Gespenster-Krimi 145 - Morgan D. Crow - E-Book

Gespenster-Krimi 145 E-Book

Morgan D. Crow

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein neuer Fall für die bezaubernde Eliza Lady Fitzgibbon und ihren Partner in crime Professor Harker: Während eines fröhlichen Sommerfestes werden die beiden von einer verängstigten jungen Frau angesprochen, die sich Linnet nennt. Angeblich wohnt sie in einem Spukhaus, in dem Tote grausame Dinge tun.
Linnet bittet Eliza und Harker um Hilfe, und die sind bereit, sich die Phänomene anzusehen. South Marsh House wurde auf einer winzigen Felseninsel vor Chiddingly-on-Sea errichtet und steht seit Langem in Verruf. Der letzte bekannte Besitzer, Dr. Russel, ist erst vor wenigen Monaten bei einem äußerst seltsamen Unfall ums Leben gekommen ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 137

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Geister, die in Wänden lauern

Vorschau

Impressum

Geister, die inWänden lauern

Von Morgan D. Crow

Ein neuer Fall für die bezaubernde Eliza Lady Fitzgibbon und ihren Partner in Crime Professor Harker: Während eines fröhlichen Sommerfestes werden die beiden von einer völlig verängstigten jungen Frau angesprochen, die sich Linnet nennt. Angeblich wohnt sie in einem Spukhaus, in dem Tote grausame Dinge tun.

Linnet bittet Eliza und Harker um Hilfe, und die sind bereit, sich die unheimlichen Phänomene anzusehen. South Marsh House wurde auf einer Felseninsel vor Chiddingly-on-Sea errichtet und steht seit Langem in Verruf. Der letzte bekannte Besitzer, Dr. Russel, ist erst vor wenigen Monaten bei einem äußerst seltsamen Unfall ums Leben gekommen ...

Die junge Frau hatte verstanden, dass dies das Ende war. Sie würde das Haus nicht mehr verlassen. Es gab allerlei in diesem fremden Zimmer, aber nichts, was ihr dabei helfen würde, zu entkommen.

Es war sinnlos. Mit stoßartigen Atemzügen und allmählich verschwimmendem Blick sah sie sich um. Zum hundertsten Mal. Sie hatte in ihrer Panik und ihrem Zorn eine Lampe zerschlagen, Bücher aus den Regalen gerissen – geschrien, bis ihre Kehle regelrecht brannte.

Aber es war vorbei. Es gab keinen Weg. Die fein gearbeitete Tür glänzte geradezu höhnisch im fahlen Licht der zweiten, kleineren Lampe auf dem Tisch. Sie glaubte, dahinter das Lauern zu spüren. Das Warten. Worauf warten eigentlich? Würde man sich nicht die Mühe machen, sie mit eigener Hand umzubringen, sondern sie allmählich verhungern lassen?

Sie schluckte. Hielt sich an dem einen letzten Gedanken fest, der noch in ihr war. Wenn sie schon sterben musste, dann würde sie etwas hinterlassen. Irgendetwas, irgendein Zeichen, dass sie hier gewesen war. Vielleicht würde es wenigstens dazu beitragen, dass die Polizei ...

Sie erstarrte. Jemand machte sich am Türschloss zu schaffen. Hitze durchströmte sie. Gleißender Schrecken. Verdammt-verdammt-verdammt!

Hektisch wich sie zurück, schob einen Stuhl zwischen sich und die Tür – eine lächerliche Barriere, die niemanden aufhalten würde. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie kaum greifen konnte. Sie hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden.

Da streifte ihr Blick die Handtasche, die sie vorhin so verzweifelt durch den Raum geschleudert hatte. Das war es! Sie stürzte auf den ledernen Beutel zu und riss ihn auf, suchte mit eiskalten Fingern nach dem kleinen Stenoblock und dem Bleistift. Sie kritzelte so schnell wie noch nie in ihrem Leben, beinahe mit angehaltenem Atem, um die verschlungenen kleinen Zeichen nicht zu unleserlich zu machen.

Das Schloss schnappte. Ihr Puls raste so wild, dass ihr übel wurde. Alles drehte sich in ihrem Kopf.

Hastig stopfte sie den kleinen Zettel in sein Versteck, warf Block und Stift neben die offene Tasche und presste sich mit dem Rücken an die kalte Wand.

Die Tür schwang langsam auf. Ihr Herz hämmerte in der Brust. Dies war das Ende. Sie würde nie wieder an Tante Myras herrlichen Beeten vorübergehen und von der dicken Katze begrüßt werden. Nie wieder in Dr. Millers Büro sitzen und seine elendig langweiligen Reden niederschreiben. Nie wieder bei Mum in dem kleinen, viktorianischen Teezimmer sitzen und mit ihr über Alles und Nichts reden. Nie wieder von einer Schiffsreise träumen, für die sie eigentlich zu feige war.

Das war das Ende.

Es knallte ohrenbetäubend. Ein Schwall Konfetti ergoss sich in die warme Luft. Applaus brandete auf. Nur Cloud, die soeben prämierte Kuh, fand all dies ganz und gar nicht zum Jubeln. Sie keilte aus und brachte Bürgermeister Bloomwright zu Fall. Gelächter mischte sich in den Applaus, dicht gefolgt von entsetzten Schreien, als Cloud sich vollends losriss und über die Festwiese davongaloppierte.

Ein paar Männer und Kinder rannten Cloud hinterher, während das Komitee zur Wahl der besten Milchkuh 1926 dem schnauzbärtigen Bürgermeister auf die Beine half.

»Alles gut!«, verkündete Bloomwright etwas kurzatmig. Stroh und Erde hafteten an seiner Kleidung, sein kompakter kleiner Hut war davongerollt wie ein Reifen. Der Bürgermeister hielt sich mit verzerrtem Gesicht die Seite, an der Cloud ihn getroffen hatte.

»Sie sollten mit Dr. Cutler sprechen«, schlug Lady Fitzgibbon vor, die als Schirmherrin am Fest teilnahm und nun mithalf, den Angeschlagenen zur Bühne zu bringen, damit er sich setzen konnte.

»Sprechen hilft da auch nichts«, versetzte Bloomwright in der typischen Weise eines Menschen, der sich noch mit abgesägtem Bein und Malaria geweigert hätte, auch nur in die Nähe einer Praxis zu gehen.

Lady Fitzgibbon schüttelte den Kopf.

Freunde und Kollegen versorgten den Bürgermeister mit einem Schnaps auf den Schreck, und das Fest ging weiter. Nun war es an der Zeit, die beste Muttersau des Jahres zu küren.

Lady Fitzgibbon ging zurück in den Schatten. Es war ein ausnehmend heißer Tag, und ihre helle Haut kribbelte bereits von der Sonne. In den meisten Festkomitees war sie mit ihren rund dreißig Jahren das jüngste Mitglied, und gewöhnlich machte es ihr nichts aus. Sie verstand sich gut mit ihren Nachbarn und besaß die Geduld, auch die sturköpfigsten Auseinandersetzungen über Blumenschmuck, gepflegte Vorgärten und die Kunst des Marmeladekochens zu entschieden.

Doch manchmal ... manchmal kostete es sie Haltung, dem ein oder anderen nicht deutlich die Meinung zu geigen. Vor allem, wenn der Tag heiß war und sie sich seit Stunden die Beine in den Bauch stand.

Das Fest immerhin war ein Erfolg. Die Leute feierten und vergnügten sich, und bis auf eilends davongaloppierende Kühe gab es keine besonderen Vorfälle.

An den vielen Zelten und Pavillons auf dem Anger von Goodman's Land wurde eifrig Kuchen verkauft, auf Kokosnüsse geworfen oder am Glücksrad gedreht. Kinder rannten kreischend über die Wiese zwischen dem Stand der Kirchengemeinde und dem Zelt des Roten Kreuzes. Sie wollten die Punch and Judy-Vorstellung nicht verpassen.

Ein Stück entfernt, wo eben noch Cloud Fersengeld gegeben hatte, saßen ein paar Veteranen des Großen Krieges beisammen und unterhielten sich im Schatten einer Kastanie. Lady Fitzgibbon hob die Hand und winkte ihnen zu. Die Männer grüßten sie herzlich zurück.

Da kam Mrs Tillerby, die Pensionswirtin von Goodman's Land auf sie zu gehuscht, an der Leine Angus, ihren Schoßhund.

»Hallo, Madam«, hauchte sie außer Atem. »Haben Sie John Seymor gesehen? Man kann den Jungen nicht aus den Augen lassen ... Er hatte versprochen, beim Aufbau zu helfen! Für die ›Lebendigen Bilder‹ heute Abend, wissen Sie?«

»Ja, ich weiß, Mrs Tillerby. Vorhin habe ich gesehen, wie er zum Golden Gibbet ging, er ...«

»Der Pub!«, versetzte Mrs Tillerby, offenkundig in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt. »Diese Jugend ... Immer muss man hinter ihnen her sein. Wie unzuverlässig! Ich werde dem jungen Mann schon auf die Beine helfen.«

Kaum war Mrs Tillby – unter dramatischem Seufzen – abgezogen, kam die nächste gespornte und geharnischte Dame auf Lady Fitzgibbon zu: Marla Henson. Eine Art Unikum von Goodman's Land, die niemand jemals arbeiten oder etwas Nützliches hatte tun sehen; die sich jedoch sehr darauf verstand, furchtbar beschäftigt und wichtig zu wirken.

Sie kam über die Wiese marschiert, als habe sie eine neue Verfassung des Vereinten Königreiches zu verkünden. Da rief eine warme Männerstimme nach Lady Fitzgibbon: »Eliza!«

Sie drehte sich auf dem Absatz um und entdeckte ihren besten Freund, Professor Harker, neben dem Löschwasserbecken. Kurzentschlossen ging sie auf ihn zu, packte ihn am Arm und zog ihn auf und davon.

»Hallo«, sagte er ein wenig überrumpelt. »Au. Autsch, Eliza ... – Sind wir auf der Flucht?«

»Scht!«, machte sie, eisern den Gästen zulächelnd, an denen vorbei sie sich ihren Weg bahnte. »Rette mich, Harker! Die unvermeidliche Marla hat mich entdeckt.«

Wohlwissend beschleunigte Harker seine Schritte, und schon im nächsten Moment tauchten sie zwischen zwei weiteren Zelten hindurch und waren verschwunden.

Im Schatten der Allee, die zu Dorfplatz und Pub führte, waren große Heuballen aufgestapelt. Später am Abend würde man sie als Sitzgelegenheiten brauchen sowie für den Bogenschießwettbewerb der Jugendlichen. Doch im Moment waren sie ungenutzt und eine perfekte Mauer gegen die Blicke allzu energischer Mitmenschen.

Eliza ließ sich ins Heu fallen, und ihr Sommerkleid bauschte sich wie eine Blüte um sie. Sie war erschöpft, und ihre Wangen schimmerten lebhaft.

»Rettung in letzter Sekunde!«

»Ist es so schlimm?«, fragte Harker schmunzelnd und ließ sich neben ihr nieder. Das Jackett seines hellen Anzugs hatte er bis eben noch über der Schulter getragen und nun zusammen mit dem breitkrempigen Hut neben sich abgelegt. Wildes, tiefschwarzes Haar fiel ihm in die Stirn.

»Schlimmer«, keuchte Eliza. Sie lachte auf und wedelte sich mit ihrem Strohhut Luft zu. Das kastanienrote Haar war säuberlich zu einem Chignon-Knoten in ihrem Nacken zusammengefasst. »Sie sind alle aus dem Häuschen, und das ist wunderbar«, sagte sie, »aber manchmal glaube ich, die Hitze steigt ihnen zu Kopf. Ich brauche eine Pause.«

»Ich hörte, euch ist eine Kuh ausgerissen.«

»Auch. Vor allem kommen bei solchen Gelegenheiten alle möglichen furchtbar wichtigen Menschen aus ihren Verstecken gekrochen und belagern dich. Ich helfe gern jedem, das weißt du, und ich höre gern zu: Aber nicht bei achtundzwanzig Grad im Schatten. Ich habe heute schon das Leid des Pfarrers gehört, der unbedingt ein schöneres Taufbecken will; das Klagen der Lehrerinnen, die finden, Charles sollte ihnen mehr Ausflüge mit den Kindern finanzieren; die aufgelöste Mrs Tillerby, die offenbar dem Glauben verfallen ist, das Fest würde sich in Luft auflösen, wenn sie nicht alle Fäden in der Hand hat, und ... «

Eliza stockte. Sie zog die Stirn kraus und setzte sich gerader hin. Harker folgte ihrem Blick und entdeckte eine Frau, ein ganzes Stück entfernt, die allein auf einer Bank neben der Straße saß. Sie las nicht, tat gar nichts. Saß nur da und schaute ins Nichts.

»Wer ist das?«, fragte er.

Eliza warf ihm einen Seitenblick zu.

»Du kennst hier wohl gar keinen Menschen mehr, oder? – Das ist Jenny Styles. Die früher den kleinen Laden am Ridgeway hatte. Ihre Tochter ist verschwunden.«

Unwillkürlich zog Harker scharf die Luft ein. Es war noch nicht sehr lange her, dass sie beide in Fälle von verschwundenen Menschen verwickelt worden waren, die auch Eliza in höchste Gefahr brachten.* Zum wiederholten Male hatte das Unheimliche Einzug in ihr Leben gehalten.

»Es ist nicht wie in Marsden«, beruhigte Eliza ihren Freund. »Elizabeth hat auf eine Stellenausschreibung reagiert. Aber sie kam nicht wieder.«

Eliza nahm Harker beim Handgelenk und zog ihn in die Höhe. Ihr war nicht wohl dabei, die trauernde Mutter aus der Ferne zu beobachten. Also schlugen sie den Weg zum Strand ein. Auch dort wurde gefeiert, doch ruhiger als auf dem Anger und erfrischt von der Brise des Ärmelkanals.

»Es war eigentlich ganz harmlos«, sagte Eliza, an Harkers Arm eingehakt. »Jemand suchte eine Schreibkraft für eine ältere Dame, nur ein paar Meilen von hier. Elizabeth antwortete darauf und wurde eingeladen. Sie hat da drüben auf der Bank auf den Bus gewartet. Wo ihre Mum jetzt sitzt und jeden Tag auf sie wartet.«

Auf der Bank hatte Mrs Styles ihre Tochter das letzte Mal gesehen. Es war ein sonniger, milder Tag gewesen. Die Wiesen dampften noch vom nächtlichen Regen, und die Schwalben zischten laut schwatzend durch die Luft. Elizabeth tauchte nie wieder auf.

»Die Polizei hat nach ihr gesucht. Aber die Adresse, die man ihr gegeben hatte, war falsch. Es gibt dort nichts. Nur ein verlassenes Ladengeschäft, das seit Jahren keinem mehr gehört. Die Zeitungsmitarbeiter konnten nichts zu der Person sagen, die das Inserat aufgegeben hat. Es kam wohl schriftlich an.«

»Woher weißt du das alles?«, fragte Harker, mit einem unguten Gefühl in der Magengegend. Ihre Begegnungen mit dem Unheimlichen hatten nicht nur einen gewissen Jagdinstinkt in Eliza wachgerufen, sondern sie auch mit nicht unbedingt angenehmen Menschen zusammengebracht; wobei Eliza gegen manche von ihnen wesentlich weniger Bedenken hegte als Harker. Vor allem gegen einen bestimmten.

»Keine schwarzen Kanäle, Harker«, beruhigte Eliza ihn, seine Gedanken ahnend. »Dorfklatsch. Du unterschätzt vollkommen die Nachrichtenkanäle auf dem englischen Land. Bei euch in Exeter ist man vielleicht auf die Zeitung angewiesen; bei uns herrscht noch das Hecken-Telegramm.«

Und dies besonders zuverlässig, wenn man Baroness und die Herrin von Musgrave Hall war. Was es an Neuigkeiten in und um Goodman's Land gab, fand höchst gewissenhaft seinen Weg ins Herrenhaus. Ob es nun der Milchmann war, der ein paar Worte zu sagen hatte, der Gärtner oder ein vorbeischauender Dorfbewohner, der auf ein Schwätzchen vorbeischaute. Was über diese Leitungen nicht an Elizas Ohr drang, fand gewiss seinen Weg über die vielen Komitees, in denen sie saß. Vor allem, wenn etwas so Schreckliches passierte wie das Verschwinden von Elizabeth Styles.

Eliza und Harker schlenderten weiter die von Bäumen beschattete Straße herunter und bogen schließlich auf die Abzweigung zum Strand ein. Bereits von hier aus hörte man das Gedudel von Musik und Stimmengewirr. Der Duft von Zuckerwatte mischte sich mit dem würzig-blumigen Aroma blühender Gärten und dem Salz des Meeres. Das große Golfhotel hatte seine Terrasse für die Festbesucher geöffnet, servierte Eis und gekühlte Früchtetorte und schickte allenthalben Greenkeeper aus, um die ärgsten Schäden vom Fairway abzuhalten.

»Das war nicht alles, oder?«, fragte Harker, der Elizas Schweigen richtig deutete.

Sie atmete tief durch.

»Elizabeth ist nicht die Einzige«, sagte sie. »Aus zwei Nachbarorten sind auch Leute vermisst gemeldet worden. Zwei junge Männer und eine Frau. Aber nicht nur von hier.«

Im ganzen letzten Halbjahr war es zu beinahe doppelt so vielen Vermisstenanzeigen bei der Polizei gekommen wie im gesamten Vorjahr. Die ganze Küste auf und ab, zwischen der Isle of Wight und Eastbourne. Anders als bei anderen Vermisstenfällen, bei denen ein Großteil der Leute von selbst wieder auftauchte und keinerlei Verbrechen vorlagen, waren diese Menschen jedoch verschwunden geblieben.

»Es gibt nur eine Gemeinsamkeit: Sie alle haben entweder auf Inserate reagiert oder sind auf dem Weg irgendwohin verschwunden. Einer fuhr zu einem Besuch; man fand seinen Wagen auf der Straße, aber von ihm fehlte jede Spur. Keine Anzeichen eines Kampfes, nichts. Auch kein Blut, kein Diebstahl. Er hatte einen Koffer mit Uhren im Wagen, er war Vertreter. Die lagen noch da. Am Wagen fiel nur auf, dass die Vorderreifen beschädigt waren, er hatte wohl eine Panne. Eine der Frauen verschwand, als sie mit dem Rad durch die Dünen zu einem Arzttermin fuhr. Das Fahrrad fand man nach zwei Tagen – sie nicht. Alles solide Leute, von denen keiner glaubt, dass sie einfach weglaufen. Es ergibt keinen Sinn.«

Harker verzog in einer Mischung aus Anerkennung und belustigter Empörung das Gesicht.

»Woher weißt du das alles?«

Eliza lächelte, doch in ihrem Lächeln lag etwas, das Harker nicht gefiel und die Heiterkeit aus seiner Miene weichen ließ.

»Schwarze Kanäle, Harker. Diesmal wirklich.«

Der Nachmittag wurde drückend. Vom Meer her saugte die Luft sich mit Feuchtigkeit voll, und ein grauer Streif am Horizont verriet, dass sich ein Unwetter zusammenbraute. Doch noch ging es ausgelassen zu, und niemand dachte daran, das Fest zu verlassen.

Eliza und Harker hatten es sich auf der Terrasse des Hotels unter einem großen Sonnenschirm bequem gemacht. Immer wieder wurde ihr Gespräch von Gästen unterbrochen, die Eliza begrüßten, ein paar Worte mit ihr wechselten oder sich darüber erstaunten, Harker zu treffen. Seit er Professor in Exeter war und seine Ausgrabungen und Untersuchungen ihn kreuz und quer über die Inseln und den Kontinent führten, war er ein rarer Anblick geworden. Erst seit einigen Monaten besuchte er seine alte Heimat wieder regelmäßig. Grund genug, ihn ein wenig unter die Lupe zu nehmen, sobald er sich zeigte.

Mit zunehmender Schwüle wurde es ruhiger. Sogar den meisten Kindern ging die Energie aus, und so saß das halbe Dorf da und schleckte Eis.

Als ein älterer Mann mit Krückstock und faltenreicher Stirn vorbeischlurfte, zog Eliza heimlich eine Grimasse. Harker hob die Brauen.

»Mr Richards«, raunte sie. »Sein Lebensinhalt ist der Bau wirklich erstaunlicher Miniaturen – und Zank mit den Nachbarn anzufangen.«

Harker grinste und trank einen Schluck Eistee, doch Eliza lehnte sich zu ihm und fuhr fort: »Lach nicht, Harker, der Mann ist eine Landplage. Er hat Mr und Mrs Hastings derart genervt, weil er sich aus seiner Stube hängte und seine Weisheiten in ihr Küchenfenster rüber krähte, dass Mr Hastings es kurzerhand zugemauert hat.«

Harker prustete, und Eliza nickte bekräftigend. Nach einem Moment glitt Harkers Blick in die Ferne, ins Unbestimmte. Eliza kannte diesen Ausdruck gut. Er bedeutete, dass Harker nach Perlen tauchen ging.

»Wie Reverend Bull«, sinnierte er und kehrte in das Jetzt zurück. »Hast du davon gehört? Der Spuk in der Borley Rectory?«

Elizas Aufmerksamkeit war sofort geweckt. Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch und sah Harker mit großen Augen an.

»Erzähl! Ich weiß nur etwas von einer Geisternonne.«

Harker brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen. Er verschwand sozusagen noch einmal in den Archiven in seinem Inneren.