Gespenster-Krimi 123 - Morgan D. Crow - E-Book

Gespenster-Krimi 123 E-Book

Morgan D. Crow

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Beschreibung

Schändliche Gräueltaten erschüttern die Gegend um die beiden miteinander konkurrierenden kleineren Ortschaften Lower Laurel und Upper Laurel. Erst wird ein angesehener Professor regelrecht niedergemetzelt, dann trifft es den Schatzmeister einer Art Geheimbund. Das nahezu Unvorstellbare: Beiden Männern wurde buchstäblich der Kopf abgerissen.
Lady Fitzgibbon und ihr Freund, Professor Harker, der spezialisiert ist auf die Erforschung magisch-religiöser Vorstellungen, ahnen, dass es sich bei diesen Verbrechen kaum um "normale" Morde handeln kann. Und schon bald finden sie heraus, dass es eine Verbindung geben muss zu den Ausgrabungen, an denen Harker zurzeit beteiligt ist. Eine okkulte Sekte, die "Gemeinschaft von Talamh", trieb vor hundert Jahren in dieser Gegend ihr Unwesen, verschwand dann aber spurlos ...


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Inhalt

Cover

Der Dämon von Talamh

Vorschau

Impressum

Der Dämon von Talamh

von Morgan D. Crow

Schändliche Gräueltaten erschüttern die Gegend um die beiden miteinander konkurrierenden kleineren Ortschaften Lower Laurel und Upper Laurel. Erst wird ein angesehener Professor regelrecht niedergemetzelt, dann trifft es den Schatzmeister einer Art Geheimbund. Das nahezu Unvorstellbare: Beiden Männern wurde buchstäblich der Kopf abgerissen.

Lady Fitzgibbon und ihr Freund, Professor Harker, der spezialisiert ist auf die Erforschung magisch-religiöser Vorstellungen, ahnen, dass es sich bei diesen Verbrechen kaum um »normale« Morde handeln kann. Und schon bald finden sie heraus, dass es eine Verbindung geben muss zu den Ausgrabungen, an denen Harker zurzeit beteiligt ist. Eine okkulte Sekte, die »Gemeinschaft von Talamh«, trieb vor hundert Jahren in dieser Gegend ihr Unwesen, verschwand dann aber spurlos ...

Donner grollte über den Dächern, und ein frischer Wind trieb das verfärbte Laub von den Zweigen.

Es war bereits Abend geworden, und Mrs. Jennifer Wallace wollte nur noch einmal nach ihrem Mann sehen, bevor sie sich zurückzog. Es war ein ganz und grausiger Tag gewesen, und nun braute sich auch noch ein Gewitter zusammen.

Mrs. Wallace war müde und abgespannt. Mit einem Brief vom Komitee in der Hand, den sie im Gehen noch einmal rasch überflog, klopfte sie an die Tür des Arbeitszimmers. Arthur war meist noch zwei oder drei Stunden länger auf als sie. Sie würde ihn gewiss nicht stören.

»Arthur, hast du eine Minute?«, fragte sie im Hineingehen – der Rest ihrer Bitte blieb für immer unausgesprochen.

Mrs. Wallace taumelte zurück, kaum, dass sie das Zimmer betreten und von dem Schreiben aufgesehen hatte. Namenloser, weißglühender Schrecken drückte alle Luft aus ihren Lungen. Sie taumelte gegen den Türrahmen und klammerte sich daran fest.

Kalter, regenschwangerer Wind blies ihr durch zerborstene Fensterschreiben entgegen, Splitter und umhergeworfene Papiere bedeckten den edlen, mit Blut getränkten Teppich. Arthurs Körper war von seinem lederbezogenen Stuhl auf den Boden geglitten – sein abgetrennter Kopf lag mit starrem Blick auf dem Tisch.

»Ein Anruf, Ma'am. Professor Harker ist am Apparat.«

Dillinger, der Butler von Lady Eliza Fitzgibbon, deutete eine Verbeugung an und hielt ihr formvollendet die Tür des Salons auf.

Eliza hatte Harkers Anruf bereits erwartet. Er war in der Gegend, hatte aber noch keine Zeit gefunden, sie auf Musgrave Hall zu besuchen. Vielmehr arbeitete er an einer Ausgrabung – nur einige Meilen entfernt –, bei der man um seine Expertise gebeten hatte.

Harker lehrte gewöhnlich in Exeter, spezialisiert auf die Erforschung magisch-religiöser und abergläubischer Vorstellungen von der Antike bis in die heutige Zeit. Fluch-Puppen gehörten ebenso zu seinem Gebiet wie der Glaube an Reliquien, die neue Beurteilung von Hexenprozessen und die Ausgrabung der Skelette von gepfählten Wiedergängern.

Was andere wohlmöglich abgeschreckt oder geängstigt hätte, versetzte Eliza in höchste Aufmerksamkeit und Wissbegierde. Sehr zum Missfallen ihrer Mutter hatte sie sich bereits als Kind für derlei interessiert, war dem Einfluss der besorgten Lady Desmondshire jedoch, zum Glück, längst entwachsen. Ihre innige Freundschaft zu Harker, die bereits seit Kindertagen bestand, machte es ihr leicht, immer neue faszinierende Themen aufzutun und neue Bücher für die riesige Bibliothek von Musgrave Hall auszusuchen.

Sie dankte Dillinger und eilte an ihm vorbei zum Telefon im Gang, neben der großen Haupttreppe. Der schwarz-goldene Hörer lag neben dem Gerät, auf einem ledergebundenen Kalender. Auf dessen Vorderseite war das Jahr eingeprägt: 1926

»Hello!«, begrüßte Eliza ihren engsten Freund überschwänglich.

»Hello«, meldete Harkers Stimme sich am anderen Ende. Es knackte und knisterte in der Leitung, die Verbindung war schlecht. »...Gewitter ... interessant ... überhaupt?«

»Die Leitung ist scheußlich! Harker? Harker, bist du noch da?«

Es knackte abermals, und mit einem Mal brach die Verbindung ab.

Eliza hängte den Hörer ein. Sie wusste nicht, unter welcher Nummer genau sie Harker erreichen konnte. Die Ausgrabung fand irgendwo in der Nähe von Upper Laurel statt, mehr Informationen hatte sie nicht. Man hielt sich noch bedeckt, um mögliche Diebe fernzuhalten.

Sie überlegte, bei welcher Pension sie es einmal versuchen konnte, als es an der Tür läutete. Eliza ging selbst, um zu öffnen. Ihre Schritte klopften gleichmäßig auf dem schwarz-weißen Fliesenmuster der Halle.

Der Boden glänzte, und man konnte in den Reflektionen sogar das Kastanienrot ihres Haares erahnen. Musgrave Hall war die Perle von Griefshire – nicht zuletzt durch Dillingers und Ms. Pennyderns hingebungsvolle Pflege. Nur einen Spaziergang durch die Gärten vom Meer entfernt, thronte Musgrave seit Jahrhunderten auf seinem Hügel. Schön und wacker und voller Geheimnisse.

Dunkle Wolken bedeckten den morgendlichen Himmel, als Eliza die Tür aufzog. Sie wechselte mit dem Boten, der ihr ein Telegramm überreichte, ein paar Worte, dann duckte er sich schon wieder tief auf sein schwarz lackiertes Rad, und fuhr über die lange Auffahrt davon. Eliza fröstelte, hörte wie der Wind um die Giebel heulte. Rasch schloss sie die Tür und öffnete das Telegramm.

Dillinger, der soeben die Halle betreten hatte, registrierte sogleich, dass etwas nicht in Ordnung war, und trat näher. Er war eine makellose Erscheinung, von den polierten Schuhen über seine schwarzen, mit Pomade streng an den Kopf gelegten Haare bis zu seiner kerzengeraden Haltung – und einem unfehlbaren Instinkt für seine Herrin.

»Ma'am?«, fragte er nun.

»Ich ... weiß nicht recht, was diese Nachricht zu bedeuten hat«, gestand Eliza, den Blick noch immer auf das Papier gerichtet. »Es ist von einem alten Freund. Mr. Price. Er schreibt: ›Kommen Sie nach U-Laurel. Ein Mord ist geschehen. Wird Ihr Fall sein.‹«

Dillingers Braue hob sich dezent. Er setzte zu einer Erwiderung an, als abermals das Telefon läutete.

Während er hinüberging, um das Gespräch entgegenzunehmen, las Eliza das Telegramm zum vierten Mal, verstand es dadurch aber auch nicht besser. Gewiss waren ihre Interessen ungewöhnlich, und nicht minder gewiss war Price ein eigenwilliger Mann, doch selbst für ihn war diese Nachricht mehr als rätselhaft.

»Ma'am. Abermals Professor Harker«, meldete Dillinger, und Eliza ging an den Apparat zurück.

»Hello, du«, murmelte sie und drehte das Telegramm vor und zurück. »Ist es jetzt besser?«

»Das hoffe ich«, erwiderte Harker. Tatsächlich war noch immer ein unangenehmes Schnarren in der Leitung zu hören, doch davon abgesehen blieb sie stabil.

»Vielleicht ist es das Gewitter«, sagte Harker. »Es hat vor einer Stunde angefangen und zieht nicht ab. Wie ist es bei euch?«

»Oh ... gut. Ich habe ein merkwürdiges Telegramm von Price bekommen. Er wohnt dort oben, wo du unterwegs bist. In Lower Laurel.« Upper Laurel war der Nachbarort. Zwei kleine Gemeinden, die schon aus lieber Gewohnheit in unverbrüchlichem Clinch miteinander lagen. Eliza krauste die Stirn. »Du erinnerst dich an ihn?«

»Nicht im Augenblick. Wer ist er?«

»Boris Price. Er war ein Filmstar«, sagte Eliza. »Hat hier in England gedreht, aber auch in Deutschland und in den Staaten. Sobald die Bilder laufen konnten, würde ich sagen. Man hat ihn aber auch am Theater gefeiert. Auf der Bühne war er Hamlet, Mephisto, König Lear und ziemlich alles an großen Charakteren, die du dir denken kannst. Im Film hat es ihn dann mehr zum Unheimlichen gezogen. Er hätte fast in ›Das Kabinett des Dr. Caligari‹ gespielt, aber dann war er Fritz Lang doch zu alt. Er muss auf die Achtzig zugehen, hat es aber ziemlich faustdick hinter den Ohren. Ein komischer Kauz. Aber ein Gentleman.«

»Und was schreibt er dir?«, fragte Harker, der sich nur sehr vage erinnerte, Price vor Jahren auf einer Feier begegnet zu sein.

Eliza gab ein humorloses Lachen von sich. »Er sagt, ich soll zu euch hochkommen. Es wäre ein Mord passiert.«

In der Leitung war es still. Eliza glaubte schon, die Verbindung wäre wieder zusammengebrochen, als Harker mit belegter Stimme sagte: »Das ist wahr. Unser Ausgrabungsleiter ist tot.«

Eliza ließ die Hand, in der sie das Telegramm hielt, sinken. »Was? Wie ist das passiert?«

Harker schnaufte. Etwas klickte und raschelte, offenbar versuchte er sich und den Apparat besser vor möglichen Mithörern zu schützen. »Ich habe keine Ahnung, wie Price es wissen kann. Wenn er dir bereits ein Telegramm geschickt hat, muss er hier eine Quelle haben. Professor Wallace ist gestern Abend gefunden worden, von seiner Frau. Wir mussten die Grabung früher abbrechen als geplant, weil ein Unwetter aufzog. Es hat die ganze Nacht über nicht aufgehört, und morgens kam gleich die nächste Front auf. Die Polizei war hier und hat uns befragt. Es muss ein entsetzlicher Anblick gewesen sein ... uns wurde verboten darüber zu sprechen, aber ich nehme an, das kann man damit als gescheitert ansehen.«

»Verboten? Wie meinst du das?«

»So, wie ich es sage. Man hat uns allen eingeschärft, kein Wort zu verlieren. Schon gar nicht der Presse gegenüber. Wilkes war dabei, aber Pringle nicht.«

Eliza nickte. Sie und Harker waren bereits mehr als einmal in ungewöhnliche Situationen geraten, wenn – auf die eine oder andere Weise –, die Objekte ihrer speziellen Interessen sich als äußerst lebendig herausgestellt hatten. Dabei waren sie auch mehrfach der Polizei ihrer Majestät begegnet, namentlich Inspector Pringle und seinem Assistenten Sergeant Wilkes.

Während Eliza Inspector Pringle durchaus schätzte, war Wilkes ihr weniger sympathisch. Er hatte etwas Sauertöpfisches und Misstrauisches an sich. »Er war sicher nicht erfreut, dich zu sehen. Schon wieder.«

Harker lachte. »Wahrscheinlich.«

Ihre letzte Begegnung mit Wilkes und Pringle lag noch nicht lange zurück. Mehrere Morde hatten sich ereignet, wie sich schließlich herausstellte, um an ein großes Erbe zu gelangen, dass den Täter von einer erdrückenden Schuldenlast befreien sollte. Was ihn schließlich aufgehalten hatte, war jedoch weder die Polizei gewesen noch Harkers oder Elizas Zutun, sondern ein alter Familienfluch*.

Mord..., dachte Eliza. Kann Boris das wissen? Woher? Und, wusste er auch von ihren übersinnlichen Verwicklungen?

Harkers und Elizas Beschäftigung mit dem Übersinnlichen war bis vor einigen Monaten nichts weiter gewesen als sein Beruf und ihre Leidenschaft. Bis es begonnen hatte, mehr und mehr den Boden der Theorie zu verlassen, und stattdessen die feste Gestalt von etwas anzunehmen, das sich bewegen, denken und, ja, auch töten, konnte. Als hätte sich irgendwo ein Spalt aufgetan und entließe immer mehr jenseitige Geschöpfe in diese Welt, die es eigentlich gar nicht geben konnte.

Unaufhaltsam.

»Wirst du herkommen?«, fragte Harker.

Eliza antwortete ohne Zögern: »Ja.«

Mit den Ortschaften Upper Laurel und Lower Laurel hatte es eine Besonderheit auf sich: während Upper Laurel im Tal lag, schmiegte Lower Laurel sich an die Flanke eines Berges. Seit Jahrhunderten waren hier Schiefer und Kies gefördert worden, doch die Bergwerke lagen in den letzten Zügen. Die Stätten waren nahezu erschöpft, und man besann sich auf andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen – wobei Upper und Lower Laurel einander eifersüchtig beäugten.

Während Lower Laurel, das oft von Nebel umwölkt und klamm war, wirtschaftlich harte Zeiten erlebte, gelang es den Leuten von Upper Laurel, im Tal, immer wieder Wege aufzutun, mit denen man neuen Wohlstand zu generieren vermochte. Dazu gehörte die Vermarktung lokaler Größen wie einer bekannten, doch längst verstorbenen Autorin, wie Tourismus für Lungenkranke, die in den Wäldern einher spazierten, aber auch die Wiederentdeckung des historischen Erbes der Region.

Man hatte begonnen, Historiker und Archäologen anzulocken, und dabei erste Erfolge erzielt. So erfreute sich ein Steinkreis, etwas abseits des Ortes, wachsender Beliebtheit – gerade auch bei eigentümlichem Volk, das, mit Perlenketten und Kristallen behangen, vor allem zu den Sonnenwenden dorthin kam. Im Kirchenarchiv hatte man außerdem einiges an altem Papierkram aus Zeiten Heinrichs VIII. aufgetan und forschte stetig nach weiteren Quellen, aus denen Einnahmen sprudeln konnten.

Ein steter Strom aus Neugierigen, Vertretern der Presse, Forschern und Hobby-Historikern bevölkerte den Ort und drehte emsig einen Stein nach dem anderen um. Ebbte der Besucherstrom der Neugierigen im Winter ab, behalf man sich zum Beispiel mit Schlittenfahrten für anständig zahlende Gäste, die auf dem Lande die Kälte aussitzen wollten. Der neueste Wurf von Upper Laurel allerdings hatte keines Geistesblitzes bedurft, sondern war wie von selbst gekommen: in Gestalt von Martha Shelbys Hund.

Die Promenadenmischung mit Namen Fox hatte eines Nachmittags, als Martha mit ihm eine Runde drehte, ein paar alte Münzen ausgescharrt sowie die Reste eines Armbandes. Und einen menschlichen Knochen!

Binnen Tagen war festgestellt worden, dass der Knochen – eine Elle, auf die ein Oberarm, ein paar Rippen und schließlich sogar ein zerdrückter Schädel folgten –, bereits recht alt sein musste. Diese Knochen gehörten keinem Menschen, der noch vermisst wurde, sondern einer Frau, die vor rund einhundert Jahren umgekommen war.

Lokale Neugierige und ein zufällig anwesender Archäologe begannen, sich die Gegend genauer anzusehen, in der Fox seinen Fund gemacht hatte. Es handelte sich um eine karge Wiesenlandschaft, ein paar Meilen lang und breit, nord-westlich von Upper Laurel.

Nahe einem eiskalten Bach, zu einer Seite von einer steilen Felswand beschirmt, wäre sie nicht auffälliger als irgendeine andere englische Wiese gewesen – hätten sich nicht hier und dort Unebenheiten unter Gras und Moosen abgezeichnet, die sich als Überreste einer Siedlung herausstellten.

Man munkelte lange schon, dass es dort einmal ein Dorf gegeben haben musste, verbunden mit einem System von Höhlen, das in den Berg hinunterführte. Genaues aber wusste niemand. Die Jungen ohnehin nicht, und die Alten schwiegen sich aus. Man misstraute dem Ort regelrecht, als vermutete man unter der friedlichen grünen Oberfläche etwas, das besser unangetastet blieb.

»Und, Wallace hat die Leitung bekommen?« Eliza stand neben Harker und ihrem Rolls Royce ›Phantom‹ vor dem Postamt von Upper Laurel. Wind zerrte in Böen an ihren Kleidern und dem langen Mantel. Dunkle Wolken, grau wie Schiefer, hingen tief über den Dächern.

»Ja«, sagte Harker. Sein heller Anzug zeichnete sich fast grell gegen das Grau der Häuser und Straßen ab. Dichtes, tiefschwarzes Haar ringelte sich unter seinem Hut hervor, den er mit einer Hand festhielt. »Wallace ist hier am Ort ansässig gewesen. Eigentlich schon im Ruhestand, aber wirklich aufgehört zu arbeiten hat er nie. Seine Frau kümmert sich um verschiedene humanitäre Komitees, unter anderem für die Veteranen. Und er hat sich von zuhause aus weiter mit seinen Forschungen beschäftigt.«

Eliza sah sich um. Die Straßen und Gassen waren leer. Außer dem ›Phantom‹, in dem Dillinger sie hergebracht hatte, war kein anderes Fahrzeug und auch kein Fußgänger zu sehen. Der Ort wirkte wie ausgestorben. Sie legte den Kopf in den Nacken um die Figur zu betrachten, die mitten auf dem Marktplatz auf einer Säule stand. Eine in Stein gehauene Frau, die ein Schild vor der Brust trug und ein Schwert über ihren Kopf hielt.

»Königin Boudicca?«, fragte Eliza.

Harker verneinte. »Aber fast. Eine lokale Königin, die, ähnlich wie Boudicca, gegen die Römer gezogen ist. Allerdings weniger erfolgreich. Sie wurde nach der ersten Schlacht schon besiegt. Nicht allerdings, ohne zwei Legionen Römer mitzunehmen. Legende, wenn du mich fragst.«

»Und Wallace?«, fragte Eliza. »Was ist mit ihm passiert?«

Harker verzog das Gesicht. »Die Polizei hält sich bedeckt«, sagte er. »Ich kann dir nicht sagen, wie er umgekommen ist. Seine Frau war jedenfalls nicht ansprechbar. Die Polizei hat uns viele Fragen gestellt. Dem gesamten Grabungsteam, den Assistenten, den Hausangestellten ... praktisch jedem. Sie haben sich besonders dafür interessiert, ob Wallace sich jemals auf Schwarzmarktgeschäfte eingelassen hat, oder ob es ungewöhnliche Besucher bei den Grabungen gab.«

»Hat er?«

Harker stieß ein trockenes, humorloses Auflachen aus. »Nein, sicher nicht. Wallace war ein aufrechter und ehrlicher Mann. Er hat für die Forschung gelebt und hätte niemals Funde an private Sammler verkauft.«

Erste Regentropfen fielen, und Harker ging mit Eliza zurück zum Wagen. Dillinger hielt ihnen die Türen auf und quittierte Elizas Anweisung, als nächstes zu Boris Price zu fahren, mit einem knappen; »Jawohl, Ma'am.«

Kaum saßen sie auf der dunkel gepolsterten Rückbank, als die Schleusen des Himmels sich auftaten. Schwere Regentropfen, durchmischt mit feinkörnigem Hagel, prasselten herab. Harker nahm den Hut ab und fuhr sich durch das Haar.

»Ich habe das Gefühl, dich beschäftigen diese Befragungen«, sagte Eliza.

Harker nickte. »Allerdings«, sagte er nur.

Mit eingeschalteten Scheinwerfern bahnte der ›Phantom‹ sich seinen Weg durch Upper Laurel, und steuerte das schwarzgraue Bergmassiv an, an dessen Flanken Lower Laurel nistete. Donner grollte, in der Ferne zuckten Blitze.

Boris Price' Haus gehörte zu den größten und eindrucksvollsten des Ortes. Man konnte es nicht übersehen, obwohl es ein wenig außerhalb errichtet worden war. Es saß auf einer Klippe, unter der es kein Meer gab, sondern Wiesen, lichte Wälder, und eine ausgezeichnete Sicht über die beiden zerstrittenen Dörfer.

Folgte man der Hauptstraße, die beide Orte zur Gänze durchquerte und miteinander verband, sah man das Haus, einem Krähennest gleich, vor den schroffen, tannenbewachsenen Wänden der Berge hocken. Seine verschwommenen Lichter schwebten wie losgelöst in der Dunkelheit.