Gedanken unterwegs - Bert Hellinger - E-Book

Gedanken unterwegs E-Book

Bert Hellinger

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Beschreibung

Bert Hellinger teilt mit dem Leser seine "Gedanken unterwegs". unterwegs sind die in mehrfacher Hinsicht: Es sind Eindrücke, Beschreibungen, Erkenntnisse, die unterwegs entstanden sind: im Zug oder auf langen Flügen, in fremden Hotels, wenn er nachts wach lag, am Abend nach einem Aufstellungskurs. Gleichzeitig begreift Bert Hellinger diese Gedanken auch noch als offen, im Fluss, unterwegs zu etwas Neuem. Sie erschließen sich am besten, "indem man sich der Fülle dessen, was sich zeigt, aussetzt und es auf sich wirken lässt ohne Vorurteil, ohne Absicht, auch ohne Furcht. Nach einer Weile ordnet sich die Fülle und das für unser Leben Wesentliche tritt in den Vordergrund".

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Gedanken unterwegs

Gedanken unterwegsEinführung Die „Titel“ - Geschichte Zu diesem Buch Die ununterbrochene Nachricht Hören aus der Mitte Die Klarheit Das Wort Die Stille Das Nicht-Gesagte Das Schweigen Die Sammlung Der Spiegel Die Tiefe Der Einklang Die Gelassenheit Die Spiegelung im Teich Neugier und Einsicht Die Erkenntnis Die Wahrheit Das Vorurteil Die Nüchternheit Hirngespinste Der Traum Das Einfache Geschichten Das Offene Die Sehnsucht Die Hoffnung Erde, du Liebe Die Größe Der Reichtum Die Armut im Geiste Die Schönheit Das Lichte Das Unvollkommene Wunderliche Zeit „Freut euch des Lebens“ Das ganze Leben Die Innenwelt Der Geist Die Bereitschaft Das Wagnis Das Andere Das Besondere Das Neue Das Flüchtige Der Erfolg Das Hemmnis Die Feinde Die Aufrichtigkeit Der Rückzug Der reine Bezug Das Dunkle Freunde Die Ehre geben Die Rücksicht Erfüllung Mit Ende beginnt Der Abschied Der Verlust Der Verzicht Die Furcht Das Sterben Müde Die Ruhe Der Schlaf Das Grab Segen den Toten Die Freiheit Das Schicksal Der Friede „Wandelt sich rasch auch die Welt“ Ende gut, Anfang gut Womit wir ringen Die Kraft Die Kontrolle Das Vertrauen Der Wille Die Entschlossenheit Das Recht Der Entschluss Führung Die Macht Die Sorge Die Strenge Spiele des Lebens, Spiele des Todes Das Spiel Die Hingabe Der Geiger Die Zuwendung „O Lächeln wohin?“ Die Freude Gerne „Mit großem Verlangen“ „Ich liebe dich“ Die Liebe Sex Liebe, die lässt Die Bindung Das Herz Der Hass Die Hilfe Die Hinbewegung Zwiegespräche Die Achtung Das Glück Die Vorsicht Die Milde Die Güte Jesus Das Mitleid Die Bescheidenheit Danken Wirklich danken Der Schritt der Zeit Die Eile Die Zeit Die rechte Zeit Ein Weilchen Die Langeweile Die Zukunft Das Trauern „Die Todgeweihten grüßen dich“ Soldaten „Fern von dem Schauenden sei jeglicher Hauch des Bedauerns“ Rilkes Seinserfahrung Gedanken zu Rilkes Duineser Elegien und Sonetten an Orpheus Die erste Elegie Die zweite Elegie Die dritte Elegie Die vierte Elegie Ein Hauch um nichts Die Sünde Geist und Welt Das Ganze Gott Das Gebet Das Wunder Erlösung Das Leid Die Erleuchtung Die Mutter Das Nicht Der Gedanke Nachbetrachtungen SINNSPRÜCHE ZWEIERLEI WISSEN InformationenBibliographie 1. Bücher von Sophie Hellinger 2. Bücher von Bert Hellinger Impressum

Gedanken unterwegs

Einführung

Die „Titel“ - Geschichte

Der Titel dieses Buches „Gedanken unterwegs“ ist mehrdeutig. Zum einen meint er nur, dass mir diese Gedanken unterwegs gekommen sind: oft im Zug oder auf langen Flügen, in fremden Hotels, wenn ich nachts nicht schlafen konnte, während eines Kurses in den Pausen oder an freien Tagen vor dem nächsten Auftritt. Zum anderen aber besagt dieser Titel, dass auch diese Gedanken unterwegs sind, noch fern vom Ziel, unvollendet, im Fluss und daher offen für das Nächste, das sich nur angekündigt hat, ohne schon voll erfasst zu sein.  Auch ich bin mit diesen Gedanken noch unterwegs und bin neugierig, was sie mir noch sagen wollen. Denn sie haben sich von mir gelöst und gehen neben mir. Dennoch sind sie mir lieb. Neben mir lassen sie mich los und machen mich zugleich frei. Liebe Leser, Auch Sie können sich mit diesen Gedanken auf den Weg machen, auf Ihren eigenen, und dabei manches hinter sich lassen und vielleicht überraschend Neuem begegnen. Dies wünscht Ihnen                                                 Ihr                                                      Bert Hellinger

Zu diesem Buch

Manchmal wundern wir uns, was in unserer Seele vor sich geht, wenn wir sagen: Ich liebe dich. Wir fühlen, dass etwas weit über diese Worte hinaus in uns in Bewegung kommt, etwas, das uns erhebt und zugleich auch Angst macht.  Oder wir hören das Wort Sammlung und spüren nach, was es wohl bedeutet, wie viele Bedeutungen es hat und was in uns vorgeht, wenn wir uns auf die eine oder andere Weise sammeln. Über solche Themen habe ich mir in diesem Buch Gedanken gemacht und versucht zu beschreiben, was sie in mir bewirken. Diese Beschreibungen sind unvollständig. Manchmal wagen sie sich auch in Bereiche vor, die dunkel sind. Doch regen sie uns vielleicht auch hier an, darüber nachzudenken. Andere Beschreibungen könnten für einige auch anstößig sein, zum Beispiel, was ich im Kapitel Töten ist eine Gestalt unseres wandernden Trauerns sage. Ich wollte aber auch diese Seiten unseres Lebens anschauen und ihnen in meinen Gedanken den Raum geben, den sie in der Wirklichkeit haben.  Jede Beschreibung steht für sich, obwohl einige einander ergänzen und andere sogar einander zu widersprechen scheinen - so wie es uns eben mit unseren Lebenserfahrungen auch geht. Doch habe ich sie in eine gewisse Ordnung gebracht, weniger logisch als mehr vom Gefühl her und sie so in Kapitel eingeteilt. Dennoch kann man bei Lesen anfangen und aufhören, wo man will. Diese Beschreibungen brauchen Zeit, um sich zu erschließen. Sie verlangen nach Zwischenpausen. Wie gesagt: es handelt sich hier vor allem um Beschreibungen. Doch so, dass sie in der Seele etwas bewirken: eine Einsicht vielleicht, ein Aha-Erlebnis oder etwas Tröstliches. 

Die ununterbrochene Nachricht

„Aber das Wehende höre, die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.“

Hören aus der Mitte

Die Ohren lauschen nach außen. Die Seele lauscht nach innen. Oder, genauer gesagt, die Seele lauscht im Einklang mit etwas Größerem und nimmt den Hörenden und den Redenden und das, was gesagt wird, in etwas Gemeinsames eingebunden und mit ihm verbunden wahr. Das ist Hören aus der Mitte – sowohl der eigenen Mitte, als auch aus der Mitte des anderen, als auch aus der Mitte des Seins. Dieses Hören ist ohne Standpunkt, denn der Standpunkt liegt außerhalb der Mitte an der äußersten Oberfläche, am meisten von der Mitte entfernt. Daher hat er im Grunde keinen Stand. Er ist nur gedacht und gewollt, aber nicht in der Tiefe erfahren. Der Standpunkt trennt statt dass er verbindet. Daher bleibt, wer aus der Mitte hört, ohne einen Standpunkt. Er hört, wenn einer ihm seinen Standpunkt sagt, dahinter etwas anderes, jenseits des Gesagten. Er kann daher, wenn er nach solchem Hören etwas sagt, den Standpunkt des anderen lassen wo er hingehört. Er kann aus dem so Gehörten zurück zur Mitte finden und auch den anderen vielleicht zur Mitte führen, die sie zuletzt verbindet. 

Die Klarheit

Die Klarheit ist umfassend. Sie durchschaut den größeren Zusammenhang, die Hintergründe, die Möglichkeiten und die Folgen. Und sie ist immer wohltuend. Sie braucht auch nichts zu beweisen, denn obwohl sie klar ist, hat sie keinen Standpunkt. Wir können auch sagen, weil sie klar ist, hat sie keinen Standpunkt, denn nur das Enge braucht den Standpunkt, durch den es sich unterscheidet. Die Klarheit, weil sie klar ist, ist auch weit. Wie gewinnen wir Klarheit? Zuerst, indem wir uns zurückziehen, damit es einen Zwischenraum gibt zwischen uns und der Situation, über die wir Klarheit gewinnen wollen. Nur so gewinnen wir den Überblick.  Zweitens, indem wir nichts von unserem bisherigen Wissen und unseren Wünschen in die Situation tragen und ihr etwas überstülpen. Sondern indem wir unbefangen das Ganze auf uns wirken lassen in all seiner Vielschichtigkeit, auch in seinen scheinbaren Widersprüchen, bis sich vor unserem inneren Auge das Viele in eine dynamische Ordnung fügt und das Wesentliche, der nächste Schritt, die entscheidende Einsicht sich zeigen. Die Klarheit wird also nicht so sehr gewonnen, sie wird dem, der zugewandt und dennoch distanziert warten kann, geschenkt. Sie taucht aus der für unseren Blick scheinbar chaotischen Fülle auf, manchmal wie ein Blitz und erhellt für eine Weile das Umfeld, in dem wir uns bewegen und bewähren müssen. Sie bleibt uns erhalten, solange wir nach ihr handeln und sie verändert sich während des Handelns. Erst im Handeln wird sie völlig klar. Daher kann man sie auch nicht außerhalb des Handelns lehren oder gar beweisen. Denen, die handeln, vor allem denen, die gemeinsam nach ihr handeln, ist sie klar. Sie wird durch das Handeln weiterentwickelt und vertieft.

Das Wort

Das Word wird ursprünglich gesprochen. Es wird gesagt. In ihm wird etwas mitgeteilt, etwas benannt und beschrieben. Das Wort dient dem Austausch, ist Geben und Nehmen. Es offenbart dem anderen etwas, was ihm bisher verborgen war, lässt ihn an etwas Persönlichem teilhaben und schafft Verbindung und Vertrauen. Dabei geht es nicht nur um das, was gesagt wird, sondern auch um das Wie, um den Ton, den Ausdruck, den Blick, die Geste. Erst mit ihnen wird das Wort nicht nur gehört, sondern auch gesehen. Manche Worte sind gewichtig. In ihnen verdichtet sich ein Vorgang, ein Geschehen, eine über lange Zeit gedehnte Wirklichkeit. Zum Beispiel im Wort Mutter oder Vater oder Kind. Das gewichtige Wort bringt etwas in der Seele in Bewegung, berührt sie, setzt etwas in Gang. Zum Beispiel der Ruf Hilfe oder das einfache Bitte oder das Danke. Aber auch die Worte Leben oder Tod oder Abschied oder Heimat berühren uns und bringen etwas in Gang Manche Worte dringen in uns ein und nehmen uns in der Weise, wie sie gesagt werden, mit hinein in den Vorgang, den sie beschreiben. Zum Beispiel das Wort Hauch. Oder beim Wort Baum machen wir innerlich unwillkürlich eine Bewegung, welche die Rundung seiner Krone als Geste nachzeichnet. Im gesprochenen Wort schwingt etwas mit, was dem nur gelesenen Wort fehlt. Das gesprochene Wort braucht daher Zeit. Nur so kann, was gesagt wird, auch wirken. Beim gelesenen Wort kann man eilen, kann sogar über etwas hinweglesen. Man nimmt dann vielleicht nur seine Information auf, aber nicht seinen vollen Gehalt. Um ihn zu erfassen, muss man das Wort beim Lesen mitsprechen und ihm die gleiche Zeit geben wie dem gesprochenen Wort. Das spüren wir an uns am ehesten, wenn wir ein Gedicht lesen. Oft müssen wir, wenn wir etwas Gewichtiges sagen, dem anderen die Zeit geben, es in sich nachklingen zu lassen und zwar so lange, bis er es innerlich nachgesprochen hat. Nur so erreicht es seine Seele, wird ausgekostet und beginnt zu wirken. Auf diese Weise sprechen können wir aber nur, wenn das Wort in uns selbst gewirkt hat, wenn es, wenn wir es sprechen, wie ein Nachklang ist von dem, was in uns selbst angeklungen war. Selbstredend, solche Worte sind sparsam, schlicht, unmittelbar, zugewandt und für den anderen ein Geschenk.

Die Stille

Stille ist Gegenwart. Sie ereignet sich zwischen dem, was war, und dem, was kommt. In ihr hört etwas auf: das Aufnehmen von außen, der Strom der Gedanken, der innere Dialog, die Sorge um das nächst fällige Tun. Wir entlassen es aus dem Raum der Stille. Indem es sich aus diesem Raum zurückzieht, öffnet er sich für anderes und wird weit. Denn die Stille verbindet.  Sie verbindet uns zuerst mit uns selbst. Auf einmal hören wir das Rauschen unseres Blutes, den Schlag des Herzens, die Bitte unserer Lunge, das Klagen unserer Leber oder unseres Darmes, spüren das Verlangen nach Vereinigung als gesammelte Erwartung, hören das Zusammenklingen aller Zellen wie eine große Symphonie und lauschen ihr staunend in Andacht. Was tönt tiefer und voller als diese große Symphonie? Wie könnten wir uns jemals an ihr satt hören? Doch dann öffnet sich der Raum der Stille noch weiter und wir hören unsere Seele. Sie führt uns weit über die Grenzen unseres Körpers hinaus zu allen, denen wir durch unsere Seele verbunden sind. In ihr sind sie noch zuhause, bleiben gegenwärtig, sagen uns etwas, bitten um etwas, schenken uns etwas, blicken auf uns und warten auf uns, sind uns nah und fern zugleich. In ihrer Gegenwart spricht unsere Seele mit vielen Stimmen, wie ein vielstimmiger Chor.  Doch manche dieser Stimmen sind noch nicht im Einklang, finden noch nicht den reinen Ton. Wenn wir auch auf diese Stimmen hören, werden sie vielleicht nach einer Weile hell und klar, denn der große Gesang wird erst im Hören auf jede einzelne Stimme vollendet. Oder genauer, erst im Hören auf jede einzelne Stimme, auch auf jene, die abzuweichen scheinen, vollendet sich für uns der ganze Gesang und vollenden wir uns selbst. Wenn wir in der Stille unsere Augen öffnen und um uns schauen und um uns hören, reden zu uns auch die Tiere und die Bäume und auch die kleinste unscheinbare Blume. Doch ohne Geräusch in der Fülle der Stille. Ja, die große Stille ist auf ihre Weise mächtig und laut. Manchmal sagen wir, Gott habe sich zurückgezogen und wir reden dann vom Schweigen Gottes. Kann ein Wort mächtiger tönen als dieses Schweigen? Und ist manchmal auch unter Menschen das Schweigen nicht die klarere, die erhabenere, die gültige Antwort? Die Stille kann man übertönen, aber nur für eine Zeit. Sie wartet auf uns, manchmal sehr lange. Ihr auf Dauer entgehen können wir nicht.

Das Nicht-Gesagte

Das rechte Sagen verbindet unmittelbar mit etwas, das als wirklich, als wirksam und als wahr erkannt und erfahren wird. Es ist der Zugang über das Wort hinaus in etwas, das im Wort zwar benannt, aber nicht ergriffen und begriffen werden kann. Dieses andere ist unsagbar, wird aber im Gesagten in Wallung gebracht, in eine Bewegung, die selbst nicht benannt wird. Sie wird aber über das Gesagte hinaus als bedeutsam und uns im Innersten berührend, erfahren und gefühlt. Das Größere am Gesagten ist also das Nicht-Gesagte, das Nicht-Benennbare, das nur in der Zustimmung Wirksame, ohne dass es letztlich erfasst und verfügbar werden kann. Je mehr Nicht-Gesagtes im Gesagten mitschwingt, und zugleich gelassen, unberührt, verborgen bleiben darf, desto eindrucksvoller, dichter und mächtiger ist das Gesagte. Solches Sagen entzieht sich der Neugier, dem Nachfassen, der Genauigkeit, dem Streit, dem Argument. Sonst bleibt von der Fülle des mit dem Gesagten Nicht-Gesagten nur das mit dem Ohr gehörte, losgelöst von dem, was vorher uns berührt, bereichert, gesammelt und zu schöpferischem Tun befähigt hat.

Das Schweigen

Wir schweigen angesichts des Redens. Wenn jemand zu uns redet, müssen wir, um ihn zu hören und um ihn zu verstehen, schweigen. Nur solange wir schweigen, erreichen uns seine Worte. Nur im Schweigen können wir sie verstehen. Und nur, wenn wir zuerst geschwiegen haben, können wir auf seine Worte antworten. Hören und reden können wir daher nur, wenn wir auch schweigen. Das Schweigen ist keineswegs leer. Es ist voll der Worte, die wir hören, und voll der Worte, die wir sagen werden. Wir schweigen aber auch dann, wenn wir uns vor dem, was einer sagt, verschließen, wenn wir ihm nicht erlauben, durch seine Worte uns zu stören oder zu überreden oder uns etwas aufzuzwingen oder über uns Macht zu gewinnen. Dann wird das Schweigen zur Antwort und redet mächtiger als jedes Wort. Schweigen ist auch angesagt, wenn wir nichts zu sagen haben, wenn wir keine Antwort wissen oder wenn der Gegenstand zu groß ist, um darüber etwas sagen zu können oder zu dürfen. Oft reden wir, weil wir das Schweigen nicht aushalten, zum Beispiel im Angesicht von Schmerz und Trauer oder von schwerer Krankheit. Dann versuchen wir den anderen zu trösten, oft mit leeren Worten, oder ihm falsche Hoffnungen zu machen statt ihm schweigend nahe zu sein und vielleicht nur seine Hand zu drücken.  Wir schweigen aber auch vor etwas Großem, großer Natur zum Beispiel und großer Kunst. Wir schweigen vor allem vor Gott.

Die Sammlung

Wir sammeln uns, um etwas zu erreichen. Wir sammeln unsere Gedanken, unsere Kräfte, unsere Mittel, unsere Freunde, unsere Gehilfen. Was zuvor zerstreut war oder erschöpft, kommt in der Sammlung wieder zusammen und wird zum Handeln auf ein Ziel hin gebündelt. Die Sammlung dient einem Ziel. Sie macht es möglich. Das Ziel bestimmt, was und wie viel gesammelt werden muss. Und es ist das Ziel, welches das Gesammelte zusammenhält. Ohne ein Ziel, das für wichtig erachtet wird, lässt sich nicht genügend sammeln. Wenn mehr gesammelt wird, als es das Ziel verlangt, verliert das Gesammelte an Kraft und löst sich wieder auf. Ebenso wenn das Ziel an Anziehung und Bedeutung verliert. Die Sammlung spielt eine besondere Rolle im Leben des Geistes, also in der Wissenschaft, der Philosophie, der Religion, der Kunst, einschließlich der Handwerkskunst, und in der Weisheit. Also überall da, wo es darum geht, größere Zusammenhänge zu erfassen, die durch reine Beobachtung nicht erfasst werden können. Bei dieser Sammlung wird man auf der einen Seite leer. Das heißt, dass das bisherige Bild einer Aufgabe, einer Sache und eines Zieles in den Hintergrund tritt. Auf diese Weise leer setzt man sich einer vielleicht chaotischen Fülle aus, bis diese sich um etwas Wesentliches, um eine Mitte sammelt. So wird sie in ihrer Ordnung und ihrer Bewegung erkannt und die nächsten  Schritte auf ein Ziel hin werden vorgezeichnet. Durch die innere Leere oder, genauer, durch die innere Offenheit für anderes und Neues, sammelt sich etwas gleichsam außerhalb von uns und füllt von außen diese Leere, sodass diese am Ende selbst innen gesammelt ist und voll. Doch auch hier gilt: Ohne ein Ziel, das es wert ist, sich so zu sammeln, und ohne den Willen, nach der Sammlung auch ihr gemäß zu handeln, bleibt solche Sammlung am Ende so wie sie begann – leer.

Der Spiegel

Im Spiegel sehe ich mich mir gegenüber. Aber sehe ich mich wirklich? Wenn ich lange vor dem Spiegel stehe, fühle ich mich dann besser? Bin ich wirklich der, den ich im Spiegel sehe? Manche halten anderen den Spiegel vor, damit sie sich sehen. Sehen sie in diesem Spiegel sich, oder sehen sie vielleicht in ihm eher den, der ihnen den Spiegel vorhält? Der Spiegel ist nur ein Widerschein von etwas außer ihm. Das Wirkliche ist vor dem Spiegel und manchmal hinter ihm. Wir spiegeln uns aber auch im Gesicht eines anderen Menschen, zum Beispiel wenn wir ihm begegnen oder ihn nach längerer Abwesenheit wiedersehen. In seinem Gesicht sehen wir mehr von uns als in jedem Spiegel. Denn in seinem Gesicht spiegelt sich unsere Seele, unsere Liebe, unser Wohlwollen, aber auch unser Gram oder unser Zorn. In seinem Gesicht können wir auch wahrnehmen, wie wir uns verändern. Wir können an ihm ablesen, ob wir ihn erreichen oder uns von ihm entfernen. Aber auch in unserem Gesicht spiegelt sich für den anderen unsere Seele, ja vielleicht noch mehr. Wir sagen ja manchmal, der Mensch sei ein Spiegelbild Gottes. Wenn er es ist, scheint sein Gesicht besonders schön.

Die Tiefe

Tiefe Gedanken, tiefe Gefühle, tiefes Verstehen bewirken in unserer Seele eine Bewegung, die nach unten geht, in die Tiefe, zu unserer Mitte hin. Wir erfahren diese Bewegung als Sammlung. Sie zeigt sich auch im Gesicht. Es ist, als würde etwas von der Oberfläche abgezogen und ziehe anderes mit sich in die gesammelte Tiefe. Je tiefer diese Bewegung geht, desto mehr kann sich in ihr sammeln. Tiefe Gedanken sind nur dann tief, wenn sie aus einer solchen gesammelten Tiefe kommen und bei anderen diese Bewegung in die Tiefe in Gang setzen. Auch tiefe Gefühle führen bei uns in diese Tiefe. Weil sie tief sind, sind sie auch gesammelt. Wenn andere von einem solchen tiefen Gefühl ergriffen werden, halten wir inne und spüren auch in uns diese Bewegung in die gesammelte Tiefe. Daher halten wir in der Gegenwart solcher Gefühle Abstand und bleiben gesammelt. Auch das tiefe Verstehen führt in die Sammlung und kommt aus der Sammlung. In diesem Verstehen sammelt sich etwas in der Tiefe. Daher ist dieses Verstehen nicht nur tief. Es ist auch reich und voll.

Der Einklang

Einklang heißt: Gleiche Schwingung mit der eigenen Seele und mit der Seele anderer. Einklang heißt auch: Gleiche Schwingung mit unserer Umgebung, mit der Erde, mit der Welt. Einklang heißt: Hingegeben dem, was die Welt und uns und andere zum Schwingen bringt und in Schwingung hält, obwohl es selbst jenseits aller Schwingung bleibt. Doch wenn wir mitschwingen im tiefen Einverständnis mit allem, was ist, in der Zustimmung zu ihm, schwingen wir im übertragenen Sinn auch mit diesem Letzten mit, sind auch mit ihm im Einklang. Der Einklang ist tief. Es sind die tiefen Töne, die die Obertöne tragen. Daher ist auch der basso continuo, der die Melodien über ihm begleitet und sie  zusammenhält, tief. Der Einklang ist auch deshalb tief, weil er aus der Sammlung kommt. Sammlung geschieht in der Tiefe. In ihr fließt alles zusammen, wie die Flüsse endlich im Meer. Im Einklang sind wir ruhig, sind verbunden, haben alles und schwingen dennoch. Im Einklang sind wir berührt. Wir schwingen, weil wir berührt sind. Doch wir schwingen ruhig. Weil wir so ruhig schwingen, ziehen wir das Unruhige aus unserer Umgebung langsam in diese ruhige Schwingung mit hinein, bis es in dieser gleichen Schwingung auch ruhig wird. Doch es ist nicht unsere Schwingung, die es anzieht und berührt, denn auch wir schwingen ja nur mit etwas anderem mit. Daher gehen wir, wenn andere in dieser tiefen Schwingung mit uns schwingen, unter und sind von dieser Schwingung nicht zu unterscheiden.