Geld - Christian Felber - E-Book

Geld E-Book

Christian Felber

0,0

Beschreibung

Geld ist ein Mittel zum Zweck. Es sollte uns dienen und uns das Leben erleichtern. Doch davon sind wir weit entfernt: Staatsschuldenkrise, Systembanken, Währungsspekulationen, Steueroasen – Geld beherrscht unser Leben. Christian Felber, der mit der "Gemeinwohl-Ökonomie", einer alternativen Wirtschaftsordnung, für Furore sorgt, findet, dass freie Menschen sich das nicht gefallen lassen sollten. Ein demokratisches Gemeinwesen sollte die Spielregeln, nach denen Geld in Umlauf kommt und verwendet wird, neu bestimmen. In seinem Buch beschreibt Christian Felber, wie wir über demokratische Prozesse zu einer neuen Geldordnung gelangen können.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 392

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Deuticke E-Book

Christian Felber

Geld

Die neuen Spielregeln

Mitarbeit: Clemens Guptara

Deuticke

ISBN 978-3-552-06251-1

Alle Rechte vorbehalten

© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 2014

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen

finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/ZsolnayDeuticke

Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Inhalt

Vorwort:

Geld und Demokratie – eine überfällige Hochzeit

I.  Einleitung: Intransparente Finanzdiktatur

II.  DompteurIn gesucht:

Wer bändigt das globale Geld- und Finanzsystem?

III.   Die Spielregeln neu schreiben:

Der demokratische Geldkonvent

IV.   Das Fundament: Geld als öffentliches Gut

V.    Der Inhalt:

Bausteine einer demokratischen Geldordnung

1.  Wer schöpft das Geld?

2.  Die Vollgeld-Reform

3.  Demokratische Zentralbanken

4.  Lösung des Staatsschuldenproblems

5.  Regeln für Kreditvergabe

6.  Gemeinwohlorientierte Banken

7.  EU- und globale Finanzaufsicht

8.  Derivate – das Casino schließen

9.  Sichere Renten

10.  Globale Steuerkooperation

11.  Obergrenzen für Einkommen und Besitz –

»negative Rückkoppelungen«

12.  Währungen – Zeit für ein Bretton Woods II

VI.   Startschuss: Der Weg zum ersten Konvent

VII.   Zusammenfassung:

Fragenkatalog für den Geldkonvent

Anmerkungen

Literatur

Dank

Das Geld wird über das Schicksal der Menschheit entscheiden.

Jacques Rueff1

Der eigentliche Preis, den wir für unser Geld bezahlen, ist, dass es unser Denken darüber einengt, was möglich ist – Geld baut unserer Vorstellungskraft ein Gefängnis.

YES! A journal of positive futures2

Bei Licht betrachtet ist die Wachstumsspirale der Wirtschaft ein so genanntes Schneeballsystem, das darauf beruht, dass die Gewinnauszahlungen an frühere Investoren aus den Einzahlungen der neuen Investoren gespeist werden.

Hans Christoph Binswanger3

War einst Ware in Geld verwandelt worden, um den Erwerb einer neuen Ware zu ermöglichen, so verwandelte sich nun Geld in Ware mit dem einzigen Ziel, wieder zu Geld zu werden.

Christina von Braun4

Eine Bank ist nicht eine Anstalt zur Aufnahme und zum Ausleihen von Geld, sondern eine Anstalt zur Erzeugung von Kredit.

Henry Dunning Macleod (1889)5

Die Mehrheit der Bürger ist der Ansicht, in unserem Geldsystem zu den Zinsgewinnern zu gehören.

Helmut Creutz6

Die gesamte Verschuldung in den G 20, den 20 wichtigsten Volkswirtschaften der Welt, ist heute um 30 Prozent höher als 2007, vor dem Beginn der Finanzkrise.

William White7

So wie bisher kann es nicht weitergehen.

Lucas Zeise8

Ein Kollaps des Systems ist unausweichlich. Die Frage ist nicht ob, sondern wann.

Dirk Müller9

Die schlimmste Krise seit der Großen Depression der 1930er Jahre hat bisher nicht dazu geführt, die Aufmerksamkeit von Wissenschaft, Fachmedien und Politik auf monetäre Grundfragen zu lenken und eine Reform der Geldordnung zum Bestandteil aktueller Finanzreformen zu machen.

Joseph Huber10

Das Privileg der Schöpfung und Ausgabe von Geld ist nicht nur ein der Regierung vorbehaltenes Recht, sondern kann zu deren kreativstem Instrument werden.

Abraham Lincoln11

Geld könnte nur noch verliehen werden, wenn Geld zum Verleihen da ist. Die Banken könnten nicht mehr überverleihen, indem sie Geld aus dem Nichts produzieren und so Inflation und Booms erzeugen.

Irving Fisher12

Das Geld ist indeß nicht Zweck, sondern Mittel zum Zweck.

Friedrich Wilhelm Raiffeisen13

Ökonomie ist nur ein Mittel zum Zweck.

Thomas Jorberg14

Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.

Deutsches Grundgesetz, Art. 14

Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.

Bayerische Verfassung, Art. 151

Private und börsennotierte Institute haben keine Verpflichtung, das Gemeinwohl zu fördern.

Alexander Dibelius15

Wer das Geld hat, macht die Regeln.

Frank Stronach

Freie Finanzmärkte sind die wirkungsvollste Kontrollinstanz staatlichen Handelns (…) Wenn man so will, haben die Finanzmärkte quasi als »fünfte Gewalt« neben den Medien eine wichtige Wächterrolle übernommen. Wenn die Politik im 21. Jahrhundert in diesem Sinn im Schlepptau der Finanzmärkte stünde, wäre dies vielleicht so schlecht nicht.

Rolf-E. Breuer16

Das Paradigma des freien Finanzmarktes soll durch jenes eines Finanzmarktes als Infrastruktur der Realwirtschaft (Service Public) ersetzt werden.

Philippe Mastronardi17

Ich bin mit dem, was wir bei der Bankenunion erreicht haben, sehr zufrieden.

Wolfgang Schäuble18

Vorwort: Geld und Demokratie – eine überfällige Hochzeit

Sind Sie mit der gegenwärtigen Geldordnung zufrieden? Halten Sie sie für gerecht, demokratisch, verständlich und nachhaltig?

Wissen Sie, wie das heutige Geldsystem funktioniert: wie das Geld geschöpft wird, wie die Beziehungen zwischen Geschäfts- und Zentralbanken laufen, wie ein Kredit in ein Wertpapier verwandelt wird, was genau eine Schattenbank ist und auf welchem Weg hundert Millionen Euro in eine Steueroase transferiert werden?

Wissen Sie, wer die heutige Geldordnung gemacht hat? Welches Gremium sie entwickelt, welcher Ausschuss sie diskutiert, welches Parlament oder welcher Souverän sie beschlossen hat?

Die Ratlosigkeit, die sich üblicherweise angesichts solcher Fragen ausbreitet, ist einer lebendigen Demokratie ebenso unwürdig wie freier und mündiger BürgerInnen. Dieses Buch möchte die »Herrschaft des Geldes«19 beenden, indem es

 a) einen öffentlichen Diskurs über die herrschende Geldordnung anstößt;

 b) konkrete und verständliche Alternativen zu allen wichtigen Elementen der herrschenden Geld- und Finanzordnung vorschlägt und

 c) einen demokratischen Prozess skizziert, wie wir von der gegenwärtigen Plutokratie und Finanzdiktatur zu einer demokratischen Geldordnung kommen könnten.

Der Autor dieses Buches ist der Ansicht, dass das gegenwärtige Geldsystem nicht nur multipel dysfunktional, sondern auch – und das ist gleichzeitig die wichtigste Ursache dafür – durch und durch undemokratisch ist. Die politischen Entscheidungen, die zur gegenwärtigen Geldordnung geführt haben, tragen nicht den Bedürfnissen und Werten der Souveräne Rechnung. Laut repräsentativer Umfragen wünschen sich in Deutschland und Österreich zwischen achtzig und neunzig Prozent der Bevölkerung eine andere Wirtschaftsordnung als die gegenwärtige.20 Stünden mehrere Alternativen zur Auswahl, würde die aktuelle Geldordnung mit Sicherheit abgewählt. Würde es beispielsweise zu einer demokratischen Abstimmung darüber kommen, ob

 – Geschäftsbanken Geld schöpfen

 – Kredite an Spekulanten vergeben werden

 – systemrelevante Banken entstehen

 – diese mit Steuergeld gerettet werden

 – Schattenbanken existieren dürfen

 – Staaten sich auf Märkten verschulden müssen

 – der Kapitalverkehr in Steueroasen frei sein

 – mit Nahrungsmitteln spekuliert werden darf

 – der US-Dollar die Rohstoffwährung sein soll …

es würde sich wohl in kaum einem Land der Welt auch nur für eine dieser heute gültigen Regeln eine demokratische Mehrheit finden. Dennoch existiert dieses unsägliche Geldsystem legal im Rahmen demokratischer Rechtsstaaten und macht uns das Leben schwer. Manchen nimmt es das Leben. Zu oft stimmt leider: Geld oder Leben.

Teil des Problems ist, dass die demokratisch gewählten Vertretungen so sehr von den mächtigsten Interessen, die sich innerhalb des neofeudal-kapitalistischen Geldsystems herausgebildet haben, eingenommen sind, dass sie an den gegenwärtigen Spielregeln des Geldsystems nichts Entscheidendes zu ändern gewillt sind. Die Regierungen und Parlamente machen jedenfalls nicht die geringsten Anstalten, die herrschende Geldordnung in Frage zu stellen, geschweige denn, die Spielregeln neu zu schreiben. Zwar betreiben sie – von der G20 und dem Basler Komitee über die EU-Institutionen bis hin zu den Nationalstaaten – eine Reihe von Reformprojekten und Finanzregulierungen, doch keine einzige stellt eine profunde Lösung dar, keine von ihnen wird eine alternative Geldordnung hervorbringen, diese ist in den offiziellen Prozessen gar nicht das Ziel!

Deshalb bleibt aus der Sicht des Autors allen freien, vernünftigen und demokratisch gesinnten Menschen nichts anderes übrig, als sich aus der bequemen Passivität und achselzuckenden Hinnahme einer multipel dysfunktionalen Geldordnung zu lösen und eigenverantwortlich und kooperativ von der BürgerInnenbasis her die Gestaltung einer neuen Geldordnung in Angriff zu nehmen.

Gute Gründe sollten uns dazu motivieren: Wir stehen vor der berühmten Entscheidung: »Change by design or change by desaster.« Besser bewusst gestalten als in die nächste Krise taumeln. Diesen »system shift« sind wir nicht nur uns selbst, unserer Selbstachtung und Würde schuldig, sondern auch den kommenden Generationen, denen wir das gegenwärtige »Unsystem« nicht untätig vererben sollten. Wenigstens sollten wir den Versuch unternehmen, ein gerechteres, stabileres und nachhaltiges Geldsystem zu entwickeln.

Ein Systemwechsel oder besser: eine demokratische Weiterentwicklung der Geldordnung kann nur von vielen gemeinsam in die Wege geleitet und von der höchsten Instanz der Demokratie – dem Souverän – beschlossen werden. Die indirekte Demokratie ist selbst zum Opfer des Geldsystems und seiner Tendenz zur korruptiven Vereinnahmung, zum blinden monetären Wachstum, zur finanzalchimistischen Selbstreferenzialität, zur »Umwertung aller Werte«21 und zur ungebremsten Konzentration ökonomischer und politischer Macht geworden.

Der Vorschlag dieses Buches ist daher, die Spielregeln für das Geldsystem in partizipativen, dezentralen Prozessen zu diskutieren, in delegierten oder direkt gewählten nationalen Konventen zu finalisieren und durch bindende Volksabstimmungen in den Verfassungen zu verankern. Konkret könnte ein eigener Abschnitt in den Verfassungen ergänzt werden, in dem die Spielregeln des Geldsystems verankert sind. Damit hätten die Parlamente eine klare Grundlage für die Geld-Gesetzgebung. Die Geldverfassung ist bindend für den Gesetzgeber, aber nicht für alle Zeiten in Stein gemeißelt. Sie kann geändert werden, bloß nur wieder vom Souverän selbst, von derselben Instanz, die sie in Kraft gesetzt hat. Eine demokratische Geldordnung kann und sollte auch periodisch überarbeitet, verbessert und weiterentwickelt werden – vom Auftraggeber des Parlaments.

Einen persönlichen Appell möchte ich an diejenigen Menschen richten, die mit besonderer Kreativität, Intelligenz und Intellektualität ausgestattet sind. Diese sind Gaben der Natur, die uns geschenkt werden. Wir können sie für unseren persönlichen Vorteil nützen und wir können diese Gaben an die Gemeinschaft zurückgeben, indem wir an der Entwicklung fairer und demokratischer Spielregeln mitwirken. Wie viele hochbegabte Menschen erlernen heute das Handwerk der InvestmentbankerIn, FondsmanagerIn oder VermögensverwalterIn? Wie viel Intelligenz wird heute investiert in Produktinnovationen innerhalb des Systems? Und wie viel in Innovationen am System? Ein Wirtschaftssystem kann nur gut funktionieren, wenn die Spielregeln gerecht und akzeptiert sind. Wenn die »Spielregeln« in einem Unternehmen, in einem Haus oder in einer Organisation nicht stimmig sind, dann leidet die gesamte Organisation. Die gegenwärtige Geldordnung belastet die gesamte Gesellschaft – die Regeln sind multipel disfunktional.

Ziel dieses Buches ist eine demokratische Geldordnung, welche die Freiheit aller erhöht durch a) die gleiche Möglichkeit zur Mitgestaltung der Spielregeln, b) die egalitäre Wirkung dieser Spielregeln und c) ihre Tendenz zu Systemstabilität, Verteilungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Je demokratischer sie zustande kommt, desto eher wird sie mit den Grundwerten der Gesellschaft – Menschenwürde, Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit – übereinstimmen. Die Vision des Buches ist: Geld darf weder das Ziel des Wirtschaftens noch ein privates Gut sein, sondern ein Mittel des Wirtschaftens und ein öffentliches Gut. Geld soll von einer Waffe zum Werkzeug werden. Geld soll dem Leben dienen, dem Gemeinwohl.

II. DompteurIn gesucht: Wer bändigt das globale Geld- und Finanzsystem?

Jetzt muss jedem verantwortlich Denkenden in der

Branche selbst klar geworden sein, dass sich die internationalen

Finanzmärkte zu einem Monster entwickelt haben,

das in die Schranken gewiesen werden muss.

Horst Köhler1

G20 und Finanzstabilitätsrat

Angesichts des hohen Globalisierungsgrades der Finanzmärkte und des hohen Ansteckungsrisikos in Finanzkrisen wäre eine internationale Regulierung, eine globale demokratische Geldordnung, das Gebot der Stunde. Das Gremium, das sich die Regulierung der internationalen Finanzmärkte am sichtbarsten auf die Fahnen geheftet hat, ist die Gruppe der zwanzig größten und mächtigsten Industrie- und Schwellenländer. Doch schon die Zusammensetzung der Gruppe wirft ein großes Fragezeichen auf: Wieso ausgerechnet diese zwanzig von 192 UN-Mitgliedern? Wieso nicht direkt die UNO? Das fragen sich auch prominente ÖkonomInnen rund um Joseph Stiglitz: »Weder die G7 noch die G20 stellen eine ausreichend inklusive globale Steuerungsgruppe dar, um einen globalen Systemwechsel in Angriff zu nehmen. Zwar sind die G20 etwas breiter aufgestellt als die G7, doch bleiben 172 Staaten außen vor. Die Gestaltung jeder zukünftigen Regulierung muss Inklusion und angemessene Vertretung von Entwicklungsländern sicherstellen, einschließlich der LDC.«2 Es ist ein starkes Stück, wenn formal demokratische Staaten sich in einem hochexklusiven Club zusammentun und davon ausgehen, dass das, was sie beschließen, für die ganze Welt gut sei und von 172 vor der Tür wartenden Staaten mitgetragen werde. Unbestritten ist das relative Gewicht der G20 an der globalen Wirtschaftsleistung (85 Prozent des Welt-BIP und 80 Prozent des Welthandels), aber Demokratie ist eben das Gegenteil von Hegemonie. Die G20 argumentiert zudem mit ihrer »Öffnung«, weil es ja ursprünglich nur die sieben Allerwichtigsten waren. Doch historisch ist die G20 auch numerisch ein Rückschritt: 1944 beteiligten sich mehr als vierzig Staaten an der Gründung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. Das ökonomische Gewicht der Entwicklungsländer hat seither zugenommen … Noch ein Widerspruch: Seit nunmehr dreißig Jahren wird das Lied von der liberalen Globalisierung mit freiem Personen-, Waren- und Kapitalverkehr gesungen. Und nun soll gerade mal ein Zehntel aller Staaten Lösungen für Probleme suchen, die alle betreffen? Es gibt keinen vernünftigen Grund, weshalb eine Minderheit sich anmaßt, die Regeln für alle zu machen. Zum undemokratischen Prozess passt das substanzlose Ergebnis der G20-Gipfelserie. Fünf Jahre nach dem Ausbruch der Krise

 – ist weit und breit keine globale Finanzaufsicht in Sicht;

 – wurde kaum eine systemrelevante Bank zerschlagen, viele Finanzinstitute sind systemrelevanter als je zuvor;

 – ist der Kapitalverkehr in alle Steueroasen vollkommen frei;

 – wurde kein einziges Produkt aus dem Verkehr gezogen;

 – wurde mit Ausnahme von ungedeckten Leerverkäufen in der EU keine einzige Aktivität international verboten;

 – verschwand keine Kategorie von Finanzinstitutionen von der Bildfläche.

Vom Versprechen beim ersten Treffen 2008 in Washington, »alle Märkte, Produkte und Akteure zu regulieren oder zu beaufsichtigen«3, ist wenig übrig geblieben. Der Eindruck, der dadurch entsteht, ist der umgekehrte, der erweckt werden soll: Die zwanzig mächtigsten Nationen haben sich nicht zusammengetan, um das »Monster« mit vereinter Macht zu bändigen, sondern um es zu schützen. Sie sind das Monster. Allerdings nicht in der Bedeutung, dass die Bevölkerung in den USA, in Deutschland oder Italien so sehr auf systemrelevante Banken versessen und auf freien Kapitalverkehr in Steueroasen bestehen würde, sondern dass die finanziellen und ökonomischen Eliten den demokratischen Prozess in den Nationalstaaten gekapert haben, wodurch dort Entscheidungen gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheiten getroffen werden und dasselbe Spiel über die Regierungen auf der globalen Ebene wiederholt wird.

Der einzige Erfolg, den sich die G20 anrechnen könnte, ist der Beschluss von Basel III. Doch wie wir später sehen werden, wird auch Basel III die nächste Finanzkrise nicht verhindern können.

Der Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board, FSB) wurde als Konsequenz der verheerenden Asienkrise 1997/98 zunächst als Finanzstabilitätsforum (Financial Stability Forum) gegründet.4 Es setzt sich aus den wichtigsten Aufsichtsorganen, Notenbanken und Finanzministerien zusammen. Es kann als zuarbeitendes ExpertInnenforum der G20 bezeichnet werden, die G20 bezieht sich häufig auf den FSB. Doch beide zusammen eint die Untätigkeit und Wirkungslosigkeit. Diese wird auch von prominenter Seite attestiert: »Es ist jetzt offenkundig, dass die vom FSF vorgeschlagenen Reformen nicht ausreichend waren, um eine größere globale Finanzinstabilität zu verhindern«, meint die UN-ExpertInnenkommission rund um Joseph Stiglitz.5

Internationaler Währungsfonds

Dem 1944 gegründeten Internationalen Währungsfonds gehören zwar 184 Staaten als Mitglieder an, doch hat er ein nicht minderes Demokratieproblem als die G20: Er ist rechtlich eine Aktiengesellschaft im Mehrheitsbesitz der reichsten Länder. Er vertritt allein aufgrund seiner Eigentumsstruktur nicht globale Interessen, sondern hegemoniale. Die USA haben als einziges Mitgliedsland ein Veto-Recht und können jede Entscheidung, die ihren Interessen zuwiderläuft, verhindern. Zahllose Länder sind dagegen völlig unterrepräsentiert, sie finden kaum oder gar kein Gehör. Die auf alle Mitgliedstaaten gleich verteilten Basis-Stimmrechte haben sich historisch zudem deutlich verschlechtert und machen nur noch 5,5 Prozent der Stimmrechte aus. 1944 waren es noch 11,3 Prozent.6

Der Fonds hat sich einen ziemlich schlechten Ruf erworben, indem er zunächst in den 1980er Jahren überschuldeten Ländern die berüchtigten Strukturanpassungsprogramme aufzwang: Kürzung öffentlicher Ausgaben, Streichung von Lebensmittelsubventionen, Einführung von Schuldgeld, Privatisierungen und Marktöffnung. Nach Stiglitz »haben im IWF die Marktideologen das Sagen; ihrer Auffassung nach funktionieren die Märkte im Großen und Ganzen gut, während Staaten mehr oder minder schlecht funktionieren.«7 Die verordnete Medizin hat die erhoffte Wirkung oft verfehlt – die Armut hat sich in vielen behandelten Ländern erhöht. Dennoch wird die zweifelhafte Kunst des IWF seit der Euro-Krise auch auf die EU-Staaten angewandt, von Griechenland bis Irland. Wie schon bei den früheren Patienten verschlimmerte sich nach der »Therapie« der Zustand Griechenlands, dessen Wirtschaft sich in der schwersten Rezession eines europäischen Landes seit dem Zweiten Weltkrieg befindet – Erholung ist auch Jahre nach Behandlungsbeginn nicht in Sicht. Die Troika wird deshalb immer öfter als »Destroika« bezeichnet und des »Austerizids« bezichtigt.

Zum anderen waren es die dogmatisch-blinden Liberalisierungen, die von einem fundamentalen Glauben an die Selbstregulierungskräfte des Marktes motiviert waren und zu schweren Finanzkrisen geführt haben, die der Fonds selbst unmittelbar vor Ausbruch nicht vorhersah, weil sie nicht in sein ideologisches Bild perfekt funktionierender (Finanz-)Märkte passten.8 Entsprechend »fördern viele der wirtschaftspolitischen Auflagen des IWF mit Sicherheit die globale Instabilität«, kritisiert Stiglitz. »Statt den Interessen der Weltwirtschaft zu dienen«, diene der Fonds »den Interessen der internationalen Finanzwelt.«9

Zur Ehrenrettung des Fonds ist auch anzuführen, dass er sich in letzter Zeit gleich vier Verstöße gegen seine eigene ideologische Doktrin geleistet hat. Erstens hieß es plötzlich, nachdem jahrzehntelang der freie Kapitalverkehr zum Allerheiligsten zählte, dass Beschränkungen des Kapitalverkehrs eine mögliche Schutzmaßnahme darstellen können. Zweitens dämmerte nach dem totalen Griechenland-Desaster, dass Sparen in der Rezession vielleicht doch nicht das beste Mittel zur Genesung ist. Drittens gruben die IWF-Experten Jaromir Benes und Michael Kumhof den aus den 1920er Jahren stammenden Vorschlag nach einem reservengedeckten »100-Prozent-Geld« aus und widmeten ihm das Working Paper »The Chigaco Plan Revisited«.10 Und viertens löste ein »Fiscal Monitor« mit dem Titel »Taxing Times« helle Aufregung aus, weil darin die Möglichkeit ausgeführt wurde, sämtliche Bankeinlagen einmalig mit zehn Prozent zu besteuern, um die Staatsschulden auf das Niveau vor der Krise abzubauen.11 Die Fonds-Führung beeilte sich allerdings mit der Klarstellung, dass es sich nicht um eine Position des Fonds, sondern um Einzelmeinungen handelte. Es bleibt vorerst bei Lichtblicken in einer dunklen Organisation.

Welthandelsorganisation WTO

Die Welthandelsorganisation WTO hat die schlechtesten Karten von allen: Sie stellt einen Kontinuitätsbruch auf dem Weg des »Zusammenwachsens« der internationalen Staatengemeinschaft dar. Nachdem die Vereinten Nationen gegründet, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte proklamiert und das Institutionenkonzert der UNO Mitglied um Mitglied gewachsen war, kam es 1995 zu einem gewaltigen Ausscherer: Ausgerechnet die mächtige Handelsorganisation wurde nicht in das UN-Orchester eingebettet und mit den bestehenden Programmen, Organisationen und Zielen abgestimmt, sondern zur alleinigen Durchsetzung der Handelsfreiheit als Einzelorganisation gegründet. Der Grund: Die Handelsinteressen der transnationalen Konzerne sollten eben nicht abgestimmt werden mit Menschenrechten, Klimaschutz, kultureller Vielfalt, Arbeitsrechten oder Ernährungssicherheit und -souveränität. Eine Institution im Rahmen der UNO hätte diese Abstimmungen und Abwägungen vornehmen müssen. Im Rahmen der UNO gibt es sogar eine »Konferenz für Handel und Entwicklung«, die UNCTAD, die 1964 auf Initiative der G77, einer Gruppe von heute 130 Entwicklungsländern, gegründet wurde und deren Ziel nachhaltige Entwicklung ist und nicht »Freihandel«. Genau deshalb verloren die Industriestaaten, allen voran die EU-Kernstaaten und die USA, das Interesse an dieser UN-Handelsorganisation und setzten sie aufs politische Abstellgleis.

Die WTO kann alle Rücksichten hinter sich lassen, sie ist in blinder Mission der Durchsetzung der Handelsfreiheit verschrieben. Doch Handel ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument für Entwicklung, Freiheit und Demokratie. Folglich sollte Handel nur in dem Maße und in der Qualität praktiziert werden, wie er der Erreichung der Ziele dient. Die WTO macht das Mittel zum Zweck, weil es den Konzernen gefällt. Entsprechend ist sie gar nicht für Regulierungen, also die Begrenzung, Bedingung und Gestaltung des Handels zuständig, sondern ausschließlich für Liberalisierungen und Marktöffnungen. Ihre Verträge sind so verdreht aufgesetzt, dass sie Regulierungen in Frage stellen oder Klagen dagegen ermöglichen. So wurde mehrfach – mit Erfolg – vor dem WTO-Schiedsgericht gegen diverse nationale Gesetze zum Schutz der Gesundheit oder der Umwelt geklagt.12

Besonders tückisch ist das Dienstleistungsabkommen der WTO, das auch Finanzdienstleistungen umfasst. In diesem Teilabkommen stellen die WTO-Mitglieder gegeneinander Forderungen. Die EU fordert speziell von Entwicklungsländern, dass sie Kapitalverkehrsbeschränkungen aufheben und dass Banken, die von Steueroasen aus operieren, zum Markt zugelassen werden sollen. Kurz, die WTO hat gar keinen Regulierungsauftrag, sondern eine Deregulierungswirkung. Von ihr die Bändigung der Finanzmärkte zu erhoffen, hieße, den Bock zum Gärtner zu machen.

Basler Ausschuss für Bankenaufsicht

Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, der 1974 von den zehn mächtigsten Staaten gegründet wurde, hat nach der Krise eine dritte Generation Kreditvergaberegeln für die Mitgliedstaaten ausgearbeitet. Die Richtlinien »Basel I«, »Basel II« und nun »Basel III« werden in der Regel von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt, in der EU in Form der Richtlinien über Eigenkapitalanforderungen (Capital Requirements Directive I–IV).

Der Basler Ausschuss kommt als globale Regulierungsinstanz schon allein deshalb nicht in Frage, weil sein Kompetenzbereich sehr eng begrenzt ist und sich auf die Eigenkapital- und Kreditvergaberegeln beschränkt. Er hat bei diesen auch keine legislative Kompetenz, sondern nur Empfehlungscharakter. Und ähnlich wie die G20 ist er ein ziemlich exklusiver Club mit einer nur etwas höheren Mitgliederzahl.

Zweitens gibt es heftige Kritik an Basel II, aber auch an Basel III, das 2014 in Kraft tritt. Ein wichtiger Kritikpunkt ist die Prozyklizität der Regeln: Unternehmen müssen auf ihre Kreditwürdigkeit bewertet und »geratet« werden. In einer Rezession sinkt jedoch die Kreditwürdigkeit aller Unternehmen, genau dann, wenn sie besonders dringend Kredite bräuchten. Drehen die Banken in der Rezession den Kredithahn zu, verstärken sie diese und lösen eine Insolvenzwelle aus: volkswirtschaftlich die genau falsche Reaktion. Umgekehrt wird beim Aufschwung Öl ins Feuer gegossen, weil sich die Kreditwürdigkeit der Unternehmen generell verbessert, was die Blasenproduktion im Kapitalismus anregt.

»Blasel III« hält zudem an der Berechnung des Eigenkapitals für die einzelnen Aktivposten nach gewichteten Risikofaktoren fest. Manche Aktiva gelten als sicherer, oder erhalten ein günstigeres Rating, und müssen deshalb mit weniger Eigenkapital unterlegt werden. Doch die letzten Jahre haben gezeigt, dass auf Ratings wenig Verlass ist; und dass als sicher geltende Assets wie zum Beispiel Staatsanleihen ausfallen können – in Basel II und III gelten sie dennoch als ausfallsicher und müssen gar nicht mit Eigenkapital unterlegt werden. Eine Bank, die sich auf die Finanzierung von Staaten spezialisiert, könnte sehr rasch in große Probleme kommen, wenn es zum Schuldenschnitt des Staates, dessen Anleihen sie hält, kommt. Das müssten auch die Letzten seit Griechenland wissen.

Drittens ist der Basler Ausschuss kein für die ganze Gesellschaft repräsentatives Gremium. Weder finden sich darin ÖkologInnen noch PsychologInnen, SozialmedizinerInnen oder NeurobiologInnen, obwohl die Kreditvergabeentscheidungen, die von Banken getroffen werden, massive Auswirkungen auf alle Bereiche der Gesellschaft haben. Die ökologischen, sozialen, humanen oder demokratischen Auswirkungen eines Kredites sind für das Basler Komitee kein Thema. Das ist vielleicht das größte Qualifizierungsdefizit: Das Wesentliche muss gar nicht bewertet werden. Der Kredit kann ökologisch destruktiv, entwürdigend, diskriminierend sein und asoziale Wirkungen haben – solange die Rückzahlung inklusive Zinsen als wahrscheinlich gewertet wird, darf er vergeben werden. Die Kreditvergaberegeln sind im wahrsten Sinn des Wortes »unethisch«. Sie sind monetärer Autismus und damit gefährlich für die Gesellschaft. Der Basler Bankenausschuss scheidet aus.

Europäische Union

Die meisten Hoffnungen auf erfolgreiche Bändigung und Regulierung der Finanzmärkte gelten der Europäischen Union. Und einige AkteurInnen im weiten Institutionen-Konzert der EU geben auch berechtigten Anlass zur Hoffnung. Im Parlament, dem einzig direkt demokratisch legitimierten Organ, sitzen einige engagierte PolitikerInnen, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind, und nicht der Finanz-Lobby. Auch wenn das alles andere als einfach ist: Sven Giegold, der sich für die deutschen Grünen mit Banken, Versicherungen und Fonds herumschlägt, berichtet, dass auf jedes Gegenüber, das die Interessen der KonsumentInnen, ArbeitnehmerInnen oder UmweltschützerInnen vertritt, fünfzig Lobbyisten der Geldindustrie kommen, die vor seiner Tür stehen. Es ist ein ungleicher Ressourcenkampf. Gemeinsam mit anderen hat Giegold eigens die gemeinwohlorientierte NGO »Finance Watch« gegründet, welche von der Kommission jährlich mit zehn Millionen Euro ausgestattet wird.13 Doch im Vergleich zu den Milliarden, welche den Konzernen und Bankenverbänden zur Verfügung stehen, sind das Peanuts. Manche SpitzenpolitikerInnen bieten sich bereits für 100.000 Euro an.

Und selbst wenn das Parlament die Fahne des Gemeinwohls hisst, ist seine Macht begrenzt. In nicht wenigen und nicht unwesentlichen Politikbereichen, wie zum Beispiel der Steuerpolitik, hat das Parlament nicht einmal ein Mitentscheidungsrecht. In denjenigen Materien, wo es ein Stimmrecht hat, muss es sich mit dem Rat, den nationalen Exekutiven (!), abstimmen. Allein kann es gar nichts entscheiden – und nicht einmal Gesetze initiieren. Das Monopol für den Entwurf von Verordnungen und Richtlinien liegt bei der EU-Kommission, die demokratisch nicht legitimiert ist. Nicht selten verfolgt sie ihre eigene Agenda. Bei der Finanztransaktionssteuer oder der Regulierung von Hedge-Fonds musste das Parlament die Kommission jahrelang beknien, bevor diese sich bequemte, aktiv zu werden. Die Kommission hört zu, wem sie will. Und sie wählt aus, wer sie berät. Ein sehr anschauliches Beispiel für die ideologisch getränkte Interessenpolitik der Kommission ist die Zusammensetzung der Larosière-Kommission, die auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 von Kommissionspräsident Manuel Barroso eingesetzt wurde, um Vorschläge für die Regulierung der Finanzmärkte zu erarbeiten. Laut Lobbypedia war die achtköpfige Expertengruppe mehr als einseitig besetzt. Vier Mitglieder haben direkte Verbindungen zu den Großen der Finanzbranche: Der Vorsitzende Jacques de Larosière ist seit 1998 als Berater der BNP Paribas tätig, Otmar Issing ist Berater von Goldman Sachs, Onno Ruding berät die Citigroup. Rainer Masera war Geschäftsführer von Lehman Brothers Italien. Callum McCarthy wird in seiner Rolle als Chef der britischen Finanzaufsicht FSA grobes Versagen vorgeworfen. Leszek Balcerowicz, Kuratoriumsmitglied der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung und Mitglied des Advisory Council des European Policy Centre, gilt als marktradikaler Gegner von Regulierung. Kritische Perspektiven fehlten in der Gruppe gänzlich. Folgerichtig wurde im Schlussreport der Larosière-Gruppe die Selbstregulierung der Banken nicht wesentlich in Frage gestellt.14

Einige Kostproben aus den Empfehlungen der Experten: »Die Rolle des IWF in der makroökonomischen Überwachtung soll gestärkt werden« (noch ein Bock als Gärtner), außerbörsliche OTC-Derivate sollen »vereinfacht und standardisiert« (anstatt verboten) werden oder: »Für außerbilanzielle Zweckgesellschaften sollten (wie vom FSB empfohlen) strengere Regeln gelten. Das heißt, dass Art und Umfang der für diese Zweckgesellschaften geltenden aufsichtlichen Vorschriften geklärt und gegebenenfalls höhere Eigenkapitalanforderungen festgelegt werden müssen. Außerdem sollte für mehr Transparenz gesorgt werden.«15 Mit anderen Worten: Außerbilanzielle Zweckgesellschaften alias »Schattenbankensektor« sollen weiterbestehen, nur »gegebenenfalls« höhere Eigenkapitalanforderungen erfüllen und etwas transparenter werden. Die Schließung des Sektors durch die Aufnahme aller Bankgeschäfte in die Bankbilanzen wird von den Experten nicht empfohlen.

Der massive Belagerungsring um die zarten Gemeinwohl-Keime in den EU-Institutionen lässt nicht zu, dass effektive Gesetze herauskommen. Zwar ist die Liste der Regulierungsvorhaben seit 2008 beachtlich, darunter:

 – Eigenkapitalanforderungen für Banken (»CRDIV-Paket«), setzt Basel III in der EU ab 1.1.2014 um;

 – Regulierung von Versicherungen (»Solvency II«), tritt am 1.1.2016 in Kraft;

 – Richtlinie zur Regulierung der Manager profitorientierter Investmentfonds (»AIFMD«), wurde 2011 verabschiedet;

 – Richtlinie für Finanzprodukte und -märkte (MIFID), wird gerade überarbeitet zur MIFIDII, die frühestens 2015 in Kraft treten kann …

Doch die Gesetzestexte sind flau, mitunter ein Hohn. Parallel zur emsigen Scheinregulierung wird das neoliberale Projekt mit erhöhter Geschwindigkeit ausgebaut: EFS/EFSF/ESM, Fiskalpakt, Wettbewerbspakt, Bankenunion, Handels- und Investitionsschutzabkommen TTIP mit den USA … Im derzeitigen Zustand ist die EU nicht Teil der Lösung, sondern der Kern des Problems.

Vereinte Nationen – UNO

Positiv aus der Reihe fällt die Generalversammlung der Vereinten Nationen. Sie beauftragte nach dem Ausbruch der Krise 2008 ein internationales ExpertInnen-Team rund um Joseph Stiglitz mit der Ausarbeitung von Regulierungsvorschlägen für das internationale Finanzsystem. Der 140-seitige Abschlussbericht unterscheidet sich wohltuend von den Papieren der G20, des IWF, des Basler Ausschusses oder von EU-Richtlinien. Das Werk ist im Vergleich geradezu luzide. Es schlägt folgende Maßnahmen und Institutionen vor: eine globale Finanzaufsicht, eine globale Reservewährung mit Weltzentralbank und Weltwährungsunion, eine Finanztransaktionssteuer, Kapitalverkehrskontrollen, einen globalen Schuldengerichtshof … alles überdacht von einem UN-Wirtschaftsrat, der auf einer Stufe mit der Generalversammlung und dem Sicherheitsrat stehen soll: ein Feuerwerk an Ideen, Vorschlägen und wirkungsvollen Maßnahmen.16

Das Problem: Die Generalversammlung beschloss genau nichts davon. Wichtigster Grund: Die G20-Regierungen boykottierten die UNO-Konferenz im Juni 2009. Beispielsweise entschied Angela Merkel, dem Treffen fernzubleiben. Gäbe es so etwas wie eine direkte Mandatierung von RepräsentantInnen des Souveräns durch diesen, könnte eine Bundeskanzlerin so eine wichtige Entscheidung nicht eigenmächtig treffen. Die bahnbrechenden Inhalte der Stiglitz-Kommission werden uns im Hauptteil des Buches ausführlicher beschäftigen als die verwässerten EU-Richtlinien.

Unabhängige ExpertInnen

Manche Menschen wünschen sich angesichts des Versagens der Politik, dass unabhängige ExpertInnen die Gesetze machen sollten. Doch wissen wir heute, dass es unabhängige ExpertInnen nicht gibt. Es gibt schlicht keine »Objektivität« in der Wirtschaftswissenschaft, sondern verschiedenen Möglichkeiten. Jede Möglichkeiten ist »effizient« und »funktioniert« – für die eine oder andere Interessengruppe. Jede Variante ist mehr oder weniger »gerecht« – je nachdem, welche Perspektive man einnimmt und wie man Gerechtigkeit definiert. Daher ergibt es streng logisch keinen Sinn, dass ÖkonomInnen die Grundregeln für die Wirtschaft oder das Geldsystem schreiben, sondern der demokratische Souverän müsste diese Aufgabe übernehmen, weil allein er die – ethischen und politischen – Prioritäten setzen kann, nach denen die Wirtschaft und das Geld geordnet werden. Die ÖkonomInnen können vor der demokratischen Entscheidung Ideen einbringen und danach Parlament und Regierung bei der Feingesetzgebung und Umsetzung beraten.

Ein weiteres Problem: Wer wäre denn heute »Geld-ExpertIn«? Wie wir schon gesehen haben, ist das Geldsystem so komplex und unüberschaubar geworden, dass so gut wie niemand mehr einen sinnvollen Gesamtüberblick geben kann. Zwar tummeln sich unzählige Geld-Gurus und -SpezialistInnen, doch jede/r hat einen anderen Zugang: BankanalystIn, WirtschaftshistorikerIn, ZentralbankerIn, ZinskritikerIn, Börsen-BrokerIn, Anlage-BeraterIn, GlobalisierungskritikerIn … So gut wie jede/r hat eine eigene Problemanalyse: private Geldschöpfung, Zinseszinssystem, staatliche Regulierung, Deregulierung der Finanzmärkte, Profitgier der Banken, Lobbyismus, Kapitalismus … und andere Vorschläge: Deregulierung, Verstaatlichung der Banken, Vollgeld, Schwundgeld, Komplementärwährungen, Abschaffung des Zinses, Änderung des Produktionsmodells, geldlose Geschenkökonomie. Je nachdem, wer an der Lösung beteiligt wird, würden die Lösungen sehr unterschiedlich aussehen.

Differente Meinungen sind andererseits nicht das Problem, es geht gar nicht anders, »Konsens« gibt es in der Politik in keinem Bereich, ebenso wenig unter ExpertInnen. Der Punkt ist: Wer würde die ExpertInnen aussuchen und zusammenwürfeln? Wenn wir den Regierungen die Auswahl der ExpertInnen überlassen, dann ziehen sie in der Regel jene zu Rate, die ihren eigenen Interessen dienen, und nicht jene, die dem Allgemeininteresse verpflichtet sind.

Wer dann?

Angesichts des Versagens der Regierungen und der von ihnen beschickten internationalen Organisationen und Gremien sowie der Fallen, die sich bei der Option der Experto- oder Meritokratie auftun, erscheint mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt der zielführendste Weg zu einer demokratischen Geldordnung über den Souverän selbst. Aber wie könnte das Volk eine Geldordnung festlegen?

III. Die Spielregeln neu schreiben: Der demokratische Geldkonvent

Eine gute monetäre Rahmenordnung ist wesentlich sinnvoller

als immer mehr Regulierung und Bürokratie, zur Kompensation

der Schwachstellen einer ungenügenden Rahmenordnung.

Mark Joób1

Es wäre schön, wenn die formal demokratisch gewählten Regierungen und Parlamente das Design einer neuen Geldordnung in die Hand nähmen und sich in den internationalen Organen dafür einsetzten. Wenn die Demokratie so funktionieren würde, wie sie in Lehrbüchern beschrieben ist, wäre das auch vollkommen ausreichend, funktional und effizient. Doch darauf können wir uns gegenwärtig nicht verlassen, wie ich soeben ausführlich zu begründen versuchte. Deshalb schlage ich hier eine Alternative zur ausschließlich repräsentativen Demokratie vor, eine Innovation am demokratischen System selbst: dass alle freien und eigenverantwortlichen BürgerInnen das (demokratische) Zepter selbst in die Hand nehmen und in dezentralen Versammlungen über die Grundprinzipien und -elemente einer alternativen Geldordnung entscheiden. Die Ergebnisse könnten über Delegation oder direkte Wahl in nationalen Geldkonventen und später auch einem EU-weiten und sogar einem globalen Wirtschaftskonvent zusammengeführt und zu einem Mehr-Optionen-Entwurf für eine demokratische Geldordnung konsolidiert werden. Über diese Vorlage würde dann von allen Mitgliedern des demokratischen Souveräns abgestimmt; was angenommen wird, findet Eingang in die nationalstaatlichen Verfassungen und völkerrechtlichen Verträge.

Legitimation und Kontextualisierung des Konvents

Manche LeserIn wird sich fragen, wie und ob denn überhaupt so ein BürgerInnen-Konvent legitimiert sei: Ist nicht das Parlament gerade dazu da, den Willen der WählerInnen auszuführen, indem es Gesetze beschließt und die Verfassung ändert? Zweifellos ist das Parlament dazu da, Gesetze zu beschließen. Dafür wird es gewählt. Bei Verfassungsänderungen ist das schon nicht mehr so eindeutig. Grundsatzfrage: Wer sollte idealerweise die Verfassung eines demokratischen Gemeinwesens schreiben? Aus der Sicht des Autors sollte das allein der demokratische Souverän sein, die höchste Instanz in der Demokratie. Das entspräche der Bedeutung der lateinischen Wurzel von »Souverän«. »Superanus« heißt wörtlich »über allem stehend«. Der Souverän, die Bevölkerung, steht über der Regierung und über dem Parlament und ist deshalb die logische Instanz, welche die Spielregeln für ein demokratisches Staatswesen schreibt, an die sich seine Vertretung, Parlament und Regierung, halten müssen.

Das wäre eine konsequente Weiterentwicklung des Prinzips der Gewaltenteilung. Dieses sieht eine ausgewogene Verteilung der Macht zwischen den Instanzen einer Demokratie vor. Eine sinnvolle Verteilung der Macht zwischen Souverän und Vertretung beginnt aber damit, dass der Souverän die Spielregeln festlegt, nach denen seine RepräsentantInnen »spielen« dürfen. »Echte Souveränität« im Sinne der »höchsten Instanz« bedeutet, dass die Bevölkerung eine Reihe »souveräner Grundrechte« genießen müsste:

 1. eine bestimmte Regierung(skombination) wählen;

 2. die Regierung abwählen;

 3. ein Gesetzesvorhaben des Parlaments stoppen;

 4. selbst ein Gesetz initiieren und beschließen;

 5. einen demokratischen Wirtschafts-, Geld-, Medien- oder Gemeingüterkonvent einberufen;

 6. die Verfassung aus eigener Initiative abändern;

 7. die Verfassung von Grund auf neu schreiben.

Von diesen sieben Grundrechten genießen die rechtmäßigen demokratischen Souveräne in Deutschland und Österreich gegenwärtig kein einziges. Der größte Teil der Macht liegt derzeit bei der Vertretung des Volkes. Die Souveräne sind politisch weitgehend impotent. Das ist Prädemokratie.2 Ein erster Schritt zu einer ausgewogeneren Gewaltenteilung zwischen Souverän und Vertretung ist das Erkennen des Nichtvorhandenseins der »souveränen Grundrechte« und der Einsatz für ihre Verbriefung in einer breiten BürgerInnenrechts- und Demokratiebewegung. Dank der Geldkonvente könnte sich in der Bevölkerung das Bewusstsein bilden, dass es an ihr liegt, nicht nur die Spielregeln für das Geldsystem zu schreiben, sondern letztlich die Spielregeln für die Demokratie. Idealerweise folgen auf Geldkonvente weitere Themenkonvente und eines Tages der »Krönungskonvent«, der Verfassungskonvent.

Vom kommunalen zum nationalen Wirtschaftskonvent

Der erste kommunale Geldkonvent wird großes Interesse hervorrufen und auf Nachahmung stoßen. Die Idee ist, dass die Geldkonvente in Hunderten von Kommunen, Städten und Regionen stattfinden, der Prozess koordiniert wird und die Ergebnisse von einer Stelle dokumentiert werden. Das könnte eine unabhängige Organisation wie Mehr Demokratie e.V. oder die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung sein, oder aber die Pionier-Gemeinden nehmen den Prozess selbst in die Hand. Im Rahmen eines Forschungsprojekts oder eines Lehrstuhls könnte ein »Observatorium Geldkonvente« eingerichtet werden, das sämtliche kommunalen und regionalen Prozesse erfasst, wissenschaftlich begleitet und die Ergebnisse protokolliert. In der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung ist bereits eine Basisinfrastruktur für das Monitoring kommunaler Wirtschaftskonvente vorhanden, diese könnte ausgebaut oder wenigstens zum Vorbild genommen werden für die Koordination und Begleitung der Geldkonvente.