Gebrauchsanweisung für Ihren Arzt - Gunter Frank - E-Book

Gebrauchsanweisung für Ihren Arzt E-Book

Gunter Frank

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Beschreibung

Behandeln Sie Ihren Arzt schon richtig?
Dieses Buch macht Patienten stark.


Jeden Tag werden unzählige falsche Diagnosen gestellt, werden Patienten übertherapiert oder ohne erwiesenen Nutzen behandelt. Das erschüttert das Vertrauen in die Medizin insgesamt. Aber was kann der Einzelne tun?

Der Heidelberger Arzt und Bestsellerautor Gunter Frank stellt das erste wirkungsvolle Konzept zur Stärkung der Patienten vor. Mit Checklisten und Praxis-Teil:

Weiß ich genug über meine Behandlung?

Wie werde ich ein selbstbewusster Patient?

Welche Therapie ist gut für mich?

Wie kann ich mich vor gefährlichen Übertherapien schützen?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Dr.med.Gunter Frank

Gebrauchsanweisung für Ihren Arzt

Was Patienten wissen müssen

Knaus

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Copyright © der Originalausgabe 2014beim Albrecht Knaus Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.Lektorat: Susanne WarmuthGesetzt aus der Rotation von Buch-Werkstatt GmbH, Bad AiblingISBN 978-3-641-12383-3V002
www.knaus-verlag.dewww.penguinrandomhouse.de

Für meine Eltern

Inhalt

I. Einleitung

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt … aber richtig!

II. Faktencheck

Wie Sie den allgemeinen Nutzen einer medizinischen Empfehlung überprüfen können

Checkliste, Teil 1: Fragen zum Nutzen einer medizinischen Empfehlung

Punkt 1:Wie ist der natürliche Verlauf meiner Erkrankung ohne Therapie?

Punkt 2:Hat die vorgeschlagene Therapie nachweislich Vorteile gegenüber einer Nichtbehandlung?

Punkt 3:Worin besteht der Vorteil der empfohlenen Maßnahme konkret?

Punkt 4:Hat die empfohlene Maßnahme Nachteile (Nebenwirkungen) und was bedeuten sie für mich?

Punkt 5:Gibt es andere Vorgehensweisen und Studien, die deren Nutzen geprüft haben?

Fakten und die Qualität von Information

Wie Sie die Qualität der Information beurteilen können

Checkliste, Teil 2: Fragen zur Qualität der erhaltenen Antworten

Punkt 6:Welche Qualität haben die Studien, mit denen die Empfehlung begründet wird?

Punkt 7:Werden die Studienergebnisse in relativen oder absoluten Zahlen wiedergegeben?

Punkt 8:Wie viele Patienten müssen behandelt werden, damit bei einem die gewünschte Wirkung oder eine schwere Nebenwirkung eintritt?

Punkt 9:Gibt es eine Bilder- oder eine Faktenbox, die Vor- und Nachteile einer Therapie übersichtlich und verständlich darstellt?

Punkt 10:Wer hat die Studie finanziert?

Die persönliche Checkliste

Faktencheck: Wunsch und Wirklichkeit

III. Faustregeln

Wie Sie den Nutzen einer medizinischen Empfehlung für sich selbst einschätzen können

Wie Herz und Hirn zusammenhängen

Intuition und Erfahrungswissen in der Medizin

Faustregeln: das Bauchgefühl in Worte gefasst

IV. Das Ziel

Aufbau einer partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Beziehung

Warum Ärzte und Patienten ihre Beziehung neu regeln müssen

Die Zukunft gehört der partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Beziehung

V. Patiententraining

Wie Sie sich auf Ihre neue Patientenrolle vorbereiten können

Macher, Zauderer oder reflektierter Entscheider: Welcher Patiententyp sind Sie?

Wenn-dann-Pläne: Damit Sie in schwierigen Situationen standhaft bleiben

Meine persönliche Gebrauchsanweisung

VI. Aufbruch

Das Jahrhundert der Patienten

Ein System im Burnout

Das Verkrankungssystem

Das Jahrhundert der Patienten

ANHANG

Workshop

Wie Sie das erwünschte Patientenverhalten mit Hilfe des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM®) erfolgreich umsetzen

Quellenverzeichnis

Workshop

Weiterführende Links

Dank

Sachregister

I. Einleitung

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt… aber richtig!

Versetzen Sie sich in eine der folgenden Situationen:

Sie sind bei Ihrem Hausarzt. Der misst den Blutdruck und sagt: Oh, Ihr Blutdruck ist viel zu hoch! Das ist gefährlich, das kann zu Herzinfarkt führen. Dann verschreibt er Ihnen blutdrucksenkende Medikamente.

Nehmen Sie diese Tabletten ein?

Oder: Sie sitzen in der Sprechstunde, und Ihr Arzt fragt Sie: Haben Sie eigentlich eine Zecken-Impfung? Er sagt, dass diese Impfung sicher vor FSME, einer bestimmten Form von Gehirnhautentzündung, schützt. Und die Gefahr, ohne Impfung daran zu erkranken, habe sich im letzten Jahr verdoppelt.

Lassen Sie sich impfen?

Oder: Ihr Arzt empfiehlt Ihnen eine bestimmte Krebsvorsorgeuntersuchung. Durch die Vorsorgeuntersuchung, sagt er, sinke das Risiko, an diesem Krebs zu sterben, um 25 Prozent.

Gehen Sie zu der Vorsorgeuntersuchung?

Oder: Sie haben starke Kopfschmerzen und gehen zum Arzt. Nach einem kurzen Gespräch empfiehlt er, ein Computertomogramm (CT) der Nasennebenhöhlen machen zu lassen, um herauszufinden, ob sie vereitert sind.

Lassen Sie die Untersuchung machen?

Oder: Sie erfahren, dass Sie an Krebs erkrankt sind. Ihr Arzt schlägt Ihnen eine Chemotherapie vor. Sie fragen, wie erfolgreich diese Therapie ist. Die Antwort lautet, dass sie Ihre Überlebenschance um 20 Prozent verbessert.

Entscheiden Sie sich für diese Therapie?

Was hätten Sie im Einzelfall getan? Und warum?Wären Sie der Empfehlung Ihres Arztes gefolgt?Weil er immer so nett ist? Weil er Sie so streng angesehen hat? Weil er es als Studierter ja schließlich wissen muss? Weil er sich auf Zahlen beruft (und Zahlen lügen bekanntlich nicht)? Egal wie, in keinem dieser Beispiele ist eine solide Grundlage für eine gute Entscheidung gegeben! Die angeführten Prozentzahlen sind sogar irreführend. Doch Sie brauchen unbedingt eine verlässliche Entscheidungsgrundlage– schließlich geht es um IHRE Gesundheit!

Die moderne Medizin und ihre Schattenseiten

In Deutschland gibt es inzwischen Millionen Patienten, die völlig unnötigerweise Tabletten einnehmen: Cholesterinsenker, Gerinnungshemmer, Medikamente gegen Diabetes und Bluthochdruck und vieles andere mehr. Hunderttausende unterziehen sich jedes Jahr sinnlosen Kniespiegelungen, Biopsien (operativen Gewebsentnahmen) oder anderen überflüssigen Operationen. Oder sie erhalten Chemotherapien, deren Sinn mit keiner seriösen Studie belegt ist– um nur einige Beispiele zu nennen. Alle diese Patienten haben keinen Nutzen von diesen Untersuchungen und Therapien zu erwarten, Nebenwirkungen jedoch sehr wohl. Und die können von Schmerzen, Konzentrationsstörungen, Verdauungsproblemen, Blut-, Leber- und Nierenkrankheiten bis hin zum Auslösen einer Krebserkrankung reichen. Hunderttausende werden deshalb jährlich in Krankenhäuser eingewiesen. Geht man von seriösen Schätzungen aus, dann sterben in Deutschland pro Jahr mehrere Zehntausend Menschen durch unnötig verordnete Medizin, und es gibtAutoren, die diese Zahlen noch weit höher ansetzen.

Wenn Sie sich allein auf der Basis der gerade geschilderten Patientensituationen für die von Ihrem Arzt vorgeschlagenen Maßnahmen entscheiden, dann ist die Gefahr groß, dass Sie ebenfalls zu dieser unaufhaltsam wachsenden Patientengruppe gehören werden. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich lehne die moderne Medizin keineswegs ab, ganz im Gegenteil, ich bin froh, dass wir sie haben! In den letzten 200 Jahren konnten durch sie zahllose Krankheiten geheilt oder gelindert werden, denen die Menschen davor mehr oder weniger hilflos ausgeliefert waren. Doch die moderne Medizin hat auch ihre Schattenseiten. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass sich Übertherapien und Nebenwirkungen nie ganz vermeiden lassen. Selbst dann nicht, wenn sich alle Beteiligten redlich bemühen. Wenn man zum Beispiel neue Verfahren testen möchte, muss man auch in Kauf nehmen, dass sie schaden könnten.Allerdings haben sich diese Nachteile in der heutigen Medizin in einem Maß verselbstständigt, das sich durch nichts rechtfertigen lässt. Sie werden nicht mehr hingenommen, um auf diesem Weg Neues und Besseres zu finden, sondern einzig aus dem Grund, hohe Gewinne zu erzielen und Karrieren zu ermöglichen.

Wenn die Medizin Menschen krank macht

Bei älteren Patienten, die neu in meine Sprechstunde kommen, beobachte ich häufig, dass sie jeden Tag viele verschiedene Tabletten einnehmen, obwohl sie ihnen nicht guttun. Die völlig gesunde 70-jährige Frau zum Beispiel, die Diabetesmedikamente verordnet bekam, weshalb sie nun anVerdauungsbeschwerden leidet und dem Risiko ausgesetzt ist, nachts an einer von diesen Medikamenten verursachten Unterzuckerung zu sterben. Oder der 80-jährige Herr, der all seine Vitalität eingebüßt hat und mit seinem Leben nicht mehr zurechtkommt, weil sein Blutdruck durch Medikamente viel zu tief abgesenkt wurde. Oder die (nicht wenigen) 50-Jährigen, bei denen die verordneten Cholesterinsenker Muskelschmerzen verursachen, die nicht als typische Nebenwirkung erkannt werden. Mit der Folge, dass diese Patienten eine Odyssee zu Orthopäden und Neurologen– mit allen möglichen Zusatzdiagnosen und Untersuchungen– unternehmen, ohne Besserung zu erfahren. Und das alles nur, weil die Normwerte für Cholesterin (wie die für Blutzucker oder Blutdruck auch) seit Jahrzehnten immer wieder ohne seriöse medizinische Begründung gesenkt werden, um die Umsätze der Hersteller zu vervielfachen.

Immer häufiger kommen aber auch junge Patienten in meine Sprechstunde, die wegen ganz normaler Befindlichkeitsstörungen (Kopfschmerzen, Herzrasen oderVerdauungsbeschwerden) unverhältnismäßig aufwendige Untersuchungen, wie zum Beispiel Magen- und Darmspiegelungen oder CT-Untersuchungen, über sich ergehen lassen mussten. Dadurch erhalten sie oft eine Diagnose, inklusive der damit verbundenen Kontrolluntersuchungen, die aber in Wahrheit überhaupt keine Krankheitsbedeutung hat, sondern lediglich Ausdruck einer ganz normalen Streuung menschlicher Körpereigenschaften ist. Ich bin dazu übergegangen, meine Patienten nicht mehr in bestimmte Facharztpraxen oder Abteilungen der Universitätsklinik zu überweisen, weil dort ständig unreflektiert Verfahren angewendet werden– ob Kontrollherzkatheter oder aufwendige Laboruntersuchungen–, obwohl sie nie auf ihren Nutzen hin überprüft wurden.

Mit meinen Patienten bespreche ich diese Hintergründe und Zusammenhänge, ich beruhige sie und setze für sie überflüssige Medikamente ab, worauf sich die Befindlichkeit bei vielen deutlich bessert. So verlassen nicht wenige Patienten meine Praxis als gesunde Menschen, nachdem sie vorher von der Medizin künstlich zu Kranken und Gefährdeten erklärt worden waren.

Krankheit als Wirtschaftsfaktor

Behandlungsfehler und Fehleinschätzungen gab es früher auch, heute jedoch hat sich die »Verkrankung« von Patienten als System etabliert. Durch die fortschreitende Ökonomisierung der Medizin wird es immer interessanter, Patienten nicht zu heilen, sondern möglichst viele Menschen für krank zu erklären, um sie dann in verschiedene Stadien möglichst vieler Diagnosen einstufen zu können. So passiert es immer häufiger, dass Sie als ratsuchender Patient zum Arzt gehen und dort zum Bestandteil einer medizinischen Wertschöpfungskette gemacht werden, an dem vor allem Geld verdient werden soll. Diejenigen, die in diesem System– am Patientennutzen vorbei– erfolgreich agieren, werden belohnt, die anderen gehen pleite.Als Folge wird erfolgreiche Medizin immer mehr an der Erfüllung von Businessplänen gemessen, die Interessen der Investoren werden immer wichtiger als die Bedürfnisse der Patienten.

Dies alles führt jedoch zu einem wachsenden Problem: In unserem Gesundheitssystem werden immer mehr Krankheiten nicht etwa geheilt, sondern verschlechtert oder sogar erst durch die Behandlung hervorgerufen. Solche von der Medizin verursachten Erkrankungen haben einen Namen: Man nennt sie iatrogene Krankheiten. Für diese »hausgemachten« Krankheiten und für überflüssige und gefährliche Therapien werden Milliarden Euro ausgegeben! Was könnte man nicht erreichen, wenn diese Geldmittel in die wirklich wichtigen Bereiche unseres Gesundheitssystems fließen würden: eine ausreichende personelle Ausstattung von Krankenhäusern und Altenheimen, die eine menschlich angemessene Pflege ermöglicht, eine gute hausärztliche Betreuung und Notfallversorgung auch auf dem Land, die Sicherung einer kostenfreien Hightech-Medizin für alle, die sie tatsächlich benötigen, und eine wirklich unabhängige und qualitätsvollere Forschung, als sie derzeit üblich ist.

Doch weil diese Fehlentwicklung zu einem extrem lukrativen Geschäft geworden ist, tut sich die Gesundheitspolitik sehr schwer, effektive Gegenmaßnahmen zu ergreifen.Auch bei Krankenkassen oder Ärzteverbänden sehe ich im Moment kein echtes Interesse und keine überzeugende Strategie, wie man diesem Negativtrend Einhalt gebieten will. Ganz im Gegenteil, die fördern ihn sogar noch. Für Patienten wird es also immer gefährlicher, zum Arzt zu gehen.Diese bedrohliche Entwicklung einzudämmen, wird die größte medizinische Herausforderung des 21. Jahrhunderts sein.

Gekaufte Behandlungsleitlinien

Seit ich vor 20 Jahren Arzt geworden bin, erlebe ich die Entwicklung hin zu einer immer stärker profitorientierten Medizin, und manchmal verzweifle ich daran. Und weil mich immer mehr Patienten fragten, wie es zu solchen Missständen kommen konnte, bin ich dieser Frage nachgegangen. In meinem 2012 erschienenen Buch Schlechte Medizin habe ich die Mechanismen und Hintergründe dieser Misere detailliert analysiert und erläutert. Zum Beispiel, was der wahre Grund für die Absenkung der Normwerte für Cholesterin, Blutzucker oder Blutdruck ist, oder wie die konsequente Schönfärberei medizinischer Studien bis hin zu ihrer kompletten Fälschung abläuft, um unnütze oder gar gefährliche Medikamente besser verkaufen zu können.

Die Hochschulmedizin und ihre Verflechtung mit den Herstellern von Medikamenten und Medizinprodukten hat sich dabei als Dreh- und Angelpunkt erwiesen. Würde an den medizinischen Universitäten wissenschaftlich seriöser gearbeitet, müsste ein sehr großer Teil der derzeit etablierten Behandlungen in Frage gestellt werden, was aber dramatische Umsatzeinbrüche in der gesamten Pharmabranche nach sich ziehen würde.

Besonders folgenreich ist der finanzielle Einfluss der Industrie auf die Erstellung medizinischer Leitlinien, nach denen der niedergelassene Arzt in der Sprechstunde behandeln soll. Denn dies führt dazu, dass vielen praktischen Ärzten die verheerenden Folgen ihrer Behandlungsvorschläge gar nicht bewusst sind. Sie empfehlen sie ja guten Gewissens, in naiver Übereinstimmung mit der geltenden Lehrmeinung, nicht wissend, dass diese leider gekauft wurde. Es wird viel Geld gezahlt, damit sich schlechte Medizin immer weiter durchsetzt. In der Pharmabranche spricht man ganz offen über käufliche Hochschulmediziner. Sie haben sogar einen Namen: Mietmäuler.

Nach Erscheinen meines letzten Buches haben mich unzählige Leserbriefe erreicht, von Patienten, Ärzten, Krankenschwestern und -pflegern sowie vonWissenschaftlern, deren teils erschütternde Schilderungen die erschreckendenAusmaße schlechter Medizin bestätigten.

Die Diagnose der Misere ist bekannt, wie lautet die Therapie?

Mit meinen beunruhigenden Analysen stehe ich keineswegs alleine da. Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung etwa beschreibt in einem Forschungsbericht aus dem Jahr 2012 den Mangel an qualitativ hochwertigen Informationen in der Medizin und kommt zu dem Schluss:

»Dies verdeutlicht, wie Patienten im aktuellen Gesundheitssystem Opfer einer Kette unausgewogener und intransparenter Informationen werden.« Und weiter: »Ein Gesundheitssystem, das Steuergelder für unnötige oder sogar schädliche Tests und Behandlungen verschwendet und medizinische Forschung finanziert, die für Patienten nur begrenzt relevant ist, ist ineffizient.«

Den Schlüssel, um diese Missstände wirksam anzugehen, sieht das Max-Planck-Institut vor allem in einer besseren Information der Patienten.

»Eine kritische Masse informierter Patienten wird nicht alle Probleme lösen, aber die wichtigste Basis für eine bessere Versorgung sein.«

Die zentrale Rolle für eine Veränderung wird auch nach meiner Überzeugung dem »informierten Patienten« zukommen. Einem Patienten, der mit den entscheidenden Informationen versehen und damit in die Lage versetzt wird, zusammen mit seinem Arzt eine gute Entscheidung zu treffen. Eine Entscheidung, die nicht den ausufernden Interessen der Pharmaindustrie und der Klinik-AGs dient, sondern allein auf einen sinnvollen Einsatz guter Medizin zielt.

Aber es gibt noch mehr Personen und Institutionen, die inzwischen daran arbeiten, die Medizin zum Besseren zu verändern. Besonders im angelsächsischen Raum wächst die Bereitschaft, gegen die aktuellen Missstände vorzugehen, ebenfalls verbunden mit der Erkenntnis, dass dazu die Stärkung der Patientenkompetenz unabdingbar ist.Allein im vergangenen Jahr (2013) erschienen mehrere wegweisende englische Publikationen in deutscher Übersetzung.[1] Doch all diesen ausgezeichneten akademischen Ansätzen fehlt bisher die Breitenwirkung. Das hat meiner Meinung nach zwei Gründe:

Erstens ist es nicht einfach, medizinische Informationen so aufzubereiten, dass sie auch von Nichtfachleuten verstanden werden. Medizinische Studien sind komplex und ihre Ergebnisse nicht immer leicht zu interpretieren. Es gibt zwar Experten, die auf diesem Gebiet Hervorragendes leisten, beispielsweise Frau Professor Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg oder das Harding-Zentrum für Risikokompetenz in Berlin. Doch für medizinische Laien fehlte bisher eine kompakte, verständliche Zusammenfassung des notwendigen Wissens, wie man gute von schlechter medizinischer Information unterscheiden kann.

Und zum Zweiten werden die psychologischen Barrieren nicht berücksichtigt, die sich ergeben, wenn ein Patient sein Recht auf hochwertige Information von seinem Arzt einfordern soll. Deshalb muss die Vermittlung von Sachinformation Hand in Hand gehen mit einem Training, wie man Informationen auch in einer speziellen Situation, unter Angst und Druck, verlangen und bekommen kann. Gut informiert sein zu wollen, reicht nicht aus, man muss auch in der Lage sein, diese berechtigten Ansprüche durchzusetzen.

Nach all den richtigen und wichtigen Analysen des beklagenswerten Zustands der Medizin wird es nun Zeit zu handeln. Patienten dürfen nicht mehr wehrlos diesen Missständen ausgesetzt werden. Sie müssen auf Augenhöhe mitentscheiden können, welches die richtige medizinische Therapie für sie ist. Deshalb habe ich mir überlegt, wie man Patienten wirkungsvoll stärken kann, und eine Anleitung entwickelt, mit der sie erkennen können, welche medizinischen Empfehlungen wirklich ihrer Gesundheit dienen, und welche Empfehlungen ganz andere Interessen verfolgen. Eine Anleitung, die Patienten in die Lage versetzt, gemeinsam mit ihrem Arzt eine gute Entscheidung zu fällen und sich vor gefährlichen Übertherapien zu schützen.

Gebrauchsanweisung: Bitte vor dem Arztbesuch lesen

Der Leitfaden, den Sie in Händen halten, behandelt all diese Themen in einer umfassenden, zugleich aber einfachen, praktikablen Form.Als Erstes beschäftigen wir uns mit den harten Fakten: Wissenschaft, Studien, Zahlen und Statistik. Doch keine Sorge, ich habe dieses Kapitel so einfach wie möglich verfasst und mit vielen konkreten Beispielen versehen, so dass auch Leser ohne besonderes mathematisches Interesse die Zusammenhänge gut verstehen werden. Ich stelle Ihnen dort eine 10-Punkte-Checkliste vor, mit der Sie durch klar definierte Fragen zu Krankheit, Diagnostik und Therapie herausbekommen können, was der tatsächliche Wissenstand bezüglich Ihrer Erkrankung ist.Außerdem hilft Ihnen diese Checkliste, die Qualität der ärztlichen Antworten zu beurteilen.

Im nächsten Kapitel spielen Zahlen dann gar keine Rolle mehr: Dort geht es um Ihre (Bauch-)Gefühle und warum diese für eine gute medizinische Entscheidung ebenfalls sehr wichtig sind. In der Medizin gibt es auf die Frage, welche Therapie in welchem Fall die bessere ist oder ab wann man überhaupt behandeln sollte, häufig keine klare Antwort. Wie soll man mit dieser Unsicherheit umgehen? Es spricht vieles dafür, dass man gerade bei komplexen Fragestellungen und in unsicheren Situationen seiner emotionalen Intelligenz vertrauen kann; sie hilft uns, eine gute Entscheidung »aus dem Bauch heraus« zu treffen. Ich werde Ihnen zeigen, wie Sie diese Fähigkeit in Ihrer Patientenrolle einsetzen können, beispielsweise mit der Formulierung passender Faustregeln, und wie Sie spüren, welcher Arzt für Sie der richtige ist und welcher vielleicht nicht.

Psychologische Rückendeckung

Natürlich ist mir bewusst, dass es vielen Patienten– Checklisten hin und Faustregeln her– weiterhin schwerfallen wird, beim Arzt qualitativ hochwertige Information einzufordern. Das klassische Rollenbild der Arzt-Patienten-Beziehung sieht einen selbstbewussten, auf Antworten bestehenden Patienten nicht vor. Wenn Patienten ärztliche Empfehlungen erst hinterfragen möchten, bevor sie ihnen zustimmen, reagieren viele Ärzte überrascht bis überheblich. Patienten bekommen ein schlechtes Gewissen, und viele trauen sich dann nicht mehr, ihre berechtigten Vorhaben umzusetzen, also auf der kompetenten Beantwortung ihrer Fragen zu bestehen. Denn der Arzt ist für viele immer noch eine unantastbare Respektsperson, der man mit vorbehaltloser Dankbarkeit, aber nicht mit Kritik begegnen sollte. Sogar ansonsten selbstsichere und gut informierte Menschen, die normalerweise kein Problem damit haben, ihre Interessen zu vertreten, stehen oft hilflos vor dieser Hemmschwelle.

Als Patient ist jeder Mensch in einer ganz besonderen Situation. Hier spielen Ängste und der daraus entstehende Druck eine große Rolle.Aus verschiedenen Experimenten weiß man, dass Menschen unter Angst Schwierigkeiten haben, an rationalen Verhaltensvorsätzen festzuhalten, und stattdessen oft resigniert aufgeben. Deshalb folgt als Nächstes ein psychologisches Trainingsprogramm. Dieses Training wird Sie dabei unterstützen, auch unter Angst und Druck an einem selbstbewussten Patientenverhalten festzuhalten und auf soliden Informationen zu bestehen.Außerdem können Sie mithilfe eines kleinen Tests herausfinden, zu welchem Patientenverhalten Sie neigen. Manche Patiententypen möchten zwar bessere Informationen beim Arzt erhalten, sind aber aufgrund ihrer Persönlichkeit nicht in der Lage, dabei hartnäckig und zielgerichtet vorzugehen. Wie es unter solchen Voraussetzungen dennoch gelingt, sein Wunschverhalten umzusetzen, zeigt Ihnen ein spezieller Selbstmanagement-Workshop im Anhang des Buches. Wenn Sie diesen Workshop durcharbeiten– und Sie werden merken, dass dies ziemlich viel Spaß macht–, dann werden Sie mit einem selbstbewussteren Auftreten gegenüber Ihrem Arzt belohnt werden. Das verspreche ich Ihnen.

Der informierte Patient – die Chance für ein besseres Gesundheitssystem

Viele Ärzte werden den neuen, informierten, selbstbewussten Patienten begrüßen, andere werden vielleicht eine Weile brauchen, um umzudenken. Doch in Zukunft wird ein partnerschaftliches Arzt-Patienten-Verständnis immer wichtiger werden. Im 21. Jahrhundert liegt hier das größte Potenzial für eine bessere Medizin im Kampf gegen die Probleme, die die Medizin selbst verursacht und die systematisch zu unnützen und gefährlichen Fehl- und Übertherapien führen. Mit der neuen Partnerschaft zwischen Patienten und Ärzten wird die wichtigste Voraussetzung dafür geschaffen, dagegen erfolgreich anzugehen. Nicht nur weil informierte Patienten auch Ärzte davor schützen, falsche Therapieentscheidungen zu treffen, sondern vor allem weil informierte Patienten für sie die besten Verbündeten sind, um sich gegen die überbordende Ökonomisierung der Medizin zur Wehr zu setzen, die auch uns Ärzten zunehmend die Freude an der Arbeit nimmt.

Unser Gesundheitssystem ist in Gefahr. Wissenschaftliche Redlichkeit, Anstand und Menschlichkeit in der Medizin werden immer mehr einer falsch verstandenen Marktwirtschaft untergeordnet. Welche Folgen das jetzt schon hat und was uns in Zukunft droht, darum geht es im Schlusskapitel. Denn die aktuelle Gesundheitspolitik ist auf dem besten Weg, das Gesundheitssystem zu einem rein profitorientierten Gesundheitsmarkt umzubauen, zum Nachteil von Patienten und Ärzten.

Die Medizin soll für die Patienten da sein und nicht, um sie des Profites wegen krank zu machen. Es wird höchste Zeit, energisch dafür einzutreten. Patienten, die gut informiert die richtigen Fragen stellen und selbstbewusst auf Antworten bestehen, werden in Zukunft die entscheidende Triebkraft für eine ehrlichere, nebenwirkungsärmere und damit bessere Medizin sein. Doch bis es so weit ist, können Sie sich und Ihre Familie, ausgerüstet mit dieser Gebrauchsanweisung für Ihren Arzt, schon jetzt deutlich besser vor den Exzessen der modernen Medizin schützen.

[1]Die Diagnosefalle. Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden von H. Gilbert Welch, Lisa M. Schwartz und Steven Woloshin; Die Pharma-Lüge. Wie Arzneimittelkonzerne Ärzte irreführen und Patienten schädigen von Ben Goldacre; Wo ist der Beweis? Plädoyer für eine evidenzbasierte Medizin von Imogen Evans und anderen; Bessere Ärzte, bessere Patienten, bessere Medizin. Aufbruch in ein transparentes Gesundheitswesen von Gerd Gigerenzer, J.A. Muir Gray (Hrsg.).

II. Faktencheck

Wie Sie den allgemeinen Nutzen einer medizinischen Empfehlung überprüfen können

Therapievorschläge sind letztlich immer derVersuch, in die Zukunft zu sehen. Wenn ein Arzt eine Therapie empfiehlt, kann er nie mit 100-prozentiger Sicherheit voraussagen, was diese Therapie bei seinem Patienten wirklich bewirkt, er kann es nur abschätzen. Doch wie lässt sich der Erfolg einer Therapie abschätzen? Zum Beispiel, indem man eine Therapie empfiehlt, die man aus eigener Erfahrung kennt und von der man weiß, dass sie schon vielen anderen Patienten geholfen hat. Erfahrung ist sehr wichtig, hat aber auch ihre Tücken, dazu später mehr.

Natürlich kann man es auch machen wie Nostradamus, der berühmte Astrologe des Mittelalters: Man packt seine Prophezeiung in möglichst allgemeine, unverständliche oder geheimnisvolle Worte, so dass jeder das herauslesen kann, was er gern hören möchte. Unverbindliche Aussagen lassen sich immer schlecht überprüfen und der Prophet kann sich leicht herausreden, wenn die Erwartungen später nicht in Erfüllung gegangen sind: »Tut mir leid, da müssen Sie mich falsch verstanden haben.«

Ähnlich machen es auch heutige Ersteller von Horoskopen, Handleser und– Alternativmediziner mit Pendeln, Energiestrommessungen oder Irisdiagnostik. Patienten erhalten auf diese Weise so nichtssagende Diagnosen wie »Darmpilze«, »Leberreizung«, »Nierenschwäche« oder– derzeit besonders beliebt– »Nahrungsmittelunverträglichkeit« bzw. »Belastung durch Umweltgifte«. Das kann alles und nichts bedeuten. Die anschließend empfohlenen Therapien stehen in keinem direkten und nachweisbaren Zusammenhang mit solchen »Diagnosen«: Auslassdiäten, Mineralstoffe, Entschlackungskuren etc. bringen meist nur kurzfristige Erfolge, die vor allem dem Placeboeffekt geschuldet sein dürften. Natürlich gibt es Ausnahmen, denn auch ein Wahrsager kann ab und zu richtig liegen. Gezielt wirkende Medizin sieht allerdings anders aus.

Wissenschaftliche Prinzipien

Der wohl ambitionierteste Versuch, die Zukunft vorauszusagen, um sie dann gezielt ändern zu können, heißt »Wissenschaft«. Was bedeutet Wissenschaft genau? Im dtv-Brockhaus-Lexikon lesen wir dazu Folgendes:

»Hauptziel der Wissenschaft ist die rationale, nachvollziehbare Erkenntnis der Zusammenhänge,Abläufe, Ursachen und Gesetzmäßigkeiten der natürlichen wie der historischen und kulturell geschaffenen Wirklichkeit; neben der Erweiterung desWissens über dieWelt liefern vor allem Naturwissenschaft und Technik die Mittel zu vorausschauender Planung und gezielterVeränderung derWirklichkeit.Als Hauptmerkmal der Wissenschaft wird eine von Wertungen, Gefühlen und äußeren Bestimmungsmomenten freie, auf Sachbezogenheit gründende Objektivität angesehen, welche neben dem methodischen Konsens die Verallgemeinerungsfähigkeit und allgemeine Nachprüfbarkeit wissenschaftlicher Aussagen begründet.«

Das klingt kompliziert, aber es geht auch einfacher. Drei Kriterien müssen erfüllt sein, damit etwas alsWissenschaft oder wissenschaftlich gelten darf:

ObjektivitätVerallgemeinerungsfähigkeitNachprüfbarkeit

Auf der Grundlage dieser Vorgaben gelangen der Menschheit in den letzten 250Jahren Erfolge, die vorher undenkbar waren, von der Dampfmaschine bis zum Flug auf den Mond. Dennoch gilt auch für die Wissenschaft die Erkenntnis: »Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.«[2]

Und deshalb braucht Wissenschaft Experimente und Studien, um neue Ideen und Verfahren objektiv auf ihre allgemeine Wirksamkeit zu überprüfen. Denn in gut geplanten Experimenten und Studien kann man feststellen, ob sich ein bestimmtes Ergebnis immer wieder erzielen lässt, sowohl im Labor als auch im richtigen Leben, unabhängig von Zeit und Ort.

Sind die Einflussfaktoren bekannt und kontrollierbar, reichen Experimente im Labor aus, um einen solchen Nachweis zu führen. Angenommen, man möchte wissen, ob ein neuer Werkstoff in puncto elektrische Leitfähigkeit dem bisher in Stromkabeln verwendeten Material überlegen ist. Dann führt man im Rahmen eines Experiments im Labor entsprechende Messungen mit einem herkömmlichen und einem Kabel aus dem neuen Material durch. Danach weiß man, ob das neue Material Strom besser leitet oder nicht. Wiederholt man das gleiche Experiment in einem anderen Labor, sollte das gleiche Ergebnis herauskommen, wenn alle wesentlichen Einflussfaktoren bekannt sind und berücksichtigt werden: Stromstärke, Widerstände, Temperatur etc. Schneidet das neue Kabel im Experiment besser ab, wird es allgemein und überall der bessere Stromleiter sein, in Maschinen oder Stromleitungen, im Winter wie im Sommer.

Will Medizin Wissenschaft sein, braucht sie gute Studien

Eine Medizin, die sich als wissenschaftlich versteht, sollte demnach in der Lage sein, echte Verbesserungen zu ermöglichen. Esoterik hat hier keinen Platz. Es geht nicht um die »Aura«, den »Spiralleib« oder das »Qi«, sondern um Lebensdauer, Schmerzintensität oder Beweglichkeit. Diese Verbesserungen sollten mit Therapien ermöglicht werden, die im Idealfall bei jedem Menschen gleich wirken und sich durch ein klar definiertes Messverfahren nachprüfen lassen. Und zwar wiederholbar und unabhängig von Ort und Zeit. Die drei Kriterien für Wissenschaft kann man– bezogen auf die Medizin– dann so formulieren:

echte Verbesserung des Krankheitsverlaufs durch eine Therapiegleiche Wirkung bei jedem Menschen, der diese Krankheit hat und mit dieser Therapie behandelt wirdwiederholbare Nachprüfbarkeit durch ein Messverfahren, unabhängig von Ort und Zeit

Ein Elektroingenieur oder ein Physiker hat es dabei in der Regel leichter als ein Mediziner. Experimente in diesen Fachgebieten lassen sich ziemlich exakt berechnen und vorhersagen. Doch was für ein experimentelles Gefäßsystem in der Physik gilt, gilt noch lange nicht für den menschlichen Blutkreislauf. Ich habe es mehr als einmal erlebt, dass Patienten sagten, sie hätten keine Beschwerden, obwohl sie erhebliche Verengungen (medizinisch »Stenosen«) der Herzkranzgefäße aufwiesen. Eigentlich wird dadurch der Blutfluss im Herzmuskel massiv behindert (koronare Herzkrankheit), was bei Anstrengung normalerweise Herzschmerzen auslöst (Angina pectoris). Bei anderen Patienten dagegen verursachten wesentlich weniger dramatische Engstellen erhebliche Herzprobleme. Ebenso gibt es Patienten, deren Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule schlicht katastrophal aussehen, und trotzdem können sie den Alltag ohne Schmerzen bewältigen. Und andere mit kaum auffallenden Wirbelveränderungen klagen über schier unerträgliche Schmerzen.

Außerdem muss man in der Medizin immer ein Auge auf den Placeboeffekt haben: Eine Therapie kann allein durch ihre pure Anwendung wirken. Also auch dann, wenn sie nur aus Zuckerpillen besteht, am besten von einem Arzt in einem weißen Kittel verordnet. Dies allein zeigt, dass die körperlichen und psychologischen Einflussfaktoren auf den Menschen enorm vielfältig und oft unberechenbar sind. Deswegen darf man in der Medizin neue Behandlungsverfahren oder Medikamente, die in einem Laborversuch positive Ergebnisse zeigten, niemals sofort für die Therapie bei realen Patienten zulassen. Sie können ganz andereWirkungen hervorrufen. Es kommt vor, dass einWirkstoff im Labor an Zellkulturen getestet wird und dort beispielsweise eine krebshemmende Wirkung zeigt; bei der Anwendung am Menschen löst er jedoch Krebs aus. Medizin erscheint manchmal nur sehr bedingt logisch. Aber dennoch wollen wir wissen, was eine Therapie mit uns macht, und das möglichst vorher.

Deshalb hat sich in der Medizin folgendes Vorgehen etabliert: Angenommen, in einem Laborexperiment finden Forscher heraus, dass ein bestimmter Wirkstoff eine bestimmte medizinische Wirkung haben könnte (etwa eine Blutdrucksenkung), dann ist der nächste Schritt, diese Wirkung im Tierversuch zu bestätigen. Gelingt dies, muss der Wirkstoff zeigen, dass er die gleiche Wirkung auch beim Menschen erzielt, und zwar unter möglichst realistischen Alltagsbedingungen. Dieser Nachweis lässt sich nur im Rahmen einer gut geplanten medizinischen Studie führen. Erst, wenn eine solche Studie mit »echten« Personen zeigen konnte, dass ein Medikament oder eine neue Operationsmethode tatsächlich die gewünschte Wirkung hat, kann man davon sprechen, dass sie wissenschaftlich belegt ist. Deshalb sind Studien in der Medizin so wichtig.

Das A und O eines wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweises in der Medizin ist der Nachweis anhand einer qualitativ hochwertigen (das heißt sorgfältig geplanten, sorgfältig durchgeführten und sorgfältig ausgewerteten) medizinischen Studie. Solche Studien können uns bei vielen Erkrankungen die entscheidenden Hinweise für oder gegen eine bestimmte Behandlungsmaßnahme liefern.

In diesem Kapitel erfahren Sie nun, wie Sie als Patient feststellen können, ob die Empfehlung Ihres Arztes wissenschaftlichen Kriterien standhält oder nicht. Kennt er die verfügbaren Fakten zu den Therapien, und ist er in der Lage, sie auch verständlich darzustellen? Leider ist es keine Seltenheit, dass wissenschaftliche Erkenntnisse von mangelhafter Qualität sind oder sogar manipulativ eingesetzt werden, um Patienten zu Therapien zu überreden, die sie bei genauer Kenntnis des tatsächlichen Wissensstandes vermutlich ablehnen würden. Wenn Sie dieses Kapitel gelesen haben, wird es jedoch deutlich schwieriger werden, Sie zu täuschen. Einfach deshalb, weil Sie dann die entscheidenden Fragen kennen und genau einschätzen können, ob Sie eine qualitativ hochwertige Antwort darauf erhalten oder nicht.

Wissenschaft und Erfahrung sind zwei Paar Stiefel

Dabei spielt traditionelles Wissen oder die Einschätzung eines alten Hasen zunächst keine Rolle. Das bedeutet keinesfalls eine Geringschätzung von Erfahrung. Ärzte und Heiler waren schon vor Entdeckung der modernen Wissenschaft in der Lage, gute Behandlungsmethoden zu entwickeln. Wenn Ihnen Ihr langjähriger Hausarzt oder Chirurg zu einer Behandlung rät, rein aus seiner persönlichen Erfahrung heraus, dann kann dies selbstverständlich zu einem guten Ergebnis führen, ganz unabhängig davon, ob er die wissenschaftliche Studienlage kennt oder nicht. Manchmal sind Erfahrungswerte reiner Wissenschaft sogar überlegen.Auch für Patienten ist die eigene emotionale Einschätzung (das »Bauchgefühl«) keineswegs ein schlechter Ratgeber. Besonders dann, wenn wissenschaftliche Studienergebnisse widersprüchlich und alles andere als eindeutig sind. Und das ist viel häufiger der Fall, als es die moderne Medizin manchmal wahrhaben möchte. Weil dem richtigen Umgang mit Erfahrungswissen und eigener emotionaler Einschätzung ebenfalls große Bedeutung für medizinische Entscheidungen zukommt, widmen wir diesem Thema das gesamte nächste Kapitel.

Keine Angst vor harten Fakten!

Doch in diesem Kapitel geht es zunächst einmal um den korrekten Umgang mit Zahlen, Prozenten, Risiken und Statistiken. Jeder Punkt der folgenden Checkliste steht für ein fachliches Stichwort, mit dem ein wichtiger Zusammenhang erklärt wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass es nicht immer leicht ist, solche Zusammenhänge gleich beim ersten Lesen zu verstehen. Ich habe versucht, die Dinge so einfach wie möglich darzustellen. Und ich werde Ihnen zusätzlich anhand vieler Beispiele zeigen, dass hinter den trockenen Zahlen immer die Schicksale Tausender Menschen stehen. Menschen, die Schaden nehmen, wenn mit diesen Zahlen in der Medizin Schindluder getrieben wird.

Dennoch wird es vielen Lesern so gehen wie mir, wenn ich mich mit einem komplizierten neuen Thema beschäftige: Während des Lesens scheint alles klar zu sein, aber danach ist man nicht sofort in der Lage, die Inhalte wiederzugeben. Es dauert eine gewisse Zeit, bis das klappt. Nutzen Sie die 10-Punkte-Checkliste auch als kleines Lexikon, in dem Sie nachschlagen, sobald eines der wichtigen Stichworte in den Medien, beim Arzt oder bei der Lektüre anderer Bücher auftaucht. Eines kann ich Ihnen aber versprechen: Allein durch das Lesen dieses Kapitels wird Ihnen klar werden, dass Sie Therapieempfehlungen Ihres Arztes nicht einfach akzeptieren dürfen, sondern durch gezieltes Fragen vorher überprüfen müssen. Diese Erkenntnis ist der erste und zugleich der wichtigste Schritt, um sich in Zukunft besser vor schlechter Medizin zu schützen.

Dazu müssen Sie nicht immer alle zehn Punkte mit Ihrem Arzt klären. Sie können sich auch überlegen, welche der Punkte für Ihr Krankheitsbild und für Ihre persönliche Abwägung die wichtigsten sind, und sich auf diese konzentrieren. Wir beginnen nun mit den ersten fünf Punkten. Sie helfen Ihnen, zusammen mit Ihrem Arzt zu klären, ob es wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die belegen, dass Ihnen die vorgeschlagene Maßnahme auch tatsächlich nützt.

Checkliste, Teil 1:

Fragen zum Nutzen einer medizinischen Empfehlung

Häufig werden Empfehlungen damit begründet, dass Studien die Wirksamkeit der Behandlung zweifelsfrei belegt hätten. Doch das Wissen über die reine Wirkung reicht als Entscheidungsgrundlage für oder gegen eine bestimmte Behandlungsmaßnahme nicht aus. Selbst wenn ein Medikament beispielsweise den Blutzuckerspiegel senkt, eine Operation durch eine Knorpelglättung ein besseres Röntgenbild ergibt oder mit einem Herzkatheter verengte Herzgefäße erfolgreich geweitet werden, ist damit die Anwendung beim Patienten noch nicht ausreichend gerechtfertigt. Aber warum denn nicht?, werden Sie jetzt vielleicht (und mit Recht) fragen.Antwort:Weil damit noch lange nicht belegt ist, dass der Patient durch diese Therapie auch einen Gesamtnutzen hat. Dazu müssen erst diese fünf Punkte geklärt werden.

Wie ist der natürliche Verlauf meiner Erkrankung ohne Therapie?Hat die vorgeschlagene Therapie nachweislich Vorteile gegenüber einer Nichtbehandlung?Worin besteht der Vorteil der empfohlenen Maßnahme konkret?Hat die empfohlene Maßnahme Nachteile (Nebenwirkungen), und was bedeuten sie für mich?Gibt es andere Vorgehensweisen und Studien, die deren Nutzen geprüft haben?

Punkt 1:

Wie ist der natürliche Verlauf meiner Erkrankung ohne Therapie?

Stichwort: natürlicher Verlauf

Viele Beschwerden und Krankheiten werden von selbst besser, ganz ohne Therapie, da es auch vielfältige natürliche Heilungsprozesse gibt. Bevor man den wahren Wert einer Therapie beurteilen kann, muss man deshalb zuerst wissen, ob sie auch besser ist als der natürliche Heilungsverlauf. Die Klärung von Punkt1 sollte deshalb am Anfang jeder Therapieüberlegung stehen. Der bekannte Schweizer Arzt Eugen Bleuler (1857–1939) schrieb dazu schon vor hundert Jahren: »Bei all den zahlreichen Krankheiten, wo viele Mittel empfohlen werden, liegt die Frage sehr nahe: Wäre es nicht am Besten oder wenigstens gleich gut, gar nichts zu machen? Sie wird indes merkwürdig selten gestellt, und beantwortet hat sie noch niemand. Sie wäre aber doch die Grundfrage für unser therapeutisches Handeln wie für das weitere Studium.«

Diese Aussage ist heute so aktuell wie vor hundert Jahren. Die Frage nach dem natürlichen Heilungsverlauf stellt sich sicher nicht in der Notfallmedizin, wenn Menschen ohne Infusion verbluten würden, bei offenen Knochenbrüchen, die sofort versorgt werden müssen, oder anderen offensichtlichen Situationen, in denen ein Nichteingreifen schwere Folgen für den Patienten hätte. In der ärztlichen Sprechstunde ist es für den Patienten jedoch nicht zwingend sofort mit Nachteilen verbunden, wenn eine Nichtbehandlung einer Therapie vorgezogen wird. Die alte Regel bezüglich des einfachen grippalen Infektes drückt dies treffend aus: Eine Grippe dauert mit Therapie sieben Tage und ohne eine Woche.

Aber auch wenn es um Chemotherapie, ein künstliches Hüftgelenk, das Einsetzen von Stents (Hülsen, die in ein Gefäß geschoben werden, um es zu erweitern) oder um die Verordnung neuer Medikamente geht, sollten Sie vor einer Entscheidung für eine bestimmte Therapie wissen, was Sie erwarten würde, wenn Sie sich stattdessen entscheiden würden, nichts zu tun. Deshalb empfehle ich Ihnen, diese Frage als erste zu stellen. Denn erst wenn Sie wissen, wie der natürliche Verlauf Ihrer Erkrankung einzuschätzen ist, können Sie die gewünschte Wirkung der vorgeschlagenen Maßnahme wirklich einschätzen.

Punkt 2:

Hat die vorgeschlagene Therapie nachweislich Vorteile gegenüber einer Nichtbehandlung?

Stichwort: besser als Placebo

Wenn sich in einer Studie nach einer medizinischen Maßnahme Verbesserungen für die Testpersonen ergeben, spricht das nicht automatisch für diese Maßnahme. Ich muss diese Verbesserungen erst mit dem Ergebnis von Punkt 1, der Klärung des natürlichen Verlaufs, vergleichen. Vielleicht entpuppt sich ein Vorteil dann sogar als Nachteil. Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Nordkarelien-Studie.

Nur die halbe Wahrheit

Die Nordkarelien-Studie aus den 1970er Jahren nimmt für sich in Anspruch, wissenschaftlich belegt zu haben, dass ein gesunder Lebensstil auch tatsächlich zu einem längeren Leben führt. In dieser Studie wurden die Einwohner der finnischen Region Nordkarelien im Rahmen einer großen Gesundheitsaktion dazu angehalten, weniger Fett, weniger Fleisch und vor allem Magarine statt Butter zu essen. Die Studie lief 20Jahre, und in dieser Zeit beobachtete man in Nordkarelien eine Erhöhung der Lebenserwartung und nahm dies als Beleg für die Wirksamkeit der ausgesprochenen Empfehlungen. Die Nordkarelien-Studie wird auch heute noch gern von Krankenkassen zitiert, um ihre Gesundheitsaktionen wissenschaftlich zu untermauern.

Was man jedoch bis heute offiziell verschweigt, ist, dass in der Nachbarregion Kuopio im gleichen Zeitraum ein noch stärkerer Anstieg der Lebenserwartung festgestellt wurde. Die Einwohner der Region Kuopio hatten nicht an diesem Gesundheitsprogramm teilgenommen und sich ihre Butter nicht vom Brot nehmen lassen– und sie lebten länger als die gesundheitsbewussten Nordkarelier. Dazu muss man wissen, dass in den letzten hundert Jahren die allgemeine Lebenserwartung überall in Europa stetig angestiegen ist. Hygienischere Nahrungsmittelherstellung, bessere Notfallversorgung und viele andere Gründe sind dafür ausschlaggebend. Nimmt man nun die allgemeine Erhöhung der Lebenserwartung zum Maßstab, dann haben die Gesundheitsmaßnahmen in Nordkarelien diese positive Entwicklung offenbar eher gebremst, obwohl sie für sich allein genommen zunächst vorteilhaft aussahen.

Welchen Schluss ziehen wir daraus? Ohne zu wissen, was ein Nichtstun (hier also unverändertes Verhalten) bewirkt, wird das Ergebnis der Nordkarelien-Studie falsch gedeutet. Erst im Vergleich zeigt sich die ganze Wahrheit.