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Es ist die schwierigste und zugleich faszinierendste Frage aller Zeiten: Warum gibt es unser Universum? Weshalb ist es entstanden? Wieso existieren Materie und Bewusstsein, Raum und Zeit? Lässt sich überhaupt eine Antwort finden – oder ist das nur der Traum eines verrückten Philosophen? Jim Holt hat sich auf die Suche nach einer Lösung gemacht. Wie ein Detektiv geht er Spuren nach, spekuliert, kombiniert, experimentiert und sucht wichtige Zeugen auf: Physiker, Theologen, Philosophen und nicht zuletzt John Updike. Am Ende seiner spannenden Erkundung steht die Frage nach unserem eigenen Platz im Universum, nach unserer Existenz und unserer Endlichkeit.
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Seitenzahl: 534
Veröffentlichungsjahr: 2014
Jim Holt
Gibt es alles oder nichts?
Eine philosophische Detektivgeschichte
Aus dem Englischen von Hainer Kober
Ihr Verlagsname
Es ist die schwierigste und zugleich faszinierendste Frage aller Zeiten: Warum gibt es unser Universum? Weshalb ist es entstanden? Wieso existieren Materie und Bewusstsein, Raum und Zeit? Lässt sich überhaupt eine Antwort finden – oder ist das nur der Traum eines verrückten Philosophen?
Jim Holt hat sich auf die Suche nach einer Lösung gemacht. Wie ein Detektiv geht er Spuren nach, spekuliert, kombiniert, experimentiert und sucht wichtige Zeugen auf: Physiker, Theologen, Philosophen und nicht zuletzt John Updike. Am Ende seiner spannenden Erkundung steht die Frage nach unserem eigenen Platz im Universum, nach unserer Existenz und unserer Endlichkeit.
Jim Holt ist Autor und Essayist. Er schreibt über Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften, vor allem für die «New York Times Book Review» und die «New York Review of Books». Sein Buch war in den USA ein Bestseller, die New York Times zählte es überdies zu den fünf besten Sachbüchern des Jahres.
Schneller Beweis, dass etwas sein muss und nicht nichts sein kann, für Leute, die viel um die Ohren haben
Nehmen Sie an, es gebe nichts. Dann gäbe es keine Gesetze; denn Gesetze sind schließlich etwas. Gäbe es keine Gesetze, wäre alles erlaubt. Wäre alles erlaubt, wäre nichts verboten. Wenn es also nichts gäbe, wäre nichts verboten. Also schließt nichts sich selbst aus. Folglich muss es etwas geben. Was zu beweisen war.
And this grey spirit, yearning in desire
To follow knowledge like a sinking star
Beyond the utmost bound of human thought.[a]
Alfred Lord Tennyson, Ulysses
Ich möchte Sie ernsthaft vor dem Versuch warnen, für alles einen Grund und eine Erklärung finden zu wollen … Das zu versuchen und tatsächlich den Grund für alles zu entdecken, ist sehr gefährlich, denn es bringt nur Enttäuschung und Unzufriedenheit, zerrüttet Ihren Geist und macht Sie unglücklich.
Königin Viktoria, in einem Brief an ihre Enkelin Prinzessin Viktoria von Hessen, 22. August1883
… wer war denn das erste Wesen im Weltraum bevor … sonst jemand da war der alles geschaffen hat er denn ah das wissen sie nicht genauso wenig wie ich …
James Joyce, «Mollys Monolog», Ulysses
Ich erinnere mich noch lebhaft an den Augenblick, als mir das Geheimnis der Existenz zum ersten Mal zu Bewusstsein kam. Es war Anfang der siebziger Jahre. Ich war ein Milchbart und Möchtegernrebell an einer Highschool im ländlichen Virginia. Wie es Milchbärte und Highschool-Rebellen gelegentlich tun, hatte ich angefangen, mich für Existenzialismus zu interessieren, eine Philosophie, die offenbar Anlass zu der Hoffnung gab, meine jugendlichen Unsicherheiten zu beseitigen oder sie zumindest auf eine höhere Ebene zu verlagern. Eines Tages ging ich in die Bücherei des örtlichen Colleges und schaute mir einige eindrucksvoll wirkende Folianten an: Sartres Das Sein und das Nichts und Heideggers Einführung in die Metaphysik. Auf den einleitenden Seiten letzteren Buches mit dem vielversprechenden Titel begegnete ich zum ersten Mal der Frage: «Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?»[1] Ich weiß noch, wie mir dieser Satz mit seiner Kompromisslosigkeit, Reinheit, schieren Wucht die Sprache verschlug. Hier war die absolut ultimative Warum-Frage, die eine hinter all den anderen, die die Menschheit jemals gestellt hatte. Wo war sie, so fragte ich mich, während meines ganzen, zugegebenermaßen kurzen, geistigen Lebens gewesen?
Es heißt, die Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» sei so tiefsinnig, dass sie nur einem Metaphysiker einfallen könne, aber auch so einfach, dass nur ein Kind auf sie zu kommen vermöge. Damals war ich zu jung, um ein Metaphysiker zu sein. Aber warum war mir die Frage als Kind nicht eingefallen? In der Rückschau liegt die Antwort auf der Hand. Meine natürliche metaphysische Neugier war durch meine religiöse Erziehung erstickt worden. Von frühester Kindheit an wurde mir gesagt – von meiner Mutter und meinem Vater, von den Nonnen, die mich in der Grundschule unterrichteten, von den Franziskanermönchen im Kloster jenseits des Hügels –, dass Gott die Welt erschaffen habe, und zwar aus dem vollkommenen Nichts. Deshalb gab es die Welt. Deshalb gab es mich. Warum es Gott selbst gab, ließ man ein wenig im Ungewissen. Anders als die Welt, die Er so großzügig erschaffen hatte, war Gott ewig. Außerdem war er allmächtig und auch in jeder anderen Hinsicht von unendlicher Vollkommenheit. Deshalb brauchte er vielleicht keine Erklärung für seine Existenz. Da er allmächtig war, hätte er sich aus eigener Kraft zur Existenz bringen können. Er war, um es lateinisch zu sagen, causa sui.
Das ist die Geschichte, die man mir als Kind erzählte. Es ist die Geschichte, die eine große Mehrheit der Amerikaner noch glaubt. Für diese Gläubigen gibt es kein «Geheimnis der Existenz». Wenn man sie fragt, warum es das Universum gibt, sagen sie, es existiert, weil Gott es geschaffen hat. Wenn man sie fragt, warum es Gott gebe, hängt die Antwort davon ab, ob sie theologisch mehr oder weniger bewandert sind. Sie sagen vielleicht, Gott sei selbst verursacht, das heißt, er sei der Grund seines eigenen Seins, seine Existenz sei in seiner Essenz enthalten. Oder sie sagen, dass Menschen, die so gottlose Fragen stellen, in der Hölle schmoren würden.
Aber stellen Sie sich vor, Sie fordern Nichtgläubige auf zu erklären, warum es eine Welt und nicht einfach nichts gibt. Wahrscheinlich werden sie Ihnen keine sehr befriedigende Antwort geben. In den gegenwärtigen «Gotteskriegen» pflegen die Verteidiger des Glaubens das Geheimnis der Existenz als Keule gegen ihre neoatheistischen Widersacher einzusetzen. Richard Dawkins, der Evolutionsbiologe und Berufsatheist, hat es satt, von diesem angeblichen Geheimnis zu hören. «Immer und immer wieder», sagt Dawkins, «kamen meine theologischen Freunde auf den Punkt zurück, dass es einen Grund haben müsse, warum es etwas und nicht nichts gibt.»[2] Christopher Hitchens, ein weiterer unermüdlicher Missionar des Atheismus, musste sich von seinen Gegnern häufig die gleiche Frage gefallen lassen. «Wenn Sie nicht bereit sind, Gottes Existenz anzuerkennen, wie können Sie dann erklären, dass es die Welt gibt?», wurde Hitchens von einer etwas aggressiven rechtsgerichteten Fernsehmoderatorin mit einem Anflug von Triumph in der Stimme gefragt. Eine andere Moderatorin, dieses Mal vom Typ langbeinige Blondine, kam ebenso auf den religiösen Aspekt zu sprechen. «Woher kam das Universum?», fragte sie Hitchens. «Die Vorstellung, dass das alles aus dem Nichts kam, scheint doch Logik und Vernunft zu widersprechen. Was war vor dem Urknall?» Worauf Hitchens erwiderte: «Ich würde nur zu gerne wissen, was vor dem Urknall war.»
Welche Optionen haben wir, das Geheimnis der Existenz zu lösen, wenn wir auf die Gotteshypothese verzichten? Vielleicht nehmen Sie ja an, dass die Naturwissenschaften eines Tages nicht nur erklären können, wie die Welt ist, sondern auch, warum sie ist. Das zumindest hofft Dawkins, der die Antwort von der theoretischen Physik erwartet. Er schrieb: «Vielleicht erweist sich die ‹Inflation›, die in der Physik für den ersten winzigen Sekundenbruchteil im Dasein des Universums postuliert wird, bei genauerer Untersuchung als kosmologischer Kran, der neben Darwins biologischem Kran bestehen kann.»[3]
Stephen Hawking, der ein tatsächlich praktizierender Kosmologe ist, wählte einen anderen Ansatz. Hawking entwickelte ein Modell, in dem das Universum, obwohl endlich in der Zeit, in sich geschlossen ist, ohne Anfang und Ende. In diesem «Ohne-Grenzen-Modell» sei, so erklärt er, kein Schöpfer erforderlich, ob von göttlicher oder anderer Art. Doch selbst Hawking bezweifelt, dass seine Gleichungen das Geheimnis der Existenz vollständig lüften können. «Wer bläst den Gleichungen den Odem ein und erschafft ihnen ein Universum, das sie beschreiben können?», klagt er. «Warum muss sich das Universum all dem Ungemach der Existenz unterziehen?»[4]
Schauen wir uns das Problem der wissenschaftlichen Option etwas genauer an. Das Universum enthält alles, was physikalisch vorhanden ist. Eine wissenschaftliche Erklärung muss eine physikalische Ursache irgendeiner Art aufweisen. Doch jede physikalische Ursache ist definitionsgemäß Teil des Universums, das erklärt werden soll. Folglich muss jede rein wissenschaftliche Erklärung der Existenz des Universums zum Zirkelschluss werden. Selbst wenn wir mit etwas sehr Kleinem beginnen – einem kosmischen Ei, einer winzigen Quantenfluktuation des Vakuums, einer Singularität –, beginnen wir immer noch mit etwas, nicht mit nichts. Die Naturwissenschaften mögen in der Lage sein, nachzuvollziehen, wie sich das gegenwärtige Universum aus einem frühen Zustand physikalischer Wirklichkeit entwickelt hat, und den Prozess sogar bis zum Urknall zurückzuverfolgen. Doch letzten Endes trifft die Wissenschaft auf eine Mauer. Sie kann nicht erklären, wie der physikalische Urzustand aus dem Nichts entstanden ist. Darauf jedenfalls beharren die hartgesottenen Verteidiger der Gotteshypothese.
Wenn die Naturwissenschaften früher außerstande zu sein schienen, Naturerscheinungen zu erklären, waren die Gläubigen rasch zur Stelle und füllten die Lücke mit einem göttlichen Schöpfer – nur um in Verlegenheit zu geraten, wenn es der Wissenschaft schließlich doch gelang, eine Erklärung zu finden. Beispielsweise glaubte Newton, Gott sei erforderlich, um von Zeit zu Zeit kleine Korrekturen an den Bahnen der Planeten vorzunehmen, damit sie nicht zusammenstießen. Doch ein Jahrhundert später bewies Laplace, dass die Physik durchaus in der Lage war, die Stabilität des Sonnensystems zu erklären. Als Napoleon ihn fragte, wo Gott sich in seinem Himmelsschema befinde, antwortete Laplace bekanntlich: «Je n’avais pas besoin de cette hypothèse.» – «Ich habe diese Hypothese nicht gebraucht.» In jüngerer Zeit behaupteten Gläubige, die blinde natürliche Selektion allein könne die Entstehung komplexer Organismen nicht erklären, daher müsse Gott den Evolutionsprozess «lenken» – ein Argument, das von Dawkins und anderen Darwinisten schlüssig – und frohgemut – widerlegt wurde.
Solche auf einen «Gott der Lücken» rekurrierenden Argumente fallen in der Regel, wenn sie biologische oder astrophysikalische Details betreffen, auf ihre frommen Urheber zurück. Doch bei der Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» meinen diese Gläubigen, sich auf festerem Boden zu bewegen. «Offenbar kann keine wissenschaftliche Theorie die Kluft zwischen dem absoluten Nichts und einem vollständig entwickelten Universum überbrücken», schreibt Roy Abraham Varghese, ein Parteigänger der Religion mit wissenschaftlichen Neigungen. «Diese höchste und letzte Frage ist eine metawissenschaftliche Frage, die die Wissenschaft zwar stellen, aber nicht beantworten kann.» Der namhafte Harvard-Astronom – und fromme Mennonit – Owen Gingerich ist der gleichen Meinung. In einem Vortrag mit dem Titel «Gottes Universum», den er 2005 in der Harvard Memorial Church gehalten hat, bezeichnete er diese letzte Warum-Frage als «teleologisch» – eine Frage, die «nicht in die Zuständigkeit der Wissenschaft fällt».[5]
Bekommt es der Atheist mit dieser Art von Argumentation zu tun, zuckt er gewöhnlich die Achseln und sagt, die Welt «ist eben einfach da». Vielleicht existiere sie, weil sie immer existiert habe. Oder vielleicht sei sie ohne jeden Grund entstanden. In jedem Fall ist ihre Existenz ein brute fact, eine «unerklärliche nackte Tatsache».
Die Brute-fact-Auffassung verneint, dass das Universum in seiner Ganzheit einer Erklärung für seine Existenz bedarf. Damit vermeidet sie die Notwendigkeit, irgendeine transzendentale Wirklichkeit, wie etwa Gott, zu postulieren, um die Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» zu beantworten. Ja, für den Verstand fühlt sich das an, als werde das Handtuch geworfen. Es ist eine Sache, sich mit einem Universum ohne Zweck und Bedeutung abzufinden, das haben wir alle schon mal in einer dunklen Nacht unseres Gemüts getan. Aber ein Universum ohne Erklärung? Das heißt dann wohl doch, die Absurdität zu weit zu treiben, zumindest für eine begründungssüchtige Spezies wie die unsere. Ob es uns klar ist oder nicht, wir alle halten uns instinktiv an das Prinzip des zureichenden Grundes, wie es der Philosoph Leibniz im 17. Jahrhundert nannte. Das bedeutet, dass wir für alles und jedes eine Erklärung brauchen. Für jede Wahrheit muss es einen Grund geben, warum sie so ist und nicht anders; und für die Existenz eines jeden Dings muss es einen Grund geben. Leibniz’ Prinzip ist von einigen Kritikern als bloßes «Verlangen eines Metaphysikers» verlacht worden. Dabei ist es ein Grundprinzip der Naturwissenschaften, in denen es sich als bemerkenswert erfolgreich erwiesen hat – so erfolgreich, dass man es pragmatischerweise wahr nennen könnte: es funktioniert. Das Prinzip scheint im begründenden Denken selbst zu wurzeln, denn jeder Versuch, dafür oder dagegen zu argumentieren, setzt seine Gültigkeit voraus. Und wenn das Prinzip des zureichenden Grundes gültig ist, muss es eine Erklärung für die Existenz der Welt geben, ob wir sie finden können oder nicht.
In einer Welt, die ohne irgendeinen Grund existieren würde – einer irrationalen, zufälligen, «einfach vorhandenen» Welt –, würde es sich sehr unbehaglich leben. Zumindest hat das der amerikanische Philosoph Arthur Lovejoy behauptet. 1933 erklärte er in seinen Harvard-Vorlesungen über die «Große Kette des Seins»: Eine solche Welt «hätte keine Beständigkeit, keine Zuverlässigkeit; alles wäre von Ungewißheit infiziert; alles und jedes (ausgenommen vielleicht das in sich Widersprüchliche) könnte existieren, und kein Ding wäre in sich wahrscheinlicher als irgendein anderes».[6]
Sind wir also dazu verurteilt, zwischen Gott und dem tiefen, rohen Absurden wählen zu müssen?
Dieses Dilemma lauert in der Peripherie meines Bewusstseins, seit ich zum ersten Mal auf das Geheimnis des Seins stieß. Daher begann ich darüber nachzudenken, was es mit dem «Sein» auf sich hat. Der philosophische Ausdruck für die fundamentalen Bausteine der Wirklichkeit ist «Substanz». Für Descartes besteht die Welt aus zwei Substanzformen, der Materie, die er als res extensa, «ausgedehnte Substanz», bezeichnet, und dem Geist, res cogitans, der «denkenden Substanz». Wir Heutigen haben viel von dieser kartesischen Sichtweise übernommen. Das Universum enthält physikalischen Stoff: die Erde, Sterne, Galaxien, Strahlung, «dunkle Materie», «dunkle Energie» und so fort. Es enthält auch biologisches Leben, das, wie die Naturwissenschaften gezeigt haben, seinem Wesen nach physikalisch ist. Außerdem enthält das Universum Bewusstsein. Es enthält subjektive geistige Zustände wie Freude und Kummer, das Erleben von Röte, das Empfinden, sich den Zeh gestoßen zu haben. Sind solche subjektiven Zustände auf objektive physikalische Zustände zurückzuführen? Diese Frage ist philosophisch noch nicht entschieden. Eine Erklärung ist nur eine Kausalgeschichte, die sich mit Beispielen aus der einen oder anderen dieser ontologischen Kategorien beschäftigt. Der Aufprall der Bowlingkugel bewirkt, dass die Pins fallen. Die Furcht vor einer Finanzkrise bewirkt, dass Aktien verkauft werden.
Wenn das alles ist, was es mit der Wirklichkeit auf sich hat – Materie-Stoff und Geist-Stoff und dazwischen ein Geflecht von Kausalbeziehungen –, dann sieht es mit dem Geheimnis des Seins tatsächlich hoffnungslos aus. Doch vielleicht ist diese dualistische Ontologie allzu sehr vereinfacht. Jedenfalls begann ich, das zu vermuten, als ich nach meinem pubertären Flirt mit dem Existenzialismus in Leidenschaft zur reinen Mathematik entbrannte. Objekte jener Art, mit denen grübelnde Mathematiker ihre Tage zubringen – nicht nur Zahlen und Kreise, sondern auch n-dimensionale Mannigfaltigkeiten, Galois-Systeme und kristalline Kohomologien –, sind im Reich von Raum und Zeit nirgends zu finden. Sie gehören eindeutig nicht zu den materiellen Dingen. Auch scheinen sie nicht von geistiger Beschaffenheit zu sein. Ausgeschlossen beispielsweise, dass der endliche Geist eines Mathematikers eine Unendlichkeit von Zahlen enthalten könnte. Haben mathematische Objekte also eine mathematische Existenz? Nun, das hängt davon ab, was Sie unter «Existenz» verstehen. Platon war sicherlich der Meinung, dass sie existieren. Er glaubte nämlich, dass mathematische Objekte, als zeitlose und unveränderliche Entitäten, wirklicher seien als die Welt der Dinge, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Das Gleiche gelte für abstrakte Vorstellungen wie Güte und Schönheit. Für Platon stellten diese «Ideen» die eigentliche Wirklichkeit dar. Alles andere war bloße Erscheinung.
Möglicherweise sind wir nicht gewillt, bei der Revision unseres Wirklichkeitsbegriffs ganz so weit zu gehen. Güte, Schönheit, mathematische Objekte, logische Gesetze – sie sind nicht eigentlich etwas, so wie Geist-Stoff und Materie-Stoff etwas sind. Aber sie sind genauso wenig nichts. Könnten sie vielleicht Bedeutung haben für die Erklärung, warum etwas ist und nicht nichts?
Zugegeben, abstrakte Ideen können nicht in unseren üblichen Kausalerklärungen vorkommen. Beispielsweise wäre es unsinnig zu behaupten, Güte habe den Urknall «verursacht». Aber nicht alle Erklärungen müssen auf dem Prinzip von Ursache und Wirkung beruhen; denken Sie beispielsweise an die Erklärung eines Schachzugs. Etwas zu erklären, heißt im Grunde genommen, etwas plausibel und verständlich zu machen. Wenn eine Erklärung erfolgreich ist, «spüren wir, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht», um die gelungene Formulierung des amerikanischen Philosophen C.S. Peirce zu zitieren. Es gibt viele verschiedene Arten von Erklärungen, und jede bedient sich einer anderen Bedeutung von «Ursache». Beispielsweise nennt Aristoteles vier verschiedene Ursachen, die zur Erklärung physikalischer Ereignisse herangezogen werden können, aber nur eine von ihnen, die «Wirkursache», entspricht unserem heutigen engen wissenschaftlichen Begriff. Äußerst extravagant im aristotelischen Schema ist die «Zweckursache», also der Zweck oder das Ziel, um dessentwillen etwas geschieht.
Zweckursachen sind häufig Kennzeichen sehr schlechter Erklärungen: Warum regnet es im Frühling? Damit die Pflanzen wachsen! Solche «teleologischen» Erklärungen parodiert Voltaire in Candide, und sie werden von der modernen Wissenschaft zu Recht als Methode zur Erklärung von Naturerscheinungen verworfen. Aber sollen sie auch automatisch ausgeschlossen werden, wenn es darum geht, unsere Existenz in ihrer Gesamtheit zu erklären? Von der Annahme, dass Erklärungen immer mit «Dingen» zu tun haben müssten, hat Nicholas Rescher, ein namhafter zeitgenössischer Philosoph, gesagt, dass «kein Vorurteil tiefer in der westlichen Philosophie verankert ist als dieses».[7] Offenkundig müssen wir uns, um eine gegebene Tatsache – wie diejenige, dass es eine Welt gibt – zu erklären, an andere Tatsachen halten. Doch daraus folgt nicht, dass die Existenz eines gegebenen Dings nur durch Berufung auf andere Dinge erklärt werden kann. Vielleicht sollte ein Grund für die Existenz der Welt anderswo gesucht werden, im Bereich solcher «Nichtdinge» wie mathematischen Objekten, objektiven Werten, logischen Gesetzen oder der Heisenberg’schen Unschärferelation. Vielleicht kann uns etwas in der Art einer teleologischen Erklärung zumindest einen Hinweis liefern, wie sich das Geheimnis von der Existenz der Welt lösen lässt.
Ich fand die Idee einer verborgenen kosmischen Algebra – einer Algebra des Seins! – unwiderstehlich. Allein die Formulierung schien das Spektrum möglicher Erklärungen für die Existenz der Welt enorm auszuweiten. Vielleicht lautet die Alternative gar nicht Gott oder brute fact. Vielleicht gibt es eine nicht theistische Erklärung für die Existenz der Welt – eine, die der menschliche Verstand entdecken kann. Eine solche Erklärung müsste keinen Gott postulieren, ihn aber auch nicht unbedingt ausschließen. Sie könnte sogar die Existenz irgendeiner Art übernatürlicher Intelligenz voraussetzen und dabei eine Antwort auf die schreckliche Kinderfrage «Aber wer hat Gott gemacht, Mami?» liefern.
Wie nah sind wir der Entdeckung einer solchen Algebra des Seins? Der Romancier Martin Amis wurde einmal in einem Fernsehinterview von Bill Moyers gefragt, wie das Universum seiner Meinung nach entstanden sei. «Ich würde sagen, wir sind mindestens fünf Einsteins von der Antwort entfernt», erwiderte Amis. Ich denke, er liegt ziemlich richtig mit seiner Schätzung. Aber, so fragte ich mich, gibt es heute überhaupt einen dieser Einsteins? Natürlich kann ich nicht den Anspruch erheben, einer von ihnen zu sein. Aber wenn es mir gelänge, einen von ihnen zu finden oder vielleicht zwei oder drei oder sogar vier und sie dann noch in die richtige Reihenfolge zu bringen … nun, das wäre eine wunderbare Suche.
Genau das hatte ich vor. Bei meiner Suche nach den Ansätzen einer Antwort auf die Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» stieß ich auf viele verheißungsvolle Ansätze. Einige erwiesen sich als Sackgassen. Einmal rief ich beispielsweise einen Bekannten an, einen theoretischen Kosmologen, der berühmt ist für seine brillanten Spekulationen. Ich geriet an seine Voicemail und sagte, ich hätte eine Frage an ihn. Er rief zurück und hinterließ eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter: «Sprich die Frage auf meine Voicemail, und ich hinterlass die Antwort auf deinem AB», sagte er. Das war verlockend. Ich war einverstanden. Als ich an diesem Tag spätabends nach Hause zurückkehrte, blinkte mein Anrufbeantworter. Gespannt drückte ich auf die Abspieltaste. «Okay», ertönte die Stimme des Kosmologen vom Band, «eigentlich redest du über die Verletzung der Materie-Antimaterie-Parität …»
Ein andermal wandte ich mich an einen bekannten Professor der philosophischen Theologie. Ich fragte ihn, ob die Existenz der Welt erklärt werden könne, indem man eine göttliche Entität postuliere, deren Existenz in ihrer Essenz enthalten sei. «Machen Sie Witze?», sagte er. «Gott ist so vollkommen, er braucht nicht zu existieren!»
Bei wieder einer anderen Gelegenheit begegnete ich auf der Straße in Greenwich Village einem Gelehrten des Zen-Buddhismus, mit dem ich auf einer Cocktailparty bekannt gemacht worden war. Es hieß, er sei eine Autorität auf dem Gebiet kosmischer Fragen. Nach ein wenig Smalltalk fragte ich ihn, rückblickend betrachtet, wohl ein wenig überstürzt: «Warum ist etwas und nicht nichts?» Statt einer Antwort versuchte er, mir einen Schlag auf den Kopf zu versetzen. Er dachte wohl, das sei ein Zen-Kōan gewesen.
Auf der Suche nach einer Lösung für das Rätsel des Seins warf ich meine Netze ziemlich weit aus und sprach mit Philosophen, Theologen, Teilchenphysikern, Kosmologen, Mystikern und einem sehr bedeutenden amerikanischen Schriftsteller. Vor allem aber suchte ich nach Leuten mit einem regen und vielseitigen Verstand. Um etwas wirklich Brauchbares zu der Frage beizusteuern, warum wohl die Welt existiert, muss jemand schon mehr als nur einen einzigen Wissensschwerpunkt haben. Nehmen wir an, ein Wissenschaftler besitzt einen gewissen philosophischen Scharfsinn. Dann könnte er vielleicht erkennen, dass das «Nichts», über das die Philosophen reden, einem bestimmten wissenschaftlich definierbaren Objekt begrifflich äquivalent ist – sagen wir, einer geschlossenen vierdimensionalen Raumzeitmannigfaltigkeit mit verschwindendem Radius. Wenn man eine mathematische Beschreibung dieser Null-Realität in die Gleichungen der Quantenfeldtheorie eingäbe, könnte man vielleicht beweisen, dass ein winziger Schnipsel «falsches Vakuum» eine Wahrscheinlichkeit ungleich null aufweist, spontan zu entstehen – und dass dieser Schnipsel Vakuum durch den wunderbaren Mechanismus der «chaotischen Inflation» zu einem ganz normalen Universum aufgebläht werden könnte. Wäre unser Naturwissenschaftler obendrein in der Theologie bewandert, könnte er erkennen, dass dieses kosmogonische Ereignis sich deuten ließe als eine rückwärts in der Zeit ablaufende Emanation eines künftigen «Omega-Punkts» mit einigen Eigenschaften, die traditionell dem jüdisch-christlichen Gott zugeschrieben werden. Und so fort.
Für solche spekulativen Aufschwünge bedarf es einer kräftigen Portion intellektuellen Elans. Und Elan hatten die meisten meiner Gesprächspartner reichlich zu bieten. Ein Gutteil des Vergnügens an Unterhaltungen mit originären Denkern über so tiefsinnige Fragen wie das Geheimnis des Seins liegt darin, dass man sie dazu bekommt, laut zu denken. Manchmal sagten sie die erstaunlichsten Dinge. Es war, als genösse ich das Privileg, in ihre Denkprozesse zu blicken. Das war natürlich ein Grund für Ehrfurcht. Aber ich fand es auch eigenartig ermutigend. Wenn Sie miterleben, wie selbst solche Denker versuchen, der Frage auszuweichen, warum es eine Welt gibt, wird Ihnen klar, dass Ihre eigenen Gedanken zu diesem Thema nicht ganz so nichtig sind, wie Sie gedacht haben. Vor dem Geheimnis der Existenz kann niemand geistige Überlegenheit für sich beanspruchen. William James hatte schon recht, als er schrieb: «Hier sind wir alle Bettler.»[9]
Woher kam unser Universum? Lässt seine bloße Existenz nicht darauf schließen, dass eine höchste Schöpfungskraft im Spiel war? Stellt ein Gläubiger diese Frage einem Atheisten, ruft sie in der Regel eine von zwei Antworten hervor. Entweder sagt der Atheist: «Wenn Sie eine solche ‹Schöpfungskraft› postulieren, müssen Sie bereit sein, noch eine zweite zu postulieren, um die Existenz der ersten zu erklären, und eine dritte als Ursprung der zweiten und so fort. Mit anderen Worten, Ihr Versuch endet in einem unendlichen Regress.» Die andere Antwort eines Atheisten lautet, dass, selbst wenn es eine höchste Schöpfungskraft geben sollte, kein Grund bestehe, sie sich als gottähnlich vorzustellen. Warum muss die erste Ursache ein unendlich weises und gutes Wesen sein, gar nicht zu reden davon, dass es sich in allen Einzelheiten für unsere innersten Gedanken und unser Sexualleben interessiert? Warum sollte es überhaupt ein Bewusstsein haben?
Die Vorstellung, dass unser Kosmos irgendwie von einem intelligenten Wesen «gemacht» worden sei, mag allzu simpel, wenn nicht gar völlig verrückt erscheinen. Doch bevor wir sie vollkommen verwerfen, sollten wir uns vielleicht anhören, was Andrei Linde dazu zu sagen hat, der sich intensiver als jeder andere Forscher mit der Frage beschäftigt hat, wie der Kosmos entstanden sein könnte. Linde ist ein russischer Physiker, der 1990 in die USA eingewandert ist und heute an der Stanford University lehrt. Noch als junger Mann in Moskau entwickelte er eine neue Urknalltheorie, die drei verzwickte Fragen beantwortete: Was knallte? Warum knallte es? Und was war, bevor es knallte? Lindes Theorie, die sogenannte chaotische Inflation, erklärte die allgemeine Form des Raums und die Galaxienbildung. Sie sagte auch das exakte Muster der vom Urknall übrig gebliebenen Hintergrundstrahlung voraus, das der COBE-Satellit in den neunziger Jahren entdeckte.
Unter all den seltsamen Implikationen der Linde’schen Theorie ist eine der verblüffendsten Erkenntnisse, dass es gar nicht so schwierig ist, ein Universum zu erschaffen. Dazu sind weder Ressourcen in kosmischer Größenordnung noch übernatürliche Kräfte erforderlich. Es wäre sogar für jemanden in einer nicht viel weiter fortgeschrittenen Zivilisation als der unseren möglich, in einem Labor ein neues Universum zu basteln. Was uns zu einem faszinierenden Gedanken führt: Könnte unser Universum so entstanden sein?
Linde ist ein gut aussehender, korpulenter Mann mit dichter, weißer Mähne. Unter Kollegen genießt er einen legendären Ruf dank seiner Fähigkeit, selbst in leicht angetrunkenem Zustand noch zu akrobatischen Kunststücken und verblüffenden Taschenspielertricks fähig zu sein.
«Als ich die Theorie der chaotischen Inflation entwickelte, stellte ich fest, dass man, um ein Universum wie das unsere entstehen zu lassen, lediglich ein Tausendstel Gramm Materie braucht», erklärte Linde mir in seinem Englisch mit russischem Akzent. «Das genügt, um ein Klümpchen Vakuum zu erzeugen, das sich zu Milliarden und Abermilliarden Galaxien aufbläht, wie wir sie um uns herum sehen. Das sieht nach einem Trick aus, aber so funktioniert die Inflationstheorie nun einmal – alle Materie im Universum wird von der negativen Energie des Gravitationsfelds erzeugt. Was also hindert uns, ein Universum im Labor zu erschaffen? Wir wären wie Götter!»
Ich sollte wohl erwähnen, dass Linde berüchtigt ist für seine verschmitzt-hintergründigen Scherze, und auch in dieser Äußerung war die Ironie unüberhörbar. Aber er versicherte mir, dass die Labor-Kosmogenese durchaus machbar sei, zumindest im Prinzip.
«Es gibt ein paar Lücken in meinem Beweis», räumte er ein. «Aber nach allem, was ich gezeigt habe – und Alan Guth [der die Inflationstheorie mitentwickelt hat] sowie andere, die auf diesem Gebiet arbeiten, sind zu dem gleichen Ergebnis gelangt –, können wir die Möglichkeit nicht ausschließen, dass unser Universum von jemand geschaffen wurde, dem einfach danach zumute war.»
Mir fiel auf, dass sein Entwurf einen Haken hatte. Würde man im Labor einen Urknall auslösen, müsste sich das Babyuniversum dann nicht in unserer Welt ausdehnen, die Menschen zerquetschen, die Gebäude zermalmen und so fort?
Linde versicherte mir, dass dergleichen nicht zu befürchten sei. «Das neue Universum würde in sich selbst expandieren», sagte er. «Sein Raum wäre so gekrümmt, dass er seinem Schöpfer winzig wie ein Elementarteilchen erschiene. Vielleicht würde es sogar völlig aus dessen Welt verschwinden.»
Doch warum sollten wir uns die Mühe machen, ein Universum herzustellen, wenn es sich uns entzöge wie Eurydike einst den Händen des Orpheus? Würden wir uns nicht eine quasi göttliche Macht über unsere Schöpfung wünschen, um in der Lage zu sein, ihre Entwicklung zu verfolgen, zu beeinflussen und dafür zu sorgen, dass die Wesen, die sich darin entwickelten, wohlgeraten wären? Lindes Schöpfer schien große Ähnlichkeit mit dem von Voltaire und US-Amerikas Gründervätern bevorzugten Gottesbegriff zu haben – einem Wesen, das unser Universum geschaffen und in Gang gesetzt hatte, aber sich dann nicht weiter für seine Geschöpfe interessierte.
«Sie haben es erfasst», sagte Linde mit einem amüsierten Schnauben. «Zunächst glaubte ich, der Schöpfer könne Informationen in das neue Universum schicken – um seinen Geschöpfen Benehmen beizubringen, ihnen bei der Entdeckung der Naturgesetze zu helfen und dergleichen. Dann dachte ich eingehender darüber nach. Der Inflationstheorie zufolge bläht sich ein Babyuniversum in einem unvorstellbar winzigen Sekundenbruchteil wie ein Luftballon auf. Stellen wir uns vor, der Schöpfer würde etwas auf die Ballonfläche schreiben, etwa: ‹Bitte denkt daran, dass ich euch gemacht habe.› Die inflationäre Expansion würde diese Botschaft exponentiell anwachsen lassen. Die Geschöpfe in dem neuen Universum lebten in einer winzigen Ecke eines der Buchstaben und wären nie in der Lage, die ganze Botschaft zu lesen.»
Schließlich aber war Linde noch auf einen anderen denkbaren Kommunikationskanal zwischen Schöpfer und Schöpfung gestoßen – den einzig möglichen, soweit er erkennen konnte. Durch entsprechende Manipulation der kosmischen Saat hätte der Schöpfer die Möglichkeit, während des Schöpfungsaktes bestimmte physikalische Parameter des neuen Universums festzulegen. Beispielsweise könnte er entscheiden, in welchem numerischen Verhältnis die Masse des Elektrons und die des Protons stehen sollen. Diese Zahlen, die sogenannten Naturkonstanten, erscheinen uns vollkommen willkürlich: Es gibt keinen erkennbaren Grund, warum sie den gegebenen und nicht irgendeinen anderen Wert besitzen – warum wird beispielsweise die Stärke der Gravitation in unserem Universum durch eine Zahl mit den Ziffern 6673 bestimmt? Doch der Schöpfer könnte durch die Festlegung bestimmter Werte für diese Konstanten eine versteckte Botschaft in die innerste Struktur des Universums schmuggeln. Eine solche Botschaft wäre, wie Linde mit sichtlichem Vergnügen mitteilte, nur von Physikern zu entziffern.
Scherzte er?
«Sie halten das vielleicht für einen Scherz», sagte er. «Aber vielleicht ist es nicht vollkommen absurd. Es könnte erklären, warum die Welt, in der wir leben, so sonderbar, von jeder Vollkommenheit so weit entfernt ist. Allem Anschein nach wurde unser Universum nicht von einem göttlichen Wesen erschaffen, sondern von einem physikalisch bewanderten Hacker!»
Aus philosophischer Sicht verdeutlicht Lindes kleine Geschichte die Gefahr, die in der Annahme liegt, dass die unserem Universum zugrundeliegende Kraft, wenn es denn eine gibt, sich mit dem traditionellen Gottesbegriff decken müsse: allmächtig, allwissend, von unendlicher Güte und so fort. Selbst wenn die Ursache unseres Universums ein intelligentes Wesen wäre, so könnte es doch entsetzlich unfähig und fehlbar sein, indem es etwa die kosmogenische Aufgabe durch eine vollkommen mittelmäßige Schöpfung gründlich vermasselt hätte. Natürlich würde ein orthodoxer Gläubiger auf Lindes Szenario antworten wie immer: «Schön und gut, aber wer hat den Hacker erschaffen?» Hoffen wir, dass bis zum höchsten Ende dieser Leiter nicht nur Hacker am Werk waren.
Das Rätsel gibt es nicht.
Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus,Satz 6.5
Die ganze Crux des Geheimnisses der Existenz liegt, wie gesagt, zusammengefasst in der Frage: «Warum ist etwas und nicht nichts?» William James nannte diese Frage «die abgründigste der ganzen Philosophie».[1] Der britische Astrophysiker Sir Bernard Lovell meinte, das Grübeln darüber könne «einen vor geradezu quälende Alternativen stellen»[2]; tatsächlich gab es schon Psychiatriepatienten, die von dieser Frage besessen waren. Arthur Lovejoy, Begründer der geisteswissenschaftlichen Disziplin der Ideengeschichte, erklärte, bei dem Versuch, sie zu beantworten, handle es sich «um eine der gewaltigsten Unternehmungen des menschlichen Geistes».[3] Wie alles, was zutiefst unverständlich ist, reizt auch diese Frage zu Scherzen. Vor einigen Jahrzehnten, als ich sie dem amerikanischen Philosophen Arthur Danto stellte, erwiderte er in gespieltem Ärger: «Wer sagt denn, dass es nicht nichts gibt?» Wie sich bald zeigen wird, ist die Antwort nicht nur scherzhaft zu verstehen. Eine noch bessere Entgegnung kam von Sidney Morgenbesser, einem verstorbenen Philosophieprofessor der Columbia University und legendärem Witzbold. «Professor Morgenbesser, warum ist etwas und nicht nichts?», fragte ihn eines Tages ein Student. Woraufhin Morgenbesser erwiderte: «Ach, wissen Sie, wenn es nichts gäbe, wären Sie immer noch nicht zufrieden!»
Dennoch lässt sich die Frage nicht einfach mit einem Lachen abtun. Jeder von uns, so Martin Heidegger, wird einmal von ihrer «verborgenen Macht … gestreift»:
«In einer großen Verzweiflung z.B., wo alles Gewicht aus den Dingen schwinden will und jeder Sinn sich verdunkelt, steht die Frage auf … In einem Jubel des Herzens ist die Frage da, weil hier alle Dinge verwandelt und wie erstmalig um uns sind … In einer Langeweile ist die Frage da, wo wir von Verzweiflung und Jubel gleich weit entfernt sind, wo aber die hartnäckige Gewöhnlichkeit des Seienden eine Ode ausbreitet, in der es uns gleichgültig erscheint, ob das Seiende ist oder ob es nicht ist …»[4]
Die Nichtbeachtung dieser Frage ist ein Symptom geistiger Beeinträchtigung – das behauptete zumindest der Philosoph Arthur Schopenhauer. «Je niedriger ein Mensch in intellektueller Hinsicht steht, desto weniger Rätselhaftes hat für ihn das Daseyn selbst», schrieb er.[5] Was den Menschen über andere Geschöpfe erhebt, ist das Bewusstsein seiner Endlichkeit; die Aussicht auf den Tod führt zur Vorstellbarkeit des Nichts, dem Schock des Nichtseins. Wenn mein eigenes Selbst, der Mikrokosmos, ontologisch so prekär ist, dann gilt das womöglich auch für den Makrokosmos, für das Universum als Ganzes. Begrifflich steht die Frage «Warum ist die Welt?» mit der Frage «Warum bin ich?» in engem Zusammenhang. Das sind, wie John Updike schrieb, die beiden großen existenziellen Geheimnisse. Sollten Sie zufällig ein Solipsist sein und wie der junge Wittgenstein behaupten: «Ich bin meine Welt», verschmelzen sie miteinander.
Bei einer Frage, die als so zeitlos und universell angesehen wird wie «Warum ist etwas und nicht nichts?», ist es schon seltsam, dass sie vor Beginn der Neuzeit von niemandem explizit gestellt wurde. Vielleicht macht der «Nichts-Teil» die Frage so ausgesprochen modern. Vormoderne Kulturen hatten ihre Schöpfungsmythen, um den Ursprung des Universums zu erklären, aber solche Mythen beginnen nie mit dem reinen Nichts. Stets setzen sie ein Urwesen oder einen Urstoff voraus, aus dem die bekannte Welt hervorging. In einem altnordischen Mythos, der um 1200 entstand, begann das Dasein beispielsweise, als eine feurige Urregion eine urweltliche Frostregion auftaute, woraufhin sich Tropfen einer Flüssigkeit bildeten, die rasch zu Leben erwachten und die Gestalt des weisen Riesen Ymer und einer Kuh namens Audhumla annahmen. Bald entwickelte sich jene Welt, die den Wikingern bekannt war. Nach einem etwas sparsameren Schöpfungsmythos, dem der afrikanischen Bantu, wurde der gesamte Inhalt des Universums – Sonne, Sterne, Land, See, Tiere, Fische, Menschheit – buchstäblich von einem unter Übelkeit leidenden Wesen namens Bumba erbrochen. Kulturen, die keinen Mythos kennen, der erklärt, wie die Welt entstanden ist, sind selten, aber nicht unbekannt. Eine ist die der Pirahã, eines sonderlichen Amazonas-Volks. Wenn Anthropologen die Pirahã fragten, was vor der Welt war, erwiderten sie stets: «Es ist schon immer so gewesen.»[6]
Eine Theorie über die Geburt des Universums bezeichnet man als Kosmogonie, von den griechischen Wörtern kosmos, «Universum», und gone, «Zeugung». Letzteres hat dieselbe Sprachwurzel wie «Gonade». Die Griechen waren die Pioniere der rationalen Kosmogonie, die der mythopoetischen Spielart der Schöpfungserzählungen gegenübersteht. Trotzdem haben die Griechen nie gefragt, warum es eine Welt gibt und nicht gar nichts. Ihre Kosmogonien begannen alle mit irgendeinem Ausgangsstoff, der immer ziemlich chaotisch war. Die natürliche Welt entstand dann, wenn diesem anarchischen Urzustand Ordnung aufgezwungen wurde: wenn aus Chaos Kosmos wurde. (Interessant, dass «Kosmos» und «Kosmetik» dieselbe Wurzel haben: kosméo, das griechische Wort für «ordnen» oder «schmücken».) Zu der Frage, wie das Urchaos ausgesehen haben könnte, äußerten die griechischen Philosophen unterschiedliche Vermutungen. Thales glaubte, sein beherrschendes Element sei das Wasser gewesen, eine Art Urmeer. Für Heraklit war es Feuer. Anaximander hatte eine abstraktere Vorstellung, er hielt es für einen unbestimmten Stoff, den er das «Grenzenlose» nannte. Für Platon und Aristoteles war es ein formloses Substrat, in dem man ein vorwissenschaftliches Konzept des Raums sehen könnte. Die Griechen interessierten sich nicht sonderlich für die Frage, woher diese Urmaterie gekommen sein könnte. Man hielt sie einfach für ewig. Was immer sie war, sie war sicherlich nicht nichts – eine Idee, die für die Griechen völlig unvorstellbar war.
Das Nichts war auch der jüdischen Tradition völlig fremd. Im ersten Buch Mose erschafft Gott die Welt nicht aus nichts, sondern aus einem Chaos von Erde und Wasser, das «wüst und leer» war – tohu bohu im hebräischen Original.
Doch zu Beginn der christlichen Ära begann sich eine neue Denkweise durchzusetzen. Die Vorstellung, dass Gott irgendeinen Stoff brauchte, um eine Welt zu formen, schien seinen vermeintlich unendlichen Schöpfungskräften eine Grenze zu setzen. Daher entwickelten die Kirchenväter um das 2. oder 3. Jahrhundert eine vollkommen neue Kosmogonie. Die Welt sei, so verkündeten sie, allein durch Gottes schöpferisches Wort in ihre Existenz gerufen worden, ganz ohne einen präexistenten Stoff, aus dem er sie hätte erschaffen können. Diese Lehre von der Creatio ex nihilo, der Schöpfung aus dem Nichts, ging in die islamische Theologie ein, wo sie jetzt zum Kalam-Beweis für die Existenz Gottes gehört. Auch in das jüdische Denken des Mittelalters fand sie Eingang. Als der jüdische Philosoph Maimonides den Anfang des Ersten Buchs Mose las, gelangte er zu dem Schluss, dass Gott die Welt aus nichts erschaffen habe.
Die Aussage, Gott habe die Welt «aus nichts» gemacht, heißt nicht, das Nichts in den Rang einer Entität zu erheben, auf eine Stufe mit Gott. Es heißt lediglich, dass Gott die Welt nicht aus etwas erschaffen hat. Wie andere christliche Theologen vertrat auch Thomas von Aquin diese Auffassung mit großer Entschiedenheit. Trotzdem schien die Lehre von der Schöpfung aus nichts die Vorstellung vom Nichts als eine echte ontologische Option zu bestätigen. Sie schuf die begriffliche Möglichkeit zu fragen, warum eine Welt ist und nicht gar nichts.
Was dann einige Jahrhunderte später jemand tatsächlich tat – ein deutscher Höfling, der eitel und nicht ganz ehrlich war und zugleich zu den größten Denkern aller Zeiten zählte: Gottfried Wilhelm Leibniz. Man schrieb das Jahr 1714. Der achtundsechzigjährige Leibniz stand am Ende eines langen und aberwitzig produktiven Gelehrtenlebens. Zur gleichen Zeit wie Newton und völlig unabhängig von diesem hatte er die Infinitesimalrechnung entwickelt. Im Alleingang hatte er die wissenschaftliche Logik revolutioniert. Er hatte eine fantastisch anmutende Metaphysik ersonnen, in der es um eine unendliche Zahl seelenartiger Entitäten geht, sogenannter Monaden, und um die – später von Voltaire in Candide so gnadenlos verspottete – Lehre von «der besten aller möglichen Welten». Trotz seines Ansehens als Philosoph und Wissenschaftler wurde Leibniz in Hannover zurückgelassen, als sein hochwohlgeborener Arbeitgeber, der Kurfürst Georg Ludwig, nach Großbritannien ging, um dort als König George den Thron zu besteigen. Leibniz’ Gesundheit war angegriffen; zwei Jahre später starb er und verließ – nach Angaben des Sekretärs – seinen Körper in einer dichten Wolke giftiger Gase.
Unter diesen wenig erfreulichen Umständen verfasste Leibniz seine letzten philosophischen Schriften, unter anderem den Aufsatz «Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade». Darin legte er sein Prinzip des «zureichenden Grundes» dar, das im Wesentlichen besagt, es gebe eine Erklärung für jede Tatsache, eine Antwort auf jede Frage. «Ist dieses Prinzip aufgestellt», heißt es dort, «so wird die erste Frage, die man mit Recht stellen darf, die sein, warum es eher Etwas als Nichts gibt.»[7]
Für Leibniz ergab sich die vermeintliche Antwort von selbst. Aus Karrieregründen hatte er sich immer zur religiösen Orthodoxie bekannt. Daher behauptete er, der Grund für die Existenz der Welt sei Gott, der sie aus eigenem freiem Willen dank seiner unendlichen Güte erschaffen habe.
Doch wie ließ sich Gottes eigene Existenz erklären? Auch auf diese Frage wusste Leibniz eine Antwort. Im Gegensatz zum Universum, dessen Sein kontingent sei, wäre Gott notwendig. Er trage den Grund seiner Existenz in sich selbst. Seine Nichtexistenz sei logisch unmöglich.
Kaum hatte er also die Frage «Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?» gestellt, da verwarf er sie schon wieder. Die Existenz des Universums habe ihren Grund in Gott. Und die Existenz Gottes habe ihren Grund in Gott. Nur Gott könne, so Leibniz, das letzte Geheimnis der Existenz lüften.
Die Leibniz’sche Lösung für das Rätsel der Existenz hatte nicht lange Bestand. Noch im 18. Jahrhundert attackierten David Hume und Immanuel Kant – zwei Philosophen, die über die meisten anderen Fragen zerstritten waren – den Begriff des «notwendigen Seins» als ontologischen Betrug. Natürlich gibt es Entitäten, deren Existenz logisch unmöglich ist – wie die eines quadratischen Kreises beispielsweise. Doch die Existenz keiner Entität – darin waren sich Hume und Kant einig – ist durch reine Logik gewährleistet. «Alles, was wir als seiend vorstellen, können wir auch als nichtseiend vorstellen», schreibt Hume. «Also gibt es kein Ding, dessen Nichtsein einen Widerspruch einschließt» – Gott eingeschlossen.[8]
Doch wenn Gott nicht notwendigerweise existiert, ergibt sich eine vollkommen neue metaphysische Möglichkeit: die Möglichkeit eines absoluten Nichts – keine Welt, kein Gott, kein irgendwas. Merkwürdigerweise nahmen jedoch weder Hume noch Kant die Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» ernst. Hume hielt jede denkbare Antwort darauf «für bloße Sophisterei und Illusion», da sie niemals auf unsere Erfahrung gegründet sein könne. Nach Kants Ansicht würde der Versuch, die Gesamtheit des Seins zu erklären, notgedrungen bedeuten, dass wir die Begriffe, mit deren Hilfe wir die Welt unserer Erfahrung strukturieren – Begriffe wie Kausalität und Zeit –, unzulässig auf eine Wirklichkeit verallgemeinern, die diese Welt transzendiert, das heißt, auf die Wirklichkeit der «Dinge an sich». Das Ergebnis könnten nur Irrtum und Widersprüchlichkeit sein.
Möglicherweise unter dem Eindruck dieser Hume’schen und Kant’schen Einschränkungen scheuten nachfolgende Philosophen weitgehend die Auseinandersetzung mit der Frage: «Warum ist etwas und nicht nichts?» Der große Pessimist Schopenhauer, der vom Geheimnis der Existenz sagte, es sei «die Unruhe, welche die nie ablaufende Uhr der Metaphysik in Bewegung erhält», ließ sich nicht daran hindern, die Philosophen, die vorgaben, es zu lösen, als Possenreißer, «Windbeutel» und «Scharlatane» zu bezeichnen.[9] Der deutsche Romantiker Friedrich Schelling erklärte, die Hauptaufgabe der Philosophie sei es, «die Thatsache der Welt zu erklären».[10] Doch Schelling gelangte bald zu dem Schluss, es sei unmöglich, die Existenz rational zu erklären; allenfalls könnten wir sagen, glaubte er, die Welt sei durch einen unbegreiflichen Sprung aus dem Abgrund ewigen Nichts erwachsen. Hegel schrieb eine Menge unverständlicher Prosa über «das Verschwinden von Sein in Nichts und von Nichts in Sein»,[11] aber der dänische Philosoph Søren Kierkegaard befand, seine dialektischen Manöver seien kaum erhellender als eine «Kolonialwarenhändlererklärung».[12]
Anfang des 20. Jahrhunderts regte sich erneut ein gewisses Interesse am Geheimnis der Existenz, was in erster Linie dem französischen Philosophen Henri Bergson zu verdanken war. «Ich will wissen, warum das Universum ist», erklärte Bergson 1907 in seinem Buch Schöpferische Entwicklung. Alle Existenz – Materie, Bewusstsein, Gott selbst – sei, so schien es ihm, «ein Sieg über das Nichtsein».[13] Doch nach intensivem Nachdenken gelangte er zu dem Schluss, dass diese Überwindung so wundersam gar nicht sei. Die ganze Etwas-oder-nichts-Frage beruhe auf einer Illusion: der Illusion, dass es gar nichts geben könne. Mit einer Reihe zweifelhafter Argumente gab Bergson vor, beweisen zu können, dass der Begriff des absoluten Nichts in sich widersprüchlich sei wie der Begriff eines runden Quadrats. Da das Nichts ein Pseudobegriff sei, handle es sich bei der Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» um eine Pseudofrage.
Diese ernüchternde Schlussfolgerung machte sicherlich keinen Eindruck auf Martin Heidegger, für den das Nichts allzu wirklich war, eine Art negierender Kraft, die das Reich des Seins mit Vernichtung bedrohte. Ganz am Anfang einer Reihe von Vorlesungen, die Heidegger 1935 an der Universität Freiburg hielt – wo er ob seiner NSDAP-Mitgliedschaft zum Rektor ernannt worden war –, bezeichnete er die Frage «Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?» als die «weiteste, tiefste und ursprünglichste Frage».[14]
Und was fing Heidegger im Verlauf der Vorlesungen mit dieser Frage an? Nicht viel. Er ließ sich über ihr existenzielles Pathos aus. Er dilettierte in selbst gebastelter Etymologie, trug griechische, lateinische und sanskritische Wörter zusammen, die mit «Sein» verwandt waren. Er schwärmte von den poetischen Qualitäten der Vorsokratiker und der griechischen Tragiker. Am Ende der letzten Vorlesung erklärte Heidegger schließlich: «Fragen können heißt: warten können, sogar ein Leben lang»[15] – was diejenigen seiner Zuhörer, die auf die Andeutung einer Antwort gehofft hatten, zu einem müden Kopfnicken veranlasst haben wird.
Zweifellos war Heidegger der einflussreichste kontinentaleuropäische Philosoph des 20. Jahrhunderts. Doch für die englischsprachige Welt war es Ludwig Wittgenstein. Wittgenstein und Heidegger wurden im selben Jahr, 1889, geboren. Was ihren Charakter anging, hätten sie allerdings gegensätzlicher nicht sein können: Wittgenstein war mutig und asketisch, Heidegger verschlagen und eitel. Beide aber waren sie gleichermaßen angezogen vom Geheimnis – oder vom «Mystischen» – der Existenz. «Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist», bekennt Wittgenstein in einem der nüchtern bezifferten Sätze – 6.44, um genau zu sein – des Tractatus logico-philosophicus, des einzigen Werks, das er zu Lebzeiten veröffentlichte.[16] Einige Jahre zuvor, am 26. Oktober 1916, hatte Wittgenstein in das Tagebuch, das er als Soldat der österreichischen Armee während des Ersten Weltkriegs führte, notiert: «Das künstlerische Wunder ist, daß es die Welt gibt.» Später am selben Tag folgte die an Schiller angelehnte Eintragung: «Ernst ist das Leben, heiter die Kunst» – und das, während er an der russischen Front kämpfte.[17] Staunen und Verwunderung über die Existenz der Welt gehörten nach eigenem Bekunden zu den drei Erfahrungen, die ihm ermöglichten, sein Denken auf Ethik zu richten; die anderen beiden waren das Gefühl absoluter Sicherheit und die Erfahrung von Schuld. Doch wie bei allen wirklich wichtigen Fragen – Ethik, Sinn des Lebens und Tod – sei jeder Versuch einer Erklärung vergeblich; er führe über die Grenzen der Sprache hinaus ins Reich des Unsagbaren. Zwar achte er den Drang, die Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» zu stellen, halte sie aber letztlich für sinnlos. Kompromisslos hat er diesen Gedanken in Satz 6.5 des Tractatus formuliert: «Das Rätsel gibt es nicht.»
Auch wenn Wittgenstein das «Mystische» der Existenz für nicht sagbar hielt, es hat ihm dennoch ein Gefühl der Ehrfurcht und der geistigen Erleuchtung vermittelt. Dagegen erschien es vielen britischen und amerikanischen Philosophen, die nach ihm kamen, als eine abstruse Zeitverschwendung. Ein typisches Beispiel für diese ablehnende Haltung verkörperte A.J. «Freddy» Ayer, der britische Wortführer des logischen Positivismus, eingeschworene Feind aller Metaphysik und selbst ernannte philosophische Erbe David Humes. 1949 führte Ayer in einer Rundfunksendung der BBC mit Frederick Copleston, einem Jesuitenpater und Philosophiehistoriker, ein Streitgespräch über die Existenz Gottes. Wie sich herausstellte, drehte sich ein Großteil dieser Debatte um die Frage, warum etwas ist und nicht nichts. Für Pater Copleston eröffnete diese Frage einen Zugang zur Transzendenz, eine Möglichkeit, zu erkennen, dass Gottes Existenz «die höchste ontologische Erklärung der Erscheinungen ist».[18] Für Ayer, seinen atheistischen Widersacher, war das dummes Geschwätz.
«Nehmen wir an», sagte Ayer, «Sie stellen eine Frage wie: ‹Woher kommen alle Dinge?› Das ist eine vollkommen sinnvolle Frage zu jedem beliebigen Ereignis. Fragen Sie, woher etwas kommt, fragen Sie nach einem Ereignis, das vorher stattgefunden hat. Doch wenn Sie diese Frage verallgemeinern, wird sie sinnlos. Denn dann fragen Sie, was vor allen Ereignissen war. Selbstverständlich kann kein Ereignis vor allen Ereignissen sein. Da es ein Element der Klasse aller Ereignisse ist, muss es in dieser enthalten sein und kann daher nicht früher als diese sein.»[19]
Wittgenstein, der sich diese Sendung angehört hatte, sagte später zu einem Freund, er habe Ayers Argumentation als «unglaublich seicht» empfunden.[20] Trotzdem hielt man das Ergebnis der Debatte für so knapp, dass man einige Jahre darauf eine «Rückrunde» im Fernsehen ansetzte. Aber es gab eine technische Störung, und Ayer und Copleston wurden während ihrer Behebung so reichlich mit Whisky versorgt, dass sie, als die Debatte endlich begann, keinen zusammenhängenden Gedanken mehr formulieren konnten.
Der Meinungsstreit zwischen Ayer und Copleston darüber, ob die Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» sinnvoll sei oder nicht, lief letztlich auf einen Disput über das Wesen der Philosophie hinaus. Die große Mehrheit der Philosophen in der englischsprachigen Welt schlug sich in dieser Auseinandersetzung auf Ayers Seite. Es gebe zwei Arten von Wahrheiten, behaupteten die Orthodoxen: logische Wahrheiten und empirische Wahrheiten. Nach dieser Auffassung hängen logische Wahrheiten nur von Wortbedeutungen ab. Die Notwendigkeiten, die sie ausdrücken, wie etwa «Alle Junggesellen sind unverheiratet», sind rein sprachliche Notwendigkeiten. Daher können logische Wahrheiten keine Erklärungen der Wirklichkeit liefern. Empirische Wahrheiten dagegen, so die Vertreter dieser Ansicht, hängen von der Evidenz ab, die die Sinne vermitteln. Sie fallen in die Zuständigkeit der wissenschaftlichen Forschung. Man war sich allgemein einig, dass die Frage, warum es die Welt gibt, dem Zugriff der Wissenschaft entzogen sei: Eine wissenschaftliche Erklärung könne schließlich einen Teil der Wirklichkeit nur mittels anderer Teile erklären; niemals könne sie die Wirklichkeit als Ganze erklären. Daher müsse die Existenz ein brute fact sein. Bertrand Russell fasste den philosophischen Konsens wie folgt zusammen: «Ich würde sagen, daß die Welt einfach da ist, und damit hat es sich.»[21]
Der überwiegende Teil der Wissenschaftler stimmte ihm zu. Die Brute-fact-Position ist relativ bequem, wenn man davon ausgeht, dass es das Universum schon immer gegeben hat. Und diese Ansicht teilten die meisten großen Naturwissenschaftler der Neuzeit – darunter Kopernikus, Galilei und Newton. Einstein war davon überzeugt, dass das Universum nicht nur ewig, sondern auch gänzlich unveränderlich sei. Als er 1917 seine allgemeine Relativitätstheorie auf die Raumzeit als Ganze anwendete, stellte er zu seiner Überraschung fest, dass seine Gleichungen ein ganz anderes Bild entwarfen: Danach musste sich das Universum entweder ausdehnen oder zusammenziehen. Das erschien ihm grotesk, deshalb setzte er einen Pseudofaktor in seine Theorie ein, der dafür sorgte, dass das Universum wieder ewig und unveränderlich war.
Ausgerechnet ein ordinierter Priester hatte den Mut, die Relativitätstheorie logisch zu Ende zu denken. 1927 arbeitete Georges Lemaître von der Universität Löwen in Belgien über ein Einstein’sches Modell des Universums, in dem der Raum expandierte. Als Pater Lemaître diesen Prozess in Gedanken rückwärts verfolgte, gelangte er zu der Hypothese, dass das ganze Universum in der Vergangenheit aus einem unvorstellbar kleinen Uratom von unendlich konzentrierter Energie hervorgegangen sei. Zwei Jahre später wurde Lemaîtres Modell des expandierenden Universums vom Astronomen Edwin Hubble bestätigt, der mit seinen Beobachtungen am Mount Wilson Observatory in Kalifornien bewies, dass sich alle Galaxien um uns herum tatsächlich entfernen. Beide Theorien und die empirischen Daten deuteten auf dieselbe Schlussfolgerung hin: Das Universum muss einen plötzlichen Anfang in der Zeit gehabt haben.
Die Kleriker jubelten. Damit war ihnen, glaubten sie, der Beweis für die biblische Schöpfungsgeschichte in den Schoß gefallen. 1951, in der Eröffnungsrede zu einer Konferenz im Vatikan, erklärte Papst Pius XII., diese Theorie vom kosmischen Ursprung lege Zeugnis ab «von dem erhabenen Augenblick des ersten Fiat Lux … als zusammen mit der Materie ein Meer aus Licht und Strahlung hervorbrach … Daher hat die Schöpfung stattgefunden. Wir sagen: Deshalb gibt es einen Schöpfer. Folglich gibt es Gott!»[22]
Die Leute am anderen Ende des ideologischen Spektrums knirschten mit den Zähnen – insbesondere die Marxisten. Ganz abgesehen von ihrer religiösen Aura widersprach die neue Theorie der Überzeugung von der Unendlichkeit und Ewigkeit der Materie, die ein Axiom von Lenins dialektischem Materialismus war. Folglich wurde die Theorie als «idealistisch» verworfen. Der marxistisch angehauchte Physiker David Bohm diffamierte die Urheber der Theorie als «Wissenschaftler, die praktisch zu Verrätern an der Wissenschaft werden und wissenschaftliche Fakten unterschlagen, um zu Schlussfolgerungen zu gelangen, die der katholischen Kirche genehm sind».[23] Auch Atheisten, die nicht dem marxistischen Lager angehörten, äußerten sich ablehnend. «Einige jüngere Forscher wurden so aufgeregt über diese theologischen Tendenzen, daß sie ihre kosmologische Quelle einfach zu verstopfen beschlossen», berichtete der deutsche Astronom Otto Heckmann, ein prominenter Forscher auf dem Gebiet der kosmischen Expansion.[24] Sir Arthur Eddington, Doyen der Disziplin, schrieb: «Die Vorstellung eines Anfangs empfinde ich als abstoßend … Ich glaube einfach nicht, dass die gegenwärtige Ordnung der Dinge mit einem Knall begann … das expandierende Universum ist absurd … unglaubwürdig … lässt mich kalt.»[25]
Sogar einige überzeugte Wissenschaftler waren irritiert. So fand der Kosmologe Sir Fred Hoyle, dass eine Explosion ein ziemlich würdeloser Anfang für eine Welt sei, wie «ein Partygirl, das aus einer Torte springt».[26] In den fünfziger Jahren bezeichnete Hoyle den hypothetischen Ursprung unseres Universums spöttisch als «Big Bang», als «Großen Knall», woraus dann im Deutschen der «Urknall» wurde. Der Ausdruck setzte sich durch.
Erst kurz vor seinem Tod im Jahr 1955 gelang es Einstein, seine metaphysischen Skrupel hinsichtlich des Urknalls zu überwinden. Den Versuch, ihn durch einen theoretischen Trick zu umgehen, bezeichnete er als «die größte Eselei» seines Lebens. Hoyle und alle übrigen Skeptiker wurden 1965 endgültig überzeugt, als zwei Wissenschaftler von den Bell Labs in New Jersey zufällig eine allgegenwärtige Mikrowellenstrahlung entdeckten, die sich als das ferne Echo des Urknalls herausstellte – zunächst hatten die beiden Forscher sie für ein Störgeräusch gehalten, das durch den Taubenmist auf ihrer Antenne verursacht worden sei. Wenn Sie früher beim Einstellen Ihres Fernsehapparats zwischen zwei Sendern landeten, wurde das schwarz-weiße Flimmern auf dem Bildschirm zu ungefähr zehn Prozent von Photonen bewirkt, die vom Urknall übrig geblieben sind. Lässt sich ein besserer Beweis für die Wirklichkeit des Urknalls finden als die Tatsache, ihn im eigenen Fernseher anschauen zu können?
Egal, ob das Universum einen Schöpfer hatte oder nicht, die Erkenntnis, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit entstanden war – vor 13,7 Milliarden Jahren nach den neuesten kosmologischen Berechnungen –, schien die Vorstellung, es sei ontologisch autark, ad absurdum zu führen. Galt doch bis dahin die Annahme als vernünftig, dass alles, was aus sich selbst existiert, ewig und unvergänglich sein müsse. Doch jetzt sah es so aus, als sei das Universum weder das eine noch das andere. So wie es durch den Urknall mit einem Schlag existierte, expandierte und sich zur heutigen Gestalt entwickelte, so könnte es auch in einer fernen Zukunft mit einem vernichtenden Big Crunch, einem «Großen Knirschen», wieder aus der Existenz verschwinden. Ob das Schicksal des Universums letztlich ein Big Crunch, ein Big Chill [eine Große Kälte] oder ein Big Crack-up [Großes Bersten] sein wird, ist in der heutigen Kosmologie eine vollkommen offene Frage. Das Leben des Universums kann wie das unsere durchaus ein Zwischenspiel zwischen zwei großen Nichtsen sein.
Jedenfalls sorgte die Entdeckung des Urknalls dafür, dass es sehr viel schwieriger wurde, der Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» auszuweichen. «Sollte das Universum nicht schon immer existiert haben, stünde die Wissenschaft vor der Notwendigkeit, seine Existenz zu erklären», meinte Arno Penzias,[27] der sich für die Entdeckung, dass der Urknall nachglühte, den Nobelpreis teilte. Die ursprüngliche Warum-Frage wurde nicht nur mit neuem Leben erfüllt, sondern sie musste jetzt auch durch eine Wie-Frage ergänzt werden: «Wie konnte etwas aus Nichts entstehen?» Abgesehen davon, dass die Urknall-Hypothese den Apologeten der Religion frische Hoffnung gab, eröffnete sie auch eine neue und rein wissenschaftliche Möglichkeit, den tatsächlichen Ursprung des Universums zu erforschen. Überhaupt schienen sich die Forschungsansätze ungeheuer zu vervielfältigen. Schließlich gab es zwei revolutionäre Entwicklungen in der Physik des 20. Jahrhunderts. Die eine, Einsteins Relativitätstheorie, führte zu der Schlussfolgerung, dass das Universum einen Anfang in der Zeit hatte. Die andere, die Quantenmechanik, hatte noch radikalere Konsequenzen, denn sie erschütterte das Gesetz von Ursache und Wirkung. Nach der Quantentheorie sind Ereignisse auf der Mikroebene zufallsgesteuert; sie verstoßen gegen das klassische Prinzip der Kausalität. Damit ergab sich die theoretische Möglichkeit, dass auch das Universum ohne eine Ursache von übernatürlicher oder anderer Art entstanden sein könnte. Vielleicht war die Welt spontan aus dem reinen Nichts hervorgekommen. Alles, was existiert, könnte einer Zufallsfluktuation in vollkommener Leere zu verdanken sein, einem «quantenmechanischen Tunneleffekt», der den Übergang vom Nichts ins Sein ermöglicht hatte. Wie das im Einzelnen geschehen sein könnte, ist das Spezialgebiet einer kleinen, aber einflussreichen Gruppe von Physikern, die gelegentlich als «Nichts-Theoretiker» bezeichnet werden. Mit einer Mischung aus metaphysischer Chuzpe und Naivität glauben diese Physiker – unter ihnen auch Stephen Hawking –, sie seien in der Lage, ein Geheimnis zu lüften, von dem man bislang glaubte, es sei wissenschaftlicher Erkenntnis entzogen.
Möglicherweise von dieser naturwissenschaftlichen Unruhe beflügelt, offenbarten auch die Philosophen größere ontologische Kühnheit. Der logische Positivismus, der die Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» ignoriert hatte, wurde in den sechziger Jahren zu Grabe getragen – Opfer seiner Unfähigkeit, zwischen Sinn und Unsinn zu unterscheiden. Daraufhin erlebte die Metaphysik – der Versuch, die Wirklichkeit als Ganzes zu beschreiben – eine Renaissance. Selbst in der angelsächsischen Welt scheuen «analytische» Philosophen die Auseinandersetzung mit metaphysischen Themen nicht mehr. Der wohl kühnste der vielen Philosophen, die sich in den letzten Jahrzehnten mit dem Geheimnis der Existenz beschäftigten, war der 2002 mit dreiundsechzig Jahren verstorbene Robert Nozick von der Harvard University. Obwohl vor allem bekannt als Verfasser des libertären Klassikers Anarchie, Staat, Utopia [Anarchy, State, and Utopia] war Nozick auch so besessen von der Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?», dass er in dem späteren Buch Philosophical Explanations den verschiedenen – teilweise höchst abenteuerlichen – Möglichkeiten ihrer Beantwortung einen fünfzigseitigen Abschnitt widmete. Unter anderem forderte er den Leser auf, sich das Nichts als eine Kraft vorzustellen, «die die Dinge in die Nichtexistenz saugt».[28] Er postulierte ein «Fruchtbarkeitsprinzip», das die gleichzeitige Existenz aller möglicher Welten gestattete. Schließlich behauptete er sogar, eine Art mystische Einsicht in die Grundlagen der Wirklichkeit zu haben. Den Kollegen, die seine Versuche, diese letzte aller Fragen zu beantworten, etwas seltsam finden mochten, trat Nozick mit großer Entschiedenheit entgegen: «Jemand, der eine nicht seltsame Antwort vorschlägt, zeigt, dass er die Frage nicht verstanden hat.»[29]
Heute spaltet die Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» die denkende Zunft in drei Lager. Die «Optimisten» vertreten die Ansicht, dass es einen Grund für die Existenz der Welt geben müsse und wir sehr wohl in der Lage seien, ihn zu entdecken. Die «Pessimisten» glauben, dass es einen Grund für die Existenz der Welt geben könnte, aber dass wir ihn nie mit Sicherheit erkennen würden – vielleicht, weil wir zu wenig von der Wirklichkeit sehen, um uns des hinter ihr verborgenen Grundes bewusst zu sein oder weil ein solcher wie auch immer gearteter Grund jenseits der menschlichen Verstandesfähigkeiten liegt, die von der Natur für Überlebenszwecke und nicht für die Erfassung des innersten Wesens unseres Kosmos entwickelt wurden. Und schließlich sind da die «Verweigerer», die hartnäckig dabei bleiben, dass es keinen Grund für die Existenz der Welt geben könne und dass daher schon die Frage selbst sinnlos sei.
Sie müssen kein Philosoph oder Wissenschaftler sein, um sich einem dieser Lager anzuschließen. Jeder ist dazu berechtigt. Beispielsweise scheint sich Marcel Proust für das Lager der Pessimisten entschieden zu haben. Der Erzähler seines umfangreichen Romanwerks Auf der Suche nach der verlorenen Zeit meint im Gedanken an die Dreyfus-Affäre, die die französische Gesellschaft in einander bekriegende Fraktionen gespalten hatte, dass die politische Weisheit möglicherweise machtlos sei, diese Auseinandersetzung zu beenden, «so wie in der Philosophie die reine Logik für die Lösung der Fragen des Seins unzuständig ist».[30]
Doch nehmen wir an, Sie sind ein optimistischer Mensch. Welcher Ansatz erscheint Ihnen am verheißungsvollsten, um das Geheimnis der Existenz zu lüften? Ist es der traditionelle theistische Weg, auf dem man nach einer gottähnlichen Entität als notwendiger Ursache und Erhalterin alles Seins sucht? Ist es der wissenschaftliche Ansatz, der sich an der Quantenkosmologie orientiert, um zu erklären, warum ein Universum zwangsläufig aus der Leere in die Existenz springen muss? Oder eine rein philosophische Herangehensweise, bei der es darum geht, einen Grund für die Existenz der Welt aus abstrakten Wertvorstellungen oder aus der reinen Unmöglichkeit des Nichts abzuleiten? Handelt es sich gar um so etwas wie einen mystischen Weg, dessen Ziel es ist, das Verlangen nach einem rationalen Grund für die Existenz der Welt durch unmittelbare Erleuchtung zu stillen?
Alle diese Ansätze haben ihre zeitgenössischen Vertreter. Alle scheinen auf den ersten Blick einen Versuch wert zu sein. Tatsächlich können wir nur dann hoffen, das Geheimnis der Existenz zu lüften, wenn wir es aus jedem verfügbaren Blickwinkel betrachten. All denjenigen, denen die Frage «Warum ist etwas und nicht nichts?» viel zu schwierig oder sogar völlig sinnlos erscheint, sei ins Stammbuch geschrieben, dass Erkenntnisfortschritte häufig dann zustande kommen, wenn genau solche Fragen auf eine von ihren Urhebern nicht vorhergesehene Weise