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Carsten Schliwski

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Beschreibung

Die kurze, aber konfliktreiche Geschichte des Staates Israel steht im Zentrum dieses Bandes, dessen Neuausgabe auch die aktuelle Diskussion um die Nahostpolitik des US-Präsidenten Donald Trump in den Blick nimmt.

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Carsten Schliwski

Geschichte des Staates Israel

Reclam

Meiner Liebsten Manuela Heller gewidmet.

 

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 961377

2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Coverabbildung: Lior Patel / Alamy Stock Photo

Kartenzeichnung: Inka Grebner

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2018

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961377-2

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019561-1

www.reclam.de

Inhalt

Vorwort

Vorgeschichte I: Zionssehnsucht und Zionismus bis zur britischen Eroberung Palästinas 1917

Die Anfänge

Theodor Herzl und der politische Zionismus

Der Zionismus nach Herzl

Die Anfänge der jüdischen Besiedlung Palästinas bis zum Ersten Weltkrieg

Palästina und der Zionismus im Ersten Weltkrieg

Vorgeschichte II: Von der Jewish Agency zum jüdischen Staat (1917–1948)

Konsolidierung des jüdischen Anspruchs auf Palästina

Die unterschiedlichen Richtungen des Zionismus

Die arabische Bevölkerung Palästinas

Die Folgen des arabischen Aufstands

Die ersten drei Jahrzehnte (1948–1977)

Der Unabhängigkeitskrieg und der Aufbau des neuen Staates

Die erste Ära Ben-Gurion

Die Amtszeit Mosche Scharetts

Die zweite Ära Ben-Gurion und der Suez-Krieg

Die Beziehungen zu Deutschland und die Folgen der Lavon-Affäre

Israel unter Levi Eschkol

Der Sechstage-Krieg und seine Folgen

Die Amtszeit Golda Meirs

Der Jom-Kippur-Krieg und seine Folgen

Vor dem Machtwechsel: Jitzchak Rabin als Ministerpräsident

Innen- und außenpolitische Umbrüche (1977–1992)

Regierungswechsel

Frieden mit Ägypten

Neue Kraftprobe mit der PLO

Die Wahlen von 1981

Der Libanon-Krieg

Die Wahlen von 1984 und ihre Folgen

Die Erste Intifada

Demographische Veränderungen: die Russen

Der Zweite Golfkrieg und seine Folgen für Israel

Auf dem Weg zum Frieden? (1992–2023)

Das Oslo-Abkommen

Unsicherheiten im Inneren und im Äußeren

Israel unter Benjamin Netanjahu

Ehud Baraks Fortsetzung des Friedensprozesses

Die Zweite Intifada

Neue Entwicklungen

Die Amtszeit Ehud Olmerts

Die zweite Regierungszeit Netanjahus

Ausblick: Die Fragen der Zukunft

Literaturhinweise

Verzeichnis der Karten

Sachregister

Vorwort

Eine Geschichte des Staates Israel zu schreiben ist kein ganz einfaches Unterfangen.

Israel ist ein Teil des Nahen Ostens und ein wichtiger Akteur innerhalb des Nahostkonflikts, manche gehen sogar so weit, zu behaupten, dass es ohne Israel keinen Nahostkonflikt gäbe. Auch wenn das übertrieben erscheint – schließlich zeichnen sich die arabischen Staaten dadurch aus, dass sie sowohl im Inneren als auch miteinander eine Reihe von Konflikten austrugen und weiterhin austragen –, kann man doch vermuten, dass das westliche Interesse am Nahen Osten durch die Beteiligung des jüdischen Staates um einiges größer ist, als wenn Israel nicht existieren würde.

Zu diesem gesteigerten Interesse, das sich in Europa und gerade auch in Deutschland durch die Präsenz entsprechender Berichterstattung in den Medien zeigt, kommt noch ein weiteres Phänomen hinzu, nämlich die Tendenz, die dortigen Ereignisse zu bewerten: Gerade im Hinblick auf aktuelle Geschehen besteht oft das Bedürfnis, Partei zu ergreifen, eine Entscheidung zu kritisieren oder zu befürworten. Ein neutraler Standpunkt erscheint dabei als geradezu unerreichbar.

Eine Erklärung für dieses Interesse in Deutschland dürfte darin zu suchen sein, dass die Geschichte der Juden im zwanzigsten Jahrhundert und damit auch die Geschichte des Staates Israel untrennbar mit der deutschen Geschichte verknüpft sind: Zwar würde die Behauptung, dass der Staat Israel ausschließlich eine Folge der Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland sei, zu weit gehen, allerdings hat die Schoah seine Gründung erheblich beschleunigt. Dadurch ist eine neutrale Betrachtung Israels für viele Deutsche nicht möglich: Entweder drücken sie ihre Sympathie dafür aus, dass es nach der von den Deutschen verschuldeten Katastrophe den Juden gelungen ist, ein funktionierendes Staatswesen zu begründen und zu bewahren, oder aber sie werfen dem Staat Israel und den Staaten, die ihn unterstützen, vor, dass zur Begleichung der Schuld an den Juden ein weiteres Unrecht an den Palästinensern begangen worden sei. Diese Haltung kann bis zur Negierung des Existenzrechts Israels reichen.

Natürlich nimmt der Autor dieser Geschichte des Staates Israel für sich in Anspruch, sie im Geiste größtmöglicher Neutralität geschrieben zu haben. Ob ihm das immer gelungen ist, mag der Leser beurteilen. Zu dieser Frage der Neutralität gehört selbstverständlich auch die der Gewichtung und vollständigen Behandlung von Ereignissen und Fakten. Im Rahmen einer kurzen Darstellung wird eine solche Vollständigkeit nicht zu erreichen sein, trotzdem hofft der Autor, allen entscheidenden Sachverhalten ihrer Bedeutung entsprechend Rechnung getragen zu haben.

Dabei ist das Buch vor allem als politische Geschichte konzipiert, deren Darstellung in chronologischer Anordnung erfolgt. Das heißt jedoch nicht, dass es nicht auch Teile gibt, die bestimmten Ereignissen vorgreifen oder vorherige Ereignisse in einem späteren Kontext schildern.

Die Geschichte des Staates Israel ist in fünf Teile gegliedert, die eine Rahmenstruktur vorgeben: Die ersten beiden Teile behandeln die Vorgeschichte, nämlich die Entwicklung des Zionismus als Ideologie des jüdischen Nationalismus und den Weg zum Staat Israel nach dem Ersten Weltkrieg. Der dritte Teil behandelt den Zeitraum der ersten drei Jahrzehnte des Staates Israel, der politisch von den sozialistisch-zionistischen Parteien dominiert ist. Der vierte Teil umfasst den Zeitraum zwischen 1977 und 1992, der anfangs vom bürgerlich-konservativen Lager geprägt wird, sich aber in der zweiten Hälfte dadurch auszeichnet, dass keine politische Kraft über die eindeutige Dominanz verfügt. Der letzte Teil behandelt die Zeit von 1992 bis 2019, die von Erfolgen und Misserfolgen im Versuch, mit den Palästinensern zu einer friedlichen Einigung zu kommen, geprägt ist. Freilich können viele Ereignisse des letzten Jahres noch nicht endgültig bewertet werden. Hinzu kommt, dass sich in Israel während der Abfassung der 4. Auflage (Januar 2023) gerade wieder eine neue Regierung unter Netanjahu gebildet hat, wobei noch nicht klar ist, wie sich die Politik dieser ausschließlich aus Parteien des rechten Spektrums gebildeten Koalition entwickeln wird. Abschließend sollen in einem Ausblick mögliche Entwicklungen und grundsätzliche aktuelle Fragen kurz angerissen werden.

Namen und Begriffe wurden weitgehend den deutschen Gepflogenheiten angepasst, um eine möglichst unkomplizierte Aussprache zu ermöglichen.

Vorgeschichte I: Zionssehnsucht und Zionismus bis zur britischen Eroberung Palästinas 1917

Epochenüberblick

Im ersten Kapitel sollen die Bezüge des Judentums zum Land Israel aufgezeigt werden, die aufgrund der Diasporasituation immer aufrechterhalten wurden. Dabei waren es zunächst weniger politische Vorstellungen als eher religiös ausgerichtete Sehnsüchte nach dem Gelobten Land, die diese Verbindung wahrten.

Erst mit dem Aufkommen nationaler Bewegungen in der westlichen Welt hielt auch das Konzept eines jüdischen Volkes als Nation und die Berechtigung einer nationalen Heimstätte Einzug in das jüdische Denken. Der wichtigste Vertreter dieses Konzepts ist Theodor Herzl, der zwar nicht der erste Verfechter einer jüdischen Staatlichkeit war, dem es aber zum ersten Mal gelang, die Aufmerksamkeit der jüdischen Welt auf solche Pläne zu lenken. Damit startete er ein Projekt, das innerhalb von fünfzig Jahren zur Gründung des Staates Israel führen sollte.

Die zionistische Bewegung musste sich noch zu Lebzeiten Herzls großen Herausforderungen stellen und sah sich nach dessen Tod einer Spaltung über die Frage, ob ein jüdischer Staat nur im »Heiligen Land« oder auch an einem anderen Ort gegründet werden könne, ausgesetzt.

Mit den 1882 beginnenden Einwanderungswellen nach Palästina legten Juden den Grundstein für die Errichtung eines eigenen Staates auf diesem Gebiet und untermauerten zugleich den Anspruch auf das Land ihrer Vorväter. Dieser Anspruch wurde 1917 von der britischen Regierung offiziell anerkannt, so dass einer weiteren Besiedelung Palästinas und einer Etablierung einer jüdischen Heimstätte nichts im Wege zu stehen schien.

Die Anfänge

70 n.Chr.

Zerstörung des Zweiten Tempels

ca. 1075–1141

Juda Halevi

1862

Moses Hess, Rom und Jerusalem

1881–1903

Erste Alijah

1882

Leon Pinsker, Auto-Emancipation

1881/82

Entstehung der Chibbat-Zion-Bewegung

1882

Gründung von Rischon le-Zion

Seitdem der Tempel von Jerusalem nicht mehr existiert und seitdem es Juden in der ganzen Welt gibt, besteht ihre Sehnsucht nach einer Rückkehr ins »Heilige Land«: In der Liturgie zum Sabbat wird darum gebetet, dass Gott Jerusalem wieder aufbaue, und zum Pessachfest wird folgender Segen über die Mazzot gesprochen: »Dies ist das Brot der Armut, das unsere Väter im Lande Ägypten aßen. Jeder, der hungrig ist, komme und esse, jeder, der bedürftig ist, komme und feiere. Dieses Jahr hier, nächstes Jahr im Land Israel, dieses Jahr Knechte, nächstes Jahr frei.« Ebenfalls zum Pessach gehört der Wunsch, das Fest »nächstes Jahr in Jerusalem« begehen zu können. Diese Sehnsucht stellt kein politisches Programm dar, sondern gehört in den Bereich der messianischen Hoffnungen: Es wird erwartet, dass eines Tages der Messias kommen wird, um die alte Größe Israels wiederherzustellen.

Ebenfalls religiöser Natur waren die Zionslieder, die Juda Halevi im 12. Jahrhundert verfasst hat, und die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wanderungen frommer Juden ins Heilige Land: Auch sie hatten keinen politischen Charakter, sondern dienten der Erfüllung spiritueller Hoffnungen.

Die politische Hoffnung auf eine Heimstatt der Juden oder sogar auf einen jüdischen Nationalstaat kam erst im 19. Jahrhundert auf. Dabei waren vor allem zwei Faktoren ausschlaggebend:

Zum einen entstanden als Folge eines allgemeinen Anwachsens antisemitischer Ressentiments zwischen den sechziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts Forderungen nach einem jüdischen Siedlungsgebiet, in dem Menschen jüdischen Glaubens ohne Angst leben sollten. Dieses war die Folgerung aus der enttäuschten Hoffnung, Aufklärung und Emanzipation der Juden könnten zu einer gleichberechtigten Existenz von Juden und Nichtjuden in einem Staat führen.

Zum anderen verfehlten auch die nationalen Einigungsbewegungen in Deutschland und Italien und das Erwachen nationalen Denkens in Osteuropa ihre Wirkung auf die Juden nicht und führten zu einem jüdischen Nationalismus. Man wurde sich wieder mehr des eigenen Erbes bewusst und weigerte sich, dieses Erbe, verkörpert durch die hebräische Sprache und die jüdische Religion, aufzugeben, um länger der trügerischen Hoffnung einer Akzeptanz der Umwelt durch Anpassung an sie anzuhängen.

Ziel dieser neu entstandenen jüdischen Nationalbewegung war es, eine Nation wie jede andere zu sein, was zu einer dialektischen Spannung führte: Zum einen sollte diese Nation aus der eigenen Vergangenheit und Kultur schöpfen, zum anderen sollten die Unterschiede zu den anderen Nationen eingeebnet werden.

Geographisch konzentrierte sich die Sehnsucht nach einer jüdischen Nation recht schnell auf Palästina, das damals zum Osmanischen Reich gehörte. Die innere Schwäche dieses Reiches seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – man sprach gerne vom »kranken Mann am Bosporus« –, die noch durch territoriale Verluste auf dem Balkan verstärkt wurde, weckte bei den europäischen Großmächten das Interesse an seiner Aufteilung, aber auch die Sorge, was nach seinem Ende kommen könnte. So überlegten britische Politiker, ob nicht die Schaffung eines jüdischen Staates als Puffer zwischen dem Kern des Osmanischen Reichs, also der Türkei, und dem von Großbritannien beherrschten Ägypten wünschenswert sei. Der Grund dafür lag in der Annahme, dass ein solcher Staat aufgrund mangelnder politischer Beziehungen zu dieser Region ein neutrales Gebilde wäre.

Bereits in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts forderte Mordecai Manuel Noah (1785–1851), der sich zunächst für einen jüdischen Staat in der Nähe von New York ausgesprochen hatte, eine Staatsgründung in Palästina. Die beiden Rabbiner Zwi Hirsch Kalischer (1795–1874, in Thorn wirkend) und Jehuda Chai Alkalai (1798–1878, in Semlin, heute zu Belgrad gehörend, tätig) hofften, mit der Rückkehr ins Heilige Land die messianische Zeit und die Erlösung des Volkes Israel einzuleiten. Dasselbe schrieb David Gordon (1831–1886) in Hamaggid, einer hebräischen Zeitschrift aus Lyck, die sich vor allem an die jüdischen Aufklärer in Russland wandte. Ziel dieser Aufklärer war einerseits die Erziehung des jüdischen Volkes zur eigenen Hochkultur, ausgedrückt durch die Verwendung der hebräischen statt der jiddischen Sprache, andererseits eine Öffnung zur Umgebungskultur. In den sechziger Jahren gründete Chaim Lorje (1821–1878) in Frankfurt an der Oder eine Gesellschaft für die Ansiedlung in Palästina.

Der Sozialist Moses Hess (1812–1875) äußerte 1862 in seinem Werk Rom und Jerusalem die Hoffnung, einen jüdischen Staat mit der Hilfe Frankreichs errichten zu können, der dann als ethisches und moralisches Vorbild für alle Völker dienen sollte. Dabei verband Hess die Idee eines jüdischen Staates mit der Einigung Italiens, indem er postulierte, dass nach der Gründung des italienischen Königreichs nur noch die nationale Frage der Juden ungelöst und insofern der Moment gekommen sei, diese Frage anzugehen. Bei den deutschen Juden stieß Hess mit seiner Idee eher auf Nichtbeachtung oder sogar auf Ablehnung, da sie eine Abkehr vom Konzept der Assimilation darstellte, das zu diesem Zeitpunkt vorherrschend war. Dieses Konzept ging von der Möglichkeit einer politischen und gesellschaftlichen Teilhabe aus, wenn die Religion zur reinen Privatsache würde. Dagegen zeigte sich der Historiker Heinrich Graetz (1817–1891) begeistert. Erst später sollten die Begründer des Zionismus Rom und Jerusalem würdigen.

Zur selben Zeit schrieb der hebräische Autor Perez Smolenskin (1840/42–1885) in seiner Zeitschrift Haschachar, die in Wien erschien und sich ebenfalls an die russischen Aufklärer wandte, über die geistigen Grundlagen des jüdischen Nationalismus.

In derselben Zeitschrift erschien in den 1870er Jahren ein Artikel von Elieser Ben-Jehuda (1858–1922, ursprünglich: Elieser Jitzchak Perelman), in dem Palästina als geistiges Zentrum für die nationale Wiedergeburt propagiert wurde. Mit dieser Wiedergeburt verknüpfte nicht zuletzt Ben-Jehuda eine Wiederbelebung der hebräischen Sprache, die er an die Bedürfnisse des modernen Lebens anpassen wollte, ohne die alten Wurzeln zu vernachlässigen. Dazu begann er mit der Arbeit am ersten modernen Wörterbuch des Hebräischen, das in Zukunft nicht nur als religiöse Sprache, sondern als Mittel der täglichen Kommunikation dienen sollte. Ben-Jehuda schuf neue Ausdrücke oder schenkte alten Begriffen eine neue Bedeutung. In diesem Bemühen war Ben-Jehuda so erfolgreich, dass man ihn heute als den Vater der modernen hebräischen Sprache betrachtet.

Nach den russischen Pogromen infolge der Ermordung des Zaren Alexander II. im Jahr 1881 ließen auch dort viele Juden die Hoffnung auf eine bessere Zukunft durch eine fortgeschrittene Emanzipation und Assimilation fahren. Dieser Stimmung verlieh der Arzt Leon Pinsker (1821–1891) aus Odessa mit seiner auf Deutsch verfassten und in Berlin veröffentlichten Schrift Auto-Emancipation aus dem Jahr 1882 deutlich Ausdruck. Für ihn lag der Ausweg aus der Misere des Antisemitismus außerhalb Europas, in Argentinien oder Palästina, wo Juden sich in einem eigenen Gemeinwesen organisieren sollten. Pinsker wurde mit dieser Idee zu einer der führenden Persönlichkeiten der Chibbat-Zion-Bewegung, der er 1883 beigetreten war. Mit Hilfe der Förderung durch finanzkräftige Mäzene sollten jüdische Niederlassungen in Argentinien, aber vor allem auch in Palästina errichtet werden. Damit begann die Chibbat-Zion-Bewegung bereits vor Herzl mit Maßnahmen, die später den Zionismus prägen sollten, allerdings fehlte ihr der politisch-ideologische Überbau, der den späteren politischen Zionismus mit der Vision eines jüdischen Staates ausmachte.

Eine andere Richtung war der Kulturzionismus, der vor allem durch die Konzepte eines Achad Ha’am (1856–1927, eigentlich Ascher Hirsch Ginsberg) seine endgültige Formung erhalten sollte. Ideologischer Kern des Kulturzionismus war die Idee, Palästina als geistiges Zentrum zu etablieren, das zur Erneuerung des Judentums in der Diaspora führen sollte. Es ging also weniger darum, alle Juden in Palästina zu versammeln, um dort einen eigenen Staat zu gründen, als vielmehr darum, ein Gemeinwesen zu schaffen, das sowohl Zufluchtsstätte als auch Inspiration für ein neues jüdisches Selbstbewusstsein sein sollte, fern von Versuchen der Assimilation. Zugleich war sich Achad Ha’am bewusst, dass seine Ideen mit den Interessen der arabischen Einwohnerschaft Palästinas, die er durchaus zur Kenntnis nahm, kollidieren konnten.

Theodor Herzl und der politische Zionismus

1860–1904

Theodor Herzl

1896

Theodor Herzl, Der Judenstaat

1897

Erster Zionistischer Kongress Gründung der Zionistischen Weltorganisation

1901

Fünfter Zionistischer Kongress

Als Begründer des politischen Zionismus im Unterschied zum Kulturzionismus eines Achad Ha’am gilt Theodor Herzl (1860–1904). Herzl ist in Budapest geboren und aufgewachsen, zog jedoch 1878 mit seinen Eltern nach Wien. Er entstammte einer assimilierten jüdischen Familie und hatte nach eigenen Angaben keine allzu umfangreichen Kenntnisse der jüdischen Religion. So hatten sich seine Eltern geweigert, seine Bar-Mitzwa-Zeremonie in der Synagoge zu veranstalten. Theodor Herzl selbst ließ später seinen Sohn nicht beschneiden. Der Umzug der Familie nach Wien erfolgte, um der immer stärker werdenden Magyarisierung des ungarischen Teiles der Habsburger-Monarchie zu entkommen, da sie sich selbst als zur deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe zugehörig betrachtete. Damit stand sie im Gegensatz zu den meisten assimilierten Juden im ungarischen Reichsteil, die mit der Magyarisierung durchaus sympathisierten.

Bereits in Budapest hatte sich Theodor Herzl mit antisemitischen Erscheinungen konfrontiert gesehen, allerdings sollten sie ihn in Wien in einem weitaus größeren Maße betreffen: Nachdem Herzl 1878 ein Jurastudium aufgenommen hatte, war er der deutschgesinnten Burschenschaft Albia beigetreten. Ab 1881 weigerte sich diese Burschenschaft, weitere Juden in ihre Reihen aufzunehmen, und als sie sich zwei Jahre später offen zum Antisemitismus bekannte, verließ Herzl sie wieder. Zur selben Zeit gelang es den antisemitisch ausgerichteten Parteien, immer größere Wahlerfolge in Wien zu erzielen, wobei besonders die Christlichsoziale Partei und ihr Gründer Karl Lueger, der von 1897 bis 1910 das Amt des Wiener Bürgermeisters innehatte, zu erwähnen sind.

Nach seinem Studium arbeitete Herzl als Journalist und Schriftsteller. Sein 1894 erschienenes Drama Das Neue Ghetto greift die Assimilation der Juden an und übt heftige Kritik an der bürgerlichen jüdischen Gesellschaft. Einen Lösungsvorschlag für die schwierige Situation, in der sich die Wiener Juden aufgrund der antisemitischen Störungen befanden, hatte er bereits ein Jahr zuvor formuliert: Er überlegte, ob nicht ein Massenübertritt zum Katholizismus das Problem beheben könne, musste aber erkennen, dass der rassistisch fundierte Antisemitismus damit nicht beseitigt werden würde.

Einen anderen Weg entwickelte Herzl unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre seit 1894, in der der jüdische Offizier des französischen Generalstabs, Alfred Dreyfus, der Spionage bezichtigt worden war. Herzl, der sich seit 1891 als Korrespondent der WienerNeuen Freien Presse in Paris aufhielt, erlebte die Affäre unmittelbar mit und berichtete darüber, wobei er schon 1892 den französischen Antisemitismus thematisiert hatte. Die Dreyfus-Affäre bestärkte ihn in seiner Sicht, dass die Assimilation gescheitert sei. Im Mai und Juni 1895 versuchte er, den Philanthropen Baron Maurice de Hirsch, der bereits Ansiedlungsprojekte für Juden außerhalb Europas, vor allem in Argentinien, förderte, von der Idee eines jüdischen Staates zu überzeugen. Da er bei ihm keinen Erfolg hatte, wollte Herzl sich an den Baron Rothschild wenden, war aber wiederum erfolglos; diesmal war es ihm noch nicht einmal gelungen, einen persönlichen Kontakt herzustellen. So veröffentlichte er im Jahr 1896 eine Rede, die an Baron Edmond James de Rothschild gerichtet war, unter dem Titel Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. In dieser Schrift machte er konkrete Vorschläge, wie ein solcher Staat, vorzugsweise in Palästina, zu errichten sei.

Dabei stellte sich Herzl vor, dass ein Volk ohne Land in ein Land ohne Volk käme, das heißt, er ignorierte die Tatsache, dass Palästina bereits von Arabern bewohnt wurde. Darin zeigte sich seine typisch europäische Geisteshaltung: Im Zeitalter des Kolonialismus erschien ihm wohl die Vorstellung absurd, man müsse auf die Ansprüche einer alteingesessenen Bevölkerung Rücksicht nehmen.

Die Gründung eines jüdischen Gemeinwesens sollte nicht mit Hilfe der in Palästina ansässigen Bevölkerung erfolgen, sondern durch die Unterstützung der osmanischen Herrscher und der europäischen Großmächte. Für Herzl war es selbstverständlich, dass eine Staatsgründung von oben erfolgen müsse. Die bereits vorhandene und später hinzukommende Bevölkerung hatte lediglich die Aufgabe, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren.

Trotzdem schwebte ihm ein tolerantes Gesellschaftssystem vor, in dem alle Bewohner, Juden und Nichtjuden, ohne Unterdrückung zusammenleben sollten. Herzl setzte auf den Fortschritt, den seiner Meinung nach die massenhafte Ansiedlung europäischer Juden in das Land bringen würde. Mit der Europäisierung Palästinas ginge auch ein Anstieg des materiellen und des geistigen Wohlstands der autochthonen Bevölkerung einher, und dieser positive Effekt würde sie von der Berechtigung eines jüdischen Gemeinwesens überzeugen und dazu führen, dass sie selbst zu einem gleichberechtigten Teil dieses Gemeinwesens würden.

Zum Problem der jüdischen Existenz in Europa heißt es in Der Judenstaat:

»Die Judenfrage besteht. Es wäre töricht, sie zu leugnen. Sie ist ein verschlepptes Stück Mittelalter, mit dem die Kulturvölker auch heute beim besten Willen noch nicht fertig werden konnten. […] Ich halte die Judenfrage weder für eine soziale, noch für eine religiöse, wenn sie sich auch noch so und anders färbt. Sie ist eine nationale Frage, und um sie zu lösen, müssen wir sie vor allem zu einer politischen Weltfrage machen, die im Rate der Kulturvölker zu regeln sein wird.«

»Wir haben überall ehrlich versucht, in der uns umgebenden Volksgemeinschaft unterzugehen und nur den Glauben unserer Väter zu bewahren. Man lässt es nicht zu. […] In unseren Vaterländern, in denen wir ja auch schon seit Jahrhunderten wohnen, werden wir als Fremdlinge ausgeschrieen, oft von solchen, deren Geschlechter noch nicht im Lande waren, als unsere Väter da schon seufzten. Wer der Fremde im Lande ist, das kann die Mehrheit entscheiden; es ist eine Machtfrage, wie alles im Völkerverkehre.«    (Theodor Herzl, Der Judenstaat, 6. Aufl., Köln o.J., S. 9f. und 26f.)

HerzlsJudenstaat wurde unterschiedlich aufgenommen. Gerade in Deutschland und Österreich-Ungarn stieß er auf heftige Kritik, da er den Antisemiten Munition im Kampf gegen die jüdische Präsenz in Europa liefere und somit die Erfolge der Emanzipation und Assimilation gefährde. Diese Kritik führte dazu, dass Herzl seinen Plan, in München einen Kongress über seine Ideen abzuhalten, aufgab und nach Basel auswich. Dort fand dann im August und September 1897 der Erste Zionistische Kongress statt. Es erschienen über 200 Delegierte, die zwar nicht die Wirtschafts- und Bildungselite des Judentums repräsentierten, aber doch aus den gehobenen Schichten stammten. Am Ende des Kongresses stand das Baseler Programm:

»Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina. Zur Erreichung dieses Zieles nimmt der Kongreß folgende Mittel in Aussicht:

Die zweckdienliche Förderung der Besiedlung Palästinas mit jüdischen Ackerbauern, Handwerkern und Gewerbetreibenden.

Die Gliederung und Zusammenfassung der gesamten Judenschaft durch geeignete örtliche und allgemeine Veranstaltungen nach den Landesgesetzen.

Die Stärkung des jüdischen Volksgefühls und Volksbewußtseins.

Vorbereitende Schritte zur Erlangung der Regierungszustimmungen, die nötig sind, um das Ziel des Zionismus zu erreichen.«    (Zit. nach: Arno Ullmann, Hrsg., Israels Weg zum Staat. Von Zion zur parlamentarischen Demokratie, München 1964, S. 127f.)

Diese vagen Beschlüsse stießen in der jüdischen Welt nicht nur auf Zustimmung. Gerade die Idee, die Großmächte für die jüdische Sache zu gewinnen, wurde heftig kritisiert, da viele Juden befürchteten, sich so von diesen Großmächten abhängig zu machen. Dazu kam, dass die Absicht, die Großmächte für sich zu gewinnen, dazu führte, dass sich gerade die Juden Osteuropas daran gehindert sahen, notwendige Verbesserungen ihrer Situation zu fordern, da eine solche Forderung die Ablehnung des Zionismus durch die Regierenden verursachen könnte. Auch die Tatsache, dass Herzl sich so gut wie gar nicht um die jüdische Kultur und die damit verbundene Frage ihrer Erhaltung kümmerte, stieß auf Kritik.

Der Gedanke, sich mit den Großmächten allgemein bezüglich eines jüdischen Gemeinwesens abzustimmen, offenbart auch die allgemeinen europäisch geprägten Vorstellungen, die die ersten Zionisten vertraten. Sie gingen wohl davon aus, dass die europäischen Mächte als Paten genug Druck auf die osmanischen Behörden ausüben würden, um eine Besiedlung zuzulassen. Vorbild dafür könnten die Kapitulationen sein, verschiedene Abkommen, die die europäischen Mächte im 18. und 19. Jahrhundert mit dem Osmanischen Reich abgeschlossen hatten, um ihre Staatsbürger, aber auch christliche Gruppierungen unter ihren Schutz zu stellen. Von diesen Kapitulationen profitierten bereits die Juden, die vor dem Kongress nach Palästina eingewandert waren, da sie in der Regel ihre Staatsbürgerschaft behalten hatten.

So kam es dazu, dass sich auf dem Fünften Zionistenkongress 1901 eine Oppositionsgruppe unter dem Namen Demokratische Fraktion bildete. Ihr gehörten Leute wie Chaim Weizmann (1874–1952, später der erste Staatspräsident Israels) und Martin Buber (1878–1965) an. Diese Gruppe forderte eine stärkere Berücksichtigung der jüdischen Religion und Kultur im Rahmen der zionistischen Aktivitäten und setzte sich zudem für eine Demokratisierung des Kongresses und der Institutionen ein. Zugleich äußerte sie sich kritisch zur Rolle der orthodoxen Juden in der zionistischen Bewegung, da ihre Aktivität zulasten anderer Richtungen der jüdischen Religion ginge. Es wurde schließlich ein Kompromiss erzielt, der zur Gründung von Kulturkomitees führte. Eine weitere Folge des Fünften Zionistenkongresses war, dass sich die orthodoxen Juden, die als Gegner der Demokratischen Fraktion auftraten, im Jahr 1902 ebenfalls als eigene Gruppierung organisierten, die sich den Namen Mizrachi gab.

Auch für Herzl war der Fünfte Zionistenkongress ein Wendepunkt: Hatte er sich zuvor um die Unterstützung des osmanischen Sultans Abdulhamid II. für seine Pläne bemüht, so setzte er nun, nachdem sich diese Hoffnungen zerschlagen hatten, auf die britische Regierung. Im Jahr 1902 legte er in Gesprächen mit dem britischen Außenminister Henry Petty-Fitzmaurice und dem Kolonialminister Joseph Chamberlain Pläne für eine Ansiedlung der Juden in El-Arisch auf der Sinai-Halbinsel vor. 1903 war er sogar bereit, mit den Briten deren Plan zu einer Ansiedlung der Juden in Uganda zu verhandeln. Für die Briten hätte die Ansiedlung europäischer Juden im heutigen Kenia einen wichtigen Schritt zur Europäisierung Ostafrikas bedeutet, der mit der Entwicklung Südafrikas vergleichbar gewesen wäre. Herzl reiste auch nach Russland, um dort über die Zulassung zionistischer Aktivitäten zu reden – mit genau derjenigen Regierung, die für Pogrome an Juden verantwortlich war. Obwohl diese Gespräche kein greifbares Ergebnis hatten, meinte Herzl, einen ersten Schritt zur Verbesserung der jüdischen Situation in Russland getan zu haben.

Auf dem Sechsten Zionistenkongress im August 1903 in Basel stellte er schließlich den Ugandaplan vor. Die Folge war, dass der Plan zwar mit 295 gegen 178 Stimmen angenommen wurde, wobei es 132 Enthaltungen gab, der Beschluss allerdings zu einer Spaltung der zionistischen Bewegung in die Zionisten Zions und die Territorialisten führte. Während die Zionisten Zions auf jeden Fall an der Schaffung eines jüdischen Gemeinwesens in Palästina festhalten wollten, sahen die Territorialisten diese Absicht als vorläufig nicht durchführbar an und forderten deswegen, zunächst eine Ansiedlung an einem anderen Ort anzustreben, um den verfolgten Juden Osteuropas eine Art Asyl bieten zu können.

Der Zionismus nach Herzl

1905

Siebenter Zionistenkongress: Bruch zwischen Zionisten Zions und Territorialisten

1907

Synthese zwischen »praktischem« und »politischem« Zionismus

Auf dem Siebenten Zionistenkongress 1905 in Basel – Theodor Herzl war bereits im Juli 1904 verstorben – kam es zum offenen Bruch zwischen den Zionisten Zions und den Territorialisten, die schließlich die Zionistische Weltorganisation verließen und sich in der Jewish Territorial Organization versammelten. Allerdings versank die JTO bereits nach wenigen Jahren in die Bedeutungslosigkeit. Es gelang ihr nur vereinzelt, Juden in Ostafrika anzusiedeln. Mit der Balfour-Deklaration 1917 hatte sie eigentlich ihre Existenzberechtigung verloren.

Bei den Zionisten Zions, die jetzt den Kongress beherrschten, zeigten sich zwei unterschiedliche Richtungen: zum einen die »politischen« Zionisten, die jegliche Anstrengung zur Besiedlung Palästinas als vergeblich ansahen, solange keine politischen Garantien der wichtigsten Mächte gegeben waren, zum anderen die »praktischen« Zionisten, die die Ansiedlungspolitik ungeachtet des Fehlens von politischen Garantien fortsetzen wollten. Im Lauf des Siebenten Kongresses gelang es den »praktischen« Zionisten, ihre Linie durchzusetzen.

Auf dem Achten Zionistenkongress in Den Haag 1907 erreichte Chaim Weizmann eine Synthese von »praktischem« und »politischem« Zionismus. Zugleich führten die Ereignisse in der Türkei, wo die Bewegung der Jungtürken an die Macht gekommen war und politische Reformen in Aussicht stellte, dazu, dass man sich größere Chancen auf eine Einigung mit der Regierung in Konstantinopel bezüglich einer jüdischen Besiedlung Palästinas ausrechnete. Allerdings blieben alle Hoffnungen der Zionisten auf einen Durchbruch ihrer Pläne bis zum Ersten Weltkrieg unerfüllt.

Die Anfänge der jüdischen Besiedlung Palästinas bis zum Ersten Weltkrieg

1881–1904

Erste Alijah

ab 1882

Gründung neuer Siedlungen

1904–1914

Zweite Alijah

Anders als Herzl