Götterdunkel: Der Pakt des Toten Gottes - Alexander Naumann - E-Book

Götterdunkel: Der Pakt des Toten Gottes E-Book

Alexander Naumann

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Beschreibung

"Wird er an seinem wahren Ich zugrunde gehen oder werden seine Illusionen ihn retten?" Wie ein Wunder rettet der junge Arcturus seinen Heimatstadtstaat vor den dampfbetriebenen Kanonen und Hopliten des Feindes. Er glaubt, das nur dem Gott Cherus zu verdanken. Deshalb schließt er sich dem Tempel an, deren Priester und Kleriker die einzig wahren Götter vertreten. Unermüdliches Training und seine Hingabe an Cherus geben ihm die Fähigkeit, den Gott selber in seinen Körper fahren zu lassen. Mit diesen Kräften wird er zum besten Werkzeug des Tempels gegen das Böse. Bis er vom Pakt des Toten Gottes erfährt und dieses Geheimnis seine Welt erschüttert. Von Selbstzweifel geplagt und desillusioniert verliert er seine Kräfte. Doch diese sind nötiger als je zuvor. Aus Freunden werden Feinde, das Böse lauert bereits. Der Autor zum Buch: "Antike und Mythen, Spiritualität, Dämonen und etwas Steampunk. Ich wollte Fantasy schreiben, statt Genrekonventionen."

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Copyright © 2016 - Alexander Naumann

Kattowitzer Straße 5

06128 Halle (Saale)

 

 

Cover von Ideekarree

 

 

Für mehr Informationen, Romane und Kurzgeschichten besucht meine Seite!

http://götterdunkel.de/

 

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Prolog

Kapitel 1: Die Belagerung Akythons

Kapitel 2: Der Tempel

Kapitel 3: Die Invokation des Gottes

Kapitel 4: Erz-Heiliger Arcturus

Kapitel 5: Der Pilzwald von Narakasien

Kapitel 6: Ein Dämon im Kopf

Kapitel 7: Die Ruinen von Horkunum

Kapitel 8: Der Asket des Feuers

Kapitel 9: Dunkles Eingeständnis

Kapitel 10: Ansaras Feuerprobe

Kapitel 11: Der Asket im Gefängnis

Kapitel 12: Der Jünger des Toten Gottes

Kapitel 13: Die Chimäre

Kapitel 14: Diener ohne Herrn

Kapitel 15: Der Dämonenfürst des Verlangens

Kapitel 16: Wir sind Kinder des Lichts

Kapitel 17: Der Tempel erzittert

Kapitel 18: Götter wollen nur spielen

Epilog

Prolog

Somokles war ein merkwürdiger Mann. Er besaß einen Hof auf einer Insel in der Agros-Bucht und ein paar Bedienstete. Diese bauten Wein an, bearbeiteten die Felder und fischten in der Bucht. So konnte sich Somokles ganz seiner Leidenschaft widmen. Er schickte seine Bediensteten los, um aus der Stadt die neuesten mathematischen und technischen Schriften zu holen. Von der Bewirtschaftung seiner Insel wollte er nichts wissen, lieber verbrachte er Stunden damit, diese Schriften zu studieren.

Bald schon verfasste er selber Schriften und tüftelte an eigenen Geräten. Sie mussten für ihn ein Katapult errichten, damit er die Flugbahn der Geschosse beobachten konnte. Bei jedem Schuss in das Meer hüpfte und jubelte er wie ein kleines Kind. Einmal erfand er eine Spirale in einem Rohr, welches Wasser einen Hang hoch befördern konnte. Sie wurde als Somoklesche Schraube bekannt. Seine Bediensteten glaubten, nicht mehr Brunnenwasser die Hänge hinaufschleppen zu müssen. Somokles verstand nicht, worüber sie sich freuten. Die praktische Anwendung war ihm nie in den Sinn gekommen.

Er war sehr weltfremd. Selten bekam er Besuch. Angeblich besaß er einen riesigen Spiegel und reflektierte mit ihm das Sonnenlicht, um Boote ungebetener Besucher zu verbrennen. Nur ungern verließ er selber die Insel und er wollte mit niemanden über seine Arbeiten und Studien sprechen. Bald aber machte er eine Erfindung, die er mit der Welt teilen würde.

So verlief er sich eines Tages sogar in seinem eigenen Anwesen und betrat versehentlich die Küche. Hier machte er eine bemerkenswerte Entdeckung: In einem Kochtopf brodelte das Wasser und brachte den Deckel zum Tanzen. Sofort nahm er den Kochtopf an sich und brachte ihn in sein Studierzimmer, ungeachtet dessen, was gerade in ihm zubereitet wurde. Er erkannte die Kraft, welche im verdampfenden Wasser steckte.

Das Resultat war die Dampfkanone. Ein hölzernes Rohr an einem bronzenen Kessel, welches er extrem erhitzte. Und dann goss er Wasser hinein. Dieses verdampfte explosionsartig und schoss eine gusseiserne Kugel weit ins Meer hinaus.

Von da an entwickelte er eine Obsession mit allen Arten von Dämpfen, Gasen und gepresster Luft. Somokles erstickte fast mehrmals in seinem Studierzimmer. Der Rauch war bis zum Festland zu sehen und Fischer berichteten von dampfenden Ungetümen auf seiner Insel. Die Besucher häuften sich und sie alle fragten neugierig nach den Wunderdingen, die er in der Agros-Bucht erfand.

Somokles wusste, er konnte es nicht lange verheimlichen. In einem seltenen Moment der Einkehr sah er ein, dass er eine furchtbare Waffe erfunden hatte, die für das Gute wie auch für das Schlechte eingesetzt werden konnte. Stolz verbat ihm, seine Erfindungen und Aufzeichnungen zu vernichten. So mietete er ein Schiff an, verlud die Dampfkanone und steuerte mit ihr das Festland an.

Sein Ziel waren die Vertreter der einzig wahren Götter. Bei ihnen glaubte er seine Erfindungen in den richtigen Händen. Er war davon überzeugt, dass sie diese Waffen gegen das Böse richten würden. Deshalb ließ er die Dampfkanone und viele andere seiner Erfindungen zum Tempel karren, vorbei an den hohen, altehrwürdigen Mauern des Tempelkomplexes. Dort empfingen ihn die Priester und Primarchen, Kleriker und Heiligen und bestaunten seine Arbeit. Sie hielten sein Erfindungsreichtum für eine göttliche Gabe, wie sie auch sein Geschenk für eine göttliche Fügung hielten. Auch sie erkannten das Potential von Dampf, Gas und gepresster Luft. Und wie es die Welt nachhaltig verändern würde.

Kapitel 1: Die Belagerung Akythons

Arcturus zuckte zusammen. Ein weiteres Geschoss traf die Mauer. Sie erbebte und Staub rieselte hinab. Der junge schaute zu seinem älteren Bruder, der jeden Treffer mit einem Lächeln kommentierte. Er hatte sogar den Helm in den Nacken geschoben, Speer und Schild an die zitternde Mauer gelehnt.

»Wie kannst du dabei so ruhig sein?«, fragte Arcturus und fasste seinen Speer fester.

»Diese Mauern sind alt. Das ist nicht die erste Belagerung, die sie überstehen werden. Solange sie unsere Flotte nicht schlagen, können sie Akython vom Meer aus versorgen. Und sie werden unsere Flotte nicht schlagen.«

Noch ein Geschoss, der Staub fiel auf Arcturus' Helm. Dem Helm seiner Vorväter. Er schaute zur Oberstadt von Akython hinauf. Hinter dem zweiten Mauerring hatten sich sein Vater, seine Mutter und Schwestern in Sicherheit gebracht. Anfangs sollte der fünfzehnjährige Arcturus noch dazu gehören. Er aber war voller Eifer und Kampfesmut gewesen und der Vater schon alt. Nachdem sie seinen Bruder Iatus ausgerüstet hatten, war nur noch ein Helm, ein Schild und ein Speer übrig. »Der Helm deiner Vorväter wird dich schützen«, hatte ihm der reumütige Vater gesagt.

Das war gestern, als sie ihren Bauernhof vor den Stadtmauern von Akython verließen, das Nötigste zusammenpackten und die beiden zur Verteidigung der Stadt rüsteten. Sie waren freie Bürger Akythons, es war ihre Pflicht.

Gestern noch voller Mut, heute verkrampften sich bei jedem Treffer seine Eingeweide. Iatus klopfte ihm auf die Schulter: »Du gewöhnst dich dran. Ist ja dein erstes Mal.«

Arcturus bewunderte ihn. Zehn Jahre trennten die beiden. Iatus hatte schon eine Belagerung überstanden und stand sogar auf dem Schlachtfeld, Schulter an Schulter mit anderen freien Bürgern Akythons und kehrte mit blutigem Speer zurück.

»Sobald ihre Flotte geschlagen ist«, erklärte Iatus weiter, »werden sie die Belagerung abbrechen. Akython überlebt, weil die Mauern ihre Bewohner schützen und ihre Flotte diese ernähren. Die Geschütze dienen nur dazu, uns Mürbe zu machen. Lass das nicht zu, Arcturus. Fürchte lieber die Speere ihrer Hopliten, sollte unsere Flotte doch geschlagen werden.«

Einmal trauten sie sich, auf die Mauern zu treten und sich das feindliche Heer anzuschauen. Die Hopliten füllten die Ebene vor der Stadt, aber mehr noch beunruhigten ihn die Dampfkanonen, diese unheilvolle Erfindung des genialen Mathematikers Somokles. Bronzene Kessel, die in einem mit glühenden Kohlen gefülltem Becken standen. Für diese Kohlen hatten sie das gesamte umliegende Land abgeholzt. Wenn sie Wasser in die Kessel gossen, verdampfte es sofort und der Druck schoss eine metallene Kugel hinaus.

Iatus musste bemerkt haben, wie Arcturus wieder sorgenvoll auf die Mauer schaute. Er schlug sie mit der Faust, wie um damit ihre Standfestigkeit zu beweisen. »Sie hielten auch schon vor sechs Jahren, als du damals noch zu jung warst und dort oben auf der Akropolis in den Armen deiner Mutter bangtest.« Er zeigte hoch zur Oberstadt. Arcturus' Blick wanderte über die Prunkstraße hoch, gesäumt von den gewaltigen Statuen der Götter. Dort oben auf der Akropolis harrten nun die Alten und Schwachen, Frauen und Kinder. »Damals stand unser Vater hier bei mir. Er …«

Iatus konnte diesen Satz nicht mehr beenden. Die Mauer barst plötzlich, die Trümmer sausten um sie, Arcturus traf etwas am Kopf.

Sein Schädel brummte. Benommen fasste er sich unter den Helm, dann betastete er den Helm selber. Kein Blut, aber eine dicke Delle im Metall. Die schützende Hand der Ahnen lag über ihm. Wankend stand er auf und wurde sich nur langsam seiner Umgebung bewusst. Er befand sich inmitten eines Schutthaufens, in der Ferne standen Hopliten vor dem klaffenden Loch in der Mauer.

»Arcturus …«, hörte er jemanden mit schwacher Stimme sagen.

Arcturus fand seinen Bruder in den Trümmern. »Iatus!«, rief er und lief zu ihm. Er begann die Mauerreste weg zu schütten. »Was ist nur passiert?«

Schwer atmend antwortete Iatus: »Sei ruhig! Siehst du sie nicht? Die Soldaten von Dardycon stehen in der Bresche.« Vorsichtig hob Arcturus seinen Kopf über den Schutt, er sah die feindlichen Hopliten und ihr rotes Banner mit der dreiköpfigen Schlange. Sie blickten zur Akropolis hinauf. »Ich weiß nicht, wo unsere Männer sind. Der Angriff muss sie überrascht haben.«

»Wie haben die das überhaupt geschafft? Sagtest du nicht, sie könnten niemals diese Mauer zerstören?« Er hörte Rufe und etwas knarrte vor der Mauer. Männer mit freiem Oberkörper, die schwer an Seilen zogen, traten in die Stadt.

»Was siehst du, Arcturus?«

»Sie zerren etwas hinein. Bei den Göttern.« Sie zogen die größte Kanone, die Arcturus je gesehen hatte. Das Fahrwerk schaffte es noch gerade so durch die Öffnung in der Mauer. Auf ihm stand ein Kohlebecken, in dem sie mehrere Ochsen hätten opfern können. Schwitzende Männer schütteten Kohlen hinein, das Feuer brachte den bronzenen Kessel zum Glühen. Der hölzerne, durch Metallriemen verstärkte Lauf zeigte direkt auf die Akropolis. Gefolgt von Standartenträgern trat ein prächtig gekleideter Mann neben die Kanone, sein Helm mit einem roten Kammbusch, von den Schultern hing ein purpurner Mantel. Sein Brustpanzer war einem muskulösem Torso nachempfunden. Zweifelsohne ein Befehlshaber.

»Was ist es, mein Bruder?«, fragte Iatus.

»Ein Monstrum von einer Dampfkanone.«

Trompetenklang. Aus der Innenstadt schwärmten die Hopliten Akythons, allen voran ihr Banner, der Flammen speiende Löwe.

Der Mann neben der Kanone erhob einen kurzen Stab und rief: »Schrot!« Die Männer auf dem Fahrwerk hörten auf Kohle nachzuschütten. Einer stopfte mit einem Stab einen Holzpfropfen in den Lauf, abwechselnd befüllten sie diesen dann mit dem Inhalt von mehreren Säcken. Arcturus hörte irgendetwas im Lauf rasseln.

Währenddessen erschollen die Hörner auf Seiten der akythonischen Hopliten erneut. Sie reihten sich Schulter an Schulter, Schild an Schild, die Speere auf die Kanone gerichtet. Dann marschierten sie über die weite Prunkstraße. Etwa dreihundert Meter, schätzte Arcturus, blieb ihnen noch, bis sie die Dampfkanone erreichten.

Arcturus beeilte sich. Er rollte den letzten Stein weg und sein Bruder ächzte laut auf. »Los, steh auf! Wir müssen fort von hier! Die Hopliten kommen, gleich bricht hier das Chaos aus!«

»Nein, mein kleiner Bruder. Meine Zeit ist vorbei. Mein Körper ist zerschmettert. Das spüre ich.«

Iatus' Tunika war blutverschmiert. »Ich bringe dich hier weg«, sagte Arcturus und wischte sich die ersten Tränen aus dem Gesicht. Er wollte Iatus seinen Arm um die Schulter legen, dieser jedoch drückte ihn weg.

»Ich will nicht, dass meine akythonischen Brüder von derselben Waffe getroffen werden, welche diese Mauer zerstörte. Mir bleibt aber keine Zeit mehr für Heldentaten.«

»Was soll ich tun? Deine akythonischen Brüder denken nicht daran, die Flucht zu ergreifen.« Während er das sagte, sah er mit wässrigen Augen, wie sich die Bresche mit dardyconischen Hopliten füllte.

Iatus ergriff Arcturus' Unterarm und richtete seinen Oberkörper auf. »Beten und dann handeln.« Er fiel nach hinten, die Umklammerung des Armes erschlaffte und die Augen schlossen sich.

Arcturus gab ihm einen Kuss auf die Stirn und erhob sich. Der Helm musste vom Kopf, die Delle drückte am Schädel. Er hatte seinen Zweck erfüllt. Das lockige, schwarze Haar kam darunter hervor. Er wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. Keine Zeit für Trauer.

»Beten«, sagte er zu sich selbst und schaute sich um. Er sah die Statue des Kriegsgottes Cherus, nicht weit von ihm. In dieser Situation fiel ihm nichts besseres ein, als zu ihr zu laufen. Dabei drehte er sich um, die Soldaten Dardycons beachteten ihn nicht. Sie machten sich bereit, mit den Soldaten Akythons zusammenzutreffen.

So erreichte er unbehelligt die riesige Statue. Er kniete vor dem stattlichen Mann, der seine Attribute Speer und Keule trug. »Weiser, gerechter Gott des Krieges«, begann er hastig, die Worte platzten nur so aus ihm heraus. »Ich erbitte dich nicht, meine Feinde zu erschlagen, sondern meine Kameraden zu retten! Im Namen meines verstorbenen Bruders! Sie … sie werden sie hinwegschießen, mit was auch immer sie die Dampfkanone beladen haben! Verdammt seien Somokles und seine Erfindungen!«

Arcturus blickte zur Statue hinauf und wartete vergebens. Er stand auf und kam sich dämlich vor. Da sah er vor sich, auf dem Sockel liegend, einen Speer. Wurde er von jemanden hier liegen gelassen? Er war kurz und zum Werfen geeignet. Arcturus nahm ihn auf. »Ist das deine Antwort?«, fragte er die Statue.

»Bereit!«, hörte er einen dardyconischen Soldaten. Oben auf der Dampfkanone befüllten sie einen Trichter mit Wasser. Nur ein verschlossenes Ventil hielt es noch dort.

Arcturus stieg auf den Sockel. »Verzeih mir«, sagte er dabei. Der Speer lag gut in der Hand, er sollte auch gut fliegen. Zwischen den Beinen des Gottes zielte er.

»Cherus«, sprach er inständig, »leite meinen Wurf.« Während er einen Sprung nach vorne machte, schloss er die Augen. Nicht seine sterblichen Sinne sollten dieses Geschoss leiten, dafür vertraute er ihnen nicht genug, dafür war ihm dieser Wurf zu wichtig.

Der Befehlshaber brüllte: »Wasser marsch!« und sie öffneten das Ventil. Zischend floss es die Leitung hinab und in den glühenden Kessel hinein. Über die Köpfe der Hopliten flog ein Speer hinweg und an dem Befehlshaber vorbei. Er drang in den bronzenen Kessel.

Der Dampf schoss seitlich hinaus, direkt in die Gesichter der sich verblüfft zum Kessel wendenden Soldaten. Er hüllte sie ein, schreiend sprangen die Soldaten und der Befehlshaber hinaus, während die heiße Wolke in den Himmel stieg.

Die restlichen Soldaten schauten in Arcturus' Richtung, kamen aber nicht zu einem Racheakt: Die Trompeten der akythonischen Soldaten erschollen und sie rannten los. Zu verunsichert waren die dardyconischen Soldaten, um ihre Position zu halten. Viele ließen schändlicherweise ihre Waffen fallen und nahmen die Beine in die Hand. Welcher noch Mann genug war, dem Ansturm Stand zu halten, den überrannten die Hopliten Akythons.

Es waren gerade erst zwei Monate vergangen und die Familie versank immer noch in tiefer Trauer um ihren ältesten Sohn. Umso mehr schockte sie ihr jüngster, verbliebener Sohn.

Auf steinernen Bänken saßen der Vater, Arcturus und ein Priester des Tempels im Versammlungsraum, der nur für die Männer gedacht war. Jedoch konnte Arcturus seine Schwestern um die Ecke lugen sehen. Es war ihm gleich.

Sein Vater hielt die Arme verschränkt und schaute an Arcturus vorbei. Dessen scharfer Blick störte den Priester überhaupt nicht.

»Ihr Sohn hat mir die Situation erklärt und ich verstehe, warum Sie aufgebracht sind«, sagte der Priester. Er trug einen oben dunklen und unten roten Ärmelrock, der bis zu den Knöcheln reichte. Um den Hals hing eine Kette mit dem achtstrahligen Stern des Tempels als Anhänger. Ein freundlicher Herr, der sich den weiten Weg von Akython hierher gemacht hatte. »Er hatte mir auch erzählt, dass Ihre älteste Tochter bereits jemandem versprochen sei, der den Hof erben könne.«

»Wir haben ihn gerade erst wieder aufgebaut«, erboste sich sein Vater, »nachdem ihn diese teuflischen Dardyconen zerstört haben und nun sagen Sie mir, ich soll ihn nicht meinem letzten Sohn vererben? Weswegen? Weil er glaubt, auserwählt zu sein?«

»Herr Syrokus, soweit ich Ihren Sohn verstanden habe, glaubt er nur daran, ein hervorragendes Werkzeug der Götter sein zu können. Und er möchte ihnen danken. Insbesondere Cherus, von dem er glaubt, er habe seinen Arm geleitet.«

Sein Vater stand auf und ging im Versammlungsraum auf und ab. »Wir haben Cherus Ziegen geopfert. Wir hätten noch mehr opfern können, hätte Arcturus der Stadt gesagt, dass er es war, der die Dampfkanone beschädigte und uns den Sieg brachte. Aber das wollte er ja nicht.«

»Weil es nicht mein Verdienst war«, sagte Arcturus. »Es war Cherus' Wurf.«

»Du sei still! Hier sollten sowieso nur die Männer reden!«

»Vater«, sagte Arcturus kleinlauter, als ihm lieb war, »ich denke, ich habe mich im Kampf bewiesen und somit dieses Recht erhalten.«

»Ach was!«, rief Syrokus laut aus. »Nun warst du es also doch!«

Der Priester erhob beschwichtigend die Hand. »Ich bitte Sie, beruhigen Sie sich. Wir können nie genau sagen, welche Handlungen unsere eigenen sind und welche durch die Götter beeinflusst werden. Vielleicht mag sogar Cherus selbst in Arcturus gefahren sein, um den Speer zu werfen. Er aber war es ganz allein, der sich entschieden hatte, nicht wegzulaufen. Und der zu Cherus gebetet hatte. Vielleicht verbindet ihn etwas mit diesem Gott und im Tempel wäre er ihm am nächsten.«

»Und was soll er dort machen?«, fragte Syrokus. »Hm? Zeremonist werden und den ganzen Tag Tiere ins Opferfeuer werfen?«

»Nun«, sagte der Priester langsam und tauschte einen Blick mit Arcturus aus. »Cherus ist ein Gott des Krieges. Der gerechte und weise Gott, der sich waffnet, um Unrecht wiederherzustellen und um zu beschützen. Und das tat Arcturus in dieser Situation. Deswegen dachten wir uns …«

»Nein!«, widersprach Syrokus. »Nicht der bewaffnete Arm des Tempels! Wenn er uns schon verlässt, dann will ich wenigstens sicher sein, dass er irgendwo ein respektables Leben als Priester vollbringt. Aber nicht der bewaffnete Arm!«

Der Priester stand auf und erhob nun beide Hände. »Sie haben vollkommen recht. Arcturus wird sich im Kampf für die Götter Gefahren stellen, die ich noch nicht mal wage, in den Mund zu nehmen. Aber das Bauernhandwerk hat ihn stark gemacht, er kann die Waffen tragen. Mut hat er bereits bewiesen, er wird sich den Gefahren stellen. Und die Götter scheinen auf seiner Seite zu sein, ihren Segen hat er. Sie können ihm vertrauen.«

»Haben Sie vergessen, Priester Harcus, dass er immer noch mein einziger Sohn ist? Der diesen Hof einstmals erben soll? Ich werde nämlich nicht jünger und bis auf seinen tapferen Bruder haben mich die Götter bisher nur mit Töchtern beschenkt. Wer soll sich denn um mich und meine Frau kümmern, wenn wir zu alt sind, das Feld zu bestellen? Meine Töchter können Männer heiraten, welche diesen Hof bekommen, das ist möglich. Werden sich diese Männer auch um jemanden kümmern, der nicht ihr eigen Fleisch und Blut ist? Wollen Sie mir sagen, Priester Harcus, dass das der Wille der Götter ist?«

»Wenn Sie sich Gedanken über ihre finanzielle Sicherheit machen, kann der Tempel Sie unterstützen. Sollte Arcturus ein vollwertiges Mitglied des Tempels werden, wird der Tempel Sie und ihre nahen Anverwandten als Teil unserer Gemeinschaft anerkennen. Sie bekommen Dokumente und können Ihre Anliegen mir oder einem anderen Priester melden.«

»Sie werden mir Arcturus nicht abkaufen, Priester«, erwiderte Syrokus.

»Ich kann Ihnen auch versichern, dass Ihr Sohn den Tempel jederzeit verlassen kann. Es hängt davon ab, wie weit er in der Hierarchie des Tempels aufsteigt, aber er kann reicher heimkehren, als er als einfacher Bauer je werden könnte.«

Syrokus' Haltung entspannte sich. »Und wenn er erschlagen wird, von Mächten, die Sie nicht aussprechen wollen?«

»Die Götter erbarmen sich ihrer Streiter«, antwortete Harcus. »Der Tempel betet und opfert für jene, die im Kampf für die Götter ihr Leben lassen. Sie werden seine Seele nicht den abscheulichen Wesen jenseits dieser Welt anheim fallen lassen. Stattdessen werden sie ihn retten, ihn von seinen Sünden rein waschen, sollte der gute Junge jemals welche anhäufen. Auch Sie und Ihre Verwandten werden einen besonderen Platz bei den Göttern erhalten. Alle Ihre Sünden werden ausgelöscht, mitsamt denen Ihrer Vorfahren und Ihrer zukünftigen Nachfahren. Zehn Generationen vor Ihnen werden ihre Sünden los und den schlimmsten Verbrechern unter ihnen, sollte es solche geben, werden die Götter ihre Taten vergeben. Alle Ihre Kinder und Kindeskinder bis zu zehn Generationen werden ebenso ihren Platz bei den Göttern finden und dort bis zum Ende der Zeit himmlische Glückseligkeit erleben.«

Während dieses Vortrages weiteten sich Syrokus' Augen. »Das ist keine leichte Entscheidung«, sagte er schließlich. »Geben Sie mir Zeit.«

Im Hafen des Stadtstaates Akython wartete eine dampfbetriebene Trireme auf Arcturus. An der Seite prangte der achtstrahlige Stern des Tempels. Ähnlich den Trachten des Tempels hatte man sie schwarz und rot angestrichen, was ihn etwas einschüchterte.

»Fiel der Abschied schwer?«, fragte der Priester Harcus, der den Arm um Arcturus' Schulter gelegt hatte.

»Es ging«, log er. Seine Mutter hatte nicht aufgehört zu weinen, so wenig wie seine Schwestern. Arcturus musste an sie denken und sogleich stiegen ihm selbst Tränen in die Augen. Sein Vater hatte ihm zuerst mit verschlossener Miene die Hand auf die Schulter gelegt und wollte wohl etwas sagen. Er hatte sich aber erweicht und seinen Sohn in die Arme genommen.

»Hier«, sagte Harcus und drückte ihm eine Schriftrolle in die Hand. »Das zeigst du den Klerikern des Tempels. Nun gehe, sie werden hier nicht ewig anlegen.«

»Priester Harcus, ich muss mich bei Ihnen bedanken.«

Der Priester stieß ihn sanft weg. »Bedanke dich, indem du zu einem ausgezeichneten Werkzeug der Götter wirst. Und nun gehe.«

Bei der Abfahrt brachte die Maschine im Inneren das Holz zum Zittern. Rohre, die den Leib des Schiffes durchstießen, hüllten die eingezogenen Masten in weißen Dunst. Mechanische Ruder begannen ihre Arbeit und lenkten die Trireme aus dem Hafen.

Sie führte ihn weg von seiner Heimat, weg von den Schafherden und Weideflächen seiner Familie. Hin ging es nach Deokien und zu den Orks, diesem dem Tempel so ergebenen Volk. Unter dem quälend heißen Auge der Götter, der deokischen Sonne, sollten sie trainieren. Als wäre der brennende Himmelskörper der beste Aufseher.

Kapitel 2: Der Tempel

Es war eine lange Fahrt und die Trireme musste oft anhalten. Schon bald waren keine Menschen mehr in den Häfen zu sehen, sondern die echsenartigen Amniaten, die in unterschiedlichsten Größen und Farben daherkamen. Natürlich wollten die jungen, menschlichen Rekruten hinaus und sich am Anblick dieses eigenartigen Volkes ergötzen, sowie deren riesigen, steinernen Städte erforschen, die aus dem Dschungel ragten. Die Kleriker des Tempels aber verbaten es ihnen.

In einer Nacht verliehen die jungen Männer laut ihren Unmut über dieses Verbot Ausdruck. In den Quartieren saßen sie beieinander und jeder hatte eine Meinung dazu.

»Sie haben Angst«, sagte ein Bursche namens Dames. »Sie haben Angst davor, dass wir fliehen könnten.«

In der Zeit auf dem Schiff hatte sich Arcturus viele Freunde gemacht. Es fiel ihm leicht, er war ein umgänglicher Mensch und selbst gefangen auf dem Schiff zu sein nahm ihm nicht die gute Laune. Mit Dames war er aber nicht befreundet, keiner war das. Wenn man mit ihm sprach, spießte er einen mit seinen dunklen Augenringen auf und antwortete nur knapp. Er sah immer kränklich aus. Man fragte ihn, ob ihm die Seefahrt nicht bekomme, worauf er schnell genervt antwortete, dass er immer so aussehe. Möglicherweise mied ihn Arcturus nur, weil alle anderen es auch taten und dann schämte er sich dafür.

Doch in dieser Nacht hatte sich Dames zu ihnen gesellt, um seine Gedanken mit ihnen zu teilen. »Wir sitzen hier wochenlang und haben viel Zeit zum Nachdenken. Zum Beispiel, ob das eine gute Idee ist. Manche von euch schieben vielleicht nur Wache in einem der Tempel, andere haben einen angenehmen Job als Leibwächter der hochrangigen Priester. Aber das sind nicht die richtig Guten. Die richtig Guten nämlich schickt man aus, um gegen das Unaussprechliche zu kämpfen. Dämonen, die den Geist sprengen, Kult-Anhänger, welche dem Wahnsinn anheim gefallen sind, Heerscharen von Untoten. Die Feinde des Tempels sind zahlreich, wisst ihr.«

Die jungen Männer schauten sich an und dann zu ihm. Er erhielt ihre ganze Aufmerksamkeit und das schien ihm zu gefallen. Unheimlich lächelnd sprach er weiter: »Oh nein, hattet ihr bisher nicht über solche Sachen nachgedacht? Fragt doch mal die Kleriker da oben, was sie denn schon gesehen haben. Ich glaube, sie können euch ein paar schöne Geschichten erzählen. Die Krieger des Tempels bezahlen einen hohen Preis für ihre Göttertreue.«

»Warum bist du dann hier?«, fragte ihn einer.

Dames antwortete: »Das wissen nur die Götter.«

Arcturus sollte noch erfahren, was er damit meinte. Auch wenn er es sich im Moment nicht vorstellen konnte, sie sollten später Freunde werden.

So liefen sie in mehrere Häfen der Amniaten ein, ohne dass sie auch nur einen Fuß an Land setzten. Arcturus würde hierher zurückkommen, das hatte er sich fest vorgenommen.

Schließlich erreichten sie den großen Tempel Aduya. Fast als wäre es eine erste Prüfung, mussten sie dem Tor zusehen, wie es sich langsam vor ihnen öffnete, während die Sonne unbarmherzig auf sie hinab schien. Über die Mauer ragte die Zikkurat, auf dessen Spitze ein Feuer brannte. Arcturus hoffte, dass ihre Ankunft nicht das Ritual störte. Endlich war das Tor weit genug für die Wachen des Tempels geöffnet. Sie alle schienen Orks zu sein. Untersetzte Männer von dunkler Hautfarbe, mit Schweinenasen und Hauern. Die jungen Menschen verließen die dürre Ebene und betraten den staubigen Hof des Tempelkomplexes.

Ein ältlicher aber kräftiger Mensch begrüßte sie, nachdem er sie für eine Weile betrachte: »Aha, die Götter haben neue Munition bekommen!« Er strich sich über den langen, weißen Bart. »Ich bin der Erz-Kleriker Svasson Herald und im Moment der Ausbilder im Tempel Aduya. Das ist der höchste Rang, den man als Krieger des Tempels haben kann. Sie, als angehende Kleriker, haben aber noch einen weiten Weg vor sich. Keine Sorge! Die Götter werden Ihnen genügend Chancen geben, sich zu beweisen und aufzusteigen. Dann wollen wir mal dafür sorgen, dass Sie sich hier wie zuhause fühlen!«

Was bedeutete, dass er ihnen ihre Stuben zeigte und sie ihre Taschen dort hineinwarfen. Orks hievten Säcke heran und entleerten vor ihnen die Tuniken, die auch der Erz-Kleriker und die Orks trugen. Sie waren einfarbig dunkel, die bronzenen Fibeln mit zwei sich kreuzenden Strichen versehen. Dazu gab es Arm- und Beinschienen, sowie einen Helm ohne besondere Verzierung oder Schmuck.

Svasson nahm eine Tunika auf und zeigte auf die Fibel: »Dies ist der Stern des Tempels, er zeigt ihren Rang an. Sie sind bisher nur Rekruten. Mehr Strahlen müssen Sie sich verdienen.«

Die Orks hatten einen vierstrahligen Stern auf der Fibel, Svasson einen sechsstrahligen.

Svasson ließ ihnen keine Ruhe an diesem Tag. »Dieses Ding«, sagte er und hielt die lange Büchse hoch, »formte die Welt, wie wir sie kennen. Die Windbüchse, ein Geschenk des weisen Mathematikers Somokles. Vielleicht hat einer Ihrer Vorfahren, Herr Arcturus, ja damit einer meiner barbarischen Vorfahren erschossen.«

Arcturus war sich nicht sicher, wie er darauf reagieren sollte, also lächelte er blödsinnig.

Davon unbeeindruckt fuhr Svasson fort: »Manche von Ihnen haben vielleicht schon mal eine Windbüchse benutzt. Der Kleriker Deorg wird es Ihnen trotzdem demonstrieren. Schließlich sind sie teuer und zerbrechlich und wir haben mehr Kleriker als Windbüchsen.«

Der gemeinte Ork nahm die Büchse an und schraubte den Kolben ab. »Hier ist die Luft drin«, sagte er. Mit einem Grunzen befestigte er den Kolben wieder. Die Oberseite der Windbüchse befüllte er mit runden Kugeln. Der Ork spannte einen Hahn und sie hörten eine Kugel in den Lauf fallen. »Nun ist es geladen.«

»Schieße damit, Kleriker«, befahl Svasson. Der Ork nickte, legte die Windbüchse an und richtete sie auf eine entfernte Zielscheibe. Er drückte ab und mit einem Zischen stieß die Luft das Geschoss aus dem Lauf.

»Die Luft reicht für maximal sechs Schüsse«, erklärte Svasson. »Mehr und das Projektil verliert an Kraft. Man kann aber auch die Menge an zusammengepresster Luft für weniger Schüsse einsetzen. Kleriker?«

»Jawohl?«

»Setzen Sie die ganze verbliebene Luft ein!«

Der Ork schaute ihn verdutzt an. »Aber, mein Herr …«

»Kommen Sie schon, Ihnen wir nichts passieren. Ihre Schulter ist kräftig genug um dem Rückstoß standzuhalten. Ich habe gesehen, was Sie tragen können! Nun los!«

Der Ork drehte ein Zahnrad am Kolben und machte sich bereit. Diesmal erscholl der Knall viel stärker, der Ork wurde umgerissen, wie auch die Zielscheibe nach hinten fiel.

»Geht es Ihnen gut, Kleriker Deorg?«, fragte Svasson. Der Ork nickte und stand wieder auf. Dann wandte sich der Erz-Kleriker an die Rekruten. »Wieso sehen Sie so blass aus? Meistens werden Sie so nicht schießen, das ist nur für Notfälle!«

Danach durften sie nicht schießen, sondern bekamen Pumpen in die Hände gedrückt und verbrachten Stunden damit, die Kolben der Windbüchsen mit Luft zu füllen.

Die Götter gaben dem weisen Somokles seine Erfindungskraft und er beschenkte dafür die Kleriker des Tempels mit Waffen. Furchtbare Waffen. Die Schlagkraft der dampfbetriebenen Geschütze hatte Arcturus schon erlebt; als sie diese Rauch speienden Monstren demonstrierten, kamen dunkle Erinnerungen an die Belagerung von Akython in ihm hoch. Am meisten benutzten die Menschen gepresste Luft und verdampftes Wasser für Waffen der Zerstörung. Wenigstens, so fand Arcturus, setzte der Tempel sie gegen die Feinde der Götter ein.

Die Rekruten warteten in der Sonne. Zwei Orks traten aus dem Tempelkomplex. Sie waren noch zu weit entfernt, um zu erkennen, was für eine kleine Person zwischen ihnen ging. Zuerst sah Arcturus ein Elf, die langen, schlanken Ohren standen leicht schräg vom Kopf ab. Der Elf trug eine Tunika wie sie, der Oberkörper wirkte zierlich gegenüber dem Unterleib, welcher sich um einiges breiter und stämmiger präsentierte. Erst als sie näher gekommen war, sahen sie eine weibliche Elfin, mit zu einem Zopf gebundenem, goldenem Haar.

Arcturus war gebannt von ihrem Gesicht, das er von menschlichen Frauen so nicht kannte. Die aufgerichteten Ohren und ihre scharfen Gesichtszüge ergaben ein spitzes Dreieck. Es wirkte jugendlich, man könnte fast schon sagen kindlich, die Augen aber viel älter und unergründlich. Sie schaute durch die Reihen der Rekruten, ohne dass Arcturus in ihnen lesen konnte. So stand sie zwischen den zwei Orks, denen sie noch nicht mal bis zu den Schultern reichte, vor den jungen Männern, die ebenfalls um mehr als einen Kopf größer waren als sie. Und dabei strahlte sie eine vollkommene Überlegenheit aus, wie sie eine Hand auf einen schlanken Säbel im Gürtel ruhen ließ und sich Zeit nahm.

Die anderen Rekruten schienen sich jedoch nur auf ihre Beine zu konzentrieren. »Augen auf!«, sagte sie. Erschrocken schauten sie gerade aus. Sie mussten wie Arcturus erwarten, von einer Windböe getroffen zu werden. Oder einem anderen Element, über das die Elfen verfügten, wie er es aus den Geschichten kannte. Er hörte jedoch keine Emotionen in dieser Aufforderung und konnte nicht sagen, ob sie das verärgerte, nervte oder belustigte. »Ich bin Klerikerin Ansara.« Sie zeigte auf die Fibel der Tunika, ein vierstrahliger Stern. »Adjutantin des Erz-Klerikers Svasson Herald. Meine Funktion ist es, Sie im Nahkampf auszubilden. Wie Sie sehen können, bedarf es keiner gewaltigen Körperkraft oder Größe, um Kleriker zu werden. Lassen Sie sich nicht von den Orks einschüchtern. So, wer von Ihnen hat bereits einen Kampf erlebt oder wurde dafür trainiert?«

Einige Hände erhoben sich. »Sie kommen mit mir, die anderen werden vorerst von den Orks unterrichtet.«

Zögernd erhob Arcturus seine Hand und räusperte sich: »Entschuldigen Sie, Klerikerin?«

»Ja? Was?«

»Ich habe bei der Verteidigung einer Stadt geholfen. Zählt das auch?«

»Wobei genau?«

»Ähm …« Nicht nur sie spießte ihn mit Blicken auf, auch die beiden Orks und alle Rekruten schauten nun direkt ihn an. Arcturus räusperte sich erneut. »Ich habe einen Speer geworfen.«

»Aha«, bemerkte sie. »Und?«

»Das … war wichtig für die Verteidigung der Stadt. Deswegen wundere ich mich, wo ich hin gehöre.«

Arcturus glaubte ein kleines Zucken ihres Mundwinkels zu sehen, als sie antwortete: »Sicherlich, sicherlich. Aber nein, Sie bleiben hier.«

Irgendwie war Arcturus froh darüber, bei den Orks bleiben zu können. Er wusste nicht, was er von ihr halten sollte.

So unwahrscheinlich es auch schien, Arcturus und der unbeliebte, immer missmutige Dames wurden Freunde. Dames begann zu seinem Schatten zu werden und ihm zu folgen, wann immer sie Freizeit hatten. Waren keine anderen zugeben, dann entspannte sich Dames sichtlich, wurde freundlicher und redseliger. Aber was auch immer Arcturus tat, er konnte Dames nicht entlocken, wieso er sich dem Tempel anschloss.

»Deine Geschichte ist viel interessanter«, sagte Dames mal, als sie in den Stuben dösten. »Dagegen kommt meine nicht an.«

»Glaubst du mir die Geschichte?«, fragte Arcturus. »Dass der Gott den Wurf gelenkt hatte?«

»Das kann ich nicht beantworten. Aber ich weiß, dass du sie glaubst.«

»Und woher?«

»Kann ich nicht genau sagen. Ich kann in den Menschen lesen und sehe in ihnen oft Geheimnisse. Bei dir gibt es keine Geheimnisse, keine Hintergedanken, nur Aufrichtigkeit. Deshalb halte ich es in deiner Gegenwart aus.«

Arcturus richtete sich langsam auf. »Das klingt etwas unheimlich, Dames. Glaubst du irgendeine Gabe zu haben und bist deshalb hier?«

Dames machte eine wegwischende Handbewegung. »Bis ich Gewissheit habe, will ich nicht darüber reden.«

So vergingen Monate, durchzogen von hartem, körperlichem Training, Gebeten und Indoktrination.

Einmal schlugen sie sich gerade mit Holzschwertern auf dem Hof, als Fanfarenstöße vor den Mauern erschollen. Eiligst liefen Orks zum Tor und öffneten es, während Svasson ihnen befahl, sich in den Staub zu werfen.

Zwar sollte seine Stirn den Boden küssen, jedoch wagte Arcturus einen Blick zu riskieren, wer oder was ihr Training unterbrach. Eine Kolonne von Orks trat durch das Tor, von oben bis unten in Metall gehüllt. Wenn sie nicht Waffen trugen, dann hielten sie das Banner des Tempels, den achtstrahligen Stern empor. Zwischen ihnen ging ein alter Mensch, gekleidet in den prächtigsten und farbenreichsten Roben, die Arcturus je gesehen hatte. Tempeldiener, menschliche Knaben, schützten des Mannes kahlen Kopf mit einem großen Schirm vor der Sonne.

»Glarius Dmatus beehrt also unseren Tempel«, sagte Svasson, der in die Richtung der Kolonne kniete. Neben ihm tat die Klerikerin Ansara es ihm gleich. »Der Oberste Primarch des Tempels, auserwählt von den Göttern. Wenn einer von euch ihm jemals gegenüberstehen sollte, dann hoffentlich, weil ihr euch die Gunst der Götter verdient habt.«

Glarius' Kolonne zog an ihnen vorbei und verschwand im Tempelkomplex. Arcturus sollte ihn bald treffen.

Ohne Erklärung nahmen Kleriker des Tempels Dames mit sich, während sie sich noch beim Üben befanden. Sie führten ihn durch die Gänge des Tempelkomplexes bis zu einer großen Doppeltür.

»Wenn du eintrittst«, sagte einer der Kleriker scharf, »dann wirfst du dich sofort vor die Füße des Obersten Primarchen. Du erhebst dich erst, wenn er es dir sagt. Verstanden?«

»Ist ja nicht schwer«, antwortete Dames und der Kleriker klopfte an die Tür.

Dort standen sie eine Weile, bis ein älterer, menschlicher Priester des Tempels ihnen öffnete. »Das ist also der angehende Kleriker. Tritt ein.«

Glarius Dmatus saß dort an einem Tisch, vor sich eine Schriftrolle ausgebreitet, die er eingehend las. Dames war sich gar nicht sicher, ob Dmatus seine Ehrerbietung bemerkte.

Dmatus legte die Schriftreihe beiseite. »Interessante Geschichte. Stehe auf und siehe dich im Raum um. Wenn du dir all diese Leute hier anschaust, wer ist am auffälligsten?«

Allesamt alte Männer im dunklen und roten Ärmelrock des Tempels. Er betrachtete sie alle genau und verstand bald, warum er diese Frage gestellt hatte. Dames zeigte auf den Obersten Primarchen. »Sie sind am auffälligsten.«

Glarius Dmatus lächelte zufrieden. »Aha! Und wieso ist das so? Wir sind doch alles hier normale Menschen.«

»Sie denken nichts. Als wäre Ihr Kopf leer. Ich spüre dort gar nichts.«

»Weißt du warum?«, fragte Glarius Dmatus und stand auf. »Da war einer wie du, mit derselben Fähigkeit, der in meinem Kopf lesen konnte, als wäre es ein offenes Buch. Und deswegen ist er nun bei den Göttern.«

»Mit derselben Fähigkeit wie ich?«

»Ja. Seine Geschichte war auch ganz ähnlich. Er selber wusste zuerst gar nicht, dass es sich überhaupt um eine besondere Fähigkeit handelte. Wie du wurde er auch in einem Tempel eingesperrt, weil man nicht sagen konnte, ob die Götter oder gar Dämonen einem diese Fähigkeit verleihen.«

Dames zuckte in sich zusammen. Ja, deshalb hatten sie ihn eingesperrt. Die Bewohner seines Heimatdorfes hatten ihn in den dort ansässigen Tempel gezerrt, weil dessen Heiligkeit seine Kräfte zäumen sollte. Sogar seine Familie war daran beteiligten gewesen. Dames hatte es ja nicht gewusst, für ihn war es ganz normal, die Gedanken der anderen zu hören. Diese Gesichter seiner Angehörigen, als sie ihn verschleppt hatten. Dieses Meer aus Angst, Sorge und Misstrauen, das ihre Gedankenwelt beherrscht hatte. Die Erinnerung daran jagte ihm Schauer über den Rücken. Gerade spürte er ähnliche Emotionen bei den Priestern im Raum. »Und wieso musste er sterben?«, fragte Dames, ohne sich ein Zittern in der Stimme verkneifen zu können.

»Weil ich meinen eigenen Kopf noch nicht dicht machen konnte. Das ist auch für uns ganz neu. Und so erfuhr er Geheimnisse, die er nicht hätte erfahren sollen. Nun ist er in der anderen Welt. Die Götter mögen mich dafür richten, sollte es soweit sein. Aber es sind Geheimnisse, welche der Feind, und der Tempel hat zahlreiche Feinde, nicht erfahren darf. Sie gewährleisten den Schutz und den Frieden der Seelen.«

Dmatus machte eine Pause und schaute ihn lange prüfend an. »Ich scheine dich verängstigt zu haben. Und das solltest du auch sein. Du bist bestimmt schon in die Gedanken der anderen Priester hier eingetaucht, oder?«

»Ich …« Ihm blieben die Worte im Halse stecken. Nicht lesen könnend, was Dmatus vorhatte, sah er sein Ende schon nahen. »Wieso sollte ich das tun?«

Dmatus blickte zu einem der Priester hinter sich. »Menes?«, fragte er.

»Er lügt.«

Dmatus sprach wieder zu Dames gewandt: »Das hätte man auch ohne telepathische Fähigkeiten herausfinden können. Der Erz-Kleriker Menes wird dich ausbilden. Damit du deine Kräfte für die Götter einsetzen kannst und die Ketzer entlarvst, ohne dass sie ihren Mund aufmachen müssen. Damit du Feinde der Kleriker und ihre mörderischen Absichten schon von weitem spürst. So kannst du beweisen, dass diese Fähigkeiten von den Göttern gegeben sind. Wollen Sie noch etwas hinzufügen, Erz-Kleriker Menes?«

»Ja.« Der Mann, in dessen übernächtigten und verstimmten Gesicht Dames seines wiedererkannte, trat auf ihn zu und legte dem Jungen beide Hände auf die Schultern. »Sei immer auf der Hut. Dein Geist wird eine offene Festung sein, in welche die Dämonen einzudringen suchen. Sei immer festen Glaubens und wachsam, wenn du dich in den Sphären der Dämonen bewegst.«

Kapitel 3: Die Invokation des Gottes

Arcturus fühlte sich den Göttern nicht näher. Er war ein Krieger, nichts weiter. Zwar sangen Priester, seien es Orks oder Menschen, heilige Lieder vor, zwar nahm er an Opferungen teil und er hatte Zeit zu beten. Aber er fand nicht, was ihm der Priester Harcus versprochen hatte. Er wollte ein Werkzeug der Götter sein, nicht von einem Erz-Kleriker herumkommandiert werden. Deswegen sprach er Svasson immer wieder darauf an, dass der Priester ihm von einer anderen Art Ausbildung erzählt hatte. Eine spirituelle Ausbildung, die ihn näher an die Götter bringen sollte.

Svasson reagierte ablehnend auf solche Forderungen, konnte sie ihm aber irgendwann nicht mehr verwehren. Bald traf Arcturus sich zum ersten Mal mit dem Geweihten Zeremonisten Theokes. Als Svasson ihm diesen Titel genannt hatte, fuhr Arcturus zusammen. Einen höheren Priester-Rang gab es nicht. Arcturus' Sorgen waren jedoch unbegründet. Der alte Mensch mit schwindendem Haaransatz begrüßte ihn freundlich und unkompliziert. Er trug ein zerschlissenes Gewand, als käme er direkt aus der deokischen Wüste, an dem viele Ketten und Amulette hingen. Zusammen gingen sie in den Tempelkomplex, bis Theokes einen passenden Raum fand.

Der Junge empfand den Lotossitz als unbequem, wenigstens schützte die dünne Matte vor dem kalten Stein. Der Geweihte Zeremonist Theokes forderte ihn auf, sich von Sorgen, Wünschen, Ängsten, Hoffnungen, Ansprüchen und anderen Illusionen freizumachen. Für ihn waren solche Dinge geistiger Ballast. Zwar ohne spürbares Gewicht und nicht mit einer Waagschale zu messen, aber doch hinderlich für den Verstand.

»Der Verstand ist zum Begreifen da«, belehrte er ihn, »nicht zum Ausmalen, nicht zum Vorstellen. Er ist ein Bindeglied zwischen dem irdischen Körper und dem Göttlichen. Dem Körper entspringt er, doch zum Göttlichen soll er streben.«

»Ein Bindeglied?«, fragte Arcturus. »Wie funktioniert das?«

»Wende dich vom Fleischlichen ab, überwinde es, vergesse es! Es ist eine Hülle, aus der man hinausschlüpfen muss. Nun halte deinen Rücken gerade, den Kopf aufrecht, atme langsam und regelmäßig mit der Nase ein und aus dem Mund aus.«

Arcturus tat wie geheißen. Die Augen hatte er bereits geschlossen, er hörte nur die vielen Amulette und Ketten an des Priesters Körper rattern und die Feuer der Altäre brennen. Die Atemfrequenz senkte und das Herz beruhigte sich. Er trat in den Zustand konzentrierter Gelassenheit ein.

Theokes fuhr fort: »Da ist noch ein großer Ballast: Das Bewusstsein. Die Vorstellung davon, was wir sind, hindert uns daran, etwas anderes zu werden. Solange du an Arcturus festhältst, wirst du auch Arcturus bleiben. Doch nun öffne deine Augen und konzentriere dich auf das, was du vor dir siehst!«

Vor Arcturus stand die überlebensgroße Statue des Gottes Cherus in würdiger Menschengestalt. Die Lanze hatte er fest in den Händen, die Keule hing an seiner Seite und sein Pferd stand hinter ihm. Keinen anderen Gott verehrte Arcturus mehr als den weisen, gerechten Kriegsgott Cherus. Nicht der mächtigste in den Reihen der Götter, er verstand das und überhöhte ihn nicht, jedoch nach seiner Ansicht der vorbildhafteste und tugendreichste Gott. Nicht griff dieser Gott zu den Waffen um des Tötens willen, sondern für Gerechtigkeit und für den Schutz der Unschuldigen. Nach diesen Idealen wollte Arcturus sein Leben ausrichten.

Theokes sprach weiter: »Dein Bewusstsein muss weg, damit das Gefäß, dein Körper, frei wird. Es steht Cherus im Weg.«

»Ich verstehe nicht.« Arcturus war sehr gläubig, aber nicht gelehrt.

»Nachdem ein Gott einmal aus dieser Welt verschwunden ist, kann er hier nur schwerlich seine Wirkung entfalten. Ich will dir beibringen, dein Bewusstsein zu schwächen, damit in dir Platz für einen Gott wird. Mal sehen, wie weit wir damit kommen und mit was er dich beschenken wird.«

Arcturus durchlief nur noch teilweise die Ausbildung an den Waffen, nach dem Mittag verbrachte er seine Zeit immer mit Theokes, der große Stücke auf ihn hielt.

»Wer bist du?«, fragte Theokes den sich vertiefenden Arcturus. Zwischen ihnen lag der rauchende Rest eines Krautes, welches die Konzentration förderte.

»Sie sprechen mit einer Hülle, mit nichts als einer Hülle, in der eine Einbildung wohnt.«

»Diese Einbildung soll die Hülle verlassen, damit dort Platz wird für den Gott Cherus! Der Gott-Held soll dort einkehren, wie die Götter in deren Statuen beim Ritual! Die Einbildung, die sich Arcturus nennt, soll sich selbst auslöschen!«

Arcturus stellte sich sein Wesen, seine Gedanken und seine Erinnerungen wie die Flamme einer Kerze vor. Ein Wind blies im Inneren seines Selbst, brachte die Flamme zum Flackern. Sie wurde kleiner und schwächer, bis der Wind des Vergessens sie gänzlich auslöschte. Zurück blieb Dunkelheit.

»Wenn die Hülle sich frei gemacht hat, soll sie an nichts anderes als Cherus denken. Die Hülle sieht den Gott vor sich, einen kräftigen Mann, gekleidet in ein Gambeson. In einer Hand hält er eine Lanze, in der anderen eine hölzerne Keule. Bei ihm befindet sich sein treues, fleischfressendes Pferd Trayus. Hat die Hülle dieses Bild im Kopf?«

»Das hat sie«, antwortete die Hülle matt.

»In dieser Hülle habt ihr die Plätze getauscht. Cherus ist nun derjenige, welcher die Hülle ausfüllt und von diesem Körper Besitz ergriffen hat. Ich spreche nicht mehr mit Arcturus, sondern mit dem Gott Cherus. Wer bist du?«, fragte Theokes.

Keine Antwort. Er befahl: »Du bist Cherus!«

»Ich bin Cherus?«, fragte die Hülle.

»Ja, das bist du! Verinnerliche, dass du Cherus bist, denn Cherus sitzt wahrhaftig vor mir!«

»Ich bin Cherus.«

»Genau! Lasse diesen Gedanken in dir eindringen, ihn in dir einströmen, auf dass er diese Hülle zur Gänze ausfüllt und zu einer Wahrheit wird, welche die Vorstellungskraft eines jeden anderen Sterblichen sprengen würde! Wenn du bereit bist, dann beweise mir, dass du Cherus bist!«

Die Hülle saß noch eine Weile da, leise atmend, still meditierend. Sie runzelte die Stirn, die Augenlider zuckten, die Hände verkrampften sich.

Arcturus versuchte sich selbst auszulöschen.

Die Hülle entspannte sich und öffnete die Augen. Sie stand auf, schaute sich um und fragte mit einer Stimme, welche nicht die von Arcturus war: »Wo bin ich, Priester?«

»Im Tempel Aduya, mein Herr Cherus, dem größten Tempel im Osten. Er ist den Armeen des Tempels geweiht.«

»Ich werde mir diesen Tempel anschauen«, sprach Cherus und Theokes folgte ihm.

Cherus wanderte über den Tempelplatz und breitete die Arme aus. »Ah, die glühende Sonne Deokiens!«

Eine Prozession von Priestern zog an ihnen vorbei, während Cherus das sagte. Abfällig bemerkte einer: »Das Gestirn der Götter ist zwar zu ehren, aber ein junger Rekrut wie du sollte seinen Vertretern ebenso Respekt zollen.«

Cherus drehte sich zu dem Priester um und donnerte: »Du, Mensch, zeige Respekt vor eurem Führer in dunkelsten Zeiten! Was ist das für ein Tempel, der die Götzen und Bilder und den Marmor auf dem Boden mehr verehrt als die Gottheiten, denen sie geweiht sind? Vielleicht muss das Böse wieder über diese Welt herfallen und Gottheiten unter den Sterblichen wandeln, damit ihr sie erkennt und schätzt. Doch ich möchte mich vorerst nicht weiter mit euch befassen, die Götter werden euch beizeiten richten.«

Den Priestern stockte der Atem. »Was erzählst du für einen Unsinn?«

Theokes trat an den Priestern heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Das mag zwar etwas ungewöhnlich erscheinen, aber können wir so tun, als wäre dieser Junge Cherus? Damit täten Sie mir einen großen Gefallen.«

»Dieser Junge ist offensichtlich nichts weiter als ein sterblicher Junge! Ich weiß ja nicht, was Sie, Herr …«

»Geweihter Zeremonist Theokes«, ließ er wissen.

Dem Priester stockte abermals der Atem. »Entschuldigen Sie, aber das können Sie doch nicht machen! Wenn das Ihr Schützling ist, dann müssen Sie ihn zurechtweisen!«

»Nein, dieses kleine Experiment ist mein völliger Ernst.«

»Das ist doch ein Witz!«, entfuhr es dem Priester.

»Der Witz ist«, bemerkte Cherus, »dass trotz dieser Ketzerei die Pest euch noch nicht geholt hat.«

Ein anderer Priester sprach plötzlich: »Das ist der Geweihte Zeremonist Theokes! Er ist den Primarchen schon dadurch aufgefallen, mit üblen Kräutern, Pilzen und Wurzeln zu experimentieren und schreckt auch nicht davor zurück, Priester und Kleriker des Tempels für seine Versuche zu gebrauchen.«

»Ich bediene mich lediglich der Wunder, welche die Götter in ihrer Güte unter unseren Füßen gedeihen lassen«, antwortete Theokes. »Aber nun habt ihr den Gott verärgert. Wie wäre es mit einem kleinen Ritual auf der Spitze der Zikkurat, um ihn gütig zu stimmen?«

Die Priester schüttelten mit den Köpfen. »Das geziemt sich nicht und das müssten Sie wissen, Geweihter Zeremonist. Die Sterne stehen nicht richtig für einen Lobgesang auf Cherus, die Sonne nicht hoch genug und überhaupt ist das alles sehr ungewöhnlich. Das würden Ihnen nicht mal die Primarchen erlauben. Was haben Sie mit diesem Kleriker überhaupt vor?«

»Hören Sie auf, ihn Kleriker zu nennen!«, fuhr Theokes plötzlich auf. »Als Geweihter Zeremonist befehle ich Ihnen, ein Ritual für den Gott Cherus auf der Zikkurat-Spitze auszuführen!«

Und so geschah es. Cherus stieg die Stufen würdig hinauf. Zuvor bekam er einen grünen Mantel, eine Keule und eine Lanze von Theokes überreicht. Der Gott schritt durch den Gesang der Priester, welche auf den Stufen heilige Silben von sich gaben. Theokes wartete oben schon auf ihn. Dort angekommen umrundete Cherus den Opferaltar und schaute sich die Reihen der Priester an.

Unten erschien der Erz-Kleriker Svasson Herald mit einigen Klerikern und seiner Adjutantin. »Bei den Göttern, was soll der Aufstand!«, rief er hinauf. »Hört mit dem Gesinge auf und lasst die Priester wieder gehen!« Energisch trat er die Stufen hinauf, sein Gefolge konnte kaum Schritt halten. Die Priester beendeten ihren Gesang und blickten irritiert zwischen dem Erz-Kleriker und dem Geweihten Zeremonisten hin und her.

»Sie stören gerade ein empfindliches Ritual«, gab Theokes zu Bedenken. »Bitte unterlassen Sie, was auch immer Sie vorhaben.«

Aber Svasson hatte die Spitze bereits erreicht. »Ich kenne diesen Anwärter«, sagte er auf Arcturus zeigend. »Woher hat er den Mantel? Das ist nicht Teil der Uniform. Und diese Waffen? Was soll das?«

Svasson versuchte, Cherus die Keule und die Lanze wegzunehmen, der wehrte sich aber. »Herr Erz-Kleriker! Lassen Sie das!«, bat Theokes. Cherus konnte die Waffen aus Svassons Griff befreien und verpasste ihm einen Schlag ins Gesicht mit der Keule.

Svasson fiel um und hinterließ einen blutigen Fleck an der Keule. Ansara flog an ihm vorbei, die Elfin war geschwind bei Cherus, um ihm ihr Knie in den Bauch zu rammen. Der Gott stöhnte auf und sackte zusammen.

»Arcturus war der Name!«, fiel es Svasson wieder ein. Er stand auf und wischte sich das Blut an seiner Tunika ab. »Jetzt erinnere ich mich! Der angehende Kleriker, der mehr Zeit mit solchem Unsinn verbringen wollte!«

»Sagen Sie nicht seinen Namen!«, rief Theokes dazwischen.

Es war bereits zu spät. Arcturus war wieder vollkommen er selbst, die Illusion erloschen. Er erinnerte sich an alles, was geschehen war. Aber all diese Taten und die Worte, die er sprach, schienen nicht seine gewesen zu sein. Er konnte es nicht fassen, sich für einen Gott ausgegeben zu haben. Ausgerechnet für Cherus! Beschämt blieb er einfach auf dem Boden liegen.

»Was?«, fuhr Svasson fort. »Was für eine Art Zauber versuchen Sie hier zu wirken? Jedenfalls werden Sie beide sich vor dem Obersten Primarchen zu verantworten haben!«

Arcturus lernte den Obersten Primarchen als einen freundlichen, älteren Herren kennen. Er hatte Verständnis für den Vorfall und Vertrauen in Theokes. Sie beide bekamen Zeit, dieses Experiment zum Erfolg zu führen.

Theokes glaubte weiterhin an Arcturus und daran, dass er es schaffen konnte. Der Junge verbrachte fast nur noch Zeit mit ihm, Theokes wurde sein persönlicher Lehrer.

Stundenlang meditierte Arcturus, tagsüber wie auch nachts. Neue Substanzen bekam er zu rauchen, zu schnüffeln und zu trinken. Sie vernebelten seinen Verstand, nach Theokes erweiterten sie ihn. Sein Meister erweiterte die Übungen um Schauspielerei; Arcturus bekam die gleichen Kleider, die auch Cherus getragen haben soll, und spielte Szenen aus den Geschichten nach. Er ritt ein Pferd, sehr bescheiden jedoch, und sollte dabei Ansprachen halten, welche Cherus in den Mund gelegt wurden. Theokes spielte andere Rollen, bekannt aus den Gesängen der Priester. Er setzte sich grauenvolle Masken auf und trat als Monster auf, welche Arcturus, oder besser gesagt Cherus, erschlagen sollte. An manchen Tagen veranlasste Theokes den gesamten Tempel, Arcturus mit dem Namen des Gottes anzusprechen, mit freundlicher Billigung des Obersten Primarchen natürlich.

Arcturus kam sich dabei recht dämlich vor. Er wollte aber seinem Meister gehorchen. Und auch glaubte er, dass es wirkte. Manchmal, wenn er das Zeitgefühl komplett verloren hatte und hungrig, durstig und übermüdet am nächsten oder übernächsten Tag aus der Versenkung aufwachte (wobei Theokes nicht von seiner Seite wich), spürte er in sich eine Art Feuer. Ein Feuer, welches ihn glauben machte, tatsächlich in andere Sphären hinaufgestiegen zu sein. Er brachte etwas von dort mit, tief in sich, und er begehrte mehr davon.

Arcturus wollte nicht mehr nur schauspielern, sondern wahrhaftige Kräfte des Cherus wirken. Und er wollte den Göttern und ihren Gefilden näher kommen, nicht erst nach seinem Tod. Es gab ihm die Möglichkeit, schon zu Lebzeiten von dem Göttlichen zu kosten. Es wurde zu seiner Motivation und der Bauernjunge verwandelte sich mehr und mehr zu einem Priester und schließlich zu einem Heiligen.

Diese Verwandlung dauerte Jahre. Eines Tages, während der Versenkung, sah er Cherus ganz klar in seinem Verstand. Wie er ihn sich immer vorgestellt hatte: Stark und jung, lange, schwarze Haare, einen grünen Mantel und einen Gambeson tragend. Mit Lanze und Keule bewaffnet. Er war zum Greifen nahe und fast übermannte diese Vorstellung ihn.

»Werde zu Cherus!«, befahl ihm Theokes.

Arcturus erwachte aus der Versenkung. »Nein«, sagte er. Das war das erste Mal, dass er seinem Meister widersprach. »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt.«

Theokes wurde nicht wütend, er musste verstehen, was Arcturus damit meinte.

Sie hatten es so weit geschafft, dass Arcturus kurz davor war, wirklich göttliche Kräfte heraufzubeschwören. Er brauchte nur noch eine Gelegenheit, sie gegen das Böse anzuwenden. Sie warteten.

Südlich vom Tempel Aduya verschwanden Orks. Tagsüber sah man sie das letzte Mal, dann traten sie nicht mehr aus ihren Häusern oder niemand fand sie mehr dort im Stall, wo sie sonst schliefen. Welche nicht schon aufgrund der bäuerlichen Lebensweise in einem Zimmer die Nacht verbrachten, bezogen nun ihre Schlafstätten beieinander. Andere wachten und beobachteten die Dunkelheit. Sie reckten die Schweinenasen und schnüffelten nach der Gefahr.