Systemische Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung - Bernd Schmid - E-Book

Systemische Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung E-Book

Bernd Schmid

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Beschreibung

Der dritte Band der Handbuchreihe erweitert die systemischen Betrachtungen auf Perspektiven der Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung. Konsequent wird der systemische Ansatz vertreten, nach dem auch Organisationen lebendige Organismen sind. Hier werden zahlreiche Modelle und Vorgehensweisen beschrieben, die sich in der professionellen Praxis in vielen Bereichen unserer Gesellschaft als besonders nützlich erwiesen haben. Sie sollen in die eigene Arbeit integriert werden. Von besonderer Bedeutung ist es, an diesen Beispielen zu lernen, wie man Prozesse verstehen und steuern kann. Nachhaltig entscheidend ist, dass Professionelle ihre eigenen kreativen Fähigkeiten entwickeln und Modelle, Methoden, Haltungen und Sinn passend zur Persönlichkeit wie auch zur Organisation zusammenbringen.

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BERND SCHMID / ARNOLD MESSMER

SYSTEMISCHE PERSONAL-ORGANISATIONS- UND KULTURENTWICKLUNG

EHP – HANDBUCH SYSTEMISCHE PROFESSIONALITÄT UND BERATUNG

Hg. Bernd Schmid

Die Autoren:

Dr. phil. BERND SCHMID (Jg. 1946) leitet das INSTITUT FÜR SYSTEMISCHE BERATUNG, Wiesloch/Deutschland (seit 1984). Er studierte Wirtschaftswissenschaften und promovierte in Erziehungswissenschaften und Psychologie; seit 1979 Lehrtrainer der europäischen und der internationalen Gesellschaften für Transaktionsanalyse; langjähriger Vorsitzender des Weiterbildungs- und Prüfungsausschusses der Deutschen Gesellschaft für Transaktionsanalyse; Berufenes Mitglied der Systemischen Gesellschaft; Mitbegründer der Gesellschaft für Weiterbildung und Supervision (GWS), des NETZWERKES SYSTEMISCHE PROFESSIONALITÄT und des Deutschen Bundesverbandes Coaching e.V. - DBVC; Lehr- und Vortragstätigkeit im Bereich Psychotherapie, Coaching, Supervision, systemische Beratung sowie Organisations- und Personalentwicklung. Zahlreiche Veröffentlichungen in Schrift und Ton; Mitherausgeber der Zeitschrift Profile; gegenwärtiger Arbeitsschwerpunkt: seelische Entwicklung und berufliche Wirklichkeiten. www.systemische-professionalitaet.de

ARNOLD MESSMER (Jg. 1951) leitet seit 2002 das INSTITUT FÜR SYSTEMISCHE BERATUNG IN ZÜRICH. Nach der Ausbildung zum Volksschullehrer studierte er Anthropologische Psychologie; langjährige Tätigkeit in einem schweizerischen Detailhandelskonzern (Marketing, Führungsentwicklung und -coaching, Aufbau des Bereichs »Mobilitätsprozesse« für Konzeptentwicklung und -beratung betreffend personelle Maßnahmen in Reorganisationsprozessen). Weiterbildungen in systemischer Beratung; Master und Lehrtrainer des INSTITUTS FÜR SYSTEMISCHE BERATUNG, Wiesloch/ BRD; Veröffentlichungen in den Themengebieten Organisations- und Kulturentwicklung; gegenwärtige Arbeitsschwerpunkte: Inszenierungs- und Kooperationskompetenz von Beratern bezüglich Lern- und Beratungsprozessen; Fach-, Prozessberatung und Qualifizierung für personelle Passungs- und Mobilitätsprozesse; Corporate Coaching als Instrument der Führungs- und Führungskulturentwicklung.

Bernd Schmid / Arnold Messmer

SYSTEMISCHEPERSONAL-, ORGANISATIONS- UND KULTURENTWICKLUNG

Konzepte und Perspektiven

E H P

– 2009 –

© 2005 EHP – Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbach

www.ehp.biz

Redaktion: Ingeborg Weidner

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

2. Auflage 2009

Umschlagentwurf: Gerd Struwe

– unter Verwendung eines Bildes von Peter Schmid (1984-2001): ›o.T. III.‹ –

Satz: MarktTransparenz Uwe Giese, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

All rights reserved. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.

EPUB-ISBN 978-3-89797-524-8

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

Inhalt

Vorwort

0.

Navigationshilfe

0.1

Orientierungshilfe zu den Kapiteln

0.2

Orientierungshilfe zu Schlüsselthemen in Organisationen

0.3

Orientierungshilfe durch Strukturelemente

TEIL I

1.

Die Passung von Person und Organisation

1.1

Wie entsteht Passung?

1.2

Herausforderungen im Passungsprozess

1.3

Umgang mit Passungsproblemen

1.4

Marktprinzipien und Besitzstandmentalität

1.5

Dialogkultur bezüglich Passung

1.6

HR-Dienstleistungen im Passungsprozess

1.7

HR-Produkte und Leistungen im Passungsprozess

1.8

HR-Systeme

1.9

HR als Kulturträger

1.10

Beispiel: Kernkompetenzorientierte Besetzung der obersten Führungsebenen im Nahrungsmittelproduktionsbetrieb

2.

Auf dem Weg zu einer Verantwortungskultur

2.1

Das Verantwortungssystem

2.2

Symbiosen als wesentliche Störungen im Verantwortungssystem

2.3

Der Verantwortungsdialog

2.4

Konfrontation von Verantwortungsstörungen

2.5

Die Arbeit an einer Verantwortungskultur

2.6

(Berater-) Haltungen zur Förderung einer Verantwortungskultur

3.

Phasen der Krisenentwicklung in Organisationen

3.1

Eine Kulturperspektive von Organisationen

3.2

Entwicklungs-Phasen-Modell

3.3

Dilemma-Zirkel

3.4

Erfahrungen und Erläuterungen zu den Phasen ausSicht der Berater

4.

Fünf Perspektiven von Systemlösungen im Bereich OE/PE

4.1

Überprüfung impliziter Annahmen von Maßnahmen

4.2

Erstens: Personen- versus Systemqualifikation

4.3

Zweitens: Orientieren versus Qualifizieren

4.4

Drittens: Führen/Managen versus Bilden/Beraten

4.5

Viertens: Programm- versus Marktorientierung

4.6

Fünftens: Neue Events versus Neuinszenierung vertrauter Events

4.7

Fazit

5.

Perspektiven von Teamentwicklung

5.1

Historische Phasen der Teamentwicklung

5.2

Definition »Team«

5.3

Drei Perspektiven von Teamentwicklung

5.4

Perspektive 1: Personen und Beziehungen

5.5

Perspektive 2: Kunden, Aufgaben und Leistungen

5.6

Perspektive 3: Führung und Kooperation (horizontale

und vertikale Steuerung)

5.7

Perspektiven in der Metapher des Theaters

6.

Metaperspektiven und Arbeitsformen der Teamentwicklung

6.1

Metaperspektive 1: Fragmentarisches Arbeiten mit qualitativem Transfer

6.2

Metaperspektive 2: Unternehmerische Haltung

6.3

Metaperspektive 3: Teamentwicklung als Kulturentwicklung

6.4

Perspektiven für die Entwicklung von Arbeitsformen und Architekturen von Teamentwicklungsprozessen

7.

Dialogische Kommunikation zur Ausbalancierung von Sach- und Beziehungsorientierung

7.1

Sensible Konstruktion und fokussierte Selbstorganisation

7.2

Dialogmodell der Kommunikation

7.3

Ritualisierte und moderierte, fokussierte Dialogformen

7.4

ICH-DU- und ICH-ES-Orientierung

7.5

Kulturentwicklung durch Dialogische Kommunikation

7.6

Fazit

8.

Macht, Politik und Werte

8.1

Macht

8.2

Das Betreiben von Politik

9.

Die Theatermetapher in der Praxis

9.1

Innovationsbeschreibungen mit der Theatermetapher

9.2

Theatermetapher für die Neuentwicklung von beruflichen Situationen?

9.3

Ein Beispiel aus der Praxis: Entwicklung integrierter Personalarbeit in einem Pharmaunternehmen

9.4

Die Implementierung neuer Inszenierungen mithilfe der Theatermetapher

10.

Das Perspektiven-Ereignis-Modell zur gedanklichen Strukturierung von Innovationsprozessen

10.1

Nutzen des Perspektiven-Ereignis-Modells

10.2

Abstraktes und konkretes Denken in Organisationen

10.3

Abstrahierungs- und Konkretisierungsprozess

10.4

Sechs Schritte mithilfe des Perspektiven-Ereignis-Modells

10.5

Fazit

TEIL II

11.

Coaching als Perspektive – Vom Umgang mit Modellen im Coaching

11.1

Einleitende Bemerkungen

11.2

Coaching und der Kontext

11.3

Drei Kommunikationsmodelle

11.4

Coaching-Perspektive »Kultur«

12.

Systemisches Teamcoaching – Was ist das eigentlich?

12.1

Team: Face-to-face?

12.2

Klassisches Teamverständnis: ein Sonderfall

12.3

Definition »Team«

12.4

Designdreieck für Teamcoaching

12.5

Ein Anwendungsbeispiel

12.6

Teamcoaching als Bühne für die Gestaltung von Führung und Kooperation

12.7

Vertikale Teamentwicklung

12.8

Teamcoaching als Bühne für Passungsdialoge zwischen Mensch und Organisation

12.9

Passung im Teamcoaching

12.10

Schluss

13.

Organisationskultur und Professionskultur – Überlegungen zu Zeichen am Horizont

13.1

Was kann Kultur und Kulturentwicklung meinen?

13.2

Wofür steht Organisationskulturentwicklung?

13.3

Komplexität, Dynamik und das menschliche Maß

13.4

Entwicklungen auf dem Markt für Professionelle

13.5

Persönliche Stimmigkeit für Leistungsträger

13.6

Innovationsfallen

13.7

Wer bekommt die Besten?

13.8

Was also meint Professionskultur?

13.9

Die Kulturen begegnen sich

13.10

Kulturinfektionen

13.11

Schluss

14.

Kritische Argumente zur Ethik und zur Professionalität in Organisationen

14.1

Privater Anstand reicht nicht

14.2

Komplexität und das Dilemma der Zauberlehrlinge

14.3

Entmündigung durch Sachzwänge

14.4

Keine Zeit für schöpferische Strategien?

14.5

Spaltung der Lebenswelten

14.6

Beruhigung durch unkonventionelle Nischen

14.7

Ethik als Thema in Unternehmen

14.8

Spezielle ethische Fragen für Stabsfunktionen und Berater

14.9

Vitale Interessen und erweiterte Horizonte

14.10

Persönlichkeit und das Zusammenspiel dreier Welten

14.11

Professionen als Gegengewicht zur Eigengesetzlichkeit von Organisationen

14.12

Professionen und Positionen prägen Organisationen oft einseitig

14.13

Vermischungen von Privat- und Berufswelt

14.14

Professionelle Gruppierungen und Ethik

15.

Lifespender Value – oder: Hat die Personalarbeit den Menschen aus den Augen verloren?

15.1

Aufbruch zu neuen Horizonten?

15.2

Ethisch und ökonomisch sinnvolle Mittelwege

15.3

Missbrauch schafft Missbrauch

15.4

Ungelöste Steuerungsprobleme in der Unternehmens- entwicklung belasten persönliche Entwicklungen und die Unternehmenskultur

15.5

Auch bei Beratung ist Qualität entscheidend

15.6

Die Neubelebung klassischer Tugenden

15.7

Strategisches Management

15.8

Strategische Führung

15.9

Das Produkt der Personalarbeit ist eine effiziente und lebenswerte Arbeitswelt

15.10

Personalarbeit – Unternehmenskultur-Strategen am Werk?

15.11

Schlüsselfiguren im Personalressort – Ressourcenmanager oder/und Fachleute für Menschen in Organisationen?!

16.

Dilemmata, Ökonomie und Ökologie im Umfeld unserer Profession

17.

Möglichkeiten der Dynamisierung von Wandel in Organisationen

17.1

Die Bedeutung von Theorien der Selbstorganisation

17.2

Konsequenzen für die Konzeption von Wandel in Organisationen

17.3

Zusammenfassung

18.

Kult oder Kultur? Was geschieht im Coaching?

19.

Wissensmanagement – eine Kulturperspektive

19.1

Gedanken und Fragen von Bernd Schmid

20.

Unsere Arbeit in der Zukunft?! – Was ist zu erwarten? Was wäre zu wünschen?

20.1

Markt

20.2

Zeitperspektiven

20.3

Bildung und Beratung – Kompensation oder Fermente?

20.4

Aneignung der Verantwortung

20.5

Neue Profile im Zuschnitt von Beratung, von Identitäten und Qualifikationen

20.6

Schwerpunktverlagerungen und Entwicklungsbedarf in unseren Kundenorganisationen

20.7

Stärkung der Führungskräfte in ihrer eigenen Kompetenz und die Renaissance eines darauf ausgerichteten Bildungswesens

20.8

Neues Ineinandergreifen von Stabs- und Führungsfunktionen

20.9

Leitbilder

20.10

Weltoffenheit und Identität

ANHANG

Literatur

Veröffentlichungen Bernd Schmid

Inhalt der anderen Handbuchbände

für Irene

Vorwort

Im seit 2003 vorliegenden Band I der Handbuchreihe Systemische Professionalität und Beratung stehen die Systemische Professionalität sowie Konzepte der Persönlichkeit, der Begegnung und Beziehungen sowie Beratung und Supervision aus systemischer Sicht im Vordergrund.

Der seit 2004 vorliegende Band II ist dem Systemischen Coaching gewidmet. Konzepte und Vorgehensweisen aus dem Bereich Persönlichkeitsberatung werden anhand vielfältiger Arbeitsbeispiele erläutert.

Die Inhaltsverzeichnisse beider Bände befinden sich im Anhang dieses Buches.

Wer sich für die ausführliche Darstellung einer systemischen Teamentwicklung und die Diskussion der konkreten Vorgehensweisen und Kommunikationsfiguren interessiert, dem sei begleitend der 2004 in der Reihe EHP-Praxis erschienene Band Schmid/Fauser: Teamentwicklung aus systemischer Perspektive empfohlen.

Der hier vorliegende Band III erweitert nun die systemischen Betrachtungen auf Perspektiven der Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung. Band IV der Reihe wird die Systemische Lernkultur in Profession und Organisation zum Schwerpunkt haben.

Konsequent wird der systemische Ansatz vertreten, nach dem auch Organisationen lebendige Organismen sind, deren Prozesse zwar durch Modelle und Beschreibungen charakterisiert und mittels Methoden gesteuert werden müssen, die aber als komplexe Systeme in ihrer Eigengesetzlichkeit letztlich nicht vollständig erfasst werden können. Ich bin davon überzeugt, dass Professions- und Organisationskultur nicht nur für die Lebensqualität von Menschen, sondern auch für den Erfolg und die Zukunftsfähigkeit von Organisationen entscheidende Faktoren sind. Hierfür liefert dieser Band reichhaltiges Material.

Es werden hier viele Modelle und Vorgehensweisen beschrieben, die sich in der professionellen Praxis in vielen Bereichen unserer Gesellschaft als besonders nützlich erwiesen haben. Sie in die eigene Arbeit zu integrieren, ist der eine Gewinn. Vielleicht noch wichtiger ist, an diesen Beispielen zu lernen, wie man Prozesse verstehen und steuern kann, wie man Grundfragen immer wieder neu stellen und durch selbstentwickelte Beschreibungen und Methoden beantworten kann. Denn nachhaltig entscheidend ist, dass Professionelle ihre eigenen kreativen Fähigkeiten ent wi ckeln und Modelle, Methoden, Haltungen und Sinn passend zur Persönlichkeit wie auch zur Organisation zusammenbringen. Dann können sie Teil persönlicher Professionalität in heute vielfältigen Anforderungen und Zusammenhängen werden. Dann kann von Professionalität ein Kraftfeld ausgehen, in das andere eintreten und das Organisationskultur fördert. Das Zusammenspiel von Mensch und Organisation ist eben keine nur technisch-geschäftsmäßige Beziehung, sondern ein lebendiger sinnorientierter Dialog.

Ich danke allen MitarbeiterInnen und KollegInnen, die mitgewirkt haben, dass diese Texte entstehen konnten. Arnold Messmer hat mit mir zusammen die Kapitel 1 bis 8 und 10 verfasst; sie sind in geänderter Form als Artikel in der Zeitschrift Lernende Organisation erschienen und haben im systemischen Feld positive Resonanz gefunden. Einige Kapitel sind in Zusammenarbeit mit Joachim Hipp entstanden. Viele der Konzepte habe ich im Dialog mit den LehrtrainerInnen des Instituts verfeinert. Ihnen allen danke ich für die anregenden Diskussionen, für ihre Verlässlichkeit und Freundschaft. Für die jahrelange vertrauensvolle Zusammenarbeit gilt mein Dank Sonja Raddatz, der Herausgeberin der LO und Leiterin des ISCT, Wien.

Und wieder danke ich unserer Lektorin Ingeborg Weidner für das liebevolle Engagement bei der Bearbeitung des Manuskripts und meinem Verleger Andreas Kohlhage für Flexibilität und Aufgeschlossenheit in unserer Zusammenarbeit.

Mein ganz privater Dank gilt meiner Frau Irene und meiner Tochter Judith, die meinen Lebensweg in Liebe mit mir gehen. Das Titelbild stammt wieder von unserem Sohn Peter Schmid, den wir am 23.11.2001 im Alter von 17 Jahren der Ewigkeit überlassen mussten. Unsere Liebe und der Schmerz werden wohl für immer zu unserem Leben gehören.

Bernd Schmid

Wiesloch im Februar 2005

0. Navigationshilfe

Damit die LeserInnen entsprechend ihren Interessen den Text auch als »Handbuch« nutzen können, geben wir folgende Orientierungshilfen:

• Zusammenfassungen der Kapitel

• Auflistung von Themen von besonderem Interesse, die in den Titeln nicht direkt adressiert sind, mit Verweisen auf Kapitel mit relevanten Informationen dazu

• Strukturelemente zur schnellen Orientierung im Text

0.1 Orientierungshilfe zu den Kapiteln

1. Die Passung von Mensch und Unternehmen: Um erfolgreich agieren zu können, müssen Prozesse in Organisationen konsequent auf die Leistung gegenüber den Kunden ausgerichtet werden. Sie müssen sich auf Kernkompetenzen und Kerngeschäfte besinnen und optimal darauf bezogene und integrierte Prozesse gestalten. Dies stellt neue Anforderungen an die Anbindung und Integration der beteiligten Menschen. Der zunehmende Verlust von überschaubaren und vorgegebenen äußeren Orientierungs- und Identifikationsmöglichkeiten (z.B. als Schreiner und Vorgesetzter) stellt neue Anforderungen an die Mitarbeiter, sich positionieren, sich selbst wahrnehmen, reflektieren und definieren zu können. Es sind neue Formen notwendig, den Abstimmungsprozess zwischen Person und Organisation zu gestalten.

2. Auf dem Weg zu einer Verantwortungskultur: Die zunehmenden Anforderungen an die Ausrichtung und das Zusammenspiel von Prozessen erfordern heute eine wesentlich intensivere wechselseitige Abstimmung zwischen den handelnden Personen und der Organisation. Die Qualität dieses Zusammenwirkens kann dabei immer weniger allein strukturell durch Zuständigkeiten definiert werden, sondern muss situativ immer wieder neu hergestellt werden. Die dafür notwendigen Klärungen können Verantwortungsdialog genannt werden und finden in einem Verantwortungssystem statt.

3. Phasen der Krisenentwicklung in Organisationen: Stabile Entwicklungen von Organisationen zeichnen sich durch Gefügtheit (Integration) und Stimmigkeit der Prozesse (Integrität) aus. In krisenhaften Situationen verändern sich Integration und Integrität typischerweise in einem Verlauf, in dem wir vier Phasen unterscheiden können. Das Modell dient Managementverantwortlichen, Fachleuten aus dem Bereich Humanressourcen sowie internen und externen Beratern dazu, die Situation einschätzen und eigene Beiträge zum konstruktiven Bewältigen dieser Prozesse überprüfen zu können. Es gibt Antworten auf die Frage, welche Dienstleistungen in den verschiedenen Phasen anschlussfähig sind und hilft, sich vor unnötigem Verschleiß zu schützen.

4. Fünf Perspektiven von Systemlösungen: Mit diesem Reflexionsmodell können angedachte Konfigurationen von Maßnahmen und Vorgehensweisen im Sinne stimmiger Systemlösungen überprüft werden. Unter Systemlösungen verstehen wir eine strukturierte Vorstellung davon, was alles in einer Organisation zusammenkommen muss, damit eine Innovation gelingt, d.h. in den Regelvollzug einer Organisation integriert werden kann. Gerade angesichts der wachsenden und faszinierenden Vielfalt von Methoden und Architekturvorstellungen im Zusammenhang mit Innovations- und Veränderungsprozessen erscheint es nützlich, diese mittels ein paar einfacher Prinzipien zu überprüfen.

5. Perspektiven von Teamentwicklung: Teamentwicklung genießt als Beratungsprodukt und zunehmend auch in der Führungsarbeit hohe Aufmerksamkeit. Dieses Perspektivenmodell eignet sich dazu, traditionelle Vorstellungen von Teamentwicklung zu überprüfen und Teams als Systeme resp. Teilsysteme in ihren unterschiedlichen Dimensionen zu verstehen und in der Praxis Entwicklungsprozesse zu steuern. Dabei sind Fragen zu wechselseitigen Rollen und Verantwortungen von Vorgesetzten, Teams und Beratern von wesentlicher Bedeutung.

6. Metaperspektiven und Arbeitsformen der Teamentwicklung: Die Metaperspektiven dienen dazu, Design und Architektur von Teamentwicklung so zu gestalten, dass nicht nur die aktuelle Leistung, sondern die Leistungsfähigkeit des Teams entwickelt und optimiert wird. Die Überlegungen zu den Arbeitsformen befassen sich mit der Maßnahmenund Ressourcenökonomie und dem Zusammenwirken von Vorgesetzten und Beratern.

7. Dialogische Kommunikation zur Ausbalancierung von Sach- und Beziehungsorientierung: Bei der Gestaltung von Innovationsprozessen in Organisationen besteht ein zentrales Spannungsfeld zwischen absichtsvoller Konstruktion (Strukturen, Prozesse, Systeme, etc.) und oft hintergründig wirksamen Kräften der Selbstorganisation. Die Kunst besteht darin, diese Kräfte auszubalancieren und zu integrieren. Kulturentwicklung spielt dabei eine zentrale Rolle. Unterschiedliche Qualitäten dialogischer Kommunikation leisten wertvolle Beiträge zur Ausbalancierung von Sach- und Beziehungsorientierung.

8. Macht und Politik in Unternehmen: Mit Macht und Politik verbinden viele Menschen Prozesse und Verhaltensweisen, die sie als anrüchig empfinden. Damit meinen sie jedoch Entartungen bezüglich dieser Begrifflichkeiten und übersehen, dass intelligente und verantwortungsvolle Formen der Gestaltung dieser Wirkungsdimensionen für die Vitalität einer Organisation von eminenter Bedeutung sind. Hier geht es zwar auch darum, Wirkungen von verfehltem Umgang mit Macht und Politik in Unternehmen zu beschreiben, jedoch vor allem darum, Perspektiven und Möglichkeiten verantwortungsvoller Macht- und Politikprozesse darzustellen.

9. Die Theatermetapher in der Praxis: Für erfolgreiche Innovationsprozesse müssen vielfältige Zusammenhänge verstanden und gestaltet werden. Die Theatermetapher hilft, Übersicht zu bewahren, die Komplexität angemessen zu reduzieren und situativ die relevanten Zusammenhänge zu verstehen. Die Theatermetapher wird mit ihren Elementen, Anwendungsmöglichkeiten und Nutzenpotenzialen dargestellt und an einem Beispiel deutlich gemacht.

10. Perspektiven-Ereignis-Modell (PEM): Wenn bei Innovationsvorhaben Perspektiven nicht genügend herausgearbeitet werden, sondern eher schnell Maßnahmen ergriffen werden, lassen diese oft entscheidende Systemzusammenhänge unbeachtet und die Maßnahmen verpuffen oder belasten die Organisation zusätzlich. Das PEM unterstützt darin, grundlegende rollen- und personenbezogene Perspektiven herauszuarbeiten und in stimmige Inszenierungen auf der Maßnahmenund Prozessebene zu integrieren. Das hier dargestellte vertikale und horizontale Denken stellt aus Sicht des ISB eine Schlüsselkompetenz für die erfolgreiche Selbst- und Interventionssteuerung von Innovationsprozessen in Organisationen dar. Wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung sollte das PEM eigentlich an den Anfang gestellt werden. Doch können erfahrungsgemäß manchem diese Ausführungen zunächst zu abstrakt erscheinen. Wen das nicht schreckt, dem sei frei nach Poppers Motto »Es ist nichts so praktisch wie eine gute Theorie!« dieses Kapitel vorab empfohlen.

11. Coaching als Perspektive – Vom Umgang mit Modellen im Coaching: Wer sich als Coach über bestimmte Modelle, Methoden oder gar Settings definiert, legt sich unnötig auf Arbeitsformen fest, die oft nur wenig passen. Letztlich meint Coaching den Umgang mit Arbeits- und Lebensvollzügen von Menschen im Beruf und in Organisationen. Dieses perspektivische Verständnis gibt dem Coach Identität und lässt ihm gleichzeitig Freiheiten in den Rollen und Arbeitsformen. Exemplarisch werden einige der wichtigsten Coachingperspektiven beschrieben. Dazu passend sollten nicht nur die Vorgehensweisen im Coaching, sondern auch die dabei verwendeten Konzepte und Modelle konstruiert sein.

12. Systemisches Teamcoaching – Was ist das eigentlich? Teamcoaching ist eine Beratung von Teams, bei der Coachingperspektiven im Vordergrund stehen. Diese Definition erfordert eine nähere Beschreibung dessen, was mit Team gemeint ist. Hierbei zeigt sich, dass das klassische Verständnis von Team eigentlich ein Sonderfall ist. Allgemeiner ist unter Team eine Gruppe von Menschen zu verstehen, die durch gemeinsame Leistungsanforderungen und Verantwortungen zueinander in Beziehung stehen. Was Teamcoaching jeweils sein kann, muss unter Klärung mehrerer Perspektiven situativ bestimmt werden. Zur Orientierung wird als eine Art Kompass ein Designdreieck für Teamcoaching vorgestellt und an Beispielen erläutert. Solche Klärungen im Vorfeld und unterwegs können entscheidend für Design, Aufwand und Erfolg von Teamcoaching sein.

13. Organisationskultur und Professionskultur – Überlegungen zu Zeichen am Horizont: Mit den Begriffen Organisationskultur und Professionskultur sucht man nach Antworten auf wesentliche Fragen der Leistungs- und Lebenskultur in Organisationen und im Beruf. Kultur kann man nicht separat entwickeln. Kultur durchdringt und kristallisiert alle Vorgänge in einer Organisation. Mit diesem Begriff holt man wie mit einem Suchscheinwerfer neue Perspektiven auf das Bedürfnis nach Überschaubarkeit, nach Orientierung, nach Sinn und Identität ins Blickfeld.

Dezentrale Leistungserbringung und Entwicklung brauchen mehr und intelligentere Standardisierungen, brauchen mehr und intelligentere Führung, wenn nicht babylonische Verwirrung die Folge sein soll. Dies ist heute nicht mehr durchorganisierbar, sondern muss durch dezentrale Selbststeuerung geleistet werden. Neben sinnvollen ökonomischen Vorgaben ist Kulturentwicklung entscheidend für Cooperate Identity, Orientierung und Koordination.

14. Kritische Argumente zur Ethik und zur Professionalität in Organisationen: Die persönliche Bereitschaft Einzelner, anständig zu handeln, reicht für das Erfassen zentraler Fragen der Ethik in größeren Organisationen nicht aus. Die Komplexität des heutigen Wirtschaftens und der heutigen Großorganisationen ist längst über ein für das private Gemüt fassbares Maß hinausgewachsen. Positionsinhaber in Organisationen verlieren sich leicht in scheinbaren Sachzwängen. Sie funktionieren und erledigen das Tagesgeschäft. Sie orientieren sich eher am Mainstream als an gesellschaftlicher Verantwortung oder eigenen Werten. Dies höhlt bei aller Positionsmacht ihre Würde und Glaubwürdigkeit aus. Dennoch bleibt das Erlangen von Würde eine der mächtigsten Motivationen. Wenn doch nur Wege erkennbar wären, Würde und Ökonomie zu vereinbaren! Die Erweiterung der Zusammenhänge ermöglicht es, ethisch Richtiges mit Argumenten der Vernunft und der langfristigen Ökonomie zu begründen und verbessert damit die Chance, bei wirtschaftlich denkenden Menschen Beachtung zu finden.

15. Lifespender Value – oder: Hat die Personalarbeit den Menschen aus den Augen verloren? Vielerorts scheint Personalarbeit noch kaum aus dem Schatten reiner Personalverwaltung herausgetreten zu sein. Dass der Versuch, Rentabilitätsprobleme vorrangig durch Personalabbau und Mehrbelastung der verbleibenden Mitarbeiter lösen zu wollen – gesellschaftlich gesehen – eine Milchmädchenrechnung ist, kann denkenden Mitmenschen kaum verborgen bleiben. Fraglich ist, ob die zuständigen Fachleute und Führungskräfte auf die neuen Anforderungen im Umgang mit den Menschen in ihren Organisationen vorbereitet sind. Sind sie überhaupt ernsthaft motiviert, Leistungsorientierung, Strategieorientierung und Menschenorientierung wertschöpfend zu kombinieren? Möglicherweise wird die Attraktivität von Organisationen und damit ihr Zukunftspotenzial zunehmend davon abhängen. Professionelle bewerten die eingesetzte Lebenskraft und den Nutzen des Engagements bei der Arbeit für die eigene Selbstverwirklichung neu und lassen sich dies nur bedingt durch Ein- und Fortkommen abkaufen. Die durch die Art des Wirtschaftens geschaffene Lebensqualität der Leistungsträger wird zum eigenen Wert.

16. Dilemmata, Ökonomie und Ökologie im Umfeld unserer Profession: Menschen werden überall als ein Hauptmittel der Kosteneinsparung entlassen. Doch was für das einzelne Unternehmen unter Kostengesichtspunkten notwendig scheint, zeichnet sich unter volkswirtschaftlichen wie unter politischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten als dramatische Fehlentwicklung ab. Dabei könnte Wohlstand doch meinen: ein Stand, in dem uns und unseren Familien wohl ist und der zum Wohl anderer beiträgt, in dem Arbeit kompetent, maßvoll und familienfreundlich gestaltet werden kann. Um in dieser Richtung voranzukommen, müssen viele Vorstellungen und Gewohnheiten auf den Prüfstand gebracht werden. Berater sind hier allerdings nicht unbedingt ökologische Vorbilder. Viele ihrer Mentalitäten und Kulturvorstellungen können durchaus als geistiger Müll schwer zu entsorgen sein.

17. Möglichkeiten der Dynamisierung von Wandel in Organisationen: Die Beziehung zwischen Umweltveränderung und Systemveränderung ist schwer zu fassen. Wesentlich ist die Nichtlinearität des Zusammenhangs. Je nach Systemzustand können große Umgebungsveränderungen überhaupt nichts bewirken, während andererseits minimale Einflüsse große Veränderungen auslösen können. Das System kippt an kritischen Punkten spontan von Ordnung in Unordnung oder umgekehrt, bzw. aus einer Ordnung in eine andere.

Kritische Instabilitäten und damit die Suche nach neuen Ordnungen werden etwa durch Veränderungen der Marktlage, Umstrukturierungen oder personelle Entscheidungen provoziert. Faktoren, die geeignet sind, kritische Instabilitäten zu erzeugen, sind Treibsätze für Veränderung.

18. Kult oder Kultur? Was geschieht im Coaching? Qualitätssicherung im Coaching ist wichtig, sonst werden der Beliebigkeit und der Scharlatanerie Tür und Tor geöffnet. Doch dürfen Zielorientierung und die Kontrollierbarkeit der Prozesse vorrangige Gütekriterien für Coaching werden?

Lernen findet meist vielschichtig und nur begrenzt überprüfbar statt, wie zwei sehr »unordentliche Erfahrungen« im Zusammenhang mit einem Lehrseminar bei dem legendären Hypnotherapeuten Milton Erickson belegen. Das entscheidende Lernen scheint oft eher am Rande der offiziellen Ereignisse, oft zu einem ganz anderen Zeitpunkt, anhand eines anderen Themas und an einem anderen Ort als geplant stattzufinden. Eine paradoxe Situation: Man muss Lernen ordentlich und kontrollierbar organisieren und gleichzeitig davon ausgehen, dass das Wesentliche nicht direkt geplant oder methodisch angegangen werden kann. Wie können wir dabei beliebige Kulte von sinnvoller Lernkultur unterscheiden?

19. Wissensmanagement – eine Kulturperspektive: Näher betrachtet gibt es kaum Bereiche von Organisationen, in denen (Selbst-) Steuerung nicht mit Wissen und dem Umgang damit zu tun hat. Wissensmanagement ist insofern weniger eine eigene Disziplin als eine Perspektive, aus der auf Arbeits- und Kommunikationsprozesse, Führungsbeziehungen, Identitätsfragen, Lernen, etc. geblickt werden kann. Diese Perspektive darf kein Eigenleben führen, sondern muss mit anderen Perspektiven sinnvoll verknüpft und in Vorstellungen von Organisationskultur eingebunden werden.

Als Anregung zu einem kulturorientierten Verständnis von Wissensmanagement werden einige Beispiele, Fragen und praktische Ideen vorgetragen.

20. Unsere Arbeit in der Zukunft?! – Was ist zu erwarten? Was wäre zu wünschen? Die Beraterbranche hat inflationäre Entwicklungen genommen und mancherorts ist die heiße Luft schon mit einer Verpuffung entwichen. Ähnlichkeiten zum Neuen Markt sind durchaus gegeben. Die Modewellen aus Innovationsideen und Beratungsprodukten überschlagen sich und gleichzeitig scheint vieles zu träge und nicht reformierbar. Allerdings finden gesellschaftliche Entwicklungen oft nicht in dem Zeitrahmen statt, der dem Erwartungsbogen von Individuen entspricht.

In diesem Beitrag wird zunächst auf Prognosen von vor zehn Jahren Bezug genommen. Seither hat sich nicht fürchterlich viel erledigt, so dass das meiste weiterhin zu Recht auf der To-expect-Liste und auf der To-do-Liste verbleiben kann. Dennoch ist aus heutiger Sicht vieles deutlicher geworden und daher gibt es auch einiges zu ergänzen. Es hat auch etwas Beruhigendes, dass eine Rückbesinnung auf klassische Tugenden und menschliches Maß vermutlich entscheidend ist.

0.2 Orientierungshilfe zu Schlüsselthemen in Organisationen

Abb. 1: Schlüsselthemen in Organisationen

0.3 Orientierungshilfe durch Strukturelemente

Folgende Strukturelement unterstützen die schnelle Orientierung:

Definitionen sind durch Unterlegung hervorgehoben

Beispiele zur Konkretisierung von Zusammenhängen und Anwendung sind kursiv gedruckt

Verdeutlichung eines Sachverhaltes durch Darstellungen in der Theatermetapher

Verweise auf verwandte Kapitel und Publikationen

TEIL I

1. Die Passung von Person und Organisation

In den Organisationen steigt der Anforderungsdruck enorm. Um erfolgreich agieren zu können, müssen die Prozesse konsequent auf die Leistung gegenüber den Kunden ausgerichtet werden. Damit sind Organisationen auch gefordert, von eher beschaulichen oder wildwüchsig aktivistischen Arbeits- und Funktionsteilungen Abschied zu nehmen. Sie müssen sich auf Kernkompetenzen und Kerngeschäfte besinnen und optimal darauf bezogene und integrierte Prozesse gestalten. Dies stellt neue Anforderungen an die Anbindung und Integration der beteiligten Menschen.

Aus Sicht der Personen steigen einerseits die Anzahl der Möglichkeiten, andererseits der Druck, sich optimal zu positionieren und anzupassen. Mit neuen Wahlmöglichkeiten und Freiheiten sind erhebliche Verunsicherungen verbunden.

Die funktional-arbeitsteiligen Organisationen lösen sich zunehmend auf. Dies führt zu einem Verlust an überschaubaren und vorgegebenen äußeren Orientierungs- und Identifikationsmöglichkeiten (z.B. als Schreiner und Vorgesetzter). Mit neuen Möglichkeiten sind neue Anforderungen daran gestellt, sich selbst wahrnehmen, reflektieren und definieren zu können.

Der Frage, wie zwischen Personen und Organisationen optimale Passung hergestellt und laufend gepflegt werden kann, kommt in Zukunft zentrale Bedeutung zu. Es braucht neue Formen, diesen Abstimmungsprozess zu gestalten.

Parallel zu den Darstellungen soll ein für jeden nachvollziehbares Beispiel aus dem Milieu eines Familienunternehmens entwickelt werden.

Die Fa. Adrett ist eine Änderungsschneiderei mit Reinigung. In diesem Familienunternehmen sind Betrieb und Haushalt eng miteinander verflochten. Die Mitarbeiter essen täglich gemeinsam mit der Familie. Frau Flink ist als Putzfrau tätig gewesen. Die junge Frau hatte sich aus einem landwirtschaftlichen Betrieb in der Verwandtschaft, wo sie ohne Bezahlung und ohne geklärten Status mitarbeiten musste, durch die Tätigkeit bei der Fa. Adrett herauslösen können. Geputzt werden musste im Betrieb täglich nach Feierabend und tagsüber im Haushalt. Die Frau des Meisters versorgte den Haushalt und kochte mittags für die Familie und sechs Mitarbeiter. Wegen eines Leidens muss sie sich jedoch zunehmend auf das Kochen beschränken und Frau Flink als Haushaltshilfe nutzen. Dieser liegt Haushaltstätigkeit und sie hört es gerne, wenn sie »Haushälterin« genannt wird. Obwohl sie nach Bedarf und Stunden bezahlt wird, ermöglicht ihr das relativ stabile Einkommen, ein selbständiges Leben zu führen.

Kernkompetenzen von Organisationen: Zentrale Fähigkeiten einer Organisation, die aus ihrer Geschäfts- und Markterfahrung, aus der gewachsenen Kultur, ihren Mitarbeitern und verfügbaren Infrastrukturen abgeleitet werden können.

Kerngeschäfte: Geschäftsfelder und Geschäftstätigkeiten, die das wirtschaftliche Überleben entlang entsprechender Entwicklungen sichern. Verständlicherweise sind die Kerngeschäfte mit den Kernkompetenzen meist eng verknüpft.

Kernprozesse: Auf Kerngeschäfte ausgerichtete Prozesse der Leistungserstellung und -entwicklung.

Funktion: Mit Funktion bezeichnen wir ein Bündel von Verantwortungen und Tätigkeiten, die aus den Prozessen der Organisation heraus definiert sind. Zur Funktion eines Menschen in einer Organisation gehören bestimmte Kern- und Nebentätigkeiten.

Kerntätigkeiten von Personen: Tätigkeiten einer Person, die in der Organisation am meisten abgerufen werden bzw. deren Vernachlässigung am meisten fehlen und die Erfüllung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag infrage stellen würde. (Würde diese Person diese Tätigkeiten resp. Leistungen als Dienstleister verkaufen, könnte man auch von »Kerngeschäften« dieses Dienstleisters sprechen.)

Kernkompetenzen von Personen: Kompetenzen, die sich aus Eigenarten, Neigungen, besonderem Können und der persönlichen Entwicklung eines Individuums heraus entfalten.

1.1 Wie entsteht Passung?

Gegenstand der Passung ist die Funktion oder Aufgabe (einer Person) im Spannungsfeld zwischen der Organisation (und ihren Kernprozessen) und der Persönlichkeit (und ihren Kernkompetenzen).

Wir verstehen unter optimaler Passung, dass eine Funktion so gestaltet ist, dass sie optimal den Kernprozessen und damit dem Kerngeschäft dient und gleichzeitig darin die Kernkompetenzen der Person wirkungsvoll zum Tragen kommen können.

1.1.1 Dynamisches Passungssystem

Funktionen werden in Stellenbeschreibungen häufig detailliert beschrieben. Heutzutage sind Funktionen jedoch zunehmend dynamische Bündel von Tätigkeiten in unterschiedlichen Rollen und Zusammenhängen, die laufend sich verändernden Prozessen angepasst werden müssen. Unterschiedliche Kräfte müssen dabei ausbalanciert werden, damit ein (wenn auch labiles) Gleichgewicht gehalten werden kann. Alle beteiligten Faktoren und deren Zusammenspiel können sich ändern und Anpassungen erforderlich machen. Zum Beispiel kann die Kernkompetenz »Lust zum radikalen Infragestellen gegenwärtiger Vorgehensweisen« in einer Aufbruchsphase hilfreich und in einer späteren Konsolidierungsphase eher störend sein. Auch können Mitarbeiter in bestimmten Teams, unter bestimmten Vorgesetzten oder bei einem bestimmten Arbeitsrhythmus ihre Kompetenzen entfalten und unter anderen Konstellationen weniger.

Abb. 2: Der Passungssystemkreis

Der in Abb. 2 dargestellte Passungssystemkreis der Funktion macht deutlich, dass im Alltag

• das Verhalten (gesteuert durch Neigungen),

• die Rollen in den Prozessen,

• das Zusammenspiel mit den relevanten Partnern in Teams und dem Umfeld

• und die Führungsbeziehung

abgestimmt und ausbalanciert werden müssen. Dabei sollte der Vorgesetzte die Rolle des Regisseurs spielen, der für die Ausrichtung und Schlüssigkeit des Ganzen verantwortlich ist.

5.6.3 Drei Teilprozesse von Führung

Aber auch die Funktionsinhaber selbst und andere Betroffene haben Verantwortung für kompetente Passung. Diese Darstellung macht deutlich, dass sowohl in einer ersten Evaluation anlässlich von Besetzungsprozessen wie in der laufenden Pflege der Besetzung ein komplexes System ausgerichtet und stabilisiert werden muss.

1.1.2 Anforderungen der Organisation und ihrer Kernprozesse

Aus Sicht der Organisation geht es darum, Funktionen so zu definieren und durch Personen zu besetzten, dass Kern- und Nebenprozesse optimal gestaltet werden können. Damit Personen einen optimalen Beitrag zu den Prozessen einer Organisation leisten können, müssen sie verstehen,

• welches das Kerngeschäft der Organisation ist und welche Kernprozesse dieses leisten soll,

• in welchen Prozessen sie selbst tätig sind, und wie diese Prozesse mit den Kernprozessen zusammenspielen,

• welche Funktion sie in ihren eigenen Prozessen einnehmen und wie diese Funktion mit anderen Funktionen zusammenspielt.

5.5 Perspektive 2: Kunden, Aufgaben und Leistungen

Die Fa. Adrett, ursprünglich eine bekannte Schneiderei, hatte sich nach den Verschiebungen auf dem Textilmarkt auf Änderungen spezialisiert,ihre Dienstleistungen um hochwertige Reinigung ergänzt und so einen anspruchsvolleren Kundenstamm gewinnen können. Kernprozesse sind dementsprechend das Umschneidern, Nähen und Bügeln von Textilien sowie einzelne Handreinigungen vor und nach maschineller Reinigung, die außer Haus von einer Schnellreinigung gemacht wird. Frau Flink ist klar, dass der Betrieb mit den Reinigungen und der Änderungsschneiderei Geld verdient. Sie ist eher in Nebenprozessen tätig. Ihre Kerntätigkeiten Putzen und Haushalt müssen sich anpassen und zurückstehen, wenn es einmal ungewöhnliche Belastungen in den Kernprozessen gibt.

1.1.3 Anforderungen an Personen und ihre Kernkompetenzen

Aus Sicht der Personen stellen sich Fragen nach den eigenen Kernkompetenzen und nach entsprechenden Kerntätigkeiten, nach Funktionen und Rollen, in denen sie optimal Wirkung erzeugen und gewürdigt werden können. Personen beziehen neben dem Einkommen auch Identität und Befriedigung aus der Ausübung ihrer Funktion. Damit Personen in ihren Aufgaben zu hoher Form auflaufen, ist es wichtig, dass ihre Aufgabe/ Funktion gut mit ihren inneren Bildern betreffend der eigenen Identität übereinstimmt und ihre Kernkompetenzen zum erforderlichen unternehmerischen Flair passen.

Kandidaten für oder Inhaber von bestimmten Funktionen müssen deshalb wissen,

• worin ihre Kernkompetenzen (Werte, Neigungen, Qualitäten) bestehen und

• in welchen Rollen, Kontexten und Leistungsbedingungen diese zum Tragen kommen.

Damit die Organisation Funktionen optimal besetzten kann, muss der unternehmerische Verantwortliche von den beteiligten Personen wissen, ob deren Werte, Identitätsvorstellungen, Qualitäten und Neigungen zur Verantwortung und zu den Kerntätigkeiten passen.

Frau Flink hat die Funktion, sowohl im Betrieb wie im Haushalt die Betriebsfähigkeit immer wieder herstellen zu helfen. Wäre sie kräftemäßig eingeschränkt, hätte der Betrieb Vorrang. Sie hat alle einfachen Tätigkeiten im Haushalt gelernt und konnte sich besonders gut an wechselnde Erfordernisse und Aufträge anpassen. Durch ihre Verfügbarkeit und dadurch, dass ihr keine Arbeit zu viel und sie sich für keine Arbeit zu gut war, nährte sie ihr berufliches Selbstwertgefühl. Eigenorganisierte und -verantwortete Tätigkeit traute sie sich weniger zu. Ihre Kerntätigkeiten waren Putzen und Hilfstätigkeiten auf Anweisung der Chefin (Frau des Meisters).

1.1.3.1 Kernkompetenzen

Jeder Mensch ist einzigartig. Diese Eigenart impliziert Neigungen, welche in bestimmten Fähigkeiten zum Ausdruck kommen und nutzbar gemacht werden können. Die zunehmenden Anforderungen lassen es ratsam erscheinen, diese Eigenart sowohl als Ressource zu nutzen als auch als wenig zu beeinflussende Rahmenbedingung in Betracht ziehen zu lernen. Konstruktivisten gehen davon aus, dass jedes lebendige System – und damit jeder Mensch – ein in sich geschlossenes System ist, welches auf »Überleben, Entwicklung und Vermehrung der Eigenart« ausgerichtet ist. Der jeder Persönlichkeit inhärente Drive kann als schöpferische und unternehmerische Kraft verstanden und als Quelle hervorragender Kompetenzpotenziale betrachtet werden. Auch diese Potenziale gehören zu den Kernkompetenzen. Sie sind der Ausdruck eines bestimmten inneren Zugangs zur Wirklichkeit, der sich in bestimmten individuellen und tief verwurzelten Werten, Begabungen, »Berufungen«, Interessen und Verhaltensneigungen äußert. Dieser Drive ist in Entwicklung begriffen. Man kann ihn nicht ohne Nachteile unter Kontrolle bringen oder in beliebige Richtungen lenken, sondern sollte ihm respektvoll wie einem nur unvollkommen bekanntem Naturereignis begegnen. Diese gestaltende Kraft und Kompetenz wirkt in allem, was Menschen tun, entweder in stimmiger und konstruktiver, oder aber in verstrickter und destruktiver Form. Wichtig für Passungsüberlegungen ist es deshalb, die Kernkompetenzen der Beteiligten zu kennen und vor allem zu wissen, unter welchen Rahmenbedingungen sie zum Tragen kommen und unter welchen nicht. Wenn Mitarbeiter scheitern, geschieht dies oft nicht, weil sie zu wenig können, sondern weil sie sich in Situationen befinden, in denen sie ihre Kernkompetenzen nicht genügend nutzbar machen können.

1.1.3.2 Identität und Motivation

Jeder noch seelisch lebendige Mensch will in ein Bild von sich selbst hineinwachsen, in dem er sich gefällt und das bisher noch nicht gelebte Züge der eigenen Persönlichkeit zum Ausdruck bringt. Das Gefühl, dies in einer Umgebung, durch eine Tätigkeit oder in einer Beziehung zu können, wird als eine der mächtigsten Motivationen engagierter Bindung erzeugt. So betrachtet liegt in jeder Kontextwahl, in jeder Handlung und in jeder Beziehungsgestaltung eine Aussage, als wen man sich sieht, wie man sich sehen möchte bzw. befürchtet, gesehen zu werden. Für dieses Verlangen nach Eigenart und Geltung sucht man positive Bestätigung, die in der Wirkung der Handlung oder in den Reaktionen der Umwelt gesucht wird. Wird der Selbstentwurf nicht bestärkt, wird er verworfen oder missbilligt, wird eine Sehnsucht frustriert und ein gesuchter Selbstwert infrage gestellt. Hier kann man mit Motivations-, Beziehungs- und Bindungsproblemen rechnen.

Bei der Betrachtung von Kernkompetenzen ist also auch zu berücksichtigen, ob diese (noch) zu einer bejahten Identität gehören. Vielleicht gehören sie zu einer beseelenden Identität, die erst am Horizont aufgeht. Nach Identität fragt man meist: Wer bin ich? Und meint damit eine Funktions- oder Tätigkeitsbezeichnung bzw. einen Rang. Noch wenig beachtet wird die in Zeiten fließenden Wechsels von Inhalten, Rollen und Funktionen bedeutsamere Identitätsfrage: Wie bin ich? Hier wird nach dem persönlichen und professionellen Stil gefragt, in dessen Wahrung und Entwicklung man sich sieht bzw. sehen möchte. Zum Beispiel möchte ein bislang mehr sachorientierter Einzelkämpfer ein stärker kommunikativer Mensch werden, in dessen Beziehungen die »weicheren Faktoren« wichtig und befriedigend sind. Eine Funktion, in der dieses kommunikative Selbstbild nicht gefragt ist, wird nicht wirklich mit Herzblut ausgefüllt. Auch hier muss also Passung hergestellt werden, wenn sich die ganze persönliche Kraft in der Funktion versammeln soll. Solche Faktoren werden irgendwie in der Personarbeit und in Führungsbeziehungen intuitiv berücksichtigt, doch wäre hier mehr bewusste Kompetenz auf allen Seiten hilfreich. Dies hilft, solche Dimensionen im Gespräch überhaupt zu berücksichtigen und bei krisenhaften Entwicklungen günstige Voraussetzungen für Klärungen zu schaffen.

1.2 Herausforderungen im Passungsprozess

Passung herzustellen ist keine einmalige Aufgabe, sondern ein kontinuierlicher Prozess, in welchem ein dynamisches und labiles System laufend ausbalanciert werden muss. Eine Funktion findet in einem konstanten Spannungsfeld zwischen den Vorstellungen (SOLL) der Organisation (resp. des unternehmerisch Verantwortlichen) und dem tatsächlichen Handeln (IST) des Funktionsträgers (und seiner Partner) statt. Darin, diesen Unterschied wahrzunehmen und die potenziellen Spannungen so fruchtbar zu halten, damit eine optimale Performance entstehen kann, liegt die eigentliche Kunst des Passungsprozesses.

Im soweit entwickelten Beispiel von Frau Flink und dem Familienunternehmen Fa. Adrett ist die Passung zunächst optimal. Die Entwicklungen im Betrieb passen zu ihren Funktionen und diese zu ihren Kompetenzen und Entwicklungswünschen. Wegen der gesundheitlichen Belastungen der Frau des Meisters der Fa. Adrett muss neuerdings auch die Essensversorgung der Belegschaft durch eine andere Person bewerkstelligt werden. Zudem müsste nun der Haushalt viel selbständiger versorgt werden. Die Idee, Frau Flink könnte zusätzlich das Kochen übernehmen, greift bei ihr nach einigem Zögern, ob sie sich das zutrauen könne. Mit ihren ersten Versuchen findet sie Beifall bei der Belegschaft.

Vier Dimensionen sind für die Passung von besonderer Bedeutung und oft Ursachen dafür, dass mit Differenzen zwischen IST und SOLL nicht sinnvoll umgegangen wird.

1.2.1 Individuelle Kernkompetenzen und Funktion

Kernkompetenzen beinhalten eine im weitesten Sinne »unternehmerische, wirklichkeits-konstruierende« Kraft. Mitarbeiter, die nicht ihren Kernkompetenzen entsprechend eingesetzt sind, entwickeln deshalb – meist unbewusst – »Schwarzmärkte«, in welchen ihre Kernkompetenzen, aber auch andere kerngeschäftsferne Interessen ihren Ausdruck finden können. Dies ist eine »ergiebige« Quelle von Effektivitätsverlusten bezogen auf die eigentlichen Geschäftszwecke einer Organisation.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Abstimmung zwischen angedachter und »gelebter« Funktion nie 100-prozentig sein kann. Abweichungen sind natürlich und für die Lebendigkeit und Lernfähigkeit einer Organisation wichtig. So scheint es manchmal sogar, dass Organisationen in Innovationsprozessen, die wenig an die vorhandene Kultur und an verfügbare Ressourcen anschließen, oft nur dank erheblicher »Schwarzmarktaktivitäten« im Sinne des Kerngeschäftsverständnisses der Mitarbeiter überhaupt überleben können. Dennoch sollte zugunsten der offenen Klärung und Steuerbarkeit »Weißmärkten« der Vorzug gegeben werden. »Weißmärkte« meint, dass die Personen ihre Kernkompetenzen in den Dienst der offiziellen Wertschöpfungsprozesse stellen können.

Wenn Mitarbeiter ihre Funktion nicht oder nicht mehr so gut ausfüllen, wie das für die Organisation erforderlich ist, denkt man leicht an fehlende persönliche Motivation, Loyalität oder Kompetenz. Seltener werden Entwicklungen im Passungskreis näher analysiert. Dabei können unbeachtete Veränderungen und deren Wechselwirkungen zu erheblichen Schwierigkeiten und zur Infragestellung der Kompetenz eines Mitarbeiters führen.

Zum Beispiel wurde der Leiter einer Entwicklungsabteilung als »Problemfall« angesehen und vor seiner »Entsorgung« zum Coaching vorgestellt. Schnell stellt sich heraus, dass er gut und für sich stimmig gearbeitet hat, solange er für sehr komplexe Entwicklungen an einem Standort zuständig gewesen war. Durch Umstrukturierung war er nun für Teilentwicklungen, aber an mehreren und weit verstreuten Standorten zuständig. Er teilte die Erwartungen seiner Umwelt, dass ein guter Manager so etwas »problemlos packen« müsste. Der dafür notwendige Führungs- und Lebensstil lag ihm bei näherer Betrachtung nicht oder nur mit zu hohen seelischen Kosten, was auch ein Coaching nicht hätte ändern können. Durch Übernahme einer anderen Verantwortung wieder an einem festen Standort wurde das Problem gelöst.

Um für ein erweitertes Verständnis von Kompetenz Aufmerksamkeit zu erzeugen, könnte man für professionelle Kompetenz im Rahmen einer bestimmten Funktion definieren:

Rollenkompetenz x Berufsfeldkompetenz x Passung

Die Multiplikation verweist z.B. darauf hin, dass die Kompetenz gegen null gehen kann, wenn die Passung nicht stimmt, auch wenn die anderen beiden Faktoren hoch sind. Fachliche Weiterbildung würde hier nichts bringen.

Neuerdings macht Frau Flink einen Kochkurs, schaut häufig Kochsendungen im Fernsehen, lässt sich Kochbücher schenken und kocht mit immer mehr Raffinesse. Andere Haushaltstätigkeiten, insbesondere das Putzen, werden weniger sorgsam ausgeführt. Nach einigen Wochen ist zu beobachten, dass sie immer mehr Zeit auf Kochen und Einkaufen verwendet, dass sie für das immer aufwendigere Essen unterschwellig Pünktlichkeit bei Essensbeginn und längere Pausen beansprucht.

1.2.2 Kooperationssystem

Das zweite Spannungsfeld liegt im System des Zusammenspiels in den einzelnen Prozessen begründet. Jede Veränderung oder Entwicklung einer Person, sei es anlässlich einer Neubesetzung oder einer partiellen Neupositionierung einer Person/Funktion, verändert immer das ganze Gefüge. Für die erforderliche Effektivität sind Funktionsveränderungen einer Person mit komplementären Funktionsanpassungen anderer Beteiligter verbunden. Passungsüberlegungen sind somit immer unter Einbezug des relevanten Kooperationssystems zu machen. Vorgesetzte klären jedoch üblicherweise Rollenveränderungen vornehmlich mit direkt betroffenen Mitarbeitern, oft ohne genügend auf die Auswirkungen im Gesamtsystem zu achten und diese entsprechend abzustimmen. Angesichts der wachsenden Anforderungen an ein passgenaues Zusammenspiel in den Prozessen kommt dieser Dimension in Zukunft höhere Bedeutung zu. Kompetenz muss vermehrt als Beziehungsphänomen im Passungssystem und nicht als Eigenschaft von Menschen betrachtet werden.

So erfreulich das Engagement von Frau Flink beim Kochen ist, so sehr bauen sich auch Spannungen mit den sonstigen Mitarbeitern des Betriebs auf. Sie versucht auf die Pausengestaltung so Einfluss zu nehmen, dass das Essen nach ihren Vorstellungen zelebriert werden kann. Sie wird als Gouvernante und »Möchte-Gern-Meisterin« gehänselt.

1.2.3 Führungssystem

Führung spielt im Prozess der Passung von Mitarbeitern und Funktionen eine wesentliche Rolle. Damit die Passung und Ausrichtung der Person in ihrer Funktion optimal geschehen kann, ist es wichtig, dass Führungskraft wie auch Mitarbeiter aus ihrer jeweiligen Verantwortung heraus eine funktionierende Kooperation eingehen.

Der unternehmerisch Verantwortliche ist dabei selbst Persönlichkeit mit Eigenarten (und Kernkompetenzen) und jeweils unterschiedlichen Zugängen und Präferenzen, die meist auch einseitig ausgeprägt sind. Menschen (gerade auch Führungskräfte) neigen leicht dazu, die Aspekte der eigenen Verantwortung, für die sie nicht gut ausgestattet oder motiviert sind, auszublenden. Doch bleibt die Verantwortung bestehen und es wäre sinnvoller, sich mit Funktionen und Personen zu umgeben, die komplementär ergänzen können und so individuelle Unterschiedlichkeiten in ein tragfähiges, komplementäres Zusammenspiel gebracht werden.

Bei Frau Flink fehlt jetzt Führung, insbesondere das tägliche Setzen von Prioritäten. Die zunächst diskreten Hinweise des Meisters, sich doch beim Kochen im Rahmen und für die anderen Pflichten in eigenverantwortlicher Sorgfalt zu halten, nimmt sie leicht gekränkt zur Kenntnis, befolgt sie aber in der täglichen Praxis nur für kurze Zeit. Der Meister nimmt die Schieflage nur unwillig wahr, kümmert sich um das gärende Problem aber nicht, da er Haushalt nicht als seine Sache betrachtet.

1.2.4 Bewertungsdifferenzen

Was für die Organisation von Wert ist, muss nicht unbedingt für die Person von Bedeutung sein und umgekehrt. Die Herausforderung besteht also darin, Funktionen mit Personen so zu besetzen, dass die Kerntätigkeiten von hoher Bedeutung für die Person und ebenso von hohem Wert für die Organisation sind. Probleme können entstehen, wenn Personen ihre Kerntätigkeiten in Nebenprozessen der Organisation finden, die für die Organisation von untergeordneter Bedeutung und damit von geringerem Wert sind. Mit dieser grundlegenden Differenz wird in Organisationen oft nicht bewusst umgegangen. Damit Klärungsprozesse bezüglich Passungsfragen nicht zu Schlachtfeldern der Eitelkeiten und Empfindsamkeiten werden, ist ein sorgfältiger Dialog über die jeweiligen Bewertungsmaßstäbe hilfreich. Wichtig ist hierbei eine Kultur, in der die Achtung und Beachtung eines Mitarbeiters nicht von seiner Wichtigkeit für Kernprozesse allein abhängt. Sonst fühlen sich Menschen in Nebenprozessen nicht gewürdigt, verlieren Motivation und Bindung ans Kerngeschäft und bauen »Schwarzmärkte« und Ersatzwichtigkeiten auf.

Dass gemeinsam gegessen wird, hatte für die Organisation den Wert, dass das Gruppengefühl gepflegt wurde, dass sich privater Austausch auf diese Situation konzentrierte, dass Mitarbeiter im Hause bleiben und sich nicht durch Wege belasten mussten, aber sich auch nicht zu Besorgungen verstreuten etc. Man ging pünktlich und meist gut gelaunt wieder an die Arbeit. Hierfür reichte ein einfach zubereitetes Essen, für das wenig Aufmerksamkeit beansprucht wurde. Durch den in ihrem Agieren vorgetragenen Wichtigkeitsanspruch von Frau Flink entstanden hier eher Spannungen. Statt das Problem zu meiden, müsste der Meister Verantwortung für die Klärung und die dafür notwendigen Inszenierungen übernehmen, auch wenn er sich selbst dazu nicht kompetent fühlt.

1.3 Umgang mit Passungsproblemen

Veränderungen im Passungssystem können an verschiedenen Orten und in verschiedener Weise entstehen:

• beim unternehmerisch Verantwortlichen (Ablösung, Veränderung der Zuständigkeit, etc.),

• in den Prozessen (neue Strategie, Veränderung der Zuständigkeiten und des Zusammenspiels),

• im Team resp. Umfeld (Personenumbesetzungen etc.),

• bei den Personen (Wunsch sich neu zu positionieren, weniger zu arbeiten, etc.).

Alle diese Teilveränderungen verändern auch das subtile Gleichgewicht im Passungssystem und sind somit Anlass für Passungsüberlegungen. Dabei gibt es zwei Ansatzpunkte für Optimierungsmaßnahmen:

• Anpassung der Organisation (Strukturen und Prozesse),

• Anpassung der Person (Positionierung und Qualifikation).

1.3.1 Anpassung von Strukturen und Prozessen

Wenn Prozesse und Funktionen bzw. der Stil, in dem sie ausgefüllt werden müssen, nicht (mehr) zu den (möglichen) Funktionsträgern passen, kann geprüft werden, ob Veränderungen von Organisationsseite her möglich sind. Der Slogan »person follows function« weist jedoch darauf hin, dass Passungsprobleme nur mit Umsicht durch Funktionsänderung beantwortet werden sollten. In jedem Fall sollte sichergestellt werden, dass dadurch nicht Verantwortungslücken oder Passungsprobleme an anderer Stelle entstehen.

1.3.2 Neupositionierung der Personen

Wenn Personen nicht mehr zu den erforderlichen Funktionen oder Funktionen nicht mehr zu veränderten Kernkompetenzen und Entwicklungsinteressen passen, kann geprüft werden, ob andere Funktionen gefunden werden können.

In beiden Fällen bleibt dabei die Möglichkeit, dass innerhalb eines Unternehmens für die Person

• keine passende Funktion gefunden werden kann,

• nur eine passende Funktion mit reduzierter Arbeitszeit gefunden werden kann,

• zwar eine passende Funktion gefunden werden kann, diese aber geringer bezahlt wird.

1.4 Marktprinzipien und Besitzstandmentalität

Um einen sinnvollen Umgang mit solchen Situationen finden zu können, müssen wir uns einer besonderen kulturellen Facette widmen. In den Wachstumszeiten der Nachkriegszeit hat sich eine Versorgungsmentalität entwickelt. Bei Veränderungen wird erwartet, dass der Stand der »Versorgung« (Lohn, Vorsorge, Titel, etc.) durch die Organisation gesichert oder gar ausgebaut wird. In unserer Gesellschaft sind über die Einkommensbindung der Sozialabgaben unternehmerische Wertschöpfung und soziale Sicherung direkt aneinander gekoppelt worden. Dieses System funktioniert, wenn genügend Arbeit vorhanden ist und die dabei erzielten Einkommen tatsächlichen Wertschöpfungsbeiträgen entsprechen. Ist dies nicht mehr gegeben, leiden unternehmerische Entwicklungen an Fehlbelastung und die Sozialsysteme an Unterfinanzierung. Durch Wachstum und/oder Ausbeutung (bestimmter Bevölkerungsgruppen, anderer Länder, natürlicher Ressourcen oder künftiger Generationen) finanziert haben sich Versorgungsanspruchsdenken und Selbstbedienungsmentalitäten ohne Anbindung an wirkliche Produktivleistungen entwickelt. Beides ist mit unternehmerischer Verantwortung für nachhaltiges Wirtschaften schlecht zu vereinbaren. Die Ansprüche an Einkommen, an Flexibilität und Stimmigkeit der Arbeit sind gewachsen, wobei Risikobereitschaft und unternehmerische Verantwortung für die Leistungsentwicklung und deren »Vermarktung« nicht immer mit gewachsen sind. Hier ist ein Mentalitätswandel bei allen angesagt. Den Vorteilen individueller Marktteilnahme muss auch die damit verbundene Eigenverantwortlichkeit gegenübergestellt werden. Fragen der Passung sind ein konkreter Beitrag, die Produktivität, aber auch die Sinnstiftung von Arbeitsverhältnissen zu erhöhen und unternehmerische Verantwortung aller dafür zu stärken. Dabei werden sich Arbeitsverhältnisse wohl eher aus festen Zugehörigkeiten lösen und den Kontraktbeziehungen zwischen selbstverantwortlichen Marktteilnehmern nähern. Wird heute gekündigt, so ist dies meist noch weit davon entfernt, dass Geschäftspartner in gegenseitiger Würdigung auf die Fortsetzung ihrer Vertragsbeziehung verzichten. Verbissene finanzielle Streitereien sind oft der vergebliche Versuch, zu Würdigung zu kommen. Sie sind das unrühmliche Ende von unternehmerisch und menschlich nicht verantwortlich gestalteten Passungsprozessen von allen Seiten.

Frau Flink hat einen Mann kennen gelernt und möchte nicht mehr gerne nach Feierabend putzen. Allerdings will sie auch ihr Einkommen stabil halten. Gleichzeitig soll bei der Fa. Adrett die Betriebszeit sogar weiter in den Abend hinein verlegt werden, weil die Kunden dann wegen der veränderten Ladenschlusszeiten eher mal Zeit hätten. Ein Konkurrenzunternehmen wirbt sogar ausdrücklich damit. Mithilfe eines befreundeten Beraters kommt es zu einem ausführlichen Gespräch zwischen dem Meister und Frau Flink. Darin werden die bislang zufriedenstellende Mitarbeit von Frau Flink und ihr entgegenkommendes Wesen gewürdigt. Frau Flink würdigt, dass die Beschäftigung bei der Fa. Adrett ihr ins bezahlte Arbeitsleben und zu einem neuen Wertgefühl geholfen hat. Der Meister würdigt ihre neue Berufsidentität als Köchin und bedauert, dass sie in seinem Betrieb dafür nur wenig Resonanz finden kann. Da sie aber spürbar aus den anderen Tätigkeiten herausgewachsen sei, müsse dafür eine andere Kraft eingestellt werden. Als Köchin in dem für den Betrieb passenden Rahmen solle Frau Flink gerne halbtags arbeiten, sich für die weiteren Tätigkeits- und Einkommenswünsche nach einem anderen passenden Wirkungskreis umsehen. Nach einiger Zeit findet Frau Flink eine Teilzeittätigkeit als Köchin abends in einem Sportzentrum. Dort erhält sie für ihre Lust, Leute zu verwöhnen auch entsprechende Resonanz und braucht diese Bestätigung nicht mehr von der Fa. Adrett. Dort entspannt sich entsprechend die Situation und sie bekommt für ihre neukonfigurierte Funktion wie auch als Mensch allseits angemessene Anerkennung.