Kultur und Lernen in Organisationen - Bernd Schmid - E-Book

Kultur und Lernen in Organisationen E-Book

Bernd Schmid

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Beschreibung

Komplexe Organisationen sind ohne gemeinsame Kultur nicht zu steuern. Anspruchsvolles Arbeiten bedeutet immer auch Lernen. Und am besten spielen dabei die zusammen, die gemeinsam Verantwortung tragen und Entwicklungen voranbringen. Lernkultur mitzugestalten ist künftig ein wesentlicher Bestandteil von Personalentwicklung und Führung. Es wird erzählt und dadurch eingeladen, die eigenen Gedanken schweifen zu lassen, sich auf eigene Erfahrung zu besinnen und mit den vorgetragenen Gedanken Dialog zu halten.

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Über den Autor:

Dr. phil. Bernd Schmid (Jhg. 1946) ist Gründer und Leitfigur der isb GmbH Wiesloch (seit 1984) und der Schmid Stiftung (seit 2011).

Er war international tätig als Referent, Lern- und Professionskulturentwickler sowie als Unternehmer und Gründer von Initiativen und Verbänden. Seine Expertise in der Organisationsentwicklung und im Coaching stellt er heute als Mentor und Konzeptentwickler an der Schnittstelle von Profit- und Nonprofit-Unternehmertum bereit.

Schmid ist unter anderem Ehrenmitglied der Systemischen Gesellschaft und Ehrenvorsitzender im Präsidium des Deutschen Bundesverbandes Coaching. Er ist Preisträger des Eric Berne Memorial Awards 2007 der Internationalen TA-Gesellschaft ITAA, des Wissenschaftspreises 1988 der Europäischen TA-Gesellschaft EATA sowie des Life Achievement Awards 2014 der Weiterbildungsbranche. 2017 ehrte ihn die Deutsche Gesellschaft für Transaktionsanalyse DGTA für sein Lebenswerk.

Zahlreiche Essays zu persönlichen und professionellen Themen finden sich unter www.isb-w.eu/campus/de/schrift/Blog archiv-von-Bernd-Schmid-0000SY0812D

Weitere Veröffentlichungen zum kostenlosen Download sowie Videos stehen bereit unter www.isb-w.eu/campus/de/ und www.youtube.com/user/ISBlearning.

Kultur und Lernen in Organisationen

Ein Lesebuch von Bernd Schmid 2020

isb GmbH - Systemische Professionalität

Institut für systemische Beratung

www.isb-w.eu

Lesebuch Band IV

©2020 Bernd Schmid

Herausgeber: isb GmbH, Wiesloch

Autor: Bernd Schmid

Gestaltung: Bettina Gentner, isb GmbH

Titelbild: ©Bernd Schmid Fotoarchiv

Lektorat, Korrektorat: Jutta Werbelow, isb GmbH

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN:

978-3-347-17445-0 (Paperback)

 

978-3-347-17447-4 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Teil I

1. Beruflicher Ausklang und Schmid Stiftung

2. Coaching als Expertise und Profession

3. Orientierung, Dialog und Verantwortung

4. Was meint Kultur?

5. Kultur, Steuerung und Dialog

6. Lernen und Kultur

7. Neue Gewohnheiten einführen

8. Integration in den Alltag

9. Metapher: Versuchsgärten

10. Zusammenspiel OE und PE

11. Beispiel Verantwortungsklärung

12. Reifegradbestimmung

13. Metapher: Springreiten lernen

14. Qualitativer Transfer

15. Beratung - jenseits von Vier-Augen-Gesprächen

16. Alte oder neue Teams?

17. Neustrukturierung

18. Fiktionen – ein Beispiel

19. Kooperation mit Strategieberatung

20. Disziplin

21. Resonanz der Teilnehmer - Zwischenrunde

22. Kultur als Perspektive

23. Deskriptive und normative Kultur

24. Wahrnehmungsübung

25. Hierarchische Steuerung

26. Familienunternehmen

27. Führung lernen

28. Führung als System

29. Beispiel Führungsnetzwerk

30. Metapher: Pioniere und Karawanen

31. Metapher: Feuermachen

32. Metapher: Scheinwerfer der Erkenntnis

33. ultur eine neue Mode?

34. Wieslocher Kompetenzformel

35. Innere Bilder: auf der falschen Bühne?

36. Inszenierungsstile

37. Spiegelungsübungen

38. Komplementäre Kompetenzen

39. Gegenwarts- und Praxisorientierung

40. Persönlichkeit und Kultur

41. Gebrauchsanweisungen

42. Lernregisseur sein

43. Beratermarkt-Übung

44. Didaktische Gewohnheiten

45. Solide Kontrakte

46. Zum Schluss

Teil II

1. Lernen und Arbeiten gehören zusammen

2. Kleine Sittengeschichte lebensbezogener Bildung

3. Kultur ist die Persönlichkeit der Gemeinschaft

4. Wie wird aus Persönlichkeit eine Schule?

5. Berichte zur isb-Weiterbildung

5.1. Weg in die Selbständigkeit

5.2. Als Interner Fuß fassen

5.3. Führung und internes Coaching integrieren

5.4. Professionalität und Steuerungskonzepte

5.5. Lebensschule und Karrieresprung

5.6. Als Geschäftsführer profitieren

5.7. Anreicherung langjähriger Coaching-Praxis

5.8. Ausrichtung für den Berufsweg einer Mutter

5.9. Sich mit Schwierigem versöhnen

5.10. Heilung eines Karriere-Bruchs

„Kulturverantwortung in Unternehmen“ - Charts Stuttgart 2016

Vorbemerkung

Dies ist ein Lesebuch, zum Schmökern gedacht. Es wird also erzählt und dadurch eingeladen, die eigenen Gedanken schweifen zu lassen, sich auf eigene Erfahrungen zu besinnen und mit den vorgetragenen Gedanken Dialog zu halten.

Die Erzählungen - bearbeitet und durch Metaphern angereichert - stammen vom „Systemischen Tag 2016“ am CUM NOBIS in Stuttgart. Die „kleine Sittengeschichte“ wurde 2008 als Dinner Speech vor Bildungsfachleuten des Deutschen Maschinen- und Anlagenbaus bei der Heidelberger Druckmaschinen AG in Wiesloch gehalten. Und der fiktive Dialog „In Zukunft gehören Lernen und Arbeiten zusammen“ aus dem Jahre 2008 spiegelt die Diskussion um lebensnahe Bildung für Professionelle.

Obwohl aus Gründen der Lesbarkeit im Text meist die männliche Form (Teilnehmer, Lehrtrainer) gewählt wurde, beziehen sich die Angaben auf beide Geschlechter.

Systematische Darstellungen und didaktisch aufbereitetes Material gibt es auf dem isb campus. Interessierte können sich kostenlos registrieren. Unter Angabe der Quelle und der Autorenschaft ist es durchaus gestattet und sogar gewünscht Teile der Schrift zu nutzen. Bei Unsicherheiten der Verwendung nehmen sie bitte Kontakt mit uns auf.

www.isb-w.eu/campus

Teil I

1.  Beruflicher Ausklang und Schmid Stiftung

Zu mir persönlich: Im Dezember 2016 wurde ich 70 und ging nach über 40 Berufsjahren in den Ruhestand. Am isb hatte ich über mehrere Jahre hinweg alle Funktionen übergeben und spiele nun den Senior im Hintergrund. Für unser gesellschaftliches Engagement habe ich 2012 die Schmid Stiftung gegründet, deren Tätigkeiten vom isb finanziert werden.

Der Stiftungszweck lautet, „OE-Knowhow für Gemeinwohl-orientierte Organisationen und Initiativen zur Verfügung stellen“. Im gemeinwohlorientierten Bereich wird oft mit viel Engagement gearbeitet, doch für Entwicklungen fehlt oft Knowhow, wie man Engagement nachhaltig machen, wie man es ausrollen, wie man über Generationen hinweg weitergeben kann, wenn es eine gute Sache ist. Wenn einer ein musiktherapeutisches Konzept für Kindergärten ins Leben bringt, kann das - vor Ort und vom Gründer persönlich getragen - gut funktionieren. Doch wenn das Konzept auf weitere Träger und Regionen ausgerollt werden soll, geht das nicht allein mit musikpädagogischem Knowhow, da braucht es unternehmerisches Talent und OE-Knowhow. Oft wissen Gründer nicht, was es braucht, um ihr Werk in die nächste Generation zu bringen. Sie haben ihre Kompetenzen eben in anderen Feldern. Wir versuchen ihnen zu helfen, das zu verstehen und unser Knowhow hinzuzunehmen, damit sich ihre wertvollen Initiativen nicht totlaufen.

Die Schmid Stiftung organisiert und betreut OE-Beratung für gemeinwohlorientierte Organisationen und Stiftungen aller Art. Die direkte Beratung machen Fachleute aus dem isb Netzwerk honorarfrei. Von unseren hauptamtlichen Stiftungs-Mitarbeiterinnen bekommen sie dazu die Bühne bereitgestellt, und die Stiftung gestaltet den konzeptionellen und organisatorischen Rahmen. Die ehrenamtlichen Berater finden es erleichternd, dass sie den Rahmen nicht selbst organisieren müssen, sondern ihre Expertise in für sie neue und interessante gesellschaftliche Felder einbringen und dabei hochwertige Begegnungen aller Art erleben können.

Hier und heute also mein letztes Seminar im Kollegenkreis. Ich habe dafür das Thema „Kulturverantwortung in Unternehmen – Personen und Systeme qualifizieren“ gewählt, ein Herzensthema. Zwar habe ich dazu auch eine Präsentation vorbereitet und stelle sie gerne zur Verfügung1. Sie finden die Charts auch am Ende dieser Schrift. Ich habe aber beschlossen, dieses Seminar im Erzählmodus zu halten. Meine Mitarbeiter sagen immer: „Du bist am besten, wenn du am Essenstisch ins Erzählen kommst.“

2.  Coaching als Expertise und Profession

Ich bin seit vielen Jahren in Sachen Organisationsentwicklung und Organisationscoaching unterwegs. Coaching als Dienstleistung, als persönliche Unterstützung und Entwicklung durch Einzelfallhilfe finde ich wichtig. Beratungsgespräche, meist mit einzelnen Menschen, helfen diesen, sich entlang ihrer Anliegen, ihrer aktuellen Herausforderungen zu sortieren und neue Optionen zu entwickeln. Der Deutsche Bundesverband Coaching2, den ich mitgegründet habe, hat sich auf den Organisationsbereich spezialisiert. Auch hier geht es meist um Einzelcoaching als Beratungsform für Menschen mit Fragen zum Beruf und zu den Organisationen, in denen sie diesen ausüben. Doch habe ich darüber hinaus auch immer vertreten, Coaching und den Verband nicht auf Vier-Augen-Gespräche zu reduzieren.

Für mich bedeutet Coaching in erster Linie Perspektiven und Expertise für das Zusammenspiel von Mensch und Welt. Wenn ich auf den Zusammenhang von Mensch und Berufsleben sehe, nenne ich das Professionscoaching. Wenn ich auf den Zusammenhang Mensch und Organisation oder Unternehmen sehe, nenne ich das Organisationscoaching. Coaches können und sollten in diesen Bezügen ihr eigenes professionelles Profil entwickeln. Profession, zumindest war es lange so, wird definiert als „wesentlicher Bezug des Menschen zu einem Lebensbereich“. Beim Arzt ist das beispielsweise die Beziehung Mensch und Gesundheit, bei der Juristin ist es die Beziehung Mensch und Rechtswesen usw. Coaching sollte, wenn es ein eigener Berufsstand sein will, die Beziehung "Mensch und Berufswelt" (Professionscoaching) sowie die Beziehung "Mensch und Organisationswelt" (Organisationscoaching) abdecken. Dazu muss ein Coach Kenntnisse zu Berufswelt-Entwicklungen und zu Organisationswelt-Entwicklungen in heutiger Zeit haben.

Ein heute weit verbreitetes Verständnis von Beratung könnte etwas flapsig so markiert werden: „Ich gehe hinter Dir her, während Du Dein Rad erfindest und die Welt erforschst!“. Ich finde eine solche Haltung bei jemandem angebracht, der noch um seine Selbständigkeit ringt und erst lernt, sich kundig zu machen. Doch sollte ein Coach sich in den Welten, in denen er mit seinem Coachee gemeinsam unterwegs ist, auskennen. Statt nur den tastenden Bewegungen seines Klienten zu folgen, sollte er ihm sagen können, was es an Entwicklungen in unserer Gesellschaft gibt und wie sich der Coachee auf diese beziehen kann. Deswegen sollte ein Organisationscoach etwas von Organisation verstehen. Als psychologisch orientierte Systemiker waren wir früher etwas größenwahnsinnig unterwegs: „Wir kennen uns in Kommunikation aus, wir wissen was von der Psychologie der Menschen, und wir können Muster identifizieren. Also kann man uns überall brauchen.“ Gemäß dem Bonmot: „Fahren Sie mich irgendwo hin, ich werde überall gebraucht“. Doch: Je älter ich werde, desto mehr anerkenne ich die Bedeutung von Sach- und Feldkenntnissen. Man sollte verschiedene Wirtschaftszweige und die Logik von unterschiedlichen Organisationen kennen und sich vom gesellschaftlichen Umfeld, in dem etwas stattfinden soll, ein Bild machen können.

3.  Orientierung, Dialog und Verantwortung

Neben den handwerklichen Coaching-Elementen darf ein umfassenderes Verständnis vom Leben des Coachees eine wichtige Rolle im Beratungsprozess spielen. Zu Beratern in Ausbildung sage ich gerne: „Es ist einerseits gut, wenn Ihr lehrbuchgemäß den Coachee fragt: Warum bist Du eigentlich hier? Was ist Dein Anliegen? Wie verstehst Du Dein Problem, und wie stellt Du Dir die Lösung vor? Bis wann möchtest Du am Ziel sein?“. Hier wird der Klient ganz schön gefordert. Aber genaugenommen: Wenn er das alles schon weiß, braucht er dann noch Beratung? Eigentlich brauchen wir eher gerade dann Beratung, wenn wir all das nicht so recht wissen oder es uns eher diffus an Orientierung und Wohlergehen fehlt.“ Und deswegen ermutige ich Berater, sich im Gespräch mit Kunden ein Bild von deren Lebenswegen, deren Selbstverständnis, deren Berufssituation und anderer Welten zu machen und dann eigene Erfahrung für Einschätzungen zu nutzen, womit sich der Klient überhaupt erst einmal beschäftigen könnte. Denn: Neue Perspektiven sind am Ende meist wichtiger als Antworten auf alte Fragen. Natürlich meine ich kein unsensibles Feuerwerk von Ideen und Lösungen, sondern für den Klienten passende Ideen, wie er seine Situation angehen kann. Einfach nur abarbeiten, was dem Coachee ohnehin schon selbst einfällt, hilft selten wirklich. Von daher bin ich für direktive Beratung. Direktiv meint, für eine sinnvolle Richtung Verantwortung mit zu übernehmen. Dazu muss ich mir ein in meinem Erfahrungshorizont plausibles Bild machen und selbst entscheiden, was ich dafür wissen muss und wann ich erst mal genug erfahren habe. Ein Coach muss darauf bestehen, zu einem plausiblen Bild zu kommen, oder er kann nicht leistungsfähig sein. Dafür sollte er sich selbst und dem Coachee die Situation transparent machen: „Im Moment kann ich nicht viel beitragen, weil ich keine mir plausible Vorstellung von der Situation und der Fragestellung bekomme. Wir müssen erst mal schauen, wie wir uns hinreichend in einer gemeinsamen Wirklichkeit verorten können, und was wir dafür noch brauchen.“

Als Organisationsentwickler bin ich ein Befürworter von „Dialogic Organization Development“3. Gervase Bushe, einer seiner Vertreter, sagt: „Wir brauchen ein neues Mindset für die Organisationsentwicklung. OE muss mit den Internen gemacht werden. Wir müssen sie darin unterstützen, dass sie selbst ihr Ding entwickeln und untereinander sowie mit konkreten Partnern Dialog halten, weil sonst die Wahrscheinlichkeit nicht hoch ist, dass sie Anregungen im Alltag in ihren Bezügen umsetzen können.“ Im Unterschied dazu nennt Bushe, was klassisch von außen kommt, „Analytic Organization Development“. Gut an seinem Dialogansatz finde ich, dass nicht unnötig polarisiert wird, sondern er integrativ eingestellt ist.

Analytische Organisationsentwicklung bietet gute Erfahrungen und Konzepte, die bei Bedarf in dialogische Organisationsentwicklung integriert werden sollten. Man trägt Konzepte nicht vor sich her, sondern bringt sie dann in den Dialog ein, wenn sie gebraucht werden.

Zur Illustration der Perspektiven-Vielfalt im Organisations-Coaching habe ich den Slogan gewählt: „Organisationscoaches sind 10-Kämpfer.“ Was heißt das? Früher hat man sich auf ein Fachgebiet spezialisiert, z. B.: „Ich bin Psychologe“ oder „Ich kann mit Rationalisierungsverfahren gut umgehen“. Damit hat man sich eine Teilperspektive herausgenommen und sich als Berater für diese angeboten. Man hat aber wenig Verantwortung dafür übernommen, wie dieses Knowhow an die anderen Perspektiven, die genauso wichtig sind, angekoppelt werden sollte. Da habe ich schon das Ideal, dass ein Berater versuchen sollte, der komplexen Verantwortung seines Klienten gerecht zu werden. Als Unternehmer bin ich ja auch Kunde von Beratern, z.B. im IT-Bereich. Es nervt mich, wenn einer mit leuchtenden Augen erzählt, was er alles weiß, aber wenige Ideen hat, wie damit meine Probleme zu lösen sind. Er versteht sein Fach, aber nicht unser Geschäft, und oft interessiert es ihn nicht einmal wirklich. Optimierung aus einer Teilperspektive hilft einem Kunden nur wenig, wenn er integrierte Lösungen braucht. Hilfreich ist, wenn ich erfahre, wie ich die angebotenen Teilperspektiven mit anderen auch wichtigen Perspektiven vereinbaren und wie es zusammen vorangehen kann. Wer sich darauf nicht einlässt und zumindest Verantwortung für seinen Beitrag zur Integration übernimmt, fällt durch.

Ich stehe also dafür, dass Dienstleister versuchen sollten, der komplexen Gesamtverantwortung ihrer Kunden gerecht zu werden. Das heißt nicht, dass sie alles können müssen, was Unternehmer und Interne können. Aber sie müssen sich um Anschluss bemühen und im Dialog mit dem Kunden klären, ob die spezielle Perspektive, die sie einbringen können, wirklich etwas Entscheidendes bringen kann. Irgendetwas kann man immer machen, Interessantes oder Bewegendes ohne Frage, doch der Kunde steht fast immer in einer Optimierungssituation, in der „interessant“ nicht genug ist. Ressourcen und Spielräume sind knapp, und Beiträge von Dienstleistern sollten daher gut integrierbar und umsetzbar in den Alltag seiner Organisation sein. An dieser Werthaltung versuchen wir uns immer wieder zu messen. Für mich ist das die entscheidende Perspektive auf das Ganze. Es ist eine Frage der Kultur.

4.  Was meint Kultur?

Kultur holt das Beste der Menschen in den Vordergrund und verknüpft es mit dem Besten anderer.

Derselbe Mensch kann in unterschiedlichen Kontexten sehr verschieden sein. Beispielsweise sind die isb-Curricula so eingespielt, dass sich schnell eine gute Kultur entwickelt. Selbst Leute, die am Anfang nicht sonderlich gut hineinzupassen scheinen, schließen sich an, wenn sie merken, dass diese Kultur gilt und von den anderen bedient wird. Sie müssen mitspielen, wenn sie dabei sein möchten und mit anderen Strebungen schlechte Karten haben. Und siehe da, in ihnen kommen Bereiche ihrer Persönlichkeit in den Vordergrund, die passen. Sie sind dann selbst ganz glücklich, wenn sie diese Seiten mit anderen verknüpfen können und auch die Menschen sein können, die zu dieser Kultur passen. Das leistet Kultur. Dass einzelne diese Kulturleistung aus individueller Kompetenz und Persönlichkeit in einem Umfeld, in dem solche Kultur nicht gestützt wird, erbringen können, ist zu viel erwartet. Einzelne können eingefahrene Systeme nur selten ändern.

Ich habe schmerzhafte Lektionen beim Elternabend gelernt: Ich ging als „Kommunikationsfachmann“, als „Spezialist für Bildung und Gruppen“ da hin. Natürlich ging ich davon aus, dass man wie gewohnt auf mich hören würde. Und dann bin ich an solchen Elternabenden sowas von eingegangen. Dabei ist mir schmerzlich klar geworden, dass mir mein Können in anderen Kontexten nichts nützt, wenn es nicht gelingt, in diesen komplementäre Reaktionen anderer auszulösen, wenn meine Ideen hier nicht mitgetragen werden. Mir war nicht klar gewesen, wie wenig Talent ich hatte, mich in diesen Kreisen anzukoppeln.

Wirklichkeit ist immer Beziehungswirklichkeit, und nur wenn die anderen mitspielen, entsteht eine gemeinsame Welt. Ich kann noch so gute Ideen haben, und ich wirke doch inkompetent und gerate zusätzlich auch noch ins Abseits. Wenn aber genügend Spieler mit gemeinsamem Kulturverständnis antreten und sich bewusst und unterbewusst die Bälle zuspielen, dann stehen die Chancen besser. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass gute Kultur auf alle abfärbt und sich halten kann, wenn entscheidende Spieler aktiv zusammenspielen. Gute wie schlechte Kultur zieht mehr davon nach sich. Wir wissen noch wenig, wie diese Kultur-Mechanismen funktionieren. Aber man muss damit rechnen, dass der größere Teil davon ohne Bewusstsein abläuft und unbewusst gesteuert wird und dass bewusste Gestaltung nur begrenzt Einfluss hat. Man kann Kultur nicht vorschreiben oder von einer PR-Agentur designen lassen und anschließend in Leitsätzen verkünden. „Kultur entsteht durch Kultur, und Beispiele machen Schule“ lautet daher ein wichtiger isb-Slogan. Kultur kann man nur durch Kultur erzeugen. Das bedeutet: Man erlebt, wie sie ist und beteiligt sich an ihr, lernt sie zu leben und nach und nach mitzutragen. Kultur kann nicht anders entstehen, weil sicherlich zwei Drittel davon über unbewusste Mechanismen funktionieren. Wir können nur Teilaspekte bewusst herausfiltern. In der Hypnotherapie z.B. kann man lernen, Aspekte ins Auge zu fassen, aber wie alles genau funktioniert, weiß eigentlich keiner. Dennoch gibt es Erfahrungswissen und bewährte Vorgehensweisen zur Förderung besserer Kultur.

5.  Kultur, Steuerung und Dialog

Zwischenfrage: „Kultur ist so ein reichhaltiges Thema, und wir haben hier im Raum drei Perspektiven dafür. Einmal die Beratungsperspektive, auf welche Sie näher eingegangen sind. Dann haben wir Unternehmer hier, die im Unternehmen den Takt vorgeben müssen und dann auch Personalentwickler. Sie sagen, Kultur ist eine unsichtbare Kraft. Wenn ich jetzt Unternehmer wäre, würde ich mir ein Spiel wünschen, mit dem ich meine Kultur direkt sichtbar machen kann.“

Sicherlich müssen wir dazu spezifizieren und fragen: „In welchen Zusammenhang, für welche Menschen?“ Um angestrebte Kultur zur Sprache zu bringen, kann man einfache Fragen stellen, z.B.: „Wann habe ich das Gefühl, wirklich dort zu sein, wo wir sein wollen? Wie sieht diese Situation aus? Wer ist dabei? Wer sollte dabei sein? Wie kann man die Leute dorthin abholen? Was braucht es, um diese Menschen in dieser Kultur zu stärken? (Was, um sie ihnen suspekt erscheinen zu lassen oder zu verderben?)“ Man sollte Betroffene miteinander sprechen lassen, darüber, was sie erleben, wie sie selbst ihren Beitrag sehen und sich steuern, wenn sie eine positive Version hinkriegen wollen. Und dann hat man vielleicht positive Kulturbeispiele, an die man anknüpfen kann. Und man kann alternativ fragen: „Wann ist es schiefgelaufen und schwierig geworden, und wer war da auf der Bühne? Was hätte es für wen gebraucht, um ein Kippen zu verhindern?“

Auseinandersetzung mit Kultur ist ohne vertrauensvolle Gespräche auf Augenhöhe kaum denkbar. Es ist nicht ganz einfach, dahin zu kommen, aber man kann an Beispielen erkennen, was die Menschen bewegt. Beispiele beschreiben Kultur, denn Kultur findet im Konkreten statt. Nur was gelebt wird, überzeugt und motiviert. Deshalb ist es auch am besten, wenn man Kultur beispielhaft im Konkreten bzw. in Bildern studiert. Allerdings fängt es da meistens auch schon wieder an schwierig zu werden, denn nicht für jeden sind die gleichen Beispiele relevant. Die Geschäftsführung hat andere Interessen, andere Ebenen im Auge als die Personalentwicklung, als die regionalen Vorgesetzten, als die Mitarbeiter, als die Lohnbuchhaltung usw. Allgemeine Kulturbegriffe sind genauso komplex wie das, wovon sie zu sprechen versuchen. Man muss situativ entscheiden, was einen konkret interessiert, wenn man an Kultur arbeiten möchte. Es führt kaum ein Weg daran vorbei, sich mit dem Kulturthema im Dialog und im Konkreten auseinanderzusetzen. Man kann heutige Unternehmen nicht allein dadurch steuern, dass man sich Vorgaben für irgendwelche Ebenen überlegt und verkündet, so muss das jetzt sein. Ich glaube aber, dass zur Unternehmenssteuerung Kulturpflege gehört, da Kultur die ganze Komplexität der Selbststeuerung einzelner wie auch die Steuerung von Systemen umfasst. Beteiligte prüfen und wollen ein Gefühl dafür haben, ob propagierte Kultur normalerweise gelebt wird, oder nicht. Für Kultur steht ein sich einschleifendes „Fahrgefühl“. Wenn dies aus den unterschiedlichen Perspektiven gelingt, dann bekommt man eine von vielen getragene Steuerung durch Kultur für das Unternehmen.

6.  Lernen und Kultur

Als Bildungsmensch möchte ich gerne etwas zum Lernen sagen. Viele Unternehmen verstehen erst mal nicht, dass Kultur auch gleichzeitig Lernen bedeutet und sie daher in Sachen Lernen kundig werden müssen. Denn: Jede komplexe Arbeit bedeutet immer auch Lernen. Das meiste Lernen findet in der Arbeitspraxis statt und nicht in Schulungen. Schon deshalb sind die ewigen Transferdiskussionen weniger bedeutend. Es macht wenig Sinn, das Seminarlernen in sich zu optimieren und dann erst Transfer zu leisten. Organisationslernen sollte von vornherein auf Lernen in der Arbeitspraxis ausgerichtet sein.