Glaube, Liebe und Sexualität im Sumpf der Traditionen - Ferdinand Steiner - E-Book

Glaube, Liebe und Sexualität im Sumpf der Traditionen E-Book

Ferdinand Steiner

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Beschreibung

Es ist unbestreitbar so, dass die sexuelle Obsession kein Alleinstellungsmerkmal der katholischen Kirche ist, sie ist vielmehr eine Obsession des gesamten Westens und das weit bis in den Osten hinein! Im Kampf gegen die schmutzige Lust und das sündige Laster steht die Religion egal welchen Bekenntnisses an vorderster Reihe, denn das war schon immer so, also muss es wohl auch für immer so sein! Bieten die einen ein ewiges Höllenfeuer zur Entlohnung an, so gibt es die Drohung mit der gnadenlosen Scharia bei den anderen schon zu Lebzeiten. Mein Glaube und die Religion, der ich angehöre, die beide im Widerspruch zwischen gepredigter und gelebter Sexualität, das ist das Feld, auf dem sich mein Geist abseits aller Dogmen, doch mit Hilfe von Logik und Geschichte, seit vielen Jahren bewegt. Und meine unterschwellige Ironie war mein innerer Spaß beim Schreiben.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Hi braucht He! Ha?

Bewusstheit als Ziel der menschlichen Entwicklung

Wer ist Kapitän auf meinem Lebensschiff?

Auf Augenhöhe

Der Materialismus als Experimentierfeld Gottes

Plädoyer für eine neue Wertordnung

Demut statt Macht?

Was ist Geist?

Der Fortschritt der Menschheit – eine neue Perspektive

Das Geheimnis der Erfolglosigkeit

Realitätserfassung

Idealrezept Empathie?

Eros, die Falle in der Beziehung

Das Cabaret um Symphysien

Motivation

Gott - Glaube - Religion

Religion und Sexualität

Was ist Treue?

Blick zurück

Cave canem Corona!

Ein Narr macht zehn

Wer lügt denn?

Wenn Sinn verlorengeht

Wer Vater oder Mutter mehr liebt

Der Friede sei mit dir!

Tradition – Beständigkeit oder alter Sumpf?

Nachwort: Die Kultur des Menschseins

Einleitung

Ich wurde in einer Zeit geboren, als zwar die Herrschaft der Nazis aber noch nicht ihr Gedankengut zu Ende war. „Das hätte es unterm Hitler nicht gegeben!“ bekam ich noch öfter zu hören, doch mein Vater hatte dazu gottlob andere Perspektiven. Für die Einstellungen und Werte, die mir in einem katholischen Kernland der Gegenreformation eingeprägt wurden, hatte er freilich keine abweichenden Ideen, die musste ich mir später selber erarbeiten. Es war nicht mein erster Widerstand, doch es war mein erster lauter, als Papst Paul VI. seine Enzyklika „Humane vitae“ erließ. Ich sah damals nicht ein, dass ein Papst in Rom die Kompetenz haben sollte, mir vorzuschreiben, dass meiner Frau, die ich noch gar nicht hatte, die Antibabypille verboten sei. Seit damals ist ein störrischer, alter Esel in mir nicht bereit, einen ursächlichen Konnex zwischen Religion und Sexualität anzuerkennen. Immer zu besonderen Anlässen kocht das Thema auf und meine hohe Produktivität in Zeiten von Corona gab ihm auch diesmal wieder neue Nahrung. Mein Glaube und die Religion, der ich angehöre, die beide im Widerspruch zwischen gepredigter und gelebter Sexualität ist das Feld, auf dem sich mein Geist abseits aller Dogmen, doch mit Hilfe von Logik und Geschichte, seit vielen Jahren bewegt.

Es ist aber nun unbestreitbar so, dass die sexuelle Obsession kein Alleinstellungsmerkmal der katholischen Kirche wäre, sie ist vielmehr eine Obsession des gesamten Westens und das weit bis in den Osten hinein! Im Kampf gegen die schmutzige Lust und das sündige Laster steht die monotheistische Religion egal welchen Bekenntnisses an vorderster Reihe, denn das war schon immer so, also muss es wohl auch für immer so sein! Bieten die einen ein ewiges Höllenfeuer zur Entlohnung für diese offenbar schrecklichste aller Sünden an, so gibt es bei den anderen die Drohung mit der gnadenlosen Scharia schon zu Lebzeiten.

Der mitleidlose Zwang, so zu denken, wie alle denken und so zu handeln, wie alle handeln, hat in mir frühzeitig rebellische Gedanken und Gefühle ausgelöst, sobald jemand mir sagen wollte, was richtig und was falsch war. Erst das Studium der Rechtsphilosophie hat mir klar gemacht, wo der Wurm im Apfel saß: Was sein SOLL bleibt immer an dem haften, der es ausgesprochen hat. Und für den Gegenpart gilt das selbe. Heißt im Klartext: Meine Meinung ist nicht besser als deine! Unsere Meinungen drücken nichts anderes aus als unsere Werte. Gute Werte werden gute Ergebnisse erzeugen und schlechte Werte eben schlechte Ergebnisse. Aber was ist gut? Und was ist böse? Wir sind schon wieder weit in der Subjektivität. Ist es gut, Juden zu vergasen? Millionen von Menschen waren einmal der Meinung, dass das gut sei. Aber wenn Millionen der Meinung sein sollten, der Mond sollte sich in einen Würfel verwandeln …?

Wer gut argumentieren will, wird seine Meinung mit Tatsachen oder gesicherten Abläufen untermauern, nur damit wird er seiner immer noch subjektiven Meinung ein starkes Fundament geben. Und er sollte niemals vergessen, was die alten Römer schon wussten: Jupiter schickt das Böse nur mit Gutem vermischt! Nach meiner Meinung ist es besser, sich in Gelassenheit zu üben, anstatt sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen nur wegen einer anderen Meinung. Das ist zwar lachhaft, passiert aber trotzdem dauernd. Dazu sollten meine Arbeiten in den letzten drei Jahren, die ich hier in loser Folge anschließe, einen Beitrag leisten. An Wiederholungen und Überschneidungen fehlt es freilich nicht; damit wird auch deutlich, wie wichtig mir bestimmte Themen sind. In der Hauptsache geht es dabei meist um Werte, die bei uns oft unhinterfragt und ungeordnet gelebt werden. Meine Freude am Schreiben war meine Kreativität und meine unterschwellige Ironie war mein intellektueller Spaß dabei.

Graz im November 2022

Dr. Ferdinand Steiner

1. Hi braucht He! Ha?

Mein Kater schlummert in seinem Körbchen.

Mein Kater schlummert in seinem Körbchen.

Mein Kater schlummert noch immer in seinem Körbchen. Und ich sitze entspannt an meinem Computer, die Augen auf den Bildschirm gerichtet, die linke Hand auf meinem Oberschenkel ruhend. Zerstreut merke ich dann seine tiefschwarzen Augen, die mich anschauen, doch kein Hirn schreit Alarm! Seine nadelscharfen Krallen fahren mir über den Arm, nein unter das Hemd und es fließt Blut. Jetzt schreit der ganze Ferdinand „Au!“ und das Ungeheuer ergreift blitzartig die Flucht. Trotz der allerbesten Spikes, die ein Katzenvieh nur haben kann, übersteuert Stubentiger in der Kurve und sein Heck bricht aus. Natürlich, Katzen haben keinen Heckspoiler und Schwanz hilft nur dem Eichhörnchen. Damit ist seine Traktion beim Antritt und in der Kurve klar verbesserungsbedürftig. Das Vieh dreht sich also um die Hochachse, erfängt sich aber wieder und bleibt im sicheren Abstand stehen, um meine Reaktion abzuwarten. Jetzt war ja endlich wieder mal was los!

Ist die Sache bedeutsam? Oberflächlich betrachtet sicher nicht! Sie ist in etwa so banal wie der Umstand, dass ein Verkäufer in einem Großgeschäft für den einzigen Kunden, der nicht mit ihm zufrieden war, gerügt wird; über die 99 Kunden, die er zur Zufriedenheit bedient hat, verliert man kein Wort. Das ist eine alltägliche und gewiss auch schreiende Ungerechtigkeit! Wenn wir allerdings das menschliche Grundbedürfnis nach Moralisieren beiseite lassen, könnten wir auch zu einem anderen Ergebnis kommen und einen tieferen Sinn dahinter sehen.

Vor einigen Tagen habe ich mit meinem Kater gespielt, soll heißen, ich habe einen Wollflausch an der Sessellehne hoch und nieder gezogen. Mein Vieh war gespannte Aufmerksamkeit, seine Augen flogen mit dem Knäuel auf und nieder. Bis ich plötzlich aufhörte zu ziehen. Nun folgte sein Blick dem Wollfaden bis zu meiner Hand und dann schaute er von dieser in meine Augen, wieder auf die Hand und wieder in mein Gesicht als fragte er sich: Warum zieht er nicht weiter? Kürzlich habe ich die Nachrichten gehört und hinterher mit der Fernsteuerung das Gerät ausgeschaltet. Kater schaute auf das Radio, dann in mein Gesicht, dann aufs Radio und wieder in mein Gesicht. Ganz offenbar fehlte ihm der Wollfaden.

Spaß beiseite, ich ziehe daraus den Schluss, dass selbst ein Katzenvieh, das sonst nur dann durch Intelligenz besticht, wenn es gerade die Maus ausgräbt, über ein bescheidenes Maß an kausalem Verständnis verfügt. Braucht es dafür nicht Abstraktionsfähigkeit? Bis jetzt hat die Wissenschaft nur dem Menschen die Fähigkeit zu abstraktem Denken zugeschrieben. Noch vor nicht allzu langer Zeit hat sie sogar ausschließlich dem Menschen die Fähigkeit zum Werkzeuggebrauch zugebilligt. Heute wissen wir, dass das natürlich falsch war, es war nur menschliche Hybris! Heute wissen wir auch schon, dass sogar manche Affenarten uns in der Merkfähigkeit beim simultanen Mengenerfassen überlegen sind. Mein Kater hat auch auf andere Weise seine Lernfähigkeit bewiesen. Er hat offensichtlich früh beobachtet, dass Menschen nicht mit dem ganzen Gesicht in den Teller fahren, um dort die Suppe aufzuschlecken. Das tat er uns gleich und holte mit Hilfe seiner Krallen die Fleischstücke aus dem Napf, um sie solcherart zu Munde zu führen. Das geht natürlich nur dann, wenn man über die schärfsten Krallen zwischen Graz und Sacramento verfügt. In Verbindung mit seinen Kilos, die schon fast so hoch sind wie die Zahl seiner Lebensjahre, führt das dann zu den beschriebenen Blutwunden an meinem Arm. Doch mittlerweile bin ich wachsam geworden!

Die Bösartigkeit meines Katers hat mich nachdenken lassen. Warum macht der das ausgerechnet und ausschließlich nur mit mir? Warum haut er nur mir seine Eckzähne, die seinen Krallen an Schärfe in nichts nachstehen, in den Handrücken? Beim Spielen haut er auch zu, allerdings beim ersten Mal immer nur mit Samtpfoten, um mich vorzuwarnen. Habe ich ihn aber einmal zu viel gepflanzt, dann fährt er wieder seine Mordinstrumente aus, seine Frustrationstoleranz scheint offenbar nicht sehr hoch entwickelt und er wird leicht zornig. Wie der Herr ...?

Liebesbisse und Liebeskratzer! Ganz sichtbar erwartet Herr Kater von mir mehr Aufmerksamkeit, als von anderen. Halt, jetzt habe ich aber etwas übersprungen! Was ist der erste Reflex eines Lebewesens, wenn es angegriffen wird? Natürlich ein Gegenangriff! Das ist gewissermaßen die in unsere Natur eingepflanzte adäquate Reaktion auf Dinge, die wir nicht mögen. Alttestamentarisch also Auge um Auge und Zahn um Zahn. Unser Selbstschutz gegen das sogenannte Böse, wie es Konrad Lorenz genannt hat. Wie ein Reflex, wenn das Hämmerchen des Neurologen auf unsere Patellasehne klopft. Da folgt gleich ein unfreiwilliger Fußtritt. So weit zu unserer Natur und zu unseren Reaktionen, wenn uns Unangenehmes widerfährt! Natürlich hat mein Kater meinen Natur-Reflex ein oder zweimal auch erfahren, wenn ich ihm eine über den Häuptel gegeben habe. Aber nur, wenn ich schnell genug war und er im Gegenzug zu langsam. Soll auch bei Katzen vorkommen!

Doch nicht nur böse Menschen oder böse Tiere können unser Wohlbefinden beeinträchtigen. Es gibt da für den braven Mann allerlei Schabernack aus der Schatzkiste des übelwollenden Schicksals. Man glaubt es kaum, aber auch unter dem schönsten, herbstlich verfärbten Ahornblatt kann sich Hundedreck verbergen. Unsichtbar und auch unriechbar, weil nicht mehr völlig frisch, dafür aber mit allerbester Gleitfähigkeit. Da steigst du mit Schwung und ungeahnten Folgen drauf. Welche Folgen? Ein eingesprungener Doppelaxel mit anschließendem Viertelsalto vorwärts bei höchster Benotung, allerdings ohne Wertung, da nicht gestanden. Ein herzhafter Fluch entlastet die überraschte Psyche für den Augenblick, löst jedoch nicht das Problem der schmerzhaft anschwellenden Mittelhand. Unsere Natur versagt doch glatt, wir haben keinen Reflex gegen den Schmerz. Weinen? Na gut, aber ein erwachsener Mittfünfziger?

Laser und Rescue-Creme rücken dem Schmerz zu Leibe. Aber davon weiß mein Kater nichts, der kennt da ja nur Auge um Auge! Des Menschen Fähigkeit – wenn er Zeit hat nachzudenken – ist die inadäquate Reaktion aus seinem Geist und seinem Wissen. Wie hieß es doch in einem alten Werbespruch: Wenn dir also Böses widerfährt, das ist schon einen Asbach Uralt wert! Nein, Gutes widerfährt! Also was jetzt? Gutes oder Böses?

Ist nicht sehr oft alles, was wir als böse erleben, nur etwas das unsere momentane Befindlichkeit stört? Sind die Attacken meines Katers nicht vielmehr ein Zeichen seiner Zuneigung und Erwartung, meine Zuneigung erzwingen zu können? Allerdings wissen wir aus der Psychotherapie, dass erzwungene Zuneigung fast immer in negativer Form zurückkommt. Also als Reflex, den wir aus unserer tierischen Vergangenheit noch immer in uns tragen. Drei geistige Purzelbäume und wir erkennen: Wenn ich immer so reagiere, wie ich schon immer reagiert habe auf das, was der andere auch immer schon so gemacht hat, dann ist die Rückkehr auf den Urwaldbaum nicht fern, wo uns ja einst Erich Kästner schon mehrheitlich angesiedelt hat!

Das bedarf aber jetzt einer näheren Begründung! Die nachfolgenden Überlegungen sind nur scheinbar theoretischer Natur, sie führen nämlich unmittelbar in die Erklärung des Vorherigen. In der ersten und zugleich bekanntesten Form der Logik fragen wir zuerst immer nach der Ursache eines Geschehens. Weil der Kater mich kratzt, blute ich. Oder wenn ich einen Stein ins Wasser werfe, entstehen konzentrische Kreise. Wir erkennen aus dem Ergebnis die Ursache und nennen diese Form der Logik daher Kausallogik. Diese eignet sich hervorragend für überschaubare Abläufe und Mechanismen wie etwa in der Technik. Wenn die Reifen auf Schnee rutschen, brauche ich Sand, um wieder Traktion aufzubauen. Oder Spikes wie mein Kater. Als Ursachen für ein schleuderndes Auto können wir also nach einer Vielzahl von Denkschritten das Wetter, die tiefen Temperaturen oder den Mangel an Reifenprofil verantwortlich machen. Rein abstrakt lautet die Formel der Kausallogik: Wenn A, dann B! Oder: Weil A, daher B!

Ein Computer kann auch nichts anderes, nur wesentlich schneller als wir. Übrigens: Die berühmte künstliche Intelligenz kann auch nichts anderes, nur noch um eins schneller. Vielleicht hat sie „Normenlogik“ im Wortschatz, doch eine Entscheidung auf Grund eines Wertes im Widerstreit mit einem anderen Wert überfordert sie. Ich vermute daher, auch dieser Computer hängt sich auf.

So bestechend die Vorzüge von Schlussfolgerungen in der Kausallogik auch sein mögen, sie tragen eine große Gefahr in sich: wird ein einziger zwingender Schluss aus einem Gesamtzusammenhang herausgelöst und dann zur Lösung für das Gesamtproblem erklärt, kann das eine Verschiebung der Realität bewirken, die der ursprünglichen Intention konträr entgegensteht. Oder anders ausgedrückt, die Kausallogik trägt immer die Gefahr der Polarisierung in sich. Beispiel: Das Tragen einer Maske in der jetzigen Pandemie führt logisch dazu, dass innerhalb der Maske eine erhöhte Konzentration von CO2 entsteht. CO2 ist ein Treibhausgas, das den Klimawandel beschleunigt. Sagte doch glatt ein Teilnehmer einer unangemeldeten Demo gegen diese Maßnahmen und gegen Covid-Impfungen zu einem Maske tragenden Reporter in missionierendem Eifer: „Du mit deiner Maske wirst es auch noch sehen, wie giftig das ist, du bist ein Klimaschädling!“ Da formulierte doch einst ein Kollege des angesprochenen Reporters schon vor Jahrzehnten im pathetischen Stil des 19. Jahrhunderts: Es braust ein Ruf wie Donnerhall, Deppen gibt es überall!

Zurück zur Logik! Für Abläufe mit größeren Ausmaßen eignet sich oft der Analogieschluss besser: Wird ein Volk, das wirtschaftlich und damit auch sozial sehr unter Druck steht, von einem aggressiven und eigensinnigen Führer gelenkt, der es versteht, die Ursachen hierfür einem Nachbarvolk anzudichten und dieses als Schuldigen für die eigenen Schwierigkeiten darzustellen, dann besteht akute Gefahr für kriegerische Auseinandersetzungen. Analog zu diesem Bild Deutschlands vor dem letzten Weltkrieg konnte seither schon eine Reihe von Staaten als absehbare Kriegstreiber identifiziert werden. Das galt für Korea genauso wie für einige afrikanische Staaten, etwa durch Idi Amin. Beim Analogieschluss muss aber, um die Kirche im Dorf zu lassen, immer das Gleichheitsprinzip sorgfältig beachtet werden. Gleiches ist gleich, aber Ungleiches ist ungleich zu behandeln. Weil analoge Logik für gewöhnlich mehrere Schritte zusammenfasst, ist auch die Gefahr von Irrtümern größer, was manche Menschen allerdings nicht daran hindert, geistige Abkürzungen vorzunehmen. Insbesondere dann, wenn sich an der Basis solcher Überlegungen ein ideologischer Ansatz oder ein unreflektiertes Vorurteil befinden. Das ist letztlich auch eine Frage des Überblicks: Es geht bergauf, sagte der Spatz, als ihn die Katze in den Dachboden hinauf trug. Man sieht, Analogieschlüssen fehlt meist die Enge der strengen Kausalität!

Soziale Zusammenhänge hingegen, und das ist mir in meinem Leben schon früh aufgefallen, werden sowohl von der Kausallogik wie auch von der analogen nur unzureichend abgedeckt. Das hat mich zur Lehre der Kreisellogik geführt, deren Erfinder ich mich rühme selbst zu sein. Ist eine Lehrerin gezwungen, einzuschreiten und zwei jugendliche Kampfhähne von einander zu trennen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis einer davon ruft: Aber er hat angefangen! Verfolgt man nun mit kausaler Logik die einzelnen Schritte der Streiteskalation, dann landet man zu allermeist und beinahe zwangsläufig beim Prototyp eines Ehestreites: Aus einer Mücke wurde ein Elefant! Daraus ist nicht schwer abzulesen, warum Rosenkriege erstens so lange dauern und zweitens für Anwälte so ertragreich sind. Solche Konflikte bestehen aus langen Serien von adäquaten Reaktionen, wie ich sie oben schon dargestellt habe. Die adäquate Reaktion, soll heißen die emotionale Gleichreaktion - wie du mir, so ich dir! - ist der innere Motor eines Kreisels, der sich so lange dreht, wie er von beiden Seiten genährt wird.

Das gilt übrigens nicht nur für negative Kreisel, denn auf die Ansage: Ich finde dich sympathisch! kommt fast immer die Antwort: Ich dich auch! Es gibt zwar A und B, aber es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen ihnen, sondern nur Wechselwirkungen. A wirkt auf B und B wirkt auf A zurück! Und das ist angenehm nur bei positiven Kreiseln! Die haben allerdings die Schwäche, äußerst störanfällig zu sein, eine einzige unbedachte Äußerung kann sie zerstören und in einen negativen Kreisel verwandeln und diese wieder sind nach allen Erfahrungen scheinbar für die Ewigkeit gebaut! Polarisierung scheint ein Modell von kleinen Geistern für kleine Geister zu sein. Vor allem aber hoch infektiös, wie man an der politischen Gegenwart ablesen kann!

Legendär sind neben generationsübergreifenden Bauernfeindschaften auch solche zwischen Nachbarvölkern. Seit der Teilung des Fränkischen Reiches haben sich Franzosen und Deutsche mehr als 1000 Jahre gegenseitig bekriegt, fast ebenso lang sind die Moslems seit den Kreuzzügen auf die Christen böse und kaum weniger die Serben auf die Kroaten, weil sie in ihrem Kampf gegen die Türken von denen (und von Österreich) im Stich gelassen wurden. Eine ähnliche Konstellation wurde von den Westmächten geschaffen, als man den Israelis ein Land zuwies, das ihnen vor 2000 Jahren einmal gehört hatte. Dass dieses Reich zerstört wurde, daran waren natürlich die Römer schuld, doch die Zeche zahlten nun die arabischen Stämme, die seither dort siedelten, indem sie ihr Land abtreten mussten. Die umliegenden Länder, sämtlich von arabischen Moslems besiedelt, schlossen sich gegen den Eindringling zusammen. Doch der hatte in den US-Amerikanern eine starke Schutzmacht und gewann daher immer. Die Folge war ein Abnutzungskrieg, der im Prinzip bis heute anhält und dieses Prinzip lautet unverändert: Haust du mich, hau ich dich! Also adäquate Reaktion. Und Radikale auf beiden Seiten beflügeln diese Reaktion, weil sie offenbar ein starkes, aus ihrer Perspektive sogar begreifliches Interesse daran haben.

Wir haben es oben schon gesehen: die adäquate Reaktion kann auch von einem Kater kommen oder von einem Köter. Sie ist der simpelsten Kausalität geschuldet. Und dabei bleibt es, so lange nichts passiert. So lange der Kater im Körbchen schlummert, passiert nichts! Ganz abstrakt und hoch gelehrt: So lange nichts passiert, passiert auch nichts! Wie sagte der legendäre Karl Farkas weiland: „Ich kenne alle Einstellungen des Österreichers, angefangen von: Da muss was geschehen! Bis: Da kann man halt nix machen!“

Im israelisch-arabischen Konflikt damals aber passierte etwas. Der ägyptische Präsident Anwar al Sadat brach aus der Phalanx derer, die nur immer adäquat reagierten, aus und ließ erkennen, dass er sich einen Sonderfrieden mit Israel vorstellen könnte. Da bekam Menachem Begin in Jerusalem ganz große Ohren und schon kurze Zeit später wurde der Frieden von Camp David geschlossen. Ein einziger hat umgedacht, hat einen geistigen Akt von besonderer Größe gesetzt und ist aus dem Kreisel der Kriegslogik ausgebrochen. Aber ein Moslem kann doch nicht heilig gesprochen werden!

In aller Regel wird die adäquate Reaktion von der Emotionalität der Betroffenen gespeist, wer jedoch etwas ändern will, ist auf neue Flexibilität, auf seinen eigenen Geist angewiesen. Denn der Durchschnittsgeist wird ja meist erst aktiv, wenn er einen Tritt ins Kreuz bekommt. Doch auch sonst neigen wir alle dazu, alles so weiterlaufen zu lassen, wie es gerade läuft. In der Physik nennt man das das Trägheitsprinzip. Wenn also nix passiert, passiert auch nix! Und passiert folglich keine Entwicklung. Die alten Römer, wiewohl manches von den Griechen abgekupfert, haben auch kluge Männer hervorgebracht und sagten: Principiis obsta! (Wehret den Anfängen!) Wach sein, präsent, Bewusstheit finden, daran denken, dass keineswegs alles so sein muss, wie es ist, und keineswegs so bleiben muss, wie es ist. Vieles von dem, was wir als unangenehm oder als Störung empfinden, ist in Wahrheit ein Geschenk des Himmels, damit wir nicht dem geistigen Dämmerschlaf erliegen. Das ist das Gute vom Bösen. Daher stammt also mein verstümmelter Titel:

Hirn braucht Herausforderung!

Ich muss meinem Kater dankbar sein, dass er mich immer wieder daran erinnert, Wachheit und Aufmerksamkeit zu leben und nicht nur in Bezug auf ihn. Seine bösen Spuren auf mir sind nicht nur schmerzhaft, sie sind auch eine – gar nicht immer so willkommene – Aufforderung zur Entwicklung meiner eigenen Reife. Und natürlich ist er der Fahnenträger für alle anderen, die mir bewusst oder unbewusst Böses wollen. Denn Jupiter schickt das Böse immer nur mit Gutem vermischt!

Erkennen wir also den Nutzen des Negativen – nicht nur bei einem Test nach Corona! Ach ja, Corona! Was will uns diese Pandemie sagen? Dass Globalisierung nur für die Wirtschaft gut ist, doch nicht für die Gesundheit? Doch dieser Pfad ist mir zu schmal. Ich glaube eher, sie zeigt uns, dass wir alle miteinander verbunden sind, viel mehr als wir glauben. Unsere Handlungen sind aber eher so beschaffen, als wären wir alle voneinander getrennt. Brüderlichkeit bedeutet eben mehr als schöne Worte in Sonntagsreden. Sie verlangt die Bewusstheit, dass andere eventuell auch unter dem Mist zu leiden haben, den ich gelegentlich baue. Umgekehrt ziehen sie ja auch Nutzen aus meinen Stärken. Und meinen Kater, das kratzende und beißende Vieh, halte ich in Ehren!

Nur für Hundedreck kann ich mich nach wie vor nicht erwärmen.

Übrigens: Ein geistreiches Wortspiel schätze ich immer, ein unüberlegtes Spiel mit nicht sauber definierten Worten aber kann Kriege auslösen! Bleibt also wach, Freunde! Und denkt daran, wie oft der Humor die Kausallogik aushebelt.

2. Bewusstheit als Ziel der menschlichen Entwicklung

Jetzt! Das ist die verbreitete Formel für die Vermeidung von Fehlhaltungen, wie sie von Psychotherapeuten oft vorgeschlagen wird. Jetzt! soll heißen: Lebe ganz in der Gegenwart, wühle nicht in deiner Vergangenheit und lass deinen Ängsten keinen Raum! Dieses Jetzt! erscheint als Parademodell, mit dem sich alle Probleme auf der Stelle lösen lassen. Aber stimmt das auch?

Wenn diese Forderung des Jetzt! zum unumschränkten Lösungsmittel erhoben wird, dann entsteht der Zwang zu einer sofortigen Entscheidung, der Zwang einem augenblicklichen Konflikt zu entrinnen oder der Zwang zu impulsiven Handlungen, die nur selten einem ausreichenden Anteil an Intelligenz gehorchen. Solche Entscheidungen können zu katastrophalen Ergebnissen führen. Denn spontane Entscheidungen tragen manchmal etwas Gewalttätiges in sich, impulsive fast immer! In der Chemie haben Lösungsmittel bezeichnenderweise etwas Zersetzendes!

Jetzt! als Ausdruck der momentanen Präsenz aller menschlichen Potenziale auf einen Augenblick konzentriert, das wäre hingegen die wahre Lösung! Doch wo ist der Unterschied zwischen dem Lösungsmittel: Zwang zur Lösung und der tatsächlichen Lösung aus der Beherrschung aller Umstände? Was heißt Jetzt! wirklich?

Es beginnt wie immer mit der embryonalen Frage: Wer bin ich? Und warum bin ich so wie ich bin? Die landläufige Psychologie engt diese Fragen ein auf die Erklärung, wie es dazu kam, auf die Frage nach dem Hergang der Entwicklung und das ist die kausale Seite der ganzen Angelegenheit. Weil damals meine Mutter ..., deshalb habe ich heute das Problem! Doch schon C. G. Jung hat bewiesen, dass jedes Ding auch eine finale Seite hat, die oft viel schwerer zu enttarnen ist: Wo ist das Ziel dieser Sache, oder noch härter: Wo ist mein Nutzen? Wie kann ich mich noch besser vor den seinerzeitigen Anordnungen meiner Mutter und meinen Erinnerungen rechtfertigen, um ein schuldloses Kind zu bleiben, mich also vor meiner Denkarbeit und damit Verantwortung drücken? Mit einem Wort, ich komme nicht herum um Selbsterkenntnis und das Verstehen meines Umfelds!

Diese Fragen überhaupt erst einmal gestellt zu haben, ist der Einstieg in eine höhere Form von Bewusstheit, der Überstieg vom geistigen Dämmerschlaf des Kindergartens in die Volksschule der Spiritualität. Diesen Schritt sollte man nicht als gering erachten, er bedeutet nicht weniger als den Beginn geistiger Aktivität gegenüber dem früheren "Alles so nehmen wie es ist" und bezeichnender Weise ist dasselbe zugleich auch schon der Endpunkt der Entwicklung, dort wo alles wieder in dieser selben Erkenntnis endet, eben gerade so wie es ist. Wer sich dabei auf die Worte verlässt, den Sinn der Worte aber nicht erkennt, der bleibt in der Volksschule stecken. Bewusstheit zu lernen ist wie der Bau einer Stufenpyramide, die Volksschule ist dabei erst die Bodenplatte der Pyramide.

Natürlich sind Kindergarten und Volksschule geistig zutiefst geprägt von den Modellen, die man von seinen Eltern gelernt hat, also von pädagogischen Erfolgen und Misserfolgen. Wie es keine Kindheit ohne blaue Flecken gibt, so gibt es auch keine Erziehung ohne Fehlgriffe. Ein Vater oder eine Mutter, die sich für die Familie aufopfern, werfen einen langen Schatten für ihre Kinder, die sich deshalb verpflichtet fühlen, deren Last mit zu tragen. Ein liebloser Vater aber oder eine teilnahmslose Mutter werfen einen noch viel längeren Schatten! Sie erzeugen nur Einsamkeit im Kind und keine nachahmenswerten Vorbilder.

Wie soll da die Orientierung gelingen? Auf der Entwicklungsstufe der "Kindermenschen", wie sie Hermann Hesse genannt hat, kann man an den Eltern schon ablesen, wie ihre Kinder einmal sein werden. Und das ist nun gewiss keine sehr tröstliche Prognose!

Der Schatten ist ein Modell, das C. G. Jung entwickelt und so benannt hat. Seine Treffsicherheit lässt sich gut ablesen an den Abläufen der "Schwarzen Pädagogik", die die christlichen Kirchen uns Abendländern in der besten Absicht angedeihen ließen: "Du sollst nicht neidisch sein!" von einer Kanzel gedonnert hat eine unausweichliche Konsequenz in der Seele der Adressaten: "Ich bin es nicht, ich war es nie! So bin ich nicht!" Blitzartig zieht sich der angegriffene Geist zurück in die tiefsten Schichten unserer Evolution, ins Reptiliengehirn, wo dafür nur zwei Grundpolaritäten vorherrschen: Kampf oder Flucht. Kein klarer Gedanke kann noch filtern, ob der Vorwurf auch nur den geringsten Anteil von Wahrheit in sich trägt. Der Neid wird in den Untergrund getrieben, die Bewusstheit geht verloren, dass es hier etwas geben könnte, das meine seelische Gesundheit gefährdet. Der schädliche Neid ist aber deswegen noch nicht weg, er wurde nur verdrängt und beherrscht nun aus dem Schatten seinen Besitzer.

Darüber hinaus fiel sonst noch alles, was von der Kirche als Sünde gebrandmarkt wurde, in den Schatten und verwehrt dem Sünder die Selbsterkenntnis. Die gut gemeinte Lehre der Kirche war damit gewissermaßen ein Bärendienst am Lernvorgang zur Bewusstheit der Menschen!

Einmal zu wissen, dass man ja doch Neid empfindet, und dann eine klare Willensentscheidung zu treffen, dem Neid keinen Raum lassen zu wollen, um sich nicht selber unglücklich zu machen, das wäre Psychohygiene. Doch der Wille kann nur aktiv werden, wenn ich erst einmal weiß, was sich in meinem Schatten abspielt. So lange ich das nicht weiß, geht die Unterdrückung meiner Gefühle weiter. Die wissen sich allerdings zu wehren. Und je mehr Angst man vor ihnen hat, um so heftiger kommen sie zum Ausdruck und sorgen für subjektives Unglück. Und wie gemein! Sie kommen in entstellter Form, also mit Wut anstatt aus Eifersucht oder mit Gehässigkeit anstatt aus Hass, mit Gerechtigkeit anstatt als Neid und mit Abwertung anstatt als Hochmut. Immer schiebt sich eine scheinbar berechtigte Wand von Abwehr und Rationalität vor die schlimmen Gefühle, über die wir gelernt haben, dass wir sie nicht zeigen dürfen, weil sie nicht anständig sind, weil sie Sünde sind.

Unser Schatten wird ganz deutlich sichtbar, wenn wir eine Handlung gesetzt haben und uns hinterher fragen, warum wir das bloß getan haben. Versteckt hat uns eine negative Emotion dazu verleitet, etwas zu tun, was wir eigentlich gar nicht tun wollten. Wir hören so etwas immer wieder in den Medien, wenn plötzliche Tötungsdelikte von bisher unbescholtenen Menschen für die ganze Umwelt als völlig unverständlich erscheinen: "... war ein ruhiger, netter und hilfsbereiter Mensch!" Der sie pflegende Schwiegersohn bekam von den zwei Alten niemals ein gutes Wort, sondern nur Kritik. Irgendwann lief das Fass über und er fackelte die beiden mit einer Gasflasche ab. Wer sich seinem Schatten nicht stellt, ist vor solchen Überraschungen nie gefeit. Es muss ja nicht gleich ein Mord sein! Aber oft genug kommt es zu Handlungen, die das Gegenteil verwirklichen von dem, was ursprünglich gewollt war. Siehe den unsäglichen Streit am Heiligen Abend!

Dabei geht es doch nur um eine realistische Selbsteinschätzung. Jeder von uns wird mit Stärken und Schwächen geboren and nobody is perfect! Jeder hat Talente und Begabungen, andere Talente werden hingegen weniger gut entwickelt sein; ist der eine ein guter Mathematiker, so hat der andere einen guten Orientierungssinn. Schon in der Steinzeit haben unsere Vorfahren das erkannt und haben dafür die Arbeitsteilung erfunden. Genau so nüchtern sollte man nun auch seinen Schatten anschauen. Wie schon gesagt: hinter einem übertriebenen Gerechtigkeitssinn kann sich durchaus unterdrückter Neid verbergen. Es ist keine Schande, ihn zu entdecken, es wäre vielmehr eine Schande, ihn hemmungslos auszuleben. Mit Neid im Gepäck werde ich mich jedenfalls allseits unbeliebt machen, will ich das? Es gibt da nämlich noch eine Gemeinheit im Leben: meinen Schatten, das, was ich so sorgsam vor mir selbst verberge, merken erfahrungsgemäß meine lieben Nachbarn mit grausamer Schnelligkeit und Treffsicherheit! Der Beschämung durch meine Umgebung kann ich nur entgehen, indem ich mich selbst um die Aufhellung meines Schattens bemühe. Schon aus rein egoistischen Gründen müsste ich mich also um die zeitgerechte Klärung der Motive in meinem Schatten bemühen.

Kein besseres Mittel dafür als eine Beziehung! Niemand kann sich in einer Beziehung auf Dauer verbergen, alles kommt mit schamloser Brutalität ans Licht. Wer das nicht möchte, sollte auf eine Beziehung verzichten! Das hat aber auch eine gute Perspektive: "Wenn ich nicht weiß, was ich am Sonntag beichten soll, brauche ich nur meine Frau bös zu machen, sie sagt es mir sofort!" war die trockene Erklärung eines Arbeitskollegen meines Vaters. Das geht aber noch weiter! Wer auf die berechtigte Kritik eines Partners nicht hört, der möchte lieber zurück in die Unbewusstheit des Kindergartens! Wenn wir diese wirklich überwinden möchten, dann sollten wir auf die Kritik des Partners hören, denn niemand kennt uns so gut wie er. Der Partner ist der erste, der unseren Schatten erkennt, oft genug schon vorher, ehe er sich dessen bewusst ist - er spürt dann nur Zorn, wenn er ein ehrlicher Mensch ist. Es sei denn - es sei denn, er gehörte selbst zu den Menschen, die alles gerne weit von sich weg und nach außen verschieben.

Die gefährliche Verwechslung von Worten und Werten ist dem oben Gesagten über den Neid sehr nahe verwandt. Es gibt nicht wenig Menschen, denen stehen die schönsten Worte zu Gebote, sie leben jedoch etwas völlig anderes. Hier geht es nicht um aufoktroyierte Haltungen wie etwa nicht neidisch zu sein, hier geht es um schlichte Unbewusstheit. Man spricht von respektvollem Umgang miteinander und lässt in Mimik und Körpersprache die Respektlosigkeit spüren. Der Kopf hat erkannt, dass man mit Menschen respektvoll umgehen sollte, doch das Herz ist ganz anderer Meinung und das wird unbewusst sichtbar und bleibt dem aufmerksamen Beobachter auch nicht verborgen. Es ist ein zeitloses Thema, das auch der große Laotse vor über 2.500 Jahren schon zu bearbeiten hatte: Wahre Worte sind nicht schön und schöne Worte sind nicht wahr! Und dann kann es uns passieren, dass gerade die unehrlichsten Leute mit genau dieser Ansage hausieren gehen, um ihre Weisheit hervorzukehren und damit Eindruck zu schinden.

"An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!" sagte Jesus von Nazareth und nicht: An ihren Worten werdet ihr sie erkennen. Worte können die größte Weisheit zum Inhalt haben, die größte Torheit aber auch! In irgendeiner Weise tickt die Menschheit hier falsch! Ein Mann, der spät nach Hause kommt und von seiner Frau befragt, wo er war, zur Antwort gibt: "Im Bordell!" wird schallendes Gelächter ernten, weil seine Frau instinktiv nicht erwartet, dass er die Wahrheit sagt. Und dieses Prinzip gilt über weite Strecken unserer gesellschaftlichen Konventionen.

Kaum einer sagt die ganze Wahrheit und es wird auch nicht verlangt, dass er es tut. Fliegt dann überraschend eine solche Halbwahrheit auf, dann sagt man politisch korrekt und höflich, es handle sich eindeutig um ein Missverständnis. Und auch das ist wieder gelogen.

Vielen Menschen fällt das gar nicht auf. Nach meiner Erfahrung aber weiß ein ehrlicher Mensch, wann und warum er lügt, ein unehrlicher lügt einfach. Das wird von der Gesellschaft toleriert. Selbst bei Gericht, wo die volle Wahrheit erwartet wird und nichts als die Wahrheit, wird gelogen, dass sich die Bäume biegen. Es kommt nur darauf an, wie man die Wahrheit darstellt, und vor allem kommt es darauf an, dass man sich nicht erwischen lässt. Peinlich wird es erst, wenn man sich in den eigenen Lügen so verheddert hat, dass man irgendwann doch auffliegt. Die gekonnte Lüge ist eindeutig eine Intelligenzfunktion!

Schon als Siebenjähriger hatte ich kleine Erfolge mit meiner Wahrheitsliebe. Ich hatte beobachtet, dass Kinder aus einem Automaten für Süßigkeiten Dinge herausholen konnten, ohne zu bezahlen. Als ich den Kaufmann darauf aufmerksam machte, bekam ich eine Schnitte geschenkt. Und eine gute Nachrede! Von da an wusste ich, dass ich anders war als die Mehrheit der Kinder, die mich dafür verhöhnte. Noch öfter erfuhr ich in meinem Leben Bestätigung für meine Wahrheitsliebe, mehrheitlich aber habe ich angeeckt. Als ich später von einem Vorgesetzten angefahren wurde: "Müssen sie immer so ehrlich sein?" wusste ich, was ich von ihm zu halten hatte.

Menschen sind verliebt in ihre eigenen Worte und bemerken dabei nicht, dass alle Worte, wenn sie nicht Tatsachen zum Ausdruck bringen, Wertungen beinhalten. Der weitaus überwiegende Teil der Worte, die wir machen, hat also Subjektives zum Inhalt und das zur allgemein gültigen Wahrheit zu erklären, ist die Ursache für die meisten unnötigen Konflikte im Leben der Menschen. Das einmal zu begreifen, ist ein wesentlicher Teil der Bewusstheit. Auch der wohl mühsamste Teil! Dieser Mühe geht die Menschheit seit Ewigkeiten gerne aus dem Weg. Das verlässlichste Mittel der geistigen Arbeitsersparnis heißt Vorurteil. Wie eine Sage hat auch das Vorurteil einen wahren Kern, der ein blitzschnelles Urteil (= subjektiv!) zulässt, wenn man bereit ist, unnötige Differenzierungen wegzulassen. Ich hatte in jungen Jahren einen Rotstich in meinem Vollbart und wurde bald mit dem Sprichwort konfrontiert: Hinter einem roten Bart ist kein gutes Wort!

Wunderbar! In der Sprache der Alpenländer reimt sich das sogar! Als vor über 1.000 Jahren die (natürlich blonden) Germanen den Alpenraum zu besiedeln begannen, trafen sie auf die Reste der keltischen Bevölkerung. Die Kelten waren nicht nur sehr rau und trinkfest, sie hatten auch rotes Haar. Aus diesem - wie man heute sagen würde - Verdrängungswettbewerb ergab sich naturgemäß eine Feindschaft, die aus der Perspektive der jungen Germanen ihre Ursache natürlich in den rothaarigen Kelten hatte. Da ist er, der rote Bart!

Die Germanen erlangten das Übergewicht, doch wer um seine Existenz kämpft, ist in der Wahl seiner Mittel gewiss nicht immer zimperlich! Der gegenseitige Hass verlor sich dann erst mit dem Verschwinden der besiegten Kelten, doch die Angst vor dem roten Haar blieb und wurde fortan zu einem verlässlichen Mittel der Beurteilung von rothaarigen Menschen. Noch in den Zeiten der Hexenverfolgung konnten rote Haare ohne viel Umwege auf den Scheiterhaufen führen. Je mehr Leute an den Unsinn glaubten, umso eher! Es gab damals zwar keine demokratischen Mehrheiten, aber eine öffentliche Meinung darüber, was man tut und was man nicht tut, gab es immer und die konnte tödlich sein. Nicht zu vergessen, das war eine Zeit, in der sogar Hunde gehenkt wurden, weil sie ein Stück Fleisch gestohlen hatten. Diebe wurden damals nämlich immer gehenkt, auch wieder so eine geistige Abkürzung! Die Mühe der Reflexion kam erst mit der Aufklärung nach Europa. Was aber nichts daran änderte, dass man auch heute noch zu tun hat, was alle tun und so zu denken, wie alle denken. Wer dem Zeitgeist zu widersprechen wagt, wird bald im Abseits landen!

Einfache Rezepte und fertige Muster für denkfaule Leute stehen also auch heute noch hoch im Kurs. Man nennt sie gerne Paradigmen, denn das klingt gelehrter als Modelle, haftet doch allein diesem Wort schon der Charakter des Vorläufigen an. Ein Paradigma glaubt man sicher lieber!

Die abendländische Kultur hat eine Vielzahl vom Paradigmen hervorgebracht, wenn es um das Verständnis der menschlichen Psyche und der menschlichen Kommunikation geht. In der Zeit nach der Aufklärung durften auch Dinge angeschaut werden, die vorher von der Kirche unter Verschluss gehalten wurden. Der Schneepflug in dieser Hinsicht war sicher Sigmund Freud mit seiner Methode der Psychoanalyse. Seine Nachfolger haben die Modelle weiter differenziert und viel zum Verständnis der menschlichen Seele beigetragen, sei es etwa die Transaktionsanalyse oder die Gestalttherapie, sei es das Neurolinguistische Programmieren (NLP) oder die Logotherapie. In der neueren Zeit vermehren sich diese Schulen wie die Karnickel. Nicht alle sind sehr differenziert!

Solche Methoden können uns helfen, den Menschen besser zu verstehen und ihm selber, mit sich besser umzugehen. Und doch gibt es eine Einschränkung, das weiß jeder, der einmal versucht hat, mit Hilfe einer Straßenkarte ein bestimmtes Ziel zu finden: die Karte ist nicht die Straße und in Natura sieht alles ganz anders aus, als wir uns das vorher gedacht haben. Es mag eine große Erleichterung mit sich bringen und einen bedeutenden Aha-Effekt, einmal bildhaft eine Vorstellung von einem bestimmten psychischen Sachverhalt zu bekommen. Aber so wenig die Karte das Land ist, so wenig ist ein solches Modell das Leben!

Vor Jahrzehnten ist mir ein Gedanke gekommen (natürlich ein Paradigma!), dem ich auch heute noch viel abgewinnen kann: Unser Planet ist wie eine einklassige Volksschule mit angeschlossenem Kindergarten und mit Universitätsabschluss. Jede Entwicklungsstufe muss auf unserer Erde Platz finden! Und natürlich werden sich die Kindergartenkinder alle Mühe geben, die Sprache der fertigen Akademiker zu sprechen, auch wenn sie die Worte gar nicht verstehen. Aber es klingt so gut! Eine Ahnung von Weisheit wird man doch wohl noch haben dürfen!

Es ist ein langer Weg der Reifung nötig, ehe man die Präsenz des Jetzt! im vollen Umfang erreicht hat. Wissen ist dafür erforderlich über die inneren und äußeren Tatsachen unserer Realität und die Relativität unserer Werte. Dem Erkennen unserer inneren Realität kommt dabei sicher der höchste Stellenrang zu. Wofür habe ich Talent und welche Aufgaben kann ich daher von mir erwarten. Und umgekehrt, wo bin ich nicht so begabt, was sollte ich mir nur bedingt zumuten. Den Ausgleich zu schaffen, wo Mangel herrscht, wie es die weisen Chinesen empfehlen, dieser Empfehlung kann man nur zustimmen und damit eine Aufwertung der eigenen Persönlichkeit erzielen. Doch darum geht es hier ohnehin die ganze Zeit!

Viel wichtiger ist es, den eigenen Wesenskern als einheitlich und widerspruchsfrei zu erleben. Sehr viele Menschen leiden ein Leben lang bewusst oder unbewusst an ihren Ambivalenzen. Mit anderen Worten: Sie sind zerrissen zwischen inneren Strebungen, die einander widersprechen. Beinahe jede Entscheidung kann daher nachträglich in Zweifel gezogen werden. Das klassische Beispiel dafür ist die Einstellung zu Nähe und Distanz. Manche Menschen sehnen sich intensiv nach Nähe und kaum ist sie möglich geworden, gibt es Zwist und Streit. Nach der Beendigung des Krieges entsteht wieder Nähe und schon bald darauf der nächste Streit. Das alles wiederholt sich wie im Märchen wohl viel tausend mal, bis der dahinter liegende Schatten ausgeleuchtet wird.