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"Geliebte Liebe" basiert auf wahren Begegnungen der letzten Jahre in Europa. In "Rosas Bar" in der Hansestadt Bremen treffen fünf Männer zusammen. Ihre internationale Herkunft ist genauso unterschiedlich, wie die der Frauen, die sie lieben. Lebensgewohnheiten, Reichtum und Armut treffen aufeinander, explodieren in unterschiedlichen Varianten von Hass und Liebe, bis sie trotz ihres gewohnten Gottesglaubens Annäherung und Akzeptanz finden. Die körperliche Anziehungskraft der Liebe ist entscheidend. "Panta rhei", alles bewegt sich, ist die Aussage des Autors. Er deutet sie lebensfroh, witzig und fröhlich.
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Seitenzahl: 177
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Dieses Buch basiert auf wahren Begegnungen.
Die Personen und deren Handlungen sind jedoch frei erfunden.
Komm Geheimnisvoller,
Nur ein Mal.
Aber komme.
Ich will dich lieben,
Nur ein Mal“.
Indien, Krishna
„Das Licht der Hoffnung spiegelt sich
in den Augen der Kinder
und zeigt die Zukunft
unserer und ihrer“.
Deutschland, unbekannter Autor
„Ich hoffe, dass mein Lächeln
in Deinem Leben bleibt.
Auch wenn jetzt der Abschied kommt, wird dein
Leben weitergehen“.
Japan, Seemannslied
Prolog
Deutsche Liebe
Gula
Nara
Ginika
Rosa
Roy
Asiatische Liebe
Dieter
Anusha
Peter
Joy
Europäische Liebe
Jo
Boris
Sveta
Kristina
Tatiana
Tina
Ramkumari
Kindliche Liebe
Jasmin
Jo
Epilog
Roy
Jo
„Was sind sie denn für einer, dass sie die Dame bezahlen lassen?“
Laut und deutlich hing der Satz der Kellnerin im vornehmen Restaurant. Nara hatte ihr wortlos die verlangte Summe gegeben.
Nara lächelte nur. Sie schob ein Bündel Scheine zu Jo über den Tisch. Er wollte das Geld zurück schieben, aber sie legte ihre zarte Hand auf seine und sagte, „es ist dein Geld, du weißt wofür“.
Jo war die Situation peinlich. Die Kellnerin stand neben dem Tisch und beobachtete die Situation aufmerksam, vom Nebentisch kamen interessierte Blicke und eine unangenehme Stille lag im Raum.
Jo stand auf, um die Mäntel zu holen. Er stopfte das Geldbündel in Naras Manteltasche und bemerkte das Grinsen des Oberkellners.
„Die Bedienung war aber frech“, fröhlich klangen die Worte von Nara, „was geht sie unsere Beziehung an“.
Sie zog die Scheine aus ihrer Manteltasche und stopfte sie in die Brusttasche von Jos weißem Hemd.
„Vier Kinder will ich von dir“, dabei drehte sie seinen Kopf zu ihrem Mund. Er spürte ihre vollen Lippen und schmeckte ihr Lipgloss.
Hinter ihnen hupte ein Auto und Scheinwerfer blitzen auf. Er wollte weiterfahren. Sie winkte mit ihrer Hand durch das offene Seitenfenster. Mit der anderen hielt sie seinen Hinterkopf fest und kraulte seinen Hals.
„Zwei Jungen und zwei Mädchen“, ergänzte sie, seine Lippen loslassend, „unsere Kinder werden hübsch, wie alle von negroiden und weißen Menschen“.
Er spürte ihre neckende Zunge und erwiderte ihren Kuss. Sofort öffnete sie die Beifahrertür des Autos.
„Du wirst mich sehr lieben, aber eifersüchtig sein. Ich bin auch sehr eifersüchtig. Wehe, du drehst dich nach einer hübschen Frau um“!
Sie winkte kurz mit ihrer Hand, schlug die Autotür zu, der wartende Fahrer hupte energisch und er fuhr verwirrt zur nächsten Parklücke.
„Du musst schneller fahren“, schrie sie vom Beifahrersitz, „mein Auto ist ein BMW“.
„Dann fahr deine Kutsche doch selber“, schrie er ihr ins Gesicht. Er bemerkte die Jugendlichen am Rande der Straße nicht.
Ein dumpfes, klatschendes und knirschendes Geräusch klang plötzlich an sein Ohr. Dabei dröhnte das Klirren zerbrechenden Glases. Instinktiv bremste er stark. Sein Kopf prallte nach vorne und zurück an die Kopfstütze. Er wollte sich umdrehen, aber sein Kopf schmerzte.
„Fahre weiter“, schrie sie hysterisch. Instinktiv gab er Gas. Widerspruch war zwecklos.
Boris spürte einen stechenden Schmerz im linken Bein. Er rappelte sich auf und dachte überrascht, „ich kann stehen“.
Mühsam versuchte er die Situation zu begreifen. Knapp vor sich erkannte er seine Schwester. Sie lag auf dem grauen Asphalt. Er sah die Blutlache. Boris beugte sich über sie. Ihre Augen waren offen aber leer.
„Gula, alles in Ordnung?“.
Aus ihrer geplatzten Gesichtshaut strömte Blut. Auf dem Asphalt der Straße bildete sich ein großer, roter Fleck, der sich mit dem Blut anderer Verletzter mischte. Mechanisch versuchte Boris, das Blut aus dem Gesicht seiner Schwester zu wischen.
„Es muss doch aufhören“, dachte er hilflos.
Aber das Blut floss weiter. „Wie aus einer Quelle’“ durchzuckte es ihn.
Schlagartig packte ihn die Angst, „Ich muss meiner Schwester helfen“.
Irgendwo hörte er das Quietschen von Pneus und ein sich entfernendes Auto. Es interessierte ihn nicht. Vorsichtig nahm er den Kopf seiner Schwester auf die Arme. Ihr Kopf mit den blutdurchtränkten Haaren hing schlaff herunter.
„Ich muss ihn abstützen“.
Behutsam schob er seinen rechten Arm unter ihren Kopf. Erschreckt bemerkte er, dass ihre Arme und Beine, merkwürdig verkrümmt in der Luft baumelten.
„Sie kann doch nicht tot sein“. Boris schrie plötzlich: einen Schrei der Verzweiflung.
Jemand berührte ihn an der Schulter. Er fuhr herum. Eine alte Frau stand neben ihm. „Kommen sie, schnell“.
Sie drängte ihn zu ihrem alten Moskwitsch und half ihm, seine Schwester auf die Rückbank ihres Autos zu legen.
Er hörte das wilde Hupen der alten Frau, als sie zum nächsten Krankenhaus raste.
Gula
Eine gut gekleidete Dame stand am Bett von Gula. Sie sah, dass die Frau ihren teuren Pelzmantel trotz der Wärme im „Aykor Medical Center in Biskek“ nur öffnete. Ihre DiorTasche stellte sie auf den Rand des kleinen hölzernen Tisches, auf dem die Habseligkeiten von Gula lagen.
„Ich biete ihnen viel Geld, wenn sie meinen Sohn nicht anzeigen“,
Gula sah ihren Zobelmantel, ihr perfekt geschminktes Gesicht und roch ihr angenehmes Parfüm. Sie antwortete nicht, dachte an ihre Schwester.
„Ihr Sohn hat meine junge Schwester verkrüppelt“, sagte sie leise, sofort bereuend, dieser Frau geantwortet zu haben.
„Ich weiß, aber er bereut es und bittet um ihre Vergebung“.
„Vielleicht wäre meine Schwester gesund, wenn er nicht weggefahren wäre“.
Gula wollte ihren Kopf von dieser Person abwenden. Sie konnte es nicht, sie war im Bett fixiert. Sie schloss ihre Augen.
In Deutschland erklärte sie Jo, warum der schwere Unfall ihrer Schwester nicht juristisch geahndet wurde. Gula hatte in Biskek drei Jahre Jura studiert. „Unser Rechtssystem ist noch immer wie in den russischen Zeiten“.
„Gibt es keinen Kläger, wird kein Gericht tätig“.
„Mittelalter für euch Deutschen“, ergänzte sie leise. „wir leben damit. Die Frau hat meine Freundin im selben Krankenhaus besucht, ihr Geld angeboten und Nara hat genickt“.
„Sie hat das bestritten. Aber es gab keinen Gerichtstermin, die Frau war reich und konnte jeden Staatsdiener bezahlen“.
Nach einer langen Pause ergänzte sie, „ihr Westler seid dumm, versteht andere Kulturen nicht, Europäer sind wie Amerikaner, ihr lebt im Luxus ohne Bildung“.
„Wer Geld hat, kauft Liebe wie Obst.“.
„In meiner Heimat wächst Obst im Garten. Liebe wird durch die Entführung der begehrten Frau erreicht. Danach sind die Eltern Freunde“.
Gula strich ihre langen schwarzen Haare aus ihrem Gesicht. Ihre dunklen Augen sahen Jo lange an.
„Komme mit“, bat sie und stand auf. Sie zeigte ihm ein Taubennest auf ihrem Balkon. Jo sah ein Vogelei.
„Sieh es dir an, bitte“, sagte sie, „aus diesem Ei wäre ein Lebewesen geboren. Ich bin nach Deutschland zurückgekommen und lebe in meiner Wohnung. Dieser Vogel wird seine Geburt nicht erleben. Die Taube brütet es nicht mehr, weil sie Angst vor mir hat“.
Sie schwieg und umarmte Jo. Er spürte ihren Körper. Plötzlich spürte er ihre Tränen an seinem Hals. Sie weinte lautlos.
„Das ist das Leben“, sie trat einen Schritt zurück, „Geburt und Tod sind Zufall“.
Sie nahm die Hand von Jo und zog ihn in ihr Wohnzimmer.
„Hast du vergessen, dass ich mit dir Sex habe?“, dabei schenkte sie grünen Tee in seine Tasse.
„Jo, ich habe nie einen Kunden gehabt, der ohne Orgasmus ging“.
Sie setzte sich auf ihre Couch, die sie mit einer weißen IKEA Decke verhüllt hatte. Mit Jos Sohn kaufte sie zwei weiße Gardinen, als Jo seine alte beschmutzte Couch verkaufen wollte. Die Gardinen legte sie sorgfältig über das Sofa.
„Du musst nichts wegwerfen, sondern erhalten“, sagte sie.
„Denke nach, eine weiße Gardine kostet bei Ikea dreißig Euro, eine neue Bettcouch fast dreihundert“.
Sie lächelte schelmisch: „Du musst sparen, um mich zu haben, ich muss Geld verdienen, um dich zu haben“.
„Verstehst du?“.
Jo begriff, sie hatte vor einiger Zeit gesagt, „mit und ohne Betreuer ist es schwer, mein Leben zu gestalten“.
Jo erinnerte sich an seine Jugend und sein Alter. Den Begriff „Betreuer“ gab es früher nicht. Sie hießen Lude oder Freund.
Fairness out, Profit in! Patrizia und Anusha, seine älteren Freundinnen, erzählten von ihrem täglichen Kampf. Beide erreichten bald die sechziger Jahre ihres Lebens.
„Ich liebe dich, du bist mein Traumprinz, aber ich will leben“, sagten sie offen.
Gula und Jo saßen unter einen Baum, der rote Blüten trug. Ihre Schultern berührten sich. Gulas Krücken lagen neben ihr, sie redete stockend: „ich muss nur zwei Monate durchhalten“.
„Dann zahle ich dir alles zurück“.
„Vielleicht sterbe ich vorher“.
Sie schwieg einen Moment.
„Mein ältester Bruder erschien mir früher oft im Traum und gab mir Ratschläge“.
„Seitdem ich diese Arbeit verrichte, erscheint er nicht mehr in meinen Träumen“.
„Er starb im Krieg, wie mein Onkel und viele Familienmitglieder“.
„Mein Bruder missbilligt mein Leben“.
„Möchtest du etwas trinken?“, fragte Jo. Es war warm in diesem April in Amsterdam.
„Nein, bitte höre mir zu“, bat sie leise, legte ihren Kopf auf seine Schulter und streichelte seine Hand.
„Du bist anders, willst Liebe, aber ich brauche Geld, keine Gefühle“.
„Am Anfang hatte ich Angst, dass du dich bei Patrizia beschwerst“, sie lächelte verträumt, „aber du hast mit mir geschmust“.
„Ich mag dich sehr, du bist mein Lieblingskunde“.
„Verstehst du das?“, sie hob ihren Kopf von seiner Schulter und versuchte in seine Augen zu sehen. Doch Jo wendete seinen Kopf ab, sah hinauf zu den roten großen Blüten des Baumes unter dem sie lagen.
Wirre Gedanken schwirrten in seinem Kopf:
„Rot ist die Farbe der Liebe“.
„Dieser Baum wird seine Blüten verlieren und seine Samen verteilen“.
„Davon lebt die Natur“.
„Ohne Samen gibt es keine Fortpflanzung, ohne diesen Drang der Flora und Fauna, nein, jeglichen Lebens, hört dieses auf zu existieren“.
Plötzlich vielen Jo die roten Blüten im Bremer Rhododendron Park ein. Gula und er fotografierten sich gegenseitig. Er hatte das Bedürfnis, sie zu küssen.
„Ich möchte dir einen Kuss geben“.
„Warum?“, antwortete sie.
„Weil du mit mir in diesem Park bist, alles blüht und ich bin glücklich“, antwortete er.
Sie sah ihn an und antwortete, „komm, wir setzen uns an den kleinen Tümpel“. Sie überstiegen eine Absperrung und setzten sich auf das grüne Gras. Gula saß einen Meter neben Jo.
Sie blickten auf das Wasser. Eine Ente mit ihren sieben Küken fraß von den Algen. Plötzlich schoss ein Erpel heran. Er vertrieb die Ente und ihre Kinder mit unwilligem Quaken und heftigem Flügelschlag. Er wollte an diesem Ort essen.
„So sind die Männer“, hörte Jo Gula sagen, „erst zeugen sie Kinder und dann vertreiben sie die Frau aus ihrem Leben“.
Jo wollte heftig antworten. Aber Gula rutschte an seine Seite und legte ihre linke Hand auf seinen Mund.
„Ich weiß, du willst antworten, wie alle liebenden Männer“.
Jo hörte ein kurzes Lachen.
„Aber sieh, die Ente und ihre Küken essen an einer anderen Stelle des Tümpels weiter“.
„Ist das nicht viel besser für die Kinder?“.
Jo verlor den Wunsch, Gula zu küssen.
„Danke“, sagte er leise und umarmte ihre Schultern, „meine vier Kinder wollen nur noch oberflächlichen Kontakt mit mir. Ich war wie der Erpel“.
„Ich kenne dich seit fast zwei Jahren“, antwortete sie. Jo spürte ihre Zuneigung, als sie ihn zart küsste.
„Auch deshalb hast du mit einer anderen Frau zwei neue Kinder gezeugt. Du bist ein liebevo ler Mann und Vater“.
Aber seine Erinnerungen plagten ihn. Seine Erstgeborene fragte ihn auf der Fahrt zur Schule, „liebst du unsere Nachbarin mehr als Mama?“.
Sie hatte mit siebzehn Jahren erlebt, wie ihr Vater ihren ersten Freund aus ihrem Zimmer warf, vom Rücksitz seines Autos beobachtet, wie die Nachbarn ihn umarmte und küsste, und erlebt, wie kläglich er als Elternsprecher in ihrer Klasse war.
„Warum kannst du nicht ehrlich sein?“, fragte sie.
„Ich bin ein ehrlicher Mensch“, behauptete er.
Seine Tochter erlebte das Gegenteil und Schlimmeres. Ihr Vater verließ seine Familie.
Auf dem Rembrandtplatz in Amsterdam sah Jo eine junge Amsel, die versuchte aus einer weggeworfenen Burgertüte Reste zu angeln. Dabei bewegte sich die Tüte. Die Amsel sprang erschrocken zurück und umkreiste die Tüte vorsichtig.
Eine größere Amsel schwebte zu ihr. Sie hackte auf die Tüte, die sofort von links nach rechts hüpfte. Die ältere Amsel ließ sich nicht stören, legte gekonnt die Essenreste frei und entfernte sich erst, als die junge Amsel den Mut fand, etwas zu essen.
„War es ihre Mutter oder ihr Vater“, dachte Jo, wissend, es musste die Mutter sein.
Jo antwortete endlich Gula. Er spürte ihren Kopf wieder auf seiner Schulter.
„Ich will dein Geld nicht“, sagte er.
Gula schwieg. Jo hörte ihre tiefen Atemzüge, die er so liebte, wenn sie schlief. Er wollte sie küssen, ihre Lippen spüren, eins werden mit ihr. Er wollte ihr spontan seine Liebe zeigen.
Sie öffnete ihren Mund und Jo hörte ihre säuselnden Schlafgeräusche. Sie behauptete zu schnarchen.
Früher hätte Jo sie gerüttelt, fast geschlagen, er erwartete Zuneigung, wenn er sie wollte.
„Jedes Lebenswesen will sich fortpflanzen“, dachte er, seinen früheren Gedankengang wieder aufgreifend.
„Jeder Samen des Menschen ist wertvoll“, hatte sein Pfarrer im Beichtstuhl gesagt, „er ist ein Geschenk an die Menschen“.
Jo mied sofort das Weitspritzen mit Freunden auf dem Deich. Seine „Gulle“ sei zu wertvoll, sagte er seinen Altersgenossen. Sie lachten ihn aus. Jo spritzte mit. Seinen Sieg genoss er nicht. Er fühlte sich als Verräter.
„Na klar, der katholische Messdiener hat gewonnen“, lachten seine Kumpels, „jetzt kommt aber die zweite Runde“.
Jo schaffte erst eine zweite Runde mit seiner ersten Liebe, der Frau eines Freundes in seinem Bett.
Jo beobachtete die vielen jungen Menschen auf dem kleinen Platz, der den Namen eines berühmten holländischen Malers trug. In der Mitte stand seine Statue.
„Nein, das ist seine Mutter“, behauptete Gula überzeugt, dass Jo ihr die Unwahrheit sagte, als er behauptete, die Statue sei Rembrandt. „Schau genau hin, die Person trägt weibliche Kleidung, einen Rock und spitze Schuhe“.
Mehrere Magnolienbäume standen auf dem Platz. Unter einem saßen Gula und Jo auf dem Boden.
Gula schlief vor Erschöpfung. Der Fußweg vom Bahnhof zu diesem Platz mit Krücken dauerte lange, obwohl Jo sie stützte.
Jo sah viele dunkelhäutige Frauen auf dem Rembartplatz. Sie waren jung und schön.
Er erwachte. Eine hübsche negroide Frau verharrte vor ihm. Sie lächelte verschmitzt, zwinkerte mit einem Auge und zeigte auf Gula. Jo lächelte zurück.
„Hi there, goede dag“, sagte er leise, um Gula nicht zu wecken. Er winkte mit seiner freien Hand. Die negroide Frau sah es nicht, sie setzte ihren Weg fort.
Jo hatte Durst und Hunger. Er sah andere Paare trinken und essen. Seine Partnerin schlief auf seiner Schulter.
„Sie hat ihren Abschied mitgeteilt“, dachte er, „will mich verlassen, weil sie ein besseres Leben ohne mich erträumt“.
Er versuchte, seinen Arm von ihr zu lösen. Konnte es nicht, sie wurde unruhig und atmete schwer.
„Verfluchte Scheiße“, durchfuhr ihn seine Lebenserfahrung, „alle Frauen wollen mehr, als ich geben kann“.
Jo wurde traurig. Er dachte an seine vier ältesten Kinder und seine sechs Enkel, die er seit Jahren nicht sehen durfte.
„Wir haben keinen Kontakt mehr mit dir“, sagten sie, wenn er sich beschwerte. Er akzeptierte das. Irgendeinen Fehler hatte er bei ihnen begangen. Welchen wusste er nicht, konnte ihn nur erahnen.
„Ist gut so“, überlegte er unter dem Baum mit roten Blüten in Amsterdam, Gulas schlafenden Körper spürend, „ ich bin ein alter Vater und sie haben ihr Leben gefunden“.
Er wusste, dass er sich belog. Seine älteste Tochter sandte ihm nicht sein gewünschtes Bild von seinen Enkeln. Er begriff, dass er für seine geliebte Erstgeborene ein toter Mann war. Er war der absolute Schädling in ihren Augen und sollte ihre vier Kinder nicht durch Besuche belasten.
Eine Straßenbahn fuhr vorbei. Ihre Räder quietschten laut in der Kurve. Gula erwachte und hob ihren Kopf von seiner Schulter.
„Entschuldige bitte, ich bin erschöpft“, sagte sie leise und rückte von ihm ab. Jo spürte ihren geliebten Körper nicht mehr.
„Schon in Ordnung“, antwortete er aggressiv. Gula nahm sofort seine Hand.
„Ich habe von uns geträumt“, sagte sie, „du warst mein Traumprinz. Wir lebten in einem Haus, wie es in Bremen im Bürgerpark steht. Eine große Wiese mit Feldblumen lag vor uns, als ich dir dein Frühstück servierte. Die warme Sonne hinter uns erzeugte in den grünen Bäume hinter der Wiese phantasievolle Schattenspiele“.
Sie schwieg, erwartete eine Reaktion von Jo. Als keine kam, redete sie weiter.
„Jo, du warst der erste Mann in Europa, dem ich vertrauen konnte. Du hast mir bei der Wohnungssuche und beim Finanzamt geholfen, sogar meine Fehler beim Ausländeramt revidiert“.
Jo stand auf, „ich gehe eine Zigarette rauchen“.
„Bitte noch einen Moment“, erwiderte sie, seine Hand festhaltend, „dir verdanke ich, dass ich in Bremen studieren kann! Verstehst du?“
Jo begriff ihren Abschiedswunsch. Er riss seine Hand aus ihrer.
Vor der Rembrandtstatue blieb er stehen.
„Alles Scheiße“, dachte er oder sagte es sogar laut, „meine Liebe ist von meinem Geld abhängig und erlischt deshalb schnell“.
Unbewusst lief er um die Statue in Amsterdam, kleine und große Kreise schlagend, oft zu seiner Liebsten sehend, die er als vergangen einstufen musste.
„Immer dieselbe Scheiße“, schrie er laut. Seine drei Ehen und viele Lieben erwachten in seiner Erinnerung.
„Vierzig Jahre Ehe mit drei Frauen und sechs Kindern von ihnen sind die einzigen vorzuweisenden Leistungen in meinem Leben“.
Jo litt, schlenderte, obwohl er rennen wollte, nuschelte Wortfetzen und wusste nicht, was er wollte.
Gula fing ihn ein. Sie kannte ihn.
„Jo, wir müssen Freunde bleiben“, sagte sie, ihn in die Arme nehmend.
„Nein“, schrie er laut und aggressiv, „vade retro“.
„Panta rhei“, entgegnete sie leise.
Im Flughafen Schierpool konnte Jo einen auf der Anreise von Bremen geäußerten Wunsch von Gula erfüllen. Er besaß ein KLM Ticket für sie. Die Bodenstewardess fuhr Gula mit einem Elektromobil zum Flugsteig.
Jo sah ihre glücklichen Augen. Er hielt ihre Krücken auf dem Rücksitz, wissend, dass sie zwei Monate in Herford arbeiten musste, um in Bremen studieren zu können.
Pünktlich erhielt er sein Geld zurück. Sogar die Kosten der Reise nach Amsterdam überwies sie ihm.
Jo erkannte, dass Gula ihn verließ. Er war nicht gewohnt, eine Trennung zu akzeptieren. Er verließ Frauen, nicht sie ihn.
„Was ist los mit ihr“, fragte er Nara, „ihr seid Freundinnen, habt ihr Krach oder Frauengezäng?“
„Sie ist nicht mehr meine Freundin“, antwortete Nara, „sie hat mich verraten, sich versteckt, als die Sitte kam. Ich werde mit meinen Möbeln aus unserer Wohnung ausziehen“.
„Soll sie selber sehen, wie sie in einer leeren Wohnung ohne Geld leben kann“, fügte sie wütend hinzu.
„Wenn du ausziehst, musst du mir die Kaution zurückzahlen“, forderte Jo.
Nara lachte. Ihre Lachfältchen dehnten sich und ihre Augen versprühten Heiterkeit.
„Du bist ein Engel, mein Jo, aber kein böser“. Sie sagte es ernst und umarmte ihn.
„Hast du am Donnerstag Zeit“, fragte sie ihn auf seiner ehemals weißen Couch, deren Flecke mit den weißen Gardinen von Ikea bedeckt waren, „ich will zum Amt. Es ist besser, wenn ein Mann wie du dabei bist“.
Jo nickte. Entspannt und zufrieden lag er in den hellbraunen Armen von Nara.
„Ich benötige einen Gewerbeschein als Masseurin“, forderte Nara. Die ältere Beamtin lächelte freundlich, „kommen sie in mein Zimmer“.
„Sie können im Aufenthaltsraum warten oder draußen rauchen“, die Beamtin sah Jo streng an, fast böse empfand er, und er ging in den Innenhof des Gewerbeamtes.
Jo hatte mit seinem Freund, einem Steueranwalt gesprochen, da Gula und Nara von der Polizei in einem Appartement angetroffen wurden, das in lokalen Medien Dienste für Männer anbot. Das informierte Finanzamt reagierte schnell und drastisch, beide sollten fast zwanzig Tausend Euro zahlen.
„Zwei Möglichkeiten gibt es“, sagte der Steueranwalt, „entweder anfechten, ein Gewerbe anmelden und glaubhaft weniger Einnahmen und hohe Kosten nachweisen, oder eine Klage androhen. Im ersten Fall belästigt sie das Finanzamt mehrere Jahre und überprüft intensiv die Angaben. Bei der zweiten Lösung wird auf Irrtum der Polizeibeamten geklagt. Im Erfolgsfall hat die Beschuldigte ihre Ruhe vor staatlichen Instanzen, solange sie nicht wieder tätig und erwischt wird“.
„Ach ja“, ergänzte der arrogant wirkende Freund von Jo, „sie können auch zahlen, aber dann müssen sie jedes Jahr zahlen“.
Er lächelte blöd. Jo entschloss sich, ihn nicht mehr als Freund zu bezeichnen.
„Dann spare ich mir die Geburtstagsgeschenke für seine Kinder“, dachte er, „und die langweiligen Besuche in seinem Haus in Verden“.
„Du weißt, ich bin Anwalt und rechne nach einer festgelegten Gebührenordnung ab“, ergänzte sein ehemaliger Freund, „im ersten Fall rechne ich zum letzten Mal pauschal ab. Im möglichen Klagefall zahlst du den korrekten Aufwandsbetrag. Das sind je nach Ergebnis mit dem Finanzamt bis zu dreitausend Euro“.
Jo wollte impulsiv antworten, aber Markus ergänzte, „ich bekomme mein drittes Kind, mein Haus muss bezahlt werden und meine Familie fordert ihren gewohnten Lebensstandard“.
„Das geht allen Menschen so“, wollte Jo antworten, „wir waren Freunde, haben uns geholfen, es gab eine Gemeinschaft, auf die wir uns verlassen konnten …“.
Jo schwieg, es gab keinen Sinn weiter zu reden. Er erinnerte sich an die legendären Fahrten der Freunde nach Sandstedt, zu denen Markus gehörte. Sie riskierten viel, als sie die Motorräder der Babybiker in das kleine Hafenbecken warfen.
„Bietest du mir keinen Kaffee an“, fragte er.
„Na klar“, fröhlich drückte Markus eine Taste seines Telefons.
Seine dicke persönliche Angestellte, die ihre fetten Hängebrüste gerne zeigte, wenn sie Getränke eingoss, servierte den Kaffee auf ihre Art.
„Alles ist gut“, sagte Jo beim Aufstehen, um das Büro zu verlassen. Er sah die erstaunten Augen und das Lächeln, das er seiner Ange stellten zuwarf. Deren fleischige Brüste waren ihm wichtiger.
Jo sprach mit Nara und Gula über sein Gespräch. Beide entschieden sich, wie sie konnten.