Gespenster - Henrik Ibsen - E-Book

Gespenster E-Book

Henrik Ibsen

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Beschreibung

Die unglückliche Helene Alving, Witwe des verstorbenen Kammerherrn Alving, erhält Besuch von ihrem Sohn Osvald. Dieser lebt als Künstler in Paris. Es kommt zum Eklat, als nach und nach unschöne Wahrheiten ans Licht kommen und die Gespenster der Vergangenheit die Familie heimsuchen. Nicht nur ist Osvald schwer krank, es stellt sich heraus, dass der dahingeschiedene Alving ein Lustmolch war und das Dienstmädchen Regine Osvalds Halbschwester ist. Mit der schonungslosen Darstellung der Selbstzerfleischung einer Familie verursachte Ibsen seinerzeit einen Theaterskandal.

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LUNATA

Gespenster

Ein Familiendrama in drei Akten

Henrik Ibsen

Gespenster

Ein Familiendrama in drei Akten

© 1841 Henrik Ibsen

Originaltitel Gjengangerne

Aus dem Norwegischen von Fritz Albert

Umschlagbild Johann Friedrich August Tischbein

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Personen

Helene Alving, Witwe des Hauptmanns und Kammerherrn Alving

Osvald, ihr Sohn, Maler

Manders, Pastor

Engstrand, Tischler

Regine Engstrand, im Hause der Frau Alving

Das Stück spielt auf Frau Alvings Landgut an einem großen Fjord im westlichen Norwegen.

Erster Akt

Ein geräumiges Gartenzimmer mit einer Tür an der linken Seitenwand und zwei Türen an der Wand rechts. In der Mitte des Zimmers ein runder Tisch mit Stühlen rings herum; auf dem Tische liegen Bücher, Zeitschriften und Zeitungen. Links im Vordergrund ein Fenster; daneben ein kleines Sofa, vor dem ein Nähtisch steht. Im Hintergrunde läuft der Raum in ein offenes, etwas schmaleres Blumenzimmer aus, das nach außen durch Glaswände und große Scheiben geschlossen ist. An der rechten Seitenwand des Blumenzimmers ist eine Tür, die zum Garten hinunterführt. Durch die Glaswand sieht man die Umrisse einer düsteren, in gleichmäßigen Regen getauchten Fjordlandschaft.

Engstrand steht oben an der Gartentür. Sein linkes Bein ist etwas krumm; unter der Stiefelsohle hat er einen Holzklotz. Regine, in der Hand eine leere Gießkanne, verwehrt ihm den Eintritt.

Reginemit gedämpfter Stimme. Was willst Du denn? Rühr' Dich nicht vom Fleck. Du triefst ja von Nässe.

Engstrand. Unseres Herrgotts Regen ist das, mein Kind!

Regine. I, – dem Teufel sein Regen ist's!

Engstrand. Herrjeh, was sind das für Reden, Regine. Hinkt ein paar Schritt ins Zimmer hinein. Aber was ich sagen wollte –

Regine. Stampf' nicht so mit dem Fuß auf, Mensch! Der junge Herr liegt oben und schläft.

Engstrand. Liegt noch und schläft? Am helllichten Tage?

Regine. Was geht das Dich an!

Engstrand. Gestern Abend war ich auf einem Bummel –

Regine. Das glaube ich gern.

Engstrand. Ja, mein Kind, wir Menschen sind nun mal schwach –

Regine. Ja allerdings!

Engstrand. – und der Versuchungen sind so manche auf dieser Welt, siehst Du –; aber, weiß Gott, ich stand doch schon heut früh um halb sechs bei meiner Arbeit.

Regine. Na ja, – aber jetzt mach' nur, daß Du fort kommst. Ich will nicht hier stehen und Rendezvous' mit Dir haben.

Engstrand. Was willst Du nicht haben?

Regine. Ich will nicht haben, daß Dich hier wer trifft. Na also, – nun geh Deiner Wege.

Engstrandkommt einige Schritte näher. I was, ich gehe nicht eher, als bis ich eins mit Dir geredet habe. Heut nachmittag bin ich mit meiner Arbeit unten im Schulhaus fertig, und dann mache ich gleich abends noch, daß ich mit dem Dampfboot nach Hause komme.

Reginemurmelt. Glückliche Reise!

Engstrand. Danke schön, mein Kind. Siehst Du, morgen soll doch das Asyl eingeweiht werden, und da wird's hier wahrscheinlich wieder hoch hergehen mit berauschenden Getränken, siehst Du. Na, und da soll keiner dem Jakob Engstrand nachsagen, daß er nicht fest bleiben kann, wenn die Versuchung kommt.

Regine. Ha!

Engstrand. Denn morgen kommen hier ja doch so viele feine Leute zusammen. Pastor Manders wird doch auch aus der Stadt erwartet.

Regine. Er kommt schon heut.

Engstrand. Siehst Du wohl. Teufel auch, – da will ich ihm doch nicht Grund zu Vorwürfen geben, weißt Du.

Regine. Aha! So steht's also!

Engstrand. Was steht –?

Reginesieht ihn fest an. Mit was willst Du nun schon wieder den Pastor hereinlegen?

Engstrand. Pst! Pst! Du bist wohl nicht recht bei Trost! Ich den Pastor hereinlegen? Ach nein, dazu ist der Pastor viel zu nett gegen mich gewesen. Aber was ich Dir sagen wollte – also, wie gesagt, heut nacht fahre ich also wieder nach Haus.

Regine. Meinen Segen hast Du.

Engstrand. Ja, aber ich will Dich mitnehmen, Regine.

Reginemit offenem Munde. Mich mit –? Was sagst Du da?

Engstrand. Ich will Dich mit nach Hause nehmen, sage ich.

Reginehöhnisch. Da kannst Du lange warten, bis Du mich mitkriegst.

Engstrand. Das werden wir ja sehen.

Regine. Ja, da kannst Du sicher sein, daß wir das sehen werden. Ich, die ich bei der Frau Kammerherr Alving aufgewachsen bin –? Ich, die ich hier beinah bin wie Kind im Hause –? Ich soll zu Dir? In ein solches Haus? Pfui Teufel!

Engstrand. Donnerwetter, was soll das heißen? Du lehnst Dich gegen Deinen Vater auf, Du Gans?

Reginemurmelt, ohne ihn anzusehen. Hast Du nicht oft genug gesagt, ich ginge Dich nichts an?

Engstrand. Ach was, kehr' Dich doch daran nicht –

Regine. Hast Du mich nicht manches liebe Mal ausgeschimpft und gesagt, ich sei ein –? Fi donc!

Engstrand. Nein, wahrhaftigen Gott, ein gemeines Wort habe ich nie gebraucht.

Regine. O! Ich weiß ganz gut, was für ein Wort Du gebraucht hast.

Engstrand. Ja, das war aber doch immer nur, wenn ich einen weg hatte – hm. Der Versuchungen gibt's so manche auf dieser Welt, Regine.

Regine. Uh!

Engstrand. Und dann doch auch immer bloß, wenn Deine Mutter sich dicke tat. Irgend was mußte ich doch haben, mein Kind, womit ich sie ärgerte. Zu allem war sie zu schade. Ahmt nach. »Laß mich, Engstrand! Laß mich in Ruh! Ich habe drei Jahre bei Kammerherrn Alvings auf Rosenvold gedient, – da hab' ich!« Lacht. Gott, o Gott, o Gott! Nie konnte sie vergessen, daß der Hauptmann Kammerherr wurde während ihrer Dienstzeit.

Regine. Arme Mutter; – Du hast sie früh genug zu Tode gequält.

Engstrandrichtet sich auf. Ja, versteht sich; ich muß ja immer an allem schuld sein.

Reginewendet sich ab, halblaut. Uh –! Und dann das Bein!

Engstrand. Was sagst Du, mein Kind?

Regine. Pied de mouton!

Engstrand. Das ist wohl englisch?

Regine. Ja.

Engstrand. Freilich, gelernt hast Du hier draußen was, und das kann uns jetzt zu statten kommen, Regine.

Reginenach kurzer Pause. Was hast Du eigentlich in der Stadt mit mir vor?

Engstrand. Du kannst noch fragen, was ein Vater mit seinem einzigen Kinde vorhat? Bin ich denn nicht ein einsamer und verlassener Witwer?

Regine. Ach, komm mir bloß nicht mit solchem Quatsch. Warum willst Du mich in die Stadt mithaben?

Engstrand. Na, ich will Dir sagen, ich möchte mal was Neues anfangen.

Reginepfeift. Das hast Du schon oft versucht, aber es ist immer schief gegangen.

Engstrand. Ja, aber diesmal sollst Du sehen, Regine! – Der Teufel soll mich holen –

Reginestampft mit dem Fuß auf. Laß die Flucherei!

Engstrand. Na ja! Na ja! Da hast Du weiß Gott recht, mein Kind! Aber was ich sagen wollte: – ich hab' mir bei der Arbeit an dem neuen Asyl ein hübsches Sümmchen auf die hohe Kante gelegt.

Regine. So? Na, das ist ja gut für Dich.

Engstrand. Wofür sollte man auch hier bei den Bauern seine paar Kröten ausgeben?

Regine. Na, und nun?

Engstrand. Ja, sieh mal, nun habe ich die Idee, das Geld in was Lohnendem anzulegen. Ich denke mir so eine Art Wirtschaft für Seeleute –

Regine. Uh!

Engstrand. Eine pikfeine Wirtschaft, weißt Du, nicht solche Schweinebude für Matrosen. Himmeldonnerwetter ja, – Du, es müßte eine Sache für Schiffskapitäne und Steuermänner und – und wirklich feine Kunden sein.

Regine. Und da sollte ich –?

Engstrand. Du müßtest mittun, jawohl. Nur so zum Schein, – das kannst Du Dir wohl denken. Verdammt, Du sollst es nicht schwer haben, mein Kind. Du kriegst es akkrat so, wie Du es haben willst.

Regine. Ja – jawohl!

Engstrand. Aber Frauenzimmer müssen im Haus sein – das ist klar wie der Tag. Denn abends muß es ein bißchen vergnügt hergehen bei Gesang und Tanz und so weiter. Vergiß nicht, es sind Seeleute, die auf dem Weltmeer reisen. Näherkommend. Nu sei nicht dumm, Regine, und steh Dir nicht selbst im Wege. Wie weit kannst Du's denn hier draußen bringen? Was für einen Vorteil hast Du davon, daß die gnädige Frau so viel an Dich gewandt hat? Du sollst ja auf die Rangen passen im neuen Asyl, hör' ich. Ist denn das was für Dich? Bist Du denn gar so versessen darauf, Dich für die dreckigen Rangen tot zu schuften?

Regine. Nein, wenn's nach meinem Wunsche ginge, so –. Na, das kann ja noch kommen. Das kann ja noch kommen!

Engstrand. Was kann noch kommen!

Regine. Nichts, was Dich anginge. – Ist das viel Geld, was Du Dir hier auf die hohe Kante gelegt hast?

Engstrand. Alles in allem mögen es wohl so an sieben-, achthundert Kronen sein.

Regine. Gar nicht so übel.

Engstrand. Für den Anfang wird es schon langen, mein Kind.

Regine. Denkst Du nicht dran, mir von dem Geld etwas abzugeben?

Engstrand. Weiß Gott, nein, daran denke ich nicht.

Regine. Nicht einmal so viel wie 'nen armseligen Stoff zu einem Kleide willst Du mir schicken?

Engstrand. Komm nur mit in die Stadt und bleib bei mir, dann kriegst Du Kleider, so viel Du willst.

Regine. Pah! das könnt' ich auf eigene Faust tun, wenn ich Lust dazu hätte.

Engstrand. Nein, Regine, an eines Vaters leitender Hand geht das besser. Ich kann jetzt ein nettes Haus in der Kleinen Hafengasse haben. Viel bares Geld gehört nicht dazu; und siehst Du, das könnte eine Art Seemannsheim werden.

Regine. Aber ich will nicht zu Dir! Ich habe nichts mit Dir zu schaffen. Geh Deiner Wege!

Engstrand. Hol' mich der Henker, Du würdest nicht lange bei mir bleiben, mein Kind. Ach, leider nicht! Wenn Du Dich zu benehmen verständest. So ein hübsches Mädel wie Du in den letzten Jahren geworden bist –

Regine. Na –?

Engstrand. Es würde gar nicht so lange dauern, und es käme ein Steuermann, – vielleicht sogar ein Kapitän –

Regine. So einen würde ich doch nicht heiraten. Die Seeleute haben kein savoir vivre.

Engstrand. Was haben sie nicht?

Regine. Ich kenne die Seeleute, meine ich. Das sind keine Leute, die man heiratet.

Engstrand. Du brauchst sie ja nicht zu heiraten. Es kann sich ja auch so lohnen. Vertraulicher. Er – der Engländer – der mit der Lustyacht – der gab dreihundert Speziestaler; – und sie, sie war nicht hübscher als Du.

Regineauf ihn zu. Hinaus mit Dir!

Engstrand. Na, na, Du willst doch wohl nicht etwa schlagen.

Regine. Jawohl! Wenn Du so von Mutter sprichst, dann schlage ich zu. Hinaus, sage ich! Drängt ihn nach der Gartentür hin. Und wirf die Türen nicht, der junge Herr Alving –

Engstrand. – schläft, jawohl. Merkwürdig, wie Du um den jungen Herrn Alving besorgt bist. – Leiser. Hoho! Der wird doch wohl nicht gar –?

Regine. Hinaus! Und zwar fix! Du bist verdreht, Mensch! Nein, nicht den Weg. Da kommt Pastor Manders. Die Küchentreppe hinunter mit Dir!

Engstrandnach rechts. Ich gehe ja schon, ja doch. Aber sprich mal mit dem Mann, der da kommt. Der wird Dir schon sagen, was ein Kind seinem Vater schuldig ist. Denn ich bin doch mal Dein Vater, siehst Du. Das kann ich aus dem Kirchenbuch beweisen.

Er geht hinaus durch die zweite Tür, die Regine geöffnet hat und wieder hinter ihm schließt.

Regine sieht hastig in den Spiegel, fächelt sich mit dem Taschentuch und bringt ihre Krawatte in Ordnung; darauf macht sie sich wieder an den Blumen zu schaffen.

Manders im Paletot und mit Regenschirm; er trägt eine kleine Reisetasche an einem Riemen über der Schulter; tritt durch die Gartentür in das Blumenzimmer ein.

Manders. Guten Tag, Jungfer Engstrand.

Reginedreht sich freudig überrascht um. Ei sieh da, Herr Pastor! Guten Tag. Ist das Dampfschiff schon angekommen?

Manders. In diesem Augenblick. Geht ins Gartenzimmer. Das Regenwetter, das wir nun schon tagelang haben, ist doch recht verdrießlich.

Reginefolgt ihm. Für den Landmann ist dies Wetter aber ein wahrer Segen, Herr Pastor.

Manders. Da haben Sie freilich recht. Daran denken wir Stadtleute so wenig. Will den Paletot ausziehen.

Regine. Ach, darf ich helfen? – So – so! Nein, wie naß er ist! Ich will ihn gleich im Vorzimmer aufhängen. Und dann den Regenschirm –; den spanne ich auf, daß er trocknen kann.

Sie geht mit den Sachen durch die zweite Tür rechts ab. Manders nimmt die Reisetasche ab und legt sie und den Hut auf einen Stuhl. Inzwischen kommt Regine wieder herein.

Manders. Ah! Es tut ordentlich gut, unter Dach und Fach zu kommen. Na, hier auf dem Gut ist doch alles wohl?

Regine. Ja, danke sehr.

Manders. Aber tüchtig zu tun gibt es für den morgigen Tag, was?

Regine. Ach ja, wir haben rechtschaffen zu tun.

Manders. Und Frau Alving ist hoffentlich zu Hause?

Regine. Ja natürlich; sie ist nur oben und besorgt die Schokolade für den jungen Herrn. –

Manders. Ja, sagen Sie mal –, ich habe schon unten am Landungsplatz gehört, daß Osvald da sein soll.

Regine. Er ist vorgestern angekommen. Wir hatten ihn erst heut erwartet.

Manders. Und ich will hoffen, frisch und munter?

Regine. Danke schön, das ist er wohl. Aber gräßlich müde von der Reise. Er ist in einer Tour von Paris hergereist –; ich meine, er hat die ganze Route in einem und demselben Train gemacht. Ich glaube, er schläft jetzt ein wenig; deshalb müssen wir wohl ein klein bißchen leise sprechen.

Manders. St! Wir wollen ganz leise sein.

Regine, indem sie einen Lehnstuhl am Tisch zurechtrückt. So, nehmen Sie doch gütigst Platz, Herr Pastor, und machen Sie sich's recht bequem. Er setzt sich; sie schiebt ihm einen Schemel unter die Füße. So –! Sitzen Sie gut so, Herr Pastor?

Manders. Danke, danke, ich sitze ausgezeichnet. Betrachtet sie. Wissen Sie was, Jungfer Engstrand, – ich glaube wirklich, Sie sind gewachsen, seit ich Sie das letzte Mal gesehen habe.

Regine. Finden Sie, Herr Pastor? Die gnädige Frau sagt, ich sei auch voller geworden.

Manders. Voller geworden? Na ja, ein bißchen vielleicht – so wie's sein soll.

Kurze Pause.

Regine. Soll ich vielleicht die gnädige Frau holen?

Manders. Danke, danke, das eilt ja nicht, mein liebes Kind. – Na, nun sagen Sie mir, meine gute Regine, wie geht es Ihrem Vater hier draußen?

Regine