Großstadtflimmern - Sabrina Pignato - E-Book

Großstadtflimmern E-Book

Sabrina Pignato

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Beschreibung

Anna arbeitet als erfolgreiche Escort-Dame in Stuttgart. Nur so kann die alleinerziehende Mutter sich und ihren kleinen Sohn gut über die Runden bringen. Und eigentlich möchte sie an diesem Zustand auch nichts ändern. Denn wer will schon gern seine Unabhängigkeit aufgeben? Doch da macht ihr Gabriel Bernard gehörig einen Strich durch die Rechnung. Der attraktive und selbstbewusste Immobilienmogul wusste schon immer was er wollte und sein neues Ziel heißt Anna! Doch leider lässt sich diese nicht auf seine Spielchen ein, denn eine Beziehung heißt Vertrauen! Und mit Vertrauen in Männer hat Anna ein großes Problem. Kann sie es schaffen ihr wohl gehütetes Geheimnis zu lüften und der Liebe eine Chance zu geben?

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Seitenzahl: 376

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Großstadtflimmern

TitelImpressumAnna und GabrielEpilogDanksagung

Sabrina Pignato

GROßSTADTFLIMMERN

Roman

Impressum

Texte: © Copyright by Sabrina Pignato
Umschlag: © Copyright by Covermanufaktur

Verlag: Sabrina Pignato, 73431 Aalen, [email protected]

Druck: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

ISBN 978-3-7450-5047-9

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Anna

Der Blick auf die Uhr ist so was von ernüchternd. Es ist schon kurz vor neunzehn Uhr, während ich total nervös im Schlafzimmer vor dem Spiegel stehe, um noch einmal das Gesamtpaket „Rhea“ zu begutachten. Heute Abend bin ich als Begleitung für eine Charity-Veranstaltung gebucht worden. Wenn das mal kein Highlight im Dienstleistungsspektrum einer Escort-Dame ist. Ich drehe mich erneut zur Seite und begutachte selbstkritisch die Rückenansicht meines Abendkleides. Zweifelsohne muss ich mir selbst eingestehen, dass dieser Traum von mitternachtsblauer Seide meiner sonst unspektakulären Figur ziemlich schmeichelt. Auf die Tauschbörse mit meiner besten Freundin Nele, die annähernd so groß ist wie ich, ist eben einfach Verlass. Aus ihrem Fundus habe ich mich für ein langes Bustierkleid entschieden. Es ist oben schmal geschnitten, an der Hüfte leicht gerafft, um dann nach unten A-förmig auszulaufen. Zwar sitzt es bei meiner kurvenreichen Freundin etwas besser, aber ich bin schon froh, dass somit mein kleiner Vorbau mehr zur Geltung kommt. Ohne überhaupt einen Blick auf das Label zu werfen, weiß ich, dass Nele wieder ein kleines Vermögen dafür hingeblättert haben muss. Sie hat eben einfach eine Schwäche für Gucci und Kollegen. Und falls ich mich später beim Gala-Dinner bekleckern sollte, habe ich morgen definitiv ein großes Problem. Bei dem Gedanken an Austernschleim im Ausschnitt kann ich mir jedoch ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. 

Ein letzter Blick gilt meiner Hochsteckfrisur, die mir ohne Susi, meiner persönlichen „Hair-Stylistin“, vermutlich nie so gut gelungen wäre. Eine locker gesteckte Banane meiner blonden Haare verschönert nun meinen Hinterkopf und die wahllos herausgezupften Strähnchen nehmen dieser Frisur die typische Strenge. Also kein Vergleich zu der jungen Frau, die noch vor zwei Stunden mit ihrem vierjährigen Sohn beim Spielen im Kinderzimmer gesessen ist. 

In Windeseile schnappe ich mir die cremefarbenen High Heels und laufe rasch in den Flur hinunter zum Sideboard, um noch einmal die Einladung für die Charity-Veranstaltung zur Hand zu nehmen. Heute Abend wird zugunsten der Alzheimer-Stiftung gesammelt. Leider ist mein Wissen über diese Krankheit nicht besonders umfangreich, so dass ich mir auf dem Weg zur Gala noch dank des Internets ein paar Hintergrundinformationen holen werde.

Pünktlich auf die Minute kündigt der Taxifahrer sein Kommen durch ein Klingeln an. Ich schnappe mir die Clutch und eine Stola, beides ebenfalls Leihgaben von Nele und haste hinaus zur Wohnungstür. Gerade als ich schon die ersten Treppenstufen hinuntergelaufen bin, ertönt eine Stimme über mir. Ich schaue nach oben und entdecke eine ältere dunkelhaarige Frau, die mitsamt ihrem gesamten Oberkörper über dem Treppengeländer hängt und mir überschwänglich zum Abschied winkt. Meine Mutter.

»Anna, Schatz! Ganz viel Spaß heute Abend. Bin ja schon so gespannt, was du morgen alles zu erzählen hast. Und vergiss nicht eine Menükarte für mich einzustecken…ach und falls sie Tischgestecke verschenken, dann nimm gleich eins mit!«, ruft sie aufgeregt hinunter und ihre grauen Augen blitzen dabei verschwörerisch auf.

»Mama, das ist keine Hochzeit! Das ist eine Gala. Da verschenken sie keine Gestecke! Aber ich muss jetzt wirklich los, das Taxi wartet. Tschüss! Und gib Sammy noch einen Gute-Nacht-Kuss von mir!«

»Anna, warum lässt du dich denn nicht von deiner Begleitung abholen? Das wäre doch wohl eher angebracht bei so einem schicken Kleid.«

»Mama, du weißt warum. Ein Taxi ist eben anonymer und ich mag es anonym!«

»Na, wenn du meinst!«, entgegnet sie leise und mir entgeht nicht der besorgte und typisch mütterliche Ausdruck in ihrem faltigen Gesicht. 

»Gute Nacht, Mama!« 

Ich lasse mich auf dem Rücksitz des Taxis nieder, nenne dem Fahrer die Adresse und versuche mich zu entspannen. In Gedanken bin ich immer noch bei meiner Mutter, der ich so viel zu verdanken habe. Sie ist für mich der wichtigste Mensch in meinem Leben. So etwas wie mein Fels in der Brandung. Was würde ich oder besser gesagt, was würden wir ohne sie tun. Als alleinerziehende Mutter ist es schon schwierig genug den Alltag allein zu bewerkstelligen und als junge Frau, die überwiegend abends arbeitet, vermutlich ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man niemanden an seiner Seite hat. Zum Glück kann ich mich auf den besten Babysitter der Welt verlassen und verbringe deshalb den heutigen Abend mit Richard Falkner. Er ist einer meiner Stammkunden und wie ich bewundernd anerkennen muss, mit siebzig noch sehr attraktiv und agil, was vermutlich an seinen vielen Hobbys liegen muss. Tennis, Segeln, und natürlich Golf. Da könnte sich so mancher junger Mann eine Scheibe davon abschneiden. 

Der Taxifahrer steuert auf ein opulentes Gebäude zu und reiht sich in die Schlange edler Nobelkarossen ein, die vor dem Eingang zum Stehen kommen. 

»Sie können mich hier rauslassen, den Rest gehe ich zu Fuß!«, rufe ich ihm zu und reiche ihm über die Schulter hinweg das Geld. 

Nur wenige Gehminuten später finde ich mich vor dem Eingang des Festgebäudes wieder, welches durch eine auffällige Stahlverkleidung besticht. Vor dessen Türen wartet bereits mein Herr des Abends, Richard. Während er mir entgegenläuft, nutze ich die Chance ihn unauffällig zu mustern. In seinem dunkelgrauen Anzug, der gut mit seinen hellgrauen Haaren harmoniert, sieht er aus wie ein in die Jahre gekommener Hollywoodschauspieler. 

Die Begrüßung fällt wie immer sehr herzlich aus und Richard führt mich ganz gentlemanlike hinein ins Gebäude. 

Nach einem kurzen Plausch in der Eingangshalle und anschließendem Sektempfang mit Stuttgarts High Society betreten wir gemeinsam den Festsaal. Fast bekomme ich vor Staunen den Mund nicht mehr zu, so wunderschön ist der Saal dekoriert. Die meterhohe Decke wurde mit anthrazitfarbigem Satin abgehängt und Lampions in unregelmäßiger Anordnung dazwischen drapiert. Beim kurzen Hinsehen erweckt es beim Betrachter den Eindruck eines Sternenhimmels. Ich lasse den Blick durch den Raum schweifen und bin wahrhaftig beeindruckt. Der Saal wird ausschließlich durch Kerzenlicht und die Lampions über unseren Köpfen beleuchtet, was eine heimelige Stimmung erzeugt. Rings um uns herum sind runde Tische aufgestellt mit perlmuttfarbenen Tischdecken, nostalgischen Kerzenständern und jede Menge Silberbesteck sowie Kristallgläsern. Und zum Leidwesen meiner Mutter, da sie es nie zu Gesicht bekommen wird, ein Blumenbouquet aus weißen Orchideen. 

Richard führt mich zielstrebig quer durch den Saal und steuert auf einen Tisch mit sechs Stühlen zu.

»Das verheißt ein interessanter Abend zu werden, denn schließlich wissen wir nicht, mit wem wir uns heute Abend den Tisch teilen. Die Plätze wurden allesamt durch ein Losverfahren verteilt, um neue, interessante Gesprächspartner kennenzulernen«, erklärt Richard wissend.

Ich stutze kurz, denn das höre ich zum ersten Mal. Dennoch bin ich keineswegs enttäuscht, denn auf Richards Bekanntenkreis kann ich getrost verzichten. Alles Zausel ohne Stil und Anstand, die junge Damen förmlich mit den faltigen, tränensackverhangenen Augen ausziehen und dann natürlich „rein zufällig“ auf die Pelle rücken, weil man sich so „besser unterhalten“ kann. Dass ich als Escort-Dame ausschließlich als Begleitung gebucht werden möchte, ist bei so manchem grauen Panther noch nicht wirklich angekommen. 

Ich schüttle den Gedanken an Richards Freunde ab und begebe mich zum Tisch.

Ein Tischkärtchen mit dem Namen „Rhea Peleus“ weist meinen Sitzplatz aus. Oma, bitte verzeih’, dass ich mir deinen Mädchennamen borgen musste. Richard rückt mir den Stuhl zurecht, ich setze mich an den prunkvoll gedeckten Tisch und lasse das Dekorationsszenario in der Tischmitte auf mich wirken. Ich bin schon gedanklich im Orchideenbouquet versumpft, als mich eine tiefe männliche Stimme aus meinen Träumen reißt. 

»Guten Abend, darf ich mich kurz vorstellen? Mein Name ist Gabriel Bernard, wir werden heute Abend wohl Tischnachbarn sein.«

Ich hebe meinen Blick vom Bouquet und versuche im schwachen Kerzenlicht ein Gesicht auszumachen. Was ich dann allerdings zu sehen bekomme, hätte ich nicht erwartet. Männlich, groß, bestimmt 1,85 m, dunkles Haar (mit viel Gel, das erkenne ich sogar im Kerzenschein) und wunderschöne helle Augen, eingerahmt von dunklen Wimpern. Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um ihn nicht anzustarren. Doch meine gute Kinderstube lässt mich auch heute nicht im Stich. 

»Rhea Peleus«, stelle ich mich vor und gebe ihm über das Bouquet hinweg die Hand. Obwohl ich mich bei geschäftlichen Anlässen, sprich als Escortdame, immer mit meinem „Künstlernamen“ vorstelle, komme ich mir trotzdem plötzlich sehr verlogen vor. 

Herr Bernard hat einen kräftigen Händedruck, aber eine durchaus angenehme weiche Hand. Er mustert mich interessiert und nickt mir freundlich zu, danach stellt er sich bei Richard vor. Ich beobachte ihn heimlich aus dem Augenwinkel, während er sich kurz mit Richard unterhält. Im Seitenprofil sieht er genauso gut aus wie von vorn. Frisch rasiert, mit sinnlichen Lippen und etwas ausgeprägten Kieferknochen. Ein typischer Modeltyp, wofür auch sein Outfit spricht. Er trägt einen modernen schwarzen Anzug mit schlichter anthrazitfarbener Krawatte. Beim Hinsetzen öffnet er die Knöpfe seines Jacketts und ich kann kurz einen Blick auf seinen Oberkörper erhaschen. Meine Fantasie geht mit mir durch und ich versuche mir vorzustellen, wie er wohl ohne Hemd aussieht … und ohne Hose! Oh Gott, Anna, das geht jetzt aber wirklich zu weit!! Konzentriere dich auf deinen Nebenmann, der für den heutigen Abend etwa 1000 € hinblättern muss, und nicht auf dein Gegenüber, an dem du keinen Cent verdienst!!

Ich reiße mich zusammen und wende mich wieder Richard zu, der ganz in der Menükarte versunken zu sein scheint. Während er mir kurz das 5-Gänge-Menü erläutert, tritt der nächste Gast an unseren Tisch. Ein Herr, ich schätze ihn auf Mitte Vierzig, mit graumeliertem schulterlangem Haar. Er stellt sich uns als „Herr Konrad“ vor und ich muss fast anfangen zu lachen, als mir die Geschichte vom Daumenlutscherbub aus dem Kinderbuch Struwwelpeter ins Gedächtnis kommt. Der Bursche, dem in der Geschichte die Daumen abgeschnitten wurden, hieß auch Konrad und wie ich finde, ist eine gewisse Ähnlichkeit nicht von der Hand zu weisen. Meine Augen suchen seine Hände und ich bin äußerst beruhigt, dass seine beiden Daumen noch da sind. Glück gehabt Konrad, denke ich und grinse vor mich hin. Der Sommelier ist inzwischen an unseren Tisch getreten, um die Bestellung aufzunehmen, als auch noch die beiden letzten Gäste zu uns stoßen. Frau Häberle, die einem Pudel enorme Konkurrenz machen könnte und ihr Gatte, Herr Häberle, ein kleiner runder Mann, der offensichtlich mehr Haare auf der linken Seite hat, als auf der rechten (und dies auch zu nutzen weiß). Während die Commis de Rang den ersten Gang servieren, wurde bereits durch Herrn Häberle die Plauderrunde eröffnet. Mit Anekdoten aus seinen ruhmreichen Jahren als Unternehmer versucht er das Gespräch am Laufen zu halten, was ihm leider nicht so gut gelingen will und wohl eindeutig an seinem breit schwäbischen Dialekt liegen könnte und der daraus resultierenden Tatsache, dass ihn so recht niemand hier am Tisch verstehen kann. Doch der Pudel zu seiner Linken nimmt den verlorengegangen Faden wieder auf und wendet sich, dem wiederum zu ihrer Linken sitzenden Topmodel, namens Bernard zu. Sie verwickelt ihn schneller in ein Gespräch, als eine Anakonda die Beute. Zu unser aller Erleichterung kommt schon das Essen und auch eine Frau Häberle wird dank Knigge nicht mit vollem Mund sprechen. 

Der erste Gang, bestehend aus einer Salat-Kreation mit Kürbiskernöl-Vinaigrette an gebratener Jakobsmuschel und Limettenglace ist ein Traum. Die Voraussetzungen dafür, dass die restlichen vier Speisen genauso gut oder annähernd so gut sind, stehen nicht schlecht. 

Gabriel

Ich bin total angespannt. Wie ich solche Veranstaltungen hasse. Die vielen Dummschwätzer, die völlig sinnlosen Gespräche und die alten Heuchler, die alle um meine Gunst buhlen, machen solche Abende zu einer Tortur. Wüsste ich es selbst nicht besser, dass ich dieses Theater mitspielen muss, um meiner Firma willen, würde ich sofort aufstehen und diese Gala verlassen, aber nicht ohne vorher noch meinem Nebensitzer Herrn Konrad den Kopf auf die Tischplatte zu knallen, falls er es noch einmal wagen sollte, in den Ausschnitt meines hübschen Gegenübers zu glotzen. Der schönen zarten Rhea. Vermutlich ist sie heute der einzige Sonnenschein in dieser tristen Arena, aber leider ist sie in Begleitung dieses Altunternehmers. Da die beiden ein nettes und zurückhaltendes Verhalten an den Tag legen, vermute ich mal, dass es sich hierbei nicht um die äußerst jugendliche „Freundin“ von unserem alten Herrn handelt, vielmehr glaube ich, dass sie heute als gebuchte „Begleitung“ hier ist. Wäre nicht die einzige junge Dame in diesem Saal, aber vermutlich die Hübscheste. Zu blöd, dass sie nicht an meiner Seite sitzt. Ob ich Herrn Falkner mal nach ihrer Telefonnummer fragen soll?

Anna

Zwei Stunden später und gefühlte drei Kilo schwerer, haben bereits die ersten Redner das Pult betreten, das links von uns aufgebaut ist. Der offizielle Teil der Alzheimer-Gala, bestehend aus Spendenaufrufen, Danksagungen und Ehrungen, beginnt. Den ersten Laudatoren kann ich noch gut folgen, aber das ausgiebige Essen und der gute Wein zollen nun ihren Tribut und ich muss mich sehr zusammenreißen, um nicht vor allen Gästen das Gähnen anzufangen. Der schwäbische Pudel hat sein kommunikatives Fangnetz nun nach Richard ausgeworfen und so versucht sie ihn mit Erzählungen aus ihrer Heimat für sich zu gewinnen. 

»Ja, wissad se, Herr Falkner, mei Mo ond i sen ned von dohana. Mir kommad von dr Oschdalb. Bei uns drhoim isch’s wirklich schee, do missad se mol nofahra mid der junga Dame.«

»Ach ja? Mmmh«, gibt Richard höflich nickend zurück. 

Inzwischen hat sich am Pult ein weiterer Herr eingefunden, der gerade den nächsten Laudator ankündigt. Dank Frau Häberles Geschwätz verstehe ich nur noch die letzten Worte.

»Begrüßen Sie nun mit mir unseren neuen Vorstandsvorsitzenden und Stifter Gabriel Bernard!«. 

Die letzten Worte spricht er mit einer solchen Inbrunst, dass selbst Frau Häberle ihren Monolog unterbricht und neugierig aufschaut. Inzwischen hat sich Mister Sahneschnitte erhoben, nickt uns allen freundlich zu und geht schnellen Schrittes hinüber zur Bühne, während er sich wieder das Jackett zuknöpft. Frau Häberle, die inzwischen in eine Art Schockstarre gefallen zu sein scheint, kann ihm nur mit offenem Mund hinterher starren. Ich beuge mich zu Richard hinüber und flüstere ihm ins Ohr.

»Wusstest du, dass er der Vorstandsvorsitzende ist?«

»Nein, es wurde bisher nur gemunkelt, wer letzten Endes das Amt des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden übernehmen könnte, seit dieser vor zwei Monaten ausgeschieden ist. Aber umso erfreulicher ist es nun, dass der Stifter selbst den Vorsitz übernimmt.«

»Herr Bernard ist der Stifter der Alzheimer-Stiftung?«

»Ja genau, er hat vor fünf Jahren diese Stiftung gegründet und unterhält sie seither mit seinem Privatvermögen. Dazu muss man wissen, dass er sehr vermögend ist. Ihm gehört die zweitgrößte Immobiliengesellschaft in Stuttgart. Er hat die Nachfolge seines Vaters angetreten, als dieser vor zehn Jahren starb.«

«Vor zehn Jahren? Wie alt ist er denn, wenn er die Firma schon so lange leitet?«

»Ich schätze, er müsste so um die Dreißig sein. Genau kann ich es auch nicht sagen, das meiste über ihn weiß ich entweder aus der Zeitung oder von meinen Golffreunden.«

»Wie kommt er denn dazu eine Alzheimer-Stiftung zu gründen?«

»Ich glaube seine Mutter ist an Alzheimer erkrankt.«

Ich lehne mich zurück und schaue in Richtung Bühne. Da habe ich wohl jemanden ganz falsch eingeschätzt. Auf den ersten Blick, darauf hätte ich schwören können, sieht er wie der typische Student aus, der sich neben dem Studium ein paar Euros mit Modeljobs finanziert. Frau Häberles Blick sagt mir, dass sie ähnlich überrascht ist, wie ich. 

Gabriel Bernard beginnt seinen Vortrag. Er spricht sehr leise und ruhig. Man muss sich gut konzentrieren, um ihn zu verstehen, aber trotz allem fasziniert mich die Art und Weise, mit welcher er die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen scheint. Er erläutert das vergangene Jahr, präsentiert anhand einer PowerPoint-Präsentation die aktuellsten Kampagnen seiner Stiftung, stellt die anstehenden Veranstaltungen vor und widmet sich abschließend in einer Danksagung den Spendern und den ausschließlich ehrenamtlichen Helfern dieser Stiftung. Als er dann das Podium unter tosendem Applaus wieder verlässt, hat er mich ebenfalls voll und ganz gefesselt. Seine Ausführungen über diese schlimme Krankheit und die daraus resultierende Stiftung, die er ins Leben gerufen hat, machen mich nachdenklich. Wie sich wohl jemand fühlen mag, wenn er beide Elternteile schon in jungen Jahren verloren hat? Ich kann es nicht einschätzen, da ich nie in den Genuss gekommen bin, zwei Elternteile an meiner Seite zu haben. Mein Vater zog es vor, seine hochschwangere Frau mitsamt der dreijährigen Tochter Helen zu verlassen. 

Schon allein der Gedanke, dass ich meine Mutter jetzt verlieren könnte oder sie an einer Krankheit wie Alzheimer erkrankt, lässt mich erschaudern.

Während eine Band auf der Bühne Stellung bezieht, ist Herr Bernard wieder an unserem Tisch eingetroffen. Locker, als ob er gerade von der Toilette käme, nimmt er Platz und lässt sich von uns allen herzlich zu seiner Vorstandschaft gratulieren, und ich habe noch einmal die Chance seine weiche und zarte Hand in meiner zu spüren. Ob er sich wohl überall so weich und zart anfühlt? Geschockt über den Alleingang meiner Gedanken wende ich mich schnell ab und schaue hinüber zur Band. Diese hat mit Beendigung des offiziellen Teils mit einer Cover-Version von Barry White’s Klassiker „my first, my last, my everything“ die Tanzrunde eingeläutet. 

Richard, ganz Gentleman der alten Schule, hat mich um einen Tanz gebeten. Er genießt es sichtlich mich in seinen Armen einmal quer durch den Raum zu führen. Und wieder muss ich feststellen, dass er ein begnadeter Tänzer ist und ich, dank meiner unzähligen Tanzstunden, eine mittlerweile passable Tanzpartnerin. Die neugierigen Blicke der anderen Tanzpaare heften sich auf meinen Rücken. Jeder, der Richard kennt, weiß, dass er verwitwet ist und keine Kinder hat. Und somit wird ihnen auch klar sein, in welcher Funktion ich heute Abend hier an seiner Seite bin. Aber auf die Meinung anderer habe ich noch nie etwas gegeben und werde es auch in Zukunft nicht tun. Sollen sie doch ruhig schauen. Wer von ihnen kann schließlich von sich behaupten einen schönen Abend zu erleben und gleichzeitig noch Geld dabei zu verdienen. Außer Mister Supersexy vielleicht, der, wie ich beim kurzen Hinübersehen feststellen muss, mit mehreren hochrangigen Herren an unserem Tisch steht und in meine Richtung schaut!!

Wir beenden den Tanz und Richard zieht sich mit einigen Herren in die obligatorische „Raucherecke“ zurück, wofür ich ihm ausgesprochen dankbar bin, weil ich jetzt schon meine super schicken, aber mega unbequemen Schuhe spüre. Da fällt mir Mamas Lieblingsspruch ein: Wer schön sein will, muss leiden. Da hat die Gute doch mal wieder recht behalten. Ich nutze die Gunst der Stunde und suche die Damentoilette auf. 

Während ich mir den Weg durch den Saal bahne, komme ich an Damen in Pelzstolas und angestaubten Herren im Smoking vorbei. Einer von ihnen ist Stuttgarts Oberbürgermeister. Er ist umringt von Mitgliedern seines Gemeinderates, die alle gebannt seinen Worten lauschen, wie einst die Jünger Jesu. Der Herr, der linkerhand des „OB“ steht, kommt mir ziemlich bekannt vor. Aber woher?

Als ich kurze Zeit später die Toilette wieder verlasse, ist bei mir endlich der Groschen gefallen. Ich bin mir ziemlich sicher, ihn als Neles Stammkunden entlarvt zu haben. Doch heute hat er es wohl vorgezogen, seine Ehefrau mit auf das Bankett zu nehmen. 

Ich habe gerade wieder meinen Sitzplatz erreicht, als mich von hinten eine Hand an der Schulter berührt. Ich fahre erschrocken zusammen und drehe mich um, um in die hellsten Augen Stuttgarts zu schauen. Oh mein Gott! Mister Endorphin Bernard.

»Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken!«, entschuldigt er sich höflich.

»Äh … kein Problem, ich bin etwas schreckhaft«, gebe ich leise zurück.

»Hätten Sie Lust mit mir zu tanzen?«

Ich bin zwar etwas überrascht, aber durchaus nicht abgeneigt und meine Begleitung ist ebenfalls außer Sichtweite. Warum also eigentlich nicht? 

»Ja, gerne!«, antworte ich strahlend und begebe mich mit ihm auf die Tanzfläche. Erst jetzt wird mir bewusst, dass er inzwischen meine Hand genommen hat und uns in Tanzposition bringt. Seine andere Hand hat auf meinem Rücken Platz gefunden und sendet ein angenehm kribbelndes Gefühl über meinen ganzen Körper aus. 

Er führt mich mit fließenden Bewegungen an den anderen Paaren vorbei. Da ich ihm inzwischen ziemlich nah gekommen bin, kann ich ihn auch riechen. Ein wundervolles Gemisch aus teurem Eau de Parfum und seinem eigenen herben Duft. Ich würde mich am liebsten an seinen Hals schmiegen und ausgiebig an ihm schnuppern, aber dann wäre wohl nix mehr mit Foxtrott. Aus dem Augenwinkel heraus, beobachte ich ihn. Er scheint völlig entspannt zu sein und schaut nur stur geradeaus, während ich versuche es ihm gleich zu tun. Aber mein Blick wandert immer wieder zu ihm zurück. Er hat ein ausgesprochen hübsches Gesicht, dunkler Teint, ohne jeden Makel. Bis auf eine kleine Narbe direkt über der rechten Augenbraue, die man aber nur sehen kann, wenn man ihm so nahekommt, wie ich es gerade tue. 

Von Minute zu Minute schaffe ich es schließlich auch etwas zu entspannen, da ich mich, rein tänzerisch gesehen, an ihn gewöhnt habe. Doch leider macht mir die Band einen Strich durch die Rechnung und spielt ein neues, ausgesprochen langsames Lied. 

»Können Sie auch einen langsamen Walzer tanzen?« fragt er und schaut mich nun endlich an.

»Ja natürlich! Und Sie?« gebe ich keck zurück.

»Ich auch!«

Dann ist ja gut, denke ich und lasse mich ganz auf den wechselnden Tanzstil ein. Wir bewegen uns mit andächtigen Bewegungen zu Simply Red’s „If you don’t know me by now“. Irgendwie passend, wie ich finde. 

Inzwischen habe ich auch schwitzige Hände bekommen, was meinem Tanzpartner nicht entgangen sein dürfte. Um die mir durchaus peinliche Situation zu überspielen, versuche ich es mit Konversation, was mir nicht schwerfallen dürfte, denn schließlich bin ich doch die Small-Talk-Queen. 

»Darf ich Ihnen ein Kompliment machen?«, frage ich ihn so beiläufig wie möglich.

»Wenn es bei einem bleibt, dann ja!« Diesmal tritt ein schelmisches Grinsen in sein Gesicht. Was für ein Macho!

»Ihre Rede hat mich sehr beeindruckt und dazu veranlasst noch mehr für die gute Sache zu spenden, als ich ursprünglich vorhatte.«

»Ach ja? Dann ist mein Plan wohl aufgegangen!«

»Was für ein Plan?«, hake ich nach.

»Den Leuten im Saal das Geld aus der Tasche zu ziehen!«, entgegnet er und sein Grinsen wird noch breiter.

»Das nenne ich mal kaufmännisches Talent gepaart mit unwiderstehlichem Charme. Unzählige Damen und Herren, mich eingeschlossen, haben sich da wohl von Ihnen blenden lassen. Aber das wissen Sie wahrscheinlich schon längst.« 

Hoffentlich habe ich mich mit meiner gewohnt offenen Art nicht zu sehr aus dem Fenster gelehnt, denke ich, aber mein Gegenüber scheint das nicht so zu sehen. Er schaut mich einfach nur belustigt an und lenkt uns in eine andere Richtung. 

»Als ich diese Rede geschrieben habe, hatte ich eigentlich keinen Gedanken an Heimtücke oder dergleichen verschwendet, aber wahrscheinlich haben Sie Recht, und mir liegt der Verkäufer im Blut, ohne dass ich es bemerkt habe.« Er grinst mich an und ich bin mir sicher, dass er sich über mich lustig macht. 

»Darf ich Ihnen auch ein Kompliment machen?« fragt er mich nun.

»Welche Frau möchte das nicht?«, entgegne ich. 

»Sie sind mit Abstand heute Abend die schönste Frau in diesem Raum, was Sie wahrscheinlich sowieso wissen, aber ganz besonders haben Sie mir gefallen, als sie vorher mit ihren großen grünen Augen und ihrem zuckersüßen offenen Mund meine Rede verfolgt haben.« WAS??.

Mir wird nun bewusst, dass er wahrscheinlich recht hat und ich ihn wirklich angestarrt habe. Oh Mann, wie peinlich ist das denn? Mauseloch …  WO BIST DU??

»Das ist so ziemlich das schlechteste Kompliment, das ich je von einem Mann bekommen habe«, gebe ich süffisant lächelnd zurück und versuche die Situation so gut wie möglich zu überspielen. 

»Ich würde es ja gern wiedergutmachen und Sie zur Entschädigung auf einen Prosecco einladen. Aber da Sie leider heute Abend in Begleitung hier sind und Ihr Mann völlig allein an seinem Platz sitzt, denke ich, dass er Sie gern wieder an seiner Seite haben möchte. Zumindest würde ich das wollen, wenn Sie mit mir hier wären.« 

Ich wirble herum und erblicke Richard, der inzwischen wieder an unseren Tisch zurückgekehrt ist. 

Ich drehe mich auf die Seite und schaue auf den Radiowecker. Es ist schon nach zehn und obwohl mir immer noch der gestrige Abend in den Knochen steckt, stehe ich auf und laufe hinunter ins Badezimmer. Ich stelle die Dusche an und schlüpfe aus meinem Pyjama, dabei fällt mein Blick in den Spiegel. Oh Gott! Du hast aber auch schon besser ausgesehen!! Meine Haare sind total verklebt von dem ganzen Haarspray und unter meinen Augen haben sich riesige schwarze Schatten gebildet, das Zeugnis von wenig Schlaf und zu viel Kajal. Allmählich sickert die Erinnerung an den gestrigen Abend wieder durch und hinterlässt ein zwiespältiges Gefühl. Ich habe mit einem überaus attraktiven Mann getanzt, der mich erstens nicht nur beruflich interessiert hat, der mich zweitens vielleicht ebenso attraktiv fand, wie ich ihn. Der drittens hinter seiner kühlen Fassade ganz schlecht einzuschätzen ist und der mich viertens nach unserem gemeinsamen Tanz kein einziges Mal mehr beachtet hat. All das sollte mich eigentlich überhaupt nicht interessieren, denn ich kenne ihn überhaupt nicht und war schließlich nicht seinetwegen bei dieser Gala. Aber aus unerklärlichen Gründen schmerzen mich diese Gedanken. Vor allem weil ich ihn nie wiedersehen werde. Irgendwie fühle ich mich wie ein verliebter Teenager nach einem Schüleraustausch. Ich schlüpfe in die dampfende Dusche und versuche mich von Kajal und schlechten Gedanken reinzuwaschen. 

»Möchtest du einen Kaffee, Anna?«

»Ja, gerne. Den habe ich auch dringend nötig.«, murmle ich und gähne herzhaft. Den Kopf auf einer Handfläche aufgestützt, schaue ich mich in der Küche meiner Mutter um. Sie ist über all die Jahre ihrem Wohnstil immer treu geblieben. Ganz egal, ob modern oder unmodern, Hauptsache sie kann ihre Porzellanpuppen sammeln, eingestaubte Trockengestecke drapieren oder Patchworkdecken aufhängen. Sie liebt diesen speziellen Stil, den Hausfrauenchic. Und ich liebe es auch, weil es mir ein Gefühl von Heimat gibt. 

Meine Mutter steht an der Spüle und schaut mich an. Über die Enttäuschung, dass ich ihr leider kein Tischgesteck mitbringen konnte, ist sie mittlerweile hinweg und jedes Detail der gestrigen Gala hat sie inzwischen auch schon aus mir herausgequetscht. Bis auf die Sache mit Mr. Testosteron, die ich lieber für mich behalte.

»Wie geht es eigentlich Patrick? Ich habe ihn schon so lange nicht mehr gesehen.«, erkundigt sie sich, während sie mich eindringlich mustert. Augenblicklich wird mir klar, welche Wendung dieses Gespräch nun nehmen wird.

»Ich denke gut. Er wird am Freitag Sammy abholen. Die beiden wollen zum Wandern gehen. Sammy hat seinen kleinen Wanderrucksack schon mal herausgesucht.« 

Ich versuche so neutral zu klingen, wie es nur geht, balle aber unter dem Tisch schon die Fäuste, um den innerlichen Druck abzubauen. 

»Anna, nenn’ deinen Sohn doch nicht immer „Sammy“. Er heißt Samuel und sollte so auch genannt werden. Und überhaupt finde ich, dass du es noch einmal mit Patrick versuchen solltest. Er ist schließlich Samuels Vater und er bemüht sich doch immer so um dich. Er hegt vermutlich noch Gefühle, während du ihn abweist wie einen kalten Fisch.«

Meine Mutter, die sich inzwischen zu mir an den Tisch gesetzt hat, schaut mich mit diesem typischen „Tu-es-für-mich-Blick“ an, den ich schon von ihr kenne.

»Mama, lass das bitte. Dieses Thema haben wir doch schon zigmal durchgekaut. Wir passen einfach nicht zusammen und Schluss, basta. Ich bin ehrlich gesagt total froh, dass sich unser Verhältnis soweit gebessert hat, dass wir uns bei der Kindübergabe nicht mehr gegenseitig an die Gurgel gehen müssen.« 

Ohne es zu merken, bin ich wohl etwas lauter geworden und meine Mutter sitzt bedröppelt auf dem Stuhl und starrt auf ihre Hände. Wie sie es doch nur schafft, mich jedes Mal innerhalb von Sekunden auf die Palme zu bringen. Unglaublich. Für Mama ist und bleibt Patrick der ultimative Schwiegersohn. Höflich, gebildet und charmant, um nur einige seiner positiven Eigenschaften zu nennen und zudem teilt Patrick ihre Vorliebe für Helene Fischer. Liegt hier vielleicht der Hund begraben? Sie konnte und kann es bis heute nicht verstehen, dass es für Patrick und mich keine gemeinsame Zukunft mehr geben wird. Seit wir uns vor drei Jahren getrennt haben, sehen wir uns nur noch alle zwei Wochen, wenn er Sammy abholt. Und das soll, zumindest was mich betrifft, auch weiterhin so bleiben. 

Ich schnappe mir meinen Schlüssel und verlasse die Küche. Im Vorbeigehen drücke ich noch sanft Mamas Schulter und murmle ein Tut mir leid. Frische Luft wird mir jetzt guttun. 

Nele und ich haben uns heute Vormittag im Tasty Donut verabredet. Da wir beide in Stuttgart-West wohnen, ist das für uns nur ein Katzensprung. Nach dem exklusiven Essen gestern Abend habe ich Lust auf etwas Einfaches, einen Donut beispielsweise. Als ich die Räumlichkeit betrete, kann ich meine Freundin schon an einem der Tische entdecken. Ganz Nele-like hat sie sich ihre roten Locken zu einem Dutt aufgetürmt, aus welchem sich bereits die ersten Strähnchen lösen. Nach einer kurzen Begrüßung setze ich mich zu ihr und werfe schnell einen Blick in die Karte, bevor die Bedienung naht. Während Nele sich nach ewigem Hin und Her schließlich für einen Apfel-Zimt-Donut entschieden hat, werde ich mir meinen mit Vanillepudding-Füllung schmecken lassen. Es sind mit Abstand die besten Donuts in der Stadt, wie ich jedes Mal mit Begeisterung feststelle. 

»Wie war dein Abend gestern? Hattest du nicht das Date mit dem jungen Schnösel?«, frage ich mit vollem Mund und versuche dabei nicht die ganzen Donutkrümel auf dem Tisch zu verteilen. 

»Na, was glaubst du wohl?«, fragt sie und lächelt mich schelmisch an.

»Sag jetzt nicht, du bist wieder nach „Dienstschluss“ mit deinem Kunden mitgegangen?«, fahre ich sie an und knalle demonstrativ meinen Donut auf den Teller, auf dass sämtliche Krümel über den Tisch fliegen.

»Waren wir uns nicht einig, dass du das in Zukunft nicht mehr machst? Du verkaufst nicht nur deine Seele, sondern deinen Körper gleich mit.«, versuche ich ihr ins Gewissen zu reden.

Nele, die von meinem Ausbruch in keinster Weise beeindruckt zu sein scheint, gähnt einmal herzhaft und schaut sich gelangweilt um. Reine Zeitverschwendung, ihr diesen Vortrag immer und immer wieder zu halten. 

»Beruhig dich doch mal, Schatz! Ich weiß, dass du es nur gut meinst, aber ich stehe nun mal auf so etwas. Meine Eltern haben es nicht geschafft, mich zu ändern, dann musst du es gar nicht erst versuchen.«

»Das weiß ich doch und ich will dich doch auch nicht verändern. Aber ich möchte nicht, dass sich meine beste Freundin prostituiert.«

»Anna, das siehst du ganz falsch. Ich prostituiere mich nicht. Ich nutze einfach die Chance, die sich mir bietet. Wenn mich ein attraktiver und halbwegs netter Mann bucht und mich dazu noch für zusätzliche „Nebenleistungen“  benötigt, dann freue ich mich darauf. Ich kann mit ihm ein bisschen Spaß haben und bekomme sogar noch Geld dafür. So einfach ist das.«

Ich lasse gefrustet den Kopf hängen. Wir hatten schon unzählige Diskussion über dieses Thema. Warum kann ich nicht einfach mal meine Klappe halten? 

»Darf ich dir jetzt von meinem Date erzählen?«, bittet sie und schaut mich grinsend an. Ich drücke ihre Hand und nehme mir vor, mich nicht ständig in ihre Privatangelegenheiten einzumischen. 

»Ist in Ordnung! Erzähl es mir!«, willige ich ein und versuche ein halbwegs fröhliches Gesicht zu machen. 

»Das wird dir jetzt runtergehen wie Öl. Heute Morgen bin ich aufgestanden und habe so bei mir gedacht: „Ach, hätte ich doch auf meine Freundin Anna gehört!“. Ich weiß ja, dass du mir immer wieder sagst, ich soll keine Kunden daten, die jünger sind als wir. Tja, ich wollte halt wie immer nicht hören und so habe ich gestern den besten Beweis dafür erhalten, dass deine Theorie stimmt. „Junge Männer brauchen keine Escort-Dame, die sind in einem Puff besser aufgehoben.“ Mein Kunde gestern Abend, nennen wir ihn zwecks des Datenschutzes mal „Martin“ war schon den ganzen Abend über sehr zappelig, selbst beim Abendessen, schaffte er es kaum, seine Hände und Füße still zu halten. Als wir dann später im Hotel waren, konnte er es kaum abwarten, bis er endlich auf mir lag und dann …. Ende Gelände. Der Kerl kam doch tatsächlich zum Abschuss, bevor es überhaupt losgegangen ist!«

Ich kann mich mittlerweile vor Lachen kaum noch halten und habe große Mühe nicht an meinem Donut zu ersticken. 

» Na ja, was soll’s. So leicht wie gestern habe ich noch nie mein Geld verdient«, beendet sie ihre Erzählung und nippt an ihrem Chai Tea Latte. Ich kichere immer noch leise vor mich hin, denn ich kann mir bildlich vorstellen, wie das Ganze abgelaufen ist. Der arme Junge. Er hätte wohl lieber nicht Nele buchen sollen. Als Fahranfänger fährt man schließlich auch keinen Ferrari, denke ich, als Nele mich aus meinen Gedanken reißt. 

»Wie lief es eigentlich bei dir?« 

Um das Unbehagen, das sich inzwischen tief in meinem Kopf eingenistet hat, zu überspielen, packe ich mein schönstes unnatürlichstes Lächeln aus, das ich vorrätig habe. 

»Ach, die Gala war einfach super. Tolles Essen. Richard hat sich wie immer von seiner besten Seite präsentiert. Wir haben uns wirklich gut amüsiert.«, flöte ich und rühre zum hundertsten Mal kräftig meinen Cappuccino um, dessen Milchschaum sich nun endgültig verflüchtigt hat.

»Anna, was ist los?« 

Nele wischt sich mit der Serviette die letzten Krümel vom Mund und blickt mich ernst an. Wenn sie mich so anschaut, ist es wahrscheinlich zwecklos ihr etwas vorzuspielen.

»Ach Nele!«, seufze ich, »wann hast du das letzte Mal einen Mann getroffen, der in dir ein ganz besonderes Gefühl ausgelöst hat?«

»Erst vorgestern. Thomas hat sich ganz besondere Mühe gegeben.«

»Nein!!«, stöhne ich auf. »Ich meine doch keinen Orgasmus! Was ich meine … wann hattest du das letzte Mal das Gefühl, dich zu jemandem hingezogen zu fühlen?« 

Nele starrt mich ungläubig an.

«Hast du jemanden kennengelernt?«

»Ja und Nein.«

»Sprich nicht immer in Rätseln! Also, ich höre!« 

Ihr bestimmender Tonfall duldet wie immer keine Widerrede.

»Gestern auf der Gala, da war ein Mann, ein schöner Mann! Ach was sag ich. Er sah einfach traumhaft aus, sexy und … und er müsste wohl in meinem Alter gewesen sein. 

»Also 28?«

»Ja! Vielleicht auch älter … aber wenn du mich jetzt noch einmal unterbrichst, erzähle ich dir gar nichts mehr.«

»Ist ja schon gut! Erzähl weiter!«

»Also. Erst waren wir nur Tischnachbarn, aber später hat er mich dann zum Tanzen aufgefordert. Und ich habe mich in seiner Nähe so geborgen gefühlt. Er gab mir für einen kurzen Moment das Gefühl etwas ganz Besonderes zu sein, verstehst du.«

»Nein!« gibt sie knapp zurück, »und was war dann?« 

»Dann kam Richard und es war vorbei. Er hat mich danach den ganzen Abend nicht mehr beachtet. Was ja auch nicht verwunderlich ist, denn schließlich war ich Richards Begleitung«, beende ich enttäuscht meine Erzählung und schaue bedrückt zum Fenster hinaus. Nele nimmt meine Hand und drückt sie fest.

»Du willst uns allen immer beweisen, dass du eine toughe, unabhängige, junge Frau bist, die erst recht keinen Mann in ihrem Leben braucht. Aber glaub mir, mein Schatz, ich weiß es besser. Es wird Zeit, dass du wieder jemanden findest, der dir mehr als nur Geld bieten kann.«

Vermutlich hat Nele recht und ich brauche dringend einen Mann an meiner Seite, weil ich tief in meinem Innersten weiß, dass mir die Zeit davonläuft und deswegen klammere ich mich sofort an den Erstbesten, der meinen Weg kreuzt. Wie bescheuert bin ich eigentlich? Ich habe mich noch nie an einen Mann gebunden, außer an einen kleinen Vierjährigen. Apropos. Der Kindergarten ist bald aus.

Wir trinken rasch aus und zahlen. Nele begleitet mich um die Ecke zu meinem Wagen, einem schicken roten Audi A2, den ich mir dank meiner überaus zufriedenen und großzügigen Kundschaft zusammensparen konnte. 

»Ich habe da eine Idee!«, sprudelt es aus Nele heraus.

»Da bin ich aber gespannt! Du hast immer so komische Ideen.«

»Diesmal nicht! Wie wäre es, wenn wir drei, also Sammy, du und ich mal zusammen in den Urlaub fahren würden. Vielleicht Türkei, oder Malle? Da könntest du mal ein bisschen abschalten und ich spiele den Babysitter. Na, was sagst du?«

»Bist du sicher, dass du mit uns in den Urlaub willst?«

»Natürlich bin ich das! Was ist denn das für eine Frage. Du bist meine beste Freundin, schon vergessen? Und Samuel ist ein Goldschatz.« 

Hoffnungsvoll schaut sie mich von der Seite her an und ich kann nicht anders, als sie stürmisch in meine Arme zu ziehen.

»Ich hab’ dich lieb, Nele Wolff! Und ich möchte liebend gern mit dir in den Urlaub … solange ich das Hotel aussuchen darf!«

Seit meinem letzten Treffen mit Nele sind inzwischen zwei Wochen vergangen. Heute Morgen regnet es in Strömen und als ich meine Wohnung betrete, bin ich bis auf die Unterhose klatschnass. Zum Glück habe ich mich vorhin aus reiner Zeitnot gegen ein Augen-Make-up entschieden, sonst würde ich jetzt wohl so manchem Waschbären große Konkurrenz machen. Ich tausche meine regennasse Kleidung gegen einen gemütlichen Jogginganzug aus und laufe einen Stock höher zu meiner Mutter Eleni. Sie liegt mit Grippe im Bett und dank des raschen Hausarztbesuches bekommt sie jetzt die notwendigen Medikamente, die ich eben aus der Apotheke geholt habe. Ich betrete das rustikale Schlafzimmer und finde sie in ihrem roséfarbenen berüschten Bett vor. Wüsste ich nicht, dass es sich hier um meine Mutter handelt, hätte ich das Gefühl mich in der Wohnung geirrt zu haben. Das normalerweise straff zurückgebundene schwarze Haar hängt ihr in losen Strähnen über Gesicht und Schultern und die sonst so prall und frisch aussehende Haut wirkt heute fahl und faltig, was eigentlich für eine Frau Mitte Sechzig kein unnatürliches Phänomen sein dürfte. Einzig ihre Wangen glühen rot, die äußeren Anzeichen des hohen Fiebers. Ich verteile, genau nach der präzisen Anleitung meines Apothekers die Medikamente, brühe noch kurz einen Tee auf und setze mich ans Bett meiner Patientin. 

»Danke, Anna! Lieb von dir, dass du dich so kümmerst. Ich bin bestimmt bald wieder auf den Beinen. Du weißt ja, Unkraut vergeht nicht.«, wispert sie leise. Ich muss anfangen zu lachen.

»Wenn heute Chorprobe wäre, dann würden sich die Herren vom Bass über einen neuen Sänger freuen!«

»Na, du hast gut lachen! Mein Hals fühlt sich an, als hätte ich Nägel verschluckt.«

»Ich weiß doch! Wenn du noch was brauchst, ich bin unten. Ruf mich einfach an!«

»Was machst du eigentlich mit Samuel, wenn ich außer Gefecht bin?«

»Keine Sorge, diesen Part übernimmt Nele für dich. Sie hat sich sofort angeboten, den Babysitter zu spielen. Wenn mich nicht alles täuscht, fährt sie sogar heute extra in die Stadt, um ein neues Spiel zu kaufen.«

»Nele ist ein nettes Mädchen. Ich bin froh, dass du sie hast.«

»Das bin ich auch. Ich hätte keine bessere Freundin finden können.«

Ich schließe leise die Tür und begebe mich wieder ein Stockwerk nach unten in meine eigenen vier Wände, um mich nun voll und ganz der öden Büroarbeit zu widmen.

Zwei Stunden später habe ich es geschafft. Karteikarten meiner Kunden auf den neuesten Stand gebracht, E-Mails gecheckt, Termine eingetragen! Nebenbei noch den Haushalt gemacht und eine Hühnersuppe mit extra viel Gemüse für Oma Eleni gekocht. Das nenne ich mal straffe Organisation. Das Pling aus dem Laptop im Wohnzimmer kündigt eine eben eingegangene E-Mail an und weckt mein Interesse. Ein mir unbekannter Herr bittet um Begleitung zum Abendessen. Er hinterlässt nur seine E-Mail-Adresse, keine Telefonnummer. Was nicht unüblich ist. Während so mancher Herr eben sehr diskret vorgeht, haben sich andere bereits ein Zweithandy angeschafft, dessen Nummer ausschließlich die Escortdame bekommt. Hier gibt es eben nichts, was es nicht gibt. Getreu dem Motto: Der Kunde ist König. 

Mein neuer Kunde, Herr Hoffmann, möchte sich gern noch diese Woche mit mir treffen, in einem italienischen Restaurant im Stadtbezirk Mühlhausen. Als Erkennungsmerkmal trägt er eine weiße Rose. Eine weiße Lilie wäre besorgniserregend gewesen. Ich schaue kurz in meinen Terminkalender und maile Herrn Hoffmann meinen Terminvorschlag. 

Heute ist Blind-Date-Tag und ich suche bereits seit zehn Minuten meine Autoschlüssel. Ich habe im Flur alle Schubladen durchwühlt, unter den Schuhschrank geschaut und sogar in Sammys Schuhe gespickelt. Wenn ich jetzt nicht losfahre, werde ich auf jeden Fall zu spät zu meiner Verabredung mit Herrn Hoffmann kommen. Bewaffnet mit Handtasche, den Blazer unter den Arm geklemmt, betrete ich das Wohnzimmer und finde mich zwischen Lego-Eisenbahnwaggons und kreuz und quer verlegten Schienen wieder. Nele hilft Sammy gerade beim Aufbau des Lego Bahnhofs. Als kleinste Schwester von drei großen Brüdern, versteht sich Nele in solchen Dingen und Samuel genießt seine Babysitterin für heute Abend in „vollen Zügen“. 

»Musst du eigentlich nicht schon weg sein?«, fragt mich Nele und schiebt gerade die rote Lok unter meinem Couchtisch durch. 

»Eigentlich ja, aber ich finde meine Autoschlüssel nicht!«

»Mami, mein Lokführer macht jetzt Feierabend, dann kannst du solange meine Schlüssel haben!«, meint Sammy und reicht mir mit ausgestrecktem Arm einen Schlüsselbund. Meine Autoschlüssel. Ich schüttle grinsend den Kopf und verabschiede mich von beiden, nicht ohne Nele für ihr „Kleinkind-Engagement“ zu danken.

»Pass auf dich auf, Süße! Wenn was ist, ruf sofort an.«, sagt sie lächelnd und umarmt mich noch einmal.

»Mach ich. Aber es ist ja bloß ein Restaurantbesuch und an das Pfefferspray hab ich auch gedacht.«

»Anna, du weißt was ich meine. Bei Erstkunden ist es wie mit dem Überraschungs-Ei. Außen hot, innen Schrott!«

Nele hat wie immer Recht. Man weiß wirklich nie, was einen erwartet. Man geht davon aus einen intelligenten und gebildeten Menschen zu treffen, aber es könnte genauso gut auch ein „Jack, the Ripper“-Verschnitt sein. In solchen Fällen verlässt man sich am besten auf seine Intuition und auf gute Freunde, die einen notfalls dank Google Latitude orten können. Ich habe es mir außerdem zur Angewohnheit gemacht, zur Halbzeit einer Verabredung eine Nachricht an Nele zu schicken, mit den Worten „Bin o. k“. 

Leider etwas verspätet fahre ich auf die B27 Richtung Mühlhausen. Wenn ich noch pünktlich sein möchte, muss ich wirklich Gas geben. Herr Hoffmann hatte mir die Adresse vom „Romantica“ heute per Mail zukommen lassen. Das Restaurant sowie die Ortschaft kenne ich überhaupt nicht. Eine Fahrt ins Blaue mit Blind Date, geht es mir durch den Kopf, was einen gewissen Reiz ausmacht, nicht zu wissen, was einen erwartet. Ob ich wohl den Erwartungen meines Gegenübers entspreche. 

Die Kleiderauswahl für das heutige Date hat mich eine geschlagene Stunde gekostet, um anschließend zur Erkenntnis zu gelangen, dass eine Shopping-Tour mit Nele mal wieder dringend von Nöten wäre. Der Kunde hat keinen expliziten Kleidungswunsch geäußert, weswegen ich mich letzten Endes für ein dunkelblaues Etuikleid mit beigefarbenen High Heels entschieden habe. Auf Schmuck verzichte ich heute bewusst. Zu aufdringlich, wie ich finde. Herr Hoffmann soll sich schließlich auf mich und nicht auf meine übergroßen Ohrringe konzentrieren. 

Ich sehe schon von weitem die Leuchtreklame des „Romantica“. Das Restaurant scheint ziemlich neu zu sein und erinnert mich sofort an die Toskana. Der typische Stil eines italienischen Landhauses mit weißer Fassade und grünen Fensterläden wurde hier mit hochmoderner Außenarchitektur kombiniert. 

Ich lenke meinen Audi auf den Parkplatz, dank unzähliger Geschwindigkeitsüberschreitungen gerade noch pünktlich und lasse den Blick über das Grundstück schweifen. Man kann von hier aus einen Blick auf die Terrasse hinter dem Restaurant erhaschen. Ein Wintergarten mit Zugang zur offenen Terrasse, arrangiert mit exklusiven dunkelbraunen Korbmöbeln. Eine Allee von Hanfpalmen säumt den großen Eingangsbereich. 

Ich betrete das Restaurant, um direkt hinter der Eingangstür von einem kleinen dunkelhaarigen Mann abgefangen zu werden. Seine Kleidung weist ihn als den hiesigen Kellner aus. 

»Guten Abend! Sie werden bereits erwartet! Wenn Sie mir bitte folgen würden!« 

Ich bin reichlich überrascht, dass der Kellner mich in Empfang nimmt, denke mir aber nichts dabei und folge ihm brav in das Herzstück des Ristorante. Beim Vorbeigehen schaue ich mich um und lasse die italienische Atmosphäre des Gastraumes auf mich wirken. Wer immer mich heute Abend hierher eingeladen hat, beweist gewissen Stil. 

Der Kellner, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Adriano Celentano hat, führt mich hinüber in den Wintergarten. Und dort sitzt in einen Korbstuhl gelehnt, auch schon mein Date für den heutigen Abend. Oh mein Gott! Ich erstarre. 

Mir fällt die Kinnlade herunter. Da sitzt doch tatsächlich Gabriel Bernard, grinsend und mit einer weißen Rose in der Hand. Und ich habe gerade angefangen nicht mehr an ihn zu denken.

Er steht auf und läuft zur Begrüßung um den Tisch herum. 

»Hallo schöne Rhea, ich freue mich wirklich Sie wiederzusehen!«

Ich bleibe wie angewurzelt stehen und beobachte wie der zu Fleisch gewordene Traum einer jeden Frau auf mich zukommt. Er sieht, wie schon beim letzten Mal, verdammt gut aus. Sein leicht gewelltes Haar ist etwas zerzaust und hängt ihm in vereinzelten Strähnen ins Gesicht, was ihn dadurch leicht verwegen wirken lässt. Heute trägt er ein schlichtes schmal geschnittenes hellblaues Hemd und dazu eine dunkelblaue Jeans, die sich eng an seine schmale Hüfte schmiegt. Mir fällt erst jetzt auf, dass er keinerlei Schmuck trägt. Weder Uhr, noch Kette, noch sonst irgendwas. Was er auch nicht nötig hat, denn mir läuft so schon bei seinem Anblick das Wasser im Mund zusammen. Ich stelle ihn mir in knappen Boxershorts auf meinem Bett vor. STOPP! Jetzt Filmriss, bitte!

Anstatt mir Gedanken über das Gemächt in seiner Hose zu machen, sollte ich mich doch wohl eher fragen, was ER überhaupt hier zu suchen hat. Und wo zum Teufel ist Herr Hoffmann? 

Ich schaue mich noch einmal irritiert um, ob ich vielleicht doch noch jemanden um mich herum übersehen habe, aber nichts. Wir sind völlig allein hier draußen im Wintergarten. Mit dem professionellsten Lächeln, das mein Repertoire zu bieten hat, gehe ich ihm entgegen, um ihm die Hand zu reichen. 

»Ja, die Freude ist ganz meinerseits!«, gebe ich völlig unbeeindruckt zurück, »doch ich muss Sie leider enttäuschen. Ich bin heute Abend mit jemand anderem hier verabredet.«