Geliebte Feindin - verhasste Freunde - Wilfried Hildebrandt - E-Book

Geliebte Feindin - verhasste Freunde E-Book

Wilfried Hildebrandt

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Beschreibung

Wenn sich ein Mann in eine Frau verliebt, dann ist das nichts Bemerkenswertes, denn so etwas passiert ständig überall auf der Welt. Wenn diese Frau jenen Mann auch liebt, ist das zwar sehr schön, aber ebenfalls nichts Außergewöhnliches. Stammt sie aus Polen und er aus Deutschland, so sollte das im Jahr 2017 auch kein Problem mehr darstellen. Gibt es jedoch alte Freunde des Mannes, die selbst vor kriminellen Handlungen nicht zurückschrecken, um diese Liebe zu verhindern, dann wird aus der Liebesgeschichte plötzlich ein spannender Krimi. Frank Schulz, der Protagonist dieses Romans muss erst eine Reihe von körperlichen und seelischen Verletzungen über sich ergehen lassen, bis er begreift, wohin er gehört. Er bemerkt zu seiner Verwunderung, dass das Leben ohne Vorurteile und Ausländerfeindlichkeit viel schöner und freier ist. Der Autor Wilfried Hildebrandt widmet sich nach drei humorvollen Büchern, die seine Reisen und ein langes Arbeitsleben beschreiben, jetzt einem ernsten Thema. Es geht in seinem vierten Buch um heute leider ganz normalen Rassismus und Fremdenhass. Neben spannenden und romantischen Szenen verzichtet der Autor jedoch auch in diesem Buch nicht auf die Beschreibung von heiteren Momenten.

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Seitenzahl: 405

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Mancher findet sein Herz nicht eher, als bis er seinen Kopf verliert.

Friedrich Nietzsche

Wilfried Hildebrandt

Geliebte Feindin – verhasste Freunde

Roman

© 2019 Wilfried Hildebrandt

Umschlag: Uwe Malow

Korrektorat: Ingrid Gabriel-Abraham

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback

978-3-7497-3481-8

Hardcover

978-3-7497-3482-5

e-Book

978-3-7497-3483-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen und lebenden oder verstorbenen Personen wäre zufällig.

Lob und Kritik bitte an [email protected]

Kapitel 1

Die ehemalige HO-Gaststätte „Zum Oderdampfer“ ein Restaurant zu nennen, wäre eine Beleidigung für alle Restaurants dieser Welt gewesen, denn sie war die übelste Spelunke der ganzen Stadt, wenn nicht sogar ganz Deutschlands. Die Luft war derartig rauchgeschwängert, dass die seit Jahren nicht mehr geputzte Lampe wie der trübe Mond in einer Nebelnacht schimmerte. Aber auch an den hellsten Sonnentagen drang kaum Licht in den Schankraum. Schuld daran waren die blinden Fenster. Die schmutzigen Gardinen waren wahrscheinlich zum letzten Mal vom VEB Rewatex gewaschen worden, und dieser Volkseigene Betrieb für Textilreinigung existierte seit 27 Jahren nicht mehr. Hier hinein verirrte sich kaum jemand. Wenn es dennoch einmal passierte, dass müde Wanderer einkehren wollten, so wurden sie spätestens beim Öffnen der Kneipentür von den ihnen entgegenströmenden Rauchschwaden, dem Gestank nach Schweiß und verschüttetem Bier sowie dem Gegröle der Gäste am Stammtisch dermaßen abgeschreckt, dass sie schleunigst die Tür von außen schlossen und das Weite suchten.

Drei vierschrötige Männer saßen schon seit einigen Stunden um den runden Stammtisch herum. Sie waren alle über 50 Jahre alt, hatten Glatzen und an allen sichtbaren Hautpartien die übelsten Tätowierungen. Außerdem trugen sie schwarze Kleidung der Marke Thor Steinar sowie Springerstiefel an ihren Füßen. Ein Vierter, der erst später dazu gekommen war, passte vom Äußeren gar nicht zu ihnen, denn er sah ausgesprochen sympathisch aus, ja man konnte ihn einen gutaussehenden jungen Mann nennen. Er war modern gekleidet, hatte eine sportliche Figur und war wesentlich jünger als seine Tischgenossen. Trotz der äußerlichen Unterschiede schien er sich aber in Gesellschaft der Glatzen recht wohl zu fühlen.

Die Diskussion der vier Männer ging um das Thema „2. Weltkrieg“. Einer der Älteren hatte gerade wortreich ausgeführt, dass die russischen Soldaten, die er „Iwans“ nannte, arme Schweine gewesen seien, die bei ihren Sturmangriffen nicht einmal Waffen gehabt hätten. So sei es für die Deutsche Wehrmacht ein Leichtes gewesen, sie der Reihe nach abzuschießen. Dadurch hätten sie es den Deutschen beim Russlandfeldzug besonders leicht gemacht. Allerdings hätten die Deutschen auf jeden Fall gegen die Iwans gewonnen.

Ein anderer ergänzte, dass die Amis und die Tommys, wie er die Briten nannte, keine guten Kämpfer und tapfere Krieger gewesen seien. Sie hätten sich nur auf ihre Materialüberlegenheit verlassen und jede Stellung der Deutschen erst stundenlang beschossen, bevor sie sich aus ihren Schützengräben gewagt hätten. Aber dennoch hätte ihnen die Deutsche Wehrmacht keinen Millimeter deutschen Boden geschenkt.

„Die Franzmänner warn doch längst besiecht und hatten ja keene Armee mehr“, schwadronierte der dritte Schwarzgekleidete.

„Det die sich hinterher als Siejer uffjespielt ham, ist die jrößte Sauerei!“

„Nur die Deutschen waren richtije tapfre Soldaten, die Feinde warn allet Feichlinge“, fasste einer der Älteren zusammen.

Der Jüngste im Bunde lauschte ehrfürchtig, denn er hatte von all dem anscheinend noch nie etwas gehört. Als er jedoch fragte, warum Deutschland den Krieg verloren hätte, wenn alle Feinde so feige oder schlecht ausgerüstet waren und die deutsche Armee nur aus Helden bestanden hätte, wurde er niedergebrüllt und wegen seiner Unwissenheit ausgelacht.

„Mensch Kleena, die janze Welt hatte sich jejen det Deutsche Reich vaschworn, weil wir einfach die überlejene Rasse sind. Da konnten ooch unser jenialer Führer und die Helden vonne Deutsche Wehrmacht und die SS und die SA keen Blumtopp jewinn.“

Mit zunehmendem Alkoholpegel wurden die Männer immer lauter. Da sie unter sich waren, nahmen sie überhaupt kein Blatt vor den Mund. Sie ließen ihrer rechtsradikalen Gesinnung freien Lauf und es schien schließlich so etwas wie einen Rundgesang an ihrem Tisch zu geben. Statt zu singen, durfte jeder, wenn er an der Reihe war, eine Beschimpfung von Ausländern, Juden oder Homosexuellen von sich geben, was ihnen außerordentlich viel Spaß zu machen schien. Dass es ihnen nicht an Toleranz mangelte, zeigten sie, indem notfalls auch eine Herabwürdigung von Frauen und Behinderten akzeptiert wurde. Alle Verbalinjurien quittierten die anderen mit lautem Johlen. Bei jedem neuen Bier oder Schnaps wurde auf „USA“ angestoßen. Da sie so stark alkoholisiert auch noch ihre allerletzten Hemmungen verloren zu haben schienen, wählten sie immer öfter auch die Langform dieser Abkürzung, die da lautete „Unser Seliger Adolf“. Sie ereiferten sich, indem sie Kanaken, Fidschis, Negern, Polacken und all dem anderen Ungeziefer eine gute Reise in die Hölle wünschten. Auf keinen Fall sollte sich dieses Gesocks in Deutschland breitmachen.

Plötzlich sagte der Jüngste mit einem sehr unglücklichen Gesichtsausdruck: „Also Männer, morgen ist es soweit. Drückt mir bloß die Daumen, dass ich heil aus der beschissenen Polackei zurückkomme.“ Sie stießen diesmal auf seine Reise nach Polen an und grölten dabei alle auf einmal. Nachdem wieder etwas Ruhe eingekehrt war, fragte einer der Älteren scheinheilig: „Mit wat fährst'n hin nach Blauberch, Frank?“ Der Gefragte staunte über die Frage und antwortete: „Mit meinem Auto.“ Das war geradezu eine Steilvorlage für den anderen und so lautete seine nächste Frage: „Und mit wat kommste zurück, Kleena?“ Wieder wurde gegrölt und vor Lachen so kräftig auf den Tisch geschlagen, dass ein halbvolles Bierglas umfiel. Frank lachte gequält mit, denn er wollte sich nur ungern vorstellen, dass sein schöner Golf polnischen Diebesbanden in die Hände fallen könnte.

Als die Kneipe um Mitternacht schloss, setzte der Wirt Frank und seine drei Kumpane kurzerhand an die frische Luft. Sie verabschiedeten sich vor der Kneipentür mit einem dreifachen „Sieg Heil!“. Beim obligatorischen Hitlergruß knallten sie die Hacken zu- sammen, und wenn Frank nicht so betrunken gewesen wäre, hätte er dabei ganz sicher den Schmerz in den Knöcheln gespürt, als die- se zusammenprallten. Dann traten sie alle schwankend den Heim- weg an.

Frank hatte es nicht weit. Sein Elternhaus lag direkt an der Oder. Als er ins Haus polterte, wurde seine Mutter wach. Sie stand auf und ging ihm entgegen.

„Junge, warum kommst du so spät? Du weißt doch, dass du mor- gen sehr früh raus musst. Und dann hast du auch noch so viel ge- trunken. Die da drüben warten doch nur darauf, einen Deutschen einzusperren, wenn er betrunken Auto fährt.“

Frank winkte ab.

„Ja, ja, ich weiß. Ist doch alles scheißegal, die Polacken machen mich morgen sowieso fertig. Gute Nacht, Mutti.“

***

Am Montagmorgen hatte er tatsächlich Mühe, aufzustehen und sich für die Reise fertigzumachen. Laut Navigationssystem sollten es nur knappe 100 Kilometer bis Niebieska Góra sein, aber er fuhr ins Feindesland, da zählte jeder Kilometer doppelt und dreifach.

Als Frank sein Gepäck im Auto verstaut hatte, überprüfte er noch einmal seine Unterlagen. Für ihn war ein Zimmer in einem Hotel am westlichen Stadtrand gebucht worden. Er nahm an, dass es sich um eine ganz üble Absteige handeln würde, denn es war schließlich ein polnisches Hotel. Vorsichtshalber hatte er sich mehrere Spraydosen mit Mitteln gegen Flöhe und anderes Ungeziefer eingepackt. Dass die Polen dreckig und verlaust waren, hatten ihm seine Freunde ausführlich geschildert. Aus Angst, ihr Sohn könne verhungern, hatte seine Mutter ihm eine Kühltasche mit Lebensmitteln gepackt, denn in Polen gab es ja bekanntlich nichts zu essen, und wenn doch, dann nur einen ganz erbärmlichen Fraß. Zum Schlafen hatte er sich eine Luftmatratze und einen Schlafsack eingepackt, denn keine zehn nackten Neger würden ihn dazu bringen, in ein polnisches Hotelbett zu steigen.

Nachdem sich Mutter und Sohn verabschiedet hatten, als ginge er zum Schafott, stieg er in seinen Golf und fuhr davon. Nach wenigen Minuten hatte er die Stadtbrücke erreicht, die Fritzfurt mit Stułice verband. Seit Polen im Jahr 2004 in die EU aufgenommen worden war, gab es keine Grenzkontrollen mehr, sodass man ohne Stopp ins Nachbarland gelangte. Viele seiner Nachbarn und Kollegen fuhren häufig über die Grenze, um preiswert zu tanken und sich billig frisieren zu lassen oder essen zu gehen. Frank hatte das nie getan und hegte auch nicht die Absicht seine Meinung jemals zu ändern. Sein Hass auf alles Polnische war so groß, dass er lieber in Deutschland mehr bezahlte, als den Polen sein gutes Geld in die gierigen Rachen zu werfen. Wenn nicht diese verdammte Dienstreise gewesen wäre, hätten ihn keine zehn Pferde nach Polen gebracht.

Er hatte sich lange vergeblich geweigert, nach Polen zu fahren, aber er war nun mal der zuständige Projektingenieur seiner Firma für das neue Wasserwerk in Blauberg, bei dem es jetzt Probleme beim Bau gab. Deshalb musste er als Verantwortlicher vor Ort sein, um zu gewährleisten, dass das Vorhaben erfolgreich und pünktlich abgeschlossen werden konnte. Sein Chef hatte ihn gewaltig unter Druck gesetzt, indem er ihm gesagt hatte, dass man als knapp dreißigjähriger Junggeselle ja wohl keinen nachvollziehbaren Grund habe, nicht nach Polen zu fahren. Im Übrigen hinge der Fortbestand der Firma vom Gelingen dieses Projekts ab. Der Chef hoffte im Erfolgsfall auf weitere Aufträge aus dem Nachbarland. Frank hatte nie verstanden, wie man mit diesen Untermenschen und Betrügern jenseits der Grenze Geschäfte machen konnte. Das waren doch keine seriösen Vertragspartner. Da hätte man ja gleich mit den Buschnegern in einem afrikanischen Kral zusammenarbeiten können. Allerdings stand es nicht allzu gut um ihre Auftragslage in Deutschland. Deshalb waren sie auf das Ausland angewiesen, wollten sie eine Pleite vermeiden.

Seine Freundin Nicole, die Tochter seines Freundes Kurt Ogrodnik, hatte ihn ebenfalls gewarnt und eindringlich gebeten, nicht nach Polen zu fahren, denn sie hatte gehört, dass es dort Verbrecher gebe, die es vor allem auf Deutsche und deren Hab und Gut abgesehen hätten. Als er sich tags zuvor von ihr verabschiedet hatte, waren bei ihr Tränen geflossen. Er sah noch ihr ansonsten hübsches Gesicht von herablaufender Wimperntusche entstellt vor seinem geistigen Auge. Sie fürchtete wahrscheinlich ernsthaft, ihn nie wieder zu sehen. Ihr Vater hatte ihr die schrecklichsten Geschichten über Polen erzählt. Wenn der recht hatte, dann waren die schlimmsten menschenfressenden Wilden in der Südsee ausgesprochene Chorknaben gegen diese Monster, die jenseits der Grenze hausten.

Als er die Grenze nach Polen passiert hatte, schaute er angewidert auf die Verkehrsschilder. Sie waren nicht nur kleiner als die deutschen, sondern sie hatten auch Zusatzschilder mit total unlesbaren Texten. Das war ja keine Sprache, sondern eine völlig sinnlose Aneinanderreihung von seltsamen Zeichen. Von seinem Opa wusste er, dass dies alles einst zum Deutschen Reich gehört hatte, aber nach dem Krieg einfach Polen zugeschlagen worden war. Die Großeltern hatten einmal eine Reise zu Opas Elternhaus in Posen gemacht. Sie kamen von dort sehr niedergeschlagen zurück. Der Großvater konnte nur immer wieder sagen: „Was haben die nur aus unserem schönen Land gemacht!“ Es musste dort wohl furchtbar ausgesehen haben.

Frank war gerade ein paar Minuten auf polnischen Straßen unterwegs, da hielt ihn eine Polizeistreife an. Die Polizisten versuchten zuerst auf Polnisch, dann auf Englisch mit ihm zu sprechen, da Frank aber Polnisch nicht konnte und Englisch auch nicht verstand, wechselten sie zu schlechtem Deutsch. Sie verlangten barsch Führerschein, Fahrzeugpapiere und Personalausweis von ihm. Er stieg aus, denn er hoffte, dass so seine Restalkohol-Fahne nicht auffallen würde. Dann reichte er den polnischen Polizisten die verlangten Papiere. Die ganze Angelegenheit machte ihn durch und durch wütend, denn er war sich keiner Schuld bewusst. Dass er noch jede Menge Restalkohol in sich hatte, konnten sie von außen ja wohl nicht bemerkt haben. Schlangenlinien war er jedenfalls nicht gefahren. Ihm war klar, dass es sich nur um eine dieser typischen Schikanen der polnischen Polizei handeln konnte, von denen er schon öfter gehört hatte. Wahrscheinlich würden sie ihm gleich eine dicke Strafe aufbrummen, aber wenn er die bezahlen würde, bekäme er mit Sicherheit keine Quittung. Das Geld würden sich die beiden Polizisten grinsend in ihre eigenen Taschen stecken. Sollte er sich jedoch weigern zu zahlen, dann würden sie ihn mitnehmen und je nach Lust und Laune in den Knast stecken und womöglich foltern oder ihn irgendwo im Wald aus dem Polizeiwagen schmeißen, um ihm dann in den Rücken zu schießen. Im Polizeibericht würde dann stehen „Auf der Flucht erschossen“. Beides waren keine rosigen Aussichten und deshalb war er von vornherein fest entschlossen zu zahlen.

Soweit war es jedoch noch nicht. Die Polizisten hatten seine Dokumente in ihr Auto mitgenommen, wo sie sie mittels eines Gerätes einzuscannen schienen. Dann kam einer von ihnen damit zurück. Er reichte Frank die Papiere, während er fragte: „Pan Schulz, Sie wissen, warum wir Sie haben angehalten?“ Frank wusste es nicht und schüttelte den Kopf. Der Polizist belehrte ihn daraufhin. „In Polen Sie müssen auch am Tag fahren mit Licht. Wenn nicht, kosten 100 Złoty Strafe.“

Frank schluckte. Er hatte zwar schon davon gehört, dass es in Polen diese schwachsinnige Vorschrift gab, hatte aber nach der Grenze überhaupt nicht daran gedacht, die Fahrzeugbeleuchtung einzuschalten. Das fing ja gut an! Wie er schnell im Kopf ausrechnete, waren es umgerechnet 25 Euro, die diese verfluchten Wegelagerer von ihm haben wollten. Frank suchte nach seinem Portemonnaie, aber der Polizist winkte ab.

„Nächste Mal Strafe, heute noch nicht. Do widzenia!“

Damit war anscheinend die ganze Sache erledigt, denn die Polizisten stiegen in ihr Auto und fuhren davon. Auch Frank stieg wieder ein. Er wunderte sich, dass er mit einer Verwarnung davongekommen war. In Deutschland hätte er ganz sicher die Strafe zahlen müssen. Wollten sich diese Polacken bei den Deutschen auf diese Weise einschleimen? Da waren sie bei Frank aber an der falschen Adresse. Er würde seine Meinung über dieses furchtbare Land und seine noch furchtbareren Bewohner ganz sicher nie und nimmer ändern.

Während er mit eingeschaltetem Licht weiterfuhr, überlegte er erneut, warum sie ihn nicht bestraft hatten. Wahrscheinlich wagten sie es nicht, denn sie wussten, dass er ihnen geistig weit überlegen war. Allein schon, wie ihr Deutsch geklungen hatte, war ein Zeichen ihrer Blödheit. Sie hatten aus gutem Grund Angst davor, ihn als Angehörigen der Herrenrasse zu bestrafen.

Es fuhr sich gut in Polen, denn die Straßen waren in einem fabelhaften Zustand und nicht so voll wie die in Deutschland. So dauerte es gar nicht lange, bis er in Niebieska Góra angekommen war. Er regte sich über diesen Namen auf, den die Polen der Stadt Blauberg gegeben hatten. So ein Kauderwelsch konnte doch kein normaler Mensch aussprechen! Auch die Straßennamen waren für Deutsche alles andere als gut lesbar, aber mithilfe seines Navigationsgerätes fand er schnell das Hotel, in dem er während seines Aufenthaltes in Polen untergebracht war.

Der Rezeptionist sprach ausgezeichnet deutsch, was Frank allerdings gar nicht zur Kenntnis nahm, denn er fand das ganz normal. Seinen Golf hatte er auf dem hoteleigenen bewachten Parkplatz abgestellt, von dem er hoffte, dass dieser sicher war. Von dort trug er das Gepäck in sein Zimmer und packte schon das Wichtigste aus. Er hatte wohlweislich nur seine ältesten Kleidungsstücke mitgenommen, denn dass er in Polen bestohlen werden würde, war für ihn so sicher, wie das Amen in der Kirche, in die er niemals ging.

Er hatte ein sehr schönes, helles Zimmer bekommen und als er darin nach dem erwarteten Schmutz und dem Ungeziefer suchte, wurde er bitter enttäuscht. Alles sah sauber und ordentlich aus. Er vermutete, dass sein Blick infolge seines Katers stark getrübt sei. Außerdem war ihm klar, dass man Bakterien, Viren, Läuse und Flöhe mit bloßem Auge sowieso nicht sehen könnte. Dass Polen sauber machen könnten, hielt er für völlig ausgeschlossen. Wie geplant, sprühte er deshalb das gesamte Zimmer sowie das Bad mit seinem mitgebrachten Insektenspray ein. Nachdem sich der dadurch ausgelöste Hustenanfall etwas gelegt hatte, blies er die mitgebrachte Luftmatratze mit dem Mund auf, denn er hatte die Pumpe zu Hause vergessen. Zwar wurde ihm vom Pusten schwindlig, aber das war halb so schlimm. Auf keinen Fall wollte er in einem polnischen Hotelbett schlafen. Er war sich ganz sicher, dass er sich darin die schlimmsten Krankheiten und die widerlichsten Parasiten holen würde. Dann packte er seinen Schlafsack aus, den er sich einst für einen Campingurlaub gekauft hatte und rollte diesen auf der neben dem Bett liegenden Luftmatratze aus.

Als er mit all dem fertig war, ging er in die Hotelhalle. Von dort sollte er um 10 Uhr abgeholt und zur Baustelle gebracht werden. Der Fahrer traf pünktlich ein, was Frank sehr wunderte, denn dass Polen niemals pünktlich sind, wusste in Deutschland schließlich jedes Kind. Der Chauffeur kam auf ihn zu und fragte: „Pan Schulz?“ Frank verbesserte: „Herr Schulz.“ Der Fahrer nickte und wies auf den Hoteleingang, wobei er sagte: „Dobrze. Proszę Pana.“

Frank folgte dem Polen, wobei er sich maßlos ärgerte, dass dieser einfach polnisch mit ihm sprach. Das konnte ja heiter werden!

Wenn die hier alle in dieser unkultivierten Art und Weise mit ihm umgingen, würde er ganz schnell seine Zelte abbrechen und nach Hause zurückfahren. Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass er ausschließlich hier war, um ihnen aus der Patsche zu helfen. Es schien ja hier nur unfähige Bauleute zu geben, denen er erst mal das kleine Einmaleins beibringen müsste. Er würde diesen polnischen Idioten erst mal zeigen, wie man in Deutschland arbeitet und Probleme löst.

Als Frank auf dem Beifahrersitz saß und die Autotür geschlossen hatte, ging es los. Nach einer kurzen ziemlich rasanten Fahrt kamen sie bei der Baustelle an. Frank stieg aus und folgte dem Kraftfahrer, der ihn zu einer der Baracken führte.

Im Inneren gab es eine Art Baubesprechung, an der einige ältere Männer und eine junge Frau teilnahmen. Der Fahrer grüßte auf Polnisch und stellte Frank als „Pan Schulz“ vor, dann zog er sich zurück. Einer der Herren gab Frank die Hand und sagte: „Witam Panie Schulz!“ Dann fuhr er fort: „Czy Pan mówi po polsku?“ Als er Franks abweisenden Gesichtsausdruck sah, versuchte er es auf Englisch. „Do you speak English, Mr. Schulz?“ Frank musste auch diesmal den Kopf schütteln, denn sein Englischunterricht lag lange zurück, weshalb seine Sprachkenntnisse nur noch rudimentär waren. Er hatte später niemals einen Versuch unternommen, sie wieder aufzufrischen. Als Deutscher sah er es überhaupt nicht ein, dass er eine andere Sprache lernen sollte. Wer nach Deutschland kam, hatte gefälligst deutsch zu sprechen und Frank hatte bisher nicht im Traum daran gedacht, je einen Fuß in ein fremdes Land zu setzen. Weil nun die Möglichkeiten des Polen erschöpft waren, rettete die einzige Frau in der Runde die Situation. Sie ging auf Frank zu, reichte ihm die Hand und sagte: „Herzlich Willkommen, Herr Schulz. Schön, dass Sie hier sind. Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit. Ich heiße Milena Opalka.“ Frank war mehr als verblüfft, gab es doch unter all diesen ungebildeten Polen tatsächlich eine, die richtig gut deutsch sprach. Sofort hellte sich sein Gesicht auf und unbewusst lächelte er sie freundlich an.

Während er ihre Hand schüttelte, schaute er sie sich genauer an. Sie war etwas kleiner als er, sehr schlank, hellblond und unglaublich hübsch. In seiner Vorstellung waren Polinnen bisher immer alte, zahnlose Bauernfrauen mit Kopftuch gewesen. So hatte sie jedenfalls sein Opa beschrieben, und solche hatte er in Fritzfurt auch immer gesehen. Jetzt sah er zum ersten Mal eine hübsche junge Polin. Er musste sich mächtig zusammenreißen, um seinen Blick wieder von ihr zu lösen.

Sie stellte nun ihre Kollegen als die Herren Ogrodnik, Kaczmarek und Koslowski vor und Frank musste noch einmal Hände schütteln. Er wunderte sich sehr, dass die drei Polen deutsche Nachnamen hatten, denn sie hießen genauso wie seine drei Freunde in Fritzfurt.

Die Gruppe, zu der nun auch Frank gehörte stand vor einer großen Bauzeichnung und beriet über das Problem, zu dessen Lösung Frank beitragen sollte. Die polnische Kollegin betätigte sich als Dolmetscherin, weshalb sie sich eng an Franks Seite hielt, um ihm die Übersetzung ins Ohr zu flüstern, was ihm nicht unangenehm war.

Als ihm das Problem klargeworden war, gingen sie hinaus auf die Baustelle, um sich vor Ort weiter zu besprechen. Die Lösung war jedenfalls nicht auf Anhieb zu finden und so bat Frank darum, sich die Baupläne an einem ruhigen Ort ansehen zu können. Er hoffte, auf diese Weise schnell zu einem Ergebnis zu kommen, um danach sofort wieder nach Hause fahren zu können. Allerdings benötigte er Milena als Dolmetscherin, denn die Beschriftungen der Zeichnungen waren ausnahmslos in Polnisch abgefasst. Milena erwies sich als sehr große Hilfe. Sie beherrschte nicht nur hervorragend die deutsche Sprache, sondern sie entpuppte sich auch als echte Expertin des Bauwesens. Ihre Fachkenntnisse waren exzellent, wie er erstaunt feststellte.

Franks inneres Ich wehrte sich dagegen, dass ihm die Gesellschaft der Polin Milena so angenehm war. Sie war aber auch eine ausgesprochene Schönheit, roch sehr verführerisch und ihre Stimme klang äußerst angenehm. Bei ihr störte ihn nicht einmal der kleine Akzent, der sich fast nur darin bemerkbar machte, dass sie das R rollte. Er musste ehrlich zugeben, dass diese Frau drauf und dran war, ihn in seinem Pauschalurteil über Polinnen zu verunsichern, aber er verwarf diesen Gedanken schnell wieder. Es gab schließlich überall Ausnahmen. Ein Neger hatte es ja sogar als Präsident bis ins Weiße Haus in Washington geschafft. Deshalb hieß es noch lange nicht, dass Neger gute und kluge Menschen waren. Und nur, weil Milena nicht dumm war, hieß es nicht, dass alle Polen intelligent waren. Frank war sich sicher, dass Milena eine sehr seltene Ausnahme sein musste.

Da er sich nur ihren Vornamen gemerkt hatte, sprach er sie auch nur mit diesem an. Sie nannte ihn Frank und es dauerte nicht lange, da duzten sie sich.

Nachdem sie gemeinsam stundenlang die Maße auf den polnischen Zeichnungen mit denen auf Franks mitgebrachten Zeichnungen verglichen hatten, ohne auch nur die kleinste Differenz zu finden und es draußen bereits dunkel wurde, stand er auf und beendete den Arbeitstag. Ihm wurde schmerzlich bewusst, dass er seine mitgebrachten Lebensmittel im Hotelzimmer gelassen hatte, da er der irrigen Annahme war, das Problem im Nullkommanix lösen zu können.

Als er sie fragte, wie er denn jetzt in sein Hotel käme, bot sie ihm an, ihn in ihrem Auto dorthin zu bringen. Diese Einladung nahm er gerne an und so saß er bald auf dem Beifahrersitz ihres hochmodernen und komfortablen BMW. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass sein eigener so geliebter fahrbarer Untersatz dagegen eine alte, mickrige Karre war oder eine Nuckelpinne, wie sein Opa immer zu sagen pflegte. Schon auf der Anreise und der morgendlichen Fahrt zur Baustelle war ihm aufgefallen, welche schicken neuen Autos in Polen fuhren. Er erklärte sich das damit, dass es sich dabei ausnahmslos um die in Deutschland gestohlenen Fahrzeuge handelte. Dass Milena ihr Auto geklaut haben könnte, schloss er jedoch kategorisch aus. Das traute er ihr nicht zu, ohne zu wissen, warum. Er konnte sich höchstens vorstellen, dass sie in gutem Glauben ein gestohlenes Auto gekauft hatte.

Vor dem Hotel angekommen, bedankte er sich fürs Mitnehmen und bei der Verabschiedung hätte er sie fast geküsst. So verführerisch und attraktiv wie sie war, musste er seine ganze Beherrschung aufbieten, sich auf das Handgeben zu beschränken. Als sie davonbrauste, schaute er ihr noch lange sinnend nach. In seinem Kopf schwirrten die Gedanken, wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm umher. Wenn er ganz ehrlich war, musste er zugeben, dass er sich in Milena verliebt hatte. Er verstand sich selbst nicht mehr, denn das passte überhaupt nicht zu ihm und seinem Weltbild von der überlegenen deutschen Rasse und den polnischen Untermenschen. Deshalb verwarf er dieses Gefühl sofort wieder und nahm sich vor, ihr am nächsten Tag mit mehr Distanz zu begegnen.

Im Hotel erlebte er eine unangenehme Überraschung, denn der diensthabende Portier sprach nicht deutsch. Als Frank seinen Zimmerschlüssel verlangte, indem er laut und deutlich „Dreihunderteinundvierzig“ sagte, erwiderte der Hotelangestellte: „In English, please.“ Frank rief daraufhin erregt: „Drei-vier-eins!“ Soweit kam es noch, dass er als Deutscher nicht verstanden wurde! Der Rezeptionist hatte jetzt tatsächlich verstanden und händigte Frank den richtigen Schlüssel aus, was dieser mit den Worten „Na also, geht doch“ quittierte.

In seinem Zimmer trank er zwei Flaschen warmes Bier aus seinem Proviant. Er hatte nicht die Absicht, sich mit dem polnischem Bier zu vergiften, das gut gekühlt in der Minibar stand. Gegen den Hunger aß er zwei der belegten Brote, die seine Mutter ihm mitgegeben hatte. Besonders gut schmeckten sie nicht mehr, nachdem sie einen Tag im warmen Hotelzimmer gelegen hatten. Er hoffte, dass der Bierschinken noch nicht verdorben war, denn der roch schon irgendwie unangenehm und schmeckte eklig. Der Käse auf der anderen Stulle war hart geworden und hatte sich stark verbogen. Nach diesem wenig festlichen Mahl ging er in die Dusche und untersuchte sie auf Ungeziefer. Als er keins fand, duschte er. Die bereitliegenden Handtücher des Hotels ignorierte er sicherheitshalber. Auch dabei war er autark, denn er hatte sich sein eigenes Handtuch mitgebracht, wenn er auch zugeben musste, dass die vom Hotel viel ansehnlicher und weicher waren sowie wesentlich besser rochen als seines. Mutti hatte ihm aber auch das schlechteste und älteste Handtuch mitgegeben, das sie finden konnte. Es war rosa und mit Blümchen bedruckt. Vom jahrelangen Gebrauch war es an mehreren Stellen schon ausgesprochen fadenscheinig geworden. Aber dafür, dass es ihm mit Sicherheit in Polen entwendet werden würde, war es gerade gut genug.

Dann blies er noch einmal die Luftmatratze auf, bis sie richtig prall war und kroch in seinen Schlafsack. Er schlief auch schnell ein, wachte aber mitten in der Nacht schweißgebadet wieder auf. Schuld daran war der Schlafsack, der für kalte Nächte im Zelt konstruiert war und nicht für warme Hotelzimmer. Einmal wach, pustete er die Luftmatratze wieder auf, da sie inzwischen einen Teil ihrer Luft verloren hatte, sodass er schon an manchen Stellen Kontakt mit dem harten Fußboden hatte.

Am nächsten Morgen wurde er von seinem Handy geweckt, auf dem er als Klingelton den Badenweiler, Hitlers Lieblingsmarsch, installiert hatte. Franks Chef rief aus Deutschland an, um zu fragen, ob sein Mitarbeiter schon eine Lösung für das Problem gefunden habe. Frank antwortete, dass er noch dabei sei, die Unterlagen durchzuarbeiten, um herauszufinden, wo die blöden Polacken Mist gebaut hätten. Der Chef bat ihn daraufhin, diese Wortwahl zu unterlassen, insbesondere, wenn er mit den polnischen Vertragspartnern spreche, was Frank ihm widerwillig versprach.

Zum Frühstück ging er nicht, obwohl es im Übernachtungspreis inbegriffen war, denn er befürchtete von dem grauenhaften Fraß, der dort höchstwahrscheinlich angeboten wurde, krank zu werden. Er aß wiederum lieber etwas von den mitgebrachten Lebensmitteln. Leider waren seine Brötchen inzwischen zäh wie Leder und die Leberwurst roch widerlich, aber das schien ihm das kleinere Übel zu sein, wenn er an die polnische Kohlsuppe oder was sonst im Hotel als Frühstück serviert wurde, dachte. Auf etwas Warmes zu trinken musste er zu seinem Glück nicht verzichten, denn Mutti hatte ihm auch eine Thermosflasche mit warmem Kaffee mitgegeben. Sie hatte wirklich an alles gedacht.

Nach dem Frühstück duschte er wieder. Sein Handtuch war noch vom Vorabend feucht und nach dem erneuten Abtrocknen war es richtig nass. Trotzdem steckte er es in seinen Koffer, denn er war ganz sicher, dass es ihm gestohlen werden würde, wenn er es hängenließ. Das wäre ja nicht so schlimm gewesen, aber er befürchtete, noch eine Nacht in dieser Absteige verbringen zu müssen, was erneutes Duschen erforderlich machen würde. Er schloss den Koffer ab und hoffte inständig, dass sie ihm nicht den ganzen Koffer wegnehmen würden, während er unterwegs war.

Danach wartete er wieder auf seine Abholung. Tatsächlich kam auch bald der Fahrer von gestern, der freundlich auf Polnisch mit „Dzień dobry“ grüßte. Frank antwortete mit einem mürrischen „Tach“. Dann fuhren sie zur Baustelle.

Dort erwartete ihn wieder das Team von gestern. Zu seinem Erstaunen schienen sie alle die deutsche Grußformel „Guten Morgen“ gelernt zu haben, um sie nun zu benutzen. Frank grüßte ebenfalls, dann fragte ihn einer der Bauingenieure etwas auf Polnisch. Franks Blick ging hilfesuchend zu Milena, die die Frage übersetzte.

„Herr Koslowski möchte wissen, ob du schon den Fehler gefunden hast.“

Frank schüttelte den Kopf.

„Ich möchte heute direkt auf der Baustelle die Maße überprüfen. Das wird doch hoffentlich möglich sein.“

Ohne die anderen zu konsultieren, antwortete Milena, dass dies natürlich möglich sei. Wenn er wolle, könnten sie sofort aufbrechen. Er nickte und sie sprach noch einige Worte zu ihren Kollegen, dann verließen beide gemeinsam die Baubaracke.

Auf der Baustelle herrschte rege Betriebsamkeit. Es war nicht einfach, die notwendigen Messungen durchzuführen, gelang ihnen aber schließlich doch. Mit ihren Messergebnissen kehrten sie zurück und Frank verglich diese mit den Maßen auf den Zeichnungen. Er konnte keine Differenz feststellen. Alles war exakt gemäß der Zeichnungen gebaut worden. Aber warum passte dann diese verdammte Pumpe nicht durch das Haupttor? Er bat Milena, die technischen Daten der Pumpe zu besorgen. Vielleicht hatten sie eine andere Pumpe genommen, als die, die er im Projekt angegeben hatte. Sie kam mit den Unterlagen zurück, seine Hoffnung wurde jedoch zerstört. Die Pumpe war genau die geplante. Aber wo war denn nur der Fehler? Plötzlich zeigte Milena auf die Maße im Prospekt der Pumpe und auf die Maße der Bauzeichnung. Er schaute sie ratlos an. Sie sagte: „Sieh dir mal die Maßeinheiten an.“ Er blickte noch einmal genauer hin und dann sah er, was sie meinte. Die Pumpe kam aus den USA und die Maße waren in Inch und Foot angegeben. Bei der Erarbeitung des Projekts hatte er das zwar bemerkt, aber offensichtlich bei der Umrechnung in metrische Maße einen Fehler gemacht. Er schaute sie ziemlich verzweifelt an. Wenn er seinen Fehler zugab, wäre das das Ende seiner Karriere als Bauingenieur gewesen. Nach einer Weile sagte Milena: „Wir müssen das Haupttor noch einmal abreißen und größer wieder aufbauen.“ Das war Frank auch klar, aber er wusste, dass diese Baumaßnahme andere nach sich ziehen und zusätzliche Kosten verursachen würde. Er grübelte fieberhaft, wie er unbeschadet aus dieser Nummer herauskam.

Während er vergebens nach einer Lösung suchte, lächelte sie ihn plötzlich an.

„Ich glaube, ich habe eine Lösung.“

Er blickte sie skeptisch an.

„Und wie sollte die aussehen?“

„Das Dach ist doch noch nicht geschlossen. Wenn wir einen Kran anfordern, kann der die Pumpe in das Gebäude heben.“

Er war zwar froh, dass sich die Sache anscheinend so unkompliziert lösen ließ, wusste aber immer noch nicht, wie er sich herausreden konnte, ohne zuzugeben, dass er sich verrechnet hatte. Sein verzweifelter Blick entging Milena nicht, sie hatte jedoch auch für dieses Problem eine Lösung parat.

„Ich sage, dass ich den Pumpentyp geändert habe, nachdem die Ausschreibung heraus war.“

„Aber dann bekommst du doch Ärger“, wandte er ein, jedoch sie winkte lächelnd ab.

„Mir tun sie schon nichts. Ich bin doch ihre Lieblingskollegin.“

Frank war baff. Diese Frau hatte anscheinend für alle Probleme eine Lösung und war sogar so großzügig, ihn nicht zu verraten, sondern den Kopf für ihn hinzuhalten. Warum tat sie das? Wie er wusste, waren Polen doch gemein und hinterhältig. Warum nahm sie die Schuld auf sich? Hatte sie sich etwa in ihn verliebt? Das war die einzige Erklärung für ihr Verhalten. Andererseits konnte er sich durchaus vorstellen, dass sie wirklich eine Sonderstellung hatte und ihr deshalb niemand den Kopf abreißen würde. Sie war nicht nur die einzige Frau im Team, sondern darüber hinaus auch eine sehr schöne. Wenn jemand mit ihr böse sein sollte, brauchte sie ihn nur mit ihren großen grün-grauen Augen anzuschauen und wenn das noch nicht half, hatte sie immer noch die Möglichkeit ihren tollen Busen richtig in Szene zu setzen, dann war kein Mann mehr in der Lage, mit ihr zu schimpfen.

Nachdem Milena der Bauleitung den angeblichen Grund für das Problem und ihren Lösungsvorschlag unterbreitet hatte, gab es eine Weile eine etwas erregte Diskussion auf Polnisch, bei der Frank nur hoffte, dass sich Milenas Ärger in Grenzen halten würde. Als sie sich genauso verhielt, wie er es vorher vermutet hatte, wurden die Stimmen der Herren leiser und freundlicher. Nachdem der Disput beendet war, blickte sie ihn lächelnd an und sagte: „Da das Problem jetzt gelöst ist, könntest du eigentlich wieder nach Hause fahren. Aber wenn du willst, kannst du auch noch hierbleiben, bis die Pumpe eingebaut ist.“ Wie in Trance starrte er sie an und nickte. Als er wieder sprechen konnte, antwortete er: „Ich bleibe noch.“

Milena zuliebe überwand Frank am Mittag seine Abscheu vor polnischem Essen, denn er fühlte sich verpflichtet, sie zum Essen einzuladen, nachdem sie ihm so sehr geholfen hatte. Deshalb fragte er sie, ob es in der Nähe ein gutes Restaurant gebe, in dem sie zu Mittag essen könnten, obwohl er absolut sicher war, dass das nicht der Fall sein würde. Ihr zuliebe hätte er Kröten und Spinnen gegessen, falls es nichts Appetitlicheres geben sollte. Sie nickte.

„Ja, komm mit. Ich zeige dir, wo man gut essen kann.“

Sie verließen die Baustelle zu Fuß. In der Nähe gab es ein Restaurant, das sich zwar als Restauracja bezeichnete, aber zumindest äußerlich einen guten Eindruck machte. Sie traten ein, setzten sich an einen Tisch am Fenster und kaum saßen sie, da kam auch schon die Bedienung. Die Speisekarten, die sie erhielten, waren in Polnisch, Englisch und Deutsch verfasst, sodass Frank kein Problem hatte, sich ein Gericht auszusuchen. Er konnte seine Bestellung sogar in Deutsch aufgeben.

Nachdem sie die gewünschten Gerichte bestellt hatten, sagte er: „Ich bin dir sehr dankbar. Ohne dich hätte ich wahrscheinlich meinen Job verloren. Wie kann ich das gutmachen?“ Sie schüttelte den Kopf.

„Du musst nichts gutmachen. Ich freue mich, dass ich dir helfen konnte, denn du bist so ein netter Mensch. Im Gegensatz zu vielen deiner Landsleute hast du keine Vorurteile uns Polen gegenüber. Ich mag dich einfach. Außerdem liebe ich Deutschland und die Deutschen. Sie sind so fleißig und zuverlässig und alles ist so gut organisiert.“

Beschämt senkte er seinen Blick und war froh, seine Abneigung gegen Polen ihr gegenüber nicht zum Ausdruck gebracht zu haben. In seinem Inneren kämpften jetzt zwei große Gefühle gegeneinander. Sein Hass gegen die Polen stritt mit dem freundschaftlichen, fast liebevollen Gefühl, das er Milena entgegenbrachte. Ein leiser Zweifel machte sich bei ihm breit. War sie wirklich die einzige Ausnahme in diesem Land oder gab es noch mehr gebildete und freundliche Polen? Er hatte ausgesprochene Angst, Letzteres bestätigt zu bekommen. Er konnte unmöglich mit so einem falschen Bild des Nachbarlandes und seiner Bevölkerung aufgewachsen sein. Seine Eltern, Großeltern und sämtliche Freunde dachten wie er. Die konnten sich doch nicht alle irren!

Bis die Speisen serviert wurden, hatten sie Zeit, sich zu unterhalten. Frank wollte vor allem wissen, warum Milenas Kollegen auf der Baustelle nicht deutsch sprachen, obwohl sie doch deutsche Namen trugen. Milena antwortete erstaunt mit einer Gegenfrage. „Wie kommst du darauf, dass meine Kollegen deutsche Namen haben?“

Er erzählte ihr daraufhin, dass seine drei Freunde in Fritzfurt ebenfalls Ogrodnik, Kaczmarek und Koslowski hießen. Milena staunte und sagte: „Das sind sicher Polen, die nach Deutschland ausgewandert sind. Die würde ich gerne kennenlernen. Vielleicht sprechen sie noch polnisch.“ Frank schauderte es bei dem Gedanken, dass sie seine Freunde treffen würde. Milena kam jetzt auf den ersten Teil seiner Frage zurück.

„Du wolltest wissen, warum meine Kollegen nicht deutsch sprechen? Dann kann ich dich auch fragen, warum du nicht polnisch und englisch sprichst?“

Frank antwortete entrüstet: „Warum sollte ich eine Fremdsprache lernen? Als Deutscher spreche ich schließlich eine Weltsprache, die auf der gesamten Erde verstanden und gesprochen wird.“ Milena schaute ihn belustigt an. „Du scheinst noch nicht viel in der Welt herumgekommen zu sein, denn sonst wüsstest du, dass Deutsch keine Weltsprache ist – genau wie Polnisch.

Das sah er zwar anders und ärgerte sich maßlos, dass sie Deutsch und Polnisch in einem Atemzug erwähnte, als wenn man diese beiden Sprachen in irgendeiner Weise miteinander vergleichen könne. Dazwischen lagen schließlich Welten. Deutsch war eine Kultursprache, in der Goethe und Schiller geschrieben hatten, während es seiner Meinung nach keinen polnischen Dichter oder Denker gab. Um aber nicht mit ihr zu streiten, veränderte er seine Fragestellung.

„Warum sprichst du aber so gut deutsch?“

Sie lächelte und sah dabei wunderschön aus.

„Ganz einfach: Ich habe in Hannover Architektur studiert.“

Sie wurden unterbrochen, als der Kellner das Essen servierte und anschließend „Smacznego!“ sagte. Frank schaute Milena verärgert an, als er sagte: „Ich habe doch noch gar nicht angefangen zu essen. Wie kommt dieser Kerl dazu mir zu sagen, dass ich nicht so schmatzen soll?“ Sie lachte und erklärte ihm, dass „Smacznego” „Guten Appetit“ auf Polnisch heißt. Nun lachten sie gemeinsam und aßen vergnügt ihr Fischfilet, das sie beide übereinstimmend bestellt hatten. Zu Franks Erstaunen war alles sehr schmackhaft. In ihm kamen die nächsten Zweifel auf. Diesmal fragte er sich, ob es nötig gewesen war, Essen aus Deutschland mitzubringen.

Er aß schnell, während sie die Mahlzeit genoss. Als er längst seinen Teller leergegessen hatte, legte sie ihr Besteck beiseite, obwohl ihr Teller noch halbvoll war. Wenn sie immer so wenig aß, war es kein Wunder, dass sie so schlank war, dachte er.

Als die Rechnung kam, war diese wesentlich niedriger, als es Frank erwartet hatte. Er zückte seine Kreditkarte, wies den Kellner auf Deutsch an, 10 Prozent Trinkgeld zu addieren, was dieser sofort verstand. Frank hatte sich vor Jahren geärgert, dass er zu seinem Girokonto eine Kreditkarte bekam, die er bisher noch nie benutzt hatte. Jetzt war er froh darüber, dass er sie hatte, denn es machte die Bezahlung wesentlich einfacher, als wenn er in Euro bezahlen würde und schon vorher wüsste, dass der Ober falsch umrechnen würde.

Nachdem die Rechnung beglichen war, verfiel Frank wieder in Grübeleien, als er versuchte zu verarbeiten, was er an diesem Tag erlebt hatte. Milena weckte ihn abrupt aus seinen Gedanken, indem sie ihm unter dem Tisch zärtlich an sein Bein stieß. Als er hochschaute, sah er in ihr lachendes Gesicht. Sie fragte: „Wo warst du denn eben? Ich dachte schon, du bist eingeschlafen.“ Die Stelle, an der sie ihn angestupst hatte, tat nicht weh, sondern war im Gegenteil immer noch in angenehmer Weise präsent. Von ihr ging eine warme Welle von Glück durch seinen Körper. Hatte er anfangs gedacht, dass er einfach nur scharf auf sie sei, so überkam ihn jetzt die Erkenntnis, dass er ernsthaft verliebt in sie war. Natürlich war ihre sexuelle Anziehungskraft nicht ohne Wirkung auf ihn geblieben, aber die hatte er damit abgetan, dass er sich manchmal sogar mit dem Gedanken erwischte, Negerinnen sexy zu finden und sich alles Mögliche mit ihnen ausmalte. Jedoch bei Milena war es mehr, das ihm gefiel. Es war ihre Art, mit ihm zu sprechen, ihr Wissen und nicht zuletzt natürlich ihre selbstlose Hilfe für ihn, als ihm das Wasser bis zum Hals gestanden hatte.

„Was machen wir denn nun mit dem angebrochenen Tag?“, fragte er, als sie das Restaurant verlassen hatten. „Gibt es hier irgendetwas, das man sich anschauen kann?“ Sie nickte.

„Hier gibt es viele Sehenswürdigkeiten. Wenn du willst, fahren wir zum Weinberg im Stadtzentrum.“

Dass es in Blauberg einen Weinberg gab, hätte er nicht erwartet. Umso neugieriger war er, diesen zu sehen.

Wieder stiegen sie in Milenas tolles Auto. Es roch noch ganz neu und wenn es wirklich unrechtmäßig erworben war, dann musste es direkt beim Händler gestohlen worden sein. Milena war eine gute Autofahrerin und er fühlte sich absolut sicher bei ihr. Außerdem war er froh, dass er nicht fahren musste, denn die Polen fuhren ziemlich temperamentvoll. Als Beifahrer konnte er intensiver aus dem Fenster schauen und sich einen Eindruck von der Stadt, ihren Bauwerken und Menschen verschaffen. Er war von allem positiv überrascht, denn eigentlich hatte er erbärmlich dahinvegetierende Geschöpfe in Elendskaten erwartet, aber er sah nur normale Häuser und sehr gut gekleidete Menschen. Deshalb konnte er auch seinen ersten Verdacht nicht aufrechterhalten, dass der Weg von seinem Hotel zur Baustelle durch ein besonders reiches Stadtviertel geführt hätte.

Nach kurzer Fahrt waren sie am Ziel. Vor ihnen lag mitten in der Stadt der Weinberg. Wieder war Frank froh, nicht selbst fahren zu müssen, denn Milena kannte sich gut aus und lenkte ihr Auto virtuos auf den Parkplatz vor dem Restaurant mit dem Namen Palmiarnia Restauracja.

Im Inneren konnte man gemütlich unter Palmen und zwischen anderen exotischen Pflanzen sitzen und die verschiedensten Köstlichkeiten genießen. Der herbeieilende Kellner sprach deutsch und Milena und Frank waren sich zufällig wieder einig bei der Bestellung. Sie orderten je eine Tasse Kaffee und ein Stück Erdbeertorte mit Sahne. Es dauerte nicht lange und das Bestellte wurde serviert. Es war köstlich und Frank bereute jetzt ernsthaft, dass er Lebensmittel aus Deutschland mitgebracht hatte. Wenn es so weitergehen sollte, würde er fast alles wieder mit nach Hause nehmen oder besser gleich hier wegwerfen, damit seine Mutter nicht auf die Idee käme, dass er in Polen gehungert hätte.

Während sie die leckeren Tortenstücke verzehrten, sprachen sie über Gott und die Welt sowie über sich. Frank erfuhr auf diese Weise, dass Milena in Stułice aufgewachsen war, wo ihre Mutter immer noch lebte. Er erzählte, dass er mit seiner Mutter in Fritzfurt lebe. Sie stellten eine ganze Menge an Gemeinsamkeiten fest. Beide waren 29 Jahre alt, wobei Milena etwa neun Monate älter war als Frank und bald ihren 30. Geburtstag feiern würde.

So verlebten sie einen sehr vergnüglichen Nachmittag zwischen tropischen Pflanzen. Im Verlauf des Gesprächs kamen sie sich immer näher und es fiel Frank schwer, seine Gefühle für Milena zu verbergen. Er konnte kaum einen Blick von ihr wenden, weshalb er auch immer mehr von ihren körperlichen Reizen bemerkte. Er wusste gar nicht, was ihm am meisten an ihr gefiel, ihr halblanges blondes Haar, ihr außerordentlich hübsches Gesicht oder ihr perfekter Körper mit den bestgeformten Brüsten, die er jemals gesehen hatte. Auch ihre Beine waren große Klasse. Normalerweise kam er bei Frauen gut an und konnte jede haben, denn er war ein gutaussehender und freundlicher junger Mann. Wäre sie eine Deutsche gewesen, hätte er nicht gezögert, sie in die Arme zu nehmen und ihre sinnlichen Lippen zu küssen. Dabei wäre er sicher gewesen, dass sie sich nicht gewehrt, sondern seine Zärtlichkeiten erwidert hätte. Aber sie war eine Polin und damit eine Ausländerin, sodass sich eine intime Beziehung zwischen ihm und ihr von vorn herein verbot, wobei er den Ausdruck „von vorn herein“ in diesem Zusammenhang irgendwie unpassend fand. Er wusste genau, was seine Kumpels zu dieser Situation sagen würden.

„Einfach ficken die Alte, aber nich ohne Jummi, sonst holst de dir wat weg bei die Polenschlampe!“

Wieder bekam Frank Zweifel an dem, was ihm seine älteren Freunde und seine Familie über Polen berichtet und geraten hatten. Sein Weltbild begann ebenso zu wanken, wie er und seine Freunde, wenn sie alkoholisiert aus dem „Oderdampfer“ kamen. Aber war Milena denn eigentlich maßgebend für alle Polinnen? Sie war zugegebenermaßen attraktiv und gebildet, aber das waren manche Negerinnen, Fidschi-Frauen und Kopftuchträgerinnen auch. Trotzdem waren ihre Heimatländer Dreckslöcher und deren Bewohner waren nichts weiter als Abschaum. Er musste aufpassen, dass er sich von Milena nicht täuschen ließ. Sie war in Wirklichkeit auch nichts anderes als eine Polin – allerdings eine verdammt reizvolle.

Es war schon dunkel, als sie das Restaurant verließen und in Milenas Auto stiegen. Sie fuhr ihn wieder zu seinem Hotel und vor dem Eingang hatte er das Gefühl, dass ein Handschlag nicht die richtige Form der Verabschiedung von dieser tollen Frau wäre. Deshalb folgte er seinem Instinkt und beugte sich zu ihr herüber, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. Sie ließ es geschehen und umarmte ihn sogar dabei. Das ermutigte ihn, einen Schritt weiterzugehen und sie auf den Mund zu küssen. Sie sträubte sich nicht, blieb aber passiv.

Als er ausstieg, lächelte sie ihm nach und als er „Tschüss“ sagte, erwiderte sie „Cześć“. Es störte ihn nicht im Geringsten, dass sie polnisch geantwortet hatte. Er fand es sogar irgendwie sexy und geheimnisvoll.

In seinem Hotelzimmer lockte das weiche Bett und er fragte sich, ob er wirklich noch einmal das ganze Prozedere der Schädlingsbekämpfung durchziehen und das Kampieren auf der harten Luftmatratze wiederholen sollte. Auch im nüchternen Zustand fand er weder Schmutz noch Ungeziefer. Hier war alles so sauber, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, dass es in diesem Zimmer und in diesem Bett eine Laus oder anderes Getier aushalten würde. Diese Überlegungen führten ihn zu der Erkenntnis, dass es eine Schnapsidee gewesen war, im Hotelzimmer auf einer Luftmatratze in einem Schlafsack zu nächtigen. Er ließ die noch verbliebene Luft aus der Luftmatratze, rollte den Schlafsack zusammen und beschloss, die kommende Nacht bequem im Bett zu verbringen.

Ein Blick in die Minibar zeigte, dass diese immer noch gut gefüllt war und so genehmigte er sich eine Flasche polnisches Bier, wobei er feststellte, dass es gar nicht so schlecht schmeckte. Wahrscheinlich hatten sie die Rezeptur in Deutschland geklaut, war die für ihn einzige logische Erklärung. Während er den Gerstensaft in kleinen Schlucken konsumierte, dachte er erst über den heutigen Tag und dann über seine gesamte Situation nach.

Er versuchte, das Sachliche vom Emotionalen zu trennen, was ihm jedoch außerordentlich schwer fiel. Sachlich war er fein raus. Milena hatte seinen Fehler auf sich genommen und so trug er formal keine Schuld an dem Problem. Deshalb konnte er auch seinem Chef gegenüber behaupten, alles richtig gemacht zu haben, sodass seiner Karriere im Betrieb nichts mehr im Wege stehen sollte. Auf der anderen Seite gab es Milena, von deren Schönheit und Klugheit er tief beeindruckt war. Sie war nicht irgendeine abstrakte Traumfrau, sondern sie bestand aus Fleisch und Blut. Und was das Beste war, sie mochte ihn, wenn sie nicht sogar auch verliebt in ihn war. Er konnte jetzt förmlich seinen vor siebzehn Jahren verstorbenen Vater hören, wie der in Anbetracht der nahen Grenze zu Polen immer warnend gesagt hatte: „Junge, nimm dich in Acht! Diese minderwertigen Frauen suchen doch nur nach jemandem aus der überlegenen Rasse, der sie heiratet und ihnen ein gutes Leben ermöglicht. Sie versuchen, dich ins Bett zu kriegen, um dich dann auszunutzen.“ Frank bemerkte jetzt erst, dass er damals nie gefragt hatte, woher sein Vater das so genau wusste.

Frank war verwirrt wie noch nie in seinem Leben. Bis vorgestern war alles so einfach gewesen. Da hatte er noch gewusst, was richtig und was falsch war. Er gehörte zur überlegenen deutschen Herrenrasse und hinter den Landesgrenzen lebten niedere Kreaturen. Diese Dienstreise schien ein Höllentrip für ihn zu werden, denn er musste zu den Todfeinden ins Nachbarland. Aber dann war alles ganz anders gekommen. Die Polizisten hatten ihn nicht bestraft, obwohl er ohne Licht gefahren war, das Hotel war überaus sauber und komfortabel und er hatte eine polnische Schönheit kennengelernt, die seinen Standpunkt vollends erschütterte. Polen war kein unterentwickeltes Land und seine Bewohner waren allem Anschein nach keine Untermenschen. Auch ihre Sprache schien nicht so unkultiviert zu sein, wie seine Freunde es immer behaupteten, denn schließlich sprachen die Polen miteinander, ohne Hände und Füße zu Hilfe zu nehmen, und verstanden einander trotzdem.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sein Smartphone wieder den Badenweiler Marsch intonierte. Sein Chef rief an, um zu fragen, wie der Stand der Dinge sei. Frank berichtete, dass die Polen eine falsche Pumpe bestellt hätten, aber er, Frank, eine Lösung für das Problem ausgearbeitet habe. Auf die Frage, wann er zurückkommen würde, antwortete er, dass er lieber noch morgen vor Ort sein würde, um den Einbau der Pumpe zu überwachen. Der Chef war mit der Verlängerung der Dienstreise einverstanden und brachte seine Erleichterung darüber zum Ausdruck, dass die Schuld nicht bei Frank lag und damit auch nicht bei seiner Firma.

Da es noch früh am Abend war, hatte Frank keine Lust, schon schlafen zu gehen und so verließ er das Hotel noch einmal, um einen Stadtbummel zu machen. Noch vor zwei Tagen hätte er nicht im Traum daran gedacht, sich freiwillig unter Polen zu begeben. Jetzt wagte er das Abenteuer und war zuversichtlich es zu überleben.

Als er sich dem Zentrum näherte, war er erstaunt, wie viele Menschen auf der Straße waren. Dagegen war Fritzfurt abends direkt eine Geisterstadt. Er schlussfolgerte messerscharf, dass sich auf deutscher Seite niemand auf die Straße traute, weil alle Angst vor ausländischen, insbesondere polnischen Räubern hatten. Diese Angst war auf der polnischen Seite natürlich absolut unbegründet, denn dass Deutsche über die Grenze kämen, um zu stehlen oder zu morden war ausgeschlossen. Auch vor Flüchtlingen musste hier niemand Angst haben, denn Flüchtlinge nahm dieses Land nicht auf, weil die polnische Regierung in dieser Beziehung schlauer war als die bescheuerten regierenden Gutmenschen in der deutschen Hauptstadt.