Golden Throne - Forbidden Royals - Julie Johnson - E-Book
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Golden Throne - Forbidden Royals E-Book

Julie Johnson

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Beschreibung

Sie ist die Kronprinzessin - keine Marionette

Noch vor zwei Monaten war Emilia Lancaster eine ganz normale junge Frau mit ganz normalen Problemen. Nun ist sie die Kronprinzessin von Caerleon und muss sich Herausforderungen stellen, auf die sie kaum vorbereitet wurde. Neben ihren neuen Verpflichtungen und der öffentlichen Aufmerksamkeit machen ihr vor allem die Intrigen und Machtspielchen im Königshaus zu schaffen. Eine Situation, die nicht einfacher wird, als plötzlich eine ganze Handvoll Verehrer darum kämpft, ihr Interesse zu gewinnen. Und außerdem ist da ja noch Carter Thorne, ihr Stiefbruder, der einzige Mann, für den sie nichts empfinden darf - und dessen Anwesenheit im Palast sie trotzdem überall spüren kann ...

"Die Spannung zwischen Carter und Emilia ist noch so viel stärker geworden. Die beiden befinden sich in einem ständigen Kampf zwischen dem, was ihre Herzen wollen, und dem, was ihr Verstand und die Öffentlichkeit von ihnen verlangen." HEA NOVEL THOUGHTS

Band 2 der FORBIDDEN-ROYALS-Trilogie von USA-TODAY- und PUBLISHERS-WEEKLY-Bestseller-Autorin Julie Johnson

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Seitenzahl: 329

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leserhinweis

Widmung

Caerleonische Thronfolge

Das Geschlecht der Lancasters

Vorwort

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

Playlist

Triggerwarnung

Die Autorin

Die Romane von Julie Johnson bei LYX

Impressum

Julie Johnson

Golden Throne

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver

ZU DIESEM BUCH

Noch vor zwei Monaten war Emilia Lancaster eine ganz normale junge Frau mit alltäglichen Problemen. Nun ist sie die Kronprinzessin von Caerleon und stellt sich Herausforderungen, auf die sie kaum vorbereitet wurde. Neben zahllosen Presseterminen und glamourösen Bällen, muss sie sich auch daran gewöhnen, immer im Licht der Öffentlichkeit zu stehen. Und selbst im schützenden Palast kommt Emilia nicht zur Ruhe. Denn dort ist sie ständig von Intrigen und Machtspielchen umgeben: Jeder Fehltritt wird registriert und jedes Anzeichen von Schwäche ausgenutzt. Daher darf niemand jemals erfahren, was auf dem Krönungsball zwischen ihr und Carter Thorne passiert ist – und natürlich darf sich dieser Vorfall auf keinen Fall wiederholen! Allerdings fällt es Emilia immer schwerer, ihren Stiefbruder zu ignorieren, kann sie seine Anwesenheit doch überall spüren. Eine Situation, die nicht einfacher wird, als plötzlich eine ganze Handvoll Verehrer um ihre Aufmerksamkeit kämpft. Wem kann Emilia jetzt noch vertrauen?

Liebe Leser*innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für T. S.

CAERLEONISCHE THRONFOLGE

Non sibi sed patriae

DAS GESCHLECHT DER LANCASTERS

VORWORT

Meine lieben Leser,

schnappt euch eure Reisepässe, packt eure Koffer … denn eure Rückkehr in die Welt von Caerleon steht kurz bevor. Macht euch auf weitere höfische Intrigen, verbotene Stelldicheins und verhängnisvolle Affären gefasst, während Emilia versucht, sich in ihrem neuen Leben als Kronprinzessin zurechtzufinden.

Bedenkt dabei bitte, dass Golden Throne kein eigenständiger Roman, sondern der zweite Band der Forbidden-Royals-Trilogie ist. Wenn ihr den ersten Band, Silver Crown, nicht bereits gelesen habt, dann klappt dieses Buch bitte sofort wieder zu und fangt ganz von vorne an. (Glaubt mir, ihr wollt keine einzige Minute verpassen, die ihr in der Gesellschaft des unwiderstehlichen Carter Thorne verbringen könnt, auch wenn er euch mit seinem Verhalten in den Wahnsinn treiben wird.)

Bevor ihr euch auf die Geschichte stürzt, möchte ich euch noch eine letzte Warnung mit auf den Weg geben: Wie schon sein Vorgänger ist dieses Buch ein düsteres Märchen, das ausschließlich für Erwachsene bestimmt ist. Wenn ihr also Märchen bevorzugt, in denen nicht ausgiebig geflucht wird, keine heftigen höfischen Intrigen gesponnen werden und keinerlei Sex vorkommt, ist dieser Roman vielleicht nicht der richtige für euch.

Non sibi sed patriae,

Julie

PROLOG

Ich starre die Frau auf dem Podest an.

Das Gesicht eine gefasste Maske.

Die Augen voller Geheimnisse.

In Trauer versunken um alles, was sie verloren hat.

Gestählt durch die Verantwortung, die ihr kürzlich aufgebürdet wurde.

Sie lenkt mit Zügeln, die sie kaum halten kann.

Sie behauptet ihre Stellung ohne das nötige Rüstzeug.

Ein beflecktes Erbe.

Ein glutheißer Thron.

Die Natur des Menschen ist wankelmütig.

Um ehrlich zu sein, habe ich nie wirklich verstanden, warum wir so funktionieren, wie wir es tun. Vielleicht habe ich deswegen so viele Jahre damit verbracht, Psychologie zu studieren. Ich habe verzweifelt versucht, die unerklärlichen Beweggründe zu durchschauen, die die Menschheit schon immer zu Krieg und Fehden und Schlachten angetrieben haben – ob nun auf schlammigen mittelalterlichen Feldern oder in Vorstandsetagen moderner Firmen.

Unsere Machtkämpfe sind legendär. Sie wurden sowohl in Romanen als auch in Lehrbüchern festgehalten, seit zum ersten Mal Tinte auf Pergament traf. Ob es nun Brutus und Cäsar oder Aaron Burr und Alexander Hamilton sind, die Geschichte scheint sich immer wieder mit erschreckender Unvermeidbarkeit zu wiederholen.

Dabei stellt sich mir immer wieder die Frage …

Warum?

Wir stehen auf diesem unbedeutenden Planeten unleugbar an der Spitze der Nahrungskette. Kein anderes Lebewesen, das sich die Atmosphäre mit uns teilt, stellt für unsere Herrschaft auch nur den Hauch einer Bedrohung dar. Also sollten wir uns sicher fühlen. Im Frieden mit der Welt. Unsere Stellung ist unangefochten, und wir müssen keine Konkurrenz fürchten. Keine Gegner, die uns in die Quere kommen können.

Und doch … was …?

Da wir keine natürlichen Gegenspieler haben, sind wir selbst zu unserem größten Feind geworden. Ob nun aus reiner Langeweile oder um sich selbst zu sabotieren, sind die Menschen im Lauf ihrer Entwicklung dazu übergegangen, sich gegenseitig umzubringen. Wir schieben jegliche Chance auf Eintracht beiseite und nehmen uns, was wir wollen, was auch immer das für Konsequenzen hat, was auch immer wir vernichten müssen, um unsere Ziele zu erreichen.

Wenn wir die Wahl zwischen einem Waffenstillstand und der kriegerischen Auseinandersetzung haben … entscheiden wir uns jedes Mal für die blutigere Variante.

Vielleicht sind wir von Natur aus egoistisch – auf molekularer Ebene darauf programmiert, die Harmonie zugunsten des Konflikts außer Acht zu lassen. Vielleicht sind unsere selbstzerstörerischen Neigungen einfach unabwendbar. Denn wer würde sich je dafür entscheiden, Streit zu haben, wenn Frieden herrschen könnte? Wer würde ein Leben wollen, in dem es nur darum geht, nach mehr zu streben, anstatt einfach mit dem zufrieden zu sein, was man bereits hat?

Es muss in unserer DNA verankert sein – diese Neigung, ein Verlangen nach Dingen zu entwickeln, die wir nicht haben, anstatt uns einfach an dem zu freuen, was wir bereits haben. Immer das zu wollen, was wir nicht haben können – je unerreichbarer, desto verlockender.

Wie schon gesagt: die Natur des Menschen.

Sie ist so vorhersehbar wankelmütig.

Wir manipulieren. Wir manövrieren. Wir schieben unsere Skrupel beiseite, unser Gewissen, unsere unbequeme Moral. Wir jagen diesen verlockenden, trügerischen Zielen nach ohne Rücksicht auf das Chaos, das wir damit unweigerlich heraufbeschwören. Wir lügen und betrügen und stehlen, so wie wir zerstören und zerbrechen und täuschen.

Und das alles wofür?

Für Macht.

Die Macht zu herrschen.

Das Schicksal einer Nation zu lenken.

Eine Krone zu tragen.

Auf einem Thron zu sitzen.

Egal ob er bereits von einer unvorbereiteten jungen Frau besetzt ist, die ihn eigentlich gar nicht haben wollte …

1. KAPITEL

»Lang lebe König Linus!«

Eine Champagnerflöte aus Kristallglas schwebt vor meinem Mund. Ich kann die zarte Liebkosung des Glases an meiner Unterlippe spüren, während ich die Finger fester um den Stiel lege und die prickelnde Frische des Champagners auf meiner Zunge bereits erahne.

»Lang lebe der König!«

Die Jubelrufe erfüllen die Luft aus allen Richtungen, bis jeder Kronleuchter, der im Thronsaal des Waterford-Palasts hängt, rasselt wie Hagel, der auf Kopfsteinpflaster trifft. Das erstickte Ausatmen, das links von mir erklingt, ist so schwach, dass ich nicht weiß, wie ich es bei dem Lärm überhaupt hören konnte.

Es ist so ein leises Geräusch, und doch hat es so enorme Auswirkungen.

Ich richte meine weit aufgerissenen, entsetzten Augen auf meinen Vater, der in seinem Krönungsornat prachtvoll aussieht. Die reichverzierte Krone schimmert auf seinem von Grau durchzogenen dunklen Haar. Entsetzt beobachte ich, wie seine Wangen eine tödliche Purpurfärbung annehmen, während er mit Schaum vor dem Mund seine Lippen bewegt wie ein Fisch an Land und vergeblich nach Luft schnappt.

Seine Champagnerflöte schlägt eine Sekunde vor ihm auf dem Podium auf und zersplittert in tausend rasiermesserscharfe Scherben, die sich rund um meine Füße verteilen. Die Scherben bohren sich in meine Haut, als ich mich auf die Plattform fallen lasse und hastig an seine Seite krabbele. Sie schneiden in meine Hände und durchdringen den Tüll meines Ballkleids wie Granatsplitter.

Ich ignoriere das hervorquellende Blut. Dieser Schmerz ist bedeutungslos im Vergleich zu dem Schmerz in meinem Herzen, den ich empfinde, während ich die tödlichen Auswirkungen des Gifts auf Linus’ Nervensystem beobachte.

Um mich herum herrscht ein schrecklicher Tumult. Geräusche stürmen auf meine Sinne ein, aber sie scheinen alle gedämpft und in weiter Ferne zu sein. Weit weg von meinem Platz hier oben auf dem Podest. Entsetzte Schreie, die die Luft zerreißen, Füße in hochhackigen Schuhen, die über den glänzenden Marmorfußboden eilen, Höflinge, die in Deckung gehen und die Götter anrufen, von denen sie sich Beistand erhoffen.

Ich laufe nicht davon.

Ich bete nicht.

Ich halte den Blick auf das Gesicht meines Vaters gerichtet.

Ich schaue ihm in die Augen, bis sie glasig werden und ich den Schrei, der sich in meiner Kehle aufbaut, nicht länger unterdrücken kann.

»HILFE! BITTE, HILF UNS JEMAND!«

Aber niemand kommt uns zu Hilfe.

Niemand kann etwas tun.

Weil … er tot ist.

Der König.

Tot.

Bevor er auch nur die Gelegenheit erhielt, wirklich zu regieren.

Mein Vater.

Tot.

Bevor ich auch nur die Gelegenheit erhielt, ihn wirklich kennenzulernen.

Mein Blick wandert von dem von rötlichen Flecken durchzogenen Schaum in den Winkeln seines offen stehenden Munds zu den tiefen Schnittwunden in meinen Handflächen. Ich starre das Blut auf meinen Händen an, bis ich den Anblick nicht länger ertragen kann. Ich lasse den Kopf nach hinten sinken, öffne die Lippen und lasse meinem Kummer freien Lauf.

Ich schreie, bis meine Kehle wund ist, ich schreie, bis kein Laut mehr aus meinem Mund kommt, ich schreie, bis …

»EMILIA!«

Jemand schüttelt mich.

»Emilia! Emilia, wach auf. Du träumst.«

Der Schrei bleibt mir im Hals stecken und verwandelt sich in ein Schluchzen, während ein Bild nach dem anderen durch meinen Kopf wirbelt und die Erinnerung immer noch frisch an der Oberfläche meines Unterbewusstseins brodelt.

Linus … das Gift … das viele Blut …

»Hey. Atme.« Zwei große Hände legen sich mit festem Griff um die nackte, schweißnasse Haut meines Oberarms, sodass ich vollständig aus dem Traum gerissen werde. »Atme einfach, Emilia.«

Mein Atem geht so schnell, dass mir schwindelig wird. Selbst nachdem ich aus den Fängen des Traums gerissen wurde, bin ich immer noch desorientiert, so als würde mein Gehirn von Nebel umwabert. Die Gedanken drehen sich träge und zähflüssig wie Sirup in meinem Kopf.

»D… D… Der Champagner«, bringe ich keuchend hervor und hyperventiliere immer noch. »Er war … Er war …«

»Hör mir zu – du bist in Sicherheit. Es geht dir gut. Du bist in deinem Bett. Niemand kann dir etwas antun, Emilia. Hörst du mich? Niemand wird dir je wieder wehtun.«

Die Stimme ist rau, aber so unglaublich vertraut. Ich konzentriere mich auf ihre tiefe Klangfarbe, und sie beruhigt mich sofort und bietet mir eine sichere Zuflucht vor den Schreckensvisionen meines eigenen Verstands. Als er einmal mehr die Hände anspannt, gelingt es mir, die Augen einen Spaltbreit zu öffnen und ihn anzusehen. Sobald ich das tue, bin ich im Traktorstrahl seines blauen Blicks gefangen.

Mein Magen vollführt einen Hüpfer.

»Ein weiterer Albtraum«, murmelt Carter leise und starrt mich im Halbdunkel des Zimmers an. Er ist mir so nah, dass ich die winzige Narbe erkennen kann, die seine Augenbraue teilt. Außerdem sehe ich die Ringe aus dunklerem Blau, die seine Regenbogenhäute umgeben, sowie die feinen Bartstoppeln, die seinen Kiefer zu dieser späten Stunde bedecken. Sein Haar ist vom Schlaf zerzaust, und seine Brust ist nackt, so als wäre er plötzlich aufgewacht und aus dem Bett gesprungen.

Er muss mich durch die Wand schreien gehört haben.

Wieder einmal.

Seit dem Abend der Krönung, an dem ein vergiftetes Glas Champagner beinahe meinen Vater getötet hätte, ist ein Monat vergangen. Tatsächlich war es so knapp, dass ich mir sicher war, dass er tot war, als ihn die Königsgarde ins nächstgelegene Krankenhaus brachte. Ich war mir sicher, dass ich den Tod eines weiteren Elternteils zu betrauern haben würde … nur dieses Mal mit einer Krone auf dem Kopf und einem Land, das regiert werden musste.

So was nennt man wohl Multitasking.

Jeden Tag danke ich meinem Glücksstern dafür, dass die Ärzte in der Lage waren, die Wirkung des Gifts rückgängig zu machen. So unmöglich es auch erscheinen mag, Linus lebt. Er ist schwächer und kränklicher als zuvor, das steht außer Frage … aber wie durch ein Wunder lebt er. Ganz ohne Zweifel.

Ich wünschte nur, dass sich mein Unterbewusstsein an diese kleine Tatsache erinnern könnte. Sobald mir abends die Augen zufallen, befinde ich mich wieder auf dem Krönungspodest: Blut quillt zwischen meinen Fingern hervor, Glas zerschneidet mein umwerfendes Ballkleid, Chaos bricht aus, während der König zu Boden fällt.

»Alles ist gut«, versichert mir Carter erneut. »Es war nur ein Traum.«

Nur ein Traum.

Nur ein Traum.

Nur ein Traum.

Nur … vier lange Wochen, in denen ich immer wieder schweißgebadet und schreiend aufgewacht bin. Ich dachte, dass es mit der Zeit nachlassen würde, nachdem Linus aus dem Krankenhaus entlassen worden war und im Schloss alles wieder seinen normalen Gang ging. Aber das ist nicht der Fall. Wenn überhaupt, ist es jetzt schlimmer als je zuvor.

So schlimm, dass es einen Mann, der mich leidenschaftlich hasst, dazu bringt, mir zu Hilfe zu eilen …

Während sich meine Atmung verlangsamt und meine Wahrnehmung zurückkehrt, ist mir Carters Anwesenheit neben mir im Bett nur allzu bewusst. Seine großen, schwieligen Hände an meinen Oberarmen. Der geringe Abstand zwischen unseren Gesichtern in der Dunkelheit. Der Duft seiner Haut – Seife und Bourbon und Gewürze –, der wie eine Droge über mich hinwegspült.

Ich atme scharf ein.

So nah sind wir uns seit Wochen nicht mehr gewesen. Seit diesem schrecklichen, wundervollen Abend im Gewächshaus, als wir eine unaussprechliche Grenze überschritten haben. Seit wir …

Nein.

Ich gestatte es mir nicht, über das nachzudenken, was wir getan haben. Und ich gestatte es mir ganz sicher nicht, über die Dinge nachzudenken, die ungesagt geblieben sind. Wenn ich das täte, würde ich restlos den Verstand verlieren. Sich nach etwas zu sehnen, das man nie wieder haben kann, führt nie zu etwas Gutem.

»Tut mir leid«, flüstere ich mit brüchiger Stimme. »Ich wollte dich nicht aufwecken.«

Er schweigt einen Augenblick lang und starrt mich einfach nur an. Ich kann seinen durchdringenden Blick auf meiner Haut spüren wie eine Liebkosung. Herrgott, das Bedürfnis, mich an seine Brust zu lehnen und seine Wärme in mich aufzunehmen, ist so stark, dass ich unter dem Druck beinahe nachgebe.

Nimm mich in deine Arme und halte meine zersplitterte Seele zusammen, will ich flehen. Und sei es nur für einen Moment.

Als hätte er mein Flehen laut und deutlich vernommen, drückt Carter seine Fingerspitzen fester an meine Arme. In seinem Griff liegt ein Anflug von Inbesitznahme. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich schütteln oder an seine Brust drücken will. Verdammt, ich bezweifle, ob er es selbst so genau weiß. Er schaut mich an, als wäre ich sowohl Gift als auch Heilmittel. Erlösung und Zerstörung zugleich.

Das Gleiche gilt für dich, Stiefbruder.

Er spannt den Kiefer fest an. Ich beobachte, wie ein Muskel in seiner Wange rhythmisch zuckt, und weiß, dass er es ebenfalls spürt: diese nicht zu leugnende Anziehung, die uns immer wieder zueinander zieht, selbst wenn wir uns völlig uneinig sind. Selbst wenn wir einander hassen.

Wie Magnete.

»Emilia …«

»Es geht mir gut«, falle ich ihm ins Wort, bevor er etwas sagen kann, das es mir schwerer machen wird, die kühle Maske der Beherrschung aufrechtzuerhalten, die ich in den letzten paar Wochen in seiner Gegenwart übergestülpt habe. »Wirklich. Du kannst mich jetzt loslassen.«

Er lässt die Hände sinken, als hätte ich ihn verbrüht.

Mit beträchtlicher Mühe senke ich den Blick und schaue auf den Bettbezug. Meine Beine sind immer noch in die Laken verwickelt und zeugen von dem Kampf, den ich mit meinem Unterbewusstsein ausgefochten habe. Ich befreie sie und ziehe meine Knie an meine Brust heran. Gleichzeitig rutsche ich nach hinten gegen das Kopfteil, um ein wenig dringend erforderlichen Abstand zwischen uns zu bringen.

Ich gehe davon aus, dass er ohne ein weiteres Wort verschwinden wird, aber zu meiner großen Überraschung bleibt er. Ein scheinbar endloses Schweigen macht sich breit. Als er es schließlich bricht, scheint er sorgfältig darauf bedacht zu sein, dass in seiner Stimme keinerlei Emotion mitschwingt.

»Du hast geschrien.«

Ich beiße mir auf die Lippe.

»Das hörte sich nicht nach leisem Kummer an so wie sonst immer. Es klang eher, als …« Er atmet geräuschvoll aus. »Als würde dich jemand verletzen.«

»Ich …« Ich verstumme und schlucke heftig. Ich kann ihm nicht widersprechen. Er hat recht. Ich kann immer noch spüren, wie rau meine Kehle von meinem anhaltenden Jammern ist.

Ich hebe zum ersten Mal den Blick, um ihm in die Augen zu schauen. Sofort bemerke ich, wie erschöpft er aussieht. Das ist nicht das Ergebnis einer schlaflosen Nacht, sondern vieler. Die dunklen Ringe unter seinen Augen passen perfekt zu meinen. Offensichtlich bin ich nicht die Einzige, die in den letzten paar Wochen durch meine Albträume wach gehalten wurde. Scham regt sich in mir.

»Carter, es … es tut mir leid …«

Er räuspert sich lautstark. »Deine Albträume. Sie werden schlimmer.«

Ich nicke.

»Wovon handelte dieser?«

»Von dem, wovon sie immer handeln.«

Er zieht die Augenbrauen hoch.

»Von der Krönung. Ich habe … das alles noch mal durchlebt. Der Champagner. Das Blut. Linus …«

Er sieht mich an, sagt aber nichts, also fahre ich fort.

»In dem Traum stirbt er in meinen Armen. Jedes Mal. Ich verstehe nicht, warum ich träume, dass er tot ist. Die Ärzte haben ihn gerettet. Er lebt. Ich weiß, dass er lebt. Aber wann immer ich meine verdammten Augen schließe …« Ich schüttle den Kopf und kämpfe gegen die Tränen an. »Ich denke, dass etwas mit mir nicht stimmt. Vielleicht werde ich verrückt.«

»Hey. Schau mich an.«

Ich komme seiner Aufforderung nach.

»Mit dir ist alles in Ordnung.« Er hat den Blick fest auf mich gerichtet. »Es liegt an diesem verdammten Ort – an dieser ganzen verdammten Welt – die ist verrückt. Nicht du.«

Ist Carter Thorne gerade wirklich freundlich zu mir?

Freundlichkeit von ihm ist so eine Seltenheit. Es genügt, um mein Herz kurz aussetzen zu lassen.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, um die Worte zurückzuhalten, vor denen ich Angst habe, sie auszusprechen. Ich würde mich liebend gern in seine Arme werfen, um an seiner starken, festen Brust Trost zu finden und seine beruhigende Wärme aufzusaugen, bis die Schatten aus meinem Verstand verschwunden sind.

Aber das kann ich unmöglich tun.

Falls er das plötzliche Verlangen in meinen Augen sieht, kommentiert Carter es nicht. Aber er spannt den Kiefer noch fester an und krallt die starken Hände in den dicken Stoff meiner Bettdecke, so als würde er um Beherrschung ringen.

»Du solltest vermutlich gehen«, zwinge ich mich zu sagen und hasse jede verlogene Silbe.

»Stimmt. Wir wollen ja nicht, dass das Schlosspersonal einen falschen Eindruck bekommt und sich fragt, was ich mitten in der Nacht in deinem Schlafgemach mache.«

Sein plötzlich so aggressiver Tonfall sorgt dafür, dass ich zurückzucke. »Carter, du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe …«

»Mach dir deswegen keine Gedanken.« Mit ein paar großen wütenden Schritten hat er sich bereits von mir entfernt. »Beim nächsten Mal lasse ich dich einfach schreien.«

Meine Tür schlägt laut genug zu, um die Gemälde an den Wänden wackeln zu lassen. Und wieder einmal bleibe ich allein in der Dunkelheit zurück, wo mir nur meine Albträume Gesellschaft leisten.

2. KAPITEL

Ich umfasse die runde, mit harten Borsten versehene Bürste fester und ziehe den Riemen straff, damit er besser auf meinem Handrücken sitzt. Die Stute wiehert leise, während ich meine rhythmischen Striegelbewegungen fortsetze und ihre Flanken bürste, bis ihr Fell in den Strahlen der frühen Morgensonne, die in den Stall fallen, wie Karamell schimmert.

»Braves Mädchen, Ginger«, gurre ich und halte ihr die flache behandschuhte Hand hin, um ihr ein Stück Würfelzucker anzubieten. Es verschwindet in Sekundenschnelle zwischen ihren samtigen Lippen.

Ich summe vor mich hin, während ich die Bürsten in dem dafür vorgesehenen Schrank verstaue. Als ich zurückkehre, um die Führungsschnur von Gingers Halfter loszubinden, stößt sie auf der Suche nach weiteren Leckerchen auffordernd mit ihrer Schnauze gegen meinen Kopf.

»Tut mir leid … das war mein letzter. Morgen nach unserem Ausritt gebe ich dir noch mehr. Wie klingt das? Hm?«

Gingers leises Wiehern entlockt mir ein Lächeln.

»Wer ist mein braves Mädchen?«

»Dir ist schon klar, dass sie dir nicht antworten wird, oder?«

Die Stimme erschreckt mich. Ich wirbele herum und entdecke eine schlanke rothaarige Frau, die an der Stalltür lehnt und extrem herausgeputzt ist. Sie trägt ein glitzerndes schwarzes Kleid, einen maßgeschneiderten Caban und Schuhe mit himmelhohen Absätzen. Ihr Haar ist ein wenig zerzaust, von ihrem Lippenstift ist keine Spur mehr zu sehen, und unter ihren Augen prangen verschmierte Kajalreste. Trotzdem sieht sie absolut glamourös aus.

»Chloe! Was machst du hier?«

»Darf ich nicht mal meine Stiefschwester besuchen, ohne Hintergedanken zu haben?«

»Doch.« Ich lege den Kopf schief und mustere sie. »Ich bin nur überrascht, dich so früh auf den Beinen zu sehen.«

»Ich bin noch gar nicht im Bett gewesen, falls du es genau wissen willst.« Sie lacht, und ihre weißen Zähne blitzen strahlend auf. »Ich wusste, dass du nach deinem morgendlichen Ausritt hier draußen sein würdest – ich dachte mir, dass ich mal vorbeischaue und Hallo sage, bevor ich mich aufs Ohr haue.«

»Oh. Tja. Hallo.« Ich wende mich wieder Ginger zu, um ihr das Halfter abzunehmen. Ich streichle ein letztes Mal ihre Nüstern, flüstere ihr ein paar Abschiedsworte zu, verlasse die Box und schiebe hinter mir den Riegel des Tors zu. Ich kann spüren, wie mich Chloe beobachtet, während ich meine kniehohen Reitstiefel gegen eine nahe gelegene Wand schlage, um Klumpen aus Dreck und Mist aus dem Profil der Sohlen zu lösen. Als ich aufschaue, stelle ich fest, dass sie angewidert die Nase rümpft.

»Haben wir hier keine Stallburschen, die sich um so was kümmern?«

Ich zucke mit den Schultern. »Mir macht es nichts aus, das selbst zu erledigen.«

»Ihre Königliche Hoheit Kronprinzessin Emilia, Thronfolgerin von Caerleon und offizielle Ausmisterin der Palaststallungen. Möge sie die Zügel lange in der Hand halten.« Sie grinst angesichts ihres Wortspiels.

Ich schnaube und gehe neben ihr her. Als wir durch die Türen nach draußen treten, winke ich den Stallarbeitern – zwei Jungs im späten Teenageralter mit roten Wangen und adretten marineblauen Uniformen – zum Abschied zu. Sie laufen knallrot an und verbeugen sich tief.

Gott, ich wünschte, sie würden das lassen.

Mit einer Garnison diskreter Wachen im Schlepptau überqueren Chloe und ich schweigend das Palastgelände und betrachten die eisige Schönheit der Natur um uns herum. Es ist frostig – der halbe November ist bereits vergangen und mit ihm jeglicher noch verbliebener Rest warmen Wetters. Die einst so üppigen immergrünen Gewächse sind jetzt mit Frost bedeckt. Der gefrorene Kiesweg knirscht unter unseren Sohlen. Schneeflocken rieseln langsam vom bedeckten Himmel herab, der in seiner Dunkelheit den ersten heftigen Schneefall des nahenden Winters verspricht.

Wenn hoher Schnee liegt, werde ich traurig sein, denn das wird das Ende meiner morgendlichen Ausritte bedeuten. In den letzten paar Wochen sind meine Reitstunden mit Hans – dem mürrischen, griesgrämigen Stallmeister, der schon länger im Waterford-Palast arbeitet, als ich auf der Welt bin – die einzige Ablenkung von der unfassbaren Langeweile gewesen, die mein Zwangsaufenthalt im Schloss mit sich bringt. Ich fürchte, dass ich ohne ein Hobby, mit dem ich mich beschäftigen kann, womöglich komplett den Verstand verlieren werde.

Falls das nicht bereits passiert ist.

Chloe ist ungewöhnlich still. Normalerweise redet sie ununterbrochen und gibt urkomische Anekdoten und unkonventionelle Lebensratschläge zum Besten. Vielleicht hat sie nach all den Wochen, in denen sie vergeblich versucht hat, sich mit mir zu unterhalten, und immer nur einsilbige Antworten erhalten hat, darüber hinaus noch meine melancholische Stimmung ertragen musste, endlich die Nase voll davon.

Ich kann es ihr nicht verübeln – ich bin die Erste, die zugeben wird, dass ich in letzter Zeit nicht gerade ein Ausbund an Heiterkeit gewesen bin. Wegen des Schlafmangels und der Sicherheitsleute, die mich rund um die Uhr überwachen, bin ich schlechter gelaunt als eine Goldgräberin, die dabei erwischt wird, wie sie gegen ihren Ehevertrag verstößt.

Wir haben fast das Schloss erreicht, als ich das angespannte Schweigen durchbreche. Dabei tue ich mein Bestes, um nicht neidisch zu klingen. Allein die Tatsache, dass Chloe diesen Ort verlassen darf – wenn auch nur mit einem muskelbepackten Mitglied der Königsgarde im Schlepptau –, reicht beinahe aus, um bei mir einen kindischen Wutanfall auszulösen.

»Also, wo bist du gestern Nacht gewesen?«

»Irgendein angesagter neuer Designer hatte eine Modenschau in Lund. Das waren die hässlichsten Kleider, die ich je gesehen habe – ein Model stolzierte tatsächlich in etwas über den Laufsteg, das als Müllsack hätte durchgehen können.« Sie stößt mit ihrer Schulter gegen meine. »Du hättest es gehasst.«

»Mmm.«

»Hey.« Sie bleibt neben einem Springbrunnen ohne Wasser stehen. Die steinerne Meerjungfrau in seiner Mitte wirkt in dem trüben grauen Licht besonders leblos. »Ich weiß, dass das ätzend ist, okay? Ich weiß, dass es nicht fair ist, dass du …«

»Hier eingesperrt bist wie eine verdammte Gefangene?«

»Vorübergehend eingesperrt. Sobald sie denjenigen erwischen, der hinter den Anschlägen steckt …«

»Ja, ja. Das habe ich alles schon oft genug gehört.« Ich werfe frustriert die Hände in die Luft. »Sie werden die Bösen dingfest machen, und ich werde frei sein! Die Wachen werden total entspannt sein, wenn ich einfach so das Schloss verlasse und meine Abende draußen in der Stadt verbringe wie eine normale Frau im Alter von zwanzig!«

»Beinahe einundzwanzig.« Ihre Lippen zucken. »Dein Geburtstag ist doch schon in ein paar Wochen.«

»Toll! Viel Spaß dabei, ihn ohne mich zu feiern. Ich werde ganz allein hier sein, und nur die Pferde werden mir Gesellschaft leisten.«

»Jetzt übertreibst du aber ein bisschen.«

»Tja, die Geduld ist mir wohl gerade abhandengekommen. In letzter Zeit kann ich ja nicht mal mehr pinkeln, ohne dass jemand vor der Tür wartet, falls ich Hilfe oder Schutz vor Meuchelmördern brauche. Ich schwöre, wenn ich es zuließe, würden sie mich in Luftpolsterfolie wickeln und mit sich herumtragen, damit ich nicht versehentlich gegen irgendetwas stoße. Wenn ich das noch länger ertragen muss, werde ich irgendwann beten, dass mich ein hinterhältiger Auftragsmörder von meinem Elend erlöst.«

Chloe versucht, ein Kichern zu unterdrücken, doch vergeblich.

Mit einem bitteren Schnauben, das sich in der kalten Luft in ein Wölkchen verwandelt, deute ich auf den verlassenen Hof. »Lach du nur, aber das ist mein voller Ernst. Jetzt gerade haben sich vier Wachen an unsere Fersen geheftet – hier, im gottverdammten Schlossgarten! Wenn du glaubst, dass es mir je wieder erlaubt sein wird, ohne eine komplette Armee im Schlepptau nach draußen zu gehen, musst du immer noch high sein.«

»Ich habe auf dem Heimweg tatsächlich meine spezielle E-Zigarette geraucht …«

»Ist für dich eigentlich alles nur ein Spaß?«

»Nein. Ist es nicht.« Ihr Lachen verstummt, und zwischen ihren Augen erscheint eine besorgte Falte. »Aber das ist das erste Mal, dass du mir gegenüber tatsächlich mal deinen Frust rausgelassen hast. Woher hätte ich wissen sollen, dass du hier fast durchdrehst? Auch wenn ich über eine gute Intuition verfüge, kann ich trotzdem keine Gedanken lesen. Und wann immer ich im vergangenen Monat versucht habe, mit dir zu reden, hast du …«

»Was?«

»Hast du mich abgewiesen.«

»Das stimmt nicht«, widerspreche ich, obwohl eine nagende Stimme in meinem Hinterkopf der Meinung ist, dass sie vielleicht, aber auch nur vielleicht, recht haben könnte.

»Hör zu, E., ich verstehe das. Du hast Schreckliches durchgemacht. Man hat dir den Boden unter den Füßen weggezogen, nachdem du endlich das Gefühl hattest, einen sicheren Stand gefunden zu haben. Ich verstehe das.« Chloe zuckt mit den Schultern. »Ich will nicht aufdringlich sein. Ich werde mich dir nicht aufdrängen, wenn du Abstand oder Zeit brauchst, um das, was bei der Krönung passiert ist, zu verarbeiten. Ich werde hier sein, wann immer du bereit bist, mich wieder in dein Leben zu lassen. Aber … du kannst nicht von mir erwarten, dass ich verstehe, was in deinem Kopf vorgeht, wenn du dich mir gegenüber nicht öffnest.«

Mein Magen verkrampft sich vor lauter Schuldgefühlen.

Sie macht einen Schritt auf mich zu und ergreift meine Hand. »Du beschwerst dich, dass du hier allein bist und dir nur die Pferde Gesellschaft leisten. Ich glaube, dass dir nicht mal bewusst ist, dass deine Isolation selbst verschuldet ist.«

»Ich bin in einem Schloss eingesperrt! Die Königsgarde lässt mich das Anwesen nicht verlassen! Das ist keine ›selbstverschuldete Isolation‹, Chloe. Das ist Freiheitsberaubung Daran ist nichts selbst verschuldet.«

»Ich meine nicht, dass du körperlich isoliert bist. Ich meine emotional.«

Sie seufzt. »Den letzten Monat über hast du diese … diese Mauer um dich herum aufrechterhalten. Es ist so, als würdest du dich von allen zurückziehen. Und so sehr ich es auch versuche, ich kann einfach nicht zu dir durchdringen.«

»Und wenn schon.«

»Siehst du! Diese Einstellung ist genau das, was ich meine. Du warst schon immer kess, aber jetzt …«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Nur zu, lass dich bloß nicht aufhalten.«

»Bist du einfach nur zynisch und sarkastisch.«

»Das tut mir jetzt echt leid, mir war nicht klar, dass du von mir erwartest, ein ständiger Regenbogen an positiver Einstellung zu sein!« Ich reiße meine Hand aus ihrem Griff. »Ich sollte mir wohl mal ein Beispiel an dir nehmen und die ganze Zeit über high sein, um keine echten Gefühle mehr haben zu müssen! Um überhaupt nichts mehr fühlen zu müssen.«

Sie zuckt zusammen, als hätte ich ihr eine Ohrfeige verpasst. Ich zucke ebenfalls zusammen, denn die Worte, die gerade aus meinem Mund gekommen sind, erschrecken mich. Je länger sie in der Luft zwischen uns hängen, desto mehr will ich sie zurücknehmen.

Wann bist du gegenüber Menschen, die dir wichtig sind, zu so einer Zicke geworden, Emilia?

»Chloe«, sage ich, und meine Wut ist schlagartig verraucht. »Ich … Ich wollte nicht …«

»Ich fühle mich manchmal auch einsam, weißt du?« Ihre Stimme klingt verletzlicher, als ich sie je gehört habe – sie hat nichts mehr von ihrer typischen Unbeschwertheit. »Es mag deiner Aufmerksamkeit entgangen sein, aber ich habe hier auch nicht besonders viele Verbündete.«

Plötzlich brennen meine Augen.

Verdammt.

Sie hat recht. Mit allem.

Ich bin schnippisch gewesen. Ich habe sie abgewiesen. Denn die Wahrheit ist, dass sich an jenem Abend – an jenem entsetzlichen Abend, an dem Linus in meinen Armen im Sterben lag – etwas in mir verändert hat. Diese tödliche Wunde in meinem Herzen, die nach dem Tod meiner Mutter vor zwei Jahren kaum geheilt war, riss erneut auf. Und das führte dazu, dass die Vorstellung, jemanden zu verlieren, die Vorstellung, diese Art der Trauer erneut durchmachen zu müssen …

Einfach zu heftig war, um auch nur darüber nachzudenken.

Also wappnete ich mich dagegen. Ich errichtete um mich herum Mauern, die hoch genug waren, um jeden auf Abstand zu halten.

Niemand kann einem das Herz brechen, wenn man niemanden an sich heranlässt.

Wie kalt mir diese Strategie bei genauerer Betrachtung erscheint, nun, da mich eine Frau, die sich als meine Schwester bezeichnet, mit der Wahrheit konfrontiert. Wenn meine Mom noch leben würde, würde sie mir für dieses egoistische Verhalten ordentlich den Kopf waschen. Allein bei dem Gedanken verkrampft sich mein Herz vor Bedauern und Reue.

»Chloe …« Ich schlucke schwer, um den Klumpen aus Emotionen loszuwerden, der meine Luftröhre blockiert. »Es tut mir so leid. Wirklich. Das klingt jetzt dumm, aber … Ich schätze, dass ich irgendwie versucht habe, mich zu schützen, indem ich mich von allen anderen Menschen fernhielt. Mir war nicht klar, dass ich dich dadurch verletzt habe.«

»Ich verstehe das, E. Wirklich. Du hast in den vergangenen Monaten ein paar wirklich heftige Veränderungen durchmachen müssen. Da braucht man ein wenig Zeit, um mit alldem zurechtzukommen.«

»Trotzdem … Ich wollte dir auf keinen Fall das Gefühl geben, dass du allein bist oder mir nichts bedeutest. Denn nichts liegt mir ferner als das.« Ich blinzle krampfhaft, um gegen das verräterische Brennen in meinen Augen anzukämpfen. »Dich in meinem Leben zu haben bedeutet mir wirklich viel. Es tut mir leid, wenn ich dir das in letzter Zeit nicht gezeigt habe. Von jetzt an werde ich mich bessern.«

»Ein Regenbogen der positiven Einstellung?«

Ich verziehe die Lippen zu einem Schmunzeln. »Ich weiß nicht, ob ich dir einen kompletten Regenbogen bieten kann. Wie wäre es mit … einem graustufigen Lichtspektrum an nicht mehr ganz so zynischem Sarkasmus?«

»Gebongt!«

Ihre Augen funkeln belustigt, als sie mir ein versöhnliches Lächeln anbietet, das ich bereitwillig erwidere.

»Ich würde dich ja umarmen, aber …« Sie beäugt mich von oben bis unten und mustert meine staubige Reitkleidung sowie die schlammverkrusteten Stiefel. »Du bist irgendwie schmuddelig.«

»Wow. Danke.«

»Wofür sind Schwestern denn da? Irgendjemand muss dir schließlich die unbequemen Wahrheiten um die Ohren hauen, wenn es sonst schon niemand tut. Und jetzt komm. Hier draußen ist es verflucht kalt, und ich habe seit vierundzwanzig Stunden kein Auge mehr zugetan. Mein Rausch hat sich offiziell verflüchtigt.«

Ich verdrehe die Augen, während sie mich zu einem Seiteneingang des Palasts führt, aber ich kann mir das Lächeln nicht verkneifen. Zum ersten Mal seit Wochen habe ich das Gefühl, saubere Luft eingeatmet zu haben.

Unsere Wege trennen sich, als wir an Chloes Suite im Nordflügel angekommen sind. Sie gähnt ausgiebig und schließt die Tür hinter sich. Ich gehe weiter durch den Flur zu meinem eigenen Schlafgemach. Dabei komme ich an Carters Zimmer vorbei. Ich spitze die Ohren, um herauszufinden, ob sich hinter seiner Wand irgendetwas tut, schelte mich aber sofort dafür, dass ich lausche.

Verflucht noch mal. Reiß dich zusammen, du Stalkerin.

Ich gehe schnell weiter, erreiche mein Zimmer und schließe mich darin ein. Das Verriegeln meiner Tür sorgt dafür, dass ich mich leidlich sicherer fühle, was die verstörende Fixierung auf die angrenzende Suite anbelangt.

Ich dusche, um den Staub und den getrockneten Schweiß von meinem Ausritt loszuwerden. Unter dem brühend heißen Wasser wird meine Haut knallrot. Während ich unter dem Wasserstrahl mit beiden Händen über meinen Körper streiche, schließe ich die Augen und gestatte mir nur für einen leichtsinnigen Moment die Vorstellung, dass sie jemand anders gehören.

Jemandem mit dunklem zerzaustem Haar und strahlend blauen Augen, die geradewegs durch mich hindurch und bis in meine Seele blicken.

Ich lasse meine Finger über meinen Bauch bis hinunter zu meinen Oberschenkeln wandern. Mein Körper ist vom Wasser ganz nass, als ich mich daranmache, mich zu berühren. Ich drücke den Rücken durch, und Erinnerungen fluten meinen Geist.

Ein vom Mondlicht erhelltes Gewächshaus.

Sein Mund auf meinem.

Seine Hände an meinem Hals.

In meinem Haar.

Auf meinen Oberschenkeln.

In meinem Innersten.

Die Erinnerung daran sorgt dafür, dass ich rückwärts gegen die gekachelte Wand taumele. Mein Herz hämmert, meine Knie werden weich, und mein Atem geht stoßweise.

Reiß dich zusammen, herrscht mich mein gesunder Menschenverstand an. Von ihm zu träumen wird dir auch nicht weiterhelfen.

Aber Carter Thorne aus meinen Gedanken zu verbannen erweist sich als schwieriger denn je zuvor. Seit er mich gestern Nacht aus meinem Albtraum geweckt hat, bin ich nicht in der Lage gewesen, nicht an ihn zu denken. Ihm nach einem Monat des sorgfältig eingehaltenen Abstands plötzlich so nah zu sein, diese Augen zu sehen, seine Haut zu riechen … Das hat mich wie ein reiner Adrenalinschub erwischt und ein Verlangen in mir geweckt, von dem ich gedacht hatte, dass ich es längst begraben hätte.

Ob es mir nun gefällt oder nicht, an jenem Abend im Gewächshaus …

Hat er mich für sich beansprucht.

Mit Leib und Seele.

Berührung um Berührung.

Stoß um Stoß.

Ich sehne mich mit jeder Faser meines Körpers nach ihm, und das Gefühl wird umso stärker, je länger ich mir die Erfüllung verwehre. Wie ein Drogensüchtiger auf Entzug brauche ich mein nächstes High. Die unbeirrbare Intensität dieser Empfindung ängstigt mich ebenso sehr, wie sie mich erregt. Es ist ein so fremdartiges Gefühl, das ich nie zuvor verspürt habe.

Ich bin nie der risikofreudige Typ gewesen. Ich konnte dem Leben am Abgrund nie etwas abgewinnen. Bevor ich zu Kronprinzessin Emilia wurde, war ich einfach nur das durchschnittliche Mädchen von nebenan. Eine gewöhnliche Studentin. Eine fleißige Arbeiterin. Eine verlässliche Freundin.

Ich ging verantwortungsvoll mit Geld um.

Ich war vernünftig.

Ich ging nie unnötige Risiken ein. Ich jagte nie den bösen Jungs nach, die dafür sorgten, dass mein Herz schneller schlug, und tat auch nie etwas Leichtsinniges, nur um damit angeben zu können.

Solange ich mich zurückerinnern kann, habe ich mein Leben in Schwarz und Weiß gelebt – ich habe mich an eindeutige und einfache Regeln gehalten und bin meine Probleme mit methodischer Genauigkeit angegangen. Ich probe jede wichtige Rede vor meinem Badezimmerspiegel. Ich erstelle auf vernunftbasierte Pro-und-Kontra-Listen. Ich vertraue eher auf meinen Kopf als auf mein Herz.

Ich mag Wissenschaften.

Ich mag Mathe.

Ich mag konkrete Antworten und vorhersehbare Ergebnisse.

Ich bin einfach keine Frau, die zulässt, dass lustvolle Gedanken ihr den Verstand vernebeln. Tatsächlich verabscheue ich solche Frauen.

Und doch …

Hier bin ich. Ein emotionales Wrack aus Lust und Verzweiflung – und das alles wegen eines Manns, den ich niemals haben kann.

Ich weiß, das ist weder gut noch normal oder vernünftig.

Und doch kann ich es nicht ändern. Ich kann es nicht abstellen.

Ich kann ihn nicht aussperren.

Ich drehe das Wasser ab, trete aus der Dusche auf den beheizten Marmorfußboden hinaus und schnappe mir ein Handtuch von der Halterung. Das Wappen der Lancasters – ein doppelköpfiger Löwe – ist mit dickem Goldfaden in den flauschigen weißen Baumwollstoff eingestickt. Ich starre es finster an, während ich mich abtrockne.

Zum Teufel mit diesem Vermächtnis.

Zum Teufel mit dem Blut, das durch meine Adern fließt.

Zum Teufel mit der Krone, die sie mir auf den Kopf gesetzt haben, ohne je zu fragen, ob ich sie überhaupt wollte.

Alles war so viel einfacher, als ich noch Emilia Lennox war, die fleißige Psychologiestudentin mit dem lavendelfarbenen Haar und einem jämmerlich unkomplizierten Liebesleben.

Oh, wenn ich doch nur in dieses Leben zurückkehren könnte …

3. KAPITEL

Später am Nachmittag wünsche ich mir diese einfachen Zeiten noch sehr viel inständiger zurück. Ich trommele unablässig mit den Fingern auf dem Mahagonitisch herum, während ich darauf warte, dass das Beil der Guillotine auf mich herabfällt. Es muss schlechte Nachrichten geben – das ist der einzig mögliche Grund für diese doppelte Teambesprechung mit Gerald Simms, dem Pressesprecher des Palasts, und Lady Morrell, meiner offiziellen Benimmlehrerin in allen höfischen Angelegenheiten.

Sie sitzen mir am Tisch gegenüber und mustern mich mit scharfem Blick, Zentimeter für Zentimeter, wie man es bei einem antiken Stück Porzellan machen würde.

Zweifellos suchen sie nach Schwachstellen. Nach Makeln.

Ich muss meine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um in meinem flauschigen Kaschmirpullover nicht vor ihnen herumzuzappeln und keine nicht vorhandenen Falten aus meiner schwarzen Jeans zu streichen, nur damit ich meine Hände irgendwie beschäftigen kann. Ich versuche, mich betont lässig zu geben, so als wäre mir alles egal, aber mein Herz rast, während ich darauf warte, dass einer von ihnen das Wort ergreift.

Schließlich durchbricht Simms die beklemmende Stille. »Danke, dass Sie gekommen sind, Eure Hoheit.«

Ich unterdrücke den Drang, die Augen zu verdrehen. Es ist ja schließlich nicht so, als ob ich in der Angelegenheit eine Wahl gehabt hätte. »In Ihrer Nachricht verlangten Sie nach meiner ›unverzüglichen Anwesenheit‹. Hier bin ich. Sowohl unverzüglich als auch anwesend.« Ich ziehe die Augen ein klein wenig zusammen. »Werden Sie mir jetzt verraten, warum ich hier bin, oder erwarten Sie, dass ich anfange zu raten?«

»Das wird nicht nötig sein«, sagt Lady Morrell pikiert und sieht mich über ihre Hakennase hinweg an.

Simms nimmt auf seinem Platz eine aufrechtere Haltung an, wodurch die Knöpfe an seinem marineblauen Fischgrätenanzug stark beansprucht werden. »Wir warten noch auf Ihre Majestät, bevor wir anfangen.«

»Octavia?«, zische ich. »Was zum Teufel will sie von mir?«

»Achten Sie auf Ihre Ausdrucksweise!«, rügt mich Lady Morrell.

»Verraten Sie mir, was sie will, sonst verschwinde ich durch diese Tür.«

»Prinzessin Emilia, bitte.« Der Fettwulst unter Simms’ Kinn zittert bedrohlich. »Es steht uns nicht zu, diese Angelegenheit vor ihrem Eintreffen zu erörtern.«