Gespenster-Krimi 131 - Morgan D. Crow - E-Book

Gespenster-Krimi 131 E-Book

Morgan D. Crow

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Beschreibung

Ein gespenstisches Ungeheuer versetzt London in Angst und Schrecken. Aus dem Hinterhalt fällt es Menschen an, schlachtet einige buchstäblich ab und verletzt andere lebensgefährlich. Das Monster hat eine ungewöhnlich große Gestalt, mit scharfen Messern versehene Klauen, eine wie aus Pappmachee modellierte Fratze mit einer spitzen, schnabelartigen Nase, einen schmalen Mund, aus dem Flammen schießen, und es besitzt die Fähigkeit, mit riesigen Sprüngen über Dächer zu entkommen.
Einiges an dieser Kreatur erinnert die geschockte Bevölkerung an Spring Heeled Jack, der von 1836 an mehr als sechzig Jahre lang sein Unwesen trieb. Wer auch immer dieses Monster ist, es wird immer aggressiver und metzelt immer mehr Menschen nieder ...


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Inhalt

Cover

Die Klauenhände von Milchester

Vorschau

Impressum

Die Klauenhändevon Milchester

Neuer Grusel aus Musgrave Hall

Von Morgan D. Crow

Ein gespenstisches Ungeheuer versetzt London in Angst und Schrecken. Aus dem Hinterhalt fällt es Menschen an, schlachtet einige buchstäblich ab und verletzt andere lebensgefährlich. Das Monster hat eine ungewöhnlich große Gestalt, mit scharfen Messern versehene Klauen, eine wie aus Pappmachee modellierte Fratze mit einer spitzen, schnabelartigen Nase, einen schmalen Mund, aus dem Flammen schießen, und es besitzt die Fähigkeit, mit riesigen Sprüngen über Dächer zu entkommen.

Einiges an dieser Kreatur erinnert die geschockte Bevölkerung an Spring Heeled Jack, der von 1836 an mehr als sechzig Jahre lang sein Unwesen trieb. Wer auch immer dieses Monster ist, es wird immer aggressiver und metzelt immer mehr Menschen nieder ...

Noch war kein Tropfen gefallen, doch selbst über den Gestank der Schornsteine hinweg roch man es: Ein Sturm zog auf. Die feine Note des nahenden Regens lag süßlich unter der Schwere der sommerlichen Stadtluft. Im Westen war der Sternenhimmel bereits zugedeckt von schwärzlichen Wolken. Das Unwetter kam näher.

Mrs Holston zog das Dreieckstuch enger um ihre Schultern und ging ein wenig schneller. Sie hasste es, so spät am Abend heimzugehen. In der Straße, in der sie lebte, gab es nur wenige Laternen. Man konnte gut und gerne an sechs oder sieben Hauseingängen vorbeigehen, bis man wieder ins Licht trat.

Ein Geräusch ließ sie wie angewurzelt stehen bleiben. Gewöhnlich war sie nicht derart schreckhaft, doch irgendetwas lag in der Luft. Nicht nur der Regen, nicht nur der erste Donner, der über die Fabriken am Fluss hinwegrollte. Irgendetwas war über Mrs Holston gekommen, sobald sie die Ushers Lane betreten hatte. Weg von der geschäftigen Bulls Row, mit Läden und Pubs – hinein in die lange schwarze Enge zwischen den Arbeiterhäusern.

Sie drehte sich einmal um sich selbst. Hinter kaum einem Fenster war Licht. Die Kegel der Laternen, wie Inseln an den Seiten der Ushers Lane entlang, waren leer. Nur Insekten tanzten im Lichtschein. Kopfsteinpflaster glänzte matt. Und doch beschleunigte sich ihr Puls. Und doch kroch etwas ihren Rücken hinauf und flüsterte ihr zu, dass sie sich beeilen müsse.

Mrs Holston zog die Schultern hoch und eilte weiter auf die Nummer 35 zu, wo sie mit ihrer Schwester und deren Familie lebte. So späte Schichten würde sie sich nie wieder geben lassen. Keine Arbeitszeiten mehr, die sie nach Einbruch der Dunkelheit hier hindurchschickten.

Wieder glaubte sie, ein Geräusch zu hören. War sie das selbst? Klapperte etwas in ihrer Tasche und hielt sie zum Narren? Oder war es ein Tier? Ja, vielleicht ein Tier. Ein Marder oder so etwas. Was war das? Ein Knacken? Nein, ein Klicken vielleicht, ein ...

Mrs Holston beschleunigte nochmals ihre Schritte, rannte nun beinahe. Wenn ihr Mann erst wieder zu Hause wäre, richtig zu Hause, dann würden sie wegziehen. Nur weg aus dieser ...

Sie stoppte ihre Schritte so jäh, dass sie gegen die nächste Laterne stolperte. Ihr Herz jagte in ihrer Brust. Hastig sah sie sich nach allen Seiten um.

Da war es wieder gewesen. Ein – ja, jetzt erkannte sie es! – ein metallischer Laut. Wie zwei Klingen, die gegeneinander rieben. Ihr wurde flau. Die Kühle des Abends stach in ihre Augen, sie blinzelte, drückte ihren Rücken gegen den Laternenmast.

Irgendjemand war hier. Ganz in der Nähe. Doch in der Dunkelheit zwischen den Inseln aus Licht war es einfach, sich zu verstecken. Man konnte ganze Brauereikutschen darin verschwinden lassen.

Mit einer Gewissheit, die sich anfühlte wie klamme, unerwünschte Hände, die nach ihr griffen, erkannte Mrs Holston, dass jemand sie beobachtete. Sie musste an die Zeitungsartikel denken, die sie gelesen hatte, und an die Scherze, die die anderen Frauen darüber gemacht hatten. Sie hatten die Sache ins Lächerliche gezogen, um die eigene Angst zu überwinden.

Da! Am Rande eines der Lichtkegel meinte Mrs Holston etwas zu erblicken. Ein fahles Oval, das ein Gesicht sein mochte, doch nicht nah genug kam, um menschliche Züge erkennen zu lassen. Es blieb dort, an der Grenze zwischen Hell und Dunkel, und wartete.

Mrs Holston begann zu zittern. Du kriegst mich nicht, dachte sie.

Jane Holston hatte nicht den Krieg und die harte Arbeit, die Trennung von ihrem Mann und all das Leid überstanden, um sich in einer dunklen Straße aufschlitzen zu lassen. Sie hatte sich nicht kaputtgearbeitet und immer neue Entbehrungen hingenommen, die Zähne zusammengebissen, um so zu enden. Ganz sicher nicht.

Schreien würde nichts bringen. Die Leute in der Ushers Lane waren entweder zur Nachtschicht unterwegs oder lagen müde vom Tag in den Betten. Bis jemand wach genug wäre, um zu ihr zu kommen, wäre alles vorbei.

Sie sah auf die nächste Tür und erspähte die Nummer 29. Weit war es nicht mehr.

Das Oval starrte sie noch immer an. Reglos. Lauernd.

War es vorher nicht an der anderen Laterne gewesen? Neben der Tonne, wo Beth wohnte?

Etwas blitzte auf, und jede weitere Überlegung zerbarst in tausend Stücke. Ein Messer. Er hatte ein Messer.

Jane Holston rannte um ihr Leben.

Sie zerrte im vollen Lauf am Verschluss ihrer Tasche. Sie musste den Haustürschlüssel finden. Marge schlief wahrscheinlich schon. Sie wäre nie und nimmer rechtzeitig unten. Und die eingemieteten Männer? Keine Zeit zum Denken.

Schritte folgten ihr. Eilig, in einem befremdlichen Rhythmus, der Schauer über ihren Rücken schickte. Janes Augen tränten. Sie knickte um, fühlte einen heißen Schmerz ihr Bein hinaufjagen. Mit knirschenden Zähnen hastete sie weiter, strauchelte, ertastete endlich den Schlüssel. Jeder Schritt jagte Schmerzen ihr Bein hinauf. Tzsch, tzsch machte es hinter ihr. Tzsch, Tzsch – geschliffenes Metall gegen Metall. Es kam immer näher. Da. Die Nummer 35.

Mrs Jane Holston prallte gegen die Haustür. Sicherheit.

Etwas packte sie mit einer Kraft, die ihr den Atem aus den Lungen trieb, und zerrte sie zurück auf die Straße.

Sie schlug hart auf dem Boden auf, direkt mit dem Kinn auf einen Stein. Zähne splitterten, Blut quoll hervor. Doch es war nichts im Vergleich zu den Schmerzen, die ihr in die Schulter fuhren.

Der Angreifer kniete auf Jane Holstons Rücken und trieb ihr die Klingen ins Fleisch. Sie schrie. Zuerst war es nur ein panisches Stöhnen, doch dann schrie sie aus Leibeskräften. Sie strampelte, griff nach hinten und bekam ein Bein zu fassen.

Jähes Grauen fuhr durch sie hindurch. Was immer dieses Ding war, es war kein Mensch. Es fühlte sich leblos an, falsch. Falsch in jeder Hinsicht. Janes Verstand überschlug sich. Das Biest griff sie, drehte sie herum und zog sie an den Haaren in die Höhe.

Ein Sturm aus blauen Flammen schlug ihr entgegen.

Dann verlor sie die Besinnung.

Eliza Lady Fitzgibbon, die Herrin von Musgrave Hall, saß an jenem Morgen allein bei Tisch und studierte die Zeitungen. Ihr Butler Dillinger hatte die verschiedenen Blätter so platziert, dass sie das Frühstück nicht störten, dabei aber doch bequem gelesen werden konnten.

Es war ein alltägliches Ritual, das Eliza sehr genoss. Oft saß sie, in die Meldungen vertieft, da, noch lange nachdem Dillinger das Geschirr wieder abgeräumt hatte. Sie las die großen Zeitungen wie die kleinen Lokalblätter und hatte auch begonnen, Ausgaben mit interessanten Begebenheiten aufzubewahren. Man wusste nie, wann man auf sie zurückkommen würde. Vor allem dann, wenn das Ungewöhnliche so häufig die eigenen Wege kreuzte.

An jenem Morgen zog Eliza vor allem ein Bericht über einen Angriff an, der sich in Milchester, der Hauptstadt der Grafschaft, ereignet hatte. Ein junger Mann war überfallen worden, als er einen abendlichen Botengang erledigt hatte, und dabei schwer verletzt worden. Es war sein Glück, dass mehrere Fabrikarbeiter gerade auf dem Weg zu ihrer Schicht gewesen waren, als es passiert war. Wahrscheinlich hatte ihr Auftauchen sein Leben gerettet, der Täter war jedoch entkommen.

Noch in der gleichen Nacht hatte sich ein zweiter Angriff ereignet, bei dem eine Frau verwundet worden war, die gerade auf dem Weg nach Hause gewesen war. Laut dem Artikel hatte sie schwere Wunden an den Schultern und der Brust davongetragen und war kaum ansprechbar gewesen, als man sie ins Krankenhaus gebracht hatte.

Beide Vorfälle schrieb man demselben Täter zu, der seit etwa einem Monat in Milchester umging.

Lady Fitzgibbon lehnte sich zurück und trank bedächtig einen Schluck Tee. Sie konnte nicht genau bestimmen was es war, doch diese Fälle zogen sie an. Etwas war daran, das ihren Instinkt aufleben ließ, ohne dass sie bewusst festmachen konnte, woran es lag. Vielleicht war es ihr »Monsterverstand«, wie ein Freund es einmal ausgedrückt hatte. Denn Eliza verstand sich tatsächlich auf Monster. Und meist bekam denselben eine Begegnung mit ihr nicht sonderlich gut.

Eliza stellte die Tasse ab und legte die Zeitung auf einen der anderen Stühle. Sie zog sich ein anderes Blatt, die »Shire Gazette«, heran und schlug es auf. Gleich auf der Titelseite sprang ihr eine Notiz ins Auge.

»Geisterhafter Fassadenkletterer – Gin oder Sportsmann?«, las sie halblaut die Überschrift.

Der kurze Artikel handelte von einer Gruppe von drei Frauen und zwei Männern, die am Abend des vergangenen Montags eine unheimliche Beobachtung gemacht haben wollten. In Barnes Upon Maple, einem Vorort von Milchester, wollten sie einen Mann gesehen haben, der eine etwa dreißig Fuß hohe Mauer ohne ersichtliche Hilfen überwunden hatte. Er sei daran emporgestiegen wie eine Eidechse, und weiter unten hieß es dann, er sei in zwei Sätzen hinaufgesprungen.

Nun fragte die »Shire Gazette«, ob es sich dabei um einen besonders geschickten Kletterer handeln mochte oder doch um einen geisterhaften Unhold. Oder den übermäßigen Genuss von Gin.

Ein Halbsatz erregte Elizas Aufmerksamkeit.

... wie unlängst in Chester Court, stand dort zu lesen. Ein geisterhafter Unhold wie unlängst in Chester Court.

Hatte sie etwas übersehen? Gut möglich. In der vergangenen Woche war Eliza sehr eingespannt gewesen. Die Lady von Musgrave Hall war äußerst tüchtig engagiert im nahen Dorf, Goodman's Land, saß in diversen Komitees, half aus, arbeitete im Veteranenverband mit und war auch sonst ein gern gesehener und um Rat gefragter Gast.

Mit ihren kaum dreißig Jahren besaß Eliza das Vertrauen und die Anerkennung ihrer Nachbarn, als führte sie das Herrenhaus bereits ein ganzes Leben lang. Ein Spuk in Chester Court? Sie grübelte. Das wäre ihr doch aufgefallen.

Die Tür des Salons ging auf, und Dillinger kam herein. Er deutete eine Verbeugung an, wobei sein pechschwarzes Haar seidig glänzte. Dillinger war von bedrückender Perfektion, in allem, was er tat, und seiner ganzen Erscheinung.

»Ma'am, Telefon für Sie. Es ist Mr Graham.«

Augenblicklich verwandelte Elizas nachdenkliche Miene sich zu einem hellen Lächeln.

»Danke, Dillinger. Ich bin auf dem Weg.«

Eliza erhob sich und eilte beschwingt zum Telefon, das im getäfelten Gang zwischen Halle und Bibliothek installiert war. Tobias Graham war, wenn man so wollte, ein Bekannter. Erfolgreicher Geschäftsmann, ehemaliger Offizier – und Berufskrimineller. Sie waren einander in der Vergangenheit mehrmals begegnet und hatten rasch eine Sympathie füreinander entdeckt.

Graham war Eliza auch mehrmals sehr behilflich gewesen, wenn ihre eigenen Möglichkeiten sich erschöpft hatten. Durch sein Wissen, seine Möglichkeiten und auch durch seine Kaltblütigkeit. Eine Eigenschaft, die ihn mit Eliza verband, auch wenn man sie ihr nicht zutraute. Sie war nicht sicher, was für eine Art Geschäfte er neben seinen legalen Unternehmungen betrieb, doch sie vertraute ihm.

Eliza nahm den Hörer auf und meldete sich.

»Hallo, Mr Graham. Wie nett, von Ihnen zu hören.«

»Lady Fitzgibbon, die Freude ist ganz meinerseits. Wenn auch der Anlass zu wünschen übrig lässt.«

»Ist etwas vorgefallen?«, fragte sie und runzelte die Stirn.

»Lesen Sie regelmäßig die Zeitungen?«, fragte Graham.

Eliza begann unbewusst, ihren Ehering zu drehen. Sir Henry war vor mehr als drei Jahren gestorben, doch sie trug ihn immer noch.

»Sicher«, erwiderte sie. Das gleiche unbestimmbare Gefühl wie vor Minuten stieg in ihr empor. Noch bevor Grahams sonore Stimme wieder erklang, wusste sie, warum er sie anrief. Warum er das erste Mal ihre Hilfe suchte statt umgekehrt.

»Dann haben Sie sicher von den Angriffen in Milchester gelesen, nicht wahr?«

Ein Ruck ging durch Elizas Körper. Es stimmte also.

»Ja«, sagte sie. »Eine Frau und ein junger Mann. Letzte Nacht? Ich habe es eben gelesen. Warum?«

»Sie ist tot«, erklärte Graham.

Eliza starrte die Täfelung an. Etwas Kaltes überlief sie. Wie eine Ahnung. Ein gebrochener Damm.

»Wieso sagen Sie das ausgerechnet mir?«, fragte sie.

Graham antwortete nicht sofort. Er war ein methodischer Mann. Nie unüberlegt. Nie impulsiv. Was auch immer in der Stadt vorging, der Gedanke, Eliza anzurufen, musste ihn länger schon beschäftigt haben. War der Tod dieser Frau der letzte Auslöser gewesen, der ihn überzeugt hatte?

»Ich würde Ihnen gern mehr über die Angriffe erzählen«, sagte er schließlich. »Ich glaube, Ihre Erfahrung mit ... mit schwer Erklärbarem könnte uns weiterhelfen. Wenn Sie einverstanden sind.«

Eliza musste nicht lange darüber nachdenken. Sie nickte und straffte sich.

»Sicher. Kommen Sie zu mir heraus. Oder soll ich zu Ihnen kommen? Wenn Sie erlauben, würde ich Harker mitbringen.«

»Natürlich. Kommen Sie ruhig zu mir«, sagte Graham und nannte ihr die Adresse. Sie einigten sich auf den kommenden Freitag und verabschiedeten sich.

Gleich als Nächstes ließ Eliza sich mit der Universität von Exeter verbinden. Ihr bester Freund, Professor Harker, lehrte dort sein Spezialgebiet: die Geschichte des Aberglaubens und traditioneller magischer Vorstellungen. Sein spezielles Wissen würde ihnen hoffentlich auch dieses Mal einen Vorteil bringen.

Zwei Tage darauf, am Freitagvormittag, fuhr ein schwarzer Ford Modell T vor Musgrave Hall vor. Harker parkte den Wagen ein paar Meter von den Eingangsstufen entfernt, wohl wissend, dass Dillinger in ein paar Minuten den exquisiten nebelgrauen Rolls Royce vorfahren würde, um ihn und Eliza nach Milchester bringen.

Recht wohl war Harker nicht, wenn er an Graham dachte. Dieser stille, stoisch ruhige Mann mit den eisblauen Augen war ein Gentleman und hatte Eliza von Anfang an wie selbstverständlich geschützt, wenn eine Situation brenzlig geworden war, doch Harker behagte er nicht.

Graham war Teil einer Halbwelt, die eigene Regeln schrieb und ihre Interessen zur Not mit Gewalt durchsetzte. Sich mit ihm einzulassen, das bedeutete, bedenklich nah an den Rand dieser Welt zu geraten.

Dillinger empfing Harker an der Tür und führte ihn über das Schachbrettmuster der Halle zur Bibliothek von Musgrave Hall. Reflexartig strich Harker sich seinen hellen, dreireihigen Anzug glatt, der immer ein wenig knittrig aussah, und nahm den Hut ab. Sein wildes schwarzes Haar quoll hervor und fiel ihm ins Gesicht. Nicht selten wurde er für einen Studenten gehalten statt für ein Mitglied des Lehrkörpers.

Auch im penibel gepflegten, weitläufigen Herrenhaus wirkte er immer ein wenig, als habe er sich in der Tür geirrt – bis zu dem Zeitpunkt, wenn er zu sprechen begann. Seine sonore Stimme und sein Wissen ließen Äußerlichkeiten schnell vergessen. Harker vermochte es, seine Zuhörer mühelos zu fesseln.

Dillinger öffnete die schwere Tür der Bibliothek. Von der Terrasse her, auf die man durch gläserne Flügeltüren gelangte, wehte ihm und Harker ein frischer Zug entgegen.

»Ma'am. Professor Harker«, meldete Dillinger und zog sich nach einer knappen Verbeugung zurück.

Eliza stand inmitten des tanzsaalgroßen Raumes über einen langen Tisch gebeugt. Sie strahlte, als ihr alter Freund hereinkam, und ging ihm mit ausgestreckten Armen entgegen.

»Harker! Schön, dass du da bist!« Eliza begrüßte ihn mit einer herzlichen Umarmung und ließ ihn auch nicht los, als sie ihn zum Tisch hinüberführte. »Komm, ich habe schon ein bisschen vorgearbeitet«, sagte sie. »Noch ist alles allerdings etwas konfus. Da ist ein Muster, aber ich kann es nicht richtig erkennen.«

Auf dem spiegelnd polierten Tisch waren allerlei Zeitungen ausgebreitet, in denen einzelne Artikel farbig umrandet waren. Harker überflog die Überschriften.

Unfall auf der Landstraße nach Chester Court – vier Verletzte.