lächeln auf ihren hübschen Lippen. »Jaaa?«

Für einen Moment verhakten sich ihre Blicke, und Mattes hatte das Gefühl, von seinen Gefühlen überwältigt zu werden.

Sie kannten einander schon lange, waren zusammen zur Schule gegangen. Aber dann hatte Mattes’ Ausbildung und sein darauffolgendes Studium ihn nach Bremen geführt, und sie hatten sich erst auf Timos Hochzeit im letzten Sommer wiedergesehen. Wie Nele an dem Abend vor ihm gestanden und ihn gut gelaunt begrüßt hatte, barfuß, mit roten Wangen vom Tanzen und dem Glitzern ihres Wesens, hatte er dieses Gesicht seitdem nicht mehr aus seinem Kopf bekommen.

»Ich fall ungern mit der Tür ins Haus, aber denkst du ...«, spielerisch legte er den Kopf schief und die Stirn in Denkfalten, »ein Begrüßungskuss wäre okay für dich?«

Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »Jetzt schon? Zur ... Begrüßung?«

Er lachte leise, nahm ihre Finger in seine. Wenn sie Ja sagte, wären die sowieso im Weg. »Witziger Gedanke, oder«?

Nele grinste breit, doch dann schaute sie ihn ernst an, ihr Gesicht wurde ganz weich. »Mats, ich glaube, das wäre wirklich so richtig okay.«

Sein Herz stolperte, und dann gab es nur noch Nele, den Wind und die sanften Schneeflocken, die in der Hitze ihres Kusses schmolzen.

Nur ungern löste er sich von ihr. »Schön, dass du schon da bist«, sagte er leise und zupfte an ihrer Mütze. »Und du hast sogar tolles Wetter mitgebracht.«

Sie verdrehte die Augen. »Das ist doch nicht toll. Wenn du einen Winter im Schwarzwald erlebt hast, ist das hier ein nettes Feature. Aber zumindest besser als Regen.«

»Sehr viel besser als Regen«, bestätigte er und holte seinen Rucksack.

Kleine Flocken hatten sich darauf abgesetzt. Er klopfte sie ab, dann stiefelte er damit zu einem der drehbaren Sitzelemente, die auf der Plattform standen. Seit Nele und er hier im Sommer Stunden verbracht hatten, liebte er diese Dinger.

Sie waren aus Korbweiden geflochten, die nach oben hin schmal zuliefen und das Gefühl vermittelten, man säße in einem geschützten Kokon.

Zuerst zog er ein Handtuch aus der Tasche.

»Ist das dein Ernst?« Nele gluckste, als sie beobachtete, was er vorhatte.

»Na klar.« Er grinste. Nachdem er die Sitzfläche trockengerieben hatte, warf er ein Sitzkissen in den Kokon. Einladend deutete er mit der Hand dorthin, und Nele kletterte in den Sessel. Doch bevor er es ihr nachtat, zog er seinen kleinen Schirm und eine Decke aus dem Rucksack. Er verschloss die Tasche und lehnte sie an den Korbsessel, dann nahm er dicht neben ihr Platz. »Kopf einziehen! Hoffentlich klappt das!« Mattes spannte den Schirm auf, und Nele brach in helles Gelächter aus.

Es passte hervorragend: Der Schirm verhinderte, dass sie zugeschneit wurden, und insgeheim klopfte Mattes sich auf die Schulter für diese Idee. Mit dem Fuß drehte er den Korbsessel so, dass sie aufs Meer schauen konnten.

»Das ist unfassbar romantisch«, murmelte Nele und zog die Decke zu sich. Er nahm das andere Ende, und zusammen drapierten sie die Decke über sich, was unkoordinierter war als gedacht. Sie mussten darüber lachen, doch letztlich waren sie warm eingepackt. Mattes legte seinen Arm um Nele und zog sie an sich, sie kuschelte sich an ihn.

Sie hatten eine traumhafte Aussicht aufs Meer – und sie waren zusammen.

Das war ein perfekter Augenblick.

Mattes’ erster Brief

Liebe Nele,

als mein Bruder mich vor ein paar Monaten fragte, ob ich sein Trauzeuge sein möchte, habe ich nicht damit gerechnet, ihm dafür einmal so dankbar zu sein. Denn das ermöglicht mir, dich mit diesem Brief zu überraschen.

Anbei findest du neben der Dankeskarte des Brautpaares auch ein paar Fotos, die ich für dich hab entwickeln lassen. Ich finde die Bilder echt schön und hoffe, du freust dich darüber.

Warum ich dir schreibe, sollte ich dir nun auch direkt erklären.

Leider hatten wir auf der Hochzeit keine Gelegenheit, noch einmal miteinander zu reden, dabei hätte ich das wirklich gerne getan. Aber ich tröstete mich damit, dass ich ein paar Wochen später wieder nach Norderney ziehen würde, und dann könnten wir das vielleicht nachholen.

Wie sehr ich mich geirrt habe. Denn da stehe ich auf dieser Party, die die Zwillinge für Joon (und mich) organisiert haben, und du bist nicht da. Irgendwann habe ich verstanden, dass du dich nicht bloß verspätest, und habe Svea gefragt. Ich glaube, mir ist alles aus dem Gesicht gefallen, als sie sagte, dass du vor wenigen Wochen in den Schwarzwald gezogen bist. Wie schlecht kann ein Timing sein?