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In diesem besonderen Textkonvolut erleben Sie verschiedene Textgenres aus Behmanns Schaffen der letzten Jahre. Kurzzeiler wechseln sich mit Kurzgeschichten aus seinen Romanwelten Reitmayr und Reuter ab. Und auch wenn der Band aus einzelnen Texten besteht, so entsteht ein großer Bogen über das Leben und seine Widrigkeiten. Über die schönen und die schaurigen Momente, die Freude und das Leid. Eine Melange des kritischen Blickes auf unser aller Sein. Lernen Sie Behmanns Protagonisten kennen und denken Sie rhythmisch mit ihm durch seine Kurzzeiler.
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Seitenzahl: 109
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Impressum
Herausgeberin:
edition:behmann ist ein Imprint-Verlag der
medicteach GmbH
Offenbacher Straße 91
63165 Mühlheim am Main
Telefon: +49 69 175 370 42-0
medicteach.de
behmann.de
Geschäftsführung:
Jan C. Behmann
Sitz der Gesellschaft:
Frankfurt am Main
Amtsgericht Frankfurt am Main, HRB 91438
USt. ID: DE278350938
Copyright für alle Texte:
© Jan C. Behmann
Alle Rechte vorbehalten.
Juli 2023
Grafische Gestaltung und Umschlagabbildung:
Gabor Farkasch,
gaborfarkasch.de
eBook-Erstellung:
Berthold Schnitzer
bsj-creative.de
Vertrieb:
Vertrieb: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin
ISBN der gedruckten Auflage: 978-3-00-067838-7
ISBN der eBook-Auflage: 978-3-757562-55-7
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Wir wünschen Ihnen ein grandioses Leseerlebnis!
Der Inhalt der Texte entspricht teilweise literarischer Fiktion. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen oder Verhältnissen wären rein zufällig.
Jan C. Behmann
HALTESTELLEN-
PROSA
edition:behmann
Es gibt viele Journalisten,
die unglaubliche Schachtelsätze fragen,
damit jeder weiß, dass sie auch wirklich
gebildet sind. Ich bin wirklich gebildet, daher
brauche ich das nicht.
— Elizabeth T. Spira
als Gast in Willkommen Österreich (ORF) vom 09. April 2009
„Weißt du, was vor deiner Geburt war?“,
fragte Christopher mich als
wir über den Tod diskutierten.
„Nein“, antwortete ich und
dachte ernsthaft darüber nach.
„Siehst du“, sagte er,
„dann weißt du, was der Tod ist.“
Für
Christopher Bulle
Lassen Sie sich keine Vorschriften machen,
wann Sie denken.
Aber tun Sie es bitte.
Willkommen an der Haltestelle!
Liebe Leserin, lieber Leser!
Ich freue mich, dass viele von Ihnen mit meinem ersten selbstverlegten Buch Was bedeutet Leben? und der Postkartenserie Warum muss alles Wichtige, immer ausführlich sein? so viel Freude hatten und haben.
Ich mag es, Geschichten auf wenigen Seiten zu erzählen. Ich nenne das Haltestellenprosa. Man kann fast alles in epischer Länge ausführen. Ich aber liebe die Verdichtung und damit Aufladung eines Textes, bis zu einer Verkürzung, die nur noch wenige Seiten oder auch nur Zeilen bedeutet.
Begleiten Sie meine Romanfiguren Reuter und Reitmayr durch ihre gänzlich differenten Universen, lesen Sie meine meistgelesenen Essays und erleben in den Kurzzeilern wieder schöne Momente, wie Sie sie bei der Postkartenserie hatten. Das Buch ist eine Melange verschiedener Textgenres und spiegelt meine Werkgenese der letzten Jahre wieder.
So, und nun kommt unsere Bahn. Lassen Sie uns gemeinsam losfahren. Haben Sie Ihr Ticket dabei?
Herzliche Grüße
Ihr
Jan C. Behmann
Doch wenn sie wüssten
Wenn Menschen wirklich wüssten, was Leben heißt,
sie würden anders sein.
Sie hätten Angst, aber nicht um den Urlaub.
Sie würden denken und fühlen, und nicht nur arbeiten.
Sie würden die guten Momente genießen und die schlechten nicht verurteilen.
Sie würden begreifen, dass Sein Bewusstsein voraussetzt.
Sie würden viel mehr sein, was sie wären, ohne das, was sie werden ließ, was sie nie waren.
Sie wären endlich da, sie wären gütig statt taktil.
Sie wären soviel mehr als dass sie unser Alltag sein lässt.
Doch wer mehr will, muss mehr sein.
Aber mehr zu sein, heißt Mut zu haben.
Denn der Mensch kommt allein, und er geht allein.
Aber was, wenn er allein bleibt?
Die Zeit des verlorenen Seins
Wo war ich, als das Leben gut zu mir war?
Wo war ich, als ich hätte genießen können?
Wo war ich, als ich hätte nur zugreifen müssen?
Wo war ich, als das Sein sich selbst genug war?
Wo war ich, als alle diese Fragen obsolet waren?
Wo war ich nur.
Der Fluch des Gewinnens
Ach, wenn ich mal, ja wenn ich mal, sagen die Menschen und wollen nach oben.
Wollen gewinnen, aufsteigen.
Mehr als weiter, gar beyond.
Doch die Süße ist nur durch das Ferne möglich.
Denn Gewinnen heißt Erreichen.
Und Erreichen heißt abgrenzen von dem, was vorher war.
Gewinnen ist daher nur von unten schön. In den Gedanken des wäre-wenn.
Wenn wenn-dann nicht wäre, sondern ist, ist die Gemeinschaft des Aufblicks einer Einsamkeit des Habens ohne die Anderen gewichen.
Manchmal ist das das größte Hindernis des Gewinnenkönnens:
Den wahren Genuss des Erfolgs, kann man nicht teilen. Man hat ihn, aber ganz allein.
Denn die anderen, die sind.
Aber ohne einen.
Im Scheitern ganz richtig
Es gilt es zu vermeiden,
tun Sie es bloß nicht!,
sagen sie.
Sie sagen es, weil man es ihnen sagte.
Immer und immer wieder.
Vermeiden ist das Erreichen.
Doch wenn alle vermeiden,
erreichen sie nicht das zu Vermeidende
in aller Stärke?
Warum sollte nicht im Scheitern
alle Richtigkeit des Seins liegen?
Ist der Mensch nicht die Summe seiner
Fehler, aus denen dann doch in
Nuancen das Richtige in seiner kleinen
Essenz wie ein Rinnsal aus der Ebbe
entspringt?
Scheitern als das Maß aller Dinge.
Als das Gegenteil von Scham.
Der innere Strand
ESSAY Der im Kapitalismus domestizierte Bürger ist nicht resilient, wenn die Betäubungsmittel des Alltags wegfallen. Eine Entblößung des Seins
Es sei ja gar nichts mehr zu tun, sagte mir ein Freund, als der Lockdown seinen Höhepunkt erreicht hatte. Er ist damit ein Beispiel für viele. Die Menschen fühlten nach dem Wegfall des äußeren Gerüsts eine Leere, die mit innerer Anspannung einherging. Die Sinnfrage stellte sich nach kurzer Zeit. Was sollte man bloß mit der vielen Zeit anfangen, die man für sich nutzen könnte, aber die meisten verlernt haben, sie für sich zu nutzen. Der Mensch ist im Kapitalismus daran gewöhnt worden, dass Freizeit eine Mangelerscheinung ist. Nun haben die Menschen per se viel Zeit aber kaum mehr Koordinaten, was man machen könnte. Oder eben nicht. Denn Muße ist auch die Zeit, in der man mal einfach nichts macht. Aber wie ging denn das gleich nochmal?
Bringt uns ein Virus unserem Sein wieder näher?, könnte man fragen. Man kann das wohl mit Ja beantworten. Die Menschen sind im Kapitalismus zu einem dauernden Brummkreisel verkommen, der innen so leer ist, das es einen fürchten kann. Ein Buch heißt Die Paradoxie der Erfüllung (Martin Seel, Suhrkamp) und thematisiert (Hinweis: wissenschaftliches Buch, nicht als „Ratgeber“ fürs Lesen am Strand vorgesehen) das, was die Menschen grad empfinden: endlich Ruhe und doch nur Lärm im Inneren. Wenn man das bekommt, was man immer verlangte, ist nichts gleich super. Jim Carrey soll gesagt haben, jeder solle mal reich und berühmt sein, damit er/sie merke, dass es das nicht sei.
Sicher, Existenzängste plagen einige, aber wahrlich nicht alle. Viel mehr die Sorge vor der dröhnenden Erkenntnis, dass da innen eben nicht viel ist. Die Menschen denken, sie hätten Interessen, aber das ist ein Trugschluss. Sie sind zum Arbeiten und Geldausgeben erzogen worden, die Art und Weise variiert, mal mit mehr oder weniger Lametta, aber grundlegend ist es nur eins: Geld ausgeben und somit Anschlussverpflichtungen schaffen. Das Bild, in Ruhe am Strand zu sitzen, ist eine Fama. Denn das gibt es so leider nicht. Wenn, dann wird am Strand sitzen geplant. Es wird aufwendig hingefahren und ohne dass diejenigen es wirklich wahrnehmen, wird beim Hinsetzen schon das Gehen geplant. Es gibt kein rastloses Verweilen, die inneren Landschaften sind grau, betoniert und hoch. So wie die Zweckbauten in denen die Menschen arbeiten, sich in Aufzügen in Sekunden hoch- und runterschießen lassen und nicht protestieren, wie unmenschlich das sei. Sie sitzen in Transportmitteln wie Vieh und geiern auf Meilen. Sie wurden erzogen, sich selbst zu verkaufen, hinzugeben, klaglos die Reisescham auf sich zu nehmen. Urlaub ist auch nur eine Art Arbeit mit differenter werblicher Konnotation.
Die Millionenerbin Ise Bosch sagte in einer Reportage über Reichtum, ihr sei bewusst, das für sinnvolle Arbeit oft kein (oder nicht ausreichend) Geld bezahlt würde. Menschen, die sich aber für das Materielle entschieden haben, sind ebenso, wenn nicht gar mehr, in der Zwickmühle. Sie haben sich an den Kapitalismus verkauft. Der „big exit“, genug Geld zu haben und von allen Existenzsorgen befreit zu sein, erfüllt sich in aller Regel nicht. Für ein handtuchgroßes Stück Rasen in einem seelenlosen Neubaugebiet, haben sie sich in ein Konstrukt der Abhängigkeit ergeben. Irgendwann kommt dann die Erkenntnis: nun ist es auch zu spät. Der Tod wird dann zur Alltagsbefreiung.
Konsum bzw. die Beschaffung von Gegenständen ist nicht grundlegend falsch oder gefährlich. Die Frage ist nur, was man wirklich will. Oder was die Gruppe will oder diese Gruppe insinuiert, was man zu haben hat, um Teil ihrer sein zu dürfen. Ise Bosch sagt in gleicher Reportage auch, dass sie sich die Frage stellt, ob sie etwas wirklich haben will. Denn mit ihrem ererbten Vermögen kann sie sich beinahe alles leisten. Ergo aus „Kann ich das haben?“ ist bei ihr „Will ich das haben?“ geworden. Ein sehr weiser Satz, der auch funktioniert, wenn man kein ein großes Vermögen besitzt. Denn jeder Traum ist in gewissen Sequenzen der Erfüllung eine weiterhin unerfüllbare Phantasie.
Das teure neue Auto ist nach kurzer Zeit eben nicht mehr der Kick; es ist schön, aber es ist nicht dieser Balsam wie beim Erwerb. Doch zu der Erkenntnis kann nur derjenige kommen, der auf seiner jeweiligen Konsumebene sich dieses Mechanismus’ der Konsumwerbung bewusst wird. Nur dann kann man Konsum sinnvoll durchführen. Und ihn für sich begrenzen. Wenn der Bezahldienstleister anbietet „Zahlen Sie erst in 14 Tagen“, muss die innere Stimme schreien: Auf keinen Fall! Das ist etwas, was viele verdrängen: Kaufen macht nur dann Spaß, wenn man es sich wirklich leisten kann. Alles, was auf Rille oder auf die nächste Gehaltszahlung schielend gekauft ist, ist ein Risiko und macht unterbewusst doch nur Sorgen. Es gilt der Erkenntnis ins Auge zu blicken, dass man sich gewisse Dinge einfach nicht leisten kann. Und wahrscheinlich auch in diesem Leben nie. So what?, muss die innere Stimme dann sagen. Es ist egal, denn dieser (negative) Mechanismus funktioniert auf jeder Einkommensstufe. Auch der Millionär ärgert sich, dass der Nachbar an der Cote (d’Ázur) sich ein längeres Boot oder ein noch besser getuntes Auto leisten kann. Die Zufriedenheit in der aktuellen bzw. dauerhaften Ebene zu finden, ist die Kür des Lebens. Wenn die „Coaches“ in den sozialen Medien schreien „du musst es nur wollen“, „jeder kann alles schaffen“, dann ist das der neoliberale Imperativ, der indirekt sagt: du bist zu faul, schaff mal mehr, das reicht doch alles nicht. Das ist eine sehr, sehr böse Masche. Denn nicht jeder kann alles schaffen. Nein. Das wäre widernatürlich. Man kann Menschen fördern, mehr oder anderes (besser) zu schaffen, aber jeder hat seine Maximalkurve und die gilt es zu akzeptieren.
Wo aber soll man nun in seiner Existenz sein Handtuch hinlegen?, wäre die wichtige Frage, die es in jahrelanger Eigenreflektion zu beantworten gilt. Es gibt dazu keine Pauschalantwort. Sie ist changierend und wenig in Worte zu fassen, da das innere Gefühl nicht wahrhaftig in Worte zu fassen ist. Nur soviel: es muss passen. Man kann sich in einem finanzierten Reihenhaus mit Minigarten wohlfühlen. Aber das ist wahrlich kein Muss. Der Genuss einer Entscheidung oder das Aushalten der Folgen einer Entscheidung liegen in der vorangegangenen wahrhaften Freiwilligkeit der Entscheidung. Hat man sich wirklich durch seinen inneren Willen bewusst dafür entschieden? Oft ist das eben nicht der Fall, so sehr Menschen dem auch widersprechen. Es ist anzunehmen, dass keine Entscheidung gänzlich frei entschieden werden kann, ohne dass das immer in irgendeiner Art anwesende Umfeld berücksichtigt wird. Wenn das Selbst aber auch im Verzicht oder dem Konsens stabil bleibt, ist viel gewonnen. Dabei sollte man immer (das ist eigentlich anekdotisches Pflichtwissen) an die Fischer-Geschichte von Heinrich Böll, die er zum Tag der Arbeit im Jahr 1963 für den NDR schrieb, denken. Wenn man ruhig am Hafen chillen will, ist der externale Leistungs- und Erreichungsgedanke irrelevant, weil das antizipierte Zufriedenheitsgefühl sich durch Erreichung von Zielen (insbesondere der Gegenstandsbeschaffung), welche durch den Leistungsgedanken implementiert wurden, nicht einstellen wird. Wenn Sie also ruhig irgendwo rumliegen und nicht unruhig werden: Well done!
Die Frage ist und bleibt: Will ich das haben, kaufen oder sein? Und dann, dann ist es plötzlich ganz einfach.
Lesetipp Michael Bordt SJ: Die Kunst sich selbst auszuhalten
Erstveröffentlichung: 12.08.2020
Momentverlust
Die Menschen rasen
den vermeintlich
schönen Momenten
entgegen,
während sie die selbigen
in genau dem Moment
verpassen.
Reuter?
Warum sollte man einem Freund statt etwas Materiellem nicht mal etwas Prosaisches schenken? Ein Freund musste für einen emotionalen, wichtigen Termin in die Schweiz und so schrieb ich ihm eine Geschichte mit meinem Protagonisten Reuter, den Sie in diesem Buch kennenlernen werden. Über Reuter wird es in Zukunft ganze Bücher geben, seien Sie gespannt. Hier nun eine kleine Einleitung ins „Reuter-Universum“: