Götterdämmerung - Verschwörung - Celina Weithaas - E-Book
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Götterdämmerung - Verschwörung E-Book

Celina Weithaas

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Beschreibung

"Wenn die Messen gesungen sind, fahren wir in den Himmel oder die Hölle. Man vergräbt uns oder äschert die Leiche ein. Schlussendlich sind wir alle eines, ganz gleich ob betrauert oder vergessen: tot." Der Vorabend des zweiten Weltkriegs. Samantha ist die Ehefrau des mächtigsten Waffenproduzenten Italiens. Sie lebt für Reichtum und Intrigen. Bis Cameron, ein junger Sergeant, in ihr Leben tritt. Zwischen Hochmut und Wahn sucht Samantha nach einem Weg, den Krieg zu verhindern. Ihre größte Hoffnung? Fortuna, die Göttin des Glücks selbst.

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© 2023 Celina Weithaas

Umschlaggestaltung und Design: Franziska Wirth

Illustrationen: Janett Weithaas

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN Taschenbuch: 978-3-347-86853-3

ISBN e-Book: 978-3-347-86854-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die Chroniken des Grauen Mannes

Phase I:

Die Poison-Trilogie:

Dark Poison (Oktober 2018)

Cold Poison (Januar 2019)

Dead Poison (September 2019)

Die Jahreszeitentrilogie:

Spring (31. Dezember 2019)

Fall (31. Dezember 2020)

Winter (31. Dezember 2021)

Phase II:

Die Märchendilogie:

Erzähl mir Märchen (05. November 2019)

Märchen für Dich (01. Mai 2020)

Die Mitternachtstrilogie:

Fünf Minuten vor Mitternacht (02. September 2020)

Zehn Sekunden vor Mitternacht (21. April. 2021)

Vor Mitternacht (13. Oktober 2021)

Die Dämonentrilogie:

Fürchte mich nicht (21. April 2022)

Vergiss mich nicht (02. September 2022)

Verlass mich nicht (01. Mai 2023)

Die Götterdämmerungstrilogie:

Götterdämmerung - Verschwörung (05. November 2023)

Götterdämmerung - Verlockung (01. Mai 2024)

Götterdämmerung - Verdammung (02. September 2024)

Die Ich-Bin-Trilogie:

Ich bin Du (21. April 2025)

Du bist Ich (13. Oktober 2025)

Wer ich bin (21. April 2026)

Phase III:

Die Geschichte des Grauen Mannes:

Die Geschichte des Grauen Mannes oder Komm mit mir nach Gestern (02. September 2026)

Chronicles of Kings and Queens:

Blutzoll (01. Mai 2027)

Blutangst (05. November 2027)

Blutrache (01. Mai 2028)

Blutdurst (02. September 2028)

Blutmond (21. April 2029)

Blut-Matt (13. Oktober 2029)

Phase IV:

Die Foscor-Trilogie:

Laufe (31. Dezember 2027)

Bleibe (31. Dezember 2028)

Vergesse (31. Dezember 2029)

Erinnere (31. Dezember 2030)

Verdamme (31. Dezember 2031)

Erwache (31. Dezember 2032)

Phase V:

Die Trilogie von Gottes Tod:

Von verblühender Unschuld (21. April 2030)

Von leidendem Verrat (02. September 2030)

Von verzweifelter Liebe (01. Mai. 2031)

Die Ewigkeitsdilogie:

Endlicher Triumph (13. Oktober 2031)

Triumphale Ewigkeit (01. Januar 2032)

Das Ende:

Nun, da es das Ende ist (31. Dezember 2032)

Für all jene, denen die Worte fehlen.

Dieses Buch wird aus der Perspektive einer wahnhaften Figur mit egozentrischen Zügen erzählt. Die Wahrheit der Figur sollte mit Vorsichtig genossen werden – und liegt schlussendlich immer im Auge des Betrachters.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Part I

Nacht ohne Morgen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Part II

Weltgericht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Part III

Endgericht

Kapitel 1

Kapitel 1

Danksagung

Referenzen

Götterdämmerung - Verschwörung

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Nacht ohne Morgen

Götterdämmerung - Verschwörung

Cover

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Nacht ohne Morgen

Wenn die Messen gesungen sind, fahren wir in den Himmel oder die Hölle. Man vergräbt uns oder äschert die Leiche ein. Schlussendlich sind wir alle eines, ganz gleich ob betrauert oder vergessen: tot.

1

„Cameron Izaret.“

Er stand aufrecht, die rotblonden Haare in der Stirn. Seine Augen waren von einem stechenden, durchbohrenden Grün, das mich aus dem Gleichgewicht brachte. Grün wie die ersten Blätter im Frühling. Grün wie die saftige Wiese nach dem klirrenden Winter.

Grün wie das reinste Leben.

Die Uniform des Sergeants saß schief. Der schwarze Streifen war zur Hälfte abgerissen und die Schuhe staubig. Cameron Izaret war der unkonventionellste Soldat, dem ich jemals begegnet war. Er hatte etwas an sich, eine Faszination, ein Charisma, das ich nicht näher zu beschreiben weiß.

Kaum, dass er den gefüllten Saal betrat, richteten sich alle Blicke auf ihn und den saloppen Soldaten neben sich. Den Soldaten ohne Dienstgrad mit polierten Schuhen und braunen, dichten Haaren, die so dunkel waren wie seine Augen. Cameron Izaret brauchte keine Worte, um jeden Anwesenden in seinen Bann zu ziehen. Erst sah ich sein Lächeln, dann hörte ich den weichen, umgarnenden Klang seiner Stimme.

Für einen Sekundenbruchteil schenkte er mir seine Aufmerksamkeit und der sichere Arm meines Ehemannes war vergessen. Bartolomeo Beterra ist ein eindrucksvoller Mann, hochgewachsen und charismatisch.

Cameron Izaret erinnerte an eine frische Frühlingsbrise. Er öffnet den Mund und die Sonne scheint in finsterster Nacht aufzugehen.

Neckisch schlug er die Fersen gegeneinander und salutierte scherzhaft. Warum ein Sergeant auf der Gästeliste des Banketts zwischen Staatschefs und Koryphäen stand und einen bedeutungslosen Soldaten mit sich brachte?

„Cameron Izaret?“ Carmen streicht sich mit den Fingern durch die dichte, dunkle, wallende Mähne. Ihre rot geschminkten Lippen scheinen zu leuchten. „Ich kenne seinen Namen nicht.“

Bis gestern war er für mich ebenfalls bedeutungslos. Ein Sergeant, ein Unteroffizier. Bartolomeo Beterras Ehefrau hätte keinen Gedanken an ihn verschwendet. Wäre er nicht auf diesem Bankett erschienen und hätte er mich nicht mit einem winzigen Seitenblick um den Finger gewickelt. Cameron Izaret wirkte nicht, als wäre er an diesem Tag erschienen, um Herzen zu erobern oder mächtige Männer zu beeindrucken. Er war einfach da, penetrant mysteriös, penetrant fehl am Platz. Penetrant charmant.

„Wer ist er?“, fragte ich Sir Beterra und streichelte ihm mit der Hand über den Unterarm. Sein Anzug war stählern geglättet, er selbst stilvoll gekleidet. Die schwarzen Haare schimmerten in dem Licht der Kristalllüster.

„Ein unbedeutender Sergeant“, sagte er abwesend.

Seine Aufmerksamkeit galt dem Gastgeber, der den Herren bedeutete, sich auf eine Zigarre oder zwei zurückzuziehen.

Benito Mussolini war gut genährt und kräftig gebaut. Sein kantiger Unterkiefer schenkte ihm selbst in dem überfüllten Saal einen unleugbaren Wiedererkennungswert. Die dunklen Augen waren mit stechender Intensität auf jeden Mann gerichtet, der sich ihm näherte. In regelmäßigen Abständen heftete er seine dunkle, kriechende Aufmerksamkeit auf mich. Ein Blick und mir stellten sich die Nackenhaare auf.

Mein Gatte steht dem unumstrittenen Führer unseres Landes nah. Zu nah. So nah, dass er sich häufiger in Benito Mussolinis Anwesen aufhält als in seinen eigenen. Ich friste meine Tage zwischen Büchern und gähnender Langeweile. Kein Kaffee, kein Tee vermochte die Leere zu stillen, die Sir Beterra in mir hinterließ. Eine schöne Frau solle einen mächtigen Mann heiraten. Dass er ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt, ist fraglich.

Cameron Izaret erschien wie gerufen. Ich suchte ein Abenteuer. Der verzichtbare Sergeant könnte es mir verschaffen. Sobald der Krieg losbricht, wird Cameron Izaret fallen. Stirbt er nicht im Kampf, dann weil er mich verführte und dadurch meinen Gatten entehrte. Die Kugel durch die Hand des Feindes oder die meines Ehemannes, schlussendlich wird er bluten, das Donnern eines göttlichen, uns alle befreienden Krieges über sich.

„Der rotblonde Sergeant mit den staubigen Schuhen“, sage ich.

Carmen verzieht den Mund und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. Die grün-goldenen Polster harmonieren mit ihrem burgunderroten Kleid. „Der ungepflegte Flegel?“

Ich nicke knapp.

„Beterra wird das nicht akzeptieren“, gibt Carmen zu bedenken.

„Das muss er nicht. Wir befinden uns auf der Schwelle zu einem vernichtenden Krieg. Wen kümmert es, ob der Sergeant vor seinem Tod mehr gesehen hat, als nur die Unterwäsche seiner leichten Mädchen?“

Eine steile Falte gräbt sich zwischen Carmens Brauen. „Du könntest tief fallen, Sam.“

Ich lecke mir über die Lippen und greife nach der Teetasse. „Mit dem neuen Jahrzehnt wird der neue Krieg kommen.“ Der Tee schmeckt süß, die Vanillenote legt sich rauchig auf meine Geschmacksknospen. „Monate. Sir Beterra wird zwischen seinen Zigarrensalons und Scotchs kaum bemerken, wenn ich den ein oder anderen Abend nicht in seinem kalten Bett verbringe.“

„Er ist ein Sergeant“, zischt Carmen. „Ein Niemand! Du bist Teil der Familie Beterra geworden. Möchtest du das riskieren?“

Ich ersehne das Prickeln von Wagnissen. In Cameron Izaret werde ich nur eines finden: Leben. Der Niedergang kommt mit den knallenden Kanonen aus den Fabriken meines Gatten. Cameron Izaret wird seine gerechte Strafe ereilen und ich werde die Frau sein, die seinen Namen eines Tages auf der Liste in der Zeitung stehen sieht und sich kaum an das Gesicht mit den zarten Sommersprossen erinnern kann.

Ich riskiere nichts. Nichts als seinen Kopf.

2

„Du wirst das nicht tun.“ Entschieden schüttelt Carmen den Kopf. „Du wirst ihn nicht kontaktieren lassen, du wirst ihn nie wiedersehen, du wirst kein Wort mit ihm wechseln.“

Letzte Nacht haben Cameron Izaret und ich uns mehr geteilt als nur bedeutungslose Sätze. Mehr als nur intensive Blicke.

Bartolomeo Beterra hat sein Versprechen gehalten, ehe er gemeinsam mit Mussolini den Raum verließ. Er machte Cameron und mich miteinander bekannt.

Cameron Izaret stand vor mir, nur einen Meter entfernt. In dieser Sekunde fielen mir seine zarten Sommersprossen auf, die sich über seinen Nasenrücken zogen und seine Wangen. Das breite, naive Lächeln, das von einer ungetrübten Lebensfreude sprach und die stechenden, leuchtenden Augen, die mir bis auf den Grund meiner Seele blickten. Unsicher trat er von einem Bein auf das andere, die Arme hinter dem Rücken verschränkt.

„Wie gesagt, Cameron Izaret“, sagte er und räusperte sich. „Also, ich meine, ich heiße Cameron, aber du darfst mich Cam nennen.“ Als er auflachte, bannte er mich. Jung und irritierend fröhlich wie aus dem Mund eines kleinen Kindes klang der Laut. Nervös leckte er sich über die Lippen. „Ich bin Cam.“ Er bot mir seine Hand an. Ich konnte sie nicht ergreifen. Grinsend beobachtete sein dunkelhaariger Freund uns, der so entspannt wirkte wie Cameron Izaret nervös. Beide sollten sich fehl am Platz fühlen. Ein Sergeant und ein namensloser Soldat hätten nicht zu diesem Bankett geladen werden dürfen. Ein Fehler? Ein Streich des Schicksals?

„Und du?“ Unsicher strich er sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Muss ich dich wirklich Samantha Amaratha Luisa Vinadette Carolina Lirenetta Beterra nennen?“

„Samantha“, erwiderte ich, obwohl ich auf den Nachnamen meines Ehemannes bestehen sollte.

„Sam?“ Schief grinste er mich an.

Cameron Izaret gehörte nicht in diesen Raum. Niemanden wollte ich dringender bei mir wissen als diesen jungen Mann, dem ich nie zuvor begegnet bin.

„Sam“, stimmte ich gedehnt zu.

„Den Namen mag ich.“ Ratlos lachte Cameron Izaret – Cam – auf und strich sich mit dem Handrücken über den Nacken. „Ich hätte nicht erwartet, dass sich jemand mit mir unterhält. Sieh dich um.“ Ungeschickt deutete er in den Raum hinein. Unter Kristalllüstern konversierten gedämpft Damen in schimmernden Gewändern. Die Ehegatten sind in den Salon geflohen, die Gerüchte schwirren durch die Luft. „Und dann auch noch die Frau von dem führenden Waffenproduzenten Italiens und du bist so wunderschön und …“ Sein Soldat räusperte sich und Cameron Izaret stieg die Röte in die Wangen. Er wirkte unschuldig und irritierend.

„Ich plappere“, flüsterte Cameron Izaret heiser. „Das tu ich wohl, wenn ich überfordert bin und einer wunderschönen Frau gegenüberstehe.“ Er atmete tief ein und strich sich erneut über die Stirn. Kein Schweißtropfen stand ihm auf der Haut. „Du bist wunderschön“, wiederholte er.

Der Mann, der mir den Ehering an den Finger gesteckt hat, sprach diese Worte das letzte Mal zu unserer Verlobung. Komplimente heben das Herz und die Seele und ich stürzte mich in den Ozean aus Ehrfurcht, den ich in Camerons Augen fand.

„Ich sollte das nicht sagen“, sagte Cameron Izaret hastig, als ich schwieg. „Du bist verheiratet, das weiß ich. Ich sehe den Ring. Ein sehr schöner Ring! Ich mag den Stein. Ist der blau? Er hat so einen leichten Schimmer. Grün? Eher weiß, oder? Der war mit Sicherheit teuer. Sehr teuer.“

Das Herz donnerte mir in der Brust und pumpte das Blut heiß durch meine Venen. Ich sehnte mich danach, ihn zu berühren. Meine Fingerspitzen über die sommersprossige Haut seiner Wangen wandern zu lassen. Wir schienen das Zentrum aller Aufmerksamkeit zu werden. Der abgelegenste Winkel schützte uns vor jedermanns Blicken.

Cameron Izaret roch gut. Er duftete nach Wald und Freiheit.

„Der Ring ist hübsch“, pflichte ich ihm schließlich bei. „Er ist gleichzusetzen mit glänzenden Fesseln.“

„Fesseln?“ Als Cameron Izaret das nächste Mal lachte, verschluckte er sich an seinem Speichel. „Ich glaube nicht, dass dieser Ring dich zu irgendetwas zwingt.“

Er steht für jede Einschränkung und jede verlassene Stunde, die ich in dem kalten Bett auf Bartolomeo Beterra wartete – vergeblich.

„Ich könnte ihn ablegen.“

Die Röte auf seinen Wangen wurde intensiver. Sein Lachen klang bebend und fremd. „Das musst du wirklich nicht tun. Er steht dir. Das Blau harmoniert mit deinen Augen.“ Er räusperte sich. „Deine Augen sind wunderschön. Wie dunkles Karamell.“

Seine eigenen schimmerten mit einer Aufrichtigkeit, die ich nie zuvor in dem Gesicht eines Menschen gesehen habe. Treuselige Hunde, ja, sie bedachten ihren geliebten Besitzer gelegentlich mit diesem Blick. Menschen schützen ihre Seele mit Gewissenlosigkeit und einem schmalen Lächeln. Cameron Izaret lebte entweder fernab von meiner Realität oder fernab von dem Sein.

Sein Lächeln blieb mir in Erinnerung. Das weiche Strahlen in dem lebendigen Grün, das mich anzog wie das Licht die Motte. Seine Sommersprossen dehnten sich über den Wangenknochen und kitzelten seine Nase. Zwei verbargen sich an seiner Unterlippe und eine weitere am rechten Mundwinkel.

Ich betrachtete Cameron Izaret genauer als je einen Menschen zuvor, nahm jedes Detail seiner Anwesenheit und seines Körpers in mich auf, speicherte jede Falte in seiner Kleidung ab, jedes Blinzeln, jedes Lachen und jedes Wort. Ich war verzaubert und von Sinnen.

Die Anwesenheit seines besser gekleideten Freundes vergaß ich und die Stimmen der Damen verschwammen. Ich roch die Speisen und ich hörte die sanfte Melodie der Geigen.

Als Cameron Izaret sich räusperte, sah ich nichts als das lebendige Frühlingsgrün seiner Iriden und hörte nichts als seine weiche, unsichere Stimme. „Die Musiker spielen ein Lied“, sagte er zögerlich.

„Wir befinden uns auf einem Empfang“, erwiderte ich und meine Zunge fühlte sich taub an. „Da wird musiziert.“

Cameron Izaret räusperte sich erneut. „Wird da auch getanzt?“ Nervös trat er von einem Bein auf das andere.

„Für gewöhnlich. Allerdings befinden sich die Herren im Salon.“

Sein Kehlkopf hüpfte nervös, als Cameron Izaret schluckte. „Das ist vermutlich sehr unangebracht, aber würdest du mit mir tanzen?“

Seine Bitte überschritt die Grenze zu unangebracht. Er bat mich darum – mich duzend darum – mich den geifernden, tratschenden Hyänen in Perlenkette und Seide auszuliefern. Als er mir seine Hand anbot, brachte ich es nicht über mich, sie auszuschlagen.

Seine Haut fühlte sich warm an und ein wenig feucht. Er leckte sich nervös über die Lippen und seine Finger schmiegten sich an meine Hüfte. Der Stoff seiner Uniform war rau und kühl. Ich bildete mir ein, den Staub fühlen zu können. Hörte ich seinen Puls oder war es mein eigener?

Cameron Izaret war ein katastrophaler Tänzer. Ihm fehlte es an Taktgefühl und an Eleganz. Seine Berührungen, winzig klein und verstohlen, nahmen mir die Sinne. Nie zuvor betrachtete ich einen Mann als das Zentrum meiner Welt. Cameron Izaret wurde zu dem Herzstück meiner Seele, als er mich schüchtern anlächelte, eine rotblonde Strähne in der Stirn. Sein Haar sollte kurzgeschoren sein, ein leichter Bart sollte ihm Autorität verleihen, die Uniform sollte sitzen.

Nichts davon war der Fall und während er mich ein verlegenes Stück näher an sich zog, glaubte ich, mich an eine Zeit zu erinnern, die hinter mir lag. Schwarz, undurchsichtig. Leben lagen zwischen dieser Vergangenheit und meiner Gegenwart. Diese Leben zuvor hätte ich Männern wie Cameron Izaret zu Füßen gelegen. Charismatischen, charmanten Gentleman, deren Uniform nicht sitzt und deren Familienname an Bedeutungslosigkeit nicht zu übertreffen ist. Männer, die niemand kennt, und die sich gerade deswegen an sich selbst erinnern.

„Ich sollte das nicht sagen“, flüsterte Cameron Izaret leise, als das Lied endete, „aber ich möchte noch einen Tanz mit dir. Wenn es in Ordnung für dich ist.“

Ein weiterer Tanz, ein neuer Tropfen Öl, der in das hämische Feuer gegossen wird. Wir würden das Gespött des Abends werden, während Bartolomeo Beterra Waffen verkaufte. Genügend, um eine weitere Villa an der Küste zu finanzieren und genügend, um eine tiefere Kerbe in die Geschichte zu schlagen.

Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich brachte kein Wort über die Lippen. Also nickte ich nur und das unsichere Wiegen begann von Neuem.

3

„Cameron Izaret ist ein Niemand!“, ruft Carmen aus, als ich schweige. „Ein Niemand, hörst du? Du hast Beterra nicht geheiratet, du hast das anfängliche Gespött nicht ertragen, um dich jetzt von einem Unbekannten in ein tiefes Loch ziehen zu lassen.“

„Ich werde ihn um kein weiteres Treffen bitten“, sage ich.

Carmen spitzt die dunkelroten Lippen und ihre rehbraunen Augen werden schmal. „Weil es längst feststeht, oder? Du wirst dich davonschleichen und erzählst mir nur hiervon, damit ich dich decke. Damit ich einen Teil der Schuld auf mich nehme.“ Sie schüttelt vehement den Kopf. Die dichten, schwarzen Locken lösen sich aus ihren Haarbändern und umrahmen seidig ihr rundes Gesicht. „Das werde ich nicht tun. Ich werde mich nicht gegen Beterra stellen!“

„Das verlange ich nicht von dir.“ Erschöpft kneife ich mir mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken. Die gestrige Nacht war lang. „Ich brauche lediglich jemanden, mit dem ich über den Abend reden kann.“

„Worüber?“ Sie stützt aufgebracht die Ellbogen auf den Oberschenkeln ab. „Dass du deinen Ehemann, den Waffenproduzenten unseres Landes und engen Vertrauten unseres Staatsoberhaupts, gestern Nacht mit einem bedeutungslosen, dreckigen, naiven Sergeant betrogen hast? Einem Sergeant. Nicht einmal einem General, sondern einem Sergeant? Dem Niedrigsten des Niedrigen?“

Meine Antwort ist schlicht. „Ja.“

Ungläubig vergräbt sie das Gesicht in den Händen. „Er ist ein Sergeant“, zischt Carmen durch ihre schlanken Finger. „Ein Sergeant!“

Sie spuckt Camerons Titel aus wie eine Beleidigung. Und genau das ist es. Frauen wie wir sollten kein Wort mit Männern wie ihm wechseln. Wir sollten sie nicht berühren und wir sollten sie nicht begehren. Carmen würde dieses Missgeschick nie passieren. Sie wurde erzogen mit dem Ideal des kühlen, adretten Herren im Anzug, ihre Finger auf den glatten Tasten eines Klaviers und ihre Lippen immer lächelnd, während sie Operetten trällerte.

Als ich klein war, träumte ich von dem Nachbarjungen, der nach jedem Fußballspiel schlammbesudelt Heim kam. Von seiner Stupsnase mit den zarten Sommersprossen, seinen unwirklich grünen Augen und von seinem groben Leinenhemd und den Stoffhosen, die nie ohne Löcher waren.

Die gediegenen Damen erklärten mir zur Verlobungsfeier mit gerümpfter Nase, dass eine junge Frau wie ich, eine Frau aus meinem Milieu, niemals vollends in diese Gesellschaft passen werde. Ich bestritt das.

Selbst Stunden später spüre ich Camerons Hand noch auf meiner Hüfte. Er berührte mich, als wäre ich das wertvollste Geschöpf auf Erden. Er betrachtete mich, als hätte er nie etwas Schöneres gesehen als mein Gesicht.

„Wann siehst du ihn wieder?“, fragt Carmen mich eisig.

„Sobald es passt.“ Heute Nacht. Das Abenteuer liegt in der Luft, die Gefahr. Die Möglichkeit, dass Beterra ausgerechnet am heutigen Abend Heim kommt und den Scotch in der Flasche einen Tag länger reifen lässt. Ein Sergeant ist verzichtbar.

Der sanfte Duft von Wald und Freiheit, der an Cameron haftete, war für mich binnen von Atemzügen zu einer betäubenden Droge geworden. Diese Affäre wird durch eine sirrende Kugel enden. Ich muss mich um die letzte Seite nicht sorgen. Unsere Geschichte wird durch Dritte beendet werden, bevor sie an Bedeutung gewinnt.

„Wann siehst du ihn wieder?“, wiederholt Carmen gefährlich leise. Das rote Kleid umfließt ihre schlanken Beine und steht in einem krassen Kontrast zu den grünen Polstern. Die Locken wippen ungeduldig.

„Sobald es passt.“ Ich hebe eine Schulter. „Womöglich nie.“

Als unser fünfter Tanz endete, trat Cameron Izaret einen Schritt zurück. Seine Wangen waren dunkelrot und die Augen weit geöffnet. Beinahe als wollte er keine Sekunde verpassen, als wolle er jedes Detail in sich aufnehmen von den glühenden Lichtern bis hin zu dem auffrischenden Wind vor dem Gebäude. Der Sturm rüttelte an den Fenstern.

„Du bist wunderschön“, wiederholte Cameron Izaret zum unzähligsten Mal. „Sollte dein Mann nicht besser auf dich aufpassen?“

„Mein Mann weiß um seinen Status.“ Ich strich mir die dicken Haare aus dem Gesicht.

„Also“, Cameron Izaret lachte zittrig, „gibt er jedem die Kugel, der dich auch nur ansieht?“

Ich wünschte, dem wäre so. Tatsächlich belächelt er das Geifern seiner Freunde, macht mich mit zahlreichen Herren bekannt und kleidet mich in freizügigen Roben. Ein jeder Mann, der etwas auf sich hält, benötigt ein Souvenir. Ich bin seines. Das Schönste und Lebendigste und das einzig Angetraute. Dieser Status wiegt mich in Wohlstand und Gold und Silber. Dem ist es zu verdanken, dass Kaviar zu meinem Frühstücksei serviert wird und die exotischsten Früchte jederzeit erschwinglich sind. Der Ring an meinem Finger ermöglicht mir den Zugang in jedes Geschäft und öffnet mir alle Türen.

Liebe ließ Beterra mich seit Jahren nicht spüren. Ein Krieg wartet. Nichts bedeutet ihm mehr als Finanzen und Geschäfte. Am wenigsten sein Souvenir, das strahlend an seinem Arm glänzt und sich kichernd und leicht angetrunken unter die hohen Damen mischt.

„Mein Ehemann weiß seine Prioritäten bestens zu setzen.“

„Und du bist natürlich seine Erste. Weil du“, Cam lachte nervös, „phantastisch bist.“

„Du kennst mich nicht.“

„Aber ich sehe dich“, flüsterte Cameron Izaret.

Das entlockte mir ein Kichern. Die Röte in seinen Wangen nahm zu, leichte Falten gruben sich zwischen seine Brauen, aber er sah nicht fort. Erst belächelte ich seine Worte, dann gingen sie mir unter die Haut.

„Du siehst mich?“, neckte ich ihn.

„Ich sehe dich“, bestätigte Cameron leise. „Ich glaube, ich habe nie zuvor …“ Er beendete den Satz nicht. Sein Blick huschte zu einer Person hinter mir. „David.“ Das entschuldigende Lächeln zerrte mich zurück in die Gegenwart. „Ich glaube, wir müssen los. Wir sind hier nur so reingestolpert, eigentlich haben wir keine echte Einladung bekommen. Nicht so richtig, verstehst du?“

Ich hätte ihn fragen sollen, wie er und der einfache Fußsoldat sich dennoch unter die Gesellschaft mischen konnten. Das Wissen, dass der Abschied nahte, stahl mir die Zunge. Wortlos nickte ich und entzog mich seiner federleichten Berührung.

„Es war mir eine Freude, Sam“, sagte Cameron Izaret leise. „Ich wünschte, ich würde dich eines Tages wiedersehen.“

„Selten werden Wünsche wahr“, erwiderte ich. Camerons durchdringender, ratloser, naiver Blick tastete nach meinem Herzen und stahl es mir.

„Natürlich.“ Übereilt verneigte er sich zu tief vor mir. Die Jacke verrutschte ein Stück weiter und offenbarte ein schmutziges, dunkles Hemd. Es gehört nicht zu der Uniform. „Bitte entschuldige, dass ich deine Aufmerksamkeit – deine Zeit! – so lange in Anspruch genommen habe. Ich bin heute etwas von der Rolle.“ Gebeugt ging er rückwärts und wich meinem Blick aus. Seine Ohren leuchteten dunkelrot. „Es war nett mit dir. Wirklich nett. David und ich, wir müssen gehen. Sonst kommen wir zu spät.“

Wohin Cameron Izaret an diesem Abend eigentlich wollte, erfuhr ich nicht.

„Selten“, wiederholte ich leise.

Er blickte sofort auf. „Selten?“ Das schüchterne Lächeln ließ mich alles hinterfragen. Mein Leben, den Staat, die Pläne meines Ehemannes und des Staatschefs. Mein Gewissen. „Selten ist nicht nie.“

Diese kleine Feststellung ließ mich alle Vorsicht fahren lassen. „Morgen Nacht. Hier.“

„Hier?“

„Hier“, bestätigte ich. „Vor den Toren.“ Damit wandte ich ihm den Rücken zu und beendete die packendste Begegnung meines Lebens. Seine lebensgrün strahlenden Blicke verfolgten mich und erinnerten mich an Träume. An Träume und Hoffnungen, die zwischen Krieg und flimmernder Spannung dazu verdammt waren, einen qualvollen Tod zu finden.

Damen belächelten mich, ein zäher Sturm trieb Regen gegen die dicken Fensterscheiben, während seine Blitze die Nacht erleuchteten.

Beterra stand hochkonzentriert im Türrahmen. Seine gebündelte Aufmerksamkeit galt Mussolini. Sie waren einander zugewandt, die Köpfe nah beieinander. Seine Hand umfasste ein Glas gefüllt mit Scotch. Dass ich mich zu ihm gesellte, bemerkte er erst ewige Minuten und ein mich grüßendes Nicken des Staatschefs später.

4

Theatralisch lässt Carmen sich in ihren gepolsterten Stuhl zurücksinken. Der Rock ihres Kleides bauscht sich auf. „Das wird dich den Hals kosten. Mindestens aber den deines bedeutungslosen Soldaten.“

„Womöglich.“ Carmen und ich wissen beide, dass sie Recht behalten wird.

Rückwärts sinke ich in meine Kissen. Der leichte Rock des Kleides entfaltet raschelnd seine Schwingen, um in einer weichen Wolke zurückzusinken. Die Sonne versucht die düsteren Schwaden der aufziehenden Katastrophen zu bannen. Ihr Lachen kann sich über das am Horizont lauernde Jammern nicht erheben. Um uns herum geht die Welt unter. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Tsunami uns ergreift und die Kriegsschiffe hinausschwemmt auf die Meere, hin zu den Küsten der Feinde, die einmal Freunde waren.

Männer wie Cameron Izaret werden zuerst fallen. Eine rote Zielscheibe hat man ihnen mit dem Blut ihrer Opfer auf den Rücken gemalt und eine Kugel, vielleicht zwei werden direkt in das Schwarze treffen.

Cameron Izarets Augen besaßen das reinste und unberührteste Grün, das ich mir ausmalen konnte. Grün genug, damit ich löchrige Leinenhosen an ihm sah und fast glaubte, getrockneten Schlamm auf seinen Wangen berühren zu können.

Cameron steht für das Leben. Für die Freiheit. Wenn die ersten Bomben die Nachtruhe zerfetzen, wird beides an Bedeutung verlieren. Heute noch allmächtig, werden wir morgen aus unseren Häusern getrieben werden, der vermeintlichen Sicherheit den Rücken kehren und blutend auf offener Straße zurückgelassen werden.

Mussolini und Beterra malen den Teufel an die Wand und ich reiche ihnen den Tee.

„Du kannst dich nicht mehr mit ihm treffen“, ruft Carmen aus. „Über eine bedeutungslose Begegnung wird jeder hinwegsehen. Du könnest behaupten, du wärst betrunken gewesen.“

Das Staatsoberhaupt selbst bat mich, die Herren allein zu lassen. Die momentanen Pläne seien nicht für die Ohren einer Dame bestimmt. Nachdem man mich fortschickte, trank ich. Viel. Ich trank, bis die Damen hinter vorgehaltener Hand tuschelten und mich mit strafenden Blicken bedachten. Ich trank, bis ich mich selbst nicht mehr spürte und mir Cameron Izarets Lächeln klarer als zuvor vor Augen stand.

Allein taumelte ich über die Schwelle von Beterras Heim, einen Diener zu meiner Linken, einen zu meiner Rechten. Ich strauchelte und der Schlamm haftete an den teuren Schuhen. Unter den besorgten Blicken des Mondes, der sich für gestohlene Momente zwischen dichte Sturmwolken schob, schnappte ich bei jedem Schritt kurzatmig nach Luft. Der Wind riss an meinem Haar und ich verlor mehr als nur eine kostbare Haarnadel. Saphire führten zu mir. Cameron folgte dem Pfad nicht. Beterra blieb an Mussolinis Seite. Das Bett fühlte sich eiskalt und gigantisch an, während das Unwetter vor den tiefen Fenstern tobte.

„Ich war betrunken“, antworte ich langsam. Über mir spannt sich die mit silbernem Stuck verzierte Decke. In einem satten Blau hat Beterra sie gehalten. Königsblau. „Du bringst mir die Sterne zum Greifen nah“, seufzte ich, als Beterra mich erstmals in sein Schlafzimmer führte. Heute verhöhnen sie mich.

„Das ist gut! Das ist sehr gut.“ Carmen erhebt sich, das rote Kleid schmiegt sich wie eine Blutlache um ihre schmale, grässlich bleiche Gestalt. Sie spitzt die Lippen und ihre dunkelbraunen Augen schimmern kalt wie Geschosse. „Sollte jemand dich nach dem gestrigen Abend fragen, ganz gleich, was geschehen ist, wirst du jedem erklären, dass du dich nicht gut gefühlt hast. Dein Ehemann verbringt mehr Zeit mit unserem Staatsoberhaupt als dessen Geliebte! Niemand wird dir dein Verhalten verübeln.“

Ich spüre, wie die Lügen sich zurechtlegen, ordnen, die folgenden Schachzüge sich planen. Wortlos lehne ich mich zu dem fragilen, hölzernen Tischchen zu meiner Rechten und öffne das oberste Fach. Goldene Ranken fließen in das schildpattbesetzte Holz, schlagen ihre Wurzeln hinein und bilden den Griff. Er schmiegt sich kühl gegen meine Haut. Auf dunklem Grund liegt ein Skatblatt. Ich ziehe es hervor, schließe das Tischlein und bedeute dem schweigsamen Diener an der Flügeltür zu diesem Raum, sich zu uns zu gesellen.

Die Haare hat er sich kurz genug geschnitten, damit ich mir der Farbe nicht sicher sein kann. Pechschwarz lugt das vollständig zugeknöpfte Hemd unter der grauen Jacke des Militärs hervor. Die Schuhe hat er sich geputzt, bis sie blitzen und ich mich darin spiegeln kann.

„Auf ein Spiel“, befehle ich ihm. Neurotisch zupft er seine Ärmel zurecht. Die Sonne fängt sich in den polierten Knöpfen der Uniform. Das Gold tanzt über den Karten. Ich mische sie, Carmen streicht sich entflohene Strähnen aus dem Gesicht.

Knapp nickt der Soldat und stellt sich den Stuhl mit dem grünen Polster an das Bett. Die weiße Decke bildet unsere Spielfläche. Als der Soldat die Jacke auf mein Deuten hin ablegt, streift der Ärmel mit dem roten Streifen unser unbeflecktes Feld. Ich greife nach dem festen Stoff und lege ihn hinter mich auf die Kissen. Die hochwertigen, fast samtigen Karten verteile ich, lege zwei verdeckt zur Seite, und betrachte mir meine eigenen mit mäßigem Interesse.

Zu meiner Rechten verzieht Carmen abschätzig den Mund, die Brauen leicht zusammengezogen. Der Soldat bleibt bewegungslos, seine Fingerspitzen liebkosen sein Blatt.

Beterra hat es eigens für mich anfertigen lassen. Ich solle meinen großen Leidenschaften nachkommen dürfen wie er seinen Bestimmungen. Auf dem Rücken trägt das Blatt stürzende Engel, gefasst in ein schimmerndes Gold, verziert mit einem düsteren, verdorbenen Grün. Es bildet einen charmanten Kontrast zu dem Glanz. Als ich darüberfahre, bilde ich mir ein, dass es an meinen Kuppen kleben bleibt wie schwerer, die Soldaten in den Tod ziehender Schlamm.

Die Berichte des ersten Krieges noch im Ohr, beobachte ich sehenden Auges, wie wir in ein weiteres Gewitter hineinsteuern. Der Lotse hat das Schiff verlassen und der Hochmut das Ruder übernommen. Was uns erwartet ist ein Totenschmaus.

Die Kreuzsieben sticht mir ins Auge, die Kreuzacht. Die Buben schmiegen sich an die Asse. Ich reize nicht.

Der Soldat wird zum Zug gebeten. Schwarz gespielt.

Der Soldat wird zum Zug gebeten. Schwarz gespielt.

Der Soldat wird zum Zug gebeten. Aus dem Schneider.

Die Vögel wirken unruhig an diesem malerischen Morgen. Rote Blätter segeln neben orangenen zu Boden. Am Horizont lauert der Winter. Und dahinter?

Die Gewissenlosigkeit.

„Ich habe dir schon einmal gesagt“, setzt Carmen an, „wenn du ein gutes Blatt hast und nicht reizt, dann spiele ich nie wieder mit dir.“

Ich klaube die Karten zusammen. Der König hält sein Zepter, die Dame neigt das Haupt. Der Bube auf meiner Hand feixt. Ich bedecke den Stapel mit dem Kreuzass.

Bilde ich es mir ein oder liegt dort zwischen Fichte und Esche eine meiner Haarnadeln? Der Saphir zwinkert mir zu. Ein ähnlicher blauer Schimmer findet sich in meinem Ehering. Camerons nervöses Plappern hat sich in mein Gedächtnis gebrannt. Sein unsicheres Lachen. Sein aufrichtiger Blick.

Wenn die Sonne untergeht, wird er ein bedeutungsloser Name sein. Ein Niemand. Ich werde ihn dazu machen.

Mein Kleid raschelt bei jeder noch so kleinen Bewegung. Der Stoff streift meine Waden. Die letzte Sommerwärme lockt mich vor die Tür.

Ich überreiche dem Soldaten seine Jacke und greife nach der Tagesdecke. Sie duftet nach Himbeeren und Wein. Unmengen von Wein. Wein, der mir aus dem Mundwinkel rann und sich kühl meine Kehle hinabstahl.

Die kühle Stimme meines Leibwächters ist die letzte Nuance der letzten Nacht, an die ich mich erinnere. „Ihr solltet Euch verabschieden.“

Ich griff nach der Hand des mir wohlbekannten Soldaten und ließ mich aus dem herrschaftlichen Gebäude führen. Die korinthischen Säulen zogen einen Halbkreis um das Foyer. Schlangen krochen nebst Feigenblättern der Decke entgegen. Nie fühlte ich mich bedeutungsloser und kleiner. Man übergab mich zwei Dienern. Sie schafften mich Heim. Der Wind war abgeklungen für gestohlene Minuten. Der Boden klebte aufgeweicht an meinen Sohlen.

Summte ich ein Marschlied?

Der Mond blinzelte mir zu, ehe die dichten Wolken ihn verschlangen.

Bella Ciao.1

5

Beterra erscheint nicht. Carmen und ich essen zu zweit zu Mittag. Während ich meinen Ehemann an meine Seite sehne, genießt Carmen jede Minute, die sie den eigenen nicht zu Gesicht bekommt. „Er ist reich“, vertraute Carmen mir einst an, „aber einfältiger als eine kopflose Henne.“ Während Carmen lebt, um Intrigen zu spinnen.

Die Vorsuppe schmeckt salzig und süß zugleich. Die Zutaten weiß ich nicht zu benennen, das Garnelenfleisch liegt zart auf meiner Zunge.

„Hast du eine Ahnung, was vor sich geht?“, fragt Carmen mich, nachdem sie den halben Teller geleert hat.

Ich hebe eine Augenbraue. „Was genau meinst du?“

„Politisch. Alle wirken so angespannt. Du auch! Du würdest dich doch niemals auf einen Sergeant einlassen, wenn du nicht das Gefühl hättest, den Boden unter den Füßen zu verlieren.“

Wäre dieser Sergeant nicht Cameron, würde ich keinen zweiten Gedanken an ihn verschwenden. „Ende Mai dieses Jahres“, sage ich und betrachte die klare Brühe auf dem Silberlöffel konzentriert. Winzige Kräuterflocken schwimmen in dem salzig-süßen Wasser herum, weißes Garnelenfleisch.

Carmen verschluckt sich an ihrer Suppe. Aufgeregt beugt sie sich zu mir. „Er hat eingeschlagen, oder? Mussolini und Hitler haben einen Pakt geschlossen.“

Angespannt nicke ich. Die Diskussion zwischen Beterra und mir steht mir noch immer gestochen scharf vor Augen. Die Diskussion, die einen unsichtbaren Keil zwischen uns trieb, während die Kluft zwischen uns ins unermessliche wächst. Tag für Tag ein Stückchen mehr, ein Stückchen unüberwindbarer.

„Wenn er einschlägt“, prophezeite ich Beterra, „wird das Krieg bedeuten. Wir werden erneut auf der Verliererseite stehen nur mit dem feinen Unterschied, dass wir uns den Siegern nicht unter den gleichen Vorwänden werden unterwerfen können wie letztes Mal. Dieses Mal haben wir offensichtlich aktiv teilgenommen. Wir haben um diesen Krieg gebettelt.“

„Ein Krieg verlangt nach Waffen“, sagte Beterra. „Italien wird profitieren.“

So wie das letzte Mal? Zwischen Leid und Leichen?

Ich weiß nicht viel über meinen Vater. Er war wohl hochgewachsen und kränklich dürr. Meine Mutter lernte ihn in einer labilen Phase ihres Lebens kennen, liebte ihn für einen Monat und wurde Wochen später von ihm vergessen. Mein biologischer Vater starb wohl zwischen Bomben, Granaten und prasselnden Kugeln. Ich habe ihn nie kennengelernt. Meine Mutter spricht nicht von ihm. Ein einfacher Soldat war er, niedriger im Rang noch als Cameron Izaret. Er schilderte meiner Mutter die Situation an der Front nie in Briefen.

Das übernahmen andere. Sie sprachen von einem grausigen Alltag zwischen Hunger, Ratten und Verlust. Wenn ich finden konnte, was über den Krieg geschrieben wurde, las ich es Tag und Nacht.

Vor Monaten wandte ich mich mit meinen Bedenken an Beterra. An den bedeutendsten Waffenproduzenten meines Landes. Ich zitierte ihm Erfahrungen der Leidenden, auf ewig gebannt in gegilbtem Papier, während viele von ihnen längst tot waren. Ich wies ihn auf den winzigen Gewinn des letzten Krieges und die schmerzhaften Opfer hin.

„Wir sollten Hummer essen“, sagte Beterra. Damit war diese Diskussion beendet. Die nie zu einer Diskussion geworden war.

Der neue Krieg lauert am Horizont. Mir und Beterra wird er Reichtum bringen.

Vorausgesetzt wir überleben ihn.

„Das sind großartige Neuigkeiten!“ Carmen bedeutet meinen Bediensteten, die Teller abzuräumen und durch den Hauptgang zu ersetzen. Ich werde keinen Bissen davon herunterbekommen. Beim letzten Mal war ich noch nicht geboren. Den letzten Krieg kenne ich nur vom Hören-Sagen.

Dieser hier wird mich mit aller Macht überrollen und wann immer ein Donner grollt, werde ich mich insgeheim fragen, ob die feindlichen Truppen inzwischen über uns fliegen. Wann ein Granatsplitter mir das Bein vom Körper reißen wird.

Mein Herz rast. Der kalte Schweiß bricht mir aus. Meine Muskeln zucken.

Karamellisierte Scholle auf Hummerschaum.

Ich rühre das Besteck nicht an und starre auf das weiße Porzellan. Ein zarter, goldener Rand rankt sich darum. Reichtum, der durch einen Krieg gewonnen wurde. Ein weiterer soll ihn mehren, bis jeder Millimeter der Teller vergoldet ist.

Mir steigt die Galle in den Mund und ich schlucke sie herunter. Wegen des Krieges zu bangen, lohnt sich erst, wenn der erste Schuss auf unserem Boden gefallen ist.

„Der Stahlpakt“, ich räuspere mich und weiche Carmens Blick aus, „wird unserem Land Macht bringen.“

„Macht? Du machst Witze, oder? Sag mir, dass du Witze machst.“

Ich schiebe den Teller von mir. Mein Magen hat sich zu einer glühenden Kugel verkrampft. Für Monate war es mir gelungen, den Krieg nur im Hinterkopf zu behalten und nicht in mein Bewusstsein vordringen zu lassen.

So kühl ich mich auch bemühe Camerons Schicksal zu betrachten, so tief trifft es mich. Ihm läuft die Zeit davon. Mir auch. Wir werden uns verbrennen. Cameron wird sterben. Ich werde ihn vergessen.

Und alles wird sein wie zuvor.

„Es ist die Untertreibung des Jahrtausends, wenn wir von Macht sprechen“, ruft Carmen aus. „Wir werden Land gewinnen. Wir werden zu der größten Macht der Welt werden! Stell dir nur vor, dass sich unsere Grenzen bald bis nach Afrika erstrecken. Oder nach Russland! Die Zaren sind Geschichte, du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ein Stalin dieses Land zum Sieg führen kann.“

„Stalin und Hitler haben vor kurzem auch einen Pakt schließen lassen“, murmle ich. „Stalins Reich ist unantastbar. Vorerst.“

„Vorerst.“ Carmens Augen strahlen. „Male dir das nur aus! Wir greifen die Ideale der alten Römer wieder auf. Wir schaffen es zu wachsen wie sie vor zehntausend Jahren!“

Vor weniger als zweitausend Jahren. Ich verbessere Carmen nicht. Ich schweige. Meine Finger kribbeln unangenehm.

In verschwommenen Zeilen erinnere ich mich an den Brief, den meine einstige Nachbarin mir zeigte. Es war der Letzte, den ihr Ehemann an sie richtete. Der Letzte, ehe er im Kampf starb. Ehrenvoll, wie man sagt. Jämmerlich, wie die ergraute Dame schluchzte, hungernd auf eine raue Krücke gestützt und die Ringe dunkel unter den Augen.

Der Schlamm, der sich hinter den Schützengräben bildete, war klebrig und tief. Aus Blut und Leichen, aus Sand und Ratten war er entstanden. Es zog einem die Schuhe aus, wenn man über Bretter watete, die von diesem Schlamm überzogen waren. Das widerfuhr den Glücklichen. Ihnen froren dann die Zehen ab.

Nach regnerischen Tagen rutschte der ein oder andere Soldat aus und kam er von dem befestigten Weg ab, stürzte direkt in diesen Sumpf aus Fäkalien und Tod. Dies widerfuhr den Unglücklichen.

Mein Herz raste fiebrig, als ich die folgenden Zeilen las.

„Wir gingen über die Bretter, die donnernden Kanonen hinter uns. Rechts von mir pfiff der Sergeant und dann verstummte der Laut. Neben uns starrten uns große Augen an, von einem Jungen, fünfzehn mag er gewesen sein, der in dem Schlamm lag und um Atem japste. Langsam versank er. Als wir zurückkehrten, sahen wir nur noch seine blonden Haarspitzen. Seine Schreie waren kreischend laut.“

„Du solltest dich freuen! Weißt du, was für ein Geschäft das ist? Niemand wird davon profitieren wie du.“

„Und du.“ Ich schlucke schwer. Ihr Ehemann produziert die Uniformen für das Militär. Wenn der Krieg kommt, wird man sie dringender brauchen denn je.

„Und ich!“ Erfreut klatscht Carmen in ihre schlanken Hände. „Das bedeutet neuer Schmuck, neue Kleidung. Noch mehr Nächte in elitärster Gesellschaft. Kannst du dir die Bankette ausmalen, die unseren Ehemännern zu Ehren gegeben werden? Und diese Kleider. Ich sehe mich schon in mazedonischer Seide dahinschweben. Die Diamantohrringe! Oder ein Collier. Ganz aus Edelsteinen.“

„Wir werden einen Traum leben“, erwidere ich dumpf. Einen Albtraum, wenn unsere Armee versagt.

Der momentane Stand ist einfach. Die Sowjetunion und das Deutsche Reich mögen auf unserer Seite stehen – oder wir auf ihrer. Man mag Hitler verehren, aber einige werden sich nicht auf seine Seite schlagen. Die Alliierten werden sich erneut verbünden. Wenn die vereinigten Staaten von Amerika sich in das Treiben mischen, binden sie uns die Hände. Sie werden uns überrennen, in der Luft zerreißen, den deutschen Führer entzaubern und unsere Truppen entweder auf ihrem Boden oder unserem eigenen ausbluten lassen.

Und das alles nur, wenn Fortuna uns wohlgesonnen ist.

Beterra und Mussolini belächeln den Pakt zwischen dem Deutschen Reich und den Sowjets. Hitler werde Stalin angreifen, sobald dieser seinen Zweck erfüllt hat und wir werden ihm zur Seite stehen.

Was die mächtigen Männer über die Reichtümer vergessen: Niemand war je dazu in der Lage, in Russland zu bestehen.

Unsere Truppen werden kaum die ersten sein, die Eis und Einöde überwinden. Sie werden dem russischen Winter erliegen wie alle vor ihnen. Denn werden sie, erfroren und dezimiert, zurückkehren, die Kriegstreiber hinter sich, die unser Land in Scherben legen.

„Ich verehre die eiserne Faust des deutschen Führers“, seufzt Carmen. „Wäre ich nicht verheiratet, ich läge ihm zu Füßen.“

Wenn Hitler den Stalin-Pakt ignoriert, wird ihm auch das Abkommen zwischen Italien und Deutschland nicht heilig sein. Sind es nicht die vereinigten Staaten von Amerika oder Russland, wird unser heiligster Verbündeter selbst uns den Dolch in den Rücken treiben. Wir können nicht gewinnen.

Beterra teilt meine Bedenken nicht. Und blicke ich nun in Carmens Augen, erkenne ich nichts als blanke Euphorie. Sie sieht das Tageslicht am Horizont. Das Tageslicht, das sich als Feuersbrunst entpuppen wird, die unaufhaltsam auf uns zurollt.

„Seine Linie besorgt mich“, gestehe ich.

Soeben schnitt Carmen in das weiße Fleisch des Fisches. Jetzt lässt sie das Messer sinken. „Man merkt, woher du kommst“, sagt sie pikiert. „Du würdest das Geschäft deines Lebens nicht einmal erkennen, wenn man es dir unter die Nase reibt.“

Das bestreite ich nicht.

„Dein Skrupel wird dir Beine stellen“, sagte meine Mutter in einer ruhigen Minute, als die Hochzeitsglocken läuteten. Das Kleid war schwer, der Schmuck glitzerte. Ich glaubte, keine Skrupel mehr zu kennen.

Heute gestehe ich mir ein, dass sie Recht hatte.

6

Der Skrupel lässt mich den Krieg fürchten. Der Skrupel kühlt mein trotziges Gemüt.

Die Nacht bricht ein und ich sitze auf dem Ehebett. Cameron Izaret wird vor den Toren des Herrenhauses warten. Ich werde nicht erscheinen.

Angestrengt starre ich in die sternklare Nacht hinaus. Von hier aus erkenne ich den Berg, der sich einige hundert Meter von mir entfernt aufbaut. Dort unter dem hellen Silberlicht des Mondes erhebt sich das weiße Herrenhaus. Steht vor den verschlossenen, schmiedeeisernen Toren ein Sergeant mit gesenktem Kopf? Dämmert ihm, dass ich nicht erscheinen werde? Schmerzt es ihm in seinem weichen, naiven Herzen?

Das Grün seiner Augen jagt mich, als ich das Licht lösche und mich unter die weiche, weiße Decke schmiege.

Meine Entscheidung ist die Einzige, die ich vertreten kann.

Im Geiste wiederhole ich die letzten Momente, ehe Cameron Izaret den Saal verließ. Er neigte den Rücken, als hätte er nicht Minuten zuvor noch mit mir getanzt. Den Blick wandte er nicht ab. Die fiebrige Röte wollte nicht von seinen Wangen weichen. Seine Uniform war jämmerlich verrutscht, das Haar zerzaust und zu lang. Verirrte Strähnen streichelten ihm über die Stirn.

Er setzte einen Fuß schräg hinter den anderen, das linke Knie leicht nach innen gedreht, als hätte er sich vor langen Jahren eine fast vergessene Verletzung zugezogen. Doch während er diese unterwürfige Haltung eingenommen hatte, trotz seiner offensichtlichen Nervosität und seiner kindlichen Naivität, schien er aufrechter zu gehen als die überwiegende Zahl der Staatsoberhäupter.

Seine Lippen verzogen sich zu einem neckischen Lächeln und offenbarten die geraden, schneeweißen Schneidezähne. Zarte Falten stahlen sich über seine Brauen, kleine Grübchen gruben sich in seine Wangen.

Das Grün seiner Augen stand über alledem. Das Grün, das Hoffnung verheißt. Das Grün, das für das Leben steht.

Das Abzeichen auf seiner Schulter verhöhnte mich.

Ich schalte das Licht wieder ein und starre hinaus in die Nacht. Bewegt sich ein Schemen von den Toren des Herrenhauses fort? Mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen. Es weint blutige Tränen. Worum trauere ich? Um mein seelenkaltes Abenteuer, das in dem sich aufbauenden Kugelhagel stirbt?

Um die Gefühle eines Mannes, den ich kaum kenne?

Um mein perfektes Leben, das träge und langsam stirbt, während der Ehemann, der vergisst, mich zu lieben, seinem engsten Geschäftspartner geifernd zu Füßen liegt?

Ich sehne mir Carmens sinnloses Geschwafel herbei. Ich wünsche mir Beterras schlanken, gestählten Körper an meine Seite.

Meine Kehle schnürt sich zusammen. Als ich die Augen schließe, habe ich nicht den silbernen Stuck vor Augen, sondern liebevoll zurechtgezupfte Stofftücher. Orange waren sie. Und rot. Aus einem fernen Winkel des Zimmers erklang die weiche Stimme einer Frau. Sie summte Schlaflieder und Liebeslieder, manchmal Wanderlieder. Auf dem Tisch brannten gezählte Kerzen, deren flackerndes Licht sich in meinem Baldachin fing. Strom hatten wir nicht. Wir brauchten ihn nicht. Die Kerzen gaben uns alle Wärme, die wir uns ersehnten.

„Singst du das andere Lied?“, bat ich die Frau in dem dicken Kleid mit der getupften Schürze gedämpft.

Ihr schmaler Rücken, von Leid und Arbeit gebeugt, richtete sich ein winziges Stückchen auf. Eine neue Melodie erklang, aber es war die Falsche. Sie ahnte es, ich schwieg, schmiegte mich tiefer in die Laken und versuchte den gespenstischen Klang des Trauerliedes auszublenden. Die Kerzen flackerten höher. Aus dem anliegenden Raum, von unserem nur durch eine schmale Holzwand getrennt, erklang ein schweres Jammern. Haut schlug auf Haut, ein gedämpfter Schrei.

Sie stritten oft. Sie stritten und schrien, bis die Frau schluchzte und an Tränen ertrank.

Ich mochte ihren Sohn. Er war klein gewachsen und kränklich bleich. Seine Beine waren dürr wie Streichhölzer und einen Finger hatte er sich gebrochen und nie gerichtet. Jerome. Er hieß Jerome oder Giovan. Oder ganz anders?

Seine Augen waren so grün wie Camerons. Er stolperte häufig Heim, die Knie aufgeschürft und die fadenscheinige Hose ein Stück weiter zerrissen. Dreck klebte auf seinen Wangen und ich mochte es. Verwegen schien er mir und trotzig. Meine Kleinmädchenkleider wollte ich ablegen und gegen Hosen tauschen, wann immer er an mir vorbeiging und mit den Jahren wuchs die Faszination. Diese Anziehungskraft zwischen uns, die der ähnelt, die ich in der gestrigen Nacht empfand.

Irgendwann schmolz der Babyspeck von seinen Wangen und die Augen sanken tiefer in die Höhlen. Die Mangelernährung nagte an ihm wie auch an mir. Tiefe Falten gruben sich zwischen seine Brauen und der Trotz in seiner Haltung wuchs zu einer kühlen Abneigung gegenüber der Welt. Ich vermisste die kindliche Naivität seines Blickes. Das seltene, klare Lachen.

Als ich fortzog in Beterras hochherrschaftliches Anwesen ließ ich nicht nur meinen Unterschlupf, meinen einstigen sicheren Hafen zurück. Der Junge aus Kindheitstagen blieb dort, meine Mutter mit ihren weisen Worten ebenfalls. Mit ihren düsteren Prophezeiungen, die sich Stück für Stück erfüllen.

Ich wälze mich herum. Die silbernen Sterne, von Menschenhand geschaffen, blinken kalt auf mich hinab.

Cameron Izaret wird dort gewesen sein. Vor den Schmiedeeisernen Toren, so kalt wie die einbrechende Spätherbstnacht. Er wird dort gestanden haben, auf mich wartend, die Hände nervös hinter dem Rücken verschränkt. Vermutlich haben seine grünen Augen einen winzigen Funken des naiven Glanzes verloren.

Haben viele Frauen ihn vor dem heutigen Tag versetzt? Wurde sein Herz jemals gebrochen?

Ich schlinge die Arme um mich. Beterra wird heute Nacht ebenso wenig in diesem Schlafzimmer erscheinen wie ich vor dem Herrenhaus.

Carmen wird Daheim liegen, ein Buch lesen und von neuen Roben träumen. Von funkelndem Schmuck. Wen kümmern die Toten, wenn ihre Leichen vor uns in Gold aufgewogen werden.

Ich sollte es Carmen gleichtun. Beterra hat mir unzählige Romane zukommen lassen von Abenteuern und Romanzen. Von Glück und Tragik. Er wird mich am kommenden Wochenende in die Oper ausführen.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass er sich von seinem dunklen Ledersessel in einem verrauchten Zigarrensalon losschweißen kann. Geld setzt dem nach Macht Dürstendem die Krone auf und Beterra greift nach Caesars.

In der Oper könnte Carmen mir Gesellschaft leisten, wenn Beterra sie versäumt.

Oder ein Sergeant, den ich ohne zu zögern versetzt habe.

Elektra. Die Oper war Beterras Wahl. Fesselnd. Vibrierend. Tödlich.

Ein passender Trommelwirbel für die folgende Katastrophe. Kein Trotz hat mich im Haus gehalten, noch weniger Vernunft. Sondern blanke Angst. Furcht, die mich unter die Decken zwängt und fesselt. Ich glaube ein Ende vor Augen zu haben, dem ich mich nicht beugen will.

Lasse ich mich auf Cameron Izaret ein, verschulde ich seinen Tod. Ich würde zu einem Mitglied dieser Gesellschaft werden. Endlich wäre ich dort angelangt, wo niemand mich je gesehen hat. Ich würde unbekanntes Terrain betreten, Cameron Izarets Blut an meinen Händen. Was zählt sein Leben, wenn es mein Gewissen betäubt und mich zu genau der Frau macht, die Beterra an seiner Seite braucht? Die er sich wünscht. Rücksichtslos, schön, bescheiden, aber im Herzen trotzig arrogant und bis in die Tiefen ihres Wesens narzisstisch geblendet.

Ich würde zu einer Frau, die er bereit ist mit sich zu führen. Der er sein Herz schenken kann.

Dafür braucht es nur eine Winzigkeit, ein Opfer, das mir meine Seele stiehlt. Trägt es Camerons Namen, begrabe ich nicht nur ihn. Der kleine Junge mit den zerrissenen Hosen wird mit ihm sterben. Jede Nacht unter dem warmen Baldachin aus Tüchern, beleuchtet von flackernden Kerzen, wird sich in Luft auflösen. Mutters Samantha wird sich verlieren zwischen teurem Schmuck, elitären Veranstaltungen und niederschmetternder Verantwortung. Wie sie es mir prophezeite, während die Hochzeitsglocken läuteten. Während die Leichen, über die ich gegangen war, endlich Früchte trugen.

Es könnte so leicht sein. Einen Schritt hätte es gekostet, hinaus aus der Tür. Einen einzigen. Einen Wimpernschlag, der mein Gewissen verschenkt hätte.

Ich liege in diesem Bett und mir ist eiskalt. Schauer jagen mir die Wirbelsäule hinab und ich lösche ein letztes Mal das Licht. Sie werden kommen. Die bewaffneten Feinde, die mordlüsternen Rächer.

Ich glaube sie schon hören zu können. Wie jede Nacht. Meine Dämonen lauern in den Schatten. Die silbernen Sterne über mir senden eisige Strahlen aus. Kerzen sind erloschen, Kindheitsträume gestorben.

In dem Schrank mir gegenüber stapeln sich Bücher, die ich nie gelesen habe. Wozu sich in Traumwelten verlieren, wenn meine eigene in Flammen steht? Niederbrennt.

Und es niemand bemerkt.

Niemand außer Cameron Izaret, der nicht länger vor den verschlossenen Toren des Herrenhauses auf mich warten wird.

7

„Signora Beterra?“ Der Soldat salutiert vor mir, die Uniform perfekt, die Knöpfe aufdringlich glänzend. „Ein Sergeant bittet, Euch sprechen zu dürfen.“

Ich sitze augenblicklich aufrecht. Meine Ohren klingeln. Seitdem ich nicht erschien, Cameron allein vor verschlossenen, fremden Toren warten ließ, sind Wochen vergangen. Der Winter haucht seine Eiskristalle über das Land. Kein Schnee malt die Natur weich. Beterra nimmt das Wort „Krieg“ häufiger in den Mund. Er ist nur Daheim, um zu dinieren. Der neue Schmuck häuft sich und die verfallenen Opernkarten vergilben zwischen ungelesenen Seiten.

Ich habe wieder zu malen begonnen, die Entwürfe in dem flackernden Kaminfeuer zu Asche verbrannt und mich jeden Abend einsam in die Decken geschmiegt.

Carmen schwärmt von den deutschen Eroberungszügen.

In den letzten Wochen habe ich krampfhaft versucht, den Pflichten einer Dame nachzukommen. Zwischen Sahneküchlein und Delikatessen gelang es mir, die Vorzüge einer unbedeutenden Existenz zu verdrängen.

Nun wartet der Schlüssel zu gefährlichen Gedanken nur Meter von mir entfernt. Er wird nervös die Hände hinter dem Rücken ringen, den Kopf leicht gesenkt und die erdbeerblonden Haare in der Stirn. Vermutlich wird seine Uniform schief sitzen und die Schuhe werden nicht poliert sein.

Diese grünen Augen. Sie schleichen zurück in meine Erinnerung und lösen meine Zunge. „Lassen Sie ihn ein.“

Bilde ich es mir ein oder blinzelt der Soldat überrascht? „Ich führe ihn in den Salon.“

Angespannt nicke ich ihm zu. Meine Muskeln scheinen sich selbst zu verzehren. Das Herz pumpt geschmolzenen Stahl durch meine Venen, der in meine Lungen fließt und sie stechend betäubt. Bis es unmöglich wird, auch nur einen Atemzug zu nehmen. Meine Schritte hallen betäubend laut wider. Die Füße nackt, normalerweise warm auf dem beheizten Marmorboden, frösteln.

Cameron Izaret und ich erreichen den Salon zeitgleich und der Soldat schließt schweigend die Türen hinter uns. Wir sind allein. Allein in meinem Heim. Die Ledersessel meines Mannes mit den hohen Lehnen sind mir bekannt wie die knisternden Flammen in dem trockenen Holz. Der sanfte Duft von Rauch schiebt sich durch die geschlossenen Glastüren des Kamins. Schwere, dunkelblaue Vorhänge wurden zurückgezogen und geben den Blick auf den angrenzenden Park frei. Über dem See liegt eine hauchzarte Eisschicht. Blüten ziehen sich über das kalte Wasser und letzte bunte Blätter taumeln zu Boden.

Unser Gärtner schneidet die Sträucher zurück und ich vergrabe die Zehen in dem weichen, dunkelroten Stoff des Teppichs.

Cameron trägt keine Uniform. Er hat einen dicken Mantel über seinem Arm liegen, die Kleidung in einem warmen Braun gehalten. Seine Winterstiefel reichen ihm knapp über die Knöchel und die Hose besteht aus schlichtem Leinenstoff. Sein dicker Pullover wirkt weich und ich möchte die Wange an seine Schulter schmiegen.

Die Röte auf Camerons Wangen, rührt sie von Nervosität oder Kälte? Das Strahlen in seinen grünen, naiv hoffnungsfrohen Augen erinnert mich an die Versprechungen, die ich mir selbst gemacht habe. Ich würde ein integraler Teil dieser Gesellschaft werden. Nur um einen guten Grund zu haben, ihn häufiger sehen zu dürfen. Den Jungen mit den zerrissenen Hosen und den schmutzigen Wangen, der zum Militär gegangen ist.

Die Nähte an seiner Kleidung mögen heute geschlossen sein, die Wangen glattrasiert und das Gesicht gewaschen. Er hat keine braunen Haare, keine qualvoll dunklen Augen, keinen leeren Blick. Schlussendlich ist er die gleiche Person. Er erinnert mich an Zuhause. An die Person, die ich sein wollte, als ich noch wusste, wer ich bin.

„Sam.“ Cameron verneigt sich ungeschickt und die Haare streifen seine Stirn. Er muss sie sich schneiden. Seine Schuhspitzen sind nur Millimeter von dem Saum des weichen Teppichs entfernt. Unsicher sieht er sich um. Was schüchtert Cameron eher ein? Die schiere Größe des Salons mit seinen zwei Kaminen? Die vier tiefen, zu dem uns umgebenen Park hindeutenden Fenster?

Die zwei runden Tische und der Pokertisch? Die zahlreichen Ledersessel?

Oder bin ich es, die ihn verunsichert, direkt vor dem größeren der beiden, von schmiedeeisernen Streben umgebenen Kaminen? Ich habe die zahlreichen am Boden liegenden Kissen selbst um eine schwarze Marmorplatte sortiert. Weiße Adern ziehen sich darüber und ein Stapel Skatkarten liegt daneben. Wann immer die dichten Wolken an meinen Nerven nagen, vergrabe ich mich hier zwischen Kissen und Decken.

Nun führe ich Cameron schweigend zu genau diesem Flecken. Ein Wort des Grußes bringe ich nicht über die Lippen. Nicht wirklich.

Erst, als ich neben dem flackernden Kamin sitze, mich in eine Wolldecke gehüllt und Cameron ebenfalls eine angeboten habe.

„Welchem Umstand verdanke ich deine Anwesenheit? Sie stößt mich vor den Kopf“, gestehe ich leise. Meine Hände sind eiskalt.

Nervös lachend legt Cameron seinen Mantel hinter sich. Der warme, braune Stoff des Ärmels streift für einen Sekundenbruchteil mein Spielfeld. Zögernd schiebe ich ihn fort.

„Ich wollte mich entschuldigen.“ Cameron hält meinen Blick. Sein Kehlkopf hüpft, als er sich räuspert.

Überrascht lege ich den Kopf schief. „Entschuldigen?“

„Ja. Dafür, dass ich nicht gekommen bin.“

Blinzelnd sehe ich ihn an. Seine grünen Augen scheinen heller denn je zu leuchten.

„Wir waren verabredet“, sagt Cameron Izaret zögernd. „Vor sieben Wochen. Ich bin nicht erschienen, weil …“ Er stockt. „Die Gründe spielen momentan keine Rolle. Es tut mir nur leid, dass ich dich versetzt habe, Sam. Normalerweise tue ich sowas nie.“

Er holt tief Luft, als wolle er erneut zu reden beginnen. Das folgende Schweigen wiegt Tonnen schwerer.

„Du musst dich nicht entschuldigen“, erwidere ich mit tauber Zunge. „Ich war nicht dort.“

Ein unsicheres Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln. Die Sommersprossen auf seiner Unterlippe fallen mir ins Auge. So zart. Weich. Ich möchte die dünne Haut an dieser Stelle berühren.