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Janna und Levin sind seit ihrer Kindheit unzertrennlich. Doch dann erhält Levin ein Jobangebot, das ihn von der Insel wegführen könnte. Gemeinsam wollen sie einen letzten Sommer auf Norderney verbringen, Erinnerungen aufleben lassen und herausfinden, ob sie wirklich bereit sind, getrennte Wege zu gehen.
Zwischen salziger Meeresluft, rauschenden Wellen und sternenklaren Sommernächten geschieht das Unvermeidliche: Sie verlieben sich. Und plötzlich steht nicht nur ihre Freundschaft auf dem Spiel, sondern auch ihre gemeinsame Zukunft ...
Ein herzerwärmender Wohlfühl-Roman über zweite Chancen, den Mut, sich selbst zu finden, und die Liebe, die alles verändert - auf der wunderschönen Nordsee-Insel Norderney.
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Seitenzahl: 370
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Widmung
Personenregister
Levin
Janna
Levin
Janna
Janna
Janna
Levin
Janna
Janna
Levin
Levin
Janna
Janna
Levin
Janna
Levin
Janna
Levin
Janna
Janna
Levin
Janna
Levin
Janna
Levin
Janna
Levin
Levin
Janna
Janna
Janna
Levin
Janna
Levin
Janna
Epilog
Danke
Über die Autorin
weitere Titel der Autorin
Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Titelseite
Inhaltsbeginn
Impressum
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Janna und Levin sind seit ihrer Kindheit unzertrennlich. Doch dann erhält Levin ein Jobangebot, das ihn von der Insel wegführen könnte. Gemeinsam wollen sie einen letzten Sommer auf Norderney verbringen, Erinnerungen aufleben lassen und herausfinden, ob sie wirklich bereit sind, getrennte Wege zu gehen.
Zwischen salziger Meeresluft, rauschenden Wellen und sternenklaren Sommernächten geschieht das Unvermeidliche: Sie verlieben sich. Und plötzlich steht nicht nur ihre Freundschaft auf dem Spiel, sondern auch ihre gemeinsame Zukunft ...
AnNa R. †
Liebe ist alles.
Levins Familie
Carsten & Silvi: Vater und Stiefmutter, Rhön
Opa Pedda: Großvater väterlicherseits, Rhön
Grit: (Stief-)Tante, Silvis Zwillingsschwester, Rhön
Tilda: (Stief-)Tante, Silvis Schwester, Norderney
Johann & Maria: (Stief-)Großeltern, Norderney
Kjara: (Stief-)Cousine
Jannas Familie
Friederike ›Freddy‹ Aalders: Mutter
Andrik, Tjark: Brüder
Axel: Freddys Verlobter/Ehemann
Caro: Andriks Freundin
Freunde
Svea, Nele: Jannas Freundinnen
Nico, Oli: Levins Freunde
Adam, Hosse: Levins Tischler-Nachbarn
Die östliche Waldkette brannte vor einem orangeroten Sonnenaufgang und tauchte den kleinen Ort in der Rhön in Schlieren aus Licht. Doch Levin Höfers hatte an diesem Tag nur einen kurzen Blick für das Naturschauspiel übrig, das einen weiteren heißen Tag ankündigte – so wie in den vergangenen vier Wochen. Ein letztes Mal überzeugte er sich davon, dass er alles dabeihatte. Das Gepäck befand sich im Kofferraum seines Autos, die Kiste mit den Geschenken auf der Rückbank. Seine Verpflegung, die aus nichts als ein paar belegten Brötchen und zwei Flaschen Wasser bestand, lag bereits auf dem Beifahrersitz.
So sehr er seinen jährlichen Urlaub auch genossen hatte, so sehr sehnte er sich danach, wieder zu Hause zu sein. Sein Herz gehörte nun einmal dem Meer. Trotzdem hatte er wie jedes Jahr einen ganzen Monat bei seiner Familie in der Rhön verbracht.
Während er voller Vorfreude durch die malerisch grüne Landschaft fuhr, mit offenem Fenster und dem morgendlichen Duft von erwachenden Blumen in der Nase, ließ Levin die letzten Wochen Revue passieren.
In diesem Jahr war alles ein wenig anders gewesen. Denn seine Stief-Cousine Kjara aus Hamburg war ebenfalls gekommen, um ihre Tante Grit – seine Stieftante – zu besuchen. Ihr überraschendes Auftauchen hatte ihn sehr gefreut, denn sie hatten sich Jahre nicht gesehen.
Früher – sehr viel früher – waren sie einmal zusammen gewesen. Genau genommen konnte er Kjara seine erste Freundin nennen, doch das war lange her. Sie hatten sich die letzten Wochen gut verstanden, waren zusammen wandern gewesen und hatten Opa Pedda in seiner Dorfkneipe geholfen.
Der Gedanke an seinen Großvater väterlicherseits ließ seinen Bauch aufgeregt kribbeln. Levin hatte noch niemandem von dem Gespräch mit ihm am gestrigen Abend erzählt.
Und nicht nur deshalb konnte er es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Er vermisste seine Freunde, und seine beste Freundin Janna ganz besonders.
Levin spürte, dass er an einem Wendepunkt in seinem Leben stand. Nach Thalau zu ziehen und eine Kneipe zu führen, war bisher nie eine Überlegung gewesen. Doch jetzt musste er diese Idee zulassen und von allen Seiten beleuchten. Denn das war es nämlich gewesen, was sein Großvater ihm angeboten hatte.
Nicht nur deswegen fühlte er Aufregung in sich.
Morgen – allerspätestens morgen – würde er Janna wiedersehen. Seine beste Freundin, bei der es auch in ihm kribbelte, wenn er an sie dachte.
Erst einmal aber waren sie alle nun auf dem Weg von der Rhön nach Norderney. Seine Eltern in einem Auto, Kjara fuhr mit Grit, und Levin war nicht böse darum, Zeit für sich allein zu haben. Die nächsten Tage würden wieder sehr trubelig werden. Denn am morgigen Sonntag kamen in diesem Jahr Mitglieder und Freunde der Familie Zirbenwald aus ganz Deutschland zusammen, um das Sommerfest und vor allem das fünfzigjährige Bestehen der Buchhandlung zu feiern. Und am Abend würden sie alle zusammen essen gehen, zumindest die ›engere‹ Familie.
Levin lachte leise. Das waren immerhin trotzdem fast zehn Personen.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass er gut in der Zeit lag. Laut Navi würde er es rechtzeitig zur Fähre schaffen. Er konnte also beruhigt darüber nachdenken, ob er das Gefühl in seinem Inneren, die Veränderung, die sich anbahnte, gut oder eher beunruhigend fand.
»Wie ich es vermisst habe«, flüsterte seine Stieftante Grit, als am Nachmittag Norderney in Sichtweite kam. Während Levins Eltern noch einen Abstecher nach Greetsiel machen wollten, hatten sowohl er als auch Grit und Kjara die reservierte Fähre ohne größere Probleme erreicht.
Nun befanden sie sich auf den letzten Metern zum Hafen. Welle für Welle schlug gegen den Bug des Schiffes, während es sich durch die Nordsee drückte. Am Strand waren inzwischen die vielen Menschen zu erkennen, die sich dort tummelten. Kein Wunder, denn es war Hochsaison, und das Wetter ließ keine Klagen zu. Auch auf Norderney war es warm, sonnig und nahezu idyllisch.
»Wie lange warst du nicht hier?« Neugierig wandte er sich Grit zu. Ihre Familienkonstellation war kompliziert. Nachdem Levins Mutter bei seiner Geburt verstorben war, hatte sich sein Vater recht früh während eines Urlaubs auf Norderney in Silvi verliebt. In den folgenden Jahren war Levin mit ihr als Stiefmutter aufgewachsen. Grit hingegen war Silvis Zwillingsschwester. Die Dritte im Bunde war Tilda, Kjaras Mutter, der der Buchladen Zirbenwald auf Norderney gehörte. Und wie es der Zufall wollte, war sie auch Jannas Chefin.
Als Levins Eltern vor einigen Jahren in die Rhön zogen, hatte er sich dazu entschieden, auf der Insel zu bleiben. Grit wiederum hatte es ohne ihren Zwilling schwer gehabt und war Silvi nach einiger Zeit in die Mitte Deutschlands gefolgt.
»Ich weiß es gar nicht«, sagte sie nun, und Levin brauchte einen Moment, um sich daran zu erinnern, was er sie gefragt hatte.
Auf Norderney anzukommen, machte diesmal auch was mit ihm. Vielleicht, weil er nicht wusste, wie oft er das noch tun würde, diese Fähre nehmen, nach Hause kommen. Norderney als zu Hause bezeichnen.
Denn das Angebot von Opa Pedda arbeitete in ihm.
»Vielleicht drei Jahre?«, überlegte er. »Ich glaube, es war zu Tildas fünfzigstem Geburtstag.«
»Na, dann passt es ja, dass du zum Fünfzigsten der Buchhandlung wieder herkommst«, warf Kjara ein.
»Ja, nicht wahr?« Grit strahlte. »Ich finde es traumhaft, und ich freue mich sehr auf die Familie.«
Seine Cousine verzog prompt die Mundwinkel. Kjara hatte zwar ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern, aber die Insel bedeutete ihr nichts. Sie hatte lange Zeit in Hamburg gelebt, einigen Mist erlebt und bei ihren Tanten in der Rhön ihre Wunden geleckt – und sich auf die große Beichte vorbereitet: nämlich, dass sie (ihrer Meinung nach) ihr Leben an die Wand gefahren hatte und einen neuen Job brauchte.
»Wie ist denn der Stand der Dinge? Wir wollten heute Abend zum Helfen kommen«, sagte Levin, während er den beiden Frauen anzeigte, ihm zu den Autos zu folgen. Die Fähre fädelte sich bereits in den Hafen ein. In wenigen Minuten würden sie auf Norderney sein.
»Mama hat geschrieben, dass die wirklich arbeitsintensiven Aufgaben nach Feierabend gemacht werden müssen«, erzählte Kjara. »Beziehungsweise morgen früh, vor dem Fest. Abgesperrt wurde jetzt schon, sehr zum Unmut einiger Touristen.«
»Wann morgen früh?« Er und seine Freunde hatten fest ausgemacht, dass sie beim Aufbau des Fests anpacken würden, und er hoffte, Nico und Oli wussten das auch noch. Aber darum würde er sich später kümmern. Zuerst wollte er in seine Wohnung und sein Gepäck wegbringen, danach musste er einkaufen. Das war an einem Samstag kein Vergnügen, denn am An- und Abreisetag waren die Supermärkte besonders voll.
»Um zehn ist Eröffnung. Der Bürgermeister und Oma halten Reden, dann gehts los. Schätze, so um acht? Aber das sagt sie uns sicher nachher noch mal.«
»Okay!« Acht Uhr, das wäre ja mehr als großzügig. Levin war sowieso ein Frühaufsteher. Und er freute sich darauf, mit den Jungs beim Sonnenaufgang am Strand zu joggen. Dazu waren sie bereits ebenfalls verabredet, denn mehr als einmal hatten die beiden rumgejammert, wie sehr er bei ihren Sport-Ritualen fehlte.
Sie bestätigten einander Uhrzeit und Restaurant für das Familien-Abendessen, dann stiegen sie in die Autos. Die Fähre hatte angelegt. Levin fuhr zu seiner Wohnung, während die beiden Frauen bei Kjaras Eltern wohnen würden.
Er lebte schon seit vielen Jahren im Gewerbegebiet. Das Apartment über einer Tischlerei war im Gegensatz zu Mietobjekten in der Stadt bezahlbar, dafür musste er einige Abstriche in Kauf nehmen: Wenn er tagsüber mal zu Hause war, war es immer laut, und auch der Strand war nicht gerade um die Ecke. Aber dafür nutzte er sein Fahrrad – oder seine Füße. Letztlich waren alle Entfernungen auf Norderney gut zu überbrücken, doch auf den Luxus eines Autos wollte er trotzdem nicht verzichten.
Als er schließlich auf den Hof fuhr, fielen ihm sofort die beiden Brüder ins Auge, denen die Tischlerei gehörte. Adam und Hosse mühten sich damit ab, ein größeres Möbelstück auf einen Anhänger zu laden. Schnell sprang Levin aus seinem Auto und ging ihnen zur Hand.
»Beter en goden Naber as en Fründ wied weg«, rief Hosse lachend und schlug mit ihm ein, als die Kommode sicher festgeschnallt war.
»Freu mich auch, wieder da zu sein!«, entgegnete Levin grinsend.
»Na, du bist ja durchaus beides, nech«, warf Adam ein und schlug ihm auf die Schulter. »Guten Urlaub gehabt?«
»Den besten«, erwiderte Levin. »Bleibts bei Dienstag?«
»He verhaalt sük up de Knejen.« Hosse zeigte auf seinen Bruder und schwang sich dann hinters Steuer.
»So viel zu tun?« Levin musterte seinen Nachbarn, der einen müden Eindruck machte. Denn das bedeuteten die Worte von Hosse: Dass sein Bruder sich keine Pause mehr gönnte.
Adam winkte ab. »Dienstagabend geht klar. Ein bisschen mit euch daddeln wird mir guttun.« Mit diesen Worten kletterte er auf den Beifahrersitz des Vans, und schon brausten die Brüder auf und davon.
Für einen Moment sah Levin ihnen nach. Es war eine lieb gewonnene Tradition geworden, dass sie sich alle, seine Freunde und die Brüder, einmal die Woche online trafen und eine Runde zockten.
Levin wischte sich über die Stirn. Für Ende Mai war es echt warm, also schnappte er sich sein Gepäck und stieg die Treppe zu seiner Wohnung hoch.
Er liebte seine kleine Wohnung. Und als er die wohnliche Küche betrat, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Denn auf dem Tisch standen frische Blumen, daneben ein Tablett mit zwei Stück Kuchen und eine Karte mit Jannas Handschrift. Alles war blitzblank geputzt, und die Jalousien waren heruntergelassen, sodass es nicht so warm war.
Kaum hatte er seine Sachen abgestellt, zog er sein Handy aus der Hosentasche, um ein paar Nachrichten zu verschicken. Zuerst gab er seiner Mutter Bescheid, dass er zu Hause war. Dann schrieb er Janna das Gleiche und bedankte sich für den lieben Willkommensgruß. Normalerweise hatte sie jeden zweiten Samstag frei, aber vor dem Sommerfest gab es viel zu tun. Trotzdem antwortete sie sofort, mit nur einem Wort: »Komm.«
Levin packte seine Einkaufstaschen und -körbe und schwang sich wieder ins Auto. Kurz prüfte er, ob sein Geschenk für seine beste Freundin noch intakt war, dann fuhr er in die Stadt und stellte sein Auto ab. Seine Prioritäten waren klar: Zuerst wollte er zu Janna in den Buchladen, bevor er einkaufen ging. Danach würde er sich eine Dusche und ein, zwei Stunden Ruhe gönnen, ehe er mit der ganzen Bande essen ging.
Die Stadt war nicht so voll, wie er dachte. Auf dem Kurplatz tummelten sich erwartungsgemäß viele Menschen, und auch am Frieseneis-Häuschen war die Schlange lang, doch je tiefer er in die Innenstadt vordrang, desto ruhiger wurde es. Kein Wunder. Die Wärme laugte jeden aus, und die Touristen hielten sich in erster Linie am Strand oder in den Cafés mit einem kalten Getränk auf.
Deshalb wunderte es ihn auch nicht, dass er den Buchladen leer vorfand.
»Levin«, quietschte Janna und rannte um die Theke herum, um ihm um den Hals zu fallen. Sein Herz klopfte schneller. »Endlich bist du wieder da!«
Lachend wirbelte er mit ihr herum, bedacht darauf, den Blumenstrauß nicht zu arg durchzuschütteln, den er ihr mitgebracht hatte. »He, Maus. Man könnte meinen, du hast mich vermisst!«, begrüßte er sie mit einem Kuss auf die Wange. Dann schob er sie von sich und musterte sie. »Gut siehst du aus. Ich sehe verräterische Sommersprossen. Du warst also wirklich öfter draußen!« Er stupste sie auf die Nase, was sie dazu veranlasste, diese zu kräuseln und äußerst entzückend auszusehen.
Er liebte ihren heutigen Look: die Haare ein heilloses Durcheinander auf ihrem Kopf (ein Messy Bun, wie sie ihm mal erklärt hatte), die dunkel eingefasste Brille auf einem zarten Teint und eins ihrer Lieblingskleider. Aber wenn er ehrlich war – und das war ihm in den vier Wochen seiner Abwesenheit deutlich klar geworden –, liebte er alles an Janna.
Sie schnaubte. »Hab ich dir doch geschrieben. Am Wasser mit einem Buch und etwas zu trinken, so halte selbst ich es aus! Ist der für mich?« Ihre Augen leuchteten.
»Aber natürlich. Mit lieben Grüßen von Silvi.« Er drückte ihr den Strauß in die Hand, und Janna vergrub direkt ihre Nase darin.
»Er riecht so großartig, danke. Komm, ich hab ein bisschen Zeit. Heute ist nichts los, und Tilda und Tete sind wegen des Fests unterwegs.«
»Du bist also Ladenhüterin«, feixte er, und sie boxte ihm gegen den Arm.
»Nicht frech werden. Ich kann ihn direkt trocknen, oder?« Sie legte den Strauß auf die dunkle Holztheke, von wo aus er einen betörenden Duft zwischen dem angenehmen Papiergeruch ausstrahlte.
»Klar. Aber du kannst Mama morgen selbst fragen. Ich denke nicht, dass sie heute in die Stadt kommt, morgen früh beim Helfen und beim Fest ist sie dabei.«
»Ich freue mich, sie wiederzusehen. Das Fest lockt so viele Leute an. Tilda dreht schon durch, bei all dem Stress und den ganzen Gästen. Selbst wir haben in unserem Gästezimmer jemanden untergebracht.«
»Da wird mir immer klar, wie groß meine Familie wirklich ist. Allerdings ...« Levin druckste herum. Janna würde nicht davon begeistert sein, dass auch Kjara mitgekommen war. Und er ging davon aus, dass sie noch nichts davon wusste.
Das war eine weitere Komplikation in Levins Geschichte: Nicht nur, dass er mit Kjara verbunden war: Bis zu ihrem Umzug nach Hamburg war sie die beste Freundin Jannas und ihres Bruders Tjark gewesen. Das war wirklich lange her, und auch wenn sie nie darüber sprachen, war ihm bewusst, dass Janna noch nicht ihren Frieden damit gemacht hatte.
»Allerdings?«, fragte sie nach.
Er nahm ihre Hand in seine. »Allerdings ist ein unerwarteter Gast dabei. Vielleicht solltest du darauf vorbereitet sein.«
Fragend sah sie ihn an. »Was meinst du?«
»Ich glaube, er meint mich«, tönte es in diesem Moment vom Eingang der Buchhandlung.
»Kjara!«, stieß Janna hervor und warf erst ihr, dann Levin einen überraschten Blick zu.
Nervös fuhr er sich über den Nacken.
Es war wirklich kompliziert.
»Live und in Farbe«, erwiderte ihre ehemalige beste Freundin und kam mit einem fast schüchternen Lächeln auf sie zu.
Und Himmel, sie sah verdammt toll aus. Die dunklen Haare gerade einmal kinnlang, modern geschnitten, eine lange, weite Hose, ein enges Shirt. Ein paar Friendship-Bracelets, Ohrringe. Alles an Kjara schrie ›Großstadt‹, und schlagartig musste Janna an ihren Bruder Andrik denken, der vor wenigen Monaten ebenfalls aus Hamburg nach Norderney zurückgekehrt war. Auch ihm hatte man auf den ersten Blick angesehen, dass er nicht hier lebte.
»Darf ich?« Kjara setzte zu einer Umarmung an.
»Meine Güte, es ist ...« Zögerlich legte Janna die Arme um die Freundin, die sie so viele Jahre nicht gesehen hatte. Dann warf sie Levin einen fragenden Blick zu. Doch der zuckte nur mit den Schultern.
»Was machst du denn auf Norderney? Du warst ewig nicht hier!«, entfuhr es Janna, kaum dass Kjara sie losgelassen hatte. »Ach. Ich bin doch ... das Fest!«
»Das Fest«, antwortete Kjara gleichzeitig und grinste, während sie Janna musterte. »Du siehst umwerfend aus. Dein Haar ist viel röter als früher, ich liebe es!«
Für einen Moment sah Janna sich mit den Augen der anderen: die langen, rotblonden Haare locker hochgebunden, die dunkle Brille, die Haut voller Sommersprossen, ein grün-buntes Sommerkleid.
Sie waren schon früher sehr unterschiedlich gewesen.
»Danke. Weiß mein Bruder, dass du da bist?« Tjark hatte Kjara vor ein paar Wochen in Hamburg besucht.
Zu ihrer Überraschung nickte ihre ehemalige beste Freundin. »Ich habe ihm aus dem Auto geschrieben, als Grit meinen Emil gefahren hat.«
»Grit?« Janna blickte zwischen den beiden hin und her. »Du warst in der Rhön?«
»Ja, ich war die letzten drei Wochen unten. Sorry.« Sie warf einen Blick zu Levin. »Ich habe die Familie um Verschwiegenheit gebeten und Mama auch erst gestern Abend Bescheid gesagt, dass ich komme.« Sie sah sich um. »Immer noch alles wie früher«, stellte sie dann fest. »Wo ist denn Mama?«
Janna antwortete nicht sofort, denn zu viele Fragen schossen ihr durch den Kopf. War das von vornherein geplant gewesen? Warum fuhr Kjara von Hamburg zuerst in die Rhön zu ihrer Tante, statt nach Norderney zu ihren Eltern? Und wieso hatte Levin ihr nichts gesagt? Sie erzählten sich doch sonst alles.
Natürlich hatten Tjark und sie überlegt, ob Kjara zum großen Fest kommen würde, aber ihr Bruder hatte das ja offensichtlich bis heute auch nicht gewusst. Und nun stand Kjara seltsam fehl am Platz im alten Buchladen ihrer Mutter. Wie er wohl in ihren Augen wirkte?
Man sah sehr wohl, dass er lange nicht renoviert worden war. So liebevoll die Bücher arrangiert waren, so ausgewählt das Sortiment war – der Buchladen war schon lange nicht mehr das, was als modern galt.
Die Regale waren aus dunklem Holz, der Steinfliesenboden abgelaufen und an einigen Stellen nicht sauber zu bekommen, während die Wände eine nicht mehr moderne grüne Wandfarbe schmückte.
»Tilda und Tete sind wegen des Fests unterwegs«, wiederholte sie langsam, was sie eben schon zu Levin gesagt hatte. Der war verdächtig still geworden.
»Ach so. Na, gut.« Unschlüssig knetete Kjara ihre Finger. »Hättest du Lust, dass wir uns mal treffen? Ich würde gern mit dir reden – wenn du magst.« Kjaras Lächeln war so freundlich und so einnehmend, dass Janna gar nicht anders konnte, als zu nicken.
»Klar, gerne.«
»Okay, super.« Erkannte sie da Erleichterung in Kjaras Augen? Diese legte Levin kurz die Hand auf den Arm. »Und wir beide sehen uns nachher beim Essen. Bis morgen, Janna. Ich lauf mal zu Tjark rüber.« Mit diesen Worten schlenderte sie wieder aus dem Buchladen heraus, nicht ohne eine verwirrte Janna und einen grinsenden Levin zurückzulassen.
Wie ihr ältester Bruder Andrik war Kjara vor zwölf Jahren überstürzt und überraschend nach Hamburg gegangen, und nicht nur ein Mal hatte Janna sich gefragt, ob es da einen Zusammenhang gegeben hatte. Hatte es nicht, so viel wusste sie mittlerweile. Aber ihre Freundschaft war mit der ersten Mail von Kjara nach ihrem Umzug beendet gewesen.
Und das hatte so lange wehgetan, dass sie mit diesem ersten Wiedersehen völlig überfordert war.
»Was war denn das?« Kritisch musterte sie Levin.
»Ich war auch überrascht, als sie in Thalau auftauchte«, gestand er und rückte etwas näher zu Janna. »Entschuldige, dass ich dir nichts gesagt habe. Aber sie war regelrecht panisch, dass Tilda etwas mitbekommen könnte. Kjara geht es gerade nicht so gut.«
»Ist das so?«
Levin schob ein paar Bücher auf dem Tisch, neben dem sie standen, zur Seite und lehnte sich mit dem Hintern daran. Kurz fiel ihr Blick auf diesen Teil seines Körpers, doch schnell konzentrierte sie sich wieder auf sein so vertrautes Gesicht mit den dunklen Augen. Sein Bart war länger als üblich, und auch seine Haare hatten über den Urlaub keinen Friseur gesehen. Sie mochte es. Levin sah zufrieden aus. Entspannt.
»Kjara hat ihren Buchladen in Hamburg geschlossen und sucht einen neuen Job.«
»Was? Oh, nein.«
Selbstverständlich war Kjara als Tochter und Nichte von Buchhändlerinnen ebenfalls eine geworden, doch sie hatte die Enge der Insel nicht so geliebt, wie Janna es tat. Irgendwann hatte sie erfahren, dass Kjara in Hamburg ein eigenes Geschäft eröffnet hatte. Dieses nun aufzugeben, war sicher schlimm für sie.
»Musste sie zumachen? Oder wollte sie?« Janna kam nicht umhin, sich ebenfalls zu fragen, was Levin und Kjara noch miteinander verband. In ihrer Jugend waren sie eine Weile zusammen gewesen, aber in den letzten Jahren hatte Levin sie nie erwähnt.
»Sie musste.« Ernst sah Levin sie an. »Es lief nicht mehr. Und weil sie auf keinen Fall auf Norderney leben will, hat sie zuerst bei Grit angeklopft. Grit erlaubte ihr zwar, bei ihr unterzukriechen, bestand allerdings darauf, dass sie mitkommt und mit ihrer Mutter redet. Tja, und nun ist sie hier. Weiß der Himmel, wo sie am Ende landen wird.«
»Okay.« Janna legte den Kopf schräg. »Du hast keine Herzchen in den Augen. Wie war es, sie wiederzusehen?«
Levin lachte leise. »Herzchen in den Augen? Wieso das denn? Du meinst wegen damals? Wir waren Kinder.« Kurz schweifte sein Blick über die Auslage, bevor er zu ihr zurückwanderte. »Nein, da ist nichts. Aber –«, er zögerte, »hast du heute Abend Zeit?«
»Hat Kjara nicht eben gesagt, dass ihr heute Abend essen geht?«
»Ach, verdammt.« Er rieb sich übers Gesicht. »Ich bin todmüde. Aber ich würde gern mit dir reden.«
Sie lächelte, bevor sie auf ihn zutrat und ihn umarmte. »Das muss warten, tut mir leid. Nach dem Fest, okay? Versprochen!«
»Abgemacht.« Eng zog Levin sie an sich. Sein vertrauter Geruch hüllte sie ein. Sie hatte ihn so vermisst. »Ich bin froh, wieder hier zu sein.«
Janna legte ihren Kopf an seine Brust, spürte, wie er seine Wange an ihre Stirn schmiegte. »Ich bin auch froh, dass du wieder da bist.«
»Der Montag gehört uns«, murmelte er an ihrem Haar, und sie nickte lediglich. »Ich fahr mal einkaufen und leg mich eine Stunde hin.«
Nun löste sie sich von ihm. »Ich hab eingekauft, Levin. Es sollte alles bis Montag ausreichen.«
»Himmel, Maus, wenn ich dich nicht hätte.« Noch einmal drückte er sie, dann scheuchte sie ihn aus dem Buchladen.
Nach dem Sommerfest – spätestens danach würde sie endlich wieder Zeit mit ihrem besten Freund verbringen.
Am nächsten Morgen wurde Janna von den ersten Sonnenstrahlen geweckt, die ihre Nase kitzelten. Gähnend schob sie die leichte Bettdecke von ihrem Körper und schwang sich aus dem Bett, nahm ihre Brille vom Nachttischchen und setzte sie auf.
Leise trat sie zum geöffneten Fenster. Die Straße lag ruhig vor ihr, aber es herrschte bereits wunderbares Wetter. Von hier aus konnte sie das Wasser zwar nicht sehen, aber zu wissen, dass es da war, weil sie es manchmal riechen konnte und die Hafengeräusche oft zu ihnen drangen, löste ein warmes Gefühl in ihr aus.
Als sie es im Haus klimpern hörte, schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Ihre Mutter war schon wach, also würde sie runtergehen. Vielleicht hatte sie Zeit für ein gemeinsames Frühstück.
»Guten Morgen!«, rief sie fröhlich. Ihre Mutter war gerade dabei, die Spülmaschine einzuräumen. Auf dem Küchentisch standen zwei Bleche Kuchen. »Wow, wann bist du denn aufgestanden?«
Ächzend erhob sich Freddy, die eigentlich Friederike hieß, und strich sich die roten Haarsträhnen zurück. »Vor zwei Stunden. Der Kuchen ist für Tilda. Kannst du den mitnehmen?«
»Klar, ich lass mir vorher noch zwei Arme wachsen«, zwitscherte Janna und machte sich auf den Weg zur Kaffeemaschine.
»Warum bist du morgens nur so eine verdammte Nervensäge?«, murrte ihre Mutter, ließ sich aber im Vorbeigehen von ihr auf die Wange küssen.
»Weil du deine Grummelgene an deine Söhne weitervererbt hast«, konterte Janna und drückte auf den Knopf. Ratterndes Knarren und aromatischer Duft erfüllten den Raum. »Hast du Zeit für einen Kaffee mit deinem Sonnenschein-Kind?«
Sie grinste. »Aber immer doch. Bist du aufgeregt?«
»Nein.« Janna zog eine weitere Tasse aus dem Schrank. »Angestrengt und genervt trifft es eher. Bin froh, wenn der Trubel vorbei ist. Was machst du heute?«
»Drei weitere Kuchen.« Dankbar nahm ihre Mutter die Tasse entgegen. Als Jannas auch fertig war, setzte sie sich zu ihr an den Tisch.
»Ich würde dir helfen, wenn ich könnte.«
»Ich weiß, mein Schatz. Aber das musst du nicht. Der Buchladen ist dein Job, die Kuchen sind meiner.«
Ihre Mutter besaß Ferienwohnungen auf Norderney, doch abgesehen davon verdiente sie ihr Geld damit, Kuchen für ein Café in der Stadt zu backen. Janna bewunderte sie dafür, dass ihr das nicht langweilig wurde. Es waren immer die gleichen acht bis zehn Sorten, die sie im Wechsel zubereitete, und mittlerweile konnte sie die wohl im Schlaf herstellen.
»Kjara ist da«, brachte sie dann zur Sprache, was sie wirklich beschäftigte.
»Oh.« Ihre Mutter musterte sie aufmerksam. »Das Sommerfest lockt selbst sie an?«
»Mhm.« Janna trank einen Schluck Kaffee. »Levin hat erzählt, sie hat ihren Laden aufgeben müssen. Vermutlich wird sie nicht lange bleiben. Sie will nicht hier arbeiten und hat Grit nach einem Job gefragt.«
»Na ja, ich bin nicht sicher, ob ein kleines Kaff in der Rhön sich so anders für sie anfühlen wird als Norderney. Wie geht es dir damit? Bist du ihr noch böse?«
»Nein.« Janna richtete sich auf. »Die Entscheidung zu treffen, unsere Freundschaft abzubrechen, war ihr gutes Recht. Doch jetzt will sie sich mit mir treffen. Das irritiert mich eher. Es hat sich unerwartet vertraut angefühlt, sie zu sehen.«
Freddy legte den Kopf schief. »Das verstehe ich. Vermutlich will sie einfach nur mal Hallo sagen. Wenn sie Norderney wieder verlässt, hat sich das doch eh erledigt, oder?«
»Ja, vermutlich.« Damals hatte es ihr sehr wehgetan, nach ihrem Bruder auch noch ihre Freundin zu verlieren. Sie erinnerte sich gut an die Zeit, in der ihr Bruder Tjark und sie versucht hatten, mit all den Änderungen klarzukommen. Aber mit der Zeit hatte Janna begriffen, dass sie nicht der Typ für Fernbeziehungen war. Sie brauchte echte Gespräche, Nähe und Augenkontakt, ob es dabei um Freundschaft oder auch mehr ging. Ein-, zweimal hatte sie es gewagt, wenn sie sich in einen Touristen verguckt hatte, es nach seinem Urlaub aufrechtzuhalten. Aber das war jedes Mal schiefgegangen.
Genau deshalb war sie unglaublich froh, dass Levin wieder da war. Die lange Zeit ohne ihn – ein ganzer Monat – war ihr wirklich schwergefallen. Endlich war das vorbei!
»Es schadet sicher nicht, sich Hallo zu sagen«, warf sie ein. »Immerhin war Kjara mal sehr wichtig für mich.«
»Genau das!« Ihre Mutter beugte sich vor und drückte sie. »Du bist eben doch ein Sonnenschein.«
Kurze Zeit später war Janna auch schon unterwegs zur Arbeit. Sie hatte es nicht weit zu dem Buchladen, in dem sie damals ihre Ausbildung gemacht hatte. Den Weg dorthin hätte sie mit verbundenen Augen gefunden: erst die Straße entlang, den schmalen Gang in die Stadt hinein, am Kurplatz entlang, über das Kopfsteinpflaster am kleinen Bodenbrunnen vorbei.
Janna liebte den Geruch des Papiers, wenn sie die Buchhandlung betrat, und egal, wie viele Menschen sich darin aufhielten, die nach Parfüm, Sonne oder Essen rochen, den Duft der Bücher nahm sie immer wahr, als wäre er mittlerweile ein Teil von ihr. Janna kannte den Laden in- und auswendig, jede Ecke, jedes Regal.
Mehr brauchte sie nicht zum Leben: ihre Insel, Bücher und die wenigen Menschen, die ihr nahestanden. Ihre Familie gehörte natürlich dazu, und sie liebte Levin. Das mit ihren Freundinnen war allerdings relativ neu. Janna musste grinsen beim Gedanken an die drei so verschiedenen Frauen, die sie ins Herz geschlossen hatte. Dabei hatte sie das nie erwartet, war sie doch in der Schule und der Ausbildung nur selten anderen Frauen nähergekommen.
Aber seit Svea in der Boutique ihrer Oma gegenüber aufgetaucht und Janna dadurch mit ihr ins Gespräch gekommen war, hatten sie immer öfter Zeit zum Quatschen gefunden. Eines Tages hatte Svea die Schwester ihres jetzigen Ehemannes, Nele, mitgebracht, in der Janna eine gute Kundin und ehemalige Schulkameradin erkannte, und auf einmal war Janna Teil einer Frauengruppe. Bei der Vierten im Bunde handelte es sich um Neles beste Freundin Caro, die vor einigen Monaten nach Norderney gezogen war. Caro wiederum hatte sich in Jannas ältesten Bruder Andrik verliebt. Es war alles irgendwie miteinander verbunden auf der Insel, und Janna liebte es. Es gab ihr das Gefühl, nie allein zu sein, obwohl sie das Alleinsein ebenso brauchte wie gute Bücher.
Mittlerweile trafen sich die vier Frauen mindestens einmal in der Woche. Um Neles Geschwister herum hatte sich eine große Clique gebildet, Einladungen von Svea und Nele zu diesen Treffen hatte Janna jedoch bisher abgelehnt. Sie kannte die Leute und mochte die meisten von ihnen. Aber jeden ersten Sonntag im Monat ein Brunch? Einmal in der Woche ein Filmabend mit mehreren Freunden? Jeden Tag rief jemand an?
Für Janna alles andere als eine schöne Aussicht.
In diesen Kreisen redeten sie offen miteinander, alle hatten eine Meinung. Etwas, was Janna aus ihrer eigenen Familie nicht wirklich gewohnt war. Ihre beiden Brüder Andrik und Tjark waren eher zurückhaltend, so wie Janna eben auch. Etwas, was sie zweifelsfrei von ihrer Mutter geerbt hatten – abgesehen von den rotblonden Haaren.
Dass sie also Freundinnen hatte – andere Frauen in ihrem Alter –, fühlte sich immer noch seltsam für sie an. Doch je offener Svea, Caro und Nele über ihre persönlichen Dinge sprachen, desto leichter fiel es auch Janna.
Eine frische Brise ließ das luftige, türkisfarbene Kleid, für das sie sich für das Sommerfest entschieden hatte, um ihre Knie wehen. Heute würde sie viel laufen, herumstehen und reden müssen, und schon jetzt freute sie sich auf den ruhigen Abend mit einem guten Buch und nur dem Meer als Geräuschkulisse.
Aus einer Seitenstraße ertönte lautes Männerlachen und riss sie aus ihren Gedanken. Levins Lachen würde sie überall heraushören.
»He, Janna«, rief da schon Oli, einer seiner Freunde. Er umarmte sie und schnappte sich die Kuchenform aus ihren Händen, die sie natürlich für ihre Mutter mitgenommen hatte, sodass Nico und Levin sie ebenfalls begrüßen konnten. Letzter drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
»Hübsch siehst du aus, Maus.«
Das sagte er immer.
»Ihr seid aber auch nicht zu verachten. Wird Spaß machen, euch beim Arbeiten zuzuschauen!« Sie grinste, und die Männer feixten.
Tatsächlich waren sie durchaus eine Augenweide. Der blonde Nico war groß und breit gebaut, mit blonden, wuscheligen Haaren und grünen Augen. Er war ein Frauenmagnet, hatte jedoch ausschließlich Augen für seine Freundin Finja. Der dunkelhaarige Oliver mit den widerspenstigen Locken war eher der Aufreißer der Gruppe. Er jagte nicht nur Frauenbekanntschaften hinterher, sondern auch den neuesten Trends. Und Levin – Levin lag irgendwo dazwischen. Mit seinen braunen Haaren und den braunen Augen, dem weichen Bart und dem frechen Grinsen war er der, der diese Dreierfreundschaft in der Waage hielt, zwischen dem ruhigen, besonnenen Nico und dem zu Übersprungshandlungen neigenden Oli.
Janna kannte Levins beste Freunde seit langer Zeit, sie mochte sie auch gern, doch auf eine sehr unverfängliche Art. Aber Levin, der so ein ausgeglichener, freundlicher und optimistischer Mensch war, war ihr Herzensmensch, seit sie denken konnte.
Fröhlich plaudernd liefen sie alle zusammen weiter, und als sie sich schließlich dem Buchladen näherten, war schon eifriges Treiben zu sehen. Jannas Arbeitskollege Tete deckte die Stehtische ein, Kjara stand neben der Eingangstür und knibbelte einen Kleber ab und Tilda – keine Ahnung, wo ihre Chefin war.
Tief atmete Janna ein. Das würde ein anstrengender Tag werden.
»Wer zuerst oben ist!«, rief Nico und spurtete los, durch den weichen Sand zu den Holzplanken und dann das Steinpflaster hoch.
»Fuck«, fluchte Levin erschöpft. Hatte er gehofft, die Jungs würden ihn nach vier Wochen Pause schonen, hatte er sich geirrt.
Oliver lachte und schubste ihn an. »Du fauler Sack. Hättest du mal was für deine Fitness getan in der Rhön!«
»Hab ich doch«, beschwerte sich Levin, auch wenn ihm klar war, dass er nicht ansatzweise an seine Kondition von vor vier Wochen heranreichte. Denn er war höchstens zweimal die Woche joggen gewesen. Immerhin hatte er Urlaub gehabt und jeden Abend in der Kneipe gearbeitet.
»Eindeutig nicht genug«, witzelte Oli. Natürlich holten sie Nico nicht mehr ein. Auf der Plattform am DLRG-Häuschen, einem der Zugänge zum Nordstrand, trafen sie schließlich wieder auf ihn. Grinsend hielt er die Hand hoch, und sie schlugen nacheinander ein.
»Ich weiß, das war unfair.« Nico grinste, wirkte aber keinesfalls schuldbewusst, während sie zusammen den schmalen Holzweg entlangschlenderten, um den Strand zu verlassen.
Tief atmete Levin durch. Das hatte gutgetan. Sowohl das Treffen mit den Jungs als auch der morgendliche Lauf.
Es war leer am Strand gewesen, die meisten Menschen schliefen wohl noch. Und sie hatten keine Ahnung, was sie verpassten: einen unfassbar schönen Sonnenaufgang mit guten Freunden.
Nico kannte er fast so lange wie Janna. Seit der ersten Klasse waren sie befreundet, Oliver war dann auf der höheren Schule dazugekommen. Zu dritt hatten sie viel Zeit miteinander verbracht, manchmal auch zu viert. Aber Janna war von jeher lieber für sich gewesen. Sie brauchte nicht viele Menschen um sich herum, und insgeheim war Levin stolz, dass er sie beste Freundin nennen durfte. Denn er war zu jedem Zeitpunkt willkommen in ihrem Leben.
Ihm selbst war jedoch die Freundschaft mit den Jungs extrem wichtig, mit ihnen konnte er über alles reden. Zudem verband sie viele Hobbys. Hobbys, die er mit Janna nicht teilte, wie Sport oder das Gaming.
»Wann sollen wir noch mal am Buchladen sein?«, fragte Oli in diesem Moment und sah auf sein Handy.
»Gegen acht wäre gut«, antwortete Levin. Beim gestrigen Abendessen mit der Familie hatte er mit seiner Tante Tilda darüber gesprochen, wie der Ablauf heute vor dem Sommerfest sein würde. Es musste alles schnell auf- und am Abend wieder abgebaut werden, damit so wenig Störung wie möglich auf der Einkaufsstraße entstand. Denn der Buchladen befand sich mitten in der Stadt. »Wichtiger wäre aber heute Abend, das steht doch?«
»Klar!« Nico nickte. »Und danach Pizza und eine Runde abhängen.«
»Abgemacht!« Levin lächelte. Auf die Jungs war wirklich Verlass. Und Janna hatte bereits angekündigt, dass sie heute Abend ihre Ruhe wollte, also würde er auf morgen warten, um ihr die Neuigkeiten zu erzählen.
Sie kannten einander schon ein Leben lang, aber immer wieder erlebten sie Momente, in denen beiden klar wurde, wie wichtig sie sich waren. Das letzte Mal, daran erinnerte sich Levin gut, war ein Tag im Frühling gewesen. Jannas ältester Bruder war überraschenderweise nach Norderney zurückgekehrt, und Janna, die ihn zwölf Jahre nicht gesehen hatte, entsprechend aufgewühlt. Bei einem Spaziergang am Strand hatten sie über alles gesprochen. Und dann war sie in seinen Armen immer ruhiger geworden, hatte eng an ihn gekuschelt ihren Frieden mit der neuen Situation gemacht.
Und dann war da so ein Moment gewesen. Sie hatten einander in die Augen geschaut, die Gesichter so nahe, dass er ihre Sommersprossen sah, wo sie sonst zu dieser Jahreszeit nur zu erahnen waren. Er kannte Janna in- und auswendig, und Janna kannte ihn in- und auswendig. Es gab keine Geheimnisse zwischen ihnen, und das war etwas, was ihm mehr als alles andere bedeutete. Vielleicht klang es kitschig, aber Janna war der Mensch, dem er sein Leben anvertrauen würde. Er liebte sie von Herzen, und ganz besonders dann, wenn sie einander nahe waren. Wenn sie gemeinsam lachten, sich kebbelten oder auf dem Sofa lagen und eine Serie ansahen.
Sie waren einander vertraut, und er wusste, dass Janna ebenso für ihn empfand. Ihre Freundschaft würde für immer bestehen bleiben.
Auch wenn die Trennung durch seinen Urlaub ihm diesmal ganz schön zu schaffen gemacht hatte und seine Gedanken öfter bei Janna gewesen waren, als es sonst der Fall war.
Herrje, es wurde wirklich Zeit, sich mal wieder richtig auszuquatschen. Levin hatte den Jungs eben schon viel erzählt. Von seiner Familie, von der wunderschönen malerischen Rhön, von den Wanderungen und dem hübschen Ort, in dem seine Leute lebten. Aber vom Angebot seines Opas hatte er nichts gesagt. Darüber wollte er zuerst mit Janna sprechen. Mit ihr konnte er ungefilterter nachdenken.
An der üblichen Straßenkreuzung verabschiedete er sich von Nico und Oliver, nur um sich mit ihnen eine halbe Stunde später und frisch geduscht wieder zu treffen. Unterwegs sammelten sie Janna ein und spazierten mit ihr gemeinsam durch die Stadt.
Ab morgen würde der Alltag in seinem Leben zurück sein.
Und dann würde er eine Entscheidung treffen müssen.
Pünktlich um zehn begannen die Feierlichkeiten. Eröffnet wurde das Fest durch eine Rede seiner Oma, die den Buchladen vor vielen, vielen Jahren mit ihrem Mann Johann eröffnet hatte. Wehmut kam in Levin auf, als ihm auffiel, wie alt sie geworden war und wie müde sie aussah. Oma erholte sich nur langsam von den Anstrengungen der letzten Monate, denn sie hatte Opa Johann gepflegt, bis er sich für einen Umzug in ein Heim auf der Insel entschieden hatte. Oma war danach bei ihrer Tochter Tilda eingezogen und besuchte ihren Mann jeden Tag. Levin nahm sich fest vor, das auch so bald wie möglich zu tun.
Nach Omas Rede übernahm Tilda als heutige Besitzerin der Buchhandlung die Position am Mikro und berichtete über die Erfolge und Misserfolge der Jahre, seitdem sie die Leitung innehatte. Direkt vor der kleinen Bühne stand Janna und hatte sich bei ihrem Arbeitskollegen Tete eingehakt. Levin sah den beiden an, wie sehr sie durch die Nostalgie des Moments berührt waren.
Dann sprach noch der Bürgermeister Bernard Felling ein paar Worte, ehe die Gäste gut gelaunt zum Sektempfang strömten.
Eine Weile beobachtete Levin das Treiben, die Jungs waren längst wieder abgehauen. Und als er gerade überlegte, was er nun machen wollte, kam Janna auf ihn zu. Mit einem Lächeln schlang er die Arme um sie und wurde sich gleichzeitig bewusst, mit welcher Selbstverständlichkeit er das tat. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Schläfe. Mit dem gleichen vertrauten Gefühl im Bauch.
»Es ist fantastisch. Wie viele Leute da sind!«, stellte er fest.
»Ja, und alle wollen Small Talk halten.« Sie seufzte.
Levin lächelte. »Kannst du dich gleich nach drinnen verziehen?«
Sie schüttelte den Kopf und löste sich von ihm. »Ich beaufsichtige erst einmal den Bücher-Flohmarkt. Was machst du heute?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß noch nicht, vielleicht eine Wäsche anwerfen und dann wieder rausgehen. Es ist schon unfassbar warm bei mir oben.«
Verständnisvoll nickte sie. »Schön, dass du da bist.«
»Das ist doch selbstverständlich. Melde dich, wenn du was brauchst, okay?«
»Ich meinte, so ganz allgemein. Nicht das Fest. Der Mai ist ohne dich so unglaublich langsam vergangen.«
Levin lächelte und knuffte sie. »Ich freue mich auch, wieder zu Hause zu sein.«
»Essen wir morgen zusammen zu Mittag?« Nachdem er zugestimmt hatte, drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange, dann lief sie Richtung Ladeneingang, wo der Flohmarkt stattfinden würde. Auf dem Weg dahin wurde sie von einigen Leuten angesprochen, und vermutlich ahnte nur Levin, wie viel Anstrengung das alles Janna kostete. Sie war verdammt gut in ihrem Job, konnte stundenlang zu Büchern beraten, aber wehe, es ging um Small Talk. Das war einfach nicht ihr Ding.
Nun gut, er würde sich jetzt jedenfalls aus dem Staub machen, zumindest für eine Weile, denn er hatte sich fest vorgenommen, später bei Andrik zu essen. Jannas Bruder sorgte mit einem kleinen Fisch-Stand für die Verköstigung der Gäste. Seit er seinen Fisch-Foodtruck am Hafen eröffnet hatte, hatte Levin so viele Fischbrötchen wie noch nie zuvor gegessen. Andrik war ein großartiger Koch und ließ sich immer neue Kreationen einfallen, um die Gäste anzulocken.
Aber jetzt musste er erst einmal nach Hause und sich um seine Wäsche kümmern, denn er war noch nicht dazu gekommen, sein Gepäck auszuräumen. Am Rande der Veranstaltung entdeckte er Kjara, die am Treppengeländer eines gegenüberliegenden Geschäftes lehnte und die Leute beobachtete.
Oh, diesen Blick kannte er.
»Na, hast du schon die Fähre gebucht?«, fragte er und stellte sich neben sie.
Sie sah zu ihm. »Welche Fähre?«
»Die, die dich von dieser furchtbaren Insel wegbringt.« Levin zwinkerte ihr zu. Ihr Unmut stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, es war also keine Kunst, ihre Laune zu deuten.
»Nein«, murmelte sie. »Schätze, ein paar Tage werde ich noch bleiben müssen. Mama, Oma ...« Kjara winkte ab. »Es ist schön, sie wiederzusehen.« Ihr Blick wurde schwer, und da er in die gleiche Richtung wie sie schaute, erkannte er schnell, was oder vielmehr wer für ihre Gefühlslage verantwortlich war.
In einer Gruppe mit ein paar Leuten stand Tjark, Jannas Bruder – mit seiner neuen Freundin Sophie.
»Er hat sie also nicht fallen gelassen, nachdem du ihm deine Liebe gestanden hast?« Es klang sarkastischer, als Levin es meinte, weshalb er schnell nachschob: »Hast du überhaupt mit ihm gesprochen?«
Während ihres Aufenthalts in Thalau hatte Kjara ihm erzählt, dass sie sich in ihren früheren besten Freund verliebt hatte, als dieser im Frühjahr für einen Kurztrip in Hamburg gewesen war.
Kjara biss sich auf die Unterlippe, während sie den Blick nicht von Tjark abwenden konnte. »Weißt du, da steht er nach all der Zeit vor mir. Mich trifft fast der Schlag, aber er will nur über die alten Geschichten reden. Und nicht wegen mir oder wegen uns, sondern weil sein verdammter Bruder zurückgekehrt ist und mich verraten hat.«
Levin kannte die Geschichte. »Nach zwölf Jahren ist das durchaus nachvollziehbar. Geheimnisse fallen einem immer früher oder später auf die Füße.«
Kjara schnaubte.
»Es ist doch gut, dass die Sache raus ist. Immerhin haben Tjark und Andrik sich dadurch versöhnen können, und es geht ihm deutlich besser. Wie viele Jahre hat er den Groll und die Wut mit sich herumgetragen? Und das nur, weil er dachte, du wärst wegen Andrik von Norderney abgehauen.«
Sie wirbelte herum und piekte ihm in den Bauch. »Ganz. Genau. All die Jahre ist er wegen mir sauer auf Andrik. Und nach allem, was dann passiert ist, fährt er heim, datet und hat auf einmal eine Freundin. Statt dass wir ... dass ich ...« Röte kroch ihren Hals hinauf, ihre Augen schimmerten. »Er wollte gar keine Zeit mit mir verbringen, während ich vor lauter Gefühlen nicht mehr geradeaus gucken konnte.« Die letzten Worte hauchte sie nur noch.
Sanft zog Levin Kjara in seine Arme. Sie war nicht oft emotional. Manchmal hatte er in den letzten Wochen geglaubt, dass sie sich in Hamburg eine verdammt dicke Haut angeschafft hatte. Aber bei ihm hatte sie sich fallen lassen können, vielleicht weil Norderney so weit weg war mit all den vertrauten Menschen und Erinnerungen. Und weil er trotz allem ein Teil ihres Lebens war, sie so lange kannte, dass die Vergangenheit sie immer verbunden halten würde.
Er strich ihr durch die Haare und ließ den Blick über den Platz streifen. Beobachtete Andrik, der den Verschlag des Baby-Foodtrucks, wie er ihn nannte, aufmachte. Seine Tante, die mit geröteten Wangen zwischen den Menschen in ihrem Element war. Tjark, der Hand in Hand mit seiner Freundin dastand und mit dem Bürgermeister sprach. Janna, die sich mit einem Mann bei den Flohmarkt-Tischen unterhielt.
»Komm, wir verschwinden«, raunte er Kjara ins Ohr, und als sie nickte, nahm er ihre Hand und zog sie weg. Weg von ihrer Familie und ihrem alten Leben.
Obwohl sie gewusst hatte, dass Levin und Kjara zusammen in Thalau gewesen waren, traf sie der Anblick der beiden unvorbereitet. Eng umschlungen standen sie da, bevor sie Hand in Hand das Fest verließen.
Janna schürzte die Lippen. Ob sie doch was miteinander hatten?
Eigentlich ging es sie nichts an. Aber da war auf einmal ein flaues Gefühl in ihrem Bauch. Ein neues, unbekanntes Gefühl, denn die letzten Jahre hatte es sie nie gestört, wenn Levin Dates hatte. Vermutlich lag es nur daran, dass sie ihn so vermisst hatte, hier auf ihrer Insel, während er mit Kjara ...
Ein Zupfen am Arm unterbrach ihre Gedanken. Als sie herunterschaute, breitete sich automatisch ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, denn vor ihr stand die kleine Yara.
»Janna?«, fragte sie schüchtern.
Sie ging in die Hocke, um der Tochter ihrer Freunde Raik und Svea in die Augen sehen zu können. »Hallo, Yara. Wie schön, dass du auch hier bist. Möchtest du zum Vorlesen?«
