Geschichte des Irak - Henner Fürtig - E-Book

Geschichte des Irak E-Book

Henner Fürtig

0,0
9,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Irak liegt in einer der ältesten Kulturlandschaften der Menschheit; seine Hauptstadt Bagdad war im Mittelalter das glanzvolle Zentrum der islamischen Welt. Heute scheint der Reichtum des Landes nur noch in seinen immensen Erdölreserven zu bestehen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Begehrlichkeiten unterschiedlicher Mächte wecken. Henner Fürtig bietet in diesem Buch einen allgemeinverständlichen Überblick über die Geschichte des modernen Irak, der 1920 nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches auf Beschluss des Völkerbundes als britisches Mandatsgebiet gegründet wurde. Er beschreibt, wie das Land mit verschiedenen Ideologien und Staatsformen wie der Monarchie und der Republik experimentierte, bis schließlich 1979 Saddam Hussein seine Diktatur aufbaute und das Land danach in zwei verheerende Kriege gegen Nachbarstaaten lenkte. Den dritten, ab 2003 gegen ihn geführten Krieg einer von den USA geführten Koalition überlebte weder er noch sein Regime. Doch alle danach einsetzenden Befriedungsversuche blieben unvollendet. Nicht zuletzt aufgrund der großen ethnischen Vielfalt (Araber, Kurden, Assyrer, Turkmenen) und der religiösen Heterogenität (Sunniten, Schiiten, Christen) kam das Land nicht zur Ruhe und ist mittlerweile in seiner Existenz gefährdet. – Ein unentbehrliches Buch für alle, die die Hintergründe der aktuellen Entwicklungen im und um den Irak besser verstehen wollen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2016

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Henner Fürtig

Geschichte des Irak

Von der Gründung 1921 bis heute

C.H.Beck

Zum Buch

Der Irak liegt in einer der ältesten Kulturlandschaften der Menschheit; seine Hauptstadt Bagdad war im Mittelalter das glanzvolle Zentrum der islamischen Welt. Heute scheint der Reichtum des Landes nur noch in seinen immensen Erdölreserven zu bestehen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Begehrlichkeiten unterschiedlicher Mächte wecken. Henner Fürtig bietet in diesem Buch einen allgemeinverständlichen Überblick über die Geschichte des modernen Irak, der 1920 nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches auf Beschluss des Völkerbundes als britisches Mandatsgebiet gegründet wurde. Er beschreibt, wie das Land mit verschiedenen Ideologien und Staatsformen wie der Monarchie und der Republik experimentierte, bis schließlich 1979 Saddam Hussein seine Diktatur aufbaute und das Land danach in zwei verheerende Kriege gegen Nachbarstaaten lenkte. Den dritten, ab 2003 gegen ihn geführten Krieg einer von den USA geführten Koalition überlebte weder er noch sein Regime. Doch alle danach einsetzenden Befriedungsversuche blieben unvollendet. Nicht zuletzt aufgrund der großen ethnischen Vielfalt (Araber, Kurden, Assyrer, Turkmenen) und der religiösen Heterogenität (Sunniten, Schiiten, Christen) kam das Land nicht zur Ruhe und ist mittlerweile in seiner Existenz gefährdet. – Ein unentbehrliches Buch für alle, die die Hintergründe der aktuellen Entwicklungen im und um den Irak besser verstehen wollen.

Zum Autor

Henner Fürtig, geb. 1953, gehört international zu den besten Kennern des Irak. Er ist Professor am Historischen Seminar der Universität Hamburg und Direktor des GIGA Institut für Nahost-Studien in Hamburg. Zahlreiche Veröffentlichungen zur neuesten Geschichte und Politik des Vorderen Orients.

Inhalt

Vorwort

Einführung: Historische Fundamente des modernen Irak

1. Die altorientalischen Reiche

2. Die arabisch-islamische Blütezeit

3. Die osmanische Herrschaft

I. Vom Königreich zur Republik – (1920–1958)

1. Die Gründung des modernen Irak

2. Unabhängigkeit auf dem Papier

3. Im Zweiten Weltkrieg

4. Ein «Bauer» im Ost-West-Schach

5. Der Thron wird zerstört

II. Von der Republik zur Diktatur – (1958–1979)

1. Das republikanische Experiment

2. Fehlversuch der Baʿthpartei

3. Die fragile Republik

4. Die Baʿthpartei kommt zurück

5. Ein Flirt mit dem «Großen Bruder»

III. Von der Diktatur zum Neubeginn – (1979–2003)

1. Saddam Hussein nimmt sich die Macht

2. Der irakisch-iranische Krieg (Erster Golfkrieg)

3. Die Annexion Kuwaits (Zweiter Golfkrieg)

4. Mitgefangen, mitgehangen?

5. Sezierung einer Diktatur

IV. Das neue Jahrhundert: Die staatliche Existenz steht auf dem Spiel

1. Der Irak im Visier des Anti-Terror-Kriegs der USA

2. Die staatliche Rekonstruktion nach der Stunde Null

3. Der ISIS wirft den Fehdehandschuh

Zeittafel

Abkürzungen

Anmerkungen

Literaturhinweise

1. Allgemeine und Überblicksdarstellungen

2. Literatur zu Kapitel I

3. Literatur zu Kapitel II

4. Literatur zu Kapitel III

5. Literatur zu Kapitel IV

Personenregister

Vorwort

Der Irak, das Land zwischen den Strömen Euphrat und Tigris, war im 20. Jahrhundert für viele Jahrzehnte zumeist Zaungast der Geschichte. In der Regel wussten nur Spezialisten mit den verwirrenden Namen und Geschehnissen in diesem Land etwas anzufangen. Die einzigen größeren Gruppen, die sich dem Irak mit dauerhaftem Interesse zuwandten, waren Polit- und Militärstrategen des Kalten Krieges und Geschäftsleute. Selbst als Saddam Hussein kurz nach seiner Machtübernahme 1979 einen achtjährigen blutigen Krieg gegen das Nachbarland Iran begann, schaute die Welt meist weg. Erst als sich der irakische Diktator 1990 anschickte, mit seiner Annexion Kuwaits die politische Landkarte und die ökonomischen Besitzverhältnisse in der für die Weltwirtschaft lebenswichtigen Golfregion zu verändern, geriet er und mit ihm der Irak in die Schlagzeilen der internationalen Medien. 1990/91 sorgten die USA für die umfangreichste logistische Operation seit dem Koreakrieg, stellten sich an die Spitze einer nie zuvor dagewesenen Staatenkoalition und propagierten den Beginn einer «Neuen Weltordnung». Damit erhielt der Zweite Golfkrieg, die internationale Befreiungsaktion Kuwaits, eine wichtige Symbolfunktion: Er manifestierte – historisch eher zufällig – den endgültigen Ausbruch aus dem Prokrustesbett des bipolaren Weltsystems und das Ende des Ost-West-Konflikts.

Kaum waren die letzten Schüsse der Operation «Wüstensturm» verhallt und der Emir von Kuwait erneut auf den Thron gehievt, ließ auch das Interesse am Irak wieder abrupt nach. Darstellungen und Analysen der Diktatur Saddam Husseins und des Leidens des irakischen Volkes durch das internationale Sanktionsregime fanden sich in der Fachliteratur und einschlägigen Bulletins, kaum aber in den Massenmedien – und wenn doch, dann zum spätesten Sendetermin beziehungsweise auf den hinteren Seiten. Zehn Jahre dieser «Funkstille» wurden nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gegen das World Trade Center und das Pentagon jäh unterbrochen. Teile der US-Administration verdächtigten den Irak, in die Anschläge verwickelt zu sein. Obwohl eine überzeugende Beweisführung ausblieb, nahm Präsident George W. Bush den Irak am 29. Januar 2002 in sein Konstrukt einer «Achse des Bösen» auf und erklärte das Land damit zum legitimen Ziel im Krieg gegen den Terror. Danach wurde die Forderung nach einem «Regimewechsel» in Bagdad ein Mantra seiner Reden.

Nur mühsam konnte Bush im Sommer 2002 überzeugt werden, die Lösung der Krise zunächst im Rahmen der UNO zu suchen. Er machte in seiner Rede vor der Vollversammlung am 12. September aber klar, dass er amerikanische Interessen gegenüber dem Irak notfalls auch ohne UNO-Mandat durchsetzen würde. Damit drohte er einen gefährlichen Präzedenzfall an, weil sich so ausgerechnet eine Supermacht über grundlegendes kodifiziertes Völkerrecht hinwegsetzen und Nachahmer einladen würde. Die Einstimmigkeit, mit der der UNO-Sicherheitsrat seine Resolution Nr. 1441 am 8. November 2002 annahm, täuschte über den grundlegenden internationalen Dissens hinweg. Die Resolution forderte Saddam Hussein im Kern auf, frühere Verpflichtungen gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft umgehend zu erfüllen, insbesondere sein Programm von Massenvernichtungswaffen offenzulegen und diese Waffen unter internationaler Kontrolle zu vernichten. Obwohl die Waffeninspekteure unter Führung von Hans Blix und Mohammad el-Baradei am 27. November mit ihren Kontrollen im Irak begannen, konnten ihre Zwischenberichte bis Anfang März 2003 die vorgefassten Meinungen im Sicherheitsrat nicht ändern.

Die USA und Großbritannien zeigten sich außerstande, ihr substantielles Misstrauen gegenüber Saddam Hussein abzulegen, und bewerteten seine Kooperation mit der UNO und ihren Waffeninspekteuren als «Spiel auf Zeit» und nicht als strategische Kehrtwende. Die Abrüstung Iraks und – kaum verhüllt – der Sturz Saddam Husseins müssten daher mit militärischen Mitteln erzwungen werden. Vor allem für Washington galt ein Feldzug gegen den Irak durchaus als logische Fortsetzung des gegen das Taliban-Regime in Afghanistan begonnenen Krieges gegen den Terror. Zu diesem Zweck stationierten die USA bis Anfang März 2003 ein gewaltiges Militärarsenal und knapp 250.000 Soldaten an den Grenzen des Irak, wobei sie von 45.000 britischen Soldaten unterstützt wurden. Nachdem Saddam Hussein ein Ultimatum von US-Präsident George W. Bush vom 18. März, den Irak binnen 48 Stunden zu verlassen, hatte verstreichen lassen, fielen am 20. März die ersten Marschflugkörper auf Bagdad, um den Regimewechsel zu erzwingen. Der Dritte Golfkrieg hatte begonnen.

Das überlegene Kräfteverhältnis der von den USA geführten «Koalition der Willigen» gegenüber den irakischen Gegnern führte rasch zu Ergebnissen. Saddam Hussein wurde gestürzt und das Baʿthregime hinweggefegt. Die eigentliche Überraschung für die Weltöffentlichkeit ergab sich erst aus den Versuchen der USA und ihrer Verbündeten, den Irak unter neuen Vorzeichen wiederaufzubauen. Der schnelle militärische Sieg über Saddam Hussein hatte die US-Regierung in ihrem – durch positive Erfahrungen bei ähnlichen Fällen in Grenada und Panama untermauerten – Plan bestärkt, die Macht unverzüglich an namhafte irakische Exilpolitiker zu übertragen. Die tief gespaltene, weitgehend entwurzelte Exilopposition zeigte sich aber außerstande, den Plan umzusetzen: Chaos und Anarchie griffen um sich, die USA liefen Gefahr, den militärischen Sieg umgehend auf politischem Terrain zu verspielen. In Gestalt der «Coalition Provisional Authority» (CPA) übernahmen sie die Direktherrschaft über den Irak. Jetzt zeigte sich auf eklatante Weise das Fehlen eines fundierten Wiederaufbauplans; die Vorkehrungen waren faktisch nicht über das beschriebene Szenario einer Machtübergabe an pro-amerikanische Exilpolitiker hinausgegangen. In ihrer Not besann sich die CPA auf das Instrumentarium der Briten, der faktischen Herren im Irak zwischen 1920 und 1958, womit sie – wenn auch unfreiwillig – die irakische Wahrnehmung einer erneuten Fremdherrschaft verstärkte.

Die mit Abstand folgenschwerste Parallele zum britischen Vorgehen manifestierte sich in dem Versuch, die Teile-und-herrsche-Politik entlang ethnischer und konfessioneller Trennlinien wiederzubeleben. Als seien Jahrzehnte folgenlos vergangen, besetzte die CPA fortan alle irakischen Regierungs- und Verwaltungsstellen nach einem strikten ethnisch-konfessionellen Proporz. Der unmittelbar intendierte Zweck, das gegeneinander Ausspielen der ethnischen und konfessionellen Gruppen für die eigene Machtsicherung zu nutzen, funktionierte – im Gegensatz zur britischen Mandatszeit – nicht einmal in Ansätzen. Die von den Briten favorisierten arabischen Sunniten (etwa 20 %) hatten das gerade gestürzte Baʿthregime getragen; die arabischen Schiiten waren ob ihrer numerischen Überlegenheit (ca. 60 %) nicht auf US-Unterstützung angewiesen; die Kurden (um 20 %) zeigten sich zwar überwiegend loyal, mit ihnen allein war aber kein irakischer Nationalstaat wiederzubeleben.

Die politische Landschaft des Irak entwickelte sich nun zu einem ethnisch und konfessionell geprägten Flickenteppich, auf dem Konflikte zunehmend gewaltsam ausgetragen wurden und das Gemeinsame, das Nationale, weitgehend in den Hintergrund rückte. Auch nachdem mit dem Rückzug der US-Truppen aus dem Irak 2011 die Souveränität real wiederhergestellt war, blieb das Land tief gespalten und der Wirkungskreis der Zentralmacht beschränkt. 2014 bedeuteten schließlich die Gebietsgewinne des terroristischen «Islamischen Staats im Irak und in Syrien» (ISIS) im Nordirak eine neue Eskalationsstufe im Konflikt in und um den Irak. Das in seiner Existenz bedrohte Land wurde zum Dauerthema in den Weltmedien.

Hier schließt sich der Kreis zu den einleitenden Sätzen: Während der Irak aus dem dunklen Bühnenhintergrund ins grelle Rampenlicht der Weltpolitik katapultiert wurde, blieben verlässliche Informationen über das Land weiterhin Mangelware.

Das Buch wendet sich deshalb bewusst an die große Zahl interessierter, aber auch besorgter und betroffener Menschen, die über die Tagesaktualität hinaus nach Informationen über das Land «im Auge des Taifuns» suchen. Die «Geschichte des Irak» ist kein akademisches Fachbuch oder nüchternes Nachschlagewerk, das Vollständigkeit zum wichtigsten Qualitätsmerkmal erhebt, sondern ein – wissenschaftlich fundierter – Abriss der Geschichte des modernen Irak, der anhand der wichtigsten historischen Protagonisten und der prägenden historischen Zäsuren heutige Ereignisse und Zusammenhänge verständlicher machen will. Diesem Anliegen fielen längere Exkurse zur Vorgeschichte sowie zur Außen- oder Wirtschaftspolitik ebenso zum Opfer wie ausführliche Biographien der handelnden Akteure oder in die Tiefe gehende Ideologiestudien. Der rote Faden des Buches wird dagegen von einer Frage bestimmt: Was hat den Irak zu dem gemacht, was es heute ist?

Hamburg, im November 2015Henner Fürtig

Einführung: Historische Fundamente des modernen Irak

Der Irak (Mesopotamien) gehört zu den ältesten Kulturlandschaften der Erde. In diesem regenbegünstigten Gebiet des «Fruchtbaren Halbmondes» gingen Jäger und Sammler schon im 10. und 9. Jahrtausend v. Chr. zum Ackerbau über und hielten Vieh. Seit dem 7. Jahrtausend v. Chr. sind dauerbesiedelte Ortschaften im heutigen Nordirak nachgewiesen. In einer vereinfachten Übersicht lassen sich drei Hauptabschnitte der Vorgeschichte des modernen Irak ausmachen.

1. Die altorientalischen Reiche

Ab dem 4. Jahrtausend v. Chr. beschleunigte sich die Entwicklung, als die Mesopotamier das fruchtbare Schwemmland am Unterlauf von Euphrat und Tigris in Besitz nahmen und urbar machten. Zwischen 3200 und 2800 v. Chr. bildete sich hier – nahezu parallel zur ägyptischen – die sumerische Hochkultur heraus. In den blühenden, miteinander in enger, teilweise auch kriegerischer Beziehung stehenden sumerischen Stadtstaaten wie Ur, Uruk, Lagasch oder Umma entstand mit der Keilschrift eine der frühesten Schriften der Menschheit und mit den Zikkurats eine Bauform, die den Vergleich mit den ägyptischen Pyramiden nicht scheuen muss. Zwischen 2340 und 2284 v. Chr. gelang es Sargon, dem Herrscher von Akkad, Mesopotamien erstmals in einem Reich zu vereinen.

Durch Erschöpfung und Versalzung der Böden verfielen die südmesopotamischen Städte um 2000 v. Chr., gleichzeitig entstand aber weiter nördlich mit Babylon der Mittelpunkt eines weiteren Großreiches. Zu den berühmtesten Herrschern des altbabylonischen Reiches (ca. 2000–1500 v. Chr.) gehört Hammurapi, in dessen Regierungszeit zwischen 1792 und 1750 v. Chr. eine der ersten Rechtssammlungen der Menschheit zusammengestellt wurde. Bevor Nebopolassar 626 v. Chr. das neubabylonische Reich begründete, war Assyrien für mehrere Jahrhunderte die vorherrschende Macht in Mesopotamien. Das neubabylonische Reich zerfiel schließlich 539 v. Chr. unter dem Ansturm der persischen Achämeniden, die mit Ktesiphon eine neue Hauptstadt im Zweistromland errichteten. Alexander der Große begründete mit der Eroberung Babyloniens 331 v. Chr. die hellenistische Ära Mesopotamiens, die vor allem durch die Diadochenlinie der Seleukiden geprägt wurde. Ab 141 v. Chr. beherrschten die Parther das Land, die schließlich 220 durch die Sassaniden abgelöst wurden, die letzte Dynastie, die Mesopotamien vor der arabischen Eroberung von Ktesiphon aus regierte.

2. Die arabisch-islamische Blütezeit

Zwischen 633 und 640 brach das Sassanidenreich unter dem Ansturm der aus der Arabischen Halbinsel herandrängenden islamisierten Araber zusammen. Der 637 bei Qadisiyya errungene Sieg in der Entscheidungsschlacht diente Saddam Hussein noch im Ersten Golfkrieg, der Auseinandersetzung mit Iran, als Propagandavehikel für die Begründung der «ewigen» Überlegenheit der Araber über die Perser. Obwohl das Zentrum der ersten islamischen Dynastie, der Umayyaden, in Damaskus lag, entstanden im Irak aus Militärlagern Städte wie Basra und Kufa, von denen aus die Islamisierung des Landes rasch voranschritt. Kalif Ali wählte Kufa zu seiner Residenzstadt. Die Auseinandersetzung seiner Söhne Hassan und Hussein mit den Umayyaden fand ebenfalls auf irakischem Boden statt und begründete die zentrale Bedeutung des Landes für den schiitischen Islam. Bereits in der umayyadischen Spätzeit war im Irak ein Wirtschaftsaufschwung zu beobachten. Das Zentrum der arabisch-islamischen Kultur wurde das Land aber erst unter den Abbasiden, die 750 die Umayyaden ablösten und 762 unter Kalif al-Mansur Bagdad gründeten. Unter Harun al-Raschid (Kalif 786–809) und al-Maʾmun (Kalif 813–833) blühten Kunst und Kultur («Tausendundeine Nacht»), aber auch Handwerk und Handel (Verbindungen bis Südostasien und China) sowie die Landwirtschaft (Ausbau des Bewässerungssystems). 836 schuf Kalif al-Muʿtasim mit Samarra die erste Großstadt «aus der Retorte», die bis 883 auch Hauptstadt war.

Indem die Trennung der Untertanen in Araber und Nichtaraber durch die Unterscheidung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen ersetzt wurde, öffneten die Abbasiden dem persischen Adel wieder den Zugang zu höheren Ämtern. Nach sassanidischem Vorbild entstand das Amt des Großwesirs neu, wurde die Provinzeinteilung überarbeitet und die Besteuerung nach Bodenkataster eingeführt. Mit den Buyiden (932–1055) übernahmen die Perser auch die reale Macht im Reich und reduzierten den abbasidischen Kalifen auf die Funktion des geistlichen Oberhaupts. Das Zentrum des Buyidenreiches lag in Persien, die erneute Randlage schwächte das Reich. 1055 besetzten die sunnitischen Seldschuken den Irak und beherrschten ihn – mit kurzen Unterbrechungen – bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts. 1258 besiegelte der Mongolenherrscher Hülägü mit der Eroberung Bagdads das Ende des Abbasidenkalifats. Danach lösten sich verschiedene mongolische Dynastien im Irak ab. Das Land verfiel und wurde 1400 von den Armeen Timurs verwüstet. Die Herrschaft der persischen Safawiden zwischen 1508 und 1534 beendete eine lange historische Epoche der Instabilität und des Niedergangs.

3. Die osmanische Herrschaft

1534 eroberten die Osmanen Bagdad und gliederten das Zweistromland, von der einheimischen arabischen Bevölkerung «Irak» genannt, ihrem Reich ein. Dies blieb so bis zum Jahr 1918 (abgesehen von einem kurzen persischen Interregnum 1623–1638). Aber auch für die Osmanen lag die neue Provinz Bagdad an der Peripherie des Staates. Ihre Statthalter waren primär an persönlicher Bereicherung interessiert. Der Irak verarmte, große Teile des lebensnotwendigen Bewässerungssystems versandeten. Unter diesen Bedingungen gelang es auch einzelnen lokalen Herrschern immer wieder, sich der Hohen Pforte gänzlich zu entziehen, so z.B. den «Fürsten von Basra (Afrasiyab)» im 17. Jahrhundert. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts sorgte die Statthalterschaft der in administrativen und militärischen Fragen erfahrenen Mamluken für eine gewisse Stabilität, wobei die autokratischen Herrschaftsformen allerdings Einheimische nur selten an der Macht teilhaben ließen. Die Mamluckenherrschaft fand mit der Bestallung von Dawud Pascha zum Gouverneur von Bagdad 1817 ihren Höhepunkt und gleichzeitig auch ihr Ende. Dawud Pascha verfolgte – ähnlich wie sein Amtskollege Muhammad Ali in Ägypten – eine von Istanbul unabhängige Politik, die die Modernisierung des kontrollierten Gebietes in den Mittelpunkt stellte. Dawud förderte Handel und Handwerk (Schutz vor ausländischer Konkurrenz), ließ Textilmanufakturen errichten, Straßen bauen und Kanäle (wieder)anlegen und verlegte sich außerdem auf den Aufbau einer 20.000 Mann starken eigenen Armee, die er von französischen Offizieren ausbilden ließ. 1831 beendete Istanbul die Sezessionsbestrebungen mit der Absetzung Dawud Paschas. Der Irak wurde der Direktverwaltung durch Istanbul unterstellt und versank wieder in der Bedeutungslosigkeit. Zwischen 1831 und 1869 bereicherten sich zwölf osmanische Gouverneure an dem Land. Erst Midhat Pascha (1869–1872) verhalf ihm zu einem neuen – wenn auch kurzen – Aufschwung.

In dessen Zeit als Gouverneur erschien immerhin die erste irakische Zeitung und entstand eine erste, mit Pferden betriebene Eisenbahnstrecke; aber auch Schulen, Krankenhäuser und Manufakturen wurden gebaut. Seine Amtszeit war jedoch zu kurz, um Dauerhaftes hervorzubringen. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts veranlassten die Osmanen eine Verwaltungsreform im Irak, die 1879 die selbständige Provinz Mossul und 1884 die separate Provinz Basra entstehen ließ: gemeinsam mit Bagdad die territorialen Vorläufer des modernen Irak. Zur selben Zeit traten aber auch die Schwächen des «kranken Mannes am Bosporus», wie das im Niedergang befindliche Osmanische Reich genannt wurde, immer deutlicher hervor.

Einerseits zerrten starke zentrifugale Strömungen an der Einheit des Staates und veranlassten türkische Intellektuelle, Politiker, Militärs und Geschäftsleute, die türkische Identität des Reiches wieder stärker hervorzuheben (Jungtürken). Wie in kommunizierenden Röhren entwickelten sich parallel dazu in den Provinzen Bestrebungen der autochthonen Bevölkerung, die osmanische Herrschaft zu beenden. Auch in den Städten und größeren Ortschaften des Irak bildeten sich Zirkel und Geheimgesellschaften (al-Fatat), in denen die Loslösung vom Osmanischen Reich diskutiert wurde. 1913 forderte Talib Pascha in Basra die Unabhängigkeit des «türkischen Arabien». Nachhaltigere Wirkung erzielte allerdings der 1914 in Istanbul durch den ägyptischen Offizier Aziz Ali al-Misri gegründete al-ahd al-iraqi (der irakische Bund), dem sich zahlreiche irakische Offiziere des osmanischen Heeres anschlossen. Der Bund breitete sich rasch nach Mossul und Bagdad aus, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs gehörten ihm auch viele zukünftige irakische Politiker wie Nuri al-Saʿid, Djaʿfar al-Askari, Yasin al-Haschimi, Djamil Midfai, Nadji Schaukat, Maulud Mukhlis und Ali Djaudat an. Al-Ahd al-Iraqi verfocht die arabische Loslösung vom Osmanischen Reich, jedoch nicht zwangsläufig die Gründung eines eigenen irakischen Staates.

Andererseits lud die Schwäche der Hohen Pforte die europäischen Großmächte dazu ein, ihren Konkurrenzkampf um die Aufteilung der Welt auch auf Osmanischem Territorium auszutragen. Im Zentrum britischer Interessen stand dabei die Sicherung der Landbrücke zur Kronkolonie Indien. Zu diesem Zweck hatte sich schon zu Beginn des Jahrhunderts ein britischer Resident in Basra niedergelassen. 1860erwarb die Lynch Company das Monopol für den Schiffsverkehr auf dem Schatt al-Arab, dem Zusammenfluss aus Euphrat und Tigris. Gegen Ende des Jahrhunderts forderte das Deutsche Kaiserreich die Briten aber offen heraus. Es ging ein offizielles Bündnis mit der Hohen Pforte ein und erhielt 1899 die Konzession zum Bau der Bagdadbahn, die Schürfrechte in einem Korridor von jeweils 20 Kilometern links und rechts der Gleise einschloss. Nur weil die deutsche Regierung andere Hauptschauplätze im herannahenden Ersten Weltkrieg ausmachte, ließ sie sich 1911 von London den Verzicht auf den Ausbau der Eisenbahnlinie von Bagdad nach Basra abringen. Nichtsdestotrotz wurde der Irak in die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs hineingezogen.

Am 23. November 1914 besetzten britisch-indische Truppen die Hafenstadt Basra und rückten nach Norden vor. Osmanische und verbündete deutsche Truppen leisteten erbitterten Widerstand. Sie konnten die britisch-indischen Verbände unter General Townshend nach fünfmonatiger Belagerung am 29. April 1916 bei Kut al-Amara zur Aufgabe zwingen. Damit war aber lediglich ein taktischer Sieg errungen. London führte frische Kräfte heran, die ausschließlich dem Kriegsministerium an der Themse unterstellt waren. Am 11. März 1917 marschierten britische Truppen als «Freunde der Araber» in Bagdad ein, zum Jahresanfang 1918 fiel Kirkuk in ihre Hände. Die arabischen «Freunde» hatten allerdings in erster Linie darunter zu leiden. Die rückständigen Klein- und Kleinstbetriebe stellten ihre Produktion weitgehend ein, die vorherrschende Naturalwirtschaft brach fast vollständig zusammen. Hunger und Epidemien grassierten, 90.000 Iraker wurden in «Labour-Corps» gepresst, die übrigen stöhnten unter der hohen Steuer- und Abgabenlast für die kämpfenden Truppen. 1917 kam es zu Hungerrevolten in Nadjaf, Kufa und Abu Zuhair. Als die Hohe Pforte schließlich am 30. Oktober 1918 bei Mudros kapitulierte, war den meisten Irakern deshalb das Ende von vier Jahren Krieg wichtiger als das Ende von vierhundert Jahren Osmanischer Oberhoheit.

I. Vom Königreich zur Republik

(1920–1958)

1. Die Gründung des modernen Irak

Die grundlegende Konfrontation des Ersten Weltkriegs zwischen Entente und Mittelmächten verhieß den arabischen Loslösungsbestrebungen vom Osmanischen Reich zumindest die stillschweigende Unterstützung Großbritanniens. Als es britischen Emissären – allen voran Thomas Edward Lawrence (Lawrence von Arabien) – schließlich gelang, die Araber unter Führung des Großscherifen Hussein von Mekka zum Aufstand gegen die Osmanen zu bewegen (Aufstand in der Wüste), wurde das Bündnis offensichtlich. Als Gegenleistung für die arabische Unterstützung sicherte die britische Regierung die Gewährung eines unabhängigen arabischen Staates nach dem Sieg über das Osmanische Reich zu. Die Iraker hatten also 1918 allen Grund, von der Einlösung der britischen Versprechungen auszugehen. Sie konnten nicht wissen, dass sich London schon 1916 mit Paris über die Aufteilung der arabischen Provinzen der Hohen Pforte geeinigt hatte.

Die französischen und britischen Diplomaten Charles François Georges Picot und Sir Mark Sykes hatten dazu «blaue» Gebiete gekennzeichnet, die, zusammen mit einer A-Zone, französischer Kontrolle zu unterstellen waren, und «rote» Territorien, die, gemeinsam mit einer B-Zone, unter britischem Einfluss stehen sollten (Sykes-Picot-Abkommen). Die Provinzen Basra und Bagdad lagen dabei in der «roten», Mossul dagegen in der A-Zone. Aus gutem Grund hielten beide Mächte das Abkommen geheim, denn es bedeutete nicht weniger als den Bruch aller Zusagen gegenüber den Arabern. Großbritannien verletzte aber selbst das Geheimabkommen. Im November 1918 besetzten britische Truppen die Provinz Mossul, womit sie sich auch über die Waffenstillstandsbedingungen von Mudros hinwegsetzten. Die vermuteten reichen Erdöllagerstätten der Provinz stellten einen übermächtigen Anreiz dar.

Schon 1912 hatten die anglo-holländische Shell Company, die British National Bank of Turkey, die Deutsche Bank und der Ölmagnat C. S. Gulbenkian die Turkish Petroleum Company (TPC) gegründet, die 1914 von Istanbul eine Bohrkonzession für die Provinzen Bagdad und Mossul erhielt. Im gleichen Jahr vereinigte sich die TPC mit der 1903 gegründeten Anglo-Persian Oil Company (APOC). Wenige Tage vor Kriegsausbruch kaufte die britische Regierung 51 Prozent der APOC-Anteile, womit sie auch das letzte Wort in dem Konglomerat mit der TPC erhielt. Der erste Lord der Admiralität, Winston Churchill, hatte immerhin schon 1913 festgehalten, «dass wir die Eigentümer oder zumindest die Kontrolleure der Menge Erdöl werden müssen, die wir benötigen».1 Die Weitsicht zahlte sich aus: Die Überlegenheit der britischen Flotte im Ersten Weltkrieg lässt sich in hohem Maße auch auf die forcierte Umrüstung von Kohle- auf Ölfeuerung zurückführen. Die Anteile der Deutschen Bank an der TPC waren im Ersten Weltkrieg konfisziert worden, Großbritannien übertrug sie jetzt auf Frankreich und trat auch Kilikien ab, das dem Sykes-Picot-Abkommen zufolge eigentlich «rotes» Gebiet war. Damit ließ sich zwar Frankreich «abfinden», eine Lösung der Konflikte mit der Türkei, dem Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches, wurde aber verschleppt. De facto kontrollierte Großbritannien Ende 1918 alle drei irakischen Provinzen.

Bis zum Waffenstillstand von Mudros war London an der Aufrechterhaltung der Fiktion von der britisch-arabischen Waffenbrüderschaft interessiert. Noch im Januar 1918 hatte die britische Regierung, gemeinsam mit der französischen, eine Deklaration über die «Befreiungsmission» verfasst, die den «von den Türken unterdrückten Völkern» die Souveränität nach dem «Sieg über den gemeinsamen Feind»2 verhieß. Die Deklaration kann auch als Reaktion auf die im gleichen Monat verkündeten 14 Punkte des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson verstanden werden, der per Saldo ähnliche Forderungen vertrat, die im Allgemeinen als Fehdehandschuh eines neuen Mitbewerbers um die Neuordnung der Region mit ihren vermuteten reichen Erdölschätzen und im Besonderen als Angriff auf die geheimen Absprachen des Sykes-Picot-Abkommens eingeschätzt wurden. Als die neuen Machthaber in Russland die Bestimmungen dieses Abkommens nach der Oktoberrevolution 1917 publik machten, wurden die wahren Absichten Großbritanniens auch im Irak offenkundig: die direkte Kontrolle des Landes.

420.000 britische Soldaten standen im Irak, in Bagdad residierte ein Hochkommissar, «politische Offiziere» kontrollierten die Provinzhauptstädte. Hochkommissar Sir Arnold Wilson machte kein Hehl aus seiner Ansicht, dass es «der beste Plan wäre, Mesopotamien zum Protektorat zu erklären».3 Die Zahl der britischen Verwaltungsbeamten wuchs von 59 im Jahr 1917 auf 1022 im Jahr 1920. Nur 4 Prozent der Posten im höheren Verwaltungsdienst wurden von Einheimischen eingenommen.4 Das Gros der Beamten kam aus der Kronkolonie Indien, und diese setzten im Irak nur fort, was sie in Indien gelernt hatten: die direkte und weitgehend unvermittelte Kontrolle ihres Aufgabengebietes. Vom kleinsten Verwaltungsbeamten vor Ort bis in die Büros der britischen Regierung herrschte die feste Überzeugung vor, dass die einheimische Bevölkerung zur Selbstverwaltung nicht in der Lage (white man’s burden), die Idee eines arabischen Staates mithin eine «Schnapsidee» sei.5 Dabei hatten die Briten in Damaskus gerade ein arabisches Königreich unter Faisal Ibn Hussein, dem Sohn des Großscherifen von Mekka, eingerichtet (8. März 1920), das als Minimalabfindung ihres wichtigsten arabischen Verbündeten gegen die Osmanen gedacht war. Zahlreiche Mitglieder des 1914 gegründeten Irakischen Bundes (ahd al-iraqi) gehörten zum engsten Kreis um Faisal und straften damit die britischen Behauptungen Lügen, dass Iraker nicht zur Selbstregierung fähig seien. Allerdings fehlten die irakischen Honoratioren bei der Organisierung des Widerstands im eigenen Land. Und dieser Widerstand formierte sich!

Schon Ende 1918 hatten erste Unruhen das Land erfasst, im Mai und Juni 1919 gärte es im kurdischen Norden, im August und September vertrieben Beduinen unter Scheich Mahmud die britische Garnison aus Dair al-Sur. In Abwesenheit des ahd al-iraqi bildete sich mit den «Hütern der Unabhängigkeit» (haras al-istiqlal) eine radikalere Widerstandsbewegung, die bereit war, gegebenenfalls mit Waffengewalt für einen unabhängigen Irak zu kämpfen. Schiiten stellten die Mehrheit der Bewegung, ihre Geistlichen verbreiteten Rechtsgutachten (fatwa, Pl. fatawa), wonach der Dienst unter den Briten einen Verstoß gegen die Religion darstelle. Widerstand gegen die Briten wurde für rechtens erklärt. Mitte 1919 formierte sich ein «Aufstandskomitee» (maktab al-thaura). Der Hochkommissar unterschätzte die Bedrohung genauso wie seine Regierung. Mit einer «Bodenreform» sollte zwar 1919 eine probritische Schicht geschaffen werden, die Initiative griff aber zu kurz. Faktisch überführte die «Reform» den bisher stammeseigenen Boden und die Gemeindeländereien in den Besitz von Stammesführern, Großgrundbesitzern und reichen städtischen Familien. Etwa 1000 Stammesführer und Großgrundbesitzer erhielten damit mehr als 90 Prozent des Bodens («Land der 1000 Scheichs»). Damit ließen sich diese Notabeln die Vision von der irakischen Unabhängigkeit «abkaufen». Sie stellten aber zahlenmäßig nur einen so geringen Teil der irakischen Bevölkerung, dass ihre Haltung das Drängen nach staatlicher Souveränität nicht unterdrücken konnte.

Allerdings wähnte sich Großbritannien sicher genug, um sich am 25. April 1920 in San Remo vom Völkerbund das Mandat über den Irak erteilen zu lassen und damit die arabischen Forderungen endgültig zurückzuweisen. Gleichzeitig wurde in dem italienischen Badeort Großsyrien in «Syrien», «Libanon» und «Palästina» dreigeteilt. Während Frankreich das Mandat über Syrien und den Libanon erhielt, bekam Großbritannien – neben dem irakischen – auch das Mandat über Palästina. Diese Neuaufteilung ist insofern von Bedeutung, als französische Truppen unter General Gouraud nun erwartungsgemäß darangingen, das arabische Königreich in Damaskus zu zerschlagen. Im Juli 1920 unterlag Faisal bei Khan Maisalun und floh ins Exil nach Italien. Die sharifiyyun, die irakischen Offiziere Faisals, kehrten mehrheitlich in ihr Heimatland zurück und trugen die Kunde vom Verrat der Großmächte in alle Landesteile. Damit setzten sie das Fanal zum Aufstand.

Im August 1920 befanden sich weite Teile des Irak, bis auf Bagdad und die Provinzhauptstädte Basra und Mossul, nicht mehr unter der Kontrolle der Briten. Bemerkenswert war das Zusammenstehen der schiitischen Bevölkerungsmehrheit und der sunnitischen Araber, die unter den Osmanen privilegiert gewesen waren, sich jetzt aber gemeinsam gegen britische Bevormundung auflehnten. Zum Ausdruck kam diese Allianz auch in der gemeinsamen Führung des Aufstands durch die eher schiitisch geprägten «Hüter der Unabhängigkeit» und den sunnitisch dominierten Irakischen Bund. Lediglich die Kurden im Norden des Landes hielten sich zurück, weil sie den Aufstand einerseits als Ausdruck des arabischen Nationalismus ansahen und andererseits auf britische Unterstützung für die Errichtung eines unabhängigen Kurdenstaates aus der Erbmasse des Osmanischen Reiches hofften. Hochkommissar Wilson sah sich jedenfalls im September gezwungen, weitere Truppenkontingente aus Indien anzufordern, um des Aufstands Herr zu werden. Jetzt reagierte das Colonial Office in London. Ohne die Vorbereitungen zum militärischen Gegenschlag abzubrechen, löste es am 1. Oktober 1920 Hochkommissar Wilson durch Percy Cox ab, um mit dessen Person einen «Neuanfang» zu signalisieren. Mit dem Ziel, sie zur Aufgabe zu bewegen, ging Cox zunächst auf die sunnitischen sharifiyyun des Irakischen Bundes zu. Er bot ihnen die Aufhebung des Besatzungsregimes und die Bildung einer «nationalen Regierung» an. Am 25. Oktober konnte er das politisch wenig ambitionierte und daher lenkbare sunnitische Oberhaupt (naqib) von Bagdad, Sayyid Abd al-Rahman al-Gailani, dazu bewegen, den Vorsitz dieser Regierung zu übernehmen. Gailani lud Vertreter des Irakischen Bundes, Stammesführer und andere Notabeln ein, so dass die «nationale Regierung» am 27. Oktober proklamiert werden konnte.

Auch wenn die reale Macht weiterhin in den Händen des Hochkommissars bzw. von britischen «Beratern» der «nationalen Regierung» lag, stellte die «nationale Regierung» doch ein erstes Zugeständnis dar. Auf der anderen Seite führte sie aber auch zur Erosion des Aufstands. Viele – vor allem sunnitische – Führer sahen seine Ziele erreicht und stellten die Kampfhandlungen ein. Zudem wurde das Missverhältnis in der Bewaffnung immer offensichtlicher. Selbst auf dem Höhepunkt der Erhebung verfügten die circa 130.000 Aufständischen nur über 16.000 moderne – gegenüber 43.000 veralteten – Handfeuerwaffen und über keinerlei schweres Gerät. Der Krieg wurde immer ungleicher, und am 20. November 1920erklärten die letzten Führer des Aufstands in Samawa die Einstellung der Kämpfe.

Auf den ersten Blick las sich das Fazit ernüchternd: Nahezu 10.000 Rebellen hatten den Aufstand mit dem Leben bezahlt, und die britische Herrschaft stellte sich bestenfalls etwas verbrämter dar. Allerdings gehörten zu diesem Fazit auch 2000 britische Verwundete und 453 Gefallene sowie etwa 40 Mio. Pfund an Kriegskosten.6 Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg schien dieser Aufwand London zu hoch, um die «indische Methode», d.h. die direkte Herrschaftsausübung, auch im neuen Einflussgebiet des Nahen und Mittleren Ostens fortzusetzen. Insofern hatte der irakische Aufstand eine tiefere Wirkung. Im März 1921 beschloss das Colonial Office unter Leitung seines neuen Chefs Winston Churchill auf einer Tagung in Kairo den Übergang zu einer indirekten Herrschaft.

Dafür bot sich – aus mehreren Gründen – der im italienischen Exil ausharrende Ex-König Faisal Ibn Hussein an. Als Spross der Haschimiten-Dynastie aus dem Hidjaz besaß er im Irak keine eigene Basis und war daher auf britisches Wohlwollen angewiesen. Gleiches galt auch für seine Stellung als prominenter Sunnit in einer Gesellschaft, deren schiitische Mehrheit endlich auf ein Ende ihrer Diskriminierung hoffte. Überdies stand London immer noch im Wort bei seinen arabischen Weltkriegsverbündeten. Zwar war dieses – insbesondere durch das Sykes-Picot-Abkommen – in der Substanz schon mehrmals gebrochen worden, aber die Herrschaft über ein einzelnes arabisches Land könnte doch mehr als ein «Trostpflaster» sein. Obwohl Faisal die Risiken bewusst waren, nahm er das britische Angebot an, König des Irak zu werden. Im Juni 1921 betrat er in Basra irakischen Boden. Am 11. Juni «überredete» Percy Cox die «nationale Regierung», Faisal die Königswürde anzutragen, nachdem ein Plebiszit, an dem aufgrund eines komplizierten Auswahlverfahrens nur eine verschwindend geringe Zahl der Iraker teilnehmen konnte, 96 Prozent Zustimmung ergeben hatte. Mit seiner Inthronisierung in Bagdad am 27. August 1921 wurde der moderne Irak als Monarchie geboren. Faisal umgab sich zunächst mit Vertrauten aus seiner Zeit als König in Damaskus, unter ihnen Nuri al-Saʿid als Stabschef und Djaʿfar al-Askari als Verteidigungsminister.

Mit der Etablierung der Monarchie im Irak war aber nur ein Programmpunkt der Konferenz von Kairo erfüllt. Ein zweites Vorhaben war, das britisch-irakische Verhältnis auf eine neue Vertragsgrundlage zu stellen, die das Mandatsregime im Kern weiter bestehen ließ, ohne die Bezeichnung zu verwenden, denn laut Gertrude Bell war der Begriff im Irak ebenso verhasst wie in Ägypten das Wort «Protektorat».7 Noch während die Unterredungen über den Vertrag liefen, beendete die britische Regierung die kostspielige Stationierung großer Truppenkontingente im Irak und bewies damit einmal mehr, wie sehr ihr nun an einer indirekten Machtausübung gelegen war. Während der Verhandlungen kam es fast täglich zu Protesten der irakischen Bevölkerung, die zu Recht lediglich kosmetische Korrekturen am Mandatsregime vermutete. An der Spitze standen die beiden aus den haras al-istiqlal hervorgegangenen neuen Parteien, die Irakische Nationalpartei (hizb al-watani al-iraqi) und die Partei der irakischen Erweckung (hizb al-nahda al-iraqiyya). Beide Parteien wurden im August 1922 verboten und ihre Führer des Landes verwiesen.