Games of Love - Unendliches Verlangen - Rachel van Dyken - E-Book

Games of Love - Unendliches Verlangen E-Book

Rachel van Dyken

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Verführerisch geht es weiter in der "Games of Love"-Reihe von New York Times Bestsellerautorin Rachel van Dyken: Nachdem Kacey und Travis glücklich vereint sind, will seine Großmutter endlich auch den unsteten Jake an die richtige Frau bringen ... Eigentlich hat Charlotte genug von Jake, nachdem der sie nach einem One-Night-Stand sitzenließ. Doch als sie ihn zufällig wiedersieht, hat sie unwillkürlich Schmetterlinge im Bauch. Das kommt Jakes resoluter Großmutter gerade recht, denn sie will seinem Lotterleben ein für alle Mal ein Ende setzen. Sie mag Charlotte und zwingt ihn, mit dieser zur Hochzeit ­seines Bruders zu gehen. Jake, der die kecke junge Frau nie vergessen hat, verfällt schon bald ihrem Charme. Aber Charlotte ist nicht so schnell bereit, ihm zu verzeihen. Alle Bände der "Games of Love"-Reihe von New York Times Bestsellerautorin Rachel van Dyken: Band 1 - "Bittersüße Sehnsucht" Band 2 - "Unendliches Verlangen" Band 3 - "Entfesseltes Begehren"

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 461

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Rachel van Dyken

Games of Love – Unendliches Verlangen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Silvia Gleißner

Knaur e-books

Über dieses Buch

Nachdem Kacey und Travis glücklich vereint sind, will seine Großmutter endlich auch den unsteten Jake an die richtige Frau bringen. Sie verdonnert ihn kurzerhand dazu, mit der schlagfertigen Charlotte zur Hochzeit des Bruders zu gehen. Eigentlich ist Jake felsenfest entschlossen, Single zu bleiben, doch dem Charme der gutaussehenden Charlotte kann er einfach nicht widerstehen.

Inhaltsübersicht

WidmungDanksagungenPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62Kapitel 63Epilog
[home]

Für Oma Nadine. Du bist wahrhaft die Inspiration hinter dieser Buchreihe. Danke, dass du eine so resolute, wunderbare und liebevolle Großmutter bist. Es ist ein Segen für mich, dich in meinem Leben zu haben. Ein Hoch auf noch viele Jahre über die sechsundachtzig hinaus, Grandma, und vielmals danke dafür, dass du mit mir zu all diesen Signierstunden gehst. Du bist wirklich eine meiner besten Freundinnen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dein Vize sein will, wenn du fürs Weiße Haus kandidierst – es ist nie zu spät, richtig???

[home]

Danksagungen

Zuallererst muss ich Gott dafür danken, dass er mir erlaubt, meinen Traum zu leben, und das jeden einzelnen Tag meines Lebens. Noch immer kneife ich mich, wenn ich morgens aufwache, und sinke dann vor Dankbarkeit auf die Knie. Ohne Ihn – bin ich nichts.

Vielen, vielen Dank an meine Herausgeberin Lauren Plude. Worte können nicht ausdrücken, wie viel Spaß es macht, mit dir zu arbeiten! Du bist nicht nur eine Wahnsinns-Herausgeberin. Ich weiß auch, dass dir wirklich etwas an einem liegt; alles, was du tust, strahlt das aus. Es ist ein unglaublicher Segen für mich, wie du mich aufbaust. Ich habe es schon einmal gesagt, und ich sage es immer wieder, auch wenn es bizarr wird: Ich liebe dich abgöttisch!

Grand Central Publishing … Wow, was soll ich sagen. Ich fühlte mich wie die Neue am ersten Schultag. Ihr habt meine Erwartungen bei weitem übertroffen (und tut es immer noch!). Von euren Umschlagillustratoren bis hin zum PR-Team – ich kann euch gar nicht genug dafür danken, dass ihr mich so herzlich aufgenommen und mir das Gefühl gegeben habt, bei euch zu Hause zu sein. Danke, danke dafür, dass ihr mir eine Chance gegeben habt und mir diese wundervolle Möglichkeit bietet, für euch zu schreiben. Es ist wirklich eine Ehre.

Ehemann – Nate – bester Freund – danke, dass du mir nicht den Computer wegnimmst, wenn ich nachts um drei Uhr immer noch tippe. Ernsthaft. Ich muss zugeben, nachdem du meinen E-Reader versteckt hast, war ich etwas besorgt. Aber, Gott sei Dank, hast du dich während meiner Reise durch Abgabetermine und Momente des Wahnsinns immer großartig verhalten. Du bist mein Held – auf ewig. Du bist der Mann, über den ich in jeder Geschichte schreibe. Vollkommenheit. Ich liebe dich von ganzem Herzen. Danke, dass du nicht nur ein Ehemann bist, sondern ein Partner, nicht nur ein Geliebter, sondern ein bester Freund. Ich verdanke dir alles, denn du hast mir alles gegeben.

Und schließlich: danke an den Rest meiner Familie. Danke, dass ihr an mich glaubt! Liza Tice, Laura Heritage, Kristin van Dyken, Julie Sherwood und Tiffany Davis. Meine Betaleser und die Menschen, die als Erste den Anfang dieser Serie gelesen und daran geglaubt haben. Ich liebe euch alle.

[home]

Prolog

Sommer 2002

Jake! Fang mich, fang mich auf!«, rief Char laut beim Trust Fall im Zeltlager der Junior High. Sie stand schon seit Jahren auf Jake. Und nun, da sie die achte Klasse hinter sich ließ und ab Herbst auf die Highschool ging, besserten sich ihre Erfolgschancen. Sie wusste, dass sie gut aussah, mit rasierten Beinen, neuem Lipgloss in Pink und hochgebundenem Pferdeschwanz, und Jake sollte nun jeden Augenblick erfahren, wie gut, wenn sie ihm – buchstäblich – in die Arme fiel.

»Ähm, klar«, rief Jake hinter ihr. »Bin gleich so weit.«

»Okay.« Plötzlich nervös, holte Char ein paar Mal tief Luft. »Ich lasse mich jetzt fallen!«

»Nur zu!«, rief Jake.

Der Wind pfiff um ihren Rücken, als Char sich steif wie ein Brett machte und sich nach hinten fallen ließ. Doch da war niemand, um sie aufzufangen. Mit einem dumpfen Laut prallte sie auf den Grasboden und sah auf.

Amy Stevens stand da, zwirbelte ihr Haar zwischen den Fingern und lachte gerade über etwas, das Jake sagte. Der Junge hatte die Aufmerksamkeitsspanne einer Ameise.

»Du Idiot!« Char schlug mit der Faust auf den Boden. »Jake? Wir sind Partner, und die Übung heißt aus gutem Grund ›Trust Fall‹. Du solltest mich auffangen!«

Seine Augen weiteten sich. »O Mist, tut mir leid, Char. Amy hier brauchte Hilfe mit den Anweisungen, und sie hat keinen Partner, also habe ich ihr gesagt, sie kann bei uns mitmachen.«

»Oh, aber …«

»Wow, Jake, gut, dass ich angeboten habe, deine Partnerin zu sein. Wir werden das Mädchen zu zweit auffangen müssen. Sie ist ja wie ein aufgeblähter Wal.« Amy lachte und stieß Jake an, woraufhin Char das Herz schwer wurde. Sie wusste, dass sie nicht so dünn war wie Amy oder die anderen Mädchen. Verlegen fuhr sie mit der Zunge über ihre Lippen, als der Schmerz über die Zurückweisung sie überwältigte. Tränen schnürten ihr die Kehle zu, und das Schweigen zog sich in die Länge.

Char sah Jake an. Er errötete ein wenig, aber er sagte kein Wort. Er verteidigte sie nicht. Er tat gar nichts.

Vielleicht war das das Schlimmste daran.

Dieses Nichts.

Er hätte mitspielen und lachen können; dann wäre Char wenigstens wütend genug gewesen, um ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Doch stattdessen sah er sie mitleidig an – so als sei das, was Amy gesagt hatte, wahr.

Als würde er es auch glauben und wüsste nur nicht, wie er es ihr sagen sollte.

Char senkte den Blick auf das Gras, das sie kitzelte, und Tränen stiegen ihr in die Augen.

»Hey, Leute, bereit für den Trust Fall?« Kacey, ihre beste Freundin, gesellte sich zu ihnen und lächelte, was Chars Unsicherheit nur noch vergrößerte. Kacey war das einzige Mädchen, dem Jake sich jemals anvertraute, und sie war Chars und Jakes beste Freundin. Wenn man Char fragte, war das echter Mist. Denn es bedeutete, dass sie immer das fünfte Rad am Wagen war, der leicht peinliche und unpassende Außenseiter, der nie so richtig dazugehörte.

Jake umarmte Kacey. »Wir waren gerade dabei, uns aufzuwärmen.«

»Cool.« Kacey sah zu Char hinab. »Na komm! Hör auf, so faul herumzuliegen.«

Amy brach in Gelächter aus. »Sport, Char. Schon mal gehört?«

Kacey warf Amy einen finsteren Blick zu und hielt Char die Hand hin. »Ignoriere sie. Sie ist nur so eklig, weil du größere Möpse hast als sie.«

Char verdrehte die Augen, rappelte sich auf und warf einen letzten Blick auf Jake. Ihre Schwärmerei für ihn war vorbei. Absolut vorbei. Welches Mädchen will sich schließlich in einen Jungen verlieben, der einem nicht mal zu Hilfe kommt, wenn man es am dringendsten nötig hat?

Sie wollte einen Mann, so einen wie die Männer, die sie in Kinofilmen und im Fernsehen sah. Ein wahrer Held hätte sie gerettet. Echte Männer kämpften mit Knarren und Schwertern um die Frauen, die sie liebten. Als die Klasse letztes Jahr Romeo und Julia sah, hatte Char die Tränen wegwischen müssen, die ihr bei der Schlussszene über die Wangen geströmt waren. Das war es, was sie wollte: einen Mann, der sie so sehr liebte, dass er ihr ins nächste Leben folgen würde. Doch als sie genau das laut ausgesprochen hatte, hatte Jake sie angesehen, als hätte sie den Verstand verloren. Tja, am Ende wäre er der Angeschmierte. Sie würde ihren echten Kerl finden, und Jake Titus konnte ihretwegen auch … sterben.

[home]

Kapitel 1

Gegenwart

Oma, was, zum Teufel, machst du hier?« Jake musterte die beiden überlebensgroßen Koffer, die riesige Handtasche in Pink, Marke Coach, und das Ding auf ihrem Kopf, das wie ein totes Tier aussah, und fluchte noch einmal.

»Nicht solche Wörter, Jake.« Oma Nadine straffte die Schultern und schob sich an ihm vorbei an den Ticketschalter.

O nein. Oh, lieber Gott, nein! Herr im Himmel, hab Erbarmen. Jake sah sich suchend nach Aileen um, seiner neuesten Eroberung.

»Ja, nur ein einfaches Ticket«, verkündete Oma Nadine laut am Schalter von Alaskan Airlines. Mit einer Mischung aus Entsetzen und Panik sah Jake zu, wie seine Großmutter ein Ticket für denselben Flug kaufte, den auch er nahm. Bitte mach, dass sie ihre Kreditkarte ablehnen, bitte, bitte.

»Bitte sehr!« Die teuflische Frau am Schalter reichte Oma Nadine lächelnd eine Bordkarte. Jake warf erst der Frau und dann seiner Großmutter einen finsteren Blick zu.

»Nein.« Er schüttelte den Kopf, als sie auf ihn zukam und übers ganze Gesicht strahlte. »Du kommst nicht mit.« Er verschränkte die Arme und wich nicht von der Stelle.

»O doch.« Oma Nadine wedelte mit dem Ticket vor seiner Nase herum und lächelte. »Und jetzt nimm mein Gepäck.«

»Aber …«

»Jakey?« Aileen kam auf ihn zustolziert. In einem Rock, der kürzer war, als in der Öffentlichkeit erlaubt sein sollte, ganz zu schweigen von einem Flughafen, trat sie an seine Seite. Ihr gebleichtes blondes Haar war mit mindestens zwei Dosen Haarspray fixiert, und ihre offensichtliche Unfähigkeit, geradeaus zu laufen, verriet ihm, dass sie von gestern wohl immer noch betrunken war.

Oma Nadine lächelte strahlend. »Wie reizend! Scheint, als sei deine Nutte auch eingetroffen.«

Jake stöhnte auf und verbarg das Gesicht in den Händen. Da kam er nicht wieder heraus. Seine Großmutter brächte ihn noch ins Grab.

Ihr Macher von Women Scorned auf A&E, ich komme.

»Was?« Aileen stemmte die Hände in die Hüften, bedachte Oma Nadine mit einem merkwürdigen Kopfnicken und knickte dabei beinahe auf ihren High Heels um. Oh, das war nicht gut. Gar nicht gut.

Oma Nadine streckte die Hand aus und tätschelte Aileen am Arm. »Liebchen, ich bin die mit den Hörgeräten, nicht Sie. Ich habe Sie eine Nutte genannt. Soll ich es Ihnen buchstabieren?« Sie stieß Jake an. »Wo hast du sie aufgetrieben? Auf einer Highschool-Jobmesse?« Und dann fing sie doch tatsächlich an, mit erschreckend lauter Stimme zu buchstabieren: »N-U-T-T-E.«

Buchstabierte seine Großmutter wirklich gerade das Wort »Nutte« auf einem internationalen Flughafen? Vor seiner – Freundin? Sexgespielin? Ja, was war sie eigentlich?

O Shit, er kannte nicht einmal ihren Nachnamen.

Wahrscheinlich war das ein schlechtes Zeichen.

»Sie sollten wissen, dass …«

»Jake, ich bin hungrig. Geh mit mir essen.« Oma Nadine hakte sich bei ihm unter und zog ihn in Richtung Sicherheitsschleuse mit sich, mit mehr Kraft, als eine Frau von sechsundachtzig Jahren haben sollte.

»Aber was ist mit mir?«, fragte Aileen schmollend hinter ihm.

Oma Nadine blieb stehen und drehte sich um. »Schätzchen, ich bin sicher, Sie finden ein anderes nettes Spielzeug, bis Ihr Flug geht. Der Knabe hier ist schon vergeben.«

Aileen schnaubte. »Hätte nicht gedacht, dass du solche Vorlieben hast.« Das war an Jake gerichtet. Er machte den Mund auf, um zu sagen: Das ist doch meine Großmutter. Doch stattdessen drückte besagte Großmutter ihm einen lauten Kuss auf die Wange und kniff ihn in den Hintern.

»Oh, Schätzchen, Sie haben ja keine Ahnung, wo der drinsteckt.« Sie zwinkerte. Grundgütiger, sie hatte eben gezwinkert und angedeutet, Jake sei ihr – er konnte den Gedanken nicht einmal zu Ende denken. Entsetzt sah er zu, wie Aileen die Augen aufriss. Er machte noch einmal den Mund auf, um zu protestieren, aber in dem Moment versetzte seine Großmutter ihm noch einen Klaps auf den Hintern und zog ihn in die andere Richtung mit.

Karma: Jetzt holte es ihn ein. Und es kam in Gestalt einer sechsundachtzigjährigen Frau mit Lippenstift auf den Zähnen. Hölle.

[home]

Kapitel 2

Atmen, Char, einfach atmen, Luft rein und wieder raus, siehst du, geht doch.« Char versuchte, ruhiger zu atmen, doch in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Schwester ihr ständig auf den Rücken klopfte, sobald sie den Mund aufmachte, gestaltete sich das als eher schwierig.

»Gib mir die Papiertüte.« Char riss ihrer Schwester die Tüte aus der Hand und fing an, langsam in diese hineinzuatmen. Endlich, nach zwei Minuten, in denen sie geglaubt hatte, sie würde sterben, klang die Panikattacke ab.

»Besser?«, flüsterte Beth.

»Nein.« Char biss sich auf die Lippe und schaute den Gang entlang. Ebenjenen, durch den nur Minuten zuvor Jake Titus vorbeigekommen war. Er hatte sogar noch in ihre Richtung geblickt, höflich gelächelt und war dann weiter zu seinem Sitzplatz gegangen.

Ein Lächeln.

Mehr war sie nicht wert. Ein höfliches Lächeln. Dass das Flugzeug gerade in dem Moment in die heftigsten Turbulenzen ihres Lebens geraten musste, war auch keine Hilfe.

Doch das Tüpfelchen auf dem i, das, was diesen Tag wirklich zum schlimmsten ihres Lebens machte, passierte, als die Möpse der Stewardess versehentlich – jawohl: versehentlich – aus deren Bluse rutschten und direkt in Jakes Gesicht landeten.

Der Mann sollte kastriert werden. Er war Sex-Appeal auf zwei Beinen, und jeder in seiner Nähe wusste es. Auch wenn er kein echter Promi war, Frauen flogen auf ihn wie Ratten auf Käse.

Zu denen hatte sie auch einmal gehört. »Bastard«, brummte sie vor sich hin und ballte die zierlichen Hände zu Fäusten.

Doch das war Jahre her. Inzwischen war sie darüber hinweg, klüger und stärker.

Jawohl, stärker. Sie war eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, Himmel noch mal! Sie konnte – und würde – so tun, als sei alles gut.

Und es war auch alles gut.

War es, war es, war es.

»Char?« Beth stieß sie an. »Du wiegst dich schon wieder vor und zurück. Soll ich die Tüte rausholen?«

»Nein.« Char merkte, wie ein Lächeln auf ihrem Gesicht erschien. »Ich bin gleich wieder da.«

Beth streckte den Arm aus, um Char den Weg zu versperren. »Nein, auf keinen Fall. Du hast diesen irren Blick. Und ich will echt nicht, dass du im Gefängnis landest. Als deine Schwester und irgendwann mal Trauzeugin kann ich dich nicht guten Gewissens vorbeigehen lassen.«

»Ich kaufe dir eine neue Handtasche von Louis Vuitton.«

»Andererseits … du bist erwachsen und kannst für dich selbst entscheiden. Nur zu.« Beth hob den Arm. »Schwarz. Ich will die Schwarze.«

Char verdrehte die Augen und marschierte auf Jakes Sitzplatz zu.

Das ›BITTE ANSCHNALLEN‹-Zeichen war inzwischen ausgegangen, also hatte Char freie Bahn. Diese Ansprache hatte sie geübt seit jenem Schicksalstag im letzten Jahr, als sie sich wiedersahen. Char hatte mehr als einen One-Night-Stand gewollt. Und Jake – nun, er hatte einen One-Night-Stand und ein Dankeschön gewollt. Sie hatte ihrer gemeinsamen Freundin Kacey nie davon erzählt und sich eigentlich geschworen, das mit ins Grab zu nehmen. Bis zu dem Moment, als sie ihn wiedersah – ab jetzt war alles möglich.

Sie hatte sich gefragt, was sie ihm wohl sagen würde, falls sie je wieder auf ihn treffen sollte. Wie würde er reagieren? Würde er sich dafür entschuldigen, dass er sich wie ein Mistkerl verhalten hatte? Würde er sich überhaupt an sie erinnern? Und jetzt schien er sie nicht einmal zu erkennen! Andererseits, ihr Haar war inzwischen länger. Aber Gesichter veränderten sich nicht.

Wenn sie’s doch nur täten.

Was das anging, sollte sie wirklich noch mal beim lieben Gott nachfragen. Jake brauchte mehr als nur ein neues Gesicht. Er brauchte erst mal ein richtiges Herz in seiner muskulösen Brust.

Ihr Blick huschte zu den Passagieren ein paar Reihen hinter ihm. Da saß ein Mädchen, ein Glas Wasser auf dem Tischchen vor sich. »Hey, Liebes, kann ich mir das ausleihen?«

»Du meine Güte!« Das Mädchen, schätzungsweise um die zwölf Jahre alt, fing an, wie wild zu klatschen. »Sind Sie nicht die Nachrichtenlady?«

»Ähm, ja.« Normalerweise fand Char es toll, wenn man sie erkannte, aber nicht jetzt. Jetzt brauchte sie Anonymität. Sie versuchte, das aufgeregte Lächeln des Mädchens zu ignorieren, doch vergebens. Also ergab sie sich in ihr Schicksal und ging darauf ein. »Du siehst wohl oft Nachrichten, hm?«

»Nein.« Die Kleine seufzte. »Aber meine Eltern haben echt tierisch gelacht, als Sie damals aus Ihrem Stuhl geplumpst sind. Sie sagten, Sie wären umgekippt, weil Sie zu viel Alkohol getrunken hätten.«

Na, fan-verdammt-tastisch. Hatten denn alle diesen Clip auf YouTube gesehen? Er stammte von dem Abend nach ihrem Zusammensein mit Jake. Sie hatte Mitleid mit ihm gehabt – ihr Fehler Nummer eins. Gefolgt von Fehler Nummer zwei, der darin bestand, dass sie eine Flasche Tequila mitgebracht hatte und dann in einer Hotelsuite aufgewacht war, mit nichts als einer Dankeschön-Notiz und einem Mordskater. Dass sie es überhaupt rechtzeitig zur Arbeit geschafft hatte, war ein Glücksfall gewesen.

Andererseits bescherte Glück einem keine mehr als zwei Millionen Klicks auf YouTube und einen Spot in der Show Today mit Kathy Lee und Hoda, in der die beiden netterweise auf Wein verzichteten und Char stattdessen ein paar Tequila anboten, zu Ehren ihrer Nacht des Schreckens.

»Ich hatte nicht getrunken«, erklärte Char dem Mädchen. »Ich war … müde und überarbeitet und …« Du liebe Güte, sie war doch tatsächlich gerade dabei, offiziell vor einer Zwölfjährigen die Fassung zu verlieren. »Weißt du, was? Vergiss es. Wie wär’s mit fünf Mäusen?«

»Fünf Mäuse?«

»Du gibst mir dein Wasser, und ich gebe dir fünf Mäuse.«

»Sagen wir zehn.«

Char machte ein finsteres Gesicht.

Die Kleine starrte ebenso finster zurück. Na schön. Zehn Mäuse, damit ihr die Tatsache, dass Jake ein Mistkerl war, weniger ausmachte? Topp, die Wette galt.

Char griff in ihre Tasche und holte einen Zwanziger heraus. Mist.

Den riss ihr die Kleine flink aus der Hand, noch bevor Char reagieren konnte. Grummelnd nahm sie daraufhin den Becher und marschierte auf Jakes Sitzplatz zu.

Noch zwei Reihen.

Endlich. Sie blieb vor Jakes Sitzreihe stehen und räusperte sich.

Er schaute nicht auf.

Sie räusperte sich noch einmal.

Endlich hob er langsam den Kopf, und dann klappte ihm der Mund auf. »Char?«

»Jake«, schnurrte sie.

»Wie geht’s denn so? Ich meine, es ist ja eine Ewigkeit her!« Sein Lächeln erreichte nicht seine Augen.

Genau genommen waren seitdem elf Monate, eine Woche und fünf Tage vergangen. Aber, hey, wer zählte schon mit? Sie doch nicht.

»Ja, nicht wahr?« Sie lehnte sich gegen den Sitz.

»Wir sollten uns mal wieder treffen.« Er musterte sie von oben bis unten, bevor er hüstelte und den Blick abwandte.

»Sollten wir«, stimmte sie zu, und dann, bevor sie noch die Nerven verlor, schüttete sie ihm den gesamten Inhalt des Bechers vorn auf die Hose. »Aber ich gehe nicht mit Mistkerlen aus, die mich nach dem Sex sitzenlassen.«

»Was, zum …«

Er machte Anstalten, aufzustehen, als sie schon nach der Stewardess klingelte und laut verkündete: »Verzeihung, wie es scheint, hat Jake Titus sich gerade in die Hose gemacht. Könnten Sie uns bitte helfen?«

Um sie herum brach Gekicher aus, und Char grinste Jake an, der sie mit offenem Mund anstarrte. Er griff über den Sitz nach der Hand einer auffälligen älteren Dame, die neben ihm saß.

»Na, na.« Char beugte sich vor und flüsterte: »Sieht aus, als würdest du neuerdings jede Frau aufreißen, eh, Jake?«

»Oh, das ist wohl wahr«, meldete sich die alte Dame zu Wort. »Wussten Sie, dass er doch tatsächlich mal die Chuzpe hatte, eine Nutte zur Verlobungsfeier seines Bruders mitzubringen?«

Heiliges Kanonenrohr, hoffentlich redete die alte Dame da von jemand anderem als von sich selbst.

»Ich, ähm …« Char brauchte einen Moment, um die Fassung wiederzugewinnen. »Das glaube ich sogar.«

»Und wissen Sie, was noch?« Die Frau ließ Jakes Hand los und beugte sich über seinen Sitz. Er verdrehte die Augen, hielt aber den Mund.

»Was denn?« Wer auch immer diese verrückte alte Dame war, Char mochte sie. Sehr. Eine Schande, dass Jake ihr das Herz brechen würde. Nichts für ungut, aber war er echt der Typ Mann, der auf Frauen stand, die mehr als doppelt so alt waren wie er?

»Seine Liebste aus der Highschool wird seinen Bruder heiraten. Er versucht, so zu tun, als würde es ihm nichts ausmachen. Aber eine Großmutter weiß solche Dinge.« Sie tätschelte Jakes Hand.

Ah … Großmutter. Moment mal – war das etwa die berühmt-berüchtigte Oma Nadine, von der Kacey immer redete? Obwohl Char relativ nahe der Familie Titus aufgewachsen war, war sie der alten Dame tatsächlich noch nie begegnet … bis jetzt.

»Also« – Oma Nadine lehnte sich zurück – »helfe ich ihm aus der Klemme.«

Jake stöhnte.

»Sie meinen, Sie werden ihn kastrieren?«

»Oh, Schätzchen« – Oma Nadine verschluckte sich schier vor Lachen – »etwas Besseres als Kastration könnte dem Jungen gar nicht passieren. Können Sie sich vorstellen, dass ich sogar nach einem Keuschheitsgürtel für Männer gesucht habe?«

Jake stöhnte wieder auf. »Lieber Gott, bewahre mich vor Frauen und Sex.«

»Sex«, schnaubte Char, »ist doch ungefähr das, was dich überhaupt erst in deine missliche Lage gebracht hat, findest du nicht auch?«

Genau in dem Moment kam die Stewardess. »Wo ist denn der junge Mann, der sich in die Hose gemacht hat?« In der Hand hatte sie ein hübsches Exemplar Tena for Men.

Oma Nadine und Char zeigten auf Jake.

[home]

Kapitel 3

Karma. Oh, Mann, wie er das hasste. Aber genau das holte ihn gerade ein. Ein Mann konnte sich nun mal nicht ewig durch die Weltgeschichte vögeln, ohne dass Gott ihn niederstreckte oder tötete oder, wie in Jakes Fall, ihn mit hysterischen Frauen strafte.

»Ich habe nicht …« Jake räusperte sich und flüsterte: »In die Hose gemacht. Diese Frau hier« – er zeigte auf Char – »hat mich angegriffen.«

Die Stewardess schaute von einem zum anderen. »Womit, Sir?«

»Wasser«, antwortete Oma Nadine für Jake. »Sie hat Wasser über ihn geschüttet.«

»Ähm …« Die Stewardess trat nervös von einem Fuß auf den anderen. »Sir, wollen Sie, ähm … sozusagen … wollen Sie sie anzeigen?«

»Bei wem denn?« Char lachte. »Beim Sky Marshal? Was soll der denn unternehmen? Mich tasern, weil ich dem Kerl hier Wasser auf den Lieblingsteil seiner Anatomie geschüttet habe?« Sie zeigte mit dem Finger auf ihn und lachte erneut. »Mal im Ernst! Ist ja nicht so, als hätte ich ›Bombe‹ gesagt.«

»O verdammt.« Jake kniff sich in den Nasenrücken, als das Wort »Bombe« über mehrere Sitzreihen hinter ihm die Runde machte, bis schließlich alle Passagiere in Aufruhr geraten waren – wie bei einer echten Bombe.

»Ma’am!« Die Stewardess hob die Hände. »Beruhigen Sie sich. Sie müssen sich beruhigen. Haben Sie eine Bombe?«

»Was?« Char blieb der Mund offen stehen. »Wieso, zum Teufel, sollte ich denn eine Bombe haben?«

Gut. Wenigstens hatte sie so viel gesunden Menschenverstand, um nicht weiterzureden, wenn …

»Wenn ich eine Bombe hätte, wäre ich doch nicht so dumm, das laut hinauszuposaunen!«

Nur ein Scherz. Kein Verstand und keine Logik. Wie konnte er das nur vergessen? Die Rede war von Char. Die blinde Hunde adoptierte und wegen eines blöden Werbespots von Sarah McLaughlin über Tierrettung in Tränen ausbrach. Gesunder Menschenverstand war eindeutig nicht ihre Stärke.

»Ma’am! Sie müssen unbedingt leiser sprechen.« Die Stewardess winkte jemandem hinter ihr. In Sekundenschnelle tauchte ein Mann in Jeans und weißem T-Shirt auf. Okay, ihn einfach nur als Mann zu bezeichnen, wäre nicht ganz fair, da der aussah, als würde er kleine Kinder zum Frühstück verspeisen. Sogar Jake rutschte unbehaglich auf seinem Sitz herum und vermied es, ihn anzusehen.

»Sind Sie die Person, die hier von Bomben im Flugzeug redet?«, fragte der Mann.

»Was?« Char sah Jake hilfesuchend an. Und um ehrlich zu sein, wäre es wahrscheinlich das Richtige gewesen, ihr zu Hilfe zu kommen, wenn man alles recht bedachte.

Aber – immerhin hatte sie ihm Wasser auf die Hose geschüttet und dann lauthals behauptet, er hätte sich eingenässt.

Und dann war da noch die Sache in der Highschool, als sie jedem erzählt hatte, er würde nur deshalb nicht beim Sport mitmachen, weil er Angst hätte, dass dann in der Umkleide jeder sehen würde, dass er wie ein Mädchen aussah.

Also, tja, nun. Vielleicht war ihm gerade nicht so nach Samariter.

»Jake!« Char tippte ihm auf die Schulter. »Hilf mir doch mal!«

Böse grinsend wollte er etwas sagen, doch seine Großmutter presste ihm die Hand auf den Mund, bevor er irgendwas sagen konnte.

»Sie haben eine Bombe. Alle beide.« Und dann brach Oma Nadine auch noch prompt in Tränen aus.

Richtige, total echte Tränen.

Und ehe Jake es sich versah, wurde er auch schon mit Kabelbindern gefesselt und dazu noch mit Erdnüssen zwangsgefüttert, und das von einem Mann, dessen Hände größer als Jakes Gesicht waren. Denn in dem Moment, als er zu dessen Sitzreihe eskortiert wurde, klappte er beinahe zusammen. Na großartig, ein Nervenzusammenbruch. Noch etwas, das er zu den paar bestimmt schlimmsten Monaten seines Lebens zählen konnte.

Und schon gab Char irgendwelchen Unsinn von sich, dass Jake Proteine brauche. Aus irgendeinem Grund – vielleicht, weil sich der Raum um ihn herum drehte – konnte er nicht schnell genug reagieren, um klarzustellen, dass er Erdnüsse hasste.

Gegenwärtig versuchte er immer noch herauszufinden, was gruseliger war: Dass ein Mann ihn gerade tatsächlich mit etwas zwangsfütterte, das sich in etwa reimte auf »Penisse«, oder dass sich die Finger des Mannes weicher an seinen Lippen anfühlten als alles, was er je gespürt hatte. Und damit drängte sich ihm ernsthaft die Frage auf, wieso die Finger des Kerls überhaupt Jakes Lippen berührten? Und wieso war dieses Gefühl so …

Ach du Scheiße. Er krampfte die Hände um die Armlehnen. Er war doch nicht gerade dabei, das Ufer zu wechseln?

»Keine Penisse – ich meine, Erdnüsse mehr.« O verdammt.

Char spähte an dem Mann vorbei zu Jake und glotzte ihn an. »Sagtest du gerade, keine Pe…«

»Nein!« Jake zwang sich zu einem Lachen und versuchte, so weit wie möglich von dem Mann, der zwischen ihnen saß, wegzurutschen. »Ich sagte ›Erdnüsse‹.«

»Nein, hast du nicht gesagt.« Char grinste.

»Habe ich doch.«

»Hast du nicht.«

»Können wir bitte diese Dinger abnehmen?«, fragte Jake und zerrte an den Armlehnen. Doch die Kabelbinder gaben nicht nach und hinterließen dauerhafte Abdrücke auf seiner Haut. »Es ist doch nicht so, als hätten wir wirklich Bomben bei uns! Meine Großmutter ist irre, also im wörtlichen Sinn irre! Sie haben keine Ahnung, wozu sie fähig ist.«

»Der Apfel ist aber nicht weit vom Stamm gefallen«, schnaubte Char.

»Na, erlaube mal.« Jake sah sie an dem Marshal vorbei an. »Ich versuche hier gerade, uns aus einer misslichen Lage zu befreien. Du könntest wenigstens dabei helfen oder dich entschuldigen!«

»Mich entschuldigen?« Char riss die Augen auf. »Mich entschuldigen?« Mit geblähten Nasenflügeln beugte sie sich so weit hinüber, wie die Kabelbinder es zuließen, und sah Jake finster an. »Ich bin überrascht, dass du überhaupt die Bedeutung des Wortes kennst.«

Jake schnaubte. »Ich weiß, was es bedeutet, aber ich bin hier nicht der Schuldige.«

»Heilige Scheiße, am liebsten würde ich dir eine Ohrfeige verpassen, dass du …«

»Mir ›eine Ohrfeige verpassen, dass ich‹? Wer, zum Teufel, sagt denn so was? Immer noch die alte Char, große Klappe und nix dahinter. Außerdem sind dir buchstäblich die Hände gebunden. Ich kann alles sagen, was ich will, und du musst hier sitzen bleiben und es dir anhören. Tatsache ist …«

Er hielt inne und setzte Char der vollen Wirkung seines Megawatt-Filmstar-Lächelns aus. Perfekte weiße Zähne und eine Zunge, die langsam über seine Unterlippe glitt, während er sich erwartungsvoll vorbeugte. Eine verirrte dunkle Haarlocke fiel ihm über ein Auge. O verdammt, der Mann war so sexy, das war schon fast beleidigend.

»Mach das ja nicht, Jake Titus. Wage es ja nicht! Ich werde … ich werde …«

Jake gähnte. »Ich warte.«

»Ich werde …«

»Also, es war so.« Jake wandte sich an den Sky Marshal und räusperte sich, doch aus irgendeinem Grund bekam er den Hals nicht frei. Sein Mund fühlte sich plötzlich an, als würde er Baumwolle hinunterwürgen. »Thar …« Seine Zunge fühlte sich viel zu groß an. »Thar, ich …«

»O Mist!« schrie Char und rutschte auf ihrem Sitz herum. »Ähm, Jake, ähm, Mister Sky Marshal …«

»Randall. Mein Name ist Randall.« Der Mann hielt ihr die Hand hin und schmunzelte, als ihm aufging, dass Char ja immer noch mit Kabelbindern gefesselt war. Jake war komplett aus seinem Blickfeld verschwunden. Eigenartig; es war fast so, als fiele ihm das Atmen schwer? Vielleicht lag es an der Flughöhe? Er versuchte, erneut zu schlucken. Mist. Das Atmen wurde immer schwieriger. Was war da los?

»Jake!«, rief Char, diesmal lauter, und stieß den Sky Marshal neben ihm an. »Sehen Sie, Randall? Wir haben ein Problem. Sie sind etwa fünf Sekunden davon entfernt, eine Leiche am Hals zu haben.«

»Lweiche?«, krächzte Jake. Verdammter Mist, wollte Char ihn umbringen? Stürzte das Flugzeug ab? Na ja, nicht, dass er noch etwas hatte, wofür es sich zu leben lohnte, nachdem seine Großmutter ihm mit dem vorzeitigen Ende seiner Karriere gedroht hatte, wenn er sich nicht endlich am Riemen riss. Entweder Tod durch sie oder durch eine andere zornige Frau. In jeden Fall würde er eher das Risiko mit Char eingehen als mit einer verärgerten Sechsundachtzigjährigen mit genügend Lippenstift, um die Umrisse seines leblosen Körpers für die Polizei nachzuziehen.

Er konnte die Schlagzeile schon vor sich sehen: Jake Titus, Millionär, böser Junge, von seiner Familie abgeschnitten, stirbt bei Flugzeugabsturz mit Erdnusskrümeln im Gesicht. Nicht, dass jemand die Erdnusskrümel finden würde, wenn man bedachte, dass seine Leiche wahrscheinlich in Flammen aufgehen würde und … Wann war sein Leben eigentlich so deprimierend geworden?

Er schob es auf die bevorstehende Heirat seines Bruders. Seit sein Bruder Jakes bester Freundin aus Kindertagen einen Antrag gemacht hatte, war alles den Bach runtergegangen.

»Pardon?« Der Sky Marshal erstarrte und riss Jake aus dessen deprimierenden Tagtraum – oder auch Alptraum, wie man es eben betrachten mochte.

»Sehen Sie doch!« Char wies mit dem Kopf in Jakes Richtung. So sollte er nun also sterben? Durch Chars Hand – die Hand einer verschmähten Frau. Na ja, technisch gesehen durch die verstörend sanften Finger des Sky Marshals, die ihn mit Erdnüssen gefüttert hatten. Wie, zum Teufel, hatte es damit enden können, dass er die Hauptrolle in seinem eigenen TV-Melodram spielte?

»Sir, beruhigen Sie sich.« Der Sky Marshal riss die Augen auf, dann stand er auf, stieß sich dabei den Kopf an, fluchte und rannte durch den Gang. Jakes Blick folgte ihm. Verdammt, was hatte der denn für ein Problem? War er wirklich so besorgt, Jakes bevorstehendes Ableben betreffend?

»Also« – Char kniff die Augen zusammen – »bist du auf irgendwas allergisch, Jake?«

»Haha!«, krächzte er. »Ja klar. Wieso, willst du mich vergiften? Tut mir leid, Babe, ich bin ein klarer Fall von Pwerfekfion.«

Chars perfekt geformter Mund verzog sich missmutig. »Tja, das wär’s dann gewesen mit meiner Entschuldigung.«

»Wofür?« Jake richtete sich in seinem Sitzplatz auf. Vielleicht fiel ihm das Atmen ja leichter, wenn er sich etwas bewegte?

Mit einem unterdrückten Fluch zuckte Char die Schultern und wandte den Blick ab.

War es heiß hier im Flugzeug? Was, zum Teufel, passierte da gerade mit seinem Mund? Seine Hände juckten inzwischen auch viel mehr. Er schaute auf sie hinunter und erstarrte, als er seine Hände sah.

Seine sehr geschwollenen Mickymaus-Hände.

»HEILIGE CHEIFFE!« Er zerrte heftig an seinen Fesseln. »Meine Chänne, meine Chänne!«

»Zähne?« Eine Frau drehte sich um und starrte sie an.

Char nickte todernst. »Bitte entschuldigen Sie meinen Freund. Er hält sich gerade für die Zahnfee.«

Ausgewachsene Panik setzte ein, während das Atmen immer schwieriger wurde. War das eine allergische Reaktion, oder drehte er nur gerade durch? Etwas Derartiges war ihm noch nie zuvor passiert. Er schaute den Gang entlang und sah, dass seine Großmutter auf ihn zukam und dabei irgendeinen Gegenstand in der Hand hielt. Großartig. Gleich würde er von seiner eigenen Großmutter erdolcht werden. Würde er denn nie einen normalen Flug erleben?

»Keine Sorge, Jake!« Oma Nadine zeigte auf ihn und nickte. »Oma hat das hier.« Sie hob die Hand hoch in die Luft, und Jake schloss die Augen. Vielleicht war das nur ein böser Traum? Vielleicht war er gar nicht wirklich mit Kabelbindern gefesselt, und vielleicht hatte er nur einen Nervenzusammenbruch und …

»Verdammte Cheiffe!«, jaulte Jake auf, als Oma Nadine ihm eine Nadel durch die Jeans direkt in den Oberschenkel rammte. Also, wenn er nicht starb, würde er ganz bestimmt vor Schmerz ohnmächtig werden. So viele Dinge, auf die er sich freuen konnte.

Als der Druck nachließ und die Nadel wieder verschwunden war – Gott sei Dank –, öffnete er erst das eine Auge, dann das andere und sah Oma Nadine vor sich stehen, mit etwas in der Hand, das man nur als Folterinstrument bezeichnen konnte.

»Er war als kleiner Junge dagegen allergisch. Ich frage mich, ob es vielleicht der Stress war …« Dann wandte sie sich an Char. »Danke sehr, meine Liebe. Ich weiß nicht, was wir gemacht hätten, wenn Sie nicht Randall hier gesagt hätten, dass Jake kurz davor war, zu sterben.«

»Sie sind eine Heldin, Ma’am.« Randalls Unterlippe zitterte, als er nickte und dann zu Boden sah.

Ihr wollt mich doch verarschen.

Alle schauten auf Jake.

Er hätte schwören können, dass sich um ihn herum im Flugzeug Grabesstille ausbreitete. Um fair zu sein, eine kurze Grabesstille, nachdem der Flug von Portland nach Seattle weniger als eine Stunde dauerte.

»Jake.« Oma Nadine seufzte. »Gibt es denn gar nichts, was du Char sagen möchtest?«

Du bist verrückt? Du hast mich fast umgebracht? Ich will dich erwürgen? Grummelnd drehte er sich zu ihr, um sie anzusehen – wirklich anzusehen. Verdammt, sie war immer noch irritierend wunderschön. Er konnte beinahe ihr seidiges Haar fühlen, als gleite es gerade durch seine Finger. Und dieser Mund? Genug, um jeden Mann alles andere vergessen zu lassen. Sogar in seiner gegenwärtigen Verfassung wollte er ihre Lippen berühren und …

Wo, zum Teufel, kam das denn jetzt her?

Muss die allergische Reaktion sein.

Langes walnussbraunes Haar fiel ihr in Wellen über die Schultern. Ihre blauen Augen wurden ein klein wenig größer, als sein Blick auf ihre vollen rosigen Lippen fiel. Nur dass sie nicht vor Besorgnis geweitet waren; im Gegenteil, sie versuchte, nicht zu lachen.

»Nein.« Jake sah sie finster an. »Ich denke, sie weiß genau, welche Gefühle ich in Bezug auf sie habe.«

Chars spöttisches Grinsen verschwand, und ihr Blick wurde eisig. »Da hat er recht.« Sie sah wieder Oma Nadine an. »Er hat alles gesagt, was er zu sagen hatte, als er damals mit mir schlief und danach eine Notiz auf meinem Kissen zurückließ, auf der ›Danke‹ stand. Ist es nicht so, Jake?«

Er hätte die Ohrfeige kommen sehen müssen. Aber, um fair zu sein, er war immer noch geschockt darüber, dass Char im Angesicht Gottes und aller anderen schmutzige Wäsche wusch.

Also tat er das, was jeder Mann tun würde, als er den Luftzug an seinem Ohr fühlte: Er duckte sich. Zu schade, dass seine Großmutter nicht so schnell aufgab.

Der zweite Schlag traf ihn mit der Rückhand und brannte wie Hölle.

»Ich habe dich doch besser erzogen!« Oma Nadine hielt ihm den Zeigefinger vors Gesicht und schüttelte den Kopf.

Ärgerlich zog sie ihren Blazer glatt, befahl Randall, dem rührseligen Sky Marshal, Char loszumachen, und erklärte, dass das Problem nicht bei ihr, sondern bei Jake liege. Jake fühlte sich ungerecht behandelt und fing an, den Sky Marshal anzubrüllen, dass Char im Flugzeug das Wort »Bombe« ausgesprochen hätte – nur, um sich durch die Wiederholung desselben noch mehr in Schwierigkeiten zu bringen.

Doch den letzten Sargnagel lieferte Oma Nadine, als sie Randall in die Augen sah und sagte: »Sie hat ihm das Leben gerettet.«

Die nächste Stunde war die längste seines Lebens.

Das Atmen fiel ihm schwer. Sein Gesicht war wahrscheinlich immer noch geschwollen, von der allergischen Reaktion und von Oma Nadines Ohrfeige. Noch nie hatte er sich so wenig wie ein Mann gefühlt. Und das war allein Chars Schuld.

[home]

Kapitel 4

Jakes Blick brannte ihr buchstäblich ein Loch in den Hinterkopf. Zum Glück für sie sah Jake immer noch verquollen und verschwitzt aus, wenn sie sich umdrehte – ein Anblick, der die Allzeit-bereit-Haltung, die sie immer mit ihm verbunden hatte, total ruinierte.

Sie winkte ihm zu.

Seine Augen wurden schmal, und er rüttelte erneut an seinem Sitz. Char seufzte und drehte sich nach rechts, um Beth selig schlummernd auf ihrem Platz zu sehen. Hatte sie wirklich das ganze Drama verpasst? Die. Schlechteste. Schwester. Von. Allen.

»Mehr Wein.« Oma Nadine reichte Char ihren leeren Becher. Was, zum Henker, sollte sie denn damit anfangen?

Wie aus dem Nichts tauchte eine Stewardess auf und füllte den Becher bis zum Rand. Wie schaffte eine Person es nur, auf einem so kurzen Flug einen derart guten Service zu bekommen? Sie saßen ja nicht einmal in der ersten Klasse!

Wortlos nahm Oma Nadine den Becher aus Chars Hand und trank einen tiefen Schluck. Ihr roter Lippenstift bedeckte jeden Quadratzentimeter des Randes und kennzeichnete damit den Plastikbecher als ihren und ganz allein ihren. Ehrlich, an diesem Ding haftete mehr Lippenstift, als die meisten Mitarbeiterinnen von Avon auf den Lippen hatten.

»Also, Char, ich weiß, Jake ist ein Mistkerl …«

Char schnaubte. Oma Nadine dürfte gern jeden Tag mit ihr zusammen fliegen.

»Aber« – Oma Nadine nippte wieder an ihrem Wein – »er ist mein Mistkerl.«

Char verschluckte sich an ihrem Lachen.

»Nun, Moment …« Oma Nadine seufzte schwer. »Nicht mein Mistkerl im Sinne von mein Mistkerl. Er ist schon sein eigener Mistkerl. Er kriegt das hin, ganz ehrlich. Ich habe ihn zu sehr verhätschelt, als er noch ein Kind war. Er hatte Angst vor allem und jedem, weißt du.«

»Oh?« Char tat unbeteiligt, während ihr das Herz in der Brust hämmerte, wegen dem, was Oma Nadine erzählte. »Das wusste ich gar nicht.«

»Oh, Schätzchen!« Oma Nadine lachte. »Als Kind hatte er Angst vor seinem eigenen Schatten! Er hat die ersten sechs Jahre seines Lebens bei seinen Eltern geschlafen!«

Die armen Eltern.

»Auf jeden Fall …« Oma Nadine nippte noch einmal an ihrem Wein. Der Schmuck an ihrem Handgelenk klimperte, als sie beim Weitersprechen mit der Hand wedelte. »Es ist meine Aufgabe, und mein Fluch, ihm unter die Arme zu greifen. Ihm auf den Weg zu helfen und ihn zu dem Mann zu machen, der er sein sollte, bevor es zu spät ist.«

Char wurde das Herz schwer, als sie flüsterte: »Werden Sie denn bald sterben?«

»Ich?« Oma Nadine lachte. »Oh, Schätzchen, Gott will mich noch nicht bei sich haben. Hat er mir erst heute Morgen mitgeteilt.«

Oma Nadine redete also mit Gott. Ob das wohl hieß, dass sie auch versuchte, Jakes Seele zu retten?

»Also …« Char atmete tief durch und wischte sich die Hand an ihrer Jeans ab. »Wie sieht der Plan aus?«

»Oh.« Oma Nadine leerte ihren Becher wie ein Rockstar und gab ihn Char zurück. »Das ist einfach. Den Geldhahn habe ich ihm schon zugedreht. Er hat nur noch das Geld in seinem Treuhandfonds. Außerdem habe ich ihn gefeuert. Auch wenn er das noch nicht weiß.«

»Ähm.«

»Wie süß.« Oma Nadine tätschelte Char am Bein. »Du bist besorgt um ihn, das sehe ich. Keine Sorge, er wird wieder auf den Füßen landen. Ist immer so bei Mistkerlen.« Sie hielt inne. »Oder waren es Katzen?« Sie schüttelte den Kopf und tippte sich mit dem Finger ans Kinn. »Auf jeden Fall … wird alles gut für ihn.«

»Dann machen Sie ihn also zu seinem eigenen Besten fertig?«, fragte Char.

»Absolut.« Oma Nadine beugte sich zu ihr, wobei ihre Oberweite teilweise aus dem tiefen V-Ausschnitt schaute. Wie schaffte sie es nur, ihren Körper derart in Form zu halten? Im Ernst, Oma Nadine könnte ihre umwerfende Art als Marke verkaufen, und die Leute würden sich darum reißen.

»Jeder, und damit meine ich, jeder« – Oma Nadine lächelte und legte eine perfekt manikürte Hand auf Chars Arm – »verdient einen guten Ruin. Da bleibt man dankbar. Ich werde ihn ruinieren, und am Ende wird er zu einem dankbaren, glücklichen, erfüllten und …« Sie blickte sich um. »Nicht hässlicher als die Sünde – o du lieber Gott, dieser Junge war mal ein hübscher Kerl. Jetzt schmiert er sich dieses Zeug in die Haare und lässt sich kosmetische Gesichtsbehandlungen machen und …« Oma Nadine zuckte mit den Schultern. »Ruin und Schmutz. Er wird beides bekommen. Wenn ich mit ihm fertig bin, wird er gar nicht wissen, wie ihm geschieht. Und wenn das nicht hilft« – Char konnte nur fasziniert abwarten, welche Perlen der Weisheit als Nächstes aus Oma Nadines Mund kommen würden – »dann bleibt immer noch das Priesterseminar.«

»Sie würden ihn in ein Priesterseminar schicken?«

»Absolut nicht!« Oma Nadine sah gekränkt aus, als sie sich die Hand auf die Brust presste. »Er würde mir anbieten, dorthin zu gehen, um mich zu besänftigen und wieder in meiner Gunst zu steigen – und in der Gottes. Den darf er nicht vergessen. Jake hat Gott nun schon jahrelang verärgert, mit seiner Herumhurerei, du meine Güte …«

»Ähm, ich denke nicht, dass man ›herumhuren‹ und ›Gott‹ im selben Satz verwenden sollte.«

»Ach was.« Oma Nadine winkte ab. »Bin ich müde. Ich gönne meinen Augen jetzt noch etwas Ruhe. Gute Nacht.«

Offenbar war die Unterhaltung damit beendet. Entweder das, oder die drei Gläser Wein hatten die alte Dame umgehauen. Nur wenige Sekunden, und sie schnarchte. Zwanzig Minuten später landete das Flugzeug, und der sonderbarste und entsetzlichste Flug in Chars ganzem Leben hatte ein Ende.

 

Kaum war das ›BITTE ANSCHNALLEN‹-Zeichen ausgegangen, schoss Char von ihrem Sitzplatz hoch. Oma Nadine erwachte mit einem Ruck und gähnte.

»Schon da?«

»Ja.« Char mochte nicht unhöflich sein, aber sie wollte diesen Alptraum nur noch hinter sich bringen. So schnell wie möglich ging sie zu ihrem Sitzplatz zurück, wo Beth geduldig auf sie wartete.

»Wir müssen gehen, jetzt sofort!«, befahl Char ihrer Schwester. »Schnapp dir deine Sachen. Oma Nadine soll nicht denken …«

»Char«, rief da eine vertraute weibliche Stimme, »Char! Ich brauche Hilfe!«

In Panik arbeitete Char sich durch bis an Oma Nadines Seite – buchstäblich über Sitze. Die alte Dame saß geduldig auf ihrem Platz.

»Ja? Ist etwas mit Ihrem Herzen? Ist Ihnen unwohl? Sind Sie …«

»Mein Gepäck ist schwer, und ich glaube, ich habe tatsächlich zu viel Wein getrunken.«

Jahrhundertschock. Als Char das letzte Mal so viel Wein innerhalb von zwanzig Minuten getrunken hatte, hatte sie sich mit dem Gesicht nach unten auf einem Hundebett neben einem Labrador namens Lucifer wiedergefunden, der es sich ganz bestimmt die ganze Nacht lang mit ihr bequem gemacht hatte, falls die Haare in ihrem Mund irgendein Anhaltspunkt waren.

»Ich soll es tragen?« Oma Nadine schenkte ihr ein so liebreizendes Lächeln, dass Char keine andere Wahl hatte, als ihrer Bitte nachzukommen. Und so fand sie sich eine Stunde später bei der Gepäckausgabe wieder, mit Beth, Oma Nadine und einem verquollenen Jake im Schlepptau.

[home]

Kapitel 5

Die Sonnenbrille war keine Hilfe. Jake wankte zur Gepäckausgabe und versuchte dabei, so gut er konnte, seinen Blick auf das Laufband zu konzentrieren; sobald er sein Gepäck hätte, würde er abhauen. Oma war eine erwachsene Frau. Sie konnte sich ihr verdammtes Hotel selbst suchen, und wenn er sich noch einmal mit Char auseinandersetzen musste, würde er entweder den Verstand verlieren oder etwas Verrücktes tun – wie auf ihre Lippen starren oder sie erwürgen. Was davon, war im Augenblick noch ungewiss.

»Jake«, rief Oma Nadine ihm zu, »Jake, hast du meinen Koffer schon gefunden?«

»Nein«, stieß er hervor, »liegt wahrscheinlich daran, dass ich nicht danach Ausschau halte, sondern nach meinem eigenen Koffer. Du kannst dir deine Koffer suchen und dann in das nette kleine Hotel in der Innenstadt von Seattle gehen, das du so magst.«

Oma Nadine nahm seine Hand und drückte sie. »Oh, ich habe schon eine Unterkunft!«

»Fantastisch.«

Sie ließ seine Hand wieder los und holte ihr Handy aus der Tasche. »Ja, nur die eine Limo, bitte. Perfekt. Ja, zwei Passagiere.«

Dann winkte sie Char und noch einem Mädchen. Char ignorierte ihn völlig, was ihm nur recht war. Er wollte diesen Tag am liebsten komplett aus seinem Gedächtnis streichen. Jake ging zur anderen Seite der Gepäckausgabe und sah zu, wie Char und das andere Mädchen ihr Gepäck nahmen und gingen. Und tschüss. Was ihn betraf, wollte er nur noch schlafen.

Die angenehme Seite war, dass Oma ihm wenigstens eine Limo bestellt hatte. Nicht, dass er arm wäre oder so, aber von einem millionenschweren Unternehmen finanziell abgeschnitten zu sein, das warf nicht gerade ein gutes Licht auf ihn, nicht nach dem Lebensstil, den er in den letzten fünf Jahren gepflegt hatte. Er hatte auf dem College eine Party nach der anderen gefeiert, Geld ausgegeben, als gäb’s kein Morgen, und sich um nichts anderes gekümmert als um sich selbst. Wäre ihm auch weiterhin ganz recht gewesen, wenn nicht plötzlich das Geld ausgegangen wäre. Na gut, nicht ausgegangen, um fair zu sein. Er war immer noch Millionär, aber ohne seine Erbschaft von Oma würde er sich etwas einschränken müssen. Lebt wohl, Spontanflüge auf die Cayman-Inseln, Penthousesuiten und Geburtstagsfeten mit Kosten im sechsstelligen Bereich.

Eigentlich hätte er dieses Jahr die Firma übernehmen sollen.

Stattdessen war seine Großmutter urplötzlich aus dem Ruhestand zurückgekehrt, hatte wieder die volle Kontrolle im Vorstand übernommen und Jake damit zum mickrigen Vize degradiert. Ohne den Gehaltsscheck eines CEO fühlte er sich … nicht angemessen respektiert. Oder vielleicht auch nur sauer? Er war nicht sicher. Aber er brauchte unbedingt einen starken Drink und Sex, bevor er auch nur daran denken konnte, am Montagmorgen wieder zur Arbeit zu gehen. Ob Sarah vielleicht verfügbar wäre? Oder Natascha? Mit ihr war es eine Weile recht nett gewesen.

»Da ist er ja!« Oma Nadine gab Jake einen kleinen Schubs in Richtung des riesengroßen pinkfarbenen Koffers mit Leopardenmuster. »Schnell, nimm ihn!«

Ächzend hob er das Ding vom Laufband und kippte beinahe damit um. »Was, in aller Welt, hast du denn da drin?«

»Ach, du weißt schon …« Oma Nadine winkte ab. »Ein Mädchen kommt doch nicht ohne Reisekleidung und ihr Make-up aus.«

»Ah ja.« Er erspähte seinen eigenen Koffer und nahm ihn vom Band. »Also, wo ist die Limo?«

»Welche Limo?« Sie holte ihre dunkle Chanel-Sonnenbrille aus der Handtasche.

»Na, die Limo«, wiederholte Jake. Die Strapazen des Fluges ging ihm langsam echt an die Nieren. »Du hast doch gerade am Telefon gesagt, du hättest eine Limo für zwei Personen. Wo ist sie?«

»Jake, ich bin sicher, es gibt jede Menge Limos, die noch mehr als zwei Personen fassen, und um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, wo eine ist. Ich habe den Fahrer angewiesen, dass er Char und ihre Schwester fahren soll.«

»Warum, zum Teufel, das denn?«

»Weil das arme Ding völlig fertig war!« Oma Nadine stand mit offenem Mund und erhobenem Zeigefinger vor Jake. »Nach allem, was du sie hast durchmachen lassen! Man stelle sich das nur mal vor! Ein schriftliches Dankeschön? Und wofür eigentlich? Für einen Orgasmus? Ist das wirklich die Art junger Männer heutzutage?« Oma Nadine schaute ihn finster an. »Das arme Ding erinnert sich nicht einmal mehr an den Sex mit dir. Ich würde sagen, du hast deinen Biss verloren – wobei ich bezweifle, dass du überhaupt je welchen hattest.«

»Was?«, rief Jake. »Was redest du da? Ich kann jede heißmachen, jederzeit! Ich bin verdammt gut darin, Orgasmen zu bescheren!«

Um ihn herum wurde gekichert, während Oma Nadine ihn gönnerhaft am Arm tätschelte. »Natürlich bist du das, mein Lieber.« Sie formte mit den Lippen lautlos »Sorry« an die Leute hinter ihnen gewandt und hakte sich bei ihm unter.

Was, zum …? Char erinnerte sich nicht an den Sex mit ihm? Überhaupt nicht? Im Ernst? War sie übergeschnappt? Er erinnerte sich an jedes einzelne Detail. Angefangen mit ihrem weichen Haar, das leicht nach Lavendel duftete, bis hin zu den leisen Lauten, die sie unter seinen Küssen von sich gegeben hatte. Und dann ihr Aroma … Verdammt, ein Mann konnte niemals vergessen, wie eine Frau schmeckte, und alles an Char war einzigartig und ganz unverfälscht gewesen. Er hatte Monate gebraucht, um zu vergessen, wie sie schmeckte, wie sie die Hände in die Laken gekrallt und dann Jake mit genau diesen sündigen Händen berührt hatte …

»Ich weiß genau, wie du dich fühlst«, flüsterte Oma Nadine ihm ins Ohr. »Ich werde auch immer ein wenig spitz, wenn ich fliege. Du wirst es verkraften. Also, können wir jetzt bitte gehen, bevor die Leute noch sehen, wie sehr dich die Aufregung eines Flughafens anmacht? Ist ja schon schlimm genug, dass du das Wort ›Orgasmus‹ so laut gebrüllt hast. Der Allmächtige weiß, dass ich heute genügend Geduld mit dir bewiesen habe.«

»Was?«

»Jake, eine Großmutter weiß Bescheid. Ist schon gut. Tja, als ich in deinem Alter war …« Sie kicherte. »Einmal sind dein Großvater und ich auf die Flugzeugtoilette gegangen – damals waren die noch kleiner, weißt du –, nun ja, ich hatte rote Schuhe mit hohen Absätzen an und die verschafften mir genau die richtige Höhe für …«

»Oma, bitte, ich flehe dich an, erzähl mir bitte nicht, wofür. Es ist so schon schlimm genug, dass meine Fantasie Purzelbäume schlägt. Ich … brauche einfach nur Ruhe, ein wenig Schlaf vor der Arbeit, okay? Bringen wir dich zu deiner Unterkunft, wo auch immer das ist, damit ich nach Hause kann.«

Oma Nadine zuckte mit den Schultern und schwebte mit ihm zum Ausgang. Dort hob sie die Hand, um ein Taxi zu rufen, und gab dem Fahrer Anweisung, während Jake dabei half, das Gepäck hinten einzuladen.

Als das Taxi die Interstate 5 erreichte, entspannte er sich endlich. Grandma saß schweigend neben ihm, den Blick auf die Stadt gerichtet. Jake wusste, dass Seattle ihr die liebste Stadt der Welt war. Und das aus gutem Grund. Die Luft war frisch, und die geschäftige Großstadt war umgeben von Wald.

Plötzlich traf ihn die Erkenntnis: Wann hatte er sich eigentlich das letzte Mal Zeit genommen, um nur mal ein wenig spazieren zu gehen oder die Stadt zu genießen, in der er lebte? Die Antwort war: niemals. Mist, er brauchte Urlaub.

Innerhalb von zehn Minuten war Oma Nadine eingeschlafen. Wenigstens hatte sie aufgehört, Obszönitäten herumzuschreien. Bei seinem Glück würde sie noch mal mit der Geschichte von ihren roten Absätzen oder von Orgasmen anfangen. O Gott. Er würde rote Absätze nie wieder mit denselben Augen sehen.

Er ging seine SMS durch. Ein paar von Aileen, in denen Wörter falsch geschrieben waren, die eigentlich jede Person ihres Alters richtig schreiben können sollte. Wenn eine Frau schon Probleme hatte, eine SMS korrekt zu schreiben, dann war sie vielleicht nicht das richtige Material für seine Partnersuche. Nicht, dass er Oma je erzählen würde, dass sie recht hatte, denn dann würde sie ihm das für den Rest seines Lebens vorhalten.

Die letzte SMS war von Travis.

Hochzeit vorverlegt. Keine Wartezeit. Kacey und Mom nicht aufzuhalten. Sei bereit in zwei Wochen, Trauzeuge!

»Scheiße!« Jake knallte das Handy auf den Sitz und fluchte noch einmal.

Oma Nadine rührte sich, wachte aber nicht auf.

Wie sollte er Kacey und Travis nach allem gegenübertreten? Er und Kacey waren beste Freunde gewesen, sein ganzes Leben lang, und dann … war alles anders gewesen; er hatte sich verändert, und sie sich auch. Menschen veränderten sich nun mal, richtig? Es war doch normal, sich weiterzuentwickeln! Es war normal, dass Freunde sich auseinanderlebten. Aber es war nicht normal, mit einer Freundin zu schlafen und sie danach sitzenzulassen. Jake hatte eindeutig ein Problem mit Verpflichtungen. Er hasste das Gequengel der Frauen am nächsten Morgen. Sie waren wie Todesfallen, die man nicht mehr loswurde. Beine um ihn geschlungen, Lippen auf seinem Rücken – o nein. Er hasste es. Er wollte nur diesen einen Moment. Und mehr wollte er auch nicht geben.

Denn am Ende, wenn man mehr gab, dann wurde man verlassen, so wie Kacey von ihren Eltern verlassen worden war. Sie waren in der Nacht gestorben, in der er Kacey entjungfert hatte. Er hatte nie die Chance gehabt, sich bei ihnen dafür zu entschuldigen, dass er ihre Tochter mit so wenig Respekt behandelt hatte. Aber was noch schlimmer war – er war nie in der Lage gewesen, sich von den beiden Menschen zu verabschieden, denen er alles auf der Welt verdankte. Die einzigen zwei Menschen im ganzen Universum, die wussten, was er damals in der Highschool getan hatte – sie hatten sein Leben gerettet. Und jetzt … jetzt waren sie nicht mehr da.

Der Gedanke, zu der Hochzeit gehen zu müssen, hinterließ einen schlechten Geschmack in seinem Mund. Kacey hatte keinen Vater, der sie zum Traualtar führte, und sie verdiente das doch mehr als jede andere. Der schlimmste Teil war, dass Jake ganz zufrieden mit seinem Leben gewesen war, bis er dann irrigerweise Kacey gebeten hatte, für ein Wochenende seine angebliche Verlobte zu spielen. Er hatte nie erwartet, dass sie ihm so nahe kommen würde. Aber dass Kacey sich dann in seinen älteren Bruder verliebt hatte, war der Todesstoß für seinen Stolz gewesen. Derselbe ältere Bruder, der als Kind gestottert und mit Steinen nach ihr geworfen hatte. War das etwa fair?

Bis zur Hochzeit wollte er seinen Mist geregelt kriegen. Er musste. Immerhin, äußerer Schein und Geld … Mal ehrlich, das waren doch die einzigen zwei Dinge, die er hatte. Er wusste, dass er es nicht verdiente, von jemandem geliebt zu werden, und er bat auch nie darum. Er hoffte einfach nur, dass seine falsche Sicherheit lange genug anhielt, um ihn mitsamt seinen Pflichten als Trauzeuge durch die nächsten zwei Wochen zu bringen.

Mist. Jetzt musste er wieder von vorn anfangen und ein Mädchen finden, das bereit war, ihn zu der Hochzeit zu begleiten. Den geschmackvoll formulierten Textmeldungen von Aileen nach zu urteilen, war sie raus aus dem Spiel. Und ihre Vorgängerin hatte ihn an Kacey erinnert, also war die auch nichts.

Er fühlte einen Anflug von Kopfschmerzen, ignorierte sie aber, während das Taxi die nächste Ausfahrt nahm: nach Lake Washington. Seine Ausfahrt. Er zuckte mit den Schultern; vielleicht wurde Oma nach ihm abgesetzt.

Sobald das Taxi vor Jakes Haus am See anhielt, stieg er aus, schnappte sich sein Gepäck und wandte sich zur Tür. Es wäre nicht nett, Oma jetzt zu wecken. Immerhin schlief sie tief.

Machte ihn das zu einem schlechten Menschen? Es war ja nicht so, als würde der Taxifahrer sie umbringen oder so. Wer würde schließlich eine nette alte Dame umbringen, der der Speichel aus dem Mundwinkel lief …

»Ta, ta! Danke sehr!«, rief Oma Nadine laut.

Jake schickte zum ersten Mal im Leben ein Gebet gen Himmel, als er sich umdrehte und seine Großmutter sah, die, ihr Gepäck im Schlepptau, dem davonfahrenden Taxi nachwinkte.

Gerade als er den Mund aufmachen wollte, verkündete sie: »Kümmere dich um mein Gepäck! Ich bin müde. Wo ist mein Handy? Hast du mein Handy gesehen, Jake?« Sie kramte in ihrer riesigen Handtasche herum und holte schließlich das iPhone mit Zebracover heraus.

Nein. Zur Hölle, nein! Sie wollte bei ihm wohnen? Für wie lange? Bitte, lieber Gott, nicht bis zur Hochzeit, nicht …

»O du lieber Himmel! Die Hochzeit ist in zwei Wochen. Da haben wir ja jede Menge Zeit!«

»Zeit?« Gott war dabei, ihn zu strafen; entweder das, oder Oma war besessen. Eines von beiden musste es sein.

»Ja.« Oma Nadines Lächeln wurde sanfter, als sie nach Jakes Hand griff und einen Kuss darauf drückte. »Zeit, um dich zu ruinieren.«

»Ruinieren?« Jake schmunzelte und zog seine Hand zurück. »Ich würde es vorziehen, ähm … unruiniert zu bleiben. Aber danke trotzdem.«

»Ganz wie du willst.« Oma Nadine zuckte mit den Schultern. »Ach, und Jake?«

»Was?«, brummte er und trug ihren schweren Koffer zur Treppe.

»Du bist gefeuert.«

Ihm fiel der Koffer aus den Händen. Schwarze Punkte tauchten vor seinen Augen auf, als er echote: »Gefeuert?«