Gewürze aus dem Alten Rom - Günther Thüry - E-Book

Gewürze aus dem Alten Rom E-Book

Günther Thüry

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Beschreibung

Eine Frage des guten Geschmacks Es ist Mode geworden, nach Rezepten der römischen Antike zu kochen. Wer sich darauf einlassen möchte, muss aber das Geheimnis dieser 2.000 Jahre alten Küche kennen: den besonderen Umgang mit den Gewürzen. Gewürze und ihre sehr spezielle Verwendungsweise waren auch damals schon die Krönung eines besonderen Gerichtes und zeichneten Koch und Gastgeber als kulinarische Kenner aus. Der Autor Günther Thüry führt den Leser umfassend in die römische Küche und deren Geschichte ein. Die Gewürze werden dabei nicht nur vorgestellt, anhand ausgesuchter Rezepte wird auch ihre Anwendung erklärt. Nachkochen und Nachbacken sind bestens empfohlen! Johannes Walter berichtet als Botaniker und in diesem Fall Archäobotaniker über die Würzpflanzen, ihre Inhaltsstoffe und deren Eigenschaften. Dieses Werk ist eine völlige Neubearbeitung des 1997 unter dem Titel „Condimenta. Gewürzpflanzen in Koch- und Backrezepten aus der römischen Antike“ erschienenen Buches. Es hat innerhalb weniger Jahre vier Auflagen erlebt, international Beachtung gefunden und darf als Standardwerk in diesem Bereich betrachtet werden. Kulinarische „Ars vivendi“ der Antike in ihrer reinsten und schönsten Form.

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Günther E. Thüry – Johannes Walter

GEWÜRZE AUS DEM ALTEN ROM

DAS GEHEIMNIS DER RÖMISCHEN KÜCHE

176 Seiten mit 62 Abbildungen

Einband: Entwurf Hans Jürgen Wiehr unter Verwendung von Bildern aus J. J. [von] Plenck, Icones plantarum medicinalium, Teil 1–5 (Wien 1788–1792), passim

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2017 by Nünnerich-Asmus Verlag & Media GmbH, Mainz am Rhein

ISBN 978-3-961760-41-1

Gestaltung Einband: Addvice, Mainz, Hans Jürgen Wiehr

Lektorat: Verena Caspers, Anna Avrutina

Gestaltung: Bild1Druck GmbH, Berlin

Druck: Beltz, Bad Langensalza

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten.

Printed by Nünnerich-Asmus Verlag & Media GmbH

Weitere Titel aus unserem Verlagsprogramm finden Sie unter: www.na-verlag.de

INHALT

VORWORT

DIE RÖMISCHE KÜCHE: VON REIZ UND NUTZEN DES THEMAS

Römisches Kochen: eine Mode

Römische Küche: ein lohnendes Thema?

ABER: WAS IST „RÖMISCHE KÜCHE“?

Eine Küche wandelt ihr Gesicht. Veränderungen im Lauf der Geschichte

Rettich für die Armen. Gesellschaftliche Unterschiede

Küchenkrieg und Küchenfrieden. Kulinarische Gemeinsamkeit und regionale Tradition

Die „römische Küche“ im Sinn dieses Buches

UND WIE WÜRZT MAN „RÖMISCH“? DAS „GEHEIMNIS“ DER ANTIKEN KÖCHE

Zahlreich, kräftig, gegensätzlich: eine Charakteristik römischer Würzstoffe

Süßen ohne Zucker: die Süßstoffe der römischen Küche

Flüssigsalz mit Fischgeschmack: Salz in der römischen Küche

Nahrungsfette als Würzstoff

RÖMISCHE GEWÜRZPFLANZEN. EINE AUSWAHL

Zwanzig Pflanzen – oder: die Qual der Wahl

Die Pflanzen im Spiegel der antiken Quellen

BOTANISCHE BETRACHTUNG DER AUSGEWÄHLTEN GEWÜRZPFLANZEN

Was Pflanzen zu Gewürzen macht

Die ausgewählten Pflanzen aus der Sicht der Botanik

BEISPIELE RÖMISCHER BACK- UND KOCHREZEPTE

ANHANG

Anmerkungen

Literaturhinweise zu antiken Kochbüchern

Literaturabkürzungen

Bildnachweis

Register der Pflanzennamen und Würzstoffe

VORWORT

Es ist gerade 20 Jahre her, dass in Wien das Büchlein Condimenta. Gewürzpflanzen in Koch- und Backrezepten aus der römischen Antike erschien. Es war das Ergebnis der interdisziplinären Zusammenarbeit eines Altertumswissenschaftlers (Günther E. Thüry) und eines Botanikers (Johannes Walter). Das Büchlein hat innerhalb von fünf Jahren nicht weniger als vier Auflagen erlebt und hat beim fachlichen wie nichtfachlichen Publikum ein weites Echo gefunden.

Da das Werkchen inzwischen vergriffen und der Verlag, der es herausgab, aufgelöst ist, entstand der Gedanke einer erweiterten und erstmals auch farbig bebilderten Neubearbeitung. Beim Nünnerich-Asmus-Verlag stieß dieses Projekt auf sofortige Zustimmung und großes Interesse. Dafür möchten die Autoren herzlich danken.

Ihr Dank gilt aber auch dem Leiter des Wiener Botanischen Gartens, Herrn Prof. Dr. Michael Kiehn, der einst die Entstehung des Vorgänger-Buches Condimenta angeregt und ermöglicht hat; und außerdem allen, die in langen Jahren der Auseinandersetzung mit dem Thema wertvolle Anregungen beigesteuert haben.

Günther E. Thüry und Johannes Walter

Wien, im Frühjahr 2017

DIE RÖMISCHE KÜCHE: VON REIZ UND NUTZEN DES THEMAS

G. E. THÜRY

Abb. 1 Vorbereitungen zum Gastmahl: Blumenschmuck wird beschafft; und Zutaten werden in den Kochkessel geschüttet. Meleager-Sarkophag, 2. Jh. n. Chr. Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig.

Um die Zukunft der Bildung kann man sich heute berechtigte Sorgen machen. Das, was sich „historische Bildung“ nennen ließe, ist da keine Ausnahme. Aber es gibt doch auch einen Trost. Sieht man sich in der aktuellen Bildungsszene um, so ist überdeutlich, dass Archäologie und Geschichte eine überwältigende Menge von Menschen faszinieren. Ein gewaltiges Angebot an Ausstellungen zu archäologisch-historischen Themen, an Museen und Archäologischen Parks, an einschlägigen Veranstaltungen, Filmen und Druckveröffentlichungen findet Interessenten und konkurriert um Publikumsrekorde. Dabei nähert sich dieses Publikum von heute nicht nur durch Sehen, Hören und Lesen der Vergangenheit, sondern es möchte immer häufiger auch selbst in die Kleidung der Menschen von früher schlüpfen und ihre alltäglichen Handlungen, ihr alltägliches Leben nachvollziehen.

In den vergangenen 40 Jahren hat sich diese Zugangsweise zur Vergangenheit zu einem Massenphänomen entwickelt. Eine ständig wachsende Zahl von Vereinen wirbt um Mitglieder, die sich in ihrer Freizeit etwa in Landser des Zweiten Weltkriegs, Landsknechte, Ritter oder römische Legionäre verwandeln. Diese sogenannte Lebendige Geschichte ist zum üblichen Bestandteil archäologisch-historischer Festveranstaltungen geworden. So gibt es auch kein großes Römerfest mehr, das ohne mehr oder weniger verwegene Mannsbilder in römischer Uniform oder nachempfundene Amphitheater- oder Zirkusszene auskäme.

Keine Frage: Dieses Inszenieren von Geschichte hat einen großen Reiz; und wenn es seriös betrieben wird, kann es auch der Wissenschaft neue Erkenntnisse vermitteln. Der Reiz besteht darin, Eindrücke von und Erfahrungen mit dem Leben der Vergangenheit zu sammeln, wie sie eben nur möglich sind, wenn man historische Kleidung trägt, mit historischen Geräten ausgerüstet ist und sich unter anderen Personen befindet, die ebenso gekleidet und ausgerüstet sind. Was es für ein Gefühl ist, beispielsweise beinfrei eine römische tunica zu tragen, das lässt sich nicht lesen oder sehen, das lässt sich nur erleben. Wie es ist, in Schlachtordnung auszurücken und eine Salve von Geschossen zu werfen, das lässt sich ebenso wenig nur einfach schildern oder zeigen. Und was den Nutzen für die Wissenschaft betrifft: für sie fallen dabei dann neue Erkenntnisse ab, wenn man etwa Objekte der Vergangenheit exakt rekonstruiert und im Experiment erforscht, wie man sie handhabt und welche Eigenschaften sie haben. So wissen wir nur durch sogenannte archäologische Experimente, welche Durchschlagskraft zum Beispiel römische Geschosse oder welche Lebensdauer die Nägel auf römischen Schuhsohlen hatten.

Das Problem ist bei alledem nur, dass die Teilnehmer historischer Kostümfeste durch ihr Aussehen und Handeln zwar ein Bild der Vergangenheit vermitteln, das dann womöglich auch als wahrheitsgetreu verstanden wird; aber Mängel des Forschungsstandes, unzureichendes Wissen oder großzügiger Umgang mit Fakten führen nur allzu oft zu mitunter grotesken Fehlern dieses Bildes. Eine bedenkliche Verzerrung der historischen Verhältnisse ist zum Beispiel, dass eine entschiedene Vorliebe der Anhänger der Lebendigen Geschichte für Militär und für Kampfsport diese Seiten des römischen Lebens überbetont und so dazu beiträgt, dass ein uraltes und in der Forschung inzwischen fast überwundenes Vorurteil gegenüber den Römern weiter fortlebt: das Vorurteil nämlich, „der“ Römer sei ein martialischer, ein unmusischer Mensch gewesen, dessen Hauptbeschäftigung in Kampf und Gewalt bestanden habe. Wie alle Vorurteile, ist das falsch und versperrt den Zugang zu wirklichem Verständnis.

RÖMISCHES KOCHEN: EINE MODE

Bedenklich wird es aber oft auch, wenn Aktivisten der Lebendigen Geschichte ein anderes ihrer Lieblingsthemen in Angriff nehmen: nämlich wenn sie zum Kochlöffel greifen, um so zu backen, zu kochen und zu essen wie beispielsweise die alten Römer. Dieses „römische Kochen“ ist – nach einer langen Zeit der Skepsis gegenüber der Nachkochbarkeit antiker Gerichte und nach bescheidenen Anfängen um die Mitte des vergangenen Jhs. – inzwischen zu einer wahren Mode geworden. Nicht nur, dass es zum Programm von Festen in Archäologischen Parks, Museen und Schulen gehört. Viel mehr als das: Spezielle Produkte römischer Küche kann man heute schon im Versandhandel erwerben; Gasthäuser, Cateringdienste und selbst ein bayerischer Ausflugsdampfer kochen nach erhaltenen antiken Rezepten; der Komponist Jan Novák hat einige davon sogar vertont; es gibt allenthalben Ausstellungen, Vorträge, Kurse und Lehrveranstaltungen zum Thema. Auch die Zahl der Bücher und Filme, die sich damit beschäftigen, wächst ständig und hat längst die Hundert überschritten; und die Zahl der einschlägigen Einträge im Internet ist inzwischen sechsstellig.1

Um aber auf dem Gebiet der antiken römischen Küche gut und erfolgreich zu sein, bedarf es einiger Vorkenntnisse; und das heißt: Es bedarf einer zumindest gewissen Schulung oder eines sorgfältigen eigenen Einarbeitens. Daher ist beim Kochen und Essen nach Römerart die Gefahr besonders groß, dass es sich nur um reinen Klamauk und nicht um eine halbwegs authentische Rekonstruktion der antiken Realität handelt. Tatsächlich wird denn auch vieles als antike „römische Küche“ bezeichnet und angeboten, was in Wirklichkeit wenig oder nichts damit zu tun hat. Die Gründe dafür sind verschieden: Unkenntnis gehört dazu; ein unbesorgt-unwissenschaftlicher Umgang mit den Fakten und dem Recherchieren; das selbstherrliche Kreieren von Produktvarianten, bei denen das Originalrezept nur als Vorlage für freie „Variationen eines Themas“ gedient hat; und die Verwendung der Bezeichnung „römisch“ aus bloßem Marketinginteresse. Von den Blüten, die dieses Unwesen treibt, sei hier nur das Beispiel eines neueren deutschen Schulbuchs erwähnt, das den Kindern – zur Auflockerung des Geschichtsunterrichts – ein Rezept für einen angeblich römischen Cocktail mit Grapefruitsaft und mit einer am Rand klemmenden Zitronenscheibe empfiehlt. „Dieses würzige Getränk“, heißt es dazu, „durfte bei keiner römischen Abendgesellschaft fehlen“.2 Tatsache ist aber, dass es in Rom weder dieses Getränk gab; noch überhaupt die Grapefruit; noch – soweit uns bekannt ist – Cocktails mit Zitronenscheiben am Rand.

Da also ernsthaftes römisches Kochen bestimmte Kenntnisse voraussetzt und da in so vielen Fällen Ergebnisse angeboten und Behauptungen gewagt werden, die einer Überprüfung nicht standhalten, scheint eine Einführung in Grundlagen der römischen Küche nützlich. Die Mühe, die es machen mag, sich Grundkenntnisse zu erwerben und römische Gerichte möglichst authentisch zuzubereiten, sollte die Freude des Kochens und Essens nicht mindern.

Zu erproben, wie das Ergebnis seriös betriebener küchengeschichtlicher Experimente ausfällt, hat einen Hauch von Abenteuer an sich. Es ist ja faszinierend, dass uns eine große Zahl erhaltener antiker Koch- und Backrezepte in die Lage versetzt, zu schmecken und zugleich zu riechen, was einst die Römer gerochen und geschmeckt haben. Die Erzeugnisse ihrer Köche und Bäcker waren zwar (von nicht mehr genießbaren Speisefunden abgesehen) Augenblicksgebilde; wir können sie aber durch Befolgen der Rezepte wieder zum Leben erwecken.

Diese Wiederbelebung der römischen Küche ist nicht nur historisch interessant. Sie lohnt die Mühe auch kulinarisch. Allerdings: die Küche, die wir so kennenlernen, wirkt entschieden fremd auf uns. Aber Interesse an kulinarischer Exotik liegt ja im Trend der Zeit; und die Erkenntnis der Fremdheit bedeutet eine gar nicht unwichtige Erfahrung. Gewiss ist sich der Kenner der Geschichte manchmal viel zu sicher, „seine“ Antike gut zu kennen. Wir sollten uns hier dankbar verunsichern lassen und besser in den Blick bekommen, dass uns das Altertum nicht nur sehr nah, sondern zugleich doch auch sehr fremd ist.

Wenn wir uns auf die römische Küche einlassen wollen, dann müssen wir sie also in ihrer Fremdartigkeit akzeptieren und dürfen nicht etwa beginnen – wie das manche tun – aus den erhaltenen Rezepten die uns exotisch scheinenden Details zu streichen oder ungewohnte Zutaten durch gewohnte zu ersetzen. Das Ergebnis dieser Zensur wären angeblich antike, aber ihres wahren Charakters beraubte Gerichte.

RÖMISCHE KÜCHE: EIN LOHNENDES THEMA?

Alexis Soyer (Abb. 2), einer der renommiertesten Köche seiner Zeit, hat 1853 ein umfangreiches und bis heute interessantes Buch über antike Ernährung veröffentlicht. Er leitet es mit den Sätzen ein: „Dank der Eindrücke, die wir als Schuljungen gewinnen, präsentieren sich Rom und Athen unserer Vorstellung stets unter Waffenlärm, Siegesgebrüll oder dem Geschrei von Plebejern, die den Volkstribunen umdrängen ... Doch – schließlich können weder Heroen noch Soldaten noch das Volk stets nur auf dem Kriegspfad sein; sie können nicht ständig den Dolch gezogen haben wegen irgendeiner Open-air-Wahl; der Applaus für einen geschickten und mutigen Tierkampf währt nicht ewig; Gefangene mag man, zum Vergnügen, in der Arena erstechen, doch nur eine Weile lang. Davon unabhängig gibt es noch das Heim, die Häuslichkeit, die Prosa des Lebens, wenn Sie so wollen; nein, lassen Sie uns gleich sagen: es gibt auch die Beschäftigung damit, sich am Leben zu erhalten – also die Beschäftigung mit Essen und Trinken.“3

Kein Zweifel, dass Soyers Plädoyer für ein nicht zu einseitiges Bild der Vergangenheit berechtigt ist. Kein Zweifel freilich auch, dass sich die Einseitigkeit, die er angreift, nicht allein dadurch beheben ließe, dass man den Themenkatalog historischer Betrachtung um den Gegenstand der Ernährungsgeschichte erweitert. Das häusliche Leben einer Zeit (Soyers Prosa des Lebens) lässt sich ja nicht nur auf Essen und Trinken reduzieren; vieles Weitere, wie etwa Wohnung oder Kleidung, aber auch Liebe oder Kindererziehung kommt hinzu. Andere Seiten der Vergangenheit gehören dagegen weder speziell in die Kategorie des öffentlichen noch in die des privaten Lebens; so zum Beispiel der Stoff der Mentalitäts-, der Religions- oder der Kunstgeschichte.

Alle solchen Teilfelder der historischen Betrachtung sind in gleicher Weise wichtig. Wollen wir einer wirklichen Kenntnis der Menschen und der Lebensbedingungen der Vergangenheit näherkommen, darf kein Teilgebiet vernachlässigt werden. Wir brauchen eine möglichst kompromisslose Erfassung aller nur recherchierbaren Informationen.4 Sie ist nicht nur um dieser Details willen nötig, sondern schon deshalb, damit wir die Aussage der erhaltenen Quellen (wie beispielsweise den Gedankengang eines antiken Dichters) verstehen können. Wir brauchen ein uneingeschränktes Blickfeld aber auch deshalb, weil die Phänomene der verschiedenen Teilgebiete der Geschichte mit vielerlei Fäden und oft zunächst kaum sichtbaren Verbindungen miteinander verknüpft sind. So lässt sich kein historisches Thema isoliert betrachten.

Abb. 2 Alexis Soyer (1810–1858). Frontispiz seines Buches Pantropheon (London 1853).

Um das aber mit einem Beispiel aus der Ernährungsgeschichte zu illustrieren: Dass im ältesten Rom allgemein Brei, aber in der gehobenen Küche der Spätzeit gelegentlich Papageien mit Dattelsauce gegessen wurden, hat seine Gründe im Verlauf der politischen Geschichte.5 Sie ließ aus der bescheidenen Bauernsiedlung, die Rom einst war, ein Weltreich mit einer Oberschicht hervorgehen, die sich auch Luxus leisten konnte und wollte. Oder noch ein zweites Beispiel: Aus hauptsächlich geistesgeschichtlichen Zusammenhängen erklärt sich das Phänomen, dass die entwickelte römische Küchenkultur auf die heftige Opposition von Moralisten stieß, die das Ideal eines möglichst anspruchslosen Lebens predigten. In ihren Augen gehörten schon gekühlte Getränke oder Spargelzucht zu den Verirrungen einer dekadenten Zeit.6 Ein gerechtes Urteil über die römische Küche kann man von ihnen also nicht erwarten. Tatsächlich warfen ihr diese Zeit- und Gesellschaftskritiker eine bereits exzesshafte kulinarische Raffinesse vor – was trotz der erwähnten Papageien in Dattelsauce keine zutreffende Charakteristik war.

Die Übertreibungen dieser antiken Moralisten hat die frühere altertumswissenschaftliche Forschung für bare Münze genommen. Inzwischen hat sie den Fehler zwar längst erkannt. Aber der Glaube an die unübertrefflichen römischen Orgien ist zum vermeintlichen Bildungsgut geworden – zu einem Klischee, das geradezu unverwüstlich scheint. Bis heute halten ja die Medien und die Werbestrategen mancher Museen daran fest, dass – wie es vor Jahren in einer Küchenzeitschrift hieß – „römische Orgien die besten“ gewesen seien.7 Was solche Äußerungen inspiriert, ist freilich nicht historische Erkenntnis oder moralische Entrüstung, sondern die Hoffnung auf die Orgie als Publikumsmagneten.

Die Kritik römischer Intellektueller an Konsumdenken und kulinarischer Genusssucht ist aber – bei aller Übertreibung in der Diagnose damaliger Zustände – ein zeitloser Beitrag zur Frage, wie man ein Leben gestalten soll. Sie passt insofern noch auf unser eigenes Jahrhundert. Überhaupt ist es ja so, dass die Intellektuellen der Antike – wenn wir gewissermaßen anhören, was sie uns in ihren Büchern zu sagen haben und dabei auch entsprechend mitdenken – einen Dialog über die Fragen des Lebens mit uns führen. Darin liegt ein Teil der Bedeutung, die das Altertum für uns hat.

Beim Thema des Kochens wird der Nutzen der Beschäftigung mit der Antike freilich – sozusagen – ganz handfest; denn hier haben sich viele Anregungen erhalten, die sich in kulinarische Freude umsetzen lassen.

Abb. 3 Römische Küche in Augusta Raurica-Augst (Kanton Baselland). Rekonstruktion Elisabeth Schmid.

ABER: WAS IST „RÖMISCHE KÜCHE“?

G. E. THÜRY

Abb. 4 Römisches Esszimmer (triclinium) im Haus der Kryptoportikus in Pompeji. Um den runden Tisch gruppieren sich drei einst mit Matratzen bedeckte, schräg ansteigende Liegesofas.

Wer von der antiken „römischen Küche“ spricht, der muss zuerst genau erklären, was er damit meint. Er verwendet nämlich einen Dachbegriff, hinter dem sich eigentlich viele, sehr verschiedene „römische Küchen“ verbergen. Die Antwort auf die Frage, was man damals aß, fällt je nach gemeinter Epoche, Gesellschaftsschicht oder Gegend des Römischen Reiches unterschiedlich aus. Skizzieren wir jeweils kurz das Wesen und das Ausmaß dieser Unterschiede!

EINE KÜCHE WANDELT IHR GESICHT. VERÄNDERUNGEN IM LAUF DER GESCHICHTE

Als aber Rom über die engen Grenzen seiner Anfänge hinauswuchs und mit Griechen und Karthagern in Kontakt kam, drangen Eigenheiten fremder Küchen in die römische ein. Griechische und karthagische Lebensmittel und Rezepte wurden übernommen; der Speisezettel wurde reicher. Dieser fremde Einfluss führte auch dazu, dass man um 200 v. Chr. – wie der römische Historiker Livius später schrieb – damit anfing, „die Mahlzeiten mit größerer Sorgfalt und größerem Aufwand zuzubereiten. Damals begann der Koch etwas zu gelten, der bei den Alten als der wertloseste Sklave betrachtet und behandelt worden war; und was zuvor eine Dienstleistung dargestellt hatte, das begann man für eine Kunst zu halten“ (Livius 39, 6, 9).10

Was aus dieser kulinarischen Revolution hervorging, waren zwei Veränderungen: die Entstehung einer neuen römischen Ernährungsweise; und zugleich die Geburt der moralistischen römischen Küchenkritik. Deren erster bekannter Vertreter war der Ältere Cato (234–149 v. Chr.), der seinen Zeitgenossen „große Sorge ums Essen, aber große Unbesorgtheit um Tüchtigkeit“bescheinigte (Cato, Fragm. 264 Schönberger). Doch der Gang der Entwicklung ließ sich weder durch Kritik noch durch staatliche Maßnahmen zur Eindämmung des Luxus aufhalten. Diese und die folgenden Jahrzehnte waren eine Zeit, in der sich in Roms führenden Schichten der Individualismus, das Prestigebedürfnis und das Konkurrenzdenken ausbreiteten. Das musste die Nachfrage nach den Gütern und Leistungen einer gehobenen Küche verstärken; und dadurch wurde Unternehmergeist geweckt, der die Qualität des kulinarischen Angebots erweiterte. Zum Beispiel begründete Licinius Crassus Murena um das Jahr 100 v. Chr. die Mode, edle Speisefische in Salzwasserbassins zu halten; und Sergius Orata legte um die gleiche Zeit einen Austernpark an. Nachdem Hortensius auch das Essen von Pfauen in Mode gebracht hatte, begann Aufidius Lurco um das Jahr 67 mit der Pfauen-Mast; Fulvius Lippinus führte um 50 die Schneckenmast ein; und etwa gleichzeitig wurde das Verfahren der Feigenmast bei Gänsen üblich.11

Abb. 6 Herd und Backrohr in der Küche der Mysterienvilla in Pompeji.

Überaus wichtig war auch, dass der Seehandel seit der zweiten Hälfte des 2. vorchristlichen Jhs. aus den Häfen der Levante exotische, fernöstliche Gewürze beschaffte. Nach der römischen Eroberung Ägyptens im Jahr 30 v. Chr. intensivierte sich dieser Handel noch erheblich. In Indien entstanden römische Handelskontore; und große Frachter brachten Pfeffer und andere Spezereien über den Indischen Ozean.12 In der gehobenen Küche der nun beginnenden römischen Kaiserzeit spielte der Pfeffer eine entscheidende Rolle.

Über keine andere antike Küche wissen wir so viel, wie gerade über die dieser Epoche: der Kaiserzeit. Dabei verdanken wir den wertvollsten Teil unseres Wissens einer einzelnen Quelle: einem kaiserzeitlichen Kochbuch (Abb. 5). Es ist nicht das einzige Kochbuch, das es im Altertum gab; auch nicht das älteste, das je geschrieben wurde. Es ist aber das älteste, von dem noch ein so großer Teil vorhanden blieb. Dass wir es besitzen, ist ein wahrer Glücksfall. Wir dürfen dabei nur nicht übersehen, dass auch außerhalb dieses Kochbuchs römische Rezepte erhalten sind. Sie finden sich in einer kleineren Rezeptsammlung, von der noch die Rede sein wird; aber auch zerstreut in einer großen Zahl eigentlich nicht-kulinarischer Werke, in denen man gar nicht mit ihnen rechnen würde; oder auch auf Papyri.13 Gleich im ältesten Prosawerk der lateinischen Literaturgeschichte, einem Buch des Älteren Cato über die Landwirtschaft, ist so eine Reihe von Rezepten für Mehl- und Süßspeisen enthalten, die Interessenten an römischer Küche an diesem für sie unerwarteten Ort oft nicht entdecken (Cato, De agri cultura 74–82, 84–86 und 121).

Doch zurück zum erhaltenen Kochbuch der Kaiserzeit! Es umfasst rund 500 Rezepte, die in schmucklosem Vulgärlatein – um nicht zu sagen: „Küchenlatein“ – geschrieben sind. Das Titelblatt des Werkes war leider schon in der frühesten Überlieferung verstümmelt. Sicher wissen wir nur, dass darauf der Name eines gewissen Apicius stand. Ob das aber geradezu im Sinn einer Verfasserangabe zu verstehen ist oder vielleicht eher im Sinn eines Titels (ähnlich dem unseres Sacher Kochbuchs): „Essen wie bei Apicius“, das lässt sich nicht mehr entscheiden.14

Wer war dieser Apicius? Hier warten schon neue Probleme auf uns. Aus der antiken Literatur kennen wir gleich drei prominente Feinschmecker, die diesen Namen trugen. Einer der drei lebte in der Zeit um 100 v. Chr.; einer in der ersten Hälfte des 1. nachchristlichen Jhs.; und der dritte im frühen 2. Jh. Der bekannteste von ihnen ist aber der des 1. Jhs. n. Chr.: Marcus Gavius Apicius. Nur von ihm wissen wir auch, dass er nicht nur ein zur Legende gewordener Genießer, sondern außerdem ein Küchenschriftsteller war.

Das Kochbuch mit den etwa 500 erhaltenen Rezepten und dem Namen des Apicius im Titel kann jedoch in Wahrheit – jedenfalls in der uns vorliegenden Form – weder von Marcus Gavius noch von einem seiner beiden uns bekannten Namensvettern geschrieben worden sein. Das zeigen sprachliche Kriterien, aber auch die Tatsache, dass manche Rezepte nach Kaisern erst späterer Jahrzehnte und Jahrhunderte benannt sind. Demnach ist das Buch erst lange nach dem Tod aller drei Persönlichkeiten, nämlich zwischen 350 und 450 n. Chr. (genauer: um 370/380?), entstanden. Der Name des Apicius muss also deshalb in den Titel gelangt sein, weil die Berufung auf den legendären Feinschmecker werbewirksam war und weil vielleicht ein Teil der Rezepte wirklich auf ihn zurückging.15 Eine ähnliche Entstehungsgeschichte mag auch noch eine zweite, aber nur schmale Sammlung von Kochrezepten haben, die ebenfalls aus der Spätantike stammt und die ihr Verfasser – ein gewisser Vinidarius – ausdrücklich als Apici excerpta, als Auszüge aus Apicius, bezeichnete.16

Abb. 7 Römisches Taschenbesteck nach Art unseres „Schweizer Offiziersmessers“. An einem silbernen Griff (Länge: 8,2 cm) ist verschiedenes ausklappbares Essbesteck befestigt. Von oben rechts nach unten links: Messer, Löffel/Gabel, Zahnstocher, Öffner für Weichtierschalen(?), Essspießchen. The Fitzwilliam Museum Cambridge.

Aus dieser Sachlage ergeben sich zwei Folgerungen. Die eine ist, dass wir nicht – wie bis heute allgemein üblich – davon sprechen sollten, das große noch vorhandene römische Kochbuch sei das Buch „des Apicius.“ Auch wenn das etwas umständlicher ist, kann korrekterweise doch nur vom „sogenannten“ Apiciuskochbuch die Rede sein. Die zweite Folgerung besteht dagegen in der Einsicht, dass wir das erhaltene Werk nicht, wie das fast ständig geschieht, als eine Quelle aus der Lebenszeit des Marcus Gavius Apicius im 1. nachchristlichen Jh. betrachten dürfen. Die einzelnen Rezepte sind zwar von sicher unterschiedlichem Alter; und einige mögen auch, wie erwähnt, auf Apicius selbst zurückgehen. Die Sammlung als ganze ist jedoch späterer Entstehung.

Nun darf man sich aber nicht täuschen. Auch wenn sich Tatsachen wissenschaftlich klar beweisen lassen und man sie laut bekannt gibt, heißt das noch lange nicht, dass falsche Ansichten, die im allgemeinen Publikum Wurzel gefasst haben, von der Bildfläche verschwinden. Bisher ist nicht zu beobachten, dass bei Erwähnungen des großen erhaltenen römischen Kochbuchs die nicht korrekte Autorenbezeichnung oder die falschen Angaben über das Alter der Rezepte seltener würden. Obwohl es Apicius heute wieder zu einer gewissen Prominenz gebracht hat – als Namenspatron für viele Restaurants, eine Kochschule, eine Zeitschrift, einen Lebensmittelladen und dergleichen mehr –, sind über ihn sonderbar falsche Angaben in Umlauf. Um nur das Beispiel des Programmhefts eines großen Archäologischen Parks für das Jahr 2017 herauszugreifen: dort ist zu lesen, dass ein Menü „nach Originalrezepten des Apicius aus dem 1. Jahrhundert v. Chr.“ angeboten werde.17

Abb. 8 Römische Esszimmerszene. Der Herr rechts fordert die Dame auf, sich zuerst zu bedienen. Es gibt Geflügel; und gegessen wird mit der Hand. Die Sklavin links hält eine Serviette bereit. Grabstein aus Orolaunum-Arlon (Belgien), 2./3. Jh. Musée de La Cour d’Or, Metz.

RETTICH FÜR DIE ARMEN. GESELLSCHAFTLICHE UNTERSCHIEDE

Glauben wir der späteren Überlieferung, so hätte es in der älteren römischen Republik eine Zeit gegeben, die keine gesellschaftlichen Unterschiede in der Ernährungsweise kannte.18 Auch ein Staatsmann und Feldherr wie Curius Dentatus (gest. 270 v. Chr.) setzte – so behauptet der kaiserzeitliche Satiriker Juvenal – „das bisschen Kohl, das er in seinem kleinen Garten selbst geerntet hatte, auf einen schmalen Herd“ (Juvenal 11, 78 f.). Das klingt zwar sehr nach einer frommen Legende; aber widerlegen lässt es sich nicht. Fest steht nur, dass sich in der späteren Republik und in der Kaiserzeit zwischen der Ernährung der Armen und der Haute Cuisine der Reichen eine tiefe Kluft auftat. Delikatessen wie etwa der Pfau, über den der Dichter Horaz das dann zur Redensart gewordene Wort vom „raren Vogel“ gesagt hat, waren kleinen Leuten nicht erschwinglich. Während eine Familie aus Pompeji, von der sich inschriftlich eine Art von Auszug aus ihrem Haushaltsbuch erhielt, täglich etwa zwei Sesterze kaiserzeitlicher Währung ausgeben konnte (wovon sie zum Beispiel ein Viertel für einen „kleinen Fisch“ aufzuwenden hatte), gab es extravagante Reiche, denen eine Fischdelikatesse 6000, 7000 oder 8000 Sesterze wert war – genug also, um die ganze Lebenshaltung der erwähnten Pompejaner für einen Zeitraum von acht bis zehn Jahren zu finanzieren. Freilich ging es den Spitzen der Gesellschaft beim Einkauf für die Küche nicht allein um Qualität, sondern zum Teil schon um das gleiche Anliegen, das der amerikanische Ökonom Thorstein Veblen später „demonstrativen Konsum“ nennen sollte; d. h., ihre Nachfrage galt gerade den teuersten Gütern, weil sie so ihre wirtschaftliche Potenz demonstrieren wollten.19

Abb. 9 Noch einmal der Grabstein aus Abb. 8. Diesmal sitzen Kinder beim Essen. Einer der beiden Sklaven rechts will einen Hund daran hindern, mitzuhalten.

Abb. 10 Tonlampe mit der Darstellung einer „Hauptmahlzeit“ (cena) eines Armen. Da die antike Hauptmahlzeit abends stattfand, war das ein passendes Bildmotiv für eine Lampe. Kunsthistorisches Museum Wien.

Von den Rezepten des sogenannten Apiciuskochbuchs gehören einige dieser demonstrativen, aber auch die meisten übrigen gewiss einer gehobenen Küche an. Sie ist uns dadurch wesentlich besser bekannt als die Ernährungsweise der ärmeren Menschen der Kaiserzeit. Kochbücher hat die Unterschicht der damaligen Gesellschaft eher nicht benötigt; was sie brauchte, waren eher einfache Nahrungsmittel (wie grobes Brot, Brei und Gemüse).

Zwar bewirkten Einladungen, die üblicherweise Reiche für eine ärmere Klientel aussprachen, und das Angebot von Imbissbuden eine gewisse Versorgung Ärmerer mit warmen Mahlzeiten und Fleischprodukten. Aber nicht jeder kam häufig in den Genuss solcher Gerichte. Eine Tonlampeninschrift (Abb. 10) drückt das mit den Worten „Die Hauptmahlzeit eines Armen: (das ist) Brot, Wein und Rettich“ aus.20 Alle drei Nahrungsmittel – Brotfladen, Weinflasche und Rettich – sind auf der Lampe auch abgebildet. Freilich stecken sie da in einem Bastkörbchen und zusammen mit einer Serviette so appetitlich beieinander, dass sich das Bedauern für den römischen Armen gar nicht so recht einstellen will.

KÜCHENKRIEG UND KÜCHENFRIEDEN. KULINARISCHE GEMEINSAMKEIT UND REGIONALE TRADITION

In seinem Buch The Dream of Rome hat sich der britische Autor und Politiker Boris Johnson auf das Gebiet der Küchengeschichte gewagt und einen Vergleich zwischen Zuständen im Römischen Reich und in der Europäischen Union gezogen. Während römische Untertanen – schreibt er – ihre Mahlzeit überall im Reich mit der Fischsauce garum (Abb. 11 und 15) gewürzt hätten, herrsche in der Europäischen Union in kulinarischen Fragen völlige Uneinigkeit. Über garum (auf das wir später noch ausführlich zurückkommen) zeigt sich Johnson zwar nur wenig informiert; aber es ist doch richtig, wenn er feststellt: Behälter der Fischsauce, die ein Requisit der damaligen mediterranen Küche war, würden auf dem Boden des Römischen Reiches überall gefunden; und diese reichsweite Akzeptanz des Produktes zeige, dass die mediterrane Lebensweise für die Bewohner aller Provinzen Roms attraktiv gewesen sei.21

Tatsächlich hat sich aber nicht nur der Konsum von garum, sondern die mediterrane Küche als ganze über das gesamte römische Reichsgebiet verbreitet. Zur Romanisierung, d. h. zur Anpassung an die römische Lebensweise in neu annektierten Gebieten, gehörte so auch ein allgemeiner Wandel der Ernährungsgewohnheiten. Archäologisch ist dieser Vorgang, für den der Verfasser den Begriff der „kulinarischen Romanisierung“ vorgeschlagen hat, durch eine große Fülle von Beobachtungen zu belegen. Außer der reichsweiten Verbreitung von garum sind weitere Beispiele der florierende Handel mit Olivenöl, das in gewaltigen Mengen auch in Reichsgebiete importiert wurde, in denen der Ölbaum nicht wuchs; oder der Konsum von Meerestieren – wie etwa von Austern (Abb. 12) oder von Purpurschnecken – selbst im tiefsten mitteleuropäischen Binnenland. Ein leistungsfähiger Fernhandel sorgte überall für ein breitgefächertes Angebot mediterraner Lebensmittel; und die entsprechende Nachfrage ging von einer Gesellschaft aus, in der Konsumdenken schon eine beachtliche Rolle spielte.22