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Caro braucht dringend einen Tapetenwechsel - und der Job auf Norderney ist die perfekte Gelegenheit für einen Neuanfang. Als Journalistin soll sie den Insel-Blog betreuen.
Aber schon auf der Fähre stolpert sie buchstäblich über Andrik, der nach Jahren in seine Heimat zurückkehrt, um seinen Traum vom eigenen Fischrestaurant zu verwirklichen. Für Caro ist er der Inbegriff des arroganten Geschäftsmannes - ernst, distanziert und von sich überzeugt.
Auch Andrik kann mit der chaotischen jungen Frau, die ständig ins Fettnäpfchen tritt, nichts anfangen. Und ausgerechnet sie soll ihn interviewen und auf dem Blog über seine Firmengründung berichten. Spannungen sind vorprogrammiert. Doch je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto mehr gerät Caros Herz aus dem Takt. Ist es wirklich nur die Nordseeluft oder hat sie auf Norderney mehr gefunden, als sie je erwartet hätte?
Die erfolgreiche Wohlfühl-Liebesroman-Reihe auf Norderney geht weiter! Antonia Sommer erzählt von Neuanfängen, großen Träumen und dem Zauber der Nordsee.
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Seitenzahl: 363
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Widmung
Personenregister
Caro
Andrik
Andrik
Caro
Andrik
Andrik
Caro
Caro
Andrik
Caro
Caro
Andrik
Caro
Andrik
Caro
Andrik
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Andrik
Caro
Über die Autorin
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Impressum
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Caro braucht dringend einen Tapetenwechsel – und der Job auf Norderney ist die perfekte Gelegenheit für einen Neuanfang. Als Journalistin soll sie den Insel-Blog betreuen. Aber schon auf der Fähre stolpert sie buchstäblich über Andrik, der nach Jahren in seine Heimat zurückkehrt, um seinen Traum vom eigenen Fischrestaurant zu verwirklichen. Für Caro ist er der Inbegriff des arroganten Geschäftsmannes – ernst, distanziert und von sich überzeugt.
Auch Andrik kann mit der chaotischen jungen Frau, die ständig ins Fettnäpfchen tritt, nichts anfangen. Und ausgerechnet sie soll ihn interviewen und auf dem Blog über seine Firmengründung berichten. Spannungen sind vorprogrammiert. Doch je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto mehr gerät Caros Herz aus dem Takt. Ist es wirklich nur die Nordseeluft oder hat sie auf Norderney mehr gefunden, als sie je erwartet hätte?
Für Anja
Dieses Buch trägt deine Spuren.
Carolins Familie
†Rosalie: Mutter
Axel: Vater
Oma Henny: Großmutter väterlicherseits
Wolfgang, Dani und Nils: Onkel und dessen Familie
Andriks Familie
Friederike (Freddy): Mutter, Axels Freundin
Tjark: Jüngerer Bruder
Janna: Jüngere Schwester
Freunde und Nebenfiguren
Nele: Caros beste Freundin
Mattes: Neles Freund
Raik und Svea mit Yara: Neles Familie
Beeke und Joon mit Mayla: Neles Familie
Klaas und Daniel: Caros Vermieter, Neles Familie
Bernard Felling: Bürgermeister, Mattes’ Vater
Fenja Hartmann: Andriks beste Freundin
Mit jeder Minute, die sie an der Norddeicher Mole mit ihrem Auto wartete, wurde Caro nervöser. Laut Anzeige würde es nicht mehr lange dauern, bis die Fähre nach Norderney ablegte. Vorher aber würde sie eine – für sie – große Herausforderung meistern müssen: Auf die Fähre zu fahren. Eigentlich konnte es nicht so schwer sein, zumal nicht viele Autos übersetzen wollten, wenn sie die Menge der wartenden Fahrzeuge richtig einschätzte. Trotzdem machte sich eine leichte Unruhe in ihrem Bauch breit, die vielleicht auch der grundsätzlichen Situation geschuldet war.
Nach etlichen Stunden auf der Autobahn fühlte sie sich wie gerädert. Weil sie unsicher gewesen war, ob es für die letzte Fähre reichen würde, hatte sie sich auf der langen Fahrt von Freiburg in den Norden wenige Pausen erlaubt. Erst jetzt, wo vor ihr das Meer lockte, löste sich ihre Anspannung etwas.
Die ersten Wochen des Jahres hatten sich schwer und träge angefühlt. Freiburg versank in schneegrauem Matsch, mit farblich passendem Himmel, der die Farbe Blau verlernt zu haben schien. Und obwohl der Jahresanfang immer eine Herausforderung darstellte, war es in diesem Jahr besonders schmerzhaft gewesen.
Im Spätsommer war ihre Mutter gestorben. Die vielen ersten Male danach hatten eine neue Zeitära eingeläutet. Die ersten Herbstmärkte ohne sie. Das erste Weihnachten. Der erste Jahreswechsel, an dem sie nicht zusammen durch die Freiburger Altstadt hatten laufen können, um die Messe zu besuchen.
Am Neujahrstag hatte dann Nele, ihre beste Freundin, geschrieben. Natürlich hatte sie sich über die Neujahrsgrüße gefreut, und doch war sie ein wenig trübsinnig geworden.
Erneut scrollte Caro durch den Chatverlauf mit ihr. Nele lebte seit Dezember wieder in ihrer Heimat Norderney und hatte Fotos vom Anbaden geschickt, einer Tradition, an der sie mit ihrer Familie regelmäßig teilnahm. Am 01. Januar sprang ein Haufen mutiger Menschen in die eiskalte Nordsee, um das neue Jahr zu begrüßen.
Vielleicht hätte Caro es ihr nachmachen und ein Bad im Freiburger Schnee nehmen sollen.
Bei der Vorstellung musste sie lachen, denn das Einzige, was ihr das wohl gebracht hätte, wäre eine dicke Erkältung.
Nichtsdestotrotz hatte sie die Bilder immer und immer wieder angesehen. Neles Menschen, ihre große Familie und die vielen Freunde und Nachbarn, weckten Sehnsucht in ihr. Betonten eine Einsamkeit, die sie noch nie so deutlich wie in den letzten Monaten gespürt hatte. Seit Rosalie ... seit Nele ... seit Kevin ...
Mit ihm war ihr kompletter Freiburger Freundeskreis verschwunden, mit Nele ihre beste Freundin, mit Rosalie ihre Familie.
Nun gab es dort niemanden mehr.
Warum kommst du nicht ein paar Tage hoch?
Neles Vorschlag hatte sie nicht losgelassen. Dabei hatte sie ihr nicht mal vom einsamen Weihnachten erzählt, von der Silvesterparty mit einem Haufen Fremder oder von den langweiligen Abenden danach, wenn sie allein ein Glas Wein getrunken und vergangenen Zeiten nachgespürt hatte. Aber Nele hatte schon immer zwischen den Zeilen gelesen und sich auch nie gescheut, ihre Gedanken auszusprechen. Wie sehr Caro ihre Freundin vermisste – und wie gespannt sie war, wie die reagieren würde, wenn sie nun vor Neles Tür stand, mit einer großen Überraschung im Gepäck.
Mit großer Mühe konzentrierte sie sich wieder auf ihre aktuelle Situation. Es ging los. Wenige Minuten später fluchte sie leise.
»Ach, Mist.«
Für gewöhnlich glaubte sie nicht an selbsterfüllende Prophezeiungen, aber offensichtlich hatte sie sich lange genug eingeredet, dass es gar nicht so einfach werden würde, auf die Fähre zu fahren und sich dort in die Reihe einzufädeln. Denn sie war viel zu nah an ihren linken Nachbarn herangefahren, und nun konnte sie das nicht mehr korrigieren, weil hinter ihr bereits der nächste Wagen stand.
Vorsichtig öffnete sie die Fahrertür und schob sie Stück für Stück auf. Vielleicht konnte sie sich ja rauszwängen, wenn sie die Hand an den Türrahmen hielt ...
Ihr Blick traf den des Fahrers neben ihr. Seine hochgezogenen Augenbrauen kommentierten ihr Vorhaben zu Recht als fragwürdig, also zog sie die Tür wieder zu. Verdammt. Dabei musste sie dringend aufs Klo und hatte gehofft, schnell aussteigen zu können, um zum Unterdeck der Fähre zu huschen.
Caro fluchte leise. So langsam eilte es.
Eine Stunde Überfahrt würde sie nicht durchhalten.
Nun gut. Plan B!
Sie räumte ihren Korb samt Snacks vom Beifahrersitz auf den Rücksitz, warf ihre Jacke hinterher und atmete tief durch. Vorsichtig schob sie sich über die Handbremse und kletterte umständlich aus dem Auto. Als sie sich umdrehte, um sich ihre Handtasche zu schnappen, begegneten ihr die amüsiert hochgezogenen Mundwinkel des Fahrers neben ihr. Ganz offensichtlich hatte sie ihm Freude damit bereitet, dass er ihr bei der Aktion auf den Hintern hatte schauen können. Mürrisch verdrehte sie die Augen, schmiss die Tür zu und rannte zum Unterdeck.
Danach ging es ihr besser – bis sie die Ansage des Kapitäns hörte, die sich nur schwer gegen das nervige Geräusch einer Alarmanlage durchsetzen konnte.
»Liebe Fahrgäste, ich habe eine Wette verloren, denn ich habe behauptet, dass wir bei den wenigen Fahrzeugen auf dieser Überfahrt keine Alarmanlage hören würden. Dürfte ich also den Besitzer oder die Besitzerin des roten Minis in der mittleren Reihe bitten, mir nach dem Ausschalten des Lärms den Kaffee hochzubringen, den ich verloren habe?« Er lachte. »Nein, natürlich nicht, aber bitte suchen Sie trotzdem Ihr Fahrzeug auf, danke.«
Caro spürte, wie Hitze in ihre Wangen schoss.
Roter Mini. Mittlere Reihe.
Heiliger Käsekrümel.
Eilig lief sie nach oben und auf den kleinen Wagen zu, der ihrer Mutter gehört hatte. Caro hätte sich so ein Auto niemals leisten können. Gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass sie über die Fahrerseite ja nicht hineinkam.
Verdammt, verdammt, verdammt.
Und wo zur Hölle schaltete man die Alarmanlage aus?
Der Typ neben ihr ließ sein Fenster herunter, laute Musik schallte aus seinem Auto. Sie erkannte den Song sofort, es war ein Linkin-Park-Hit mit der neuen Sängerin. Immerhin hört er gute Musik, dachte sie. Was er ihr zurief, konnte sie jedoch nicht verstehen. Dann wedelte er mit seinem Autoschlüssel. Was wollte er ihr damit sagen?
Caro war gerade auf der Beifahrerseite angekommen, da ging die Musik aus und ein lautes »He!« erklang. Sie wirbelte herum. »WAS DENN?«
»Drück deinen verdammten Autoschlüssel. Damit machst du die Alarmanlage aus.«
Siedend heiß fiel Caro ein, dass ihre Mutter ihr das einmal erklärt hatte. Hektisch rupfte sie den Schlüssel aus ihrer Hosentasche und drückte – den Göttern sei Dank – den richtigen der Knöpfe.
Das Gehupe erstarb, gleichzeitig ging die Musik wieder an. Der Typ verdrehte nun seinerseits die Augen und schloss sein Fenster.
Vollkommen entnervt nahm sie ihre gelbe Windjacke vom Rücksitz, verriegelte ihr Auto erneut und ging zur Reling. Jetzt brauchte sie frische Luft.
Das fing ja hervorragend an.
Und es wurde nicht besser.
Caro hatte total unterschätzt, wie kalt es im März auf der Fähre sein würde, doch nichts würde sie davon abhalten, aufs Meer zu schauen. Die Jacke hielt zwar den Wind ab, aber Schal und Mütze hätte sie auch gern gehabt. Allerdings lagen die im Auto, und sie würde sich keinesfalls die Blöße geben, noch einmal zurückzugehen.
Ein paar Minuten würde sie es schon aushalten. Zu verlockend war es, den Sonnenuntergang von hier aus zu genießen. Und während die Gischt ihr eisig ins Gesicht spritzte und selbst das Geschrei der Möwen sich klagend anhörte, war der Anblick, der sich ihr bot, geradezu heilend.
Norderney hatte offensichtlich vor, ihr einen fantastischen Empfang zu bereiten. Strahlend blauer Himmel täuschte darüber hinweg, dass die Sonne noch nicht viel Kraft besaß. Das war jedoch besser als Regen oder Schnee, so viel stand fest.
Tief vergrub sie die Hände in den Jackentaschen, bis sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Der Typ aus dem Auto neben ihr war ebenfalls ausgestiegen.
Caro ertappte sich dabei, wie Überraschung in ihr hochstieg. Sie hätte ihn eher als jemanden eingeschätzt, der nicht viel für den Blick auf die Nordsee übrig hatte.
Im Gegensatz zu ihr hatte er zumindest eine Mütze auf, um die sie ihn direkt beneidete. Zusätzlich war er in eine dicke Jacke gehüllt. Sein Blick war starr auf die Norderneyer Silhouette gerichtet, und unweigerlich fragte Caro sich, was ihn auf die Insel trieb.
Das war keineswegs seiner Person geschuldet, bisher hatte er ja nicht gerade sympathisch gewirkt, auch wenn er ihr mit der Alarmanlage geholfen hatte. Er strahlte etwas Unnahbares aus.
Nein, es ging ihr immer so. Menschen lösten Fragen in ihr aus, deren Antworten sie zu gerne erforschen würde. Diese Neugier hatte sie überhaupt erst zu dem Journalistik-Studium getrieben, das nun schon einige Jahre hinter ihr lag. Aber sie würde ihr auch in Zukunft gute Dienste erweisen.
Sie freute sich so sehr auf Neles Gesicht, wenn sie ihr das erzählte. Denn eine neue, große Aufgabe wartete auf Caro – hier auf Norderney.
Vom ersten Moment an hatte sie gespürt, dass diese Entscheidung, so spontan sie sie auch getroffen hatte, die richtige war.
Caro war gespannt auf ihre Freundin, auf deren Familie, auf Gespräche mit Tee und Kuchen, Strandspaziergänge und das Leben am Meer. So viel Meer, dass sie sich hoffentlich nie daran sattsehen würde. Denn jetzt, während die Fähre sie zur Insel trug, merkte sie bereits, wie etwas in ihr die Sehnsucht heilte, von der ihr nicht bewusst gewesen war, dass sie sie in sich getragen hatte.
Caro zog ihre Jacke enger um sich. Der Typ stand immer noch in ihrer Nähe, und als sie sich umdrehte, um zu ihrem Auto zu gehen, trafen sich ihre Blicke.
In seiner Mimik sah sie ihre Gefühle gespiegelt: Aufregung, Lust auf die Insel, Ungeduld. Doch da war noch mehr, und sie brauchte einen Moment, um zu verstehen, was das war. Sie sah Furcht.
Wovor hatte er Angst?
Und würde sie je aufhören, sich für die Geschichten der Menschen um sie herum zu interessieren? Hoffentlich nicht. Denn die Empathie für ihr Umfeld war eine ihrer größten Stärken und erzeugte ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit in ihr. Und genau deshalb lächelte sie ihn an, doch er wandte sich um und stapfte auf sein Auto zu.
Seufzend folgte sie ihm langsam. Mittlerweile zitterte sie vor Kälte.
Ihr roter Mini stach auffällig zwischen den anderen Autos hervor. Vielleicht hätte sie ihn doch verkaufen sollen. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie es allerdings nicht übers Herz gebracht, denn Rosalie hatte den Wagen geliebt. Er war für sie Ausdruck ihres Erfolgs gewesen, stand für ihre Freiheit und Selbstbestimmung, die sie sich hart erkämpft hatte. Und der kleine Flitzer war äußerst praktisch in einer Großstadt wie Freiburg.
Ach, Mama. Wir hätten noch mal zusammen herfahren sollen.
Nun würde sie die Insel ihrer Jugend allein wiedersehen.
Caro zog ihre Jacke aus und warf sie auf den Rücksitz, dann machte sie sich daran, auf den Fahrersitz zu klettern. Das würde ihr echt nicht noch mal passieren.
Kurz warf sie einen Blick zu ihrem Nachbarn. Der Typ telefonierte und beobachtete nebenher die Fähre beim Einschwenken ins Hafenbecken. Und dann waren sie auch schon da. Die Fähre legte an, und Caro fuhr im Schritttempo hinunter. Mit jedem weiteren zurückgelegten Meter wurde das Gefühlschaos in ihr stärker. Vertrautheit, Neugier, Staunen, Wehmut. Alles tobte auf einmal in ihr.
Vielleicht war das auch der Grund, warum sie sich nun treiben lassen wollte. Während es immer dunkler wurde, ließ sie den Hafen rechts, die Kleingartensiedlung links hinter sich. Dann kam die scharfe Kurve. Von da aus fuhr sie bis ans Ende der Insel. Der Leuchtturm brachte sie zum Lächeln, und nach und nach stiegen Bilder der Vergangenheit in ihr auf. Wie sie als kleines Mädchen auf dem Reiterhof das erste Mal auf einem Pferd gesessen hatte. Wie sie mit ihren Eltern an der Oase schwimmen gegangen war, damals, als sie noch den kleinen Havaneser besessen hatten, den ihr Vater so geliebt hatte. Wie sie als Teenager unter dem Leuchtturm gestanden hatte, um zu schauen, wie sich die Lichter nachts anfühlten.
Am Campingplatz fuhr sie vorsichtiger, hier waren früher oft Fasane unterwegs gewesen. Und eins der vielen Wildkaninchen wollte sie auch nicht überfahren, falls sie überhaupt eins zu Gesicht bekäme.
Irgendwann schaltete sie das Navi ein, um zum Hotel in der Stadt zu finden. Für die ersten zwei Wochen hatte Caro sich ein Zimmer im Utkiek gemietet. Die nahe am Strand gelegene Unterkunft gehörte Neles Schwager. Ihre beste Freundin hatte ihr so oft von der außergewöhnlichen Lage vorgeschwärmt, dass Caro es sich nicht nehmen lassen konnte, dort ihren Einstieg in eine neue Lebensphase zu zelebrieren.
Als sie schließlich in der Tiefgarage parkte, stutzte sie, dann brach sie in Gelächter aus.
Sie stand doch tatsächlich neben dem Bonzen-Audi des Typen von der Fähre. Ob das jetzt ein gutes oder schlechtes Zeichen war, dass er offensichtlich im gleichen Hotel wohnte, darüber wollte Caro lieber nicht nachdenken. Stattdessen begab sie sich samt Gepäck zum Aufzug und fand sich kurz darauf in der Hotellobby wieder.
Das Einchecken ging problemlos vonstatten, und während die Rezeptionistin den Papierkram erledigte, schaute Caro sich um. Sie hatte im Vorfeld schon einige Bilder online gesehen, deswegen war sie von der in Blau- und Goldtönen gehaltenen Lobby nicht überrascht. Es sah wunderschön aus, das warme Holz sorgte für eine harmonische Wärme und komplettierte die eleganten Farben. Alles in allem ein Ort zum Wohlfühlen.
Nachdem alles geregelt war, fuhr sie aufgeregt und voller Vorfreude in den siebten Stock. Das Apartment war geräumig, sodass sie es für eine Weile gut aushalten konnte. Es gab eine kleine Kochnische, ein Sofa mit Blick aufs Meer und einen winzigen Balkon, den sie vermutlich noch nicht brauchen würde. Das Bett sah einladend aus, und auch das Bad war mit seiner ebenerdigen Regendusche pure Verlockung. Spontan entschied sie, dieser direkt nachzugeben, und spülte die Anstrengung der Fahrt von ihrem Körper.
Nach dem Duschen, eingehüllt in einen seidigen Kimono, schenkte sie sich mit Blick aufs dunkle Meer einen Schluck Wein ein. Den hatte sie sich aus Freiburg mitgebracht, eine Flasche aus Rosalies reichhaltigem Bestand.
Zu wissen, dass Nele nur wenige Minuten entfernt war und zwei Stockwerke über ihr ein Teil von Neles Familie lebte, vertrieb das zarte Gefühl von Einsamkeit, das sie bis Norderney begleitet hatte. Kurz streiften ihre Gedanken den Mann von der Fähre, der so verloren ausgesehen hatte und sich im gleichen Gebäude befand.
»Auf dich«, murmelte sie und prostete ihrem Spiegelbild im Fenster zu. »Auf den Neuanfang.«
Manche Dinge änderten sich nie.
Die Überfahrt hatte Andrik schon zu Schulzeiten genervt, es war eine Stunde verschwendete Lebenszeit. Früher hatte er sie für die Hausaufgaben genutzt oder zum Aushecken neuer Ideen und Pläne. Meistens aber hatte er es nicht abwarten können, endlich an seinem Ziel anzukommen. Dazu die unerfahrenen Touristen wie die Frau mit dem Mini Cooper, die ihr Auto absolut nicht im Griff hatte. Erst war sie viel zu nahe an ihn herangefahren, dann hatte sie die Alarmanlage nicht ausgeschaltet und den Spott des Kapitäns auf sich gezogen, als ihr kleiner Wagen losjaulte.
Ein klein wenig hatte sie ihm leidgetan, nur deshalb hatte er ihr geholfen. Aber er musste zugeben, dass sie nun, da sie ein paar Meter neben ihm an der Reling stand, genauso verloren aussah, wie er sich fühlte.
Als sie genervt ihre Jacke übergezogen hatte, hatte ihn das motiviert, auch frische Luft zu schnappen. Mal nach Norderney rüberzuschauen und zu gucken, was das mit ihm machte. Aber es steigerte nur seine Nervosität. Also lenkte er sich mit dem Nachdenken über diese fremde Frau ab.
Was trieb sie wohl auf die Insel? Andrik hatte bemerkt, dass ihr Auto ein Freiburger Kennzeichen aufwies, entsprechend hatte sie wohl eine lange Fahrt hinter sich. Nach Urlaub sah sie allerdings irgendwie nicht aus.
Andrik hatte eine gute Menschenkenntnis. Die hatte ihn selten im Stich gelassen. Und als sich ihre Blicke trafen, fühlte er sich bestätigt. Sie lief vor etwas davon.
Genau wie er.
Gefährlich.
So sehr er sich nach Menschen sehnte, die ihn verstanden, so sehr fürchtete und mied er sie.
Zurück in seinem Wagen nahm er sein Handy zur Hand und rief zum wiederholten Mal seinen Anwalt an. Er war immer noch nicht im Büro. Auch Fenja hatte sich nicht gemeldet.
Genervt schob er das Telefon zurück in die Halterung und sah aufs Meer hinaus. Sie ließen ihn am ausgestreckten Arm verhungern, die einzigen beiden Menschen auf der Welt, denen er vertraute. Den Anwalt bezahlte er dafür, und das mit Fenja ... nun, das war eben so. Von den beiden hing es ab, wie Andriks Leben auf Norderney verlaufen würde.
Erst einmal würde er klarkommen, an Geld mangelte es ihm nicht. Er würde sich das Hotelzimmer für eine ganze Weile leisten können, aber das, was ihm vorschwebte, war doch etwas anderes.
Andriks größte Stärke war sein Instinkt. Auf ihn hatte er gehört, als er vor vielen Jahren Norderney verlassen hatte, um seine Karriere anzugehen, obwohl ihn jeder ausgelacht hatte. Er solle doch froh sein, auf der Insel arbeiten zu können, Köche würden immer gesucht werden. Vielleicht würde sich ja ein Sternekoch niederlassen, bei dem er arbeiten könnte.
Sie hatten es nie verstanden und ihm ebenso wenig zugetraut: Er selbst hatte dieser Sternekoch sein wollen. Nicht anderen bei ihrem Erfolg helfen, sondern selbst Erfolg haben. Das hatte er geschafft, wenn auch anders, als er es sich vorgestellt hatte.
Denn wieder war es sein Instinkt gewesen, der ihm eines Tages vor Augen geführt hatte, dass er tatsächlich nicht zum Starkoch taugte, er aber sehr wohl einen beschäftigen konnte. Dass er der Mann hinter dem Business war und nicht der, der sein Gesicht in die Kameras hielt.
Dieses Gesicht war Fenja gewesen, und er hoffte inständig, dass sie es auch auf Norderney sein würde. Denn letztlich hatte sein Gespür sie ebenfalls in sein Leben gespült. Vier Jahre hatte sie in Hamburg für ihn gearbeitet, zwei davon waren sie ein Paar gewesen. Nie hatte er einen kompromissbereiteren und liebevolleren Menschen kennengelernt als die Sterneköchin, die sie in seinem Restaurant geworden war.
Mit ihr hatte er all seine Träume erreicht, war zum Jungunternehmer des Jahres gekürt worden und hatte einen rasanten Aufstieg in der Hamburger VIP-Szene hingelegt. Hatte Einladungen zu Events und Artikel in Trend-Magazinen gesammelt, als wäre es sein Hobby.
All das hatte er hinter sich gelassen, als er sein Restaurant verkauft, seine Wohnung aufgegeben und ein Fährticket gebucht hatte.
Ein lautes Geräusch riss ihn aus den Gedanken. Die Fährenhupe ertönte. Sie waren angekommen, und er hatte es nicht mal mitbekommen.
Im Schritttempo fuhr er hinter den anderen Autos her, verließ die Fähre, spürte das Rattern der Ladegitter unter den Rädern, und die Nervosität wich Aufregung.
Nun gab es kein Zurück mehr.
Sein Weg führte ihn erst einmal zu seinem Hotel. Er checkte ins Utkiek ein und nahm das elegante Apartment im siebten Stock wohlwollend zur Kenntnis.
Viel Gepäck hatte er nicht dabei, nur in etwa das, was er für ein paar Wochen brauchen würde. Der Rest seines Eigentums stand verpackt und versandfertig bei einer Spedition in Hamburg, bereit, ihm jederzeit geliefert zu werden.
Andrik wollte sich vor Ort nach einem Haus umsehen, denn er ahnte, dass die wahren Schätze nicht auf den großen Websites der Immobilienanbieter standen, sondern nach wie vor durch persönlichen Kontakt vermittelt wurden. Ein Nachbar erzählte es dem anderen, der verbreitete es dann in der Familie, und so wurde man sich letztlich einig. Er hoffte, dass seine Mutter ihm dabei behilflich sein konnte, schließlich kannte sie hier jeden, der irgendwie wichtig war.
Genug Geld, um sich etwas wirklich Schönes kaufen zu können, hatte er, das war nach all den erfolgreichen Jahren kein Problem. Er hatte hart dafür gearbeitet, viele Jahre auf sein Privatvergnügen verzichtet und die Firma an erste Stelle gestellt. Vom ersten Tag hatte er an den Erfolg seines Restaurants geglaubt, denn er war sich sicher: Glaubte man nicht an seinen Erfolg, hatte man auch keinen.
Auch deswegen war er – was das betraf – gelassen.
Er würde finden, wonach er suchte.
Nachdenklich verstaute er seine Hosen, Hemden und Wäsche in dem geräumigen Schrank und stand anschließend eine Weile am bodentiefen Fenster, um aufs Meer hinauszublicken.
Er mochte die Dunkelheit, den Abend. Beruflich war das die beste Zeit: Wenn die Menschen ihren Alltag abstreiften und für ein Essen und Ablenkung zu ihm kamen. Wenn sie bei ihm fanden, was sie brauchten, um mit einem Lächeln ins Bett zu gehen.
Ob jetzt auch der geeignete Zeitpunkt für einen Besuch bei seiner Mutter war, konnte er jedoch nicht gut einschätzen. Also sollte er es wohl herausfinden und sich auf den Weg machen. Sie wusste nicht, dass er auf die Insel gekommen war, und die leichte Unsicherheit, wie sie das aufnehmen würde, verursachte ein flaues Gefühl in seinem Magen.
Kurz wanderten seine Gedanken zu der hübschen, verpeilten Frau auf der Fähre. Wohin sie wohl gefahren war? Sie war definitiv das erste Mal auf der Insel, so wie sie sich verhalten hatte. Aber das sollte nicht sein Problem sein.
Frauen, Alkohol, Partys. Nichts davon würde er sich hier zu Gemüte führen, denn das war genau das, was ihn in Hamburg hatte stolpern lassen.
Eine halbe Stunde später klingelte er an der Tür seines Elternhauses. Andrik war zu Fuß gegangen, immerhin lag das Hotel direkt am Strand und somit nur einige Straßen entfernt. Der kurze Spaziergang am Wasser hatte gutgetan, auch wenn es recht kalt war. Aber schon immer hatte ihm die Natur geholfen, sich zu fangen. Keine Ahnung, wie viele Stunden er am Elbstrand verbracht hatte, um nicht durchzudrehen. Ab jetzt würde das einfacher sein. Norderney war eine große Oase der Möglichkeiten.
»Das gibts doch nicht.« Die Überraschung stand seiner Mutter ins Gesicht geschrieben. Mit großen Augen sah sie ihn an, und allein dieses Erstaunen ließ seinen Bauch vor schlechtem Gewissen rumoren. Er hatte sie wirklich sehr, sehr lange nicht besucht.
»He, Mama«, sagte Andrik, schenkte ihr ein zögerliches Lächeln und fühlte sich wie der kleine Junge, der etwas ausgefressen hatte. Am liebsten wollte er sie sofort in die Arme nehmen, denn mit einem Mal hatte er so eine Sehnsucht nach einer mütterlichen Umarmung, dass er kaum klar denken konnte. Doch er sah den Kampf in ihrem Gesicht.
Ihre Nase färbte sich rosa, und dann rollte eine Träne über ihre Wange. »Komm her, mein Junge.« Sie breitete die Arme aus, er stieg die Stufen hoch und wurde von ihr in eine so feste Umarmung gezogen, dass ihm die Brust schmerzte.
Sofort umhüllte ihn ihr vertrauter Geruch, obwohl es eine Ewigkeit her war, dass sie einander umarmt hatten. Genau genommen fünf Jahre. Damals hatten sie sich das letzte Mal gesehen, weil sie extra zur Eröffnung seines Restaurants nach Hamburg gekommen war.
Seine Gefühle drohten ihn zu überwältigen, er atmete tief ein und aus, um sie unter Kontrolle zu bekommen. Und er wusste, er musste alles daransetzen, um diese Frau, die ihn so herzlich willkommen hieß, nicht noch einmal zu enttäuschen.
Er trat einen Schritt zurück, musterte sie. Mit den rotblonden Haaren, zu einem Knoten hochgebunden, in einfachen Jeans und einem T-Shirt, die Sommersprossen frech im Gesicht verteilt. Den Rotstich in ihren Haaren hatte Mama keinem ihrer Kinder vererbt, und da war er nicht böse drum.
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Komm doch erst mal rein! Ich koche gerade.«
Erst jetzt fiel ihm der Geruch auf, der aus dem Haus drang, und tatsächlich knurrte direkt sein Magen. Er legte seine Sachen ab, zog die Schuhe aus und folgte seiner Mutter in die Küche, wo sie sich direkt wieder um den Topf auf dem Herd kümmerte. In diesem Raum hatte sich so einiges verändert. Zwar stand die weiße Küche im Landhausstil noch an Ort und Stelle, doch der alte braune PVC-Boden, der nie so richtig dazu gepasst hatte, war hellen Fliesen gewichen. Die Fenster waren nicht mehr von blauen Vorhängen verdeckt, aber zahlreiche Orchideen in allen erdenklichen Farben gaben ein freundliches Bild ab. Und der Esstisch, der für fünf Personen immer reichlich eng gewesen war, stand nach wie vor an Ort und Stelle.
Seine Mutter holte derweil einen Kuchen aus dem Kühlschrank. »Isst du noch gerne Früchtekuchen? Und willst du was trinken?«
»Ist das Himbeere?« Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Schon seit Ewigkeiten buk sie im Nebenerwerb für ein Café in der Stadt, und er hatte die Kuchen seiner Mutter immer geliebt.
»Ja, er ist gestern übrig geblieben. Das Essen ist erst für morgen, ich wollte schon mal vorkochen. Wasser steht im Kasten in der Kammer, etwas Kaltes ist, glaub ich, nicht da.«
Andrik nickte und holte eine Flasche Mineralwasser, bevor er sich, ohne groß zu überlegen, zwei Gläser aus dem richtigen Schrankfach griff. »Dein Kuchen war immer ein Gedicht, Mama.«
»Ich backe nun Vollzeit für das Café, weißt du«, erzählte sie, während sie sich setzten, sie ihm den Teller füllte und hinschob. »Sie sind in ein Ladenlokal in der Stadt gezogen und haben mehr Platz, sowohl in der Auslage als auch für Gäste. Das rentiert sich ganz gut für mich, und ich habe was zu tun.«
Andrik schenkte ihnen Wasser ein. »Und du musst immer die gleichen Kuchen backen? Ist das nicht langweilig?«, fragte er und probierte etwas von dem süßsauren Fruchtkuchen. Wie erwartet schmeckte er hervorragend.
Zwar würde er sich als verdammt guten Koch bezeichnen, aber Backen hatte ihn nie sonderlich interessiert. Er aß auch nicht gern süß, aber alles mit Himbeeren machte ihn schwach.
»Ich darf experimentieren. Ihnen ist nur wichtig, dass sie morgens wissen, was sie bekommen. Für die Tafel, die draußen steht, und weil sie das immer in den sozialen Medien veröffentlichen.«
Erst als sie aufgegessen hatten, stellte seine Mutter die Frage, die er erwartet hatte. Denn dass er den ganzen Abend mit Small Talk davonkommen würde, daran hatte er nicht geglaubt.
»Warum bist du hier, Andrik? Nach all den Jahren?«
Er könnte ihr nun sagen, dass er sie vermisst hatte (hatte er), dass er sich einsam fühlte (tat er), dass er wieder Teil der Familie sein wollte (wollte er), aber stattdessen lächelte er sein Gewinnerlächeln. »Hamburg langweilt mich. Es wird Zeit für was Neues. Und ich wollte euch sehen.«
Sie blieb ernst. »Ich verstehe.« Aufmerksam musterte sie ihn. »Das heißt, du bleibst länger?«
Andrik nickte. »Wenn ich ein Haus finde und eine Immobilie für ein neues Restaurant, dann bleibe ich sogar für immer. Zumindest ist das der Plan.«
»Ach so.« Seine Mutter ließ den Blick über ihn wandern, und er wurde sich seines Erscheinungsbildes bewusst. Sah sich mit ihren Augen. Seine gewollt strubbeligen Haare, die einen Tick zu lang waren und seine Augen betonten. Sein legerer Anzug, das einen Hauch zu enge Hemd darunter, um die Muskeln hervorzuheben, die er sich antrainiert hatte. Die selbstsichere Ausstrahlung eines Business-Mannes, der er nun mal war. »Und du denkst, du passt noch hierher? Auf die Insel und zu uns?«
Er schluckte. »Stellst du das infrage?« Das klang schärfer als beabsichtigt, aber er wollte dieses Gefühl loswerden, das sie in ihm auslöste, dieses Gefühl, nicht willkommen zu sein.
Sie war seine Mutter. Bei ihr war er doch immer willkommen, oder?
Sie lächelte leicht, spielte mit ihrer Kuchengabel. Und mit einem Mal war die Wärme der Umarmung einer kühlen Distanz gewichen, die ihn direkt irritierte.
»Weißt du, Andrik, es gibt hier viele Menschen, deren Kinder die Insel verlassen. Wir sind die, die zurückbleiben. Die mit traurigem Herzen auf ein bisschen Aufmerksamkeit hoffen. Ich habe sehr lange gebraucht, um damit zurechtzukommen, was damals passiert ist. Vermutlich haben deine Geschwister deswegen nie darüber nachgedacht, woanders zu leben.« Nun blickte sie ihn direkt an. »Dein Weggang hat diese Familie durcheinandergewirbelt. Aber wir sind nicht mehr die Menschen von damals. Und du ... als ich zu dir nach Hamburg kam, für deine Eröffnung, da wusste ich, dass du noch viel mehr zu dem Mann geworden bist, den du uns bei deinem Abschied gezeigt hast. Mein Haus steht dir offen, du bist mein Sohn und wirst das immer sein. Aber ich kann dir nicht garantieren, dass es einfach wird. Deine Geschwister sind vermutlich nicht so geduldig wie ich.«
Mit einem Mal hinterließ der Himbeerkuchen einen bitteren Beigeschmack. Er wusste, seine Mutter hatte recht, er wusste, sie war nicht unfair. Und doch hatte er auf etwas anderes gehofft.
Er legte die Gabel ab und schob sein Geschirr zur Seite. »Vielleicht war es keine gute Idee, direkt herzukommen. Ich wollte dich nicht aufwühlen. Danke für den Kuchen, Mama.« Andrik stand auf, rückte seinen Stuhl zurecht.
»Ach, Andrik.« Mit unbewegtem Gesichtsausdruck sah sie zu ihm auf. »Wenn du offene Arme erwartet hast, mein Sohn, muss dein Leben in Hamburg sehr weltfremd gewesen sein.«
Und weil ihn diese Worte mitten ins Herz trafen, drehte er sich einfach um und verließ sein Elternhaus.
Er wusste nicht, was er erwartet hatte, ob es offene Arme gewesen waren oder nur ein Willkommen. Aber nicht, dass sie so direkt ihre Missbilligung ausdrücken würde. Nicht dass er vergessen hatte, wie heftig sie früher gestritten hatten, er war jedoch – so ehrlich musste er sein – davon ausgegangen, dass sie viel zu froh war, dass er zurückgekommen war.
Sie war seine Mutter. Wenn jemand verstehen sollte, wie es sich anfühlte, die Welt entdecken zu wollen, dann doch sie. Wie sie selbst gesagt hatte, die Menschen hier wussten, wie der Hase lief. Die Jugendlichen pendelten früh zum Festland zur höheren Schule. Natürlich wollten die wenigsten sich in dem Alter auf einer Insel einsperren lassen. Er war da wahrlich keine Ausnahme gewesen.
Andrik fühlte Wut in sich hochsteigen, Wut über seine Naivität. Wenn Mama schon so reagiert hatte, brauchte er es bei seiner Schwester vermutlich nicht einmal zu versuchen. Von Tjark ganz zu schweigen, der würde ihm die Tür vor der Nase zuschlagen.
Was hatte er sich nur dabei gedacht, sich seine Rückkehr so einfach vorzustellen?
Frustriert schlenderte er durch die Jann-Berghaus-Straße am Friedhof vorbei, ließ den Busbahnhof hinter sich und betrachtete die Geschäfte und Häuser. Derzeit wurden überall notwendige Renovierungen und Bauarbeiten durchgeführt, doch in wenigen Wochen würde die Saison beginnen, dann war Baulärmstopp. Andrik hatte gehofft, über den Sommer ein neues Restaurant zu finden, um die nächste Bauphase sinnvoll nutzen zu können.
Es war ein guter Zeitpunkt, zurückzukommen.
Eigentlich.
Vielleicht hätte er seiner Mutter sagen sollen, wie oft er zum Telefon gegriffen hatte, um dann doch keine Zeit für einen Anruf zu haben. Dass er immer wieder vorgehabt hatte, an den Feiertagen nach Hause zu kommen, Weihnachten das Restaurant aber so gut besucht wurde – die Menschen reservierten sich jedes Mal schon einen Tisch für das nächste Jahr ... Wenn er ehrlich war, war ihm seine Karriere in all der Zeit wichtiger gewesen als seine Familie, die auf Norderney ihr – seiner Meinung nach – eintöniges Leben lebten. Mama mit den Ferienwohnungen, sein Bruder mit seinem langweiligen Bürojob in der Stadtverwaltung und Janna, die in dem kleinen Buchladen arbeitete, vor dem er nun stand. Morgen früh würde er einfach mal vorbeischauen. Im Geschäft konnte ihm seine Schwester zumindest keine Szene machen.
Mit Sicherheit würde sie erfahren, was eben passiert war. Die beiden Frauen lebten in einer WG zusammen. Mama im Erdgeschoss, und Janna hatte sich das obere Stockwerk eingerichtet. Sie hatten ihn nicht einmal gefragt, ob er sein altes Zimmer seiner Schwester zur Verfügung stellen wollte. Er überlegte. Das musste nun vier, fünf Jahre her sein. Dadurch, dass er so viel zu tun gehabt hatte, hatte er das Thema verdrängt, aber er erinnerte sich gut, wie verletzt er gewesen war. Es war das deutliche Zeichen, dass er auf Norderney nicht mehr willkommen war. Das hatte er dann wohl sehr wörtlich genommen. Bis heute hatte er die umgebaute Etage nicht gesehen.
Inzwischen war ihm bewusst, wie kindisch er sich verhalten hatte, denn schließlich war er es gewesen, der sich rargemacht und dem Familienleben entzogen hatte.
Andrik seufzte.
Er hatte seine Mutter eben einfach allein gelassen, als hätte er in all den Jahren nichts dazugelernt. Als wäre er immer noch ein unbeherrschter, unreifer junger Mann, der sich mit seiner Familie überwirft und sie ohne Aussprache verlässt, weil er sich ungerecht behandelt fühlt oder seinen Willen nicht bekommt. Andrik knirschte mit den Zähnen und kickte wütend ein Steinchen von sich weg, das an der Tür des Buchladens mit einem leisen Kling abprallte.
Verdammt.
Was sollte er nun tun?
Zurückgehen und hoffen, sie würde ihn noch einmal reinlassen, damit er sich anständig benehmen konnte?
Anrufen? Es morgen versuchen?
»Ich bin sicher, der Buchladen kann nichts dafür.«
Erschrocken hob er den Blick. Eine ihm unbekannte Frau hatte ihn angesprochen. Sie lächelte freundlich, während sie ein paar Pizzaschachteln aus der Pizzeria um die Ecke in ihrem Fahrradkorb verstaute. Eine Tüte, vermutlich mit Pizzabrötchen, fiel zu Boden. Schnell war er bei ihr und hob die Tüte auf, um sie ihr zu reichen.
»Oh, danke.«
»Nicht dafür. Nur dein Anteil an der Rettung des Buchladens.« Er versuchte sich an einem Grinsen.
Sie war hübsch. Lange blonde Haare lugten unter einer grauen Wollmütze hervor, während sie ihn mit blauen Augen neugierig anblickte.
»Dabei sind die Leute da wirklich nett. Okay, Frau Zirbenwald ist manchmal ein wenig ... seltsam ... aber sie ist toll und engagiert, und Janna und Tete machen einen so guten Job, dass ich viel zu viel Geld bei ihnen lasse.«
Er hob die Augenbrauen. Offenbar kannte sie die Besitzerin des Buchladens und ebenso – seine Schwester. »Du kennst dich gut aus.« Andrik musterte sie genauer, suchte eine Vertrautheit in ihren Zügen, aber er konnte sie nirgends einordnen. Sie sah jünger aus als er, also war eine gemeinsame Schulzeit wohl auszuschließen.
»Ich arbeite da drüben«, sagte sie und deutete auf das alte Postgebäude, in dem, so wie früher, ein Klamottenladen untergebracht war.
Andrik legte den Kopf schief. »Früher gehörte der Laden Leni Struck«, stellte er nach kurzem Überlegen fest.
Die Frau lächelte. »Das ist meine Großmutter. Svea Radtke, he.« Sie hielt ihm die Hand hin.
»Ach. Spannend. Andrik Aalders, freut mich, dich kennenzulernen.«
Svea riss die Augen auf. »Andrik Aalders?« Sie schaute kurz zum Buchladen. »Dann bist du Jannas Bruder?«
Nun war es an ihm, überrascht zu gucken. »Ja«, bestätigte er. »Und du kennst offensichtlich meine Schwester.«
»Wir sind befreundet«, erklärte Svea und zog ihre Mütze etwas herunter. »Ach, cool. Du, ich würde gern mehr quatschen, aber dann wird die Pizza kalt. Grüß Janna von mir, falls du sie siehst. Sie wird sich total freuen, dass du da bist. Auch wenn sie es nicht zugeben wird.« Svea zwinkerte ihm zu und machte Anstalten, sich aufs Rad zu schwingen. Er beeilte sich, »Danke, schönen Abend« zu sagen. Winkend hob sie die Hand und fuhr los.
Einen Moment schaute er ihr nach.
Nicht nur, dass sie Janna kannte. Sie wusste auch, dass es ihn gab und behauptete, dass seine Schwester sich freuen würde, ihn zu sehen.
An diesem Gedanken hielt er fest. Er brachte ihn zum Lächeln.
Kurz entschlossen drehte Andrik sich um und lief zurück zum Haus seiner Mutter.
Tatsächlich öffnete seine Schwester ihm die Tür. Ihre Reaktion fiel nicht so emotional aus wie die seiner Mutter, aber auch nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte.
Lässig lehnte Janna sich in den Türrahmen und verschränkte die Arme. »Als es klingelte, hat Mama behauptet, dass du das wärst. Ich soll dich reinlassen, hat sie außerdem gesagt«, fügte seine Schwester hinzu, nachdem sie sich eine Weile schweigend angesehen hatten. »Ich frage besser nicht, woher sie das wusste.«
Seine Mutter war immer noch ein Wunderwesen.
Andrik zog die Mundwinkel hoch. »Sie ist halt klüger als wir beide zusammen.«
Janna presste die Lippen aufeinander, dann brach sie in Gelächter aus.
Erleichtert erlaubte er sich ebenfalls ein Lachen, bevor er die Arme öffnete und seine kleine Schwester zu einer Umarmung einlud. Sie stieg die Stufen herunter, bis sie gleich groß waren, und drückte ihn.
»Ich träume manchmal von diesem Satz«, murmelte sie und brachte ihn damit noch mehr zum Lachen. Ihre Mutter hatte das oft gesagt, wenn sie als Kinder etwas angestellt hatten: Dass sie klüger war als sie alle zusammen. So oft, dass sie ihren Satz irgendwann vervollständigten.
»Schön, dich zu sehen, Janna.« Seine Stimme klang vor lauter Rührung ganz rau.
Hatte ihre Mutter seiner Schwester nichts davon gesagt, dass er schon da gewesen und unrühmlich wieder abgezogen war?
»Erst einmal finde ich es auch schön, dass du da bist. Du musst uns unbedingt erzählen, was bei dir los ist. Komm rein.« Sie löste sich von ihm und hüpfte die Treppe hoch ins Haus. »Mama hat gekocht, eigentlich für morgen, aber wir haben beschlossen, dass wir jetzt zusammen essen. Du hast doch Hunger?«, plapperte sie, während er das Gefühl hatte, ein Déjà-vu zu erleben: Jacke, Schal und Mütze aufhängen, Schuhe ausziehen, ihr in die Küche folgen – in der er vor nicht mal einer Stunde schon gewesen war.
Der Kuchen war inzwischen verschwunden, sein Glas ebenfalls. Stattdessen war der Tisch für drei eingedeckt, und seine Mutter trocknete sich die Hände ab. Dann sah sie zu ihm.
»Kaum zu glauben, dass du wirklich wieder da bist«, sagte sie und kam auf ihn zu, tat so, als wäre das eben nicht passiert.
Er spielte mit. »He, Mama. Ja, ich bin wieder da.« Erneut schloss er sie in die Arme. Vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und flüsterte ein leises »Sorry« hinein.
Sie klopfte ihm auf den Rücken. Darüber würden sie später sprechen.
»Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht.« Sie räusperte sich, trat zurück und nahm den Topf vom Herd. »Es war eigentlich für morgen gedacht, aber wenn wir schon so seltenen Besuch haben ...«
»Ich hab Tjark angerufen und gefragt, ob er kommt. Du willst nicht wissen, was er gesagt hat«, fügte Janna hinzu und tat ihnen Essen auf. Es sah nach Linseneintopf aus, und nun spürte Andrik seinen Magen ganz deutlich. Da hatte ein Stück Kuchen wohl nicht ausgereicht.
»Nein, vermutlich nicht«, murmelte er und setzte sich an den Tisch. Das Verhältnis zu seiner Mutter und seiner Schwester war sicher schwierig, doch das zu seinem jüngeren Bruder quasi nicht vorhanden. Denn während er mit den Frauen seiner Familie lockeren Kontakt hatte halten können, hatte ihn sein Bruder mit Stillschweigen dafür bestraft, dass sie sich schon vor langer Zeit entzweit hatten.
»Also, erzähl mal, was treibt dich nach Norderney?«, fragte Janna, während sie die Suppe aßen.
Er musterte seine kleine Schwester, die nun gar nicht mehr so klein war: Die Haare hatten einen deutlicheren Rotton, als er es in Erinnerung hatte; von wegen, Mama hatte das nicht vererbt. Haut und Sommersprossen waren blass, die dunkle Brille ein starker Kontrast dazu. Doch ihre blauen Augen blitzten lebendig.
Erneut war Andrik unsicher, was er sagen sollte, aber beim Gedanken an das vorherige Gespräch mit seiner Mutter wusste er, dass er wohl volles Risiko eingehen musste. Wenn er nicht ehrlich war, hatten sie von Anfang an eine schlechte Basis, und das wollte er nicht. Seine Familie spielte bei seinen Plänen, wie sein Leben auf Norderney aussehen sollte, keine kleine Rolle. Dass er dafür ein paar Dinge in Ordnung bringen musste, war ihm heute schon vor Augen geführt worden.
»Ich würde gern ein Restaurant auf Norderney eröffnen«, rückte er also direkt mit der wichtigsten Information heraus.
»Ein Restaurant?« Janna sah ihn staunend an.
Er nickte. »Ja, ein Fischrestaurant, ein bisschen wie in Hamburg, aber auf die Insel abgestimmt. Ich muss nur eine Immobilie finden. Bisher waren die Angebote eher mäßig, und ich habe das Gefühl, dass es vor Ort leichter wird, etwas zu finden.«
»Dann kommst du also dauerhaft nach Hause«, stellte seine Mutter fest, und ihre Augen leuchteten. Noch nie hatte sie alle drei Kinder gleichzeitig auf der Insel gehabt, nicht, seit sie alle die Schule abgeschlossen hatten. Er war direkt in der Großstadt geblieben, während Tjark und Janna Norderney nicht mehr verlassen hatten.
Andrik lächelte. »Das ist der Plan.«
»Wo willst du wohnen?« Janna machte eine ausschweifende Handbewegung. »Das Haus hat sich verändert. Ich wohne jetzt oben und Mama hier unten. Es ist nicht mehr so viel Platz wie früher. Was du ja nicht weißt.«
Er ignorierte die Spitze. »Doch, weiß ich. Aber keine Sorge, ich will hier nicht einziehen. Ich wohne im Hotel, bis ich was Eigenes gefunden habe.«
»Da kann ich mich umhören«, warf seine Mutter ein.
Er deutete mit dem Löffel auf sie. »Darauf hatte ich gehofft, um ehrlich zu sein.«
Janna sah weiterhin skeptisch aus. »Hast du echt so viel Kohle, dass du dir was kaufen kannst? Weißt du, wie teuer das alles mittlerweile ist?«
»Ich habe die Preise studiert, ja«, bestätigte er. So wie er nicht viel Ahnung davon hatte, wie sich ihr Leben auf der Insel gestaltete, so hatten sie nur wenig Einblick in seine letzten Jahre gehabt.
Sie hatten verdammt viel aufzuholen.
Janna musterte ihn. »Du siehst aus wie ein reicher Schnösel.« Doch bevor er widersprechen konnte, fuhr sie direkt fort: »Ich frage mal Frau Zirbenwald. Die weiß ja auch immer alles«, sagte Janna und erinnerte Andrik damit an das seltsame Treffen vor dem Buchladen.
»Das wäre echt nett von dir, Janna.« Er lächelte sie an. »Übrigens, auf dem Weg hierher habe ich Svea kennengelernt, ich soll dich schön grüßen.«
Seine Schwester runzelte die Stirn. »Kaum auf der Insel und schon Frauen aufreißen? Sie ist frisch verheiratet, mach dir keine Hoffnungen.«
Er lachte auf. »Mach ich nicht. Sie hatte einen Familienvorrat Pizza auf dem Fahrrad. Es hat sich einfach so ergeben, als ich vor dem Buchladen stand. Da kamen wir ins Gespräch.«
Janna nickte kauend. »Sie ist meine Freundin. Wir treffen uns jede Woche zum Tee.«
»Zum Tee? Wie alt seid ihr, siebzig?«