Systemische Beratung und Supervision im Praxisfeld Organisation - Bernd Schmid - E-Book

Systemische Beratung und Supervision im Praxisfeld Organisation E-Book

Bernd Schmid

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Beschreibung

Die hier dargestellten Praxisbeispiele wurden aus 40 Jahren Beratung und Supervision im Praxisfeld Organisation ausgewählt. Sie stehen für typische Fragestellungen und Konflikte, denen sich Berater und Supervisorinnen im Organisationsfeld gegenübersehen. Jenseits von modischen Entwicklungen bleiben solche Grundkompetenzen in Beratung und Supervision entscheidend.

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isb GmbH - Systemische Professionalität

Institut für systemische Beratung, Wiesloch

www.isb-w.eu

Systemische Beratung und Supervision

im Praxisfeld Organisation

- Beispiele im Dialog

© 2021 Bernd Schmid

Herausgeber: isb-GmbH, Wiesloch

Autor: Bernd Schmid

Umschlaggestaltung: Bettina Gentner, isb-GmbH

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40,44 22359 Hamburg

ISBN:     978-3-347-32203-5 (Paperback)

               978-3-347-32205-9 (e-Book)

Printed in Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Systemische Beratung

und Supervision

im Praxisfeld Organisation

Beispiele im Dialog

Bernd Schmid

Dr. phil. Bernd Schmid (Jhg. 1946)

ist Gründer und Leitfigur der isb GmbH Wiesloch (seit 1984) und der Schmid Stiftung (seit 2011). Er war international tätig als Referent, Lern- und Professionskulturentwickler sowie als Unternehmer und Gründer von Initiativen und Verbänden. Seine Expertise in der Organisationsentwicklung und im Coaching stellt er heute als Mentor und Konzeptentwickler an der Schnittstelle von Profit- und Nonprofit-Unternehmertum bereit.

Schmid ist unter anderem Ehrenmitglied der Systemischen Gesellschaft und Ehrenvorsitzender im Präsidium des Deutschen Bundesverbandes Coaching. Er ist Preisträger des Eric Berne Memorial Awards 2007 der Internationalen TA-Gesellschaft ITAA, des Wissenschaftspreises 1988 der Europäischen TA-Gesellschaft EATA sowie des Life Achievement Awards 2014 der Weiterbildungsbranche. 2017 ehrte ihn die Deutsche Gesellschaft für Transaktionsanalyse DGTA für sein Lebenswerk.

Zahlreiche Essays zu persönlichen und professionellen Themen finden sich unter www.isb-w.eu/campus/de/schrift/Blogarchiv-von-Bernd-Schmid-0000SY0812D

Weitere Veröffentlichungen zum kostenlosen Download sowie Videos stehen bereit unter www.isb-w.eu/campus/de und www.youtube.com/user/ISBlearning.

Kopieren, Nutzen und Weiterverbreiten aller über die isb-Website zugängigen Materialien ist unter Quellenangabe erlaubt und erwünscht.

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

EINFÜHRUNG

I. PRAXISBEISPIELE AUS PERSPEKTIVE DER BERATUNG

1. KONFLIKTBERATUNG IM BILDUNGSWESEN

1.1 Der Beratungsfall

1.2 Wofür kann diese Beratung ein Beispiel sein?

1.3 Die Bühne

1.4 Der Beratungskontext

1.5 Bevor der Vorhang aufgeht

1.6 Der offizielle Beginn

1.7 Abschlussintervention:

1.8 Der zweite Beratungstag

1.9 Metalog

2. BEREICHSENTWICKLUNG IN EINEM TECHNOLOGIE-PROJEKT

2.1 Der Beratungsfall

2.2 Wofür kann diese Beratung ein Beispiel sein?

2.3 Die Bühne

2.4 Zur Vorgeschichte des Workshops

2.4 Vor Workshop-Beginn

2.5 Der Workshop

2.6 Nach dem Workshop

2.7 Der weitere Verlauf

2.8 Metalog

3. BERATUNGS-SEMINAR „AUSLANDSMONTAGE“

3.1 Der Beratungsfall

3.2 Die Teilnehmer und das erklärte Seminarziel

3.3 Auftragskontexte (und verdeckte Seminarziele)

3.4 Kontext der beruflichen Rahmenbedingungen

3.5 Hierarchiebeziehungen und Abteilungsrituale

3.6 Persönlichkeitsentwicklung

3.7 Lebensentwurf und berufliche Position

3.8 Abschlussbemerkung

4. VERTIKALE TEAMENTWICKLUNG ALS EIN BEITRAG ZUR ORGANISATIONSENTWICKLUNG

4.1 Ziele und Hintergrund des Artikels

4.2 Problembeschreibung

4.3 Leitideen

4.3.1 Vertikale Teams

4.3.2 Beispielorientierung

4.3.3 Strategische Führung und strategisches Management

4.3.4 Führungskommunikation

4.3.5 Change-Management und Change-Directing

4.3.6 Kulturbegegnung

4.3.7 Metaphorik

4.3.8 innovationsökonomie

4.3.9 Beraterrolle

4.3.10 Die Komponenten des Projektes

4.3.11 Das Steuerungsgremium

4.3.12 Die Lernwerkstatt der vertikalen Teams

4.3.13 Das Support-System

4.4 Der bisherige Verlauf und unsere Lernerfahrungen

5. INTEGRIERTE PERSONALARBEIT

5.1 Projektauftrag

5.2 Übliche Vorgehensweise

5.3 Durchgeführtes Veränderungskonzept

5.4 Instrumentarien

5.5 Stellenbesetzung

5.6 Start eines neuen Bereichs

5.7 Team Building eines Leitungsteams

5.8 Markt für Personalkonzepte und -instrumente

5.9 Aus- und Bewertungen

5.10 Entwicklungen in den betreuten Bereichen

5.11 Entwicklungen im Personalbereich

5.12 Konzepte und Instrumente

5.13 Vorgehensweise im Projekt

5.14. Integrierte Personalarbeit

II. PRAXISBEISPIELE AUS DER PERSPEKTIVE DER SUPERVISION

1. SUPERVISIONSPRAXIS AM INSTITUT FÜR SYSTEMISCHE BERATUNG

2. KASPAR: VERRÜCKTE AUFTRÄGE UND SCHUTZSTRATEGIEN

2.1 Der Beratungsfall

2.2 Wofür kann diese Beratung ein Beispiel sein?

2.3 Die Bühne

2.4 Das Supervisionsgespräch

2.5 Metalog

3. FIKTIONEN UND REALITÄTSKLÄRUNGEN

3.1 Der Beratungsfall

3.2 Wofür kann diese Beratung ein Beispiel sein

3.3 Die Bühne

3.4 Das Supervisionsgespräch

3.5 Metalog

4. BEZIEHUNGSDYNAMIK UND STRATEGISCHE ABSTIMMUNG IM BERATERSYSTEM

4.1 Der Beratungsfall

4.2 Wofür kann diese Beratung ein Beispiel sein

4.3 Die Bühne

4.4 Das Supervisionsgespräch

4.5 Metalog

5. KLÄRUNGS- UND ENTSCHEIDUNGSMODELLE IN EINER TEAMBERATUNG

5.1 Der Beratungsfall

5.2 Wofür kann diese Beratung ein Beispiel sein

5.3 Die Bühne

5.4 Das Supervisionsgespräch

5.5 Nachgespräch - einige Monate später

5.6 Metalog

6. TREIBSANDSYSTEME

6.1 Der Beratungsfall

6.2 Wofür kann diese Beratung ein Beispiel sein

6.3 Die Bühne

6.4 Das Supervisionsgespräch

6.5 Nachbesprechung mit dem Supervisor

6.6 Lehrgespräch in der Weiterbildungsgruppe

Exkurs: strategischer Umgang mit Treibsand-Kommunikation

Exkurs: Steuerung über Rollen

LITERATUR

Vorwort

Die hier dargestellten Praxisbeispiele wurden aus 40 Jahren Beratung und Supervision im Praxisfeld Organisation ausgewählt. Sie stehen für typische Fragestellungen und Konflikte, denen sich Berater und Supervisorinnen im Organisationsfeld gegenübersehen. Jenseits von modischen Entwicklungen bleiben solche Grundkompetenzen in Beratung und Supervision entscheidend.

Manche Fragestellungen sind heute noch komplexer geworden, doch sind viele Professionelle -externe wie interne- heute auch besser ausgebildet und haben gelernt mehr Hand in Hand zu arbeiten. Am isb-Wiesloch z.B. bilden sich Interne (2/3) und Externe (1/3) gemeinsam weiter und treffen sich danach weiter in Eigenregie. Vom isb werden Tools, Schriften, Charts, Audios und Videos über den isb-Campus kostenlos zur Verfügung gestellt.

www.isb-w.eu/campus

Über das isb-Netzwerk findet ein intensiver Austausch zwischen Professionellen und ihren Organisationen statt. So ist heute vieles einfacher und leichter zugänglich geworden.

Einige schwierige Themen lassen sich nicht so leicht auf einfache Nenner bringen. Man muss eher ein „Fahrgefühl“ für den Umgang mit ihnen entwickeln.

Dadurch verbessern sich die Chancen, für neue Situationen passende Lösungen selbst zu entwickeln. Durch Anteilnahme an konkreten Praxisbeispielen kann man Entscheidendes lernen, sei es live in Arbeits- und Weiterbildungsgruppen oder eben hier an aufbereiteten Darstellungen. Beim Schmökern kann man sich von hervorgehobenen Begriffen im Text leiten lassen kann.

Wer sich für systematisch aufbereite Versionen der isb-Konzepte und Vorgehenseisen interessiert, dem sei das kostenlose isb-Handbuch, das gleichlautend in Deutsch und in Englisch vorliegt, empfohlen.

www.isb-handbuch.de

www.isb-handbook.eu

Dort werden in 12 Kapiteln wesentliche isb-Konzepte der letzten 40 Jahre dargestellt und zu weiterführenden Studien auf dem isb-Campus eingeladen.

Ich danke allen, die an der Entstehung dieser Schrift mitgewirkt haben, insbesondere Stefan Liebig meinem Gesprächspartner in diesem Buch und wünsche allen Gewinnbringendes Studieren.

Bernd Schmid, Wiesloch im März 2021

Einführung

Im ersten Teil dieses Bandes „Systemische Beratung und Supervision im Feld Organisation“ finden Sie Berichte über Beratungen mit Abteilungen von Unternehmen. Es handelt sich dabei um Werkstattberichte, in denen sich die Ereignisse so entfalten, wie sie sich den Beratern in der Situation dargestellt haben. Den ersten beiden Fallberichten folgen ausführliche Metaloge, in denen die Vorgänge im Zwiegespräch der Autoren Monate später diskutiert werden. Die auftauchenden Praxisfragen sind hier häufig Anlass zu umfassenden Überlegungen zur Unternehmenskultur oder zu Führung und Management. Der Beitrag der Fachleute im Bereich Humanressourcen und Fragestellungen einer externen Beratung aus systemischer Sicht werden in vielfältiger Weise diskutiert. Im dritten Beratungsbeispiel sind konzeptuelle Überlegungen, die BERND SCHMID zusammen mit dem Ko-Autor PETER FAUSER angestellt hat, in die Darstellung des Seminars integriert.

Im zweiten Teil dieses Bandes werden Praxisbeispiele aus der Perspektive der Supervision dargestellt. Externe Berater und unternehmensinterne Fachleute im Bereich Humanressourcen setzen sich als Weiterbildungsteilnehmer des Curriculums „Systemische Beratung“ in Supervisionen mit Professions- und Praxisfragen auseinander. Zunächst werden die Praxisdarstellungen und die darauf bezogenen Supervisionen mit BERND SCHMID so berichtet, wie es dem Ablauf in der Weiterbildungssituation entsprach. Dann gibt es auch hier zu jedem Fall ausführliche Metaloge über die Situation, die die Autoren mit größerem zeitlichem Abstand führten. Neben den Fragen der systemischen Beratung in Organisationen und dem Umgang mit Management- und Stabsfunktionen in Organisationen, kommen hier Fragen der Weiterbildung von Beratern, insbesondere durch Supervision, hinzu. Führten die Autoren die Metaloge in Teil I aus der Perspektive des systemischen Beraters, der seine Arbeit erläutert, beziehen sie sich nun auf Supervision und Lernen aus der Perspektive des Lehrtrainers für Fachleute im Bereich Humanressourcen.

Die Metaloge zwischen Bernd Schmid und Stefan Liebig über die Beratungen und Supervisionen greifen - dem Fluss der Gespräche folgend - vielfältige Aspekte systemischer Beratung aus den verschiedensten Perspektiven auf. Schlüsselbegriffe sind hervorgehoben, um dem Leser ein selektives Lesen entsprechend eigener Interessen zu erleichtern. In den meisten Fällen dürfte es mit Hilfe der Schlüsselbegriffe auch möglich sein, die Metaloge mit Gewinn zu lesen, ohne die jeweilige Falldarstellung präsent zu haben.

Ich möchte darauf hinweisen, dass es bei den Fallbeispielen nicht darum ging, besonders gelungene oder vorbildhafte Arbeiten vorzustellen. Vielmehr wurden Dokumentationen ausgewählt, die die Vielschichtigkeit der Problemstellungen illustrieren und Gelegenheit bieten, sie ausführlich zu besprechen.

Den Leser, die Leserin möchte ich dazu einladen, die Ausführungen des Beratungsprozesses dafür zu nutzen auch eigene Überlegungen zum weiteren Vorgehen und zur Konzeptualisierung anzustellen: „Was fällt mir auf? Wovon würde ich mich in dieser Situation leiten lassen? Was ist das Problem und wie müsste es dann weitergehen?“ Nach diesem reflektierenden Innehalten können die eigenen Ideen dann mit dem Vorgehen in der Beratung abgeglichen werden. Natürlich ist die von dem Berater gewählte Beratungsstrategie nur eine der möglichen. Doch kann es interessant sein, anderen über die Schulter zu schauen und deren Konzeptualisierungen und Vorgehensweisen zu studieren.

I. Praxisbeispiele aus Perspektive der Beratung

1. Konfliktberatung im Bildungswesen

1.1   Der Beratungsfall

Der vorliegende Fallbericht erzählt von der Beratung eines Trainerteams, durchgeführt von Bernd Schmid am Institut für systemische Beratung. Die Dokumentation besteht aus zwei Teilen: dem Bericht über zwei Beratungen im Abstand von drei Monaten und einem Metalog ca. zwei Jahre später.

1.2   Wofür kann diese Beratung ein Beispiel sein?

Die Beratung liefert ein Beispiel dafür, wie unklare Entscheidungsstrukturen zu persönlichen Problemen zwischen Mitarbeitern führen können. Der Metalog bietet Optionen, wo Einflussmöglichkeiten und Grenzen der Wirksamkeit und der Verantwortung für Mitarbeiter und Berater innerhalb solcher Systeme liegen. Zudem werden Kriterien für Lernen in Organisationen, Grundmodelle der Organisationsqualifizierung (bottom-up vs. top-down Konzept) und die Reichweite der Wirksamkeit unterschiedlicher professioneller Rollen formuliert.

1.3   Die Bühne

Wir befinden uns auf einem Seminar im Rahmen einer Fachtagung. Auf dieser Fachtagung treffen sich Professionelle aus dem Bereich Humanressourcen, um sich über fachliche Fragen auszutauschen. Bernd Schmid und Herr K, Leiter der Führungskräfte-Weiterbildung des Kundenunternehmens, gestalten einen Workshop zum Thema „Systemische Beratung“ (Bühne 1). Sie schildern gemeinsam diesen ersten Beratungstag (Bühne 2) als Beispiel aus der laufenden Arbeit und werden von den Teilnehmern (TN) der Fachtagung zu ihrem Vorgehen befragt.

1.4   Der Beratungskontext

Die Teilnehmer an dieser Beratung sind Mitglieder der Vertriebstrainings-Abteilung eines Großunternehmens im Technologie-Bereich. Herr A ist der Leiter des „Vertriebstrainings-Gesamt“. Neben ihm gibt es zwei weitere Leiter anderer Trainingsbereiche, K und E. Herrn A vorgesetzt ist Herr Z, der für den gesamten Bereich „Training“ des Unternehmens verantwortlich ist. Mitarbeiter von Herr A sind B, C, D und F. (siehe Organigramm, Abb. 1)

Organigramm der Abteilung Vertriebstraining zur Zeit der Beratung

Herr A hat dem Leiter der Abteilung Managementtraining, Herrn K, verschiedene Schwierigkeiten in der Organisation seiner Abteilung vorgetragen. Beide kamen überein, die Situation in einer systemischen Konsultation am Institut für systemische Beratung in Wiesloch zu klären. Bernd Schmid arbeitete zu dieser Zeit schon länger mit dem Leiter der Abteilung Managementtraining dieses Unternehmens zusammen. Dies geschah insbesondere im gemeinsamen Leiten von Workshops, die beide zusammen internen Kunden des Unternehmens als Teamberatungen und Bereichsentwicklungs-Maßnahmen anboten.

Herr A war schon ein Jahr zuvor als Mitarbeiter einer ganz anderen Abteilung Teilnehmer an einem Workshop mit Bernd Schmid gewesen und versprach sich aufgrund dieser Vorerfahrung einen Nutzen von dem vorgesehenen Beratungstag. Beauftragt und finanziert wurde die Beratungsmaßnahme durch die Abteilung Managementtraining, bei der die dafür vorgesehenen Budgetmittel im Unternehmen angesiedelt waren. Da der Leiter der Abteilung Managementtraining, Herr K, sich in diesem Fall als mitbetroffener Kollege sah, zog er es vor, nicht wie gewohnt als systemischer Berater mitzuwirken.

1.5   Bevor der Vorhang aufgeht

BS1: Zunächst wird mir vom Sekretariat des Herrn A mitgeteilt, dass A mit der ganzen Gruppe eine halbe Stunde vor Beginn des Seminars kommt. Verabredet ist ein Tag Organisationsberatung.

A ist seit vier Wochen Leiter des Vertriebstrainings. Er sagt mir, er wolle gleich zu Beginn seiner Tätigkeit Beratung in Anspruch nehmen. In der Abteilung würde es erhebliche Spannungen geben, die mit ihm zunächst gar nichts zu tun hätten, sondern mit der Vorgeschichte der Abteilung zusammenhingen. Es sei wichtig, bei Beginn seiner Tätigkeit herauszufinden, inwiefern die Vorgeschichte mit dem früheren Leiter und die Spannungen Einfluss auf die neue Arbeitsvereinbarung und das Verhältnis zu ihm von Seiten der „Truppe“ - wie er das sagt - hätten. Der vorhergehende Leiter sei unter anderem wegen Unregelmäßigkeiten in seiner Geschäftsführung z.B. in Budgetfragen unangenehm aufgefallen und er wäre schon eine ganze Zeit lang vorher „geschasst“ worden.

Auf die Nachfrage, was konkret passiert sei, erklärt A, es wäre ein Problem, dass er selbst auch nicht genau erfahren habe, was eigentlich gewesen sei. Unter anderem solle der Tag heute dazu dienen herauszufinden, was denn da noch im Hintergrund wäre. Er signalisiert mir aber, dass er annimmt, dass Loyalitätsbeziehungen der Mitarbeiter zu diesem vorhergehenden Leiter eventuell noch eine Rolle spielen. Der schlechte Eindruck, den der Vorgesetzte im Unternehmen wegen unklaren Sachen hinterlassen habe, laste noch auf der Truppe. Und er müsse mit einem problematischen Erbe leben.

Die Gruppe habe bereits im Rahmen eines anderen Workshops versucht, ihre Beziehungen untereinander zu klären und es hätten sich große Schwierigkeiten zwischen zwei Leuten in diesem Team aufgetan, zwischen B und F.

1.6   Der offizielle Beginn

BS: Mittlerweile ist die halbe Stunde um und ich sage, „gut wir sehen einmal“. Ich stelle die übliche Eingangsinterviewfrage: „Wie kommt’s, dass Sie hier sind“. Es stellt sich heraus, dass alle vier Mitarbeiter zwei Tage vorher schriftlich erfahren haben, dass es hier stattfindet.

TN: Die Mitarbeiter haben nur die schriftliche Information bekommen, dann und dann da und da zu sein, ohne weitere Vorgespräche mit diesem A?

BS: Ja. Ich frage dann dementsprechend, wer denn meint, dass bei dieser Veranstaltung etwas herauskommen könne und wer denn irgendein Anliegen habe. Es stellt sich schnell heraus, dass keiner ein Anliegen hat aber alle denken, der A werde sich schon irgend etwas einfallen lassen, wenn er das angezettelt hat. Ich frage, wer denn eher skeptisch und wer denn eher positiv dieser Sache gegenüber eingestellt sei und es äußern eigentlich alle Skepsis. Außer A! Dieser äußert, dass er die Besprechung wesentlicher Fragen erwarte. Auf Nachfragen, was er darunter verstehe, bleibt er unklar. Er deutet nur an, dass persönliche Beziehungskonflikte da seien, die wohl geklärt werden müssten. Ich frage, wer denn das für wichtig und nützlich halte und höre von B, C, D und F, dass man sich davon nichts erwarte. Es hätte Versuche gegeben und es gäbe da unüberbrückbare Gräben. Mir wird signalisiert: „In der Hinsicht wollen wir hier nichts besprechen“. Ich reagiere darauf sehr freundlich und sage, dass ich das gut verstehen könne und interessiere mich nicht für ihre persönlichen Konflikte. Ich frage einfach, wie ihre Situation sonst so wäre. A wäre ja seit vier Wochen Leiter. Auf die Frage, ob sie denn normalerweise jetzt Teambesprechungen hätten, erfahre ich, dass sie noch keine einzige Teambesprechung mit dem neuen Leiter hatten. Das erste gemeinsame Zusammentreffen findet also hier in diesem Raum statt. Vorher gab es Zweier-Gespräche. In diesen hatte A insbesondere mit B und F jeweils Gespräche geführt, in denen eben auch die massiven Konflikte und die Ansprüche von B und F, wie diese Konflikte gelöst werden müssten, besprochen worden waren. A habe jedoch nichts Klärendes getan.

Im Laufe meines Interviews stellt sich dann heraus, dass B der Leiter der anderen drei ist. Also A, darunter B, darunter C D und F. Ich frage dann nach dem organisatorischen Aufbau der Abteilung. F äußert, dass ihr mehr versprochen gewesen wäre als nur Trainerin zu bleiben und dass sie mit A’s Chef im Gespräch sei, damit sie jetzt endlich das kriege, was ihr vom Vorgänger A’s zugesagt worden sei. Wenn nicht, dann würde sie über Konsequenzen nachdenken. Sie signalisiert, dass sie möglicherweise kündigt. A gibt zu verstehen, dass er dafür Verständnis habe, dass er aber gleichzeitig annimmt, dass ihre Ansprüche nicht befriedigt werden. Er lässt es letztendlich aber doch im Unklaren, so dass F sagt, sie gehöre hier eigentlich nicht mehr dazu, es sei denn, es geschehe noch etwas. C und D äußern, dass sie zwar zurzeit in dieser Abteilung arbeiteten, jedoch nicht wüssten, wie lange das noch der Fall sein werde. Ich frage weiter, woher C und D kommen und wohin sie gehen wollen. Es stellt sich heraus, dass die Abteilung nicht aus einer Hand finanziert wird, sondern D, C und F aus verschiedenen Vertriebsbereichen abberufen sind. Ihre Stellen sind also nicht in diesem Trainingsbereich angesiedelt, sondern im Vertriebsproduktbereich, für den trainiert wird. Aus betriebspolitischen Gründen habe man die Abteilung dadurch gebildet, dass man aus den Vertriebsbereichen die Stellen ausgeliehen habe.

D und C äußern, dass sie ja auch Fachleute für den Vertrieb seien und eigentlich nur für zwei Jahre zum Vertriebstraining gehen sollten. Näher befragt, sagen sie, dass sie ihre Identität in erster Linie nicht als Trainer, sondern als Vertriebsleute sehen und eigentlich auch in den Vertrieb zurückkehren wollen. B ist aus der Peer-Position zum Leiter ernannt worden und wird mittlerweile von der Linie A und darüber finanziert.

TN: Existierte die Stelle, die B bekommen hat schon vorher?

BS: Nein, sie wurde neu geschaffen. Da wurde eine Ebene eingezogen. Ich glaube auch die Position von A wurde neu geschaffen. B hat die Position bekommen, die der Vorgänger von A zuvor innehatte, nur etwas abgemagert. Der Vorgänger von B war also der, von dem wir bisher Gerüchte gehört haben.

TN: Von wem wurde B auf den Platz gesetzt?

BS: Von Z, dem Vorgesetzten von A in Zusammenarbeit mit A, der zu dieser Zeit bereits designiert war. Weil C, D und F den Vertriebsbereichen finanziell zugeordnet sind und auch dort ihre Haupttätigkeit haben, sind sie nicht bereit, sich von B leiten zu lassen, der bisher ein Peer war. Ihre unausgesprochene Vereinbarung lautet: „Jeder erhält einen Bereich und tut, was er mag“. Es ist eigentlich bisher keine Abteilung geworden. Dem B hat das nicht gefallen und er hat in diesem Zusammenhang mit F Streit bekommen. F hat sich als die zumindest gleichberechtigte Anwärterin für die Position B’s angesehen und lebt nun offensiv ihre Verweigerung.

TN: Was war der Hintergrund, dass bei so wenigen Leuten noch eine Ebene eingezogen wurde?

K: Der Hintergrund war der, dass die verschiedenen Vertriebsbereiche sehr unkoordiniert arbeiteten. Man dachte, jetzt machen wir zumindest im Vertriebstraining einen drüber, der dann die Aufgabe hat, diese Bereiche zu koordinieren.

TN: Und warum konnte A diese Koordinierung leisten, wozu brauchte man B?

K: A’s Aufgabe war, insgesamt zu koordinieren. Die Abteilung B’s ist nur einer der Bereiche, die A zu koordinieren hat.

TN: A ist noch für andere Bereiche zuständig?

K: Ja.

BS: Dass das so spät herauskommt ist ein Abbild dessen, was auch an diesem Beratungstag geschehen ist. Ich habe A gefragt, welche anderen Aufgaben er habe. Er erzählt mir, er solle auch noch andere Bereiche aufbauen. Wie ich später erfahren habe, ist die Darstellung, diese müssten erst aufgebaut werden, schief. A war für andere Bereiche schon zuständig, hatte aber dort enorme Akzeptanzschwierigkeiten. Diese anderen Bereiche sind volumen- und kopfzahlmäßig sogar viel wichtiger, als das anwesende versprengte Häuflein. Das kommt aber an diesem Beratungstag auch auf explizite Fragen hin nicht heraus. Sondern es wirkt so, als wären A und B zwei verschiedene Leiter für die anderen drei, die eigentlich ohnehin wieder in den Vertrieb zurückwollen. Natürlich habe ich gefragt, wozu man eigentlich A brauchte oder wenn A der Leiter sei, wozu man dann noch B benötige. Ich bekomme darauf aber keine klärende Auskunft, weder von A noch von B.

Ich habe dann die Not zur Intervention gemacht und erklärt, dass ich den Eindruck habe, dass es wahrscheinlich viel zu früh sei, irgend etwas zu klären. Wenn D und C gehen wollten und F eventuell gehen wolle, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden, so seien die Anwesenden gar nicht die, mit denen zu klären wäre, was in Zukunft zu tun sei. Ich frage dann, welche Ideen B und A hätten oder entwickeln könnten, wie später die Abteilung aussehen würde, wenn ganz andere Leute mit einem möglicherweise anderen Selbstverständnis eingestellt würden. Auf solche Fragen hin lässt A durchscheinen, es gäbe da sehr wohl Konzepte und Ideen, benennt sie inhaltlich aber nicht. C, D und F interessieren sich auch nicht dafür, ob es da Konzepte gibt oder nicht. Es ist also nicht so, dass sie aufhorchen und Überlegungen anstellen im Sinne von: „Da gibt es also Planungen! Was heißt das für uns?“ Die Idee der „Konzepte und Pläne“ wird von A eingestreut, hinterlässt aber nicht die von mir erwarteten Auswirkungen in der Gruppe.

Ich frage dann nach der Vorgeschichte mit dem vorigen Leiter, der die heutige Position von B und A innegehabt hat. Ich interessiere mich dafür, was denn damals gewesen ist und ob es die Gruppe heute noch beschäftigt. Ich höre von C und D, dass der ehemalige Leiter einen ganz anderen Stil gehabt habe. Er habe das mehr als ein Projekt aufgefasst, nicht als eine neue Institution. Er habe sicher vieles problematisch gemacht, sei aber auch aktiv gewesen und habe das ein oder andere angestoßen. Er scheint also den Leuten relativ viel Spielraum gelassen zu haben. Auf die Frage, warum der rausgeflogen sei, stellt sich heraus, dass keiner im Raum weiß, was an den Gerüchten eigentlich dran ist. C und D zeigen sich etwas verwundert darüber, wie ich zu der Vorstellung komme, dass mit dem etwas krumm gewesen sei. Als ich mich auf Aussagen von A beziehe, wiederholt dieser: „da ist etwas vorgefallen, aber was genau, weiß ich auch nicht“. Ich komme also auch hier mit dem Versuch, mir ein Bild zu verschaffen, nicht weiter.

Es geht dann um Budgetfragen. B meint, die Abteilung müsse jetzt ein gemeinsames Programm haben und es würde mehr Arbeit auf sie zukommen. Da müssten Prioritäten gesetzt werden. Und es müsse über Geld entschieden werden und darüber, inwiefern C, D und F mehr Koordinationsfunktionen übernehmen könnten. In den Vertriebsbereichen solle künftig mehr mit externen Trainern gearbeitet werden. Es müsse geklärt werden, wieviel diese kosten dürfen. Es müssten also Kriterien erarbeitet werden, die ermöglichen, in den verschiedenen Bereichen Prioritäten zu setzten, nach denen Geld für Externe ausgegeben werde. Oder man müsse entscheiden, wie man vielleicht interne Leute verpflichten könne und über welche Abteilungen das dann laufen müsse, damit sie freigestellt würden und derartige Dinge.

Daraufhin meinen B, C, D und F, das wäre zurzeit so, dass jeder sozusagen ein Viertel vom Topf bekomme und damit machen könne, was er wolle. Weiteres sei nicht geklärt. B meint, da müsse tatsächlich etwas geklärt werden. Er hätte schon versucht, den anderen zu sagen, was er denke, aber das hätte ja nur im Streit mit F geendet. Er sei da auch nicht weiter und wisse nicht, was A dazu meine. A erklärt daraufhin, er habe bereits einen Budgetplan ausgearbeitet, der eigentlich eine klare Richtlinie für B und die anderen für das nächste Jahr böte. Ich frage B, ob er das so erlebe. B meint, er wisse das nicht. Dann frage ich A wieder zurück, ob er den Eindruck habe, es sei geklärt. A betont, es wäre geklärt. Ich hatte erwartet, dass C, D und F nun sagen: „Nein, es ist nicht geklärt und wir wollen es klären!“ oder, dass B sich mit A anlegt. Ich erwähne, dass normalerweise solche Dinge geregelt werden müssten oder zumindest geklärt werden könne, ob es geregelt sei oder wann von wem eine Regelung zu erwarten sei. Die Anwesenden finden auch, dass sicher einmal darüber geredet werden müsste. Dann versandet die Diskussion.

Ich frage dann, wofür es denn gut wäre, es nicht zu regeln. Nachdem für C, D und F die Zukunft ihrer Beziehung zu dieser Abteilung ungeklärt ist, erscheint diese Strategie vorteilhaft, da ihnen dadurch niemand hineinredet. B hat wohl schon versucht, Linie hineinzubringen, hat sich aber nur Ärger zugezogen. Den könnte er durch Nicht-klären vermeiden. A antwortet nicht auf meine Frage, sondern weist auf die seiner Meinung nach vorhandene Klärung hin. Auf die Frage, wer sich denn wie mit der Abteilung identifiziert, sagt F, sie würde sich gern identifizieren, wolle aber noch ein paar der versprochenen Privilegien, sonst bleibe sie nicht. B identifiziert sich, hat aber niemanden, der bereit ist, sich von ihm leiten zu lassen. A hält sich bedeckt.

An dieser Stelle gehen wir dann Mittagessen. Die Sitzung hatte bis dahin drei Stunden gedauert. Das Gespräch war von anfänglicher Reserviertheit abgesehen ganz flüssig.

Allerdings, kam die Kommunikation ohne mein Zutun auch nicht in Gang.

TN: Hat keiner versucht, sich mit dir zu verbünden oder dich als Schiedsrichter einzubeziehen?

BS: Bei der Rückfahrt vom Mittagessen spricht mich A noch einmal an und meint: „da wäre aber noch dieser große persönliche Konflikt zwischen B und F, der sei noch nicht geklärt; ob es nicht sinnvoll sei den anzugehen?“ Er ahnte wohl schon, dass ich das nicht sinnvoll finden würde. Ich sage ihm, dass ich nicht den Eindruck hätte, dass in dieser Abteilung die Voraussetzung gegeben sei, irgend etwas Persönliches zu klären. Es sei so gut wie nichts geklärt und dann könne das Persönliche auch nicht klar sein. Ich nehme aber die Anregung am Nachmittag doch auf. Zu Beginn der Nachmittagssitzung frage ich, wie sie denn angesichts der Lage miteinander umgehen. Es wird daraufhin von unüberbrückbaren Gräben zwischen F und den anderen und insbesondere zwischen F und B gesprochen. „Mit dem B kann ich nicht mehr!“, sei die feste Einstellung von F. Es hätte im letzten Jahr auch verschiedene Zwischenfälle gegeben, bis hin zur Kontrolle von Anwesenheitszeiten.

B scheint über disziplinarische Maßnahmen versucht zu haben, die anderen dazu zu kriegen, sich von ihm leiten zu lassen. Damit hat er sich natürlich besonders in die Nesseln gesetzt. Insbesondere bei F, die ohnehin der Meinung ist, dass sie eigentlich mindestens an B’s Stelle sein müsste. Ich habe mir die beiden Menschen angeschaut. Sowohl B als auch F wirken auf mich nicht persönlich miteinander im Streit. F wirkt enttäuscht und ärgerlich darüber, wie ihr mitgespielt worden ist. Es sind ihr wohl tatsächlich Versprechungen gemacht worden, die nicht eingehalten wurden. Ich zeige Verständnis, dass sie diese Dinge geklärt haben möchte und unter diesen Umständen im Moment keine Basis hat, hier richtig eingebunden zu sein. Allerdings lässt F auf Nachfragen offen, ob und wann eine Klärung möglich sei. Der Vorgesetzte von A, auf dessen Aktivität sie wartet, wird zumindest von B als jemand angesehen, der Dinge einfach nicht klärt. F hat zwar dort vorgetragen, dass sie mit einigem nicht einverstanden ist und dass sie eventuell geht. F sagt aber selbst, dass sie das seit einem Jahr versuche und der Vorgesetzte von A einfach nicht reagiere. Er sei zwar immer sehr nett, wenn sie bei ihm sei, tue aber dann doch nichts.

TN: Das heißt, F überspringt zwei hierarchische Stufen, um ihre Anliegen durchzusetzen?

BS: Ja! Was von A mit Interesse verfolgt aber in keiner Weise als Problem gesehen wird. Es wird ihr auch nachgesehen, weil man wahrscheinlich auch Verständnis hat, dass ihre gegenwärtige Position nicht den Versprechungen seitens ihrer Führung entspricht. B will sich nicht weiter mit F anlegen, sonst kriegt er wieder persönlich Ärger. A würde es gerne auf der persönlichen Ebene regeln, will aber die Organisations-, Inhalts-, Konzept- und Politikebene nicht mit ins Spiel bringen. Ich habe den Eindruck, dass F nicht sehr festgelegt ist, was sie genau will. Aber sie will nicht einfach Nichts kriegen.

F wirkt übrigens kompetent auf mich, während B, C und D etwas „trocken“ wirken. Meine innere Einstellung ist: Das ist eine gute Idee, dass sie wieder in den Vertrieb zurückgehen. Vielleicht sind sie gute Vertriebsleute, aber kaum gute Trainer. Das alte Qualifizierungskonzept im Fachtraining war: „wer sein Fach beherrscht, bringt es den anderen bei“. Das neue Konzept für Fachtraining würde diese Grundidee in den Rahmen einer Bildungsstrategie stellen, die von Bildungsfachleuten gesteuert wird. Hier könnte eventuell eine neue Trainingsabteilung entstehen, in der die Trainer didaktische Profis sind. B und F könnten in diese Richtung gehen. A ist in dieser Hinsicht nicht vorgebildet. Wenn das das Konzept wäre, könnte man sich dann fragen, warum dann A auf die Leiterstelle gekommen ist? Ich habe nicht den Eindruck, dass A bereit ist, irgendwelche Konturen zu zeigen. Deshalb gebe ich bald auf, ihn nach solchen Dingen zu fragen.

Nachdem B und F mir nicht persönlich im Streit scheinen, behauptete ich einfach mal, die persönliche Unverträglichkeit wäre ein interessanter Mythos, den sie sich da erfunden hätten. Offenbar sei in diesem Workshop, der diesem Thema gewidmet gewesen sei, die Idee unterstützt worden, dass da unüberbrückbare Gräben wären. Ich hätte hingegen den Eindruck, dass die beiden sich eigentlich gut vertragen würden, wenn die organisatorischen Voraussetzungen für eine geordnete Zusammenarbeit gegeben wären. Ich hätte nicht den Eindruck gewonnen, als wären diese Voraussetzungen gegeben.

Ich frage noch einmal, was denn der Vorteil davon sei, dass sie als hoffnungslos zerstritten gälten. Es ist ihnen dann zu entlocken, es sei möglicherweise ein Vorteil, dass A seine Führungsrolle nicht wahrnehmen könne, solange sie beide nicht miteinander könnten. Den Status quo bezüglich der Budgetregelung aufrechtzuerhalten, sei ebenfalls ein Vorteil dieses Verhaltens, da nicht klar sei, was danach komme und auch die Motivation der Beteiligten unklar sei. An dieser Stelle tauen außer A alle auf. Da ist plötzlich Bewegung drin. B, C, D, und F sind sichtbar erleichtert, dass ich nicht auf die Schiene des persönlichen Konflikts gegangen bin, sondern sie eher als verträgliche Menschen sehe und Konflikte als Ausdruck der organisatorischen Situation interpretiere. Auch B wirkt deutlich erleichtert, obwohl es ihm etwas unglaubwürdig vorkommt, dass diese Sicht des Problems tatsächlich den Tatsachen entspricht.

Ich lasse nun meine Ideen zu einer weiteren Klärung einfließen: (1) A müsste mit seinem Vorgesetzten Z die Situation von B klären und sich (2) Gedanken zur Organisation und Funktion einer zukünftigen Abteilung machen. (3) C und D sollten klären, wann sie wieder in den Vertrieb zurückgehen wollen und B und A müssten (4) überlegen, welche neuen Leute sie dann einsetzten wollen. B erklärt daraufhin, er habe schon Ausschau nach Nachfolgern von C und D gehalten. A erklärt gegenüber D und C, sie könnten natürlich solange bleiben, wie sie wollten. C und D erklären, sie wollten zurück in den Vertrieb, wüssten aber nicht genau, wann sie gehen wollen. Ich frage A, ob er weiß, mit wem B Sondierungsgespräche für eine Nachfolge von C und D führt. A erklärt, er wisse das nicht, habe aber vollstes Vertrauen. Nachdem sich die Beratungssitzung ihrem Ende zuneigt, lasse ich in dieser Hinsicht los, da ich genug Informationen gesammelt habe, um eine Abschlussintervention zu erfinden.

Vor der Abschlussintervention frage ich noch, wie sie diesen Tag empfunden hätten und ob sie noch etwas sagen wollten, was ich noch wissen müsse. B, C, D und F wollen nichts mehr sagen, haben aber das Gespräch als überraschend konstruktiv empfunden. A wirkt undifferenziert. Ich habe die Phantasie, dass seine Rechnung, dass ich an seiner Stelle Ordnung schaffe, nicht aufgegangen ist.

1.7   Abschlussintervention:

„Ich erlebe Sie als eine aufmerksame und kritische Gruppe, die trotz starker innerer Beteiligung mit Distanz an Fragen der Organisation ihrer Arbeit und der Beziehungen untereinander herangehen kann. Insbesondere scheinen sie auch Begabung für eine humorvolle Betrachtung der anstehenden Fragen zu haben. Dies ist eine gute Voraussetzung sowohl für Klärung als auch für diplomatisches Leben mit ungeklärten Zuständen. Als Medizinmann bin ich nicht allzu besorgt um Ihre Gesundheit, egal, welcher Kultur Sie sich mehr zugeneigt sehen. Das ist mir auch wichtig, dass Sie mit der Kultur, in der sie sich sehen, leben können. Ich finde es faszinierend, wie Sie auch dort, wo durchaus Dinge geklärt sind, eine Atmosphäre der Ungeklärtheit entstehen lassen können. Ich war anfänglich geneigt, darin ein Problem zu sehen. Mittlerweile wäre zu erwägen, ob das nicht einfach ein Stück ihrer Kultur ist, das ich am Anfang nicht verstanden habe.

Die Idee, es gäbe Ungeklärtheiten über die tatsächlich ungeklärten Dinge hinaus, ebenso wie die Idee, es gäbe unüberbrückbare Gräben über das, was tatsächlich vielleicht an Konflikten da ist, ist ein Bestandteil dieser Kultur. Die hat wohl ihre Geschichte und sicher auch ihren Sinn, auch wenn ich diesen Sinn noch nicht verstehe. Es sieht auf Anhieb so aus, als würde diese Kultur - auch dass jeder sein eigenes Reich hat in dieser Kultur - durch ein neues Abteilungskonzept in Frage gestellt. Ich habe aber den Eindruck, dass es fast so etwas wie eine Vereinbarung nebenher gibt, dass das nicht so heiß gegessen werden soll, wie es gekocht ist. Ein Teil der Kultur scheint zu sein, zwar auf Aufklärung zu drängen, aber es auch nicht ganz so wichtig damit zu nehmen. Unklar ist, wie man dann miteinander, aneinander vorbei, jeder für sich leben würde, wenn tatsächlich Klärungen stattfinden würden, oder wenn eine Atmosphäre der Geklärtheit entstehen würde.

Ich habe auch wahrgenommen, dass Sie sich in der Hinsicht gegenseitig sehr rücksichtsvoll behandeln und jedem einen großen Schonraum zubilligen. Insbesondere muss keiner zu klar Stellung nehmen. Oder wenn jemand Stellung nimmt, verzichten Sie aufs Nachhaken, ob das nun klar ist und was daraus werden soll. Wie ich höre, scheinen nicht nur die Beteiligten hier, sondern andere Betroffene in der Hierarchie durchaus an dieser Kultur beteiligt zu sein, so dass das Ganze in seiner Weise recht stimmig erscheint.

Auf Grund meines Naturells hätte ich gedacht - naiv wie man manchmal ist - zunächst müssten da Nägel mit Köpfen gemacht werden. Da müsste jetzt entschieden werden, was in Zukunft sein soll. Da müssten Leuten Kriterien an die Hand gegeben werden, nach denen sie sich entscheiden können, ob sie bleiben oder gehen, ob sie zufrieden sind oder nicht. Das erscheint mir jetzt im Nachhinein aber als eine voreilige Idee. Es scheint mir jetzt wichtiger, die interessante Mischung von Unbestimmtheit und Durchsetzungswillen, die ich in dieser Kultur wahrnehme, näher zu studieren. Da es wichtig ist, dass Sie etwas von Kulturen verstehen, möchte ich Ihnen - auch als Trainer - zur Weiterbildung empfehlen, diese Kultur, die Sie da zusammen pflegen, ebenso wie den Mythos, den Sie aufbauen (zum Beispiel den der tiefen Gräben), weiter zu studieren. Es ist noch wenig klar, wie Sie das machen. Sie haben gerade gesagt, es sei wichtig, dass Sie Treffen untereinander machen. Ich finde es eine sehr gute Idee. Es scheint mir wichtig, diese Treffen tatsächlich zu machen, und ich empfehle Ihnen, nichts an Ihrem Verhalten zu verändern. Sondern jeder soll weiterhin - selbst wenn ihm nach etwas anderem zumute ist - in der üblichen Art und Weise dazu beitragen, diese Mischung von Unbestimmtheit und Durchsetzungswillen zu pflegen und die Diplomatie, die damit einhergeht zu stützen. Es kann sein, dass jeder von Ihnen gelegentlich einmal einen ganz anderen Akzent setzt. Das müssen und sollen sie sich auch nicht völlig verkneifen, aber mehr wegen des Experimentierens,um diese Kultur anhand der Reaktionen auf solche kleinen Erschütterungen besser studieren zu können.

Ich halte es für sinnvoll, dass sie in etwa einem halben Jahr zu einem Nachgespräch noch einmal herkommen. Wir können dann Bestandsaufnahmen machen, wo Sie dann stehen. Wir können dann zumindest noch einmal auswerten, was Sie über Team- und Organisationskulturen gelernt haben während der Zeit, auch wenn sich nichts Wesentliches geändert hat. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt.

BS: Die Teilnehmer haben diese Abschlussintervention noch schriftlich als Transskript bekommen. Von A abgesehen, dessen Reaktion ich nicht mehr in Erinnerung habe, hatte ich den Eindruck, dass die anderen fröhlich abgezogen sind.

K: Ich habe den A dann gefragt, ob er denn von der Möglichkeit eines zweiten Workshops Gebrauch machen wolle, darauf sagte er, da müsse er erst seine Leute fragen.

TN: Ist das neu, dass er erst seine Leute fragen will?

BS: Nein, das ist eher jemand, der seine Leute zu Dingen fragt, die er selbst zu entscheiden hätte.

1.8   Der zweite Beratungstag

Szene: Der zweite Beratungstag, 10 Wochen später, wird durch einen zusammenfassenden Kurzbericht des Beraters, Bernd Schmid, dargestellt.

Der Beratungstag war zwischen den Sekretariaten abgesprochen worden. Die Abteilung reiste in der gleichen Besetzung - diesmal pünktlich - zum vereinbarten Beginn an. Diesmal finden keine Versuche von A statt, sich mit mir vorab zu verständigen.

Die Gruppe wirkt relativ gelöst und interessiert sich auch sichtlich für die Beratungsumgebung (Institut, Ausstattung Schlosshof, Einrichtung des Raumes u.ä.) A wirkt verbindlich auf der persönlichen Ebene, zeigt aber weder im informellen Rahmen noch während der Beratungssitzung Führungsverhalten oder ein besonderes Engagement für Klärungen oder Effektivität der Beratung.

Wie die Eingangsbefragung ergibt, war ausschlaggebend für das Stattfinden dieses Termins, dass die Mitarbeiter auf seine Anfrage hin Interesse an einer Nachfolgesitzung geäußert hatten, zumindest zur Bewertung der Situation. Es hatten mittlerweile zwei Teamsitzungen stattgefunden. Dabei seien eher unverfängliche Themen der Arbeitsorganisation, Anwesenheit u.ä. besprochen worden. Strategische Themen und Themen der Führung seien nicht explizit Gegenstand der Gespräche gewesen. Auch habe man zwischenzeitlich nicht über die Themen des ersten Beratungstages weitergesprochen.

Es habe weiterhin eher Zweierkontakte gegeben, insbesondere zwischen A und B. A erweckt den Eindruck, als sei aus seiner Sicht, bezogen auf Strategie und Führung der Abteilung, alles Notwendige geklärt, ohne auf Nachfragen konkret zu werden. Hier widerspricht B nicht, schließt sich ihm aber auch nicht ausdrücklich an. Klärende Gespräche zwischen A und Z, dem Leiter von Bildung, PE und OE, über die beim ersten Beratungstag angesprochenen Themen scheint es nicht gegeben zu haben. A lässt aber auch nicht erkennen, dass er hier einen besonderen Bedarf sieht. Das Einvernehmen mit Z sei gut. Dass F weiterhin Z und sogar dessen Vorgesetzten um einen Bescheid bezüglich ihrer vorgetragenen Anliegen gebeten hat und ein solcher bislang auf sich warten lässt, wird von A auf Nachfrage als ein für ihn unbedeutender Vorgang empfunden. Er sei zwar bereit, an dessen Ausgang Anteil zu nehmen, erwarte sich davon aber eigentlich nichts. Auf Nachfrage bestätigt F ihre vom ersten Beratungstag bekannte Haltung, ohne dass allerdings noch eine Heftigkeit zu verspüren wäre. Viel eher scheint eine gewisse Resignation eingetreten zu sein. F macht deutlich, dass sie von A nichts erwarte, mit B wenn notwendig zum Streit bereit sei, da sie seine Führung nach wie vor nicht anerkenne. Ansonsten versuche sie, von anderen unbehelligt ihren eigenen Arbeitsbereich möglichst autonom zu gestalten und sich dabei mehr an ihren Vertriebskunden, als an der Abteilung „Vertriebstraining“ zu orientieren.

Auf die Frage, welche Beobachtungen die Beteiligten seit dem ersten Beratungstag zu den Ereignissen in der Abteilung gemacht hätten, erteilt niemand eine verwertbare Auskunft. Es scheint, als habe es den ersten Beratungstag von den Inhalten der Gespräche her, wie auch die Abschlussintervention nicht gegeben.

Bezüglich der Atmosphäre der Situation ist deutlich Veränderung zu spüren. Im Unterschied zu Abwehr und Besorgnis über den zu erwartenden Verlauf am ersten Beratungstag zeigen zumindest B, C und F eine gewisse muntere Wachheit und Empfänglichkeit für weitere Impulse aus der Beratung.

Auf die Frage, was denn ein noch offenes Thema für das heutige Beratungsgespräch sein könnte, verweist A erneut auf die persönlichen Spannungen zwischen B und F. Seiner Ansicht nach seien die durch Auseinandersetzungen der Vergangenheit entstandenen Gräben nach wie vor nicht überwunden und würden das Klima in der Abteilung belasten. Auch andere in der Abteilung bestätigen, dass es zwischen B und F auch in den letzten Wochen gelegentlich zu Missstimmung und Konfrontation gekommen sei, wenn B versucht habe, F Weisungen zu erteilen oder von ihr Rechenschaft über ihren Arbeitsbereich zu verlangen. Allerdings seien die Streitereien nicht mehr wie früher eskaliert und wären zudem in letzter Zeit immer seltener geworden.

Dies habe damit zu tun, dass B immer weniger die Auseinandersetzung mit F suche, und F weniger überschießend reagiere, wenn ihr Arbeitsbereich in Gesprächen mit B berührt würde.

In meinen Kommentaren während dieser Sitzung und in der Abschlussbemerkung, mit der ich die Beratung beende, zeige ich die Haltung, dass alle behaupteten Nichtveränderungen ganz im Einklang mit der Abschlussempfehlung aus dem ersten Beratungstag ständen. Ich betone, dass ich das gut verstehen könne, da bei der gegenwärtigen Situation in der Abteilung ein gegenseitiges Anteilgeben und Anteilnehmen an den gemachten Erfahrungen in der Beratung nicht als angemessen empfunden würde. Ich könne jedoch die Auswirkungen dieser Erfahrungen leicht erkennen, und es wäre zu erwarten, dass die dadurch angeregten Besinnungs- und Klärungsprozesse zumindest für jeden einzelnen weiterhin ihre Wirkung entfalten würden. Da eine Nichtveränderung unter den gegenwärtigen Umständen als die vermutlich relativ beste Lösung angesehen werden könne, sei es sicher klug, Veränderungen, die der einzelne aus seiner Perspektive bereits sieht oder vornimmt, nicht übermäßig zu betonen. Es scheine eine Verbesserung der Situation eingetreten zu sein, insofern als ein notwendiges Minimum an fachlicher und organisatorischer Abstimmung in der Abteilung mit wesentlich geringerem Reibungsverlust geleistet würde. Zudem würden nun auch die Auseinandersetzungen zwischen B und F zunehmend seltener und sie lernten, ein der Situation angemessenes Stillhalteabkommen zu realisieren. De facto bereite man sich möglicherweise auf eine innere oder äußere Trennung nach dem Zerrüttungsprinzip vor. Im Familienrecht sei dieses Prinzip eingeführt worden, um Partnern eine Auflösung der Beziehung zu ermöglichen, die unter den jeweils erlebten Umständen kein weiteres Interesse an der Aufrechterhaltung oder Weiterentwicklung ihrer Partnerschaft aufbringen können. Es hat den Vorteil, dass keinem der Beteiligten Fehlverhalten oder Schuld zugeschrieben werden muss. Dadurch könnten gerade die beiden zu Themen der Führung und der notwendigen Klärungen besonders engagierten Mitglieder der Abteilung (B und F) auf die sofortige Verwirklichung verständlicher Anliegen verzichten. Aus den Irrtümern über Ursache und Wirkung entstandene gegenseitige Verletzungen könnten dann ausheilen; die Fehlinvestition weiterer Kräfte, die jeder in der Abteilung dringender für seine eigene Neuorientierung benötigt, könnten vermieden werden.

Insofern hätte A der Abteilung durch die Vermittlung der Beratung hier doch wohl eher einen guten Dienst erwiesen, nämlich die Voraussetzung zu schaffen, dass sich die zwischen B und F aufgestachelten Emotionen wieder beruhigen können. Gleichzeitig wäre es vermutlich klug, den Mythos der persönlichen Unverträglichkeit zwischen B und F als Hemmnis für die Klärung der Abteilungsstrategie und der Führungsbeziehungen beizubehalten. Ansonsten sei zu befürchten, dass zwischen B und A, zwischen A und Z und womöglich noch weiterreichend im Ressort Personal des Unternehmens Klärungen vorgenommen werden müssten. Für diese Klärungen sei womöglich im Moment nicht der richtige Zeitpunkt oder nicht die richtigen Voraussetzungen gegeben. Insofern sei das, was systemische Teamberatung an dieser Stelle leisten könne, für den Moment ausgeschöpft. Direkte weitere Maßnahmen, die eine im Moment vielleicht nur belastende Unruhe hervorbringen könnten, würden nicht empfohlen. Sollte sich aus einer veränderten Situation ein neuer Bedarf ergeben, könnten gerne weitere Beratungstermine vereinbart werden.

1.9   Metalog

SL: Beim ersten Beratungstag wird die Diagnose „persönliches Unverträglichkeitsproblem“ nicht bestätigt. In der Abschlussempfehlung wird geraten, sich den Kontext anzuschauen, in dem das vom Vorgesetzten und den anderen geteilte Postulat der „tiefen Gräben“ entsteht. In der Beratungssitzung 10 Wochen später wird das Problem erneut vorgetragen. Meine Frage ist nun, ob der Fokus des ersten Tages falsch war?

BS: Ich würde sagen, die Fokussierung, die das Klientensystem bzw. der Leiter dort mitgebracht hat, bestand aus zwei Teilen.

1. Es gibt unüberwindbare Gräben zwischen den beiden Personen.

2. Diese haben etwas mit den Persönlichkeiten, den persönlichen Eigenheiten der Betroffenen zu tun. Wenn hier mehr Verträglichkeit hergestellt würde, gäbe es das Problem nicht.

Ich versuche zunächst einmal die Behauptung, es gäbe Unverträglichkeiten im Sinne von „Die können nicht zusammenkommen“ in Frage zu stellen. Ich versuche, dieses Unverträglichkeitsproblem als einen möglicherweise nicht sehr realen Mythos zu definieren. Ich tue das, um sie zu einer erneuten Realitätsprüfung einzuladen und um die Idee zu streuen, es könnte möglicherweise ganz anders sein. D.h. die Handelnden, wie die Beobachtenden können mit der Frage „Ist es überhaupt so?“ für sich einen Verfremdungseffekt erzeugen. Und wenn es so ist: Warum ist es so? Oder: Wann ist es so, wann ist es nicht so? Was sind die Umstände, die das eine oder das andere bedingen. Meine Behauptung, dass die tiefen Gräben möglicherweise eine im Verhalten wenig plausible gemeinsame Legendenbildung darstellen, kann genauere Verhaltensbeobachtungen auslösen.

So wie du mir die Frage stellst, klingt das, als wäre ich zu dem Schluss gekommen: da gibt es gar keine Schwierigkeiten, das behaupten die bloß. Das ist nicht die Annahme, aufgrund derer ich die Abschlussintervention am ersten Tag mache. Ich bin hier noch offen. Meine gezeigte Ungläubigkeit könnte jedoch die Auswirkung haben, dass sie neu beobachten und neue Überlegungen bezüglich der Zusammenhänge anstellen. Das bezieht sich jetzt auf den Teil 1 der Fokussierung („Ist es überhaupt so?“).

Durch das Neubefragen ihrer Annahmen, worin das Problem besteht, wird auch die Idee gestreut, dass es anders sein bzw. werden könnte. Es könnte passieren, dass sowohl in der Wahrnehmung als auch in der Verhaltenssteuerung, die durch veränderte Wahrnehmungen oder Vermutungen ausgelöst wird, neue Prozesse und neue interaktive Wirklichkeiten entstehen.

Die zweite Sitzung spricht dafür, dass dies nur wenig geschehen ist, dass hier weitere Auseinandersetzungen im alten Muster stattfanden. Dass sich F aber deutlicher zurückzieht, spricht für ein verändertes Verständnis der Situation: eine Verschiebung von der persönlichen Unverträglichkeit zum unlösbaren Interessenkonflikt. Frau F sieht jetzt vielleicht, dass sie im Moment ihre Interessen nicht durchsetzen kann und sucht durch Rückzug und Verweigerung für sich eine neue Position.

SL: Heißt das dann, dass die Hypothese von A, dass persönliche Unvereinbarkeiten existieren, im Grunde nur verdeckt, dass die Ressentiments, die beide gegeneinander hegen, Folgen von strukturellen Entscheidungen sind?

BS: Ja. Sie könnten allerdings teilweise durch persönliche Kompromisse überbrückt werden. Doch dazu sind F aus persönlicher Enttäuschung und B aus dem Interesse, sich als Führer zu positionieren nicht bereit. Darauf fokussiere ich im zweiten Treffen unter dem Stichwort „Trennung nach dem Zerrüttungsprinzip“. Entweder aufgrund der Initiative der Beteiligten oder als Managemententscheidung der Vorgesetzten müssten daraus Konsequenzen gezogen werden. Die Idee des Zerrüttungsprinzips meint nicht nur die beiden Kontrahenten, sondern meint, dass da im System etwas zerrüttet ist und eine Last entstanden ist, die die Führungsfunktion verantworten muss. Man sollte das nicht als privat-persönlichen Beziehungskonflikt zweier Betroffener sehen. Ich habe den Eindruck, dass diese Sichtweise greift, dass die Beteiligten anerkennen, dass hier ein Managementproblem vorliegt. Eine problematische Handhabung von Managementproblemen hat in der Vergangenheit eine Konstellation geschaffen, die durch Managemententscheidungen gelöst werden könnte. Ich glaube auch, dass sie sehen, dass diejenigen, die das Problem managementmäßig lösen könnten - ihre Vorgesetzten - die Signifikanz dieser Einschätzung für sich nicht realisieren und sich dies auch nicht im Verhalten äußert. Weder F noch B gelang es, mit unterschiedlichen, zum Teil eskalierenden Verhaltensweisen Bewegung hineinzubringen. Auch für mich als Berater ist es nicht absehbar, ob diese Neukonzeptionalisierung des Problems, die in einer Weise ein Fortschritt ist, verhaltensrelevant werden würde. Auf dieser Ebene erziele ich keinen Fortschritt. Die aufrechterhaltenden Bedingungen