Handbuch - Systemische Professionalität - Bernd Schmid - E-Book

Handbuch - Systemische Professionalität E-Book

Bernd Schmid

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  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Überblick über fast 40 Jahre Entwicklung am isb (Institut für systemische Beratung isb GmbH - Systemische Professionalität). Einführung in die isb-Weise des Verstehens und Umgehens mit Professionalität, Prozessen und Entwicklungen in Organisationen sowie Fragen von Beratung und des Unternehmertums. In 12 konzentrierten, gut verständlichen Kapiteln werden Betrachtungsweisen und Konzepte zusammen mit Schaubildern, Übersichten, Illustrationen und Beispielen behandelt.

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Seitenzahl: 180

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isb GmbH - Systemische Professionalität

Institut für systemische Beratung - Wiesloch

www.isb-w.eu

isb-Handbuch

© 2021 Bernd Schmid

Herausgeber: isb-GmbH, Wiesloch

Autor: Bernd Schmid

Umschlaggestaltung: Bettina Gentner, isb-GmbH

Verlag: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN:

978-3-347-29092-1 (Paperback)

 

978-3-347-29094-5 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

isb | Handbuch -

Systemische Professionalität

Gemeinsam

Wirklichkeiten gestalten

von Bernd Schmid 2019

Dr. phil. Bernd Schmid (Jhg. 1946)

ist Gründer und Leitfigur der isb GmbH Wiesloch (seit 1984) und der Schmid Stiftung (seit 2011). Er war international tätig als Referent, Lern- und Professionskulturentwickler sowie als Unternehmer und Gründer von Initiativen und Verbänden. Seine Expertise in der Organisationsentwicklung und im Coaching stellt er heute als Mentor und Konzeptentwickler an der Schnittstelle von Profit- und Nonprofit-Unternehmertum bereit.

Schmid ist unter anderem Ehrenmitglied der Systemischen Gesellschaft und Ehrenvorsitzender im Präsidium des Deutschen Bundesverbandes Coaching. Er ist Preisträger des Eric Berne Memorial Awards 2007 der Internationalen TA-Gesellschaft ITAA, des Wissenschaftspreises 1988 der Europäischen TA-Gesellschaft EATA sowie des Life Achievement Awards 2014 der Weiterbildungsbranche. 2017 ehrte ihn die Deutsche Gesellschaft für Transaktionsanalyse DGTA für sein Lebenswerk.

Zahlreiche Essays zu persönlichen und professionellen Themen finden sich unter

www.isb-w.eu/campus/de/schrift/Blogarchiv-von-Bernd-Schmid-0000SY0812D

Weitere Veröffentlichungen zum kostenlosen Download sowie Videos stehen bereit unter www.isb-w.eu/campus/de und www.youtube.com/user/ISBlearning.

Kopieren, Nutzen und Weiterverbreiten aller über die isb-Website zugängigen Materialien ist unter Quellenangabe erlaubt und erwünscht.

Inhaltsverzeichnis

1. Gemeinsame Wirklichkeiten

1.1. Was ist Wirklichkeit?

1.2. Wirklichkeit schaffen durch Kommunikation

1.3. Kommunikation als Begegnung von Kulturen

1.4. Vier Ebenen gemeinsamer Wirklichkeit

1.5. Kommunikation als Dialog

1.6. Unterstützung von Dialogkultur

2. Rollensysteme teilen

2.1. Warum Rollen?

2.2. Rollen - Bindeglied Person und Organisation

2.3. Was sind Rollen?

2.4. Rollen und drei Welten

2.5. Persönlichkeit

2.6. Kommunikation und Beziehungen

3. Gemeinsame Verantwortung

3.1. Was ist Verantwortung?

3.2. Vier Dimensionen von Verantwortung

3.3. Verantwortung für das Ganze?

3.4. Verantwortungsdialoge

3.5. Verantwortung vermeiden

3.6. Verantwortung einfordern

4. Gemeinsame Führung

4.1. Was ist Führung?

4.2. Führungskommunikation

4.3. Führungsnetzwerk

4.4. Führung versus Management

4.5. Operative versus strategische Führung

4.6. Macht und Autorität in der Führung

4.7. Führungsstile

4.8. Entwicklung von Führungsbeziehungen

4.9. Führungskräfteentwicklung

5. Gemeinsames Verständnis von Team und Organisation

5.1. Was ist eine Organisation?

5.2. Team – eine Frage der Spezifikation

5.3. Team – eine Verantwortungs-Gemeinschaft

5.4. Team-Events gestalten

5.5. Das Team-Event Dreieck

5.6. Vertikale Teams

5.7. Aufgaben- und Beziehungsorientierung

5.8. Von der Gruppendynamik zur Teamkultur

6. Gemeinsames Verständnis von Kompetenz

6.1. Was ist Kompetenz?

6.2. Individuum und Organisation

6.3. Kompetenz des Einzelnen

6.4. Kompetenz von Systemen

6.5. Passung

6.6. Optimale Leitbild-Distanz

6.7. Reifegrade

6.8. Reife von Protagonisten

6.9. Reife von Organisationen

7. Gemeinsam Lernen

7.1. Lernen und Arbeiten

7.2. Das duale System

7.3. Paradigmenwechsel

7.4. Individuelles und organisationales Lernen

7.5. Personen qualifizieren

7.6. Systeme qualifizieren

7.7. System-Lernen

7.8. OE-Lernen

7.9. HR Lernen

7.10. Externe Anbieter

8. Gemeinsame Mindsets für OE und Coaching

8.1. Dialogische OE

8.2. isb-Perspektiven auf OE

8.2.1. Der Mensch im Mittelpunkt

8.2.2. Verknüpfung mit Kulturentwicklung

8.2.3. Prinzipien, Einstellungen und Perspektiven

8.2.4. Methoden für Kooperation und Lernen

8.3. Hologramm und Scheinwerfer-Metapher

8.4. Randschärfe und Kernprägnanz

8.5. Perspektiven und Ereignisse

8.6. Systemlösungen und fünf Perspektiven

8.7. Organisationscoaching

8.7.1. Was ist Organisationscoaching?

8.7.2. Erweiterte OC-Dienste

8.7.3. Qualität von Organisationscoaching

9. Gemeinsam Kohärenz-Krisen bewältigen

9.1. Was ist Kohärenz?

9.1. Was ist eine Krise?

9.2. Phasen von Kohärenzkrisen

9.2.1. Verborgene Desintegration

9.2.2. Offene Desintegration

9.2.3. Verborgene Integration

9.2.4. Offene Integration

9.3. Dilemma

9.3.1. Was ist ein Dilemma?

9.3.2. Logik des Dilemmas

9.3.3. Der Dilemma-Zirkel

9.3.4. Hilfreiche Einstellungen und Ansätze

9.3.5. Komplexität und Dilemma

10. Intuition und Bildsprache teilen

10.1. Die drei Schwäne

10.2. Was ist Intuition?

10.3. Was ist Bildsprache?

10.4. Mentale Bilder und berufliche Situationen

10.5. Intuition teilen

10.6. Geleitete Phantasien

10.7. Geschichten und Rituale

10.8. Träume

10.9. Die Theatermetapher

10.10. Persönlichkeit und die Theatermetapher

10.11. Organisation und die Theatermetapher

11. Wirklichkeitsstile teilen

11.1. Warum Stile?

11.2. Dialog über Stile

11.3. Selbsterfahrung zu Stilen

11.4. Feedback und Spiegelung

11.5. Milieu und Stile

11.6. Identitätsüberzeugungen

11.7. Einiges zu Persönlichkeitsstil

11.8. ICH-ES und ICH-DU Typ

11.9. Übung ICH-DU/ICH-ES Stil

11.10. Intensitäts - Verstärker und Verminderer

11.11. Extraversion versus Introversion

11.11.1. Aufmerksamkeit

11.11.2. Soziale Beweglichkeit

11.11.3. Enegiehaushalt

11.11.4. Selbstfindung

11.12. Annäherungs- und Vermeidungsstile

11.13. Details und das Gesamtbild

11.14. Bewertung von Beiträgen

11.15. Typologie von C. G. Jung

12. Kultur teilen

12.1. Warum Kultur?

12.2. Was ist Kultur?

12.3. Organisationskultur

12.4. Mentalität der Kultivierung

12.5. Kulturwandel

13. Nutzungs-Anleitung für Weiterarbeit im isb campus

Vorwort

Diese Schrift gibt einen Überblick über fast 40 Jahre Entwicklung am isb und führt in die isb-Weise des Verstehens und Umgehens mit Professionalität, Prozessen und Entwicklungen in Organisationen sowie in Fragen von Beratung und des Unternehmertums ein. Sie ist eher für solche Professionelle verfasst, die Erfahrung im Bereich von Organisationen haben, die über eine gewisse Bildung im Umgang mit Rollen, Strukturen, Projekten und Märkten verfügen, sowie Verantwortung übernehmen und Dienstleistungen erbringen.

Die ganze Komplexität der Beratungs- und Supervisionspraxis am isb-Wiesloch kann man live miterleben1. In „Gesprächs-Büchern“ finden sich Praxisbeispiele angereichert mit Diskussionen über Organisationsrollen und Dienstleistungen, über Organisationskultur und Professionalität, über Konzepte und Strategien sowie über persönliche Stile und Lernen.

Weniger Erfahrene können sich von den systemischen Ansätzen des isb faszinieren lassen und inspirierende Perspektiven für ihr weiteres Lernen erhalten. Sie vermissen jedoch vielleicht eine Schritt-für-Schritt-Anleitung und einfache Beispiele, die unsere Ideen veranschaulichen könnten.

Alle werden eine Fülle von Beschreibungen entdecken, die ihre eigene Erfahrung und ihr Denken mit Hilfe dieser Rahmungen auf den Punkt bringen.

Sie können auch überraschende Erkenntnisse gewinnen und unmittelbar auf Situationen beziehen, die sie in ihrem Bereich erleben.

So können sie sich bestätigt fühlen und schließlich ihre Art und Weise, Ideen für Change zu entwickeln, neu bewerten. Schmökern wird durch die graue Hinterlegung von Schlüsselformulierungen erleichtert.

Kurz gesagt, dieses Buch kann im Praxisfeld Organisation helfen, Standpunkte, Dienstleistungen und Kulturvorstellungen auf den Prüfstand zu stellen und weiter zu entwickeln.

Wir laden Sie ein, den einen oder anderen isb-Ansatz für den Austausch und das Lernen mit Kollegen und Kunden zu nutzen. Aufgrund der isb Open-Source-Politik sind alle Materialien frei nutzbar. Mehr als 5.000 Fachleute nutzen inzwischen das Alumni-Netzwerk isb, darunter Vertreter vieler Branchen und Unternehmensgrößen, z.B. fast aller Dax-Konzerne in Deutschland. Diese Netzwerker, unternehmensinterne (2/3) und selbstständige, externe Fachkräfte (1/3) haben in der Regel zwei Jahre lang berufsbegleitend am isb gelernt und arbeiten nun in Peergroups und an Projekten in vielen Regionen und international zusammen. Sie tauschen Erkenntnisse, praktische Vorgehensweisen, Hinweise und Stellenangebote aus. Viele von ihnen nennen das isb ihre berufliche Heimat.

Wer vertiefend mit den einzelnen Themen und Materialien arbeiten möchte, findet eine Anleitung zur Nutzung auf dem isb-Camus am Ende dieser Schrift. Wer daran interessiert ist, überhaupt isb-Ansätze zu studieren, kann gerne die isb-Website www.isb-w.eu besuchen, an Curricula teilnehmen oder Seminare und Kooperationen vor Ort selbst organisieren. Es gibt viel Material auf Deutsch und Englisch und internationale Plattformen für Dialog und gemeinsame Entwicklungen.

Bernd Schmid, Wiesloch im März 2021

Mein Dank geht an:

Anandan Geethan und Anuradha Kannan für die Zusammenarbeit bei Seminaren in Indien und für das gemeinsame Schreiben eines Vorläufers dieses Buches (Schmid, Geethan 2015) in Englisch.

Rosemary Napper, die Seminare in Oxford, UK und in den USA organisierte.

Renato Morandi, der ein Seminar und eine Coaching-Konferenz in Porto Alegre, Brasilien, organisierte und die Möglichkeit bot, Videos auf Englisch zu produzieren.

An Markus Schwemmle und seine Task Force, die die Organisation der internationalen INOC-Treffen übernommen haben.

An Albrecht Schürhoff und Hildegard Werland, die den englischen Text aus sprachlicher Perspektive durcharbeiteten.

An Dagmar Wötzel und Christian Zielke, die uns hilfreiches Feedback gaben.

An die Mitarbeiterinnen, die sich für das Projekt engagiert haben: Lisa Meggendorfer, Almuth Pühra, Judith Schmid, Laura Sobez, Ingeborg Weidner, Heidi Wetzel und Bettina Gentner.

An alle Kollegen und Kunden, die uns die Möglichkeit gegeben haben, seit fast 40 Jahren zu lernen und uns weiterzuentwickeln.

1 Schmid/Liebig: „Systemische Beratung und Supervison im Praxisfeld Organisation – Praxisbeispiele, Konzepte und Vorgehensweisen live“. Schmid/Mikoleit: „Und der Haifisch, der hat Zähne … Umgang mit Macht, Angst und persönlicher Stärke“.

Einführung

„Kultur entsteht durch Kultur und Beispiele machen Schule.“ (isb-Slogan)

Eine Organisation ist keine definierte Sache. Als was eine Organisation erscheint kann sehr verschieden sein und abhängig von gewählten Perspektiven. Der Eigentümer eines Unternehmens mag es als rechtliche und finanzielle Konstruktion sehen. Der technische Direktor kann es als Gebäude mit technischen Ausrüstungen, der Personaldirektor als Marktplatz für Qualifikationen und Leistungen und der Ausbildungsleiter als Ansammlung von Kompetenzen und Bedarfe für mehr Qualifikation sehen usw.

Das isb diskutiert Unternehmen aus vielfältigen Perspektiven, die für die Entwicklung von Professionellen und Unternehmenskultur wichtig sind, immer in Bezug auf Menschen und Leistung. Aus systemischer Perspektive kann ein Unternehmen z.B. als Netzwerk von Führungsbeziehungen oder als Verantwortungs-System betrachtet werden oder als ein System, in dem Lernen stattfindet.

Dies verdeutlicht, dass es bei "systemisch" auch um die Sichtweise der Dinge geht neben dem, dass die Organisation selbst als System definiert werden kann. Systemische Betrachtungen behandeln Vorstellungen von Realität als wirklich im Sinne von wirkend, selbst wenn sie mit faktischer Realität nur vage verknüpft sind.

Aus systemischer Sicht ist Wirklichkeit immer die des Betrachters. Wir betrachten Unternehmen als menschliche Systeme, also als Beziehungen zwischen Menschen in ihren Organisations-Rollen. Leistung und Zufriedenheit im Arbeitsleben sind Kern-Perspektiven unserer Expertise.

Damit erreichen wir verantwortliche Führungskräfte und Dienstleister, die bereit sind, ihre Arbeit und ihr Unternehmen ebenfalls aus diesen Perspektiven zu betrachten.

Unser Hauptaugenmerk bei Organisations-Entwicklung liegt auf Entwicklung durch Kultur. Kultur? Haben wir Zeit und Ressourcen für Kultur-Entwicklung? Wir sollten sie uns auf jeden Fall nehmen!

Wenn du denkst, dass Kultur teuer ist, versuche es mit Ignoranz!

Ein Bild hilft oft, uns wieder mit vernachlässigten Elementen unserer Erfahrung in Verbindung zu bringen. Abb.1

Wer schnell zur Sache will, sollte mit Kultur anfangen.

Abb. 1: Verhältnis von Ergebnis- und Kultur-Orientierung in Organisationen (Schmid 1996)

Fast jeder hat schon in einem Projekt erlebt, dass sich nach schnellem Start und schnellen Ergebnissen nach einiger Zeit Probleme auftürmen. Kultur-Orientierung wird oft zugunsten von Ergebnis-Orientierung zurückgestellt. Doch dann wird es nach und nach schwieriger und teurer, gute Ergebnisse zu erzielen, weil man versäumt hat, sich um wesentliche Grundlagen zu kümmern. Wenn man sich für schnelle Erfolge entscheidet und Kultur vernachlässigt, kann der Schnellschuss später leicht nach hinten losgehen. Wenn man sich jedoch von Anfang an auch gut um Kultur kümmert, kann die Fähigkeit, Ergebnisse zu erzielen, stetig wachsen. Je komplexer die Aufgaben eines Teams werden und je schneller sich Umstände ändern können, desto wichtiger wird eine kulturelle Grundlage des gemeinsamen Arbeitens.

Der Komplexität, mit der Menschen und Organisationen betrachtet werden können, sind keine Grenzen gesetzt. Wir erläutern in diesem Buch die Perspektiven und Ansätze, die unserer Expertise entsprechen. Dabei fühlen wir uns dafür verantwortlich, der umfassenden Verantwortung des Unternehmertums gerecht zu werden. Denn diese ist am Ende des Tages entscheidend.

1. Gemeinsame Wirklichkeiten

Warum gemeinsame Wirklichkeiten?

Eine Organisation ist eine Komposition aus vielen Wirklichkeiten. Sie wirken zusammen, erzielen Ergebnisse und schaffen berufliche Lebenskultur. Diese Wirklichkeiten können entweder gut zusammenwirken oder fragmentiert bleiben. Wenn die Wirklichkeiten nicht zusammenkommen, wird unnötig Zeit, Geld, Produktivität und menschliche Energie verbraucht. Daher ist die Gemeinsamkeit von Wirklichkeiten als Perspektive für alle Bereiche in Organisationen bedeutsam. Betrachtet man Strukturen, Prozesse, Ansätze, Modelle und Methoden, so stellt sich immer die eine dringende Frage: Tragen sie zu einer gemeinsamen Wirklichkeit bei? Gemeinsame Wirklichkeit bedeutet dabei nicht, dass sich alle über alles einig sind, denn sonst würde bereichernde Vielfalt reduziert werden. Es bedeutet schlicht, dass die Beteiligten so viel von den Wirklichkeiten der anderen verstehen, dass sie zusammenwirken können. Effektiv miteinander in Beziehung zu treten, bedeutet, sich auf die Wirklichkeit des anderen in der Art zu beziehen, dass Organisationsleben und Leistung effektiv und befriedigend sind.

1.1. Was ist Wirklichkeit?

Aus systemischer Sicht kann Wirklichkeit nur erfasst werden, wenn wir verstehen, wessen Wirklichkeit gemeint ist. Einzelpersonen und Personengruppen leben in ihrem jeweils eigenen Kosmos, mit ihrer eigenen Mischung aus Wahrnehmungsgewohnheiten, unterschiedlichen Erfahrungen in der Biographie, Interessen, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und Rollen in der Gesellschaft. Obwohl Wirklichkeit auch "harte Fakten" beinhalten kann, ist sie im Wesentlichen eine Erzählung. Und viele "harte Fakten" ergeben sich aus Vorstellungen von Wirklichkeit, die erst in der Folge zu harten Fakten wurden. Deshalb sollten grundsätzlich auch „harte Realitäten“ offen sein für Veränderungen und neuen Ideen folgen, die in einem gemeinsamen Prozess Kraft gewinnen und umgesetzt werden.

1.2. Wirklichkeit schaffen durch Kommunikation

Wirklichkeiten, die nicht miteinander geteilt werden, können die Ursache vieler Fehlfunktionen und von Unzufriedenheit sein. Deshalb müssen wir auf ein besseres Zusammenwirken hinarbeiten, wodurch immer auch eine Vergemeinschaftung von Wirklichkeit angestrebt wird. Die bloße Darstellung einer Wirklichkeitssicht als gültiger und verbindlicher Rahmen für alle ist dafür in der Regel nicht ausreichend. Es braucht mehr, um eine aktive und kreative Zusammenarbeit zu erreichen. Es bedarf der Kommunikation über Wirklichkeit mit denen, die als Mitgestalter dieser Wirklichkeit erreicht werden müssen. Deshalb hat eine Kultur der Kommunikation und Kompetenz im Dialog über Wirklichkeit als Kunst und als Verantwortung seine eigene Bedeutung. Das geht weit über die Verbesserung von Zuhören und die eigene Ausdrucksweise hinaus. Im Organisations-Feld benötigen wir Modelle und Ansätze, die in vielen Dimensionen von Rollenanforderungen und persönlichen Fragestellungen spezifische Anteilnahme befördern. Systemische Kommunikationsansätze für den Organisationsbereich, wie sie seit Jahrzehnten am isb entwickelt, praktiziert und gelehrt werden, entsprechen dieser Anforderung. Sie repräsentieren den isb-Kosmos des Verstehens von Menschen in Berufen und Organisationen sowie von „systemischer“ Unternehmens- und Kulturentwicklung.

1.3. Kommunikation als Begegnung von Kulturen

Beginnen wir mit einem Kommunikationsmodell, das sich speziell auf die Begegnung verschiedener Realitäten konzentriert. Es dient als Alternative zum traditionellen "Sender-Kanal-Empfänger-Modell" der Kommunikation (Abb. 2).

Abb. 2: Sender-Kanal-Empfänger

Das Sender-Kanal-Empfänger-Modell repräsentiert eine "kontrollierte" Perspektive auf Kommunikation, die sich an traditionelle technische Vorstellungen anlehnt. Es legt nahe, dass sich die Wirklichkeit von Sender A nach Übermittlung über den Kommunikationskanal identisch beim Empfänger B abbildet. Zwischen Menschen hieße das, dass Kommunikation auf eine kontrollierbare und vorhersagbare Weise funktioniert. Wenn sich aber die Wirklichkeit beim Empfänger nicht in der erwarteten Weise darstellt, hat jemand ein Problem. Kreative Aspekte aus dem kulturellen Hintergrund der Kommunikatoren, die beabsichtigte Wirkungen verändern können, werden dabei nicht akzeptiert. Von Menschlichen Kommunikationspartnern wird erwartet, solche kreativen Erweiterungen als „Fehlfunktion“ aus der Kommunikation herauszuhalten.

Abb. 3: Kulturbegegnungsmodell der Kommunikation (Schmid 1991)

Im Gegensatz dazu geht das Kulturbegegnungsmodell der Kommunikation (Abb. 3) davon aus, dass jeder Kommunikationspartner seine eigene Wirklichkeit hat. Seine Selbstorganisation orientiert sich an dieser Wirklichkeit. Begegnung kann bestenfalls dazu genutzt werden, um diese persönliche Wirklichkeit und Selbstorganisation weiter zu entwickeln. Dieses Modell betrachtet es als normal, dass Wirklichkeiten unterschiedlich sind und zuerst verbunden werden müssen, wenn so etwas wie eine gemeinsame Wirklichkeit entstehen soll. Die Schaffung einer gemeinsamen Wirklichkeit erfordert extra Kommunikationsaufwand und eine spezifische Kompetenz. Das Kulturbegegnungsmodell der Kommunikation gibt die Idee einer vollständigen Kontrolle von Kommunikation auf, da Wirklichkeiten und Selbstorganisationen lebender Organismen komplex sind und solche Kommunikatoren nicht einmal selbst in der Lage sind, sie vollständig zu kontrollieren. Jeder muss zugestehen, dass es Überraschungen geben wird. Ausgehend von dieser Perspektive verändert sich sowohl der Umgang mit unerwarteten Ergebnissen in der Kommunikation als auch die Art und Weise, wie wir miteinander in Kontakt treten.

1.4. Vier Ebenen gemeinsamer Wirklichkeit

Zunächst eine kurze Einführung in den systemischen Begriff der "Information", da er eine wichtige Grundlage für das Kulturbegegnungsmodell der Kommunikation ist.

Information

Aus systemischer Sicht werden Daten und Informationen als zwei verschiedene Dinge betrachtet. Daten beziehen sich auf Fakten jeglicher Art. Aber nur solche Fakten, die für jemanden einen Unterschied machen, führen zu Informationen. Hier als Beispiel: "Es regnet" ist zunächst ein Datum. Dieses Datum können wir in den Kontext des Wanderns stellen. Wenn wir an einem regnerischen Tag nicht wandern gehen, wird der Unterschied zwischen "regnen" und "nicht regnen" zur relevanten Information für das Wandern. Wenn wir auch an einem regnerischen Tag wandern, hat das Datum „Regen“ keinen Informationswert für die Entscheidung, ob wir wandern gehen oder nicht. Aber es könnte für die Frage, ob wir "einen Regenschirm mitbringen" oder "keinen Regenschirm mitbringen" sollen, einen Informationswert haben.

Damit Kommunikation erfolgreich sein kann, muss ein gemeinsamer Bezugsrahmen für das Verständnis von und die Auseinandersetzung mit den Realitäten geschaffen werden. Zu diesem Zweck unterscheiden wir vier Ebenen gemeinsamer Wirklichkeit.

Abb. 4: 4 Ebenen gemeinsamer Wirklichkeit (Schmid/Hipp 1998)

Lassen Sie uns das Beispiel vom Wandern weiterspinnen: Obwohl vorher eine Terminvereinbarung getroffen wurde, taucht B nicht auf. Als er konfrontiert wird, antwortet B: "Ich habe angenommen, dass wir bei Regen unmöglich zusammen wandern können!"

Ebene 1: Perspektiven und Daten

Beziehen sich A und B auf die gleichen Daten? Kennen sie beide die Fakten, auf die sich der andere bei dem Satz "Es regnet" bezieht? Oder würde B das sagen, wenn es bewölkt ist, während A das nur tun würde, wenn es stärker regnet?

Nehmen wir mal an, beide würden sich auf die Verwendung des Satzes einigen, wenn es auch nur ein bisschen regnet.

Ebene 2: Bedeutungen und Informationen

Geben die Teilnehmer den vorhandenen Daten die gleiche Bedeutung? Teilen A und B die gleichen Dimensionen und Gewichtungen? Oder werten sie verschieden? "Auch wenig Regen kann zu Krankheiten und nicht akzeptablen Risiken für den Einzelnen und das Vorhaben führen" vs. "Regen schafft keine Risiken, sondern höchstens akzeptable individuelle Beschwerden".

Stufe 3: Schlussfolgerungen und Interdependenzen

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Bezugsrahmen und den Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Elementen ziehen? Teilen A und B die Vorstellungen davon, mit welchen Mitteln die gewünschten Wirklichkeiten geschaffen oder verändert werden können? Oder unterscheiden sie sich in Meinungen wie "mit Regen zurecht zu kommen, ist eine Frage der Ausrüstung" oder "…eine Frage der persönlichen Fitness"?

Ebene 4: Verantwortlichkeiten und Lösungen

Teilen die Teilnehmer Ideen darüber, welche Lösungen für offene Fragen akzeptabel sein könnten? Teilen A und B Vorstellungen über ihre Verantwortung für diese Lösungen?

"Jeder ist für seine eigene Fitness sowie das Mitbringen der Ausrüstung und die Folgen bei Schwierigkeiten selbst verantwortlich" vs. "Der Gruppenleiter ist für die Vorsorge vor möglichen Gefahren, die Überprüfung der Fitness und die Bereitstellung der Ausrüstung verantwortlich. Wenn er diese für nicht ausreichend hält, muss er Teilnehmer ablehnen."

In Fällen, in denen relativ zuverlässige Vereinbarungen auf der Ebene 4 (Lösungen und Verantwortlichkeiten) getroffen werden, wird die gemeinsame Wirklichkeit auf den anderen Ebenen meist unterstellt. Aber auch verborgene Wirklichkeitsverschiedenheiten auf den Ebenen 1-3 können jederzeit zu nicht komplementären Aktionen führen. Um gemeinsame Wirklichkeit zu gewährleisten und verborgene Uneinigkeiten aufzudecken, müssten alle Ebenen der Wirklichkeits-Begegnung überprüft werden. Oft eskalieren Konflikte auf Ebene 4, weil die Überprüfung aller anderen Ebenen der Konstruktion gemeinsamer Wirklichkeit vernachlässigt wurde. Eine schrittweise Klärung auf den anderen Ebenen kann dazu beitragen, das gegenseitige Verständnis zu verbessern und in der Folge die Konflikte zu deeskalieren.

Konfrontation

Meist assoziieren wir den Begriff "Konfrontation" mit Konflikt und Streit. Aus einer neutraleren Perspektive betrachtet bezieht sich der Begriff jedoch nur auf die Begegnung verschiedener Realitäten. Konfrontation auf der Grundlage gegenseitigen Respekts kann für die beteiligten Systeme von großem Vorteil sein, da sie konstruktiv mit Unterschieden umgehen und so zu gemeinsamen Wirklichkeiten und zum Aufbau von Gemeinschaft beitragen können. Aber auch "positive" Versuche scheitern häufig, weil die kommunikative Aufgabe unterschätzt wird und die Kultur der positiven Konfrontation nicht weit genug entwickelt ist. Der Zweck einer Konfrontation ist nicht unbedingt, identische Wirklichkeiten zu etablieren, sondern die Selbstreflexion, die Dynamik und Identität der beteiligten Systeme zu stärken: "Die Begegnung mit dem Andersartigen kann deine Einzigartigkeit stärken." (Rupert Lay).

Selbstverständlich können Begegnungen auch ohne solche Modelle durchaus befriedigend sein. Kommt man nicht zusammen, kann es helfen, anhand solcher Beschreibungen über das Herstellen von gemeinsamer Wirklichkeit nachzudenken. Wenn einige schwierige Situationen in einem positiven Konfrontationsklima gelöst wurden, gibt es in der Regel positive Auswirkungen auf andere Bereiche. Da die Beteiligten dabei viel lernen, können sie dazu beitragen, diese Art von Bewusstsein zu verbreiten und anderen bei Klärungen von Kommunikation helfen.

1.5. Kommunikation als Dialog

Die von den Menschen geteilte Wirklichkeit beinhaltet viel mehr Aspekte als absichtlich berücksichtigt werden kann. Dies ist nicht nur eine Quelle von Missverständnissen, es reichert auch Wirklichkeiten um kreative und sinnvolle Dimensionen an. Um von solchem Reichtum profitieren zu können, ist es hilfreich, Kommunikation als "Dialog" zu verstehen. Dialog bedeutet "durch das Wort" oder allgemeiner "durch die Oberfläche". In der Kommunikation unter den Oberflächen werden viel mehr Aspekte von Wirklichkeit aneinandergekoppelt, als es uns bewusst ist.

Das folgende Dialogmodell der Kommunikation (Abb. 5) konzentriert sich auf das Verständnis und die gegenseitige Beeinflussung der Partner auf einer bewussten und einer unbewussten Ebene. Es basiert auf der Annahme, dass sich die Partner zunächst intuitiv gegenseitig "abtasten".

Daraufhin entscheiden sie, wie sie weiter miteinander umgehen.

Abb. 5: Dialogmodell der Kommunikation (Schmid 1998)

Die bewusste methodische Oberfläche ist der Teil der Kommunikation, den wir kontrollieren können. Sinnvolle und kreative Zusammenarbeit findet aber nur dann statt, wenn diese Oberfläche in Übereinstimmung mit dahinterliegenden Wirklichkeiten gebracht wird und diesen dient. Der bewusste methodische Modus hat eine Steuerungsfunktion im Sinne der Festlegung von Rahmenbedingungen für den Kommunikationsprozess. Aber gemeinsame Wirklichkeit in einem tieferen Sinne hängt von Begegnungen auf vielen Oberflächen und Hintergründen ab. Komplexere Aspekte von Wirklichkeit müssen erkannt, respektiert und gestaltet werden. Dazu braucht es eine Kommunikationskultur, die sensibel bereit ist, mit allem umzugehen, was unbewusste intuitive Sphären beitragen. Bedeutung wird meist auf intuitiven Ebenen erzeugt und zeigt sich eher als Gefühl denn als Gedanke oder Konzept (felt sense).

Geschulte intuitive Beurteilungen sind in beruflichen Beziehungen daher besonders wichtig, jedoch inspirieren und kontrollieren sich sowohl die methodische als auch die intuitive Ebene gegenseitig.

1.6. Unterstützung von Dialogkultur

Komplexe Prozesse können nicht nur von der Oberfläche aus gesteuert werden, da dann wesentliche Teile unbeachtet bleiben würden. Daher sollte man, wenn man sich um Steuerung bemüht, eine Haltung wie die eines Ethnologen einnehmen. Das Gespräch