Faded - Dieser eine Moment - Julie Johnson - E-Book

Faded - Dieser eine Moment E-Book

Julie Johnson

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Beschreibung

Es heißt: Berühmtheit hat ihren Preis. Doch was, wenn der Preis die Liebe deines Lebens ist?

Als Felicity Wilde mit nichts außer einem gefälschten Ausweis, ihrer alten Gitarre und ihren Songtexten in Nashville ankommt, will sie nur eins: sich so unauffällig wie möglich ein neues Leben aufbauen. Aber sie hat nicht mit Ryder Woods gerechnet. Der stadtbekannte Rockstar zieht sie vom ersten Moment an in seinen Bann. So sehr Felicity auch versucht, die Gefühle, die er in ihr weckt, zu unterdrücken, fasziniert er sie bei jeder Begegnung mehr. Und schließlich können die beiden nicht anders, als der Anziehung zwischen ihnen nachzugeben. Doch als Ryder einen Plattenvertrag angeboten bekommt, scheint ihre gemeinsame Zeit zu einem Ende zu kommen. Denn ein Leben im Rampenlicht an Ryders Seite ist für Felicity eigentlich unmöglich ...

"Diese Geschichte wird dich mit Mascara verschmierten, tränennassen Augen und einem blutenden Herzen zurücklassen." INKED AVENUE BOOK BLOG

Auftaktband der FADED-Dilogie von PUBLISHERS-WEEKLY-Bestseller-Autorin Julie Johnson

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Seitenzahl: 434

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Motto

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

Playlist

Komplette Liedtexte

Die Autorin

Die Romane von Julie Johnson bei LYX

Impressum

JULIE JOHNSON

Faded

DIESER EINE MOMENT

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver

Zu diesem Buch

Felicity Wilde hatte nicht vor sich zu verlieben. Als sie mit nichts außer einem gefälschten Ausweis, ihrer alten Gitarre und ihren Songtexten in Nashville ankommt, will sie nur eins: so unauffällig wie möglich bleiben und sich ein unentdecktes neues Leben aufbauen. Aber sie hat nicht mit Ryder Woods gerechnet. Der stadtbekannte Musiker zieht sie vom ersten Moment an in seinen Bann. Seine Blicke durchbrechen die Schutzmauern, die sie errichtet hat, und seine Stimme weckt Gefühle in ihr, die sie noch nie zuvor gespürt hat. So sehr Felicity auch versucht, diese Empfindungen zu unterdrücken, fasziniert Ryder sie bei jeder Begegnung mehr. Und schließlich können die beiden nicht anders, als der Anziehung zwischen ihnen nachzugeben. Was folgt sind die glücklichsten Tage in ihrem Leben. Doch als sich Ryders Traum erfüllt und er endlich einen Plattenvertrag angeboten bekommt, scheint ihre gemeinsame Zeit zu einem plötzlichen Ende zu kommen. Denn ein Leben im Rampenlicht an Ryders Seite ist für Felicity eigentlich unmöglich …

Für die Flammen, die sich weigern zu verlöschen.

Brennt weiter.

Man braucht nur einen einzigen Funken, um ein Lauffeuer zu entfachen.

Ein Himmel voller Sterne, und er hatte nur Augen für sie.

Atticus

1. KAPITEL

Felicity

Die Rolling Stones hatten recht, als sie »You can’t always get what you want« sangen, denn man bekommt tatsächlich nicht immer, was man will.

Ich wollte nie berühmt sein.

Ich wollte das alles nicht.

Ich wollte einfach nur entkommen. Verschwinden. Mich von diesem Höllenfeuer befreien, in dem ich mich achtzehn Jahre lang damit abgemüht hatte, durch die schlimmsten Flammen zu gehen, ohne vollständig zu verbrennen.

Als ich mit meiner gebrauchten Gitarre in ihrem abgenutzten Koffer und einem Notizbuch voller hingekritzelter Liedtexte, die ich mir direkt aus der Seele gerissen hatte, in Nashville eintraf, hatte ich große Hoffnungen und Pläne. Ich hatte keine Ahnung, dass ich, nicht mal ein Jahr nachdem ich aus diesem Bus gestiegen war, mit einem gebrochenen Herzen und leeren Händen dastehen würde, weil die ganze Welt um mich herum in sich zusammengestürzt war.

Eigentlich stimmt das nicht ganz.

Meine Hände waren nicht leer, als sich meine Bedürfnisse in Wünsche verwandelten und meine Hoffnungen zu Fantasien verblassten. Ich hielt die zerbrochenen Stücke meines Herzens in den Fingern, und auf meiner Handfläche lagen die zerfetzten Überreste meiner Träume. Ich versuchte verzweifelt, sie zusammenzuhalten. Aber es war zu spät. Träume werden aus zerbrechlichem Glas gesponnen und bekommen leicht Risse. Ein paar achtlose Worte können sie so sehr zerbrechen, dass man sie nicht mehr reparieren kann.

Sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt: In dieser Geschichte geht es nicht darum, dass ich bekommen habe, was ich wollte.

Denn ich wollte Ryder Woods nie.

Ich brauchte ihn.

Wie eine Melodie die Harmonie, der Rhythmus das Tempo, ein Akkord eine Tonart braucht. Er nahm mich mehr für sich ein, als es den Noten, die durch meine Adern flossen, oder den Texten, die in meinem Kopf herumschwammen, je gelang.

Selbst nachdem er jedes schmerzende Stück meines Herzens genommen und sie alle zwischen seinen nikotinverfärbten Fingern zu Staub zerquetscht hatte.

Ich war dumm genug zu denken, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Dumm genug zu denken, dass das Schicksal genug davon hatte, mit mir zu spielen. Dass ich mir nach der Hölle, die ich seinetwegen bereits durchlebt hatte, ein wenig Erholung von der Trostlosigkeit verdient hätte, die damit einherging, ihn zu lieben … und ihn dann zu verlieren.

Nach zwei langen Jahren ohne die Berührung seiner Fingerknöchel an meiner Wange oder den Kuss seines stoppeligen Kinns an meiner Haut oder den Klang seiner rauen Stimme an meiner empfindlichen Ohrmuschel, war ich dumm genug zu glauben, dass ich ihn endlich aus meinem System gespült hätte und von seinem Einfluss geheilt wäre wie bei einer tödlichen Krankheit, die man überstanden hat.

Ich hätte wissen sollen, dass es keine Heilung gab.

Ryder Woods zu lieben war wie eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Wie eine tödliche Krankheit.

Und als er schließlich in mein Leben zurückkehrte … mag er die letzte Person gewesen sein, die ich je wiedersehen wollte … aber wie ich nun schon zum wiederholten Mal gesagt habe …

Was ich wollte, hat nie eine Rolle gespielt.

Nicht wenn es um ihn geht.

Zwei Jahre zuvor

Der Bus wirbelt eine Staubwolke auf, während er davonfährt und dabei lauter grummelt als mein Magen – was wirklich was heißen will, denn das Einzige, was ich heute zu mir genommen habe, war ein fades Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade, das halb zerquetscht war, weil ich mich während der sechsstündigen holprigen Fahrt versehentlich draufgesetzt hatte.

Ich schaue dem Bus hinterher, bis er aus meinem Sichtfeld verschwindet und ich allein auf der leeren Straße zurückbleibe. Es ist mitten am Nachmittag, und hier ist weit und breit kein Mensch unterwegs. Die Lichter von Nashvilles berühmten Musik-Kneipen sind gedimmt – wenn auch nur für ein paar Stunden –, während die Touristen ihre Kater auskurieren und ihren Lebern ein wenig Ruhe gönnen, um sich auf eine weitere Nacht in der Stadt vorzubereiten. Unter der grellen Mittagssonne ist die Stadt der Musik vorübergehend ruhig geworden. Die Musiker, die hier wohnen, sind zu Hause und proben für den nächsten Auftritt, bei dem sie an einem weiteren Abend auf einer weiteren Bühne weitere Lieder singen werden, die sie nicht geschrieben haben, während das Publikum vor lauter Trunkenheit kaum noch in der Lage sein wird, ihnen zuzuhören.

Ich weiß, dass die Ruhe nur vorübergehend ist. Sobald das Licht der Sonne wie die Flamme einer ausgebrannten Kerze verlischt und der Abend hereinbricht, wird dieser Ort wieder voller blinkender Neonschilder sein, die sich hell in den vom Whiskey glasigen Augen der Leute spiegeln. Nashville ist wie Disneyland für Erwachsene, eine Ansammlung von Junggesellinnenabschieden, die bevorstehende Ehen feiern, und unglücklichen Hausfrauen, die vor monotonen Ehen fliehen. Hier träumen hoffnungsvolle Sänger von ihrem großen Durchbruch, und gescheiterte Stars schwelgen in Erinnerungen an den Tag, an dem sie den ihren erlebten.

Es ist eine Art Weltflucht, zu der immer wieder das gleiche Countrylied gespielt wird. Eine Schmerztablette, die man mit einem Mimosa hinunterspült. Ein Ort, an dem Träume geboren werden und an den sie auch gehen, um begraben zu werden. Ein Ort, an dem die Musik als Hintergrundgeräusch auf die Straße hinausschwappt oder einem unter die Haut geht und sich in der Seele einnistet.

Es heißt, dass man entweder für einen einzigen Abend nach Nashville kommt oder ein Leben lang hierbleibt. Leute von außerhalb verlassen die Stadt mit nichts weiter als verschwommenen Erinnerungen an die Bars auf dem Lower Broad und Blasen an den Füßen, die sie ihren funkelnagelneuen Cowboystiefeln verdanken, die sie nie wieder tragen werden, sobald sie nach Hause kommen und in ihr echtes Leben zurückkehren. Wenn man dumm genug ist, länger als ein Wochenende zu bleiben, geht man das Risiko ein, deutlich größeren Schaden davonzutragen … und zwar nicht nur in Bezug auf Füße und Leber.

Man schadet seiner Seele.

Ich umklammere den rissigen Griff meines Gitarrenkoffers ein wenig fester, seufze tief und drehe mich zu dem Gebäude hinter mir um. Abseits des ausgetretenen Broadways ist es etwas weniger augenfällig und prahlerisch als in Tootsies berühmter Orchid Lounge oder dem ausladenden, sich über mehrere Stockwerke erstreckenden Legends Corner, wo unaufhörlich Livemusik aus den Fenstern tönt. Es liegt mehrere Blocks von der Touristenzone entfernt versteckt in einer Seitenstraße. Von den schwarzen Ziegeln der Außenwände blättert die Farbe ab. Das Gebäude bräuchte dringend einen frischen Anstrich. Die Fenster sind dunkel und schmutzig. Über meinem Kopf ragt ein frei hängendes Schild in die Luft, auf dem in verblassten goldenen Buchstaben The Nightingale steht.

Ehrlich gesagt sieht der Laden wie eine Spelunke aus.

Aber gutes Aussehen ist nicht alles. Ich habe festgestellt, dass es sich damit wie mit den meisten Dingen im Leben verhält: Die inneren Werte sind sehr viel wichtiger als eine hübsche äußere Fassade. In Nashville gibt es keinen Ort, der mehr dafür bekannt ist, musikalisches Talent anzulocken. Genau in diesem Moment kann ich mindestens fünf Künstler in den Top Einhundert der Charts aufzählen, die hier, in den Räumlichkeiten dieser unscheinbaren kleinen Spelunke, entdeckt wurden.

Ich straffe die Schultern und strecke eine Hand nach der Türklinke aus. Halb rechne ich damit, dass die Tür fest verschlossen ist, doch sie gibt unter meinem Griff problemlos nach, schwingt auf und gibt den Blick auf eine düstere Bar frei. Ich trete ein, bevor ich einen Rückzieher machen kann. Ich blinzle, während sich meine Augen darum bemühen, sich an das plötzliche Halbdunkel anzupassen.

»Hallo?«, rufe ich und mache ein paar zögerliche Schritte über die Schwelle. »Ist hier jemand?«

Niemand antwortet. Ich gehe an einer verlassenen Empfangstheke vorbei und um mehrere hohe Bartische herum, deren Oberflächen von jahrelanger Benutzung zerkratzt und ramponiert sind. Ein Trio aus Deckenscheinwerfern beleuchtet die Bühne, die sich mir gegenüber befindet, und erhellt ein Meer aus wirbelnden Staubpartikeln in den durchbrochenen Schatten. Ich werde davon angezogen wie eine Motte vom Licht. Bevor mir richtig bewusst wird, was ich tue, habe ich den Raum durchquert und den Rand der erhöhten Plattform erreicht, auf der ein einzelner Hocker neben einem Mikrofonständer steht.

Meine Finger zittern, als ich eine Hand ausstrecke und über die kühle Oberfläche der Bühne streiche. Vermutlich bilde ich es mir nur ein, aber das Eichenholz unter meinen Fingerspitzen scheint Energie auszustrahlen und sie durch meine Venen zu jagen, so als wäre das Holz selbst auf wundersame Weise von der Elektrizität all der Musiker erfüllt, die im Laufe der Jahre darauf gestanden haben. Echte Starenergie, greifbar und übertragbar. Ich kann nur hoffen, dass ein bisschen davon auf mich abfärben wird.

»Was zum Teufel machst du hier?«

Die barsche Stimme sorgt dafür, dass ich zusammenzucke. Ich reiße die Hand von der Bühne zurück, als hätte ich mich daran verbrannt, und wirbele herum, um mich dem Mann zu stellen, der hinter der Theke steht und mit einem fleckigen weißen Lappen ein Glas poliert. Er ist Ende sechzig, und sein kurz geschorenes schwarzes Haar wird bereits dünn. Seine Miene ist so einschüchternd, dass ich überrascht bin, dass ich nicht erschrocken zurückweiche, als meine weit aufgerissenen bernsteinfarbenen Augen auf seine zusammengezogenen braunen treffen.

»Wir öffnen erst um siebzehn Uhr.«

Ich nicke wie eine gedankenlose Marionette.

»Bist du taub?«, schnauzt er und wirft den Lappen über seine mit einem schwarzen T-Shirt bekleidete Schulter, während er um die Theke herumkommt.

»N… N… Nein«, bringe ich stammelnd hervor und weiche nicht zurück, als er auf mich zukommt.

»Dann bist du also einfach nur dumm.«

Ich schüttle den Kopf, um seine Worte zu widerlegen und klarer denken zu können. »Nein, Sir.«

»Sir?« Er schnaubt. »Niemand hat mich je für einen feinen Herrn gehalten, also besteht kein Grund, jetzt damit anzufangen. Ich heiße Isaac.«

»Isaac«, wiederhole ich. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Felicity Wilkes.«

Ich zögere nur eine Sekunde lang, bevor der falsche Nachname über meine Lippen kommt. Ich glaube, es ist ihm nicht aufgefallen, und falls doch, bezweifle ich stark, dass es ihn kümmert.

»Aha.« Seine Stimme ist tonlos. »Komm entweder heute Abend wieder, oder versuch es in einer der durchgängig geöffneten Bars an der Hauptstraße. Dort bekommst du so viel Tequila, wie du trinken, und so viele schlechte Coverversionen, wie du ertragen kannst.«

»Ich bin nicht wegen einer Margarita hier.«

Er zieht die Augenbrauen hoch. »Warum bist du dann hier?«

»Ich suche einen Job.«

»Wir nehmen keine neuen Sänger in unser Programm auf, wenn sie nicht vorher bei Wade, unserem Bühnenmanager, vorgesungen haben. Und als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war Wades Warteliste so lang, dass man erst in sechs Monaten wieder einen Termin bekommt. Ich schlage vor, dass du es in der Zwischenzeit bei Open-Mic-Abenden versuchst oder an einem der weniger beliebten Veranstaltungsorte anfängst.«

Er wendet sich bereits ab.

»Ich will nicht auftreten!«, rufe ich und zucke zusammen, als ich die Verzweiflung in meiner Stimme höre. Ich räuspere mich und bemühe mich um einen ruhigeren Tonfall. »Ich will nur eine dauerhafte Stelle als Kellnerin haben.«

Er schaut zurück und wirft mir einen zweifelnden Blick zu.

Ich hebe das Kinn an und halte seinem Blick stand, während er darüber nachdenkt.

»Tut mir leid, Schätzchen. Ich stelle gerade niemanden ein.« Er mustert mich von Kopf bis Fuß und betrachtet meinen unordentlich geflochtenen Zopf, meine hageren Gliedmaßen in meinem zerknitterten abgetragenen Kleid und den abgenutzten Gitarrenkoffer, der neben mir auf dem Boden steht. »Und selbst wenn ich nach einer Kellnerin suchen würde, würde ich nicht dich engagieren.«

»Warum nicht?«

»Zum einen bist du jung. Junge Leute sind für gewöhnlich unzuverlässig.«

»So jung bin ich nicht.«

Er schnaubt verhalten. »Zweitens bist du eine Sängerin. Ich stelle nie Sänger ein. Das ist einer meiner Grundsätze.«

»Das ist diskriminierend.«

Wieder zieht er die Augenbrauen hoch. »Dann reich doch eine offizielle Beschwerde gegen mich ein. Ich zittere jetzt schon.«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nicht nach einer Anstellung als Sängerin suche.«

»Denkst du, dass du die erste junge Frau wärst, die hier hereinspaziert kommt und darum bittet, kellnern zu dürfen, während sie mir versichert, dass sie dabei nicht den Hintergedanken hat, ihren Namen auf der Leuchtreklame und ihren Hintern auf diesem Barhocker zu sehen?« Er deutet mit dem Kinn in Richtung der Bühne hinter mir. »Ich bin schon sehr lange hier, Süße. Ich habe mehr Frauen kommen und gehen sehen, als du zählen kannst. Und diejenigen, die wie du aussehen, mit einem leicht wilden Ausdruck um die Augen herum … Das sind die schlimmsten von allen. Sie sind verdammt unberechenbar. Flüchtiger als ein Furz in einem Orkan, wenn du mir den Ausdruck nachsiehst.«

Ich schnaube. »Sie wissen gar nichts über mich.«

»Ich kenne Sänger. Und Sänger jagen dem Rampenlicht besessener hinterher als sonst irgendwas. Es ist ihnen wichtiger als Beziehungen und persönliches Glück. Es ist ihnen wichtiger als ihre Familien, ihre Verpflichtungen, ihr gesunder Menschenverstand. Ruhm ist eine Droge, Schätzchen. Ich habe im Laufe der Jahre immer wieder gesehen, was er anrichten kann. Er ist stärker als Heroin und macht doppelt so süchtig … Und ich stelle keine Süchtigen ein.«

Als ich diesen Vergleich höre, weicht sämtliches Blut aus meinem Gesicht. Mir ist plötzlich ganz schwindelig. Ich öffne den Mund, um ihm zu widersprechen, doch alles, was herauskommt, ist ein armseliges Quieken, während Gedanken durch meinen Kopf wirbeln.

Du bist keine Süchtige.

Du bist kein bisschen wie diese Leute.

»Ach verdammt, schau mich nicht so an.« Isaac seufzt. »Das ist nichts Persönliches. Du magst ein sehr nettes Mädchen sein. Aber selbst nette Mädchen werden in dieser Stadt irgendwann verkorkst. Normalerweise ziemlich genau dann, wenn ihnen klar wird, dass man in der Musikszene für gewöhnlich nur dann ganz oben landet, wenn man es mit einem abgewrackten Plattenproduzenten auf dem Rücksitz seines Autos treibt. Willst du meinen Rat hören? Verschwinde, solange du noch kannst. Geh nach Hause. Kehr in das gemütliche Städtchen zurück, aus dem du gekommen bist, und entschuldige dich bei deiner Mama und deinem Daddy für dein kleines Abenteuer in der großen Stadt. Vergiss dieses Leben und den ganzen Mist, den es mit sich bringt.«

Nach Hause gehen?

Das ist keine Option.

Ich balle die Hände zu Fäusten, während sich in meinem Inneren Wut entzündet. Ich mache einen Schritt nach vorn, bevor ich mich davon abhalten kann.

»Zuerst einmal wüssten Sie, dass ich keine Sängerin bin, wenn Sie mal länger als eine Nanosekunde warten würden, bevor Sie sich ein Urteil über jemanden bilden. Ich habe kein Interesse daran, in dieser Stadt irgendwo zu landen, weder auf dieser Bühne noch auf dem Schoß irgendeines Idioten aus der Musikindustrie. Ich will nur als Kellnerin arbeiten und ein paar Lieder schreiben und ein wenig Geld ansparen.« Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. »Und zweitens werde ich nirgendwohin gehen, schon gar nicht zurück in das ›gemütliche Städtchen‹, aus dem ich gekommen bin. Ich habe fast mein ganzes Erspartes für die Busfahrkarte ausgegeben.«

Meine Stimme bricht erbärmlich. Ich schlucke schwer und versuche, mich zusammenzureißen.

»Wissen Sie was? Ich mag keinen Plan haben. Ich mag für heute Abend nicht mal eine Unterkunft haben. Aber ich will verdammt sein, wenn ich jetzt wieder gehe, nur weil irgendein Blödmann sagt, dass ich das tun soll.« Ich beuge mich vor, um meine Gitarre aufzuheben, und mache mich auf den Weg zur Tür. Mein Atem kommt in wütenden kleinen Stößen. »Ich bin in diese Bar gekommen, weil ich gehört habe, dass sie ein guter Ort zum Arbeiten sein soll, mit einem Boss, der seine Angestellten gut behandelt. Offenbar lag meine Quelle damit falsch.« Ich habe den Ausgang fast erreicht, also schaue ich noch einmal zu ihm, um meinem Ärger mit einer letzten Äußerung Luft zu machen. »Sie wollen mir nicht helfen? Meinetwegen. Ich werde eine andere Möglichkeit finden. Ich werde an jede Tür in Nashville klopfen, bis mich jemand einstellt. Denn ich mag jung sein, aber ich bin nicht ›unbeständig‹ oder ›unberechenbar‹ oder ›wild‹. Sie glauben, dass Sie mich durchschaut hätten, aber ich versichere Ihnen, dass das nicht der Fall ist. Mich kann man nicht durchschauen.«

Ehrlich gesagt klang dieser letzte Satz in meinem Kopf deutlich cooler als die laut ausgesprochene Variante. Ich kann gar nicht genug rechtschaffene Empörung aufbringen, um ihn weniger lahm klingen zu lassen. Meine Wangen sind knallrot, als ich mich zur Tür herumdrehe. Ich hoffe nur, dass ich diese Bar mit einem winzigen, noch vorhandenen Anflug von Würde verlassen kann, als ich aus Richtung Theke ein tiefes, gepeinigtes Seufzen vernehme.

»Warte.«

Ich wirbele herum, und neue Hoffnung keimt in mir auf. Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb wie ein Trommelstock auf eine kleine Trommel. Ich zittere so heftig, dass ich ein Tamburin im Takt rasseln könnte. Trotzdem gelingt es mir, eine gelassene Miene zur Schau zu stellen, als ich Isaacs skeptischem Blick begegne.

»Wer hat dir von dieser Bar erzählt?«

»Devyn. Sie ist meine …« Ich verkneife mir das Wort Cousine. »… eine alte Freundin.«

»Devyn«, murmelt er. »Damit meinst du wohl Devyn Hayes, was?«

Ich nicke.

»Sie war eine gute Angestellte. Sie hat hier vor einiger Zeit gearbeitet, bevor ihre Leute umgezogen sind.« Er zieht die Augen zusammen. »Es gab irgendeine Art Familienskandal, wenn ich mich richtig erinnere …«

Mein Herz schlägt schneller. »Davon weiß ich nichts, Sir.«

Er sieht mich streng an.

»Tut mir leid. Isaac.«

Die Stille dehnt sich ins Endlose. Das einzige Geräusch ist das leise Quietschen seines Lappens, als er sich ein weiteres Glas schnappt und sich daranmacht, es zu polieren. Ich lungere in der Nähe der Türschwelle herum und wage es kaum zu hoffen …

»Hast du Empfehlungen?«, brummt er.

»Ich habe Erfahrung«, sage ich ruhig und weiche seiner Frage aus.

Erneut schleicht sich Zweifel auf sein Gesicht. Ich greife ein, bevor ich meine einzige Chance verliere, ihn umzustimmen. »Hören Sie, Sie kennen mich nicht. Sie trauen mir nicht. Ehrlich gesagt haben Sie nicht den geringsten Grund, mich einzustellen. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich mir ohne zu Murren den Hintern für Sie abarbeiten werde, wenn Sie mir eine Chance geben. Das ist mein Ernst. Ich werde Geschirr spülen, Drinks mixen, Tische abwischen und den Boden fegen, wenn Sie es wollen. Ich werde Ihre Empfangsdame, Ihre Hilfskellnerin, Ihre Barkeeperin, Ihre Bedienung oder Ihre Toilettenputzkraft sein. Was immer Sie wollen, was immer Sie brauchen, ich werde es für Sie erledigen. Ich werde alles tun. Ohne mich zu beschweren.«

Er schnaubt wieder und wirkt nicht überzeugt.

Ich verdränge das letzte bisschen Stolz, das ich noch habe. »Ich … ich brauche diesen Job wirklich dringend. Bitte. Geben Sie mir eine Chance.«

Er stellt das Glas ab, als würde das Gewicht der ganzen Welt auf seinen Schultern lasten. Als er aufschaut, liegt bedauernde Kapitulation in seiner Miene. Was nur bedeuten kann …

Er hebt drohend einen Finger. »Eine Chance.«

Ich quietsche praktisch vor Freude.

»Wenn du es vermasselst, bist du raus. Ohne Abfindung.«

»Danke, Sir … Isaac!«, korrigiere ich mich schnell. »Sie werden es nicht bereuen. Das verspreche ich.«

Er starrt mich prüfend an. »Bist du überhaupt alt genug, um in einer Bar zu arbeiten?«

»Ich bin einundzwanzig.«

Minus drei.

»Ja klar.« Er presst den Mund zu einer strengen Linie zusammen, als wüsste er, dass ich lüge.

»Hören Sie, wenn Sie meinen Ausweis sehen wollen …« Meine Finger zittern ein bisschen, als ich nach der abgenutzten Geldbörse in der Seitentasche meines Rucksacks greife. Der gefälschte Führerschein, der darin steckt, ist nicht perfekt, aber ich bete, dass er gut genug ist, um Isaacs Überprüfung standzuhalten. Das Datum neben meinem laminierten Foto behauptet stolz, dass ich einundzwanzig bin und nicht gerade mal achtzehn. Außerdem steht auf diesem Führerschein, dass mein Nachname Wilkes lautet und ich im schönen Staat Oklahoma geboren wurde.

Ich lüge nicht gern, aber ich bin nicht naiv genug zu glauben, dass es nie nötig ist. Überleben geht über ethische Skrupel.

Er hebt ruckartig eine Hand und sorgt dafür, dass ich mitten in der Bewegung innehalte. »Um den Papierkram werden wir uns später kümmern.«

Ich lasse den Rucksack zurück an meine Seite fallen.

»Kannst du sofort anfangen?«, brummt er.

»Tja, ich …«

»Toll. Dotty hat sich krankgemeldet«, fällt er mir ins Wort. Dann dreht er sich um und geht davon. »Komm schon, Schätzchen. Wir besorgen dir eine Uniform.«

»Mein Name ist Felicity!«, rufe ich ihm hinterher, aber er ist bereits durch die Schwingtüren ins Hinterzimmer verschwunden. Entweder hat er mich nicht gehört, oder er hält es nicht für nötig, auf meine Äußerung zu reagieren. Auf jeden Fall besteht die einzige Erwiderung, die ich erhalte, aus einem leisen Quietschen von Türscharnieren in der ansonsten stillen Bar. Mit einem tiefen Seufzen umklammere ich meinen Gitarrenkoffer ein wenig fester und eile hinter ihm her in Richtung des Hinterzimmers des Nightingale.

2. KAPITEL

Felicity

»Das soll ein Wodka Tonic sein, kein Wodka Soda.« Die Blondine schiebt mir ihr Glas entgegen. Ihre kirschroten Lippen sind zu einer verächtlichen Grimasse verzogen. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht lässt vermuten, dass sie mich nicht für besonders intelligent hält.

»Außerdem habe ich einen Whiskey Cola mit Zitrone bestellt«, mischt sich ihre Freundin ein. »Diese grünen Dinger nennt man Limetten, Schätzchen.«

Ich beiße die Zähne zusammen und ringe mir ein Lächeln ab. Dann nehme ich ihre Gläser und stelle sie auf mein Tablett. »Tut mir echt leid. Ich bin sofort wieder da.«

»Darauf würde ich mich nicht verlassen«, höre ich eine von ihnen kichernd sagen, während ich davongehe. »Es hat so lange gedauert, bis wir unsere letzten Drinks bekommen haben, dass man meinen könnte, dass sie den Whiskey höchstpersönlich in den Fässern reifen lässt.«

Das falsche Lächeln auf meinen Lippen verblasst.

Ich habe diesen Job erst vor sechs Stunden angetreten, aber es fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Meine Füße schmerzen, als ich mich auf den Weg zurück zur Theke mache, um die verwechselte Getränkebestellung in Ordnung zu bringen. Ich höre, wie Carly am Mikro den nächsten Auftritt ankündigt, aber ich schaue nicht in ihre Richtung. Auf die Minute pünktlich hat jede Stunde ein neuer Künstler die Bühne des Nightingale betreten. Und jeder war irgendwie noch beeindruckender als seine Vorgänger. Im Lauf meiner Schicht habe ich die unterschiedlichsten Auftritte gesehen: eine volkstümlich anmutende junge Frau mit einer Geige, ein Trio aus waschechten Cowboys mit Fransenhemden und Banjos, einen Johnny-Cash-Coverkünstler, der so überzeugend war, dass man glattweg an Wiedergeburt glauben konnte, wenn man ihn singen hörte, und eine verwelkte Königin der Liebesballaden, die man mit Schmeicheleien für einen einzigen Abend aus dem Ruhestand gelockt hatte, damit sie ein paar Akustiklieder zum Besten geben konnte.

Das Einzige, was sie eindeutig gemeinsam haben, ist Talent – reines, unbeschreibliches, nicht zu leugnendes Talent.

Sobald sie den Mund öffnen, fließt die Musik aus ihnen heraus … und die Menge verstummt, um ihnen zuzuhören. Alle starren wie gebannt Richtung Bühne und bringen jene zum Schweigen, die es wagen, während eines Auftritts zu reden. Im Verlauf des Abends wird es immer voller, doch die Atmosphäre stiller Ehrfurcht hält unvermindert an.

In anderen Bars kann man flirten und sich bei ein paar Drinks ungezwungen unterhalten. Im Nightingale ist die Musik keine Hintergrunduntermalung – sie ist die Hauptattraktion.

Die Leute drängen sich in der dunklen Bar dicht zusammen, jeder Tisch ist besetzt, und man hat das Gefühl, dass jedes einzelne Sauerstoffmolekül aus dem Raum gesaugt wird. Die Bar bietet gerade mal genug Platz für etwa fünfzig Gäste, aber durch die schmutzigen Fenster sehe ich eine Schlange aus wartenden Gästen, die einmal um das Gebäude herumgeht. Sie alle hoffen darauf, dass ein Tisch frei wird, bevor der nächste Künstler die Bühne betritt.

Das überrascht mich nicht. Wenn man mich nicht dafür bezahlen würde, hier zu sein, würde ich genau wie die Leute dort draußen dafür bezahlen, hineinzudürfen.

Während ich darauf warte, dass der Barkeeper meine Drinks mixt, rauscht Adam, der Schichtleiter, mit einer Inventarliste in der Hand an mir vorbei. Er kommt mir so nah, dass ich spüren kann, wie seine Fingerknöchel meinen Hintern durch den Stoff der dunkelgrauen Hotpants streifen und seine breiten Schultern meinen Rücken unter dem eng anliegenden schwarzen T-Shirt berühren, das ich trage. Das T-Shirt wurde unten abgeschnitten, um meinen Bauch zu entblößen, und gehört ebenso zu meiner Arbeitskleidung wie die extrem knappe Hose. In diesem Outfit sehe ich wie eine nuttigere Version von Sookie Stackhouse aus, die auf dem Weg zu ihrer Schicht im Merlotte’s ist. Aber wenn ich mehr Trinkgeld bekomme, indem ich ein wenig Haut zeige, werde ich mich nicht beschweren. Ich brauche das Geld wirklich dringend und kann es mir nicht erlauben, das Ganze von der moralischen Warte aus zu betrachten.

»Hey.« Adam richtet seine dunkelblauen Augen auf mich. »Das ist ein verrückter Abend für eine erste Schicht.«

»Ist es hier immer so voll?«

»Nein. An den Wochenenden ist es sehr viel schlimmer.« Er grinst mich jungenhaft und charmant an. Er sieht auf eine bodenständige Art gut aus, die irgendwie an Clark Kent erinnert – ein kantiger Kiefer, dunkles bronzefarbenes Haar, breite Schultern. Wenn man ihm einen Umhang verpassen würde, könnte er vermutlich die Welt retten. »Kommst du bislang klar? Bringt irgendwas dich aus dem Konzept?«

Ich zucke mit den Schultern. »Bei mir ist alles in Ordnung.«

Er lässt die Augen langsam an meinem Körper hinunterwandern und verweilt an bestimmten Stellen, was dafür sorgt, dass sich die Härchen in meinem Nacken aufstellen. »Das sehe ich.«

Ich lächle schwach und tue mein Bestes, um die Andeutung in seinen Worten zu ignorieren. Ich kann es mir nicht leisten, diesen Job zu verlieren – vor allem nicht an meinem ersten Abend. Adam lehnt sich seitlich gegen die Theke und richtet den Blick schließlich wieder auf mein Gesicht. Ein halbes Grinsen zupft an seinen Lippen. Ich würde es ihm gern aus dem Gesicht schlagen.

»Weißt du …« Sein Lächeln wird ein wenig breiter. »Normalerweise überlässt Isaac das Einstellen neuer Mitarbeiter mir.«

»Das wusste ich nicht.«

»Ich bin überrascht, dass er dich eingestellt hat.«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Oh? Warum denn?«

»Ihm mag diese Bar gehören, aber ich bin derjenige, der sich hier um alles kümmert.« Tief in seinen Augen blitzt ein Anflug von Wut auf, der aber so schnell wieder erlischt, dass ich ihn kaum wahrnehme. »Das schließt die endgültige Zustimmung bei Personalfragen ein – ich entscheide, wer bleibt, wer geht und wer die besten Schichten im Arbeitsplan bekommt. Verstanden?«

Sofort verspüre ich heftiges Unbehagen. Die Bedeutung seiner Worte ist nicht zu überhören.

Wenn du das hier vermasselst, bin ich derjenige, der dich auf die Straße setzen wird.

Vielleicht ist er doch nicht Clark Kent. Unter dem charmanten Auftreten nehme ich eine Bösewichtausstrahlung wahr, die eher an Lex Luthor erinnert.

»Na?«, drängt er.

»Verstanden.«

»Gut.« Er zieht sich zurück, zwinkert mir zu und wendet sich ab. Seine unbekümmerte typisch amerikanische Art ist zurück. »Wir sehen uns.«

Ich grübele immer noch über seine verhüllte Drohung nach, während ich mir einen Weg durch die Menge bahne und Cocktails serviere. Ich kann es mir wirklich nicht leisten, in einen Machtkampf zwischen Isaac und seinem Schichtleiter zu geraten.

Warum müssen Männer immer ihr Revier verteidigen?

Ich ziehe den dünnen Block zum Aufnehmen der Bestellungen aus meiner Schürzentasche und will mich gerade daranmachen, meinen Bereich nach Gästen abzusuchen, die ein neues Getränk bestellen wollen, als ich eine Stimme aus den Lautsprechern hallen höre.

»Hey.«

Ein Wort. Es trifft mich wie ein Blitzschlag – es rast durch meine Nervenenden und setzt mich von innen heraus unter Strom wie ein heftiger Elektroschock. Schon bevor ich mich herumdrehe, um ihn anzuschauen, weiß ich, dass mir der Kerl, der am Mikrofon steht, den Atem rauben wird. Er hat einfach diese ganz besondere Stimme.

Ich bin auch nicht die Einzige, der das auffällt. Jede Frau in meinem Bereich setzt sich plötzlich aufrechter hin, streicht sich durchs Haar, um ihm mehr Volumen zu verleihen, und drückt den Rücken durch, damit ihr Dekolleté besser zur Geltung kommt. Ich sollte die Pause zwischen den Auftritten nutzen, um Getränkebestellungen aufzunehmen, doch stattdessen drehe ich mich unwillkürlich zur Bühne um. Es ist ein automatischer Reflex, als hätte ich in einer Menge jemanden meinen Namen rufen hören. Ich kann nicht anders, als aufzuschauen.

Auf der Bühne stehen drei Musiker, aber ich würdige den Schlagzeuger und den Bassisten kaum eines Blickes. Stattdessen starre ich geradewegs auf den Mann, der am Mikrofon steht und von den Scheinwerfern über ihm angestrahlt wird. Er trägt eine zerrissene schwarze Jeans und ein T-Shirt, das so ausgeblichen ist, dass man das Bandlogo auf der Brust nicht mehr erkennen kann. Sein einziges Accessoire ist die schwarze Gitarre, die er sich mit einem Gurt über die Schulter gehängt hat.

Er ist nicht der attraktivste Mann, den ich je gesehen habe, aber er hat etwas unglaublich Einnehmendes an sich. Sein volles Haar fällt ihm auf diese absichtlich unordentliche Art, die allen Musikern so mühelos gelingt, in die Augen. Seine Nase ist ein wenig schief, sein Mund zu einem Schmunzeln verzogen. Er ist groß, hat den drahtigen Körperbau eines Footballspielers und eine Stimme wie ein träger Sonntagmorgen – langsam, weich und mit einem kaum wahrnehmbaren Südstaatenakzent am Ende der Vokale, der dafür sorgt, dass man den ganzen Tag im Bett verbringen will.

»Ich weiß, dass ihr heute Abend alle hergekommen seid, um Lacey singen zu hören …«

Die Menge jubelt und kennt die Person, von der er redet, ganz offensichtlich.

»Aber sie hat ein wenig Verspätung, also werdet ihr heute Abend mit mir und den Jungs vorliebnehmen müssen«, fährt er gedehnt fort und verzieht dabei sarkastisch den Mund.

Die Frauen in der Menge grölen noch ein wenig lauter, die Männer wirken angesichts dieser Neuigkeit ein wenig enttäuscht.

»Normalerweise verstecke ich mich dort hinten hinter meiner Gitarre und überlasse das Singen den Profis.« Er lacht bescheiden, und der bloße Klang genügt, dass es mir den Atem verschlägt. »Ihr müsst Nachsicht mit mir haben, wenn ich dieser Bühne nicht gerecht werde.«

Nachsicht mit ihm haben?

Er muss sich für nichts entschuldigen. Verdammt, wenn seine Sprechstimme auch nur den geringsten Hinweis auf seine Singstimme gibt, könnte er das Titellied der Teletubbies singen und damit James Taylor in den Schatten stellen.

»Wir sind Lacey Briggs’ Band. Aber da uns an diesem schönen Abend eine gewisse Lacey Briggs abhandengekommen ist, würde ich uns gern kurz vorstellen. Ich bin Ryder, das dort am Bass ist Aiden, und Lincoln sitzt am Schlagzeug … Und wir sind nur drei Nobodys, die ein bisschen Spaß haben wollen. Meint ihr, ihr könnt uns dabei helfen?«

Die Menge grölt.

»Also gut, Nashville. Lasst uns das verdammt noch mal durchziehen.«

Lincoln schlägt seine Trommelstöcke in der Luft zusammen und zählt einen Takt herunter. Ein paar Sekunden später spielen sie die Coverversion eines Lieds der Zac Brown Band. Die Menge geht sofort mit – alle nicken zur Musik mit den Köpfen, bewegen sich auf ihren Plätzen hin und her und wippen im Takt. Mit großer Mühe gelingt es mir, den Blick von der Bühne loszureißen und mich auf die Runde durch meinen Bereich zu begeben. Ich nehme mehrere Getränkebestellungen auf und lächle höflich, damit ich Trinkgeld bekomme. Doch die ganze Zeit über ist meine Aufmerksamkeit auf den Mann hinter mir gerichtet, der mit mehr Überzeugung über frittiertes Hühnchen und kaltes Bier singt, als die meisten Musiker für ihre ergreifendsten Liebeslieder aufbringen können.

Denk an deine Regeln, Felicity, tadele ich mich streng, als ich mich dabei erwische, wie ich die Hüften im Rhythmus der Musik bewege. Keine Musiker. Niemals. Selbst dann nicht, wenn er heiß ist. Selbst dann nicht, wenn er eine Stimme wie ein Glas Whiskey auf leeren Magen hat.

Ich versuche, auf die Alarmglocken zu hören, die in meinem Kopf schrillen, und mir einzureden, dass mich der Mann auf der Bühne vollkommen kaltlässt … Aber ich kann nicht leugnen, dass ein bisschen mehr Schwung in meinen Schritten liegt, als ich mich auf den Weg zur Theke mache. Ich rattere meine Bestellung für Jay, den Barkeeper, herunter und drehe mich herum, um den Auftritt zu genießen, während ich warte. Die Band ist zu einer lautstarken Interpretation von »Wagon Wheel« übergegangen, und der Sänger – Ryder – bearbeitet das Publikum mit allem, was er hat. Er wiegt sich vor und zurück, singt die Frauen direkt vor der Bühne an und zwinkert denen, die weiter entfernt sind, zu. Man kann kaum glauben, dass er sich normalerweise auf Gitarrenakkorde und Backgroundgesang beschränkt. Er wurde geboren, um im Mittelpunkt zu stehen. Er ist der Star des Auftritts.

Ich bin so gebannt, dass ich nicht mal bemerke, dass Carly neben mir auftaucht.

»Wisch dir den Sabber aus dem Gesicht, bevor du die Getränke servierst.«

Ich zucke zusammen und reiße den Blick von Ryder los. »Ich habe nicht … Es ist nicht so, wie du denkst. Ich habe nur …«

»Schamlos die Ware begafft?«

Meine Wangen drohen, rot anzulaufen.

»Oh, entspann dich.« Sie grinst. »Dieser Junge ist heißer als eine gusseiserne Bratpfanne. Du musst dich nicht dafür entschuldigen, dass es dir aufgefallen ist.«

»Ich schätze schon«, sage ich und bemühe mich um Lässigkeit. »Wenn man auf diesen Typ Mann steht.«

Sie stößt mit ihrer Hüfte gegen meine. »Jeder steht auf Ryder. In diesem Raum gibt es keine Frau, die nicht gern mal eine Runde auf diesem Bike drehen würde.«

»Ich nicht.« Ich schüttle den Kopf. »Ich lasse mich nicht auf Musiker ein.«

Carly schnaubt. »Dann ist es ja gut, dass du nach Nashville gezogen bist.«

»Nicht jeder hier ist Musiker.«

»Aber so gut wie jeder.«

»Tja, dann muss ich mir wohl einfach jemanden suchen, der unmusikalisch ist.«

»Viel Glück dabei.« Sie schüttelt den Kopf und hat den Blick dabei immer noch fest auf die Bühne gerichtet. »Sie spielen mindestens zweimal pro Monat hier. Ihre Leadsängerin, Lacey, ist talentiert, aber total unzuverlässig. Tatsächlich hat sie hier mal gearbeitet, aber jetzt verfolgt sie eine Gesangskarriere. Oder … hat sie jedenfalls mal. Die halbe Zeit über taucht sie zu Auftritten gar nicht erst auf, also übernimmt Ryder ihren Part.«

»Ich bin überrascht, dass sie weiterhin Auftritte bekommt. Isaac erwähnte, dass es für Auftritte im Nightingale eine Warteliste gebe.«

Carly lacht. »Ja, tja, ich schätze, Lacey hat sich mit Wade auf eine spezielle Abmachung geeinigt, denn er bucht sie immer wieder.«

Ich ziehe fragend die Augenbrauen hoch, doch sie führt das nicht weiter aus. Sie ist zu sehr damit beschäftigt, die Bühne im Auge zu behalten – oder den Mann darauf. »Du musst zugeben, dass er verdammt sexy ist.«

Ich zucke mit den Schultern.

»Soll das dein Ernst sein?« Sie zieht die Nase kraus. »Sieh ihn dir an!«

»Tut mir leid. Musiker … reizen mich einfach nicht.«

»Warum nicht?« Ihr Blick wird neugierig. »Schlimme Erfahrung?«

Ich mustere Ryder, der die Menge mit einem Ausdruck purer Freude auf dem Gesicht anheizt. Ich schüttle mich, damit ich aufhöre, ihn anzustarren, und drehe der Bühne den Rücken zu.

»Jeder, der so viel Bestätigung braucht, wird in einer Beziehung niemals zufrieden sein«, sage ich und starre auf mein Getränketablett. »Musiker und Monogamie vertragen sich einfach nicht. Und ich habe noch nie verstanden, warum man sich auf etwas einlassen sollte, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist.«

»Trügen mich meine Ohren, oder haben wir endlich eine Mitarbeiterin mit Geschmack eingestellt?« Adam kommt auf uns zu und schließt sich unserer Unterhaltung an. Er betrachtet mich mit neuer Anerkennung im Blick. »Die meisten Frauen würden alles tun, um eine Chance zu erhalten, sich an einen Angeber heranzuschmeißen, der auf einer Gitarre herumklimpern und einigermaßen brauchbare Coverversionen singen kann.«

Ich schenke ihm ein schwaches Lächeln und unterdrücke den Drang, die Augen zu verdrehen. Trotz seiner großen Töne macht sein neidvoller Blick in Richtung Bühne klar, dass Adam liebend gern mit den anderen Jungs dort oben stehen und das Objekt zahlreicher weiblicher Sexualfantasien sein würde.

Carly schnaubt unfein. »Herrgott, Adam. Bist du etwa eifersüchtig?«

»Eifersüchtig? Versuch’s mal mit ›sauer‹.« Er beißt die Zähne zusammen. »Das ist echt nicht zu fassen. Das ist jetzt das dritte Mal, dass Lacey nicht aufgetaucht ist.«

Carly schiebt sich eine Strähne ihres kurzen platinblonden Haars hinters Ohr. »Rede mit Wade. Er ist derjenige, der ihr immer noch Auftrittstermine gibt.«

»Wade ist zu sehr damit beschäftigt, mit seinem Schwanz zu denken, um tatsächlich mal seinen Job zu machen.« Adams Miene wird immer finsterer, während Ryder ein beliebtes Lied von Sam Hunt zum Besten gibt. »Meine Güte, das Nightingale ist doch keine Karaokebar.«

»Lacey ist noch nie besonders verlässlich gewesen. Hast du sie deswegen nicht gefeuert?«

»Sie war eine schlechte Kellnerin, aber sie kann singen.« Sein Tonfall klingt missgünstig. »Leider scheint sie in letzter Zeit nicht mehr viel Interesse daran zu haben, tatsächlich zu singen. Schließlich lässt sie uns dauernd hängen, und wir müssen uns dann mit einem Leadgitarristen begnügen, der kaum eine Melodie halten kann …«

»Ich habe nicht gerade den Eindruck, dass sich die Frauen im Publikum beschweren«, sagt Carly ironisch und wirft einen Blick auf die beinahe tollwütige Menge. Jede Frau in der Bar hat die Augen fest auf Ryder gerichtet, als wäre er ein hochwertiges Stück Rindfleisch, während er die Texte schmettert.

Adam gibt einen angewiderten Laut von sich. »Ja, was auch immer. Tu mir einen Gefallen. Sag dem Lustknaben, dass er nach dem Auftritt in meinem Büro vorbeikommen soll. Wir müssen über ihre Zukunft hier reden. Wenn sich Wade nicht um diese Situation mit Lacey kümmert, dann werde ich das eben selbst machen.«

»Geht klar, Boss.« Carly salutiert spöttisch vor ihm, während er davongeht. Sie senkt die Stimme zu einem amüsierten Murmeln, sobald er außer Hörweite ist. »Gott, der hat den Stock heute aber besonders tief in seinem Hintern, oder?«

Ich schnaube. »Ich habe keine Vergleichswerte – das hier ist meine erste Schicht.«

»Oh! Stimmt, tut mir leid. Ich habe das Gefühl, dich schon ewig zu kennen.«

»Kann ich dich etwas fragen?«

»Ich bin ein offenes Buch.«

»Isaac ist der Besitzer … Aber es scheint, als wäre Adam derjenige, der alle Entscheidungen trifft, oder?«

Carly seufzt schwer. »Das stimmt schon. Isaac eröffnete diese Bar vor etwa vierzig Jahren, aber wenn man bedenkt, dass Adam derjenige ist, der sie eines Tages erben wird … Ich schätze, dass es so eine Art Machtkampf zwischen der alten und der neuen Welt gibt, wenn es darum geht, wie die Dinge hier gehandhabt werden sollen.«

Ich blinzle überrascht. »Sie sind Vater und Sohn?«

»Ja.«

»Wow. Der Apfel ist ziemlich weit vom Stamm gefallen, was?«

Sie grinst. »Wie du bereits herausgefunden hast, hat Isaac unter seiner rauen Schale einen ziemlich weichen Kern. Adam ist genauso. Seine Schale ist nur … schwerer zu knacken.«

»Also ist er nicht immer so ein Idiot?«

»Er ist noch nie übermäßig freundlich gewesen, aber im Großen und Ganzen trifft auf ihn die Bezeichnung ›große Klappe, nichts dahinter‹ zu. Ryder hat … einfach ein Talent dafür, das Arschloch in ihm hervorzurufen.«

»Warum?«

»Ich glaube, dass sie früher mal befreundet waren. Ich bin nicht sicher, was passiert ist. Ich weiß nur, dass sie vor einer Weile einen großen Streit hatten. Wann immer Ryder auftaucht, um hier zu spielen, ist Adam besonders schlecht gelaunt.« Sie seufzt. »Soll ich dir einen Rat geben? Halte dich an den Abenden, an denen Laceys Band auf dem Plan steht, vom Kriegspfad fern.«

»Danke, das werde ich mir merken.«

»Ich muss mit den Jungs reden, die als Nächstes auftreten werden, und du musst diese Drinks servieren, bevor das ganze Eis schmilzt.« Sie drückt kurz freundschaftlich meinen Ellbogen und schenkt mir ein warmes Lächeln. »Wir sehen uns, Felicity.«

Ich verspüre einen Stich im Herzen, als ich sie in der Menge verschwinden sehe. Vielleicht wird es doch nicht so schlimm werden, hier zu arbeiten. Vielleicht, aber nur vielleicht wird es mir sogar gelingen, ein paar Freunde zu finden.

Das wäre mal was Neues.

Ich lächle immer noch in mich hinein, als ich das Tablett nehme und mich in die Menge aufmache, um die Getränke zu servieren.

3. KAPITEL

Ryder

»Also gut, Nashville«, brülle ich ins Mikro und schaue dabei auf das Meer aus schreienden Frauen hinaus. »Lasst uns das verdammt noch mal durchziehen.«

Ich schenke ihnen mein verführerischstes Grinsen – das Grinsen, das dafür sorgt, dass in ihren Augen Lust aufblitzt und sie die Brüste nach vorn recken, damit ich sie besser sehen kann. Ihnen ist egal, wie ich heiße, wo ich herkomme oder ob ich das verdammte Lied, das ich singe, überhaupt mag. Sie sehen nur die Gitarre in meinen Händen, das Grinsen auf meinem Gesicht und den Körper, den sie nach dem Auftritt gerne ausgiebig betatschen würden, nur damit sie sagen können, dass sie jemanden aus einer Band abgeschleppt haben.

Zum Teufel mit dir, Lacey.

Ich wäre nicht hier oben, um über verfluchtes frittiertes Hühnchen zu singen, wenn sie sich die Mühe gemacht hätte, für unseren Auftritt aufzutauchen. Ich lege die Hand ein wenig fester um den Hals meiner Gitarre, während Wut durch meinen Körper rauscht. Ich muss meine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um meine Wut im Zaum zu halten und weiterzulächeln und -zusingen, als würde mich das hier auch nur im Geringsten kümmern.

Nur noch ein paar Lieder, denke ich und zwinkere einer Frau in der ersten Reihe zu. Dann ausreichend Whiskey, um zu vergessen, dass ich das hier tun musste. Wieder einmal.

Ich nicke Lincoln zu, während wir zu einem weiteren miesen Top-Einhundert-Hit übergehen, der dafür sorgt, dass das Publikum ausrastet. Diese Leute würden gute Musik nicht mal erkennen, wenn sie ihnen einen Schlag auf den Kopf verpassen würde. Ich schätze, das sollte mich nicht überraschen. Immerhin sind sie hergekommen, um Lacey singen zu hören.

Die Frau ist verflucht heiß – ihr Körper hat mehr Kurven als eine gottverdammte Achterbahn. Leider ist sie aber auch ein unzurechnungsfähiges Chaos auf zwei Beinen. Ein Zugunglück mit billigem Parfüm und abgeschnittenen Jeansshorts, die sie so gut ausfüllt, dass sie sie eigentlich gar nicht außerhalb des Hauses tragen dürfte, weil sie sich dadurch eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses einhandeln könnte. Wenn sie nicht singen könnte, würde sie vermutlich in irgendeinem heruntergekommenen, schmuddeligen Club, weit von den Neonlichtern des Broadways entfernt, an der Stange tanzen. Sie würde strippen, um Dollarscheine von fetten Männern mittleren Alters zugesteckt zu bekommen, die in der Dunkelheit an ihren Bauchnabeln herumspielen.

Doch aus unerfindlichen Gründen wurde sie mit einer Stimme gesegnet, die ihre lange Liste mit nicht so attraktiven Eigenschaften beinahe kompensiert.

Aber auch nur beinahe.

An Abenden wie heute, wenn sie sich nicht mal die Mühe macht, zu einem Auftritt zu erscheinen, was dann dazu führt, dass ich wie ein gutes Steak auf einem Fleischmarkt über die Bühne stolzieren und Coverversionen zum Besten geben muss, die ich nicht ausstehen kann, fällt es leicht zu vergessen, wie heiß sie in diesen kurzen Jeansshorts aussieht. Auch ihre unübertroffene Lungenkapazität, die sich zugegebenermaßen für Fähigkeiten eignet, die besser in einem Schlafzimmer als auf einer Bühne zum Einsatz kommen, ist dann nicht mehr so beeindruckend.

Die Standpauke kann man sich sparen.

Ich weiß, dass ich nicht mit ihr hätte schlafen sollen. Ich schiebe es auf die halbe Flasche Jack Daniel’s, die ich hinuntergekippt hatte, bevor sie sich auf mich warf und an meinem Reißverschluss zerrte wie eine rollige Katze. Dann bearbeitete sie mich mit solcher Begeisterung mit ihrem Mund, dass man hätte meinen können, dass sie sich für eine Pornokarriere empfehlen wollte. Für meinen Geschmack war das ein wenig übertrieben … Aber wenn ich ehrlich bin, ist ein schlechter Blowjob von einer Tussi, die man nicht ausstehen kann, immerhin noch ein Blowjob.

Ich habe nie behauptet, dass ich ein Heiliger wäre.

»Wir lieben dich, Ryder!« Zwei Blondinen um die zwanzig an einem der Bartische kreischen um die Wette. »Du bist so heiß!«

Ich grinse sie an, als wäre das der einzige Grund für meine Existenz, und sehe zu, wie sie daraufhin kichern wie verknallte Schulmädchen. Herrgott, das ist eine meiner leichtesten Übungen.

Ein Kinderspiel.

Ich könnte das im Schlaf machen.

Aber das bedeutet nicht, dass ich es genieße. Wenn es nach mir ginge, würde ich lieber im Hintergrund bleiben, meine Gitarre spielen und Backgroundgesang beisteuern. Ich muss nicht berühmt sein. Ich muss nur irgendwie an eine einfache Fahrkarte raus aus dieser Stadt kommen, bevor ich hier am Ende für immer feststecke – ein weiterer vergessener Musiker, der in der Ecke irgendeiner traurigen Kneipe herumlungert und in Erinnerungen daran schwelgt, wie er vor einer Million Jahren beinahe mal einen Plattenvertrag bekommen hätte, damals, bevor seine Träume dem Weg seines Stoffwechsels und seines Sextriebs folgten.

So werde ich nicht enden. Ich werde Nashville verlassen und niemals zurückschauen. Für nichts und niemanden. Ich muss meinen Wagen nur an das Pferd spannen, das am schnellsten das Rennen zu machen verspricht. Momentan ist das zufällig Lacey Briggs – aufsteigender Popstar auf der Schwelle zum großen Durchbruch … Vorausgesetzt, sie kann sich lange genug zusammenreißen, um einen Plattenvertrag zu bekommen.

Eine verdammt große Hürde, wenn man bedenkt, dass sie jetzt schon das vierte Mal in einem Monat nicht zu einem Auftritt erschienen ist. Ich hätte gedacht, dass sie es wenigstens ins Nightingale schaffen würde. Es ist so gut wie unmöglich, hier einen Termin zu bekommen. Jeder in der Stadt, der echte musikalische Ambitionen hat, steht auf der Warteliste, um auf dieser Bühne zu spielen. An jedem Abend der Woche ist der Laden gerammelt voll. Außerdem hat man fast eine Garantie dafür, dass mindestens eine Person im Publikum über genug Einfluss verfügt, um die wildesten Träume jedes Musikers wahr werden zu lassen. Vertreter aller großen Plattenfirmen haben es sich zur Gewohnheit gemacht, hier vorbeizuschauen, um nach neuen Talenten Ausschau zu halten.

Ich lasse den Blick über die wogende Menge wandern und suche nach einem getarnten Anzugträger. Sie sind leicht zu erkennen, sobald man weiß, wonach man suchen muss – normalerweise sitzen sie allein am Rand der Menge, schauen ein wenig zu intensiv zu und haben ständig eine Hand am Handy. Außerdem strahlen sie eine Selbstgefälligkeit aus, die so greifbar ist, dass man sie in Flaschen füllen könnte. Ich habe die komplette linke Seite des Raums abgesucht, als mein Blick an etwas an der Theke hängen bleibt.

An jemandem.

Da ist eine junge Frau, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Sie steht neben Carly und trägt die typische billige Arbeitsuniform des Nightingale. An ihrem gertenschlanken Körper sieht dieses Outfit vollkommen falsch aus, als hätte man eine Porzellanpuppe in Kunstleder gekleidet. Ihr hüftlanges Haar ist zu einem dunklen unordentlichen Zopf geflochten, und sie hat die feinsten Gesichtszüge, die ich je gesehen habe – zierlich und zerbrechlich. Als ich in ihre Richtung schaue, sieht sie auf und blickt mich direkt an, als hätte ich ihren Namen gerufen. Für den Bruchteil einer Sekunde begegnen sich unsere Augen über die Menge hinweg.

Verdammt.

Meine Finger rutschen an den Saiten ab.

Das ist ein untypischer Fehler – so untypisch, dass mir Aiden einen erstaunten Blick zuwirft. Verunsichert zwinge ich meine Aufmerksamkeit von der Frau weg und konzentriere mich wieder auf den Auftritt. Ich stürze mich auf mein Gitarrensolo und singe mit neuer Begeisterung. Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass mein Blick in der kurzen Pause zwischen den Liedern zurück zur Theke wandert, um zu sehen, ob sie noch da ist.

Ungewohnte Wut flammt in mir auf, als ich sehe, dass sich Adam einen Weg an ihre Seite gebahnt hat. Er begafft sie, als hätte er bereits Anspruch auf sie erhoben. Plötzlich will ich von der Bühne springen, zur Theke marschieren und ihn von ihr wegschubsen.

Was zum Teufel ist denn jetzt los? Ich schüttle mich und bin angesichts meiner Reaktion auf eine Frau, die ich gar nicht kenne, vollkommen verwirrt. Eine beliebige Kellnerin hat dich nicht zu interessieren. Reiß dich zusammen.

Ich rede mir ein, dass meine Wut nichts mit ihr zu tun hat. Mein Blut kocht deswegen, weil ich zusehen muss, wie sich dieser Mistkerl Adam überhaupt an eine Frau heranmacht.

Ich schaffe es, einen einigermaßen kühlen Kopf zu bewahren, während wir unsere letzten Lieder spielen, indem ich die seltsame Energie, die in mir brodelt, in die Musik umleite. Mein Körper ist voller Adrenalin und noch etwas anderem, das ich nicht kenne. Meine Finger fliegen über die Saiten, und meine heisere Stimme klingt so voll, wie sie es sonst nur tut, wenn ich allein in meiner Wohnung bin und an meinen eigenen Liedern arbeite – den Liedern, die ich mit niemandem teile.

Das hier ist der beste Auftritt, den wir je hingelegt haben.

»Ry, du warst heute Abend der Hammer!«, brüllt mir Lincoln ins Ohr, um das Gegröle der Menge zu übertönen, als wir von der Bühne gehen. »Du hast alle regelrecht elektrisiert!«

Ich lasse den Blick über das Meer aus Fremden wandern und suche nach einem dunklen, unordentlichen Zopf, der mich abgelenkt hat, seit ich ihn zum ersten Mal erblickt habe. Ich würde ihn gern lösen, meine Finger in diesem Haar versenken, während ich …

Ich schüttle den Kopf, um die unerwarteten unanständigen Gedanken loszuwerden, die in meinem Kopf auftauchen.

»Wo ist diese Energie hergekommen?«, fragt Aiden.

»Keine Ahnung«, lüge ich.

»Was auch immer es war, weiter so! Wir haben noch nie so gut geklungen. Noch nie. Nicht mal, wenn Lacey gesungen hat.«

»Er hat recht.« Lincoln schlägt mir auf den Rücken. »Und nun, meine Herren, gibt es ein paar wichtige Punkte, die unsere Aufmerksamkeit erfordern.« Er nickt in Richtung eines nahe gelegenen Tischs, an dem drei Frauen warten. Sie trinken Wodka Soda und verschlingen uns mit ihren Blicken. Ihre knappen Outfits und lockenden Blicke machen unmissverständlich klar, dass Sex heute Abend nicht nur eine Möglichkeit ist, sondern definitiv auf dem Programm steht.

Ich fahre mit einer Hand durch mein Haar und atme scharf aus. »Ich bin heute Abend nicht so richtig in der Stimmung für Groupies.«

»Ryder Woods lehnt eine willige Frau ab?« Lincoln legt eine Hand auf meine Stirn, als würde er prüfen wollen, ob ich Fieber habe. »Du musst krank sein …«

Ich schüttle ihn ab. »Lass mich in Ruhe.«

»Ich bin nur so schockiert. Ich kenne dich jetzt seit drei Jahren. Meiner Erfahrung nach sagst du nur dann Nein, wenn du so viel Whiskey getrunken hast, dass du es eh nicht mehr hinbekommen würdest. Und selbst dann lässt du es wenigstens auf einen Versuch ankommen.«

»Linc, ich meine es ernst. Halt verdammt noch mal die Klappe.«

Er zieht seine blonden Augenbrauen hoch. »Alter, welche Laus ist dir denn heute Abend über die Leber gelaufen?«

Ich spanne den Kiefer an und wende mich von ihm ab. Ich wünschte, ich wüsste es.

»Darf ich euch freundlich daran erinnern, dass ein paar von uns heute Abend gerne noch flachgelegt werden würden?«, mischt sich Aiden ein und macht sich in Richtung Theke auf. »Ihr schnappt euch die Mädels, ich hole die erste Runde. Wir treffen uns in fünf Minuten an unserem üblichen Tisch.«

»Ich nehme einen Doppelten!«, rufe ich ihm hinterher.

Mit genug Whiskey im Blut kann ich vielleicht diese seltsame Energie ertränken, die seit unserem Auftritt in mir brodelt. Was auch immer das für ein Gefühl ist …

Ich habe es noch nie zuvor empfunden.

Und es gefällt mir ganz und gar nicht.

Eine Frau räuspert sich. »Hey, Arschlöcher.«