Gefangen im Sex-Verlies - Tomàs de Torres - E-Book

Gefangen im Sex-Verlies E-Book

Tomás de Torres

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  • Herausgeber: SALAX
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Als Gefangene in einem mittelalterlichen Verlies wird Paloma von einer maskierten Gestalt nach allen Künsten gezüchtigt. Dies träumt sie, nachdem sie eine Nacht mit ihrem neuen Chef, dem mysteriösen Verleger Lorenzo Águila verbracht hatte. Die Lust mit Lorenzo und die Lust in ihren Träumen verstören Paloma zutiefst und es wird zunehmend schwieriger, die Realität und die Träume auseinanderzuhalten. Als sie dann in ihren Träumen von einer Mitgefangenen eindringlich vor diesen Träumen gewarnt wird und als sich Lorenzo mit einem Mal von ihr abwendet und sogar einen Selbstmordversuch unternimmt, begreift sie: Hinter diesen SM-Träumen steckt mehr, viel mehr, als sie jemals geahnt hätte ...

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Seitenzahl: 290

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Tomàs de Torres

Gefangen im Sex-Verlies

Erotischer Thriller

– DUNKELKAMMER –

1. Auflage Dezember 2012

Titelbild: © by Roman Kasperski | www.romankasperski.de

©opyright 2012 by U-Line & Tomàs de Torres

Lektorat: Franziska Köhler

Satz: nimatypografik

Druck & Bindung: AALEXX Buchproduktion GmbH

www.aalexx.de

ISBN: 978-3-939239-71-0

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder

eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher

Genehmigung des Verlags gestattet.

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DUNKELKAMMER

ein Imprint von

Ubooks-Verlag

U-line UG (haftungsbeschränkt)

Neudorf 6 | 64756 Mossautal

www.u-line-verlag.de

«Was ist das Schlimmste, das jemandem zustoßen kann? Außer dem Tod?»

«Das Schlimmste – und zugleich auch das Beste –, das jemandem zustoßen kann, ist eine glühende, bedingungslose Liebe.»

«Das Schlimmste ist das Beste? Die Liebe?»

«Lass mich dir eine Geschichte erzählen …»

1.

Als Paloma zum dritten Mal an dem verwaisten Motorrad-Parkplatz vorbeifuhr, schielte sie nach der Uhr und trat auf die Bremse. Das Lenkrad entglitt ihren schweißfeuchten Händen. Sie musste nachgreifen, brachte den Seat Córdoba aber gerade noch in einer annehmbaren Position zum Stehen.

Drei nach neun! Zu spät – am ersten Arbeitstag meines Lebens zu spät!

Es hatte nichts genutzt, am Vortag die Strecke von ihrer Wohnung in Barcelonas Stadtteil Horta-Guinardó zum Verlag Probe zu fahren – am Freitag war alles anders. Eine halbe Stunde im Stau einer Wanderbaustelle hatte ihr Zeitpolster aufgefressen, und dann musste sie feststellen, dass es im Umkreis von mindestens einem halben Kilometer keinen freien Parkplatz gab.

Sie nahm sich vor, den Wagen in der Mittagspause umzuparken, packte ihre Handtasche und rannte über die Straße. Das Büro des Verlags Ediciones Mateo lag in einem fünfstöckigen Gebäude im Schatten der Torre Urquinaona, eines Siebzig-Meter-Hochhauses, das aus dem umgebenden Häusermeer emporragte wie eine Felsnadel aus einer Geröllwüste.

Anstatt auf den Aufzug zu warten, hetzte Paloma die Treppe­ hinauf, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend. Vor der Glastür mit dem Signet des Verlags – ein verschlungenes M – gönnte sie sich einige Sekunden, um wieder zu Atem zu kommen. Sie strich die schulterlangen schwarzen Haare glatt und zupfte am Rock ihres cremeweißen Kostüms, dann drückte sie den Klingelknopf. Ein Summen und ein Klacken antworteten.

Mit einem gedanklichen Stoßgebet öffnete sie die Tür. Vor ihr erstreckte sich ein langer und hell erleuchteter Flur, den mehrere metallene Aktenschränke noch enger erscheinen ließen, als er ohnehin war. Großformatige Gemälde hingen an den Wänden. Eine Tür auf der linken Seite mit der Aufschrift Empfang/Sekretariat stand offen, und Paloma tat einen zaghaften Schritt vorwärts. Ein brünetter Lockenkopf und ein Paar Augen von beinahe der gleichen Farbe, das sie freundlich musterte, schoben sich in ihren Sichtbereich.

«Mein Name …» Paloma räusperte sich, um den Frosch aus ihrem Hals zu vertreiben. «Mein Name ist Paloma Herrera Diaz. Es – es tut mir leid, ich konnte keinen Parkplatz finden!»

Die Brünette lachte, stand von ihrem überbordenden Schreibtisch auf und zwängte sich zwischen diesem und der Wand hindurch. Trotz ihres Alters – sie war vielleicht fünfunddreißig – vermittelten ihr blauer Faltenrock und die weiße Bluse, unter der sich ein gut gefüllter BH abzeichnete, den Eindruck einer Schuluniform. Paloma hatte sie vor drei Wochen kennengelernt, bei ihrem Vorstellungsgespräch, doch sie konnte sich nicht mehr an ihren Namen erinnern.

Die Sekretärin streckte die Rechte aus. «Conchita Martinez – einfach Conchita. Sekretärin, Buchhalterin, Kaffeeköchin, Mädchen für alles. Willkommen!»

Aufatmend schlug Paloma ein – ein kräftiger Druck einer zierlichen, unmanikürten Hand, ein strahlendes und, wie Paloma etwas neidvoll erkannte, glückliches Lächeln.

Sie lächelte zurück. «Tja …»

Ihr Blick glitt den Flur entlang. Die Gemälde waren, wie sie nun erkannte, die Originale einiger Titelbilder von Büchern des Verlags.

Conchita deutete auf die Tür am Ende des Flurs. «Don Mateo ist heute nicht im Haus. Aber Señor Águila. Er wartet schon auf dich.»

Paloma schluckte. Sie fühlte ein Pochen in ihrer rechten Schläfe. Dann erst registrierte sie, dass Conchita ohne Umschweife zum kollegialen Du übergegangen war, was ihr die nächste Frage erleichterte.

«Wie ist er denn so? Ich bin ihm noch nicht vorgestellt worden …»

Wieder lachte Conchita. Ihr ganzes Gebaren vermittelte ­Paloma den Eindruck einer ausgeglichenen Frau, die Probleme anging und löste, anstatt ihnen auszuweichen, und die mit beiden Beinen fest im Leben stand.

In der Realität, dachte Paloma. Dort muss ich auch endlich ­ankommen – in der Realität!

«Señor Águila? Manche nennen ihn ‹die Geißel der Autoren›, aber lass ihn das nur nicht hören! Don Mateo sagte einmal, er treibe die Autoren zu Höchstleistungen – oder zur Konkurrenz.» Conchita zuckte mit den Schultern. Ihre Augen lachten immer noch. «Als Cheflektor eines zwar kleinen, aber durchaus angesehenen Verlags muss er wohl so sein.»

Paloma zuckte zusammen und Conchita hob beschwichtigend beide Hände.

«Nein, keine Angst, er ist nicht so schlimm, wie das klingt. Er ist alles andere als ein Unmensch! Es ist nur so, dass er kaum etwas anderes kennt als seine Arbeit, und die macht er hervorragend – sagt zumindest Don Mateo, und der muss es schließlich wissen. Er ist mittlerweile sogar Teilhaber. Aber er geht nun mal davon aus, dass auch alle anderen nur für ihre Arbeit leben. Wahrscheinlich kann er sich gar nichts anderes vorstellen.»

Wieder wanderte Palomas Blick den Flur entlang und blieb an einer etwa fünf Meter entfernten Tür auf der rechten Seite haften, auf der Lorenzo Águila stand.

«Señor Pardo verriet mir beim Vorstellungsgespräch, dass in diesem Jahr bereits zwei Lektoratsassistentinnen gekündigt hätten – und es ist gerade mal zur Hälfte vorbei!»

Conchita nickte. «Das stimmt. Sie sind wohl seinen Ansprüchen nicht ganz gerecht geworden. Aber du hast ihnen gegenüber einen großen Vorteil: Er hat deine Diplomarbeit über Arturo Pérez-Revertes Capitán Alatriste gelesen und sie hat ihm sehr gut gefallen! Außerdem braucht er dringend jemanden, der ihm zur Hand geht, eingesandte Manuskripte durchsieht und so weiter. Wenn du die ersten paar Wochen überlebst, hast du gute Chancen für eine Lebensstellung.»

«’n Morgen!»

Paloma fuhr herum. Ihr Gesicht spiegelte wohl ihr Erschrecken, denn sowohl Conchita als auch der untersetzte Mann, der sich durch die immer noch geöffnete Eingangstür schob, lachten auf.

«Darf ich dir Juan Galindo vorstellen?», sagte Conchita. «Er ist für das Layout und die Grafik zuständig und kümmert sich auch um das Netzwerk. Wenn du Computerprobleme hast, ist er der richtige Mann! – Juan, das ist Paloma, die neue Lektoratsassistentin.»

Juan hatte einen Bauchansatz, einen angegrauten Dreitage­bart und einen schwammigen Händedruck. Er musste auf die fünfzig zugehen.

«War schön, dich kennengelernt zu haben.»

Er nickte Paloma zu, dann verschwand er in der letzten Tür auf der linken Seite.

Conchita kicherte. «Das ist seine Art von Humor. Mach dir bloß nichts draus! Er ist ein Ass in seinem Job und ein hilfsbereiter Kollege, aber beides nicht vor dem Mittagessen. Es gibt noch einen Korrektor, aber der arbeitet meist zu Hause.» Sie verschränkte die Arme unter den Brüsten und warf einen Blick auf Águilas Tür. «Tja, damit kennst du schon beinahe den ganzen Verlag.»

«Dann werde ich mal …»

Paloma gab sich einen Ruck, doch bevor sie einen Schritt in Richtung der Tür machen konnte, öffnete sich diese und heraus trat ein schlanker und ausnehmend hochgewachsener Mann, der einen tadellosen schwarzen Anzug trug sowie eine dunkelblaue Seidenkrawatte.

Etwas veränderte sich mit seinem Erscheinen – nicht nur die Atmosphäre des Raums, die mit einem Mal dichter wurde,­ sondern auch der Raum selbst. Paloma erschien der Flur mit einem Mal perspektivisch verzerrt und auf die Hälfte seiner Länge geschrumpft, sodass Águila beinahe in ihrer Griffweite­ stand. Und als er ihr zunickte, durchzuckte sie ein Déjà-vu und sandte einen Schauer durch ihren Körper. Für den Bruchteil einer Sekunde schien ihr, sie habe genau diese Szene schon einmal erlebt, und sie wusste, welche Worte Águila an sie richten würde.

«Señorita Herrera, nehme ich an?»

Kurz darauf saß sie ihm in seinem Büro gegenüber, ohne zu wissen, wie sie dort hingekommen war. Sie konnte den Blick nicht von ihm lösen. Wenn es stimmte, dass die Augen der Spiegel der Seele waren, dann bestand diese Seele aus blankem Stahl. Doch dann wandte er den Kopf, und mit dem veränderten­ Lichteinfall erschien das Grau seiner Iris hell und beinahe durchsichtig – ein dünner Wolkenschleier vor einem Abendhimmel, durch den die ersten Sterne blitzten.

Gegen diese Augen traten seine Gesichtszüge deutlich zurück: Eine scharfkantige Nase, die seinem Namen – «Adler» – alle Ehre machte, straffe Haut über leicht hervorstehenden Backenknochen, ein kantiges Kinn, das teilweise durch einen kurzen und gepflegten schwarzen Bart verdeckt wurde, ebenfalls kurzes, schwarzes Haupthaar, auf der linken Seite gescheitelt. Alles in allem kein dem Schönheitsideal völlig entsprechendes, aber in jedem Fall ein beeindruckendes ­Gesicht eines Mannes Anfang dreißig.

«Geboren und aufgewachsen in Barcelona, vierundzwanzig Jahre alt …»

Ihre Bewerbungsmappe lag aufgeschlagen vor ihm auf dem überdimensionierten Schreibtisch aus dunklem Holz. Águilas Stimme war kraftvoll und klar.

«Sie haben spanische Literatur und Sprache an der Universitat de Barcelona studiert und mit dem Master abgeschlossen. Vorher zwei Semester Psychologie …» Sein Blick hatte etwas Hypnotisches an sich. «Warum haben Sie abgebrochen?»

«Ich …»

Sie schluckte. Noch immer starrte sie ihn an wie eine überirdische Erscheinung. Du musst damit aufhören!Was soll er nur von dir denken? Doch ihre Augen gehorchten dem gedanklichen Befehl nicht. Es war, als ob eine unsichtbare Macht ihren Geist beherrschte – eine Macht, die von Águila ausging.

«Nun …?»

«Entschuldigung – könnten Sie die Frage wiederholen?»

«Sie haben zwei Semester Psychologie studiert und dann auf Literatur umgesattelt.»

Etwas zu hastig senkte sie den Kopf. «Es … es war einfach nicht das Richtige für mich. Literatur hat mich mehr interessiert.»

Águila schlug die Bewerbungsmappe zu und lehnte sich in seinem Ledersessel zurück. «Sprechen wir über Ihre Arbeit hier im Verlag. Ihre Aufgabe wird es sein, mich zu unterstützen und zu entlasten – vor allem davon!»

Er wies mit der Rechten auf eine Stelle hinter Paloma. Nur mit äußerster Willensanstrengung gelang es ihr, den Kopf zu wenden. Dort, in einer Ecke neben dem Eingang, waren mehrere bis in Brusthöhe reichende Papiertürme aufgestapelt.

«Ich habe einige Semester Anglistik in den Vereinigten Staaten studiert», fuhr Águila fort, «und dort nennt man das den ‹Mount Trash› – den Müllberg. Anders ausgedrückt: Es handelt sich um unverlangt eingesandte Manuskripte. Was Sie da sehen, ist der Stau von drei oder vier Monaten. Don Mateo besteht darauf, dass jeder eingehende Roman geprüft wird. Er ist der Meinung – die ich vorbehaltlos teile –, dass es geradezu kriminell ist, wie manche Verlage mit den Manuskripten umgehen. Mehr als die ersten paar Seiten werden praktisch nie gelesen, und oft genügt ein ‹knurrte›, ein ‹plötzlich› oder eine allzu blumige Wendung, und die Arbeit von Monaten oder gar Jahren landet im Müll. Auch wenn nur einer unter tausend eingesandten Romanen etwas taugt, meint Don Mateo, wäre es schade, auf diesen einen zu verzichten. Einen der größten Verkaufserfolge von Ediciones Mateo, nämlich den Roman Rosita, verdanken wir dieser Philosophie.»

Paloma nickte. Nachdem sie erfahren hatte, dass sie die Stelle bekommen würde, hatte sie sich einen Stapel Bücher des auf moderne Abenteuerliteratur spezialisierten Verlags in einer Bibliothek ausgeborgt und «quergelesen». Bei Rosita jedoch war es nicht beim Querlesen geblieben. Sie hatte die mitreißende Geschichte über Liebe, Wahnsinn und eine Jagd um die ganze Welt innerhalb von zwei langen Nächten verschlungen.

«Wenn ich Ihnen nun den Mount Trash anvertraue», fuhr Águila fort, «lege ich damit auch eine große Verantwortung in Ihre Hände, und ich kann nur hoffen, dass Sie sich dieser würdig erweisen. Vielleicht entdecken Sie ja den literarischen Superstar des 21. Jahrhunderts, wenn dies auch mehr als unwahrscheinlich ist.»

«Ich werde mein Bestes geben», sagte Paloma ernst.

«Jeder sollte zu jeder Zeit sein Bestes geben, vor allem dann, wenn es um seine Arbeit geht. Ich denke, dann wäre diese Welt ein viel besserer Ort, glauben Sie nicht?»

Paloma nickte. «Ganz gewiss. Soll ich gleich anfangen?»

«Natürlich. Conchita wird Ihnen Ihr Büro zeigen.»

Zum ersten Mal lächelte er – ein freundliches, offenes ­Lächeln, das Palomas ohnehin aus dem Takt geratenes Herz einen Schlag überspringen ließ.

«Es ist die ehemalige Abstellkammer, aber immerhin hat es ein Fenster. Unsere Verhältnisse sind hier leider etwas ­beengt. Don Mateo ist auf der Suche nach neuen Räumen, aber so etwas dauert seine Zeit.»

«Kein Problem.»

Paloma stand so rasch auf, dass ihr Stuhl kippte. Sie konnte ihn gerade noch festhalten. Águila war vor ihr bei der Tür und drückte ihr einen Stoß Umschläge in die Hand.

«Das sollte für den ersten Tag genügen. Viel Spaß – und ein schönes Wochenende!»

Etwas entgeistert über diese abrupte Verabschiedung verließ Paloma das Büro. Kaum hatte Águila die Tür hinter ihr geschlossen, stand Conchita an ihrer Seite und lächelte sie an. «Na, hat er gebissen? Komm, ich zeig dir dein Kabuff!»

Das «Kabuff» war ein etwa vier Meter langer und zwei ­Meter breiter Raum zwischen Águilas Büro und den Toiletten. Das Fenster ging auf eine ruhige Nebenstraße hinaus, davor stand ein Schreibtisch mit Drehstuhl. Einige Schränke, von denen die weiße Lackfarbe teils abgeblättert war, nahmen den Großteil der rechten Wand ein.

«Tonerkassetten, Papier, Putzmittel und so weiter», sagte Conchita. «Die Putzfrau wird dich kaum stören, sie kommt dreimal die Woche abends. Na, wie findest du es? Computer kommt irgendwann nächste Woche, wenn Juan Zeit hat.»

«Es genügt vollkommen», sagte Paloma und meinte es ehrlich. «Hell genug zum Lesen ist es, das ist das Wichtigste.»

Conchita schien erleichtert. «Super. Wenn du irgendwas brauchst, du weißt ja, wo du mich findest. Kaffee – echten Kaffee! – gibt’s in der Küche neben meinem Büro, geht auf Kosten des Hauses. Wenn du lieber Tee trinkst, musst du ihn selber mitbringen.»

«Kaffee klingt super, vielen Dank.»

Conchita verabschiedete sich mit einer Geste, und Paloma setzte Handtasche und Manuskriptstapel auf dem Schreibtisch ab. Dann nahm sie Platz, atmete einige Male tief durch und öffnete den ersten Umschlag.

Die Geheimnisse von Petersburg! Na, das klingt ja vielversprechend …

Viel später, zwischen Der Fluch des Türmers und Blutrunst, folgte­ sie dem Ruf der Natur und stellte dabei fest, dass der Verlag verlassen war: Mittagspause. Sie war an diesem Morgen so aufgeregt gewesen, dass sie vergessen hatte, etwas zu essen einzupacken. Aber da sie keinen Hunger verspürte und Águilas Manuskriptstapel auf ihrem Schreibtisch allzu langsam schrumpfte, beschloss sie weiterzuarbeiten. Sie suchte sich im Geschirrschrank eine große Tasse ohne abgebrochenen Henkel, füllte sie mit dampfendem Kaffee aus der Thermoskanne und zog sich wieder in ihr «Kabuff» zurück.

Sie schrak auf, als Conchita ohne anzuklopfen hereinplatzte, einige fabrikverpackte Putzlumpen in der einen und eine Familienpackung Toilettenpapier in der anderen Hand. Sie bemerkte Paloma erst, als sie einen der Schränke beinahe erreicht hatte.

«’Tschuldigung, ich dachte, du bist auch schon weg!»

Verwirrt sah Paloma auf ihre winzige Armbanduhr. «Schon drei vorbei. Wie lange wird hier überhaupt gearbeitet?»

Conchita verstaute den Einkauf im Schrank und trat dann an Palomas Schreibtisch. «Unter der Woche bis fünf, freitags bis drei, offiziell. Natürlich wird es manchmal später. Was liest du denn gerade? Inquisitor des Teufels?» Sie lachte laut auf. «Ich beneide dich!»

Paloma legte das Manuskript beiseite und schüttelte den Kopf. «So spät …»

Sie sah aus dem Fenster. Der Verkehr floss nicht mehr – er stand. Beim Anblick der Autos fiel ihr siedend heiß ein, dass sie ja ihren Wagen in der Mittagspause hatte umparken wollen.­ Sie sprang auf und packte ihre Handtasche.

«Ich gehe besser auch.»

Auf dem Flur spähte sie in Richtung des benachbarten ­Büros. «Ist Señor Águila noch da? Ich sollte mich wohl verabschieden …»

Conchita schüttelte den Kopf. «Das ist keine gute Idee. Er öffnet die Tür seines Büros, niemand sonst. Das gilt sogar für Don Mateo. Er hasst es, bei der Arbeit gestört zu werden.»

Paloma verkniff sich ein Schade. «Aha …»

Sie fuhren gemeinsam mit dem Aufzug hinunter, trennten sich vor der Haustür und wünschten sich gegenseitig ein schönes Wochenende. Während Paloma zum Parkplatz hastete, betete sie, dass sie keinen Strafzettel vorfände. Das Geld der Lebensversicherung, das sie vor sieben Jahren nach dem Tod ihrer Mutter erhalten hatte, war so gut wie aufgebraucht und die erste Gehaltszahlung noch vier lange Wochen entfernt. Wenn sie den Job bei Ediciones Mateo nicht bekommen hätte, wäre sie gezwungen gewesen, irgendeine Stelle anzunehmen, vielleicht als Verkäuferin in einem Kleiderladen oder als Kassenkraft in einem Supermarkt. Aber sogar solche Stellen schien man nur noch über Beziehungen zu bekommen, und die Frage stellte sich, ob –

Ihr Auto war weg.

Mit offenem Mund und hämmerndem Herzen stand sie vor dem Parkplatz. Eine Handvoll Motorräder und zwei PKWs – ein grüner Citroën und ein weißer Renault-Kleinlieferwagen –, das war alles. Kein roter Seat Córdoba.

Sie drehte sich einmal um sich selbst und versuchte verzweifelt sich zu erinnern. Dieser Stadtteil – La Eixample – war vor anderthalb Jahrhunderten in einem Schachbrettmuster angelegt worden, mit quadratischen Häuserblöcken, die durch kerzengerade Straßen und kleine, achteckige Plätze­ getrennt wurden. Wenn man sich nicht auskannte, konnte man sich leicht verirren. Vielleicht war das der falsche Parkplatz …

Dann schüttelte sie den Kopf. Links, keine hundert Meter entfernt, war die Torre Urquinaona und halb rechts konnte sie gerade noch den Eingang des beigefarbenen Blocks sehen, in dem der Verlag untergebracht war. Kein Zweifel, sie stand auf dem richtigen Parkplatz.

Was ist passiert? Geklaut? Doch nicht ein acht Jahre alter Kleinwagen mit einer dicken Beule am linken Kotflügel!

Dann dämmerte es ihr: Abgeschleppt! Aber die anderen stehen doch auch da. Was mache ich jetzt?

Ein Schweißtropfen lief über ihre Stirn und verfing sich in der linken Augenbraue. Sie blinzelte. Die nachmittägliche Julihitze war drückend, aber Palomas innere Hitze – die Hitze der Panik – war noch viel drückender.

Sie befeuchtete mit der Zunge ihre spröden Lippen. So etwas­ war ihr noch nie passiert. Sie ging lieber ein paar hundert Meter zu Fuß, anstatt im Parkverbot auch nur für eine Minute anzuhalten. Aber an diesem Morgen hatte sie doch keine andere Wahl gehabt!

Was tut man in solchen Fällen? Ein Polizist, den man fragen könnte, ist natürlich auch nicht in Sicht!

Ein dunkelblauer Kleinwagen, der aussah, als habe man sein Heck mit einem Fallbeil gekappt, hielt neben ihr, und Paloma machte einen Satz zur Seite.

«Hallo! Alles okay?»

Sie bückte sich und erkannte Conchitas Lockenkopf. Eine Last fiel von ihrer Seele – Conchita würde bestimmt wissen, was zu tun sei.

«Mein Auto!» Sie gestikulierte zu dem Parkplatz hinter ihr. «Es …»

«Du hast doch nicht etwa hier geparkt?»

Palomas Schultern sanken herab. «Was sollte ich tun? Ich war zu spät dran und …»

Conchita lachte. «Jeder fällt hier irgendwann mal rein. Dein Pech, dass es gleich am ersten Tag passiert ist. Am besten, du rufst von zu Hause aus die Stadtpolizei an.» Sie beugte sich noch weiter auf die Beifahrerseite. «Wo wohnst du denn?»

«Carrer de la Galla, Horta-Guinardó.»

Conchita stieß die Beifahrertür auf und wuchtete eine Carrefour-Einkaufstasche hinter den Sitz. «Spring rein – das ist höchstens einen Kilometer von mir entfernt. Ich fahr dich nach Hause.»

«Macht es auch wirklich nicht zu viele Umstände?»

«Kein Problem!»

Paloma ließ sich in den Sitz fallen, schnallte sich an und durchkramte ihre Handtasche auf der Suche nach einem ­Taschentuch. Conchita öffnete das Handschuhfach und drückte ihr eine Packung Papiertaschentücher in die Hand.

«Danke.»

Paloma wischte sich den Schweiß von der Stirn und schloss die Augen. Nur langsam beruhigte sich ihr Herzschlag.

«Parkplätze sind hier ein Problem, vor allem freitags, da sollte man mindestens eine halbe Stunde früher dran sein», sagte Conchita, während sie sich in den Verkehr einfädelte. «Don Mateo ist auf der Suche nach einem neuen Büro in einem der östlichen Viertel, Sant Andreu oder Nou Barris, wo er auch wohnt. Aber das wird frühestens in drei Monaten was.»

«Er scheint mir ein netter alter Herr zu sein.»

Paloma war nicht nach einer Unterhaltung zumute, aber sie war Conchita dankbar für ihren Beistand und wollte keines­falls unhöflich erscheinen.

Conchita nickte. «Ich arbeite jetzt seit vier Jahren bei ihm, und er ist der beste Chef, den ich je hatte.»

«Wie spricht man ihn denn an? Señor Pardo?»

«Jeder nennt ihn Don Mateo.»

«Aha. Und … Señor Águila?»

Conchita hielt an einer Ampel und warf Paloma einen langen Blick zu. «Den nennt sogar Don Mateo ‹Señor Águila›.» Sie kicherte. «Wahrscheinlich redet er sich sogar in Selbstgesprächen so an!»

Paloma fielen auf Anhieb tausend Fragen zu «Señor Águila»­ ein, aber sie wagte keine einzige zu stellen, aus Furcht, Conchita könne ihr Interesse richtig deuten. Eine Weile starrte sie aus dem Fenster. Dann blitzte Conchitas Ring in der Sonne und Paloma fragte, mehr aus Höflichkeit als aus echtem Interesse: «Du bist verheiratet?»

Conchitas Gesicht veränderte sich von einem Augenblick zum anderen. Es wurde voller, glänzender. Ihre braunen Augen funkelten Paloma an. «Mit dem besten Mann der Welt.»

«Ach, du bist das …»

Wieder lachte Conchita. Sie schien die ausgeglichenste und glücklichste Frau zu sein, der Paloma jemals begegnet war. «Ja, ich bin das. Pablo ist …» Sie schüttelte den Kopf. «Ach, was soll’s, du würdest es nicht verstehen. Ich verstehe es ja selbst nicht, obwohl ich zwölf Jahre mit ihm verheiratet bin.»

Paloma setzte zu der Frage an, was denn so Besonderes an Pablo sei, doch in diesem Augenblick bog der Wagen in ihre Straße ein und sie lotste Conchita zu dem grauen Betonklotz, in dem sie wohnte.

«Tausend Dank! Du hast mir wirklich sehr geholfen! Jetzt muss ich nur noch sehen, dass ich mein Auto wiederkriege. Bis Montag!»

«Bis Montag.»

2.

In ihrer Wohnung ließ Paloma die Handtasche fallen und streifte die Schuhe ab, dann sank sie auf das Sofa im Wohnzimmer. Sie brauchte unbedingt einige Minuten Ruhe. Zu viel war an diesem Tag auf sie eingestürmt, Gutes und Schlechtes.

Das Auto!

In dem Bewusstsein, dass sie keinen Frieden finden würde, ehe dieser Punkt geklärt war, stand sie wieder auf und ging zum Telefon im Flur. Aus dem Telefonbuch suchte sie die Nummer der Policía Municipal heraus. Nach dreimaligem Verbinden gelangte sie endlich an einen Beamten, der ihre Autonummer in seinem Computer wiederfand und ihr bestätigte, dass der Seat abgeschleppt worden sei.

Er nannte die Adresse, wo sie ihn abholen konnte, und fügte hinzu: «Das macht 30 Euro fürs Falschparken und 150 Euro 70 fürs Abschleppen! Papiere nicht vergessen. Schönes Wochenende.»

Paloma stöhnte auf. 180 Euro! Sie würde den Rest des ­Monats zwar nicht gerade hungern müssen, aber größere Sprünge konnte sie nicht mehr machen.

Sie hatte kaum aufgelegt, als das Telefon läutete.

«Hallo?»

«Hallo, Täubchen! Wie war der erste Tag?»

Paloma unterdrückte einen Seufzer und bemühte sich, ­ihrer Stimme einen fröhlichen Klang zu geben. Pilar war ihre beste Freundin und in mancher Beziehung auch so etwas wie eine Ersatzmutter, aber in diesem Moment hätte sie auf eine Unterhaltung lieber verzichtet.

«Durchwachsen.» Sie erzählte die Sache mit dem Auto, aber das beeindruckte Pilar als Nicht-Autobesitzerin wenig.

«Wie war die Arbeit? Und die Kollegen? Gibt es viele Männer? Ich habe mal gelesen, das Verlagsgeschäft sei von Frauen dominiert …»

Paloma verdrehte die Augen. «Nicht der Verlag von Don Mateo.»

«Don Mateo, so … Und wie ist der?»

«Sehr nett – und über sechzig Jahre alt!»

«Das hat überhaupt nichts zu sagen, Täubchen. Ich kannte da mal einen Lustgreis …»

«Pilar, bitte!»

«Und die anderen Männer?»

«Juan, der Grafiker, ist um die fünfzig und schläft im Gehen. Und der Cheflektor …» Paloma stockte. Sie wusste nicht, was sie ihrer Freundin über Señor Águila erzählen sollte – oder wollte.

Pilar genügte dieses Zögern. Paloma wusste, dass sie so etwas wie einen sechsten Sinn für Geheimnisse besaß oder auch nur für Dinge, die man ihr verschweigen wollte.

«Was ist mit dem Cheflektor?»

«Nichts!» Palomas Ausruf war lauter geraten als beabsichtigt. «Was soll mit ihm sein? Er ist um die dreißig, sehr höflich und korrekt und hat die …»

… die faszinierendsten Augen, in denen ich mich jemals verloren habe.

«Hat was? Täubchen, lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!»

Paloma atmete tief ein und wieder aus. «Er hat hellgraue Augen, die beinahe durchsichtig sind – oder zumindest so aussehen.»

«Und du hast natürlich ganz tief hineingesehen in diese wunderschönen hellgrauen durchsichtigen Augen? Täubchen, das klingt hochinteressant. Hat er schon versucht, dich zu küssen? Oder dir den Po getätschelt? Oder dir etwa –»

«Natürlich nicht. Du bist wirklich unmöglich! Wir hatten­ ein sehr sachliches Gespräch über den Verlag und meine ­Arbeit, nichts sonst.»

«Oje! Vielleicht ist er vom anderen Ufer. Ich kannte da mal –»

Nun musste Paloma doch lachen. «Nein, ganz gewiss nicht. Es ist wohl eher so, dass er nur für seine Arbeit lebt. Conchita – das ist die Sekretärin – sagte, er ist an dem Verlag beteiligt.»

Pilar stieß einen Pfiff aus. «Den musst du dir warmhalten, Täubchen! Solche Männer findet man nicht an jeder Ecke. Ich weiß das, ich – ah, apropos: Wenn ein Mann mir dreimal verspricht, am Wochenende mit mir in die Berge zu fahren – er hat da ein Chalet oder so was –, und er dann jedesmal Kopfschmerzen bekommt und auch wirklich krank aussieht, so richtig grau im Gesicht, bedeutet das, dass er im Grunde genommen Angst vor einer Bindung hat?»

Paloma schmunzelte. Kein Gespräch mit Pilar, ohne dass diese einen psychologischen Rat benötigte, bei dem es stets um Männer ging. «Kann natürlich sein», sagte sie. «Genauso gut ist es möglich, dass er eine Wochenendneurose hat.»

«Eine Wochenendneurose! So was gibt es?»

«Das ist gar nicht mal so selten. In vielen Familien ist das Wochenende ein kritischer Zeitpunkt. Der Mann ist den ­ganzen Tag zu Hause und weiß vielleicht nichts mit sich anzufangen. Es gibt Streit. Vielleicht ist auch noch Alkohol oder Gewalt im Spiel. Ein Kind, das in so einer Ehe aufwächst, reagiert darauf beinahe zwangsläufig mit Angst vor dem Wochenende, und so eine antrainierte Angst ist auch im ­Erwachsenenalter nur schwer wieder loszuwerden.»

«Eine Wochenendneurose!» Paloma konnte beinahe sehen, wie Pilar am anderen Ende der Leitung den Kopf schüttelte. «Und was kann ich dagegen tun?»

«Hm … Versuch mal, ihn zu überreden, unter der Woche ein paar Tage freizunehmen und dann den Ausflug zu machen.»

«Das werde ich machen, Täubchen. Vielen Dank! Ach, noch was: Ich habe immer noch deinen Schlüssel. Wenn’s bei dir passt, könnte ich ihn nächstes Wochenende vorbeibringen. Vielleicht am Samstag, so gegen Mittag?»

«Das eilt nicht. Aber du bist stets willkommen, das weißt du ja.»

«Danke! Und ich halte dich auf dem Laufenden über die … die Wochenendneurose.»

«Möchte ich um nichts in der Welt missen. Bis dann!»

«Bis dann, Täubchen. Und … viel Glück bei deinem Cheflektor.»

Kopfschüttelnd legte Paloma auf. Pilar war eine Seele von einem Menschen, aber mitunter sehr anstrengend. Und ihre Neugierde nahm manchmal inquisitorische Ausmaße an.

Sie duschte, zog etwas Bequemeres an und bereitete sich ein kaltes Abendessen zu, doch während der ganzen Zeit ging ihr Lorenzo Águila nicht aus dem Kopf. So unterschiedlich er, Conchita und Pilar auch sein mochten, die drei hatten etwas gemeinsam: Sie alle waren felsenfest in der Realität verankert, im sogenannten «wahren Leben».

Es war an der Zeit, dass auch ihr Leben begann. Auch wenn das bedeutete, dass sie über ihren eigenen Schatten springen musste, oder besser gesagt über den Schatten ihrer Kindheit und Jugend.

Eine hohe Hürde.

Vielleicht ergab sich am Montag ja eine Gelegenheit, einmal ein paar persönliche Worte mit ihrem neuen Vorgesetzten zu wechseln.

Diese Augen … Kein gewöhnlicher Mensch hat solche Augen!

Es würde ein langes Wochenende werden.

3.

Am Samstagvormittag, nach einem schmerzhaften Abstecher zum Geldautomaten, holte Paloma ihren Wagen ab. Am Montag fuhr sie mit dem Bus zur Arbeit; das war zwar teurer als das Benzin für den Seat, aber dafür kostete das Parken nichts.

Diesmal war sie beinahe eine halbe Stunde zu früh dran. Da sie noch keinen Büroschlüssel besaß, blieb ihr nichts anderes übrig, als vor der Tür zu warten. Doch bereits nach wenigen Minuten bog mit weit ausgreifenden Schritten ein hochgewachsener Mann in schwarzem Anzug um die Ecke, der einen ledernen Aktenkoffer trug.

Paloma versuchte einen Scherz: «Der Erste am Morgen und der Letzte am Abend.»

Águila grüßte freundlich, ging jedoch nicht auf ihre Äußerung ein. «Na, wie sieht es aus? Haben Sie den literarischen Superstar des 21. Jahrhunderts schon entdeckt?»

«Ich fürchte, das kann noch eine Weile dauern.»

Zwei Minuten später nahm sie in seinem Büro einen neuen Stapel Manuskripte in Empfang. Am Freitag war sie viel zu aufgeregt gewesen, um dem Raum ihre Aufmerksamkeit zu widmen, doch jetzt sah sie sich genauer um.

Neben dem offensichtlich alten Schreibtisch, auf dessen Mahagoniplatte trotz Überfüllung militärische Ordnung herrschte, gab es einen kleinen Besprechungstisch, um den sich drei Stühle in einem exakten gleichseitigen Dreieck gruppierten. Die rechte Wand beherrschte ein alter, aber glänzend polierter Aktenschrank. Persönliche Dinge wie Fotos oder irgendwelche Andenken suchte sie vergeblich.

Das Bild perfekter Ordnung wurde lediglich durch den Mount Trash gestört, und in Paloma keimte der Verdacht auf, dass Águila sie hauptsächlich als Mittel betrachtete, sein Büro von diesem Schandfleck des Chaos zu befreien.

«Was passiert mit den abgelehnten Manuskripten?», fragte sie, um nicht sofort wieder höflich, aber bestimmt hinauskomplimentiert zu werden.

«Legen Sie sie einfach auf Conchitas Schreibtisch, falls Sie eine freie Ecke finden. Sie wird sie zusammen mit einem Beileidsschreiben zurückschicken.»

«Soll ich nicht jeweils ein paar Sätze dazuschreiben? Ich denke, für die Autoren wäre es hilfreich zu erfahren, warum ihre Romane abgelehnt wurden.»

Águila hob die Augenbrauen. «Das wäre es ganz gewiss, aber es gibt zwei gute Gründe, warum die meisten Verlage – und wir ebenso – davon absehen. Der erste ist rein ökonomischer Natur: Wenn Sie auch nur eine Seite formulieren, kostet Sie das eine halbe Stunde, mindestens. Zeit, die von Ihrer Arbeit abgeht – teure Zeit.»

Paloma nickte. «Und der zweite Grund?»

Águilas Gesicht wurde verschlossen. «Der zweite Grund ist ein trauriger. Die meisten dieser Autoren wollen überhaupt nichts lernen. Sie sind der Ansicht, sie wüssten ohnehin bereits alles, was es in Bezug auf das Schreiben zu wissen gibt, und reagieren auf konstruktive Kritik gereizt oder sogar gehässig.»

Er schüttelte den Kopf.

«Das ist das Resultat dieser in Europa vorherrschenden Meinung, das Schreiben sei etwas, das man entweder beherrsche oder nicht beherrsche, das jedoch nicht erlernbar sei. Was für ein Unsinn! Muss ein Komponist nicht erst viele Jahre die Theorie und die Instrumente studieren, bevor er in der Lage ist, eine Symphonie zu schaffen? Aber einen Roman glaubt jeder schreiben zu können! Die Amerikaner sind uns da weit voraus, und das ist auch der Grund, warum sie die Buchmärkte der ganzen Welt beherrschen. Und warum ihre Verlage so reich sind, dass sie alle anderen auffressen und es bald auch hier nur noch eine Handvoll davon geben wird, unter amerikanischem Management natürlich. Schönen Tag.»

Und wieder fand sich Paloma unversehens im Flur, ohne dass sie es geschafft hatte, Águila auch nur ein einziges persönliches Wort zu entlocken. Na, zumindest habe ich ein Thema gefunden, bei dem er ein wenig aus sich herausgeht.

«Einen wunderschönen guten Morgen!»

Eine beneidenswert jung und glücklich aussehende Conchita stand in der Tür, aber bevor die beiden Frauen eine Unterhaltung beginnen konnten, trat ein kleiner Mann mit schlohweißem Haar und Gleitsichtbrille in den Flur.

«Guten Morgen, Don Mateo!», sagte Conchita, und Paloma schloss sich dem Gruß an. Don Mateo eilte auf Paloma zu und schüttelte ihr schwungvoll die Hand. «Ah, Señorita Herrera! Willkommen in der Familie! Wie gefällt es Ihnen bisher?»

Nun strahlte auch Paloma. Mateo Pardo war etwa fünf Zentimeter kleiner als sie, und zahllose Flecken im Gesicht und an den Händen ließen ihn älter aussehen, als er war, aber er schien mehr Energie zu besitzen als Paloma, Conchita und Águila zusammengenommen.

«Sehr gut, vielen Dank.»

«Das freut mich. Wenn Sie irgendetwas drückt – Sie können jederzeit zu mir kommen, mit jedem Problem, so groß oder so klein es auch sein mag!»

«Vielen Dank, das werde ich», sagte Paloma gerührt.

Don Mateo schritt auf sein Büro zu, und Conchita wandte sich zu Paloma um und hob den rechten Daumen. Paloma antwortete mit einem lautlosen Lachen und verschwand in ihrem Kabuff. Als sie am Schreibtisch Platz nahm und das erste Manuskript aufschlug, stellte sie verblüfft fest, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben glücklich war. Am Morgen ihres zweiten Arbeitstages fühlte sie sich hier bereits wie zu Hause und, wichtiger noch: Sie hatte eine Aufgabe.

Eine halbe Stunde später holte sie sich eine Tasse Kaffee. Als sie die winzige Küche verließ, stand Conchita über einen der Aktenschränke im Flur gebeugt, sodass Paloma sich mit der randvollen Tasse zwischen ihr und der Wand durchzwängen musste. Dabei achtete sie mehr auf den Kaffee als auf Con­chita und streifte an deren Po entlang.

«Entschuldigung! Ich …»

Palomas Blick glitt am Körper der Sekretärin, die wieder einen weiten Faltenrock trug, entlang nach unten. Sie hatte etwas Hartes gespürt.

Conchita verzog das Gesicht wie unter Schmerzen und richtete sich auf. In dem Blick, den sie Paloma zuwarf, lag etwas Abschätzendes. Dann atmete sie aus und ihre Haltung entspannte sich.

«Na ja, nachdem es sowieso schon ein paar Leute wissen, kannst du es wohl auch erfahren: Ich trage einen Keuschheitsgürtel.»

Paloma fühlte, wie ihr Hitze ins Gesicht schoss. Einige Tropfen Kaffee brannten auf ihren Fingern, doch sie spürte den Schmerz kaum. Sie wollte antworten, irgendetwas, doch ihr fiel nichts ein. Schließlich, nach einer viel zu langen Pause,­ stieß sie hervor: «Ist dein Mann so eifersüchtig?»

«Jetzt nicht mehr!»

Conchita lachte wie über einen gelungenen Witz, doch ihre Augen flehten: Bitte, kündige mir deswegen nicht die Freundschaft!

«Vor etwa fünf Jahren», erklärte sie nach einem hastigen Blick den Gang hinauf und hinunter, «hat Pablo mich gebeten, den Gürtel zu tragen. Gebeten, nicht verlangt! Das hat nichts mit Eifersucht zu tun, es ist mehr … wie ein Spiel.»

Ein Anflug von Röte – nicht mehr – hatte ihr Gesicht überzogen.

«Und seit fünf Jahren trägst du dieses … Ding?» Palomas Kopf schwankte hin und her, als äußerer Ausdruck ihres ­Bemühens, diese Enthüllung zu verdauen. «Und es ist wirklich abgeschlossen und du hast keinen Schlüssel?»

«Es ist lange nicht so schlimm, wie du denkst.»

«Na, ich danke! Wenn ich mir vorstelle …»

Paloma wusste nicht, was sie sich vorstellen sollte. Sie erinnerte sich an Conchitas schwärmerische Worte im Auto, als die Sprache auf Pablo gekommen war. Den «besten Mann der Welt» hatte sie ihn genannt.

Sie nippte an ihrer Kaffeetasse, um nicht noch mehr zu verschütten. «Ich dachte, so etwas gab es nur im Mittelalter. Warum tust du das?»

«Weil ich meinen Mann liebe. Bedingungslos.»

«Einfach so?»

«Einfach so.»

Immer noch ungläubig schüttelte Paloma den Kopf. «Ich kann mir schon vorstellen, eine Menge für den Mann zu tun, den ich liebe – aber so etwas? Das ist ja wie … wie Freiheitsberaubung!»

«Dann bist du einfach noch nicht dem Richtigen begegnet!», antwortete Conchita etwas schnippisch, wirbelte herum und verschwand, einen dünnen Ordner in der Hand, in ihrem Büro. Paloma blickte ihr nach, immer noch fassungslos.

Kann es so eine große, so eine bedingungslose Liebe wirklich geben?, fragte sie sich viel später, während sie auf das vor ihr liegende Manuskript starrte, ohne in der Lage zu sein, Buchstaben zu Worten und Worte zu Sätzen zu ordnen. Eine Liebe, die zu allem bereit ist?