Härter - Himmel auf Erden - Neo Lichtenberg - E-Book

Härter - Himmel auf Erden E-Book

Neo Lichtenberg

3,7

Beschreibung

"Das Gefühl Liebe ist doch so viel größer als der Klang des Wortes." Jörn weiß, was er will, aber bislang nicht gefunden hat: Einen Mann, der sich nimmt, was er braucht, und das mit Leidenschaft. Als Thor in sein Leben tritt, scheint seine Suche zu Ende zu sein. Er ist der Mann, von dem Jörn kaum zu träumen wagte. Zwischen den beiden funkt es gewaltig. Beim Sex wird es härter. Als sich zwischen ihnen mehr entwickelt, wagen sie den mutigen Schritt in Richtung gemeinsamer Zukunft. Doch Jörn versteigt sich in eine fixe Idee und begeht einen großen Fehler. Ist das Gefühl Liebe wirklich größer als der Klang des Wortes?

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Härter

Himmel auf Erden

Ein Roman von

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2018

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Tatiana Lukerievas – shutterstock.com

© Innervision Art – shutterstock.com

© Artur Romanov – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-259-5

ISBN 978-3-96089-260-1 (epub)

»Das Gefühl Liebe ist doch so viel größer als der Klang des Wortes.«

Jörn weiß, was er will, aber bislang nicht gefunden hat: Einen Mann, der sich nimmt, was er braucht, und das mit Leidenschaft. Als Thor in sein Leben tritt, scheint seine Suche zu Ende zu sein. Er ist der Mann, von dem Jörn kaum zu träumen wagte.

Zwischen den beiden funkt es gewaltig. Beim Sex wird es härter. Als sich zwischen ihnen mehr entwickelt, wagen sie den mutigen Schritt in Richtung gemeinsamer Zukunft.

Doch Jörn versteigt sich in eine fixe Idee und begeht einen großen Fehler. Ist das Gefühl Liebe wirklich größer als der Klang des Wortes?

Eins

»Das ist doch genau das Richtige, also für dich, meine ich. Für mich? Ich weiß nicht …«

Mirko wedelt mit einem Flyer vor meiner Nase herum und quatscht munter drauflos. Er geht mir gerade ziemlich auf die Nerven, so richtig voll auf die Nerven. Denn gerade versuche ich, mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Ich sitze an meinem Schreibtisch und recherchiere im Internet zu einem Thema, das für meinen Job wichtig ist. Frisch zurück von einer wahnsinnig interessanten Fortbildung, bin ich hochmotiviert. Allerdings weiß ich jetzt schon, dass ich keine Ruhe finden werde, bevor ich mich nicht mit meinem Kumpel und Mitbewohner befasst habe.

»Wenn du unbedingt darauf bestehst, werde ich dich natürlich in diesen Club begleiten, aber …«

Mirko plappert unbeirrt weiter und ignoriert galant mein Schweigen. Das macht er sowieso häufig. Offensichtlich ist er damit bisher gut gefahren und hält daher an dieser Strategie fest.

Resigniert drehe ich mich auf meinem Schreibtischstuhl zu ihm herum. Natürlich ist er einfach in mein Zimmer gekommen. Bestimmt hat er angeklopft. Wahrscheinlich wie immer: Ein kurzer Klack vor das Türblatt und schon steht er im Raum. Auf ein »Herein!« oder ein »Verpiss dich!« wartet er erst gar nicht. Was soll ich machen? Ich liebe ihn trotzdem. Nein, das zwischen uns ist nicht romantische oder erotische Liebe, sondern eher eine Buddy-Buddy-Liebe.

»Wohin willst du mich begleiten?«, frage ich verwirrt nach. Ich habe nicht zugehört, aber ich habe mit einem Ohr etwas von Club aufgeschnappt. Mirkos Stimme klang dabei, als würde er gerne da mal reinschnuppern gehen.

Mirko ist seit Jahren mein bester Freund. Mit ihm die Wohnung zu teilen hat eindeutige Vorteile. Ich bin nie allein. Okay, das ist manchmal eher ein Nachteil. Meistens finde ich es aber schön, mit Mirko einen Mitbewohner, der meist lebhaft und unterhaltsam ist, zu haben. Mirko ist sauber und ordentlich. Außerdem kocht er gut und gerne für mich mit. Das Beste ist, dass er danach sogar noch die Küche putzt. Überhaupt, er putzt auch das Bad und den ganzen Rest. Wir haben einen Putzplan, aber natürlich ist es Mirko nie ordentlich genug, was ich mache. Also wischt er immer noch einmal hinter mir her. Dabei gebe ich mir immer sehr viel Mühe, zumindest habe ich das anfangs so gehandhabt. Inzwischen mache ich meistens nur halbherzig meinen Teil, da ich weiß, dass er es eh noch einmal macht, sobald ich fertig bin.

Richtig, ich nutze ihn aus. Aber eigentlich stimmt das auch wieder nicht, denn ich mache dafür andere Sachen, und zwar Sachen, die Mirko doof findet. Ich repariere ständig, wirklich ständig, sein Fahrrad. Was macht er nur immer mit seinem einzigen fahrbaren Untersatz? Ich fege unseren Balkon ab, also den winzigen Teil, der nicht unter Kisten mit Leergut verschwunden ist. Außerdem gieße ich die Blumen, die ich bis jetzt noch nicht ertränkt habe. Und ich kaufe meistens ein, denn ich habe im Gegensatz zu Mirko ein Auto Marke ›Alt, aber bezahlt‹.

»In den Club! Hörst du mir denn überhaupt nicht zu?«, meckert Mirko mich an, und das mit gutem Recht. Ich werde das vor ihm nicht zugeben, aber als mein Freund hat er verdient, dass ich ihm meine volle Aufmerksamkeit schenke. Mit einem Seufzen lasse ich meine Arbeit vorübergehend Arbeit sein und wende mich ihm zu. Dabei wippe ich leicht gelangweilt auf meinem Schreibtischstuhl vor und zurück. Mirko soll nicht glauben, dass ich hier ein Kaffeekränzchen mit ihm veranstalte. Ich habe schließlich noch zu tun.

»Lieber Mirko, fang einfach mal vorne an!« Mit dem ganzen Liebreiz, der mir zur Verfügung steht, lächele ich mein Gegenüber an. Meine übertriebene Höflichkeit entlockt ihm nur ein Schnauben.

»Weißt du, lieber Jörn, du kannst mich nicht provozieren. Ich weiß, dass du mich liebst. Nur aus diesem Grund lasse ich dir deine Frechheiten durchgehen und werte sie als freundschaftliche Verbalrangelei.« Auf die gleiche Art wie ich vorhin, zieht Mirko nun gekünstelt seine Mundwinkel zu einem Lächeln hoch. Dabei kneift er die Augen zusammen und fixiert mich mit einem Blick, der an Strenge nicht zu überbieten ist. Sein Gesicht drückt deutlich »Du Arschloch!« aus.

Genau solche Situationen mag ich besonders zwischen uns. Ein kleiner Schlagabtausch, gerne mit ein wenig Schärfe, aber immer auf respektvollem Niveau. Ich halte ihm lässig meine Faust entgegen.

»Komm schon. Ghettofaust!« Ich zwinkere ihm zu und hauche einen Kuss in die Luft. Daraufhin küsst Mirko seine Faust und drückt sie an meine. Oh ja, wir zwei sind echt harte Brothers!

»Hör zu! Du bist schon lange nicht mehr ausgegangen. Und da gibt es einen Club, der etwas für dich sein könnte. Zugegeben, ich würde selber gerne dahin, aber alleine traue ich mich nicht. Zusammen mit dir würde ich aber gerne reinschnuppern in den Laden. Komm schon, Jörn, nur mal lauern.«

Vor einiger Zeit hat Mirko Erfahrungen gemacht, auf die er gerne verzichtet hätte. Ein Kerl in einer Bar, der absolut nicht Mirkos Typ war, konnte die Abfuhr, die mein Kumpel ihm höflich erteilt hat, nicht verkraften. Mirko steht nicht sonderlich auf große muskulöse Männer, wie dieser Typ es war. Seine Muskeln nutzte der abgewiesene Romeo leider vor der Eingangstür, um Mirko mehrfach mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Als ich wenige Minuten später mit unseren Jacken, die ich noch an der Garderobe abgeholt hatte, nachkam, hockte Mirko blutüberströmt auf dem Gehweg. Sein Nasenbein war zweimal gebrochen, eine Augenbraue war aufgeplatzt. Der Kiefer blieb zum Glück von einer Prellung abgesehen unbeschadet. Die Zähne hatten auch nichts abbekommen. Der Typ hat recht hoch angesetzt mit seinen Treffern. Da reden alle über Homophobie. Und was ist? Wir Schwuppen schlagen uns selber zu Brei. Ist das Ironie oder einfach nur Scheiße?!

Mirko hockt seitdem nicht ängstlich auf seinem Zimmer, aber wenn er ausgeht, ist es ihm lieber, wenn jemand mitgeht. Er geht auch nicht mehr vor, wenn wir ein Lokal verlassen. Geduldig wartet er mit mir oder einer anderen Begleitung an der Garderobe, bis die Jacken angereicht werden.

In Erinnerung an diesen grässlichen Zwischenfall greife ich nun doch nach dem Flyer in Mirkos Hand und betrachte die Werbung. Das sieht wirklich nicht schlecht aus. Bei der Gestaltung waren auf jeden Fall Profis am Werk. Es wird nicht auf billige Art mit Flatrates geworben. Die Preise, die angegeben sind, wirken angemessen. Die ganze Aufmachung wirkt einigermaßen stilvoll und seriös. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn aus preiswert billig wird, meist auch das Publikum unterste Schublade ist. Da habe ich keinen Bock drauf.

»Wie kommst du denn daran?«, will ich nun doch von Mirko wissen. Bisher war ich es meistens, der sich nach Lokalitäten umgehört hat, die man aufsuchen könnte. Von Mirko kam bislang wenig in diese Richtung. Da ist doch verständlich, dass ich neugierig bin, was ihn veranlasst, die Initiative zu ergreifen.

Mirko läuft vom Hals aufwärts rot an und lässt den Blick zur Seite huschen. Aber dann antwortet er schließlich doch noch.

»Da ist ein Typ in der Bahn, den ich schon öfter gesehen habe. Der Kerl ist der Hammer! Wir haben uns mal angelächelt, mehr nicht. Letzte Woche setzte er sich auf den freien Platz neben mich. Ja … also … Wir haben uns sogar unterhalten!«

Sogar unterhalten! So wie Mirko das ausstößt, klingt es nach purem Sex. Ich verkneife mir ein Grinsen und einen Kommentar über seine Schüchternheit. So ist er eben.

»Dann musste der Typ früher aussteigen als ich. Tja, und dann lag da dieser Flyer auf seinem Platz, muss ihm wohl aus der Jackentasche oder aus dem Rucksack gerutscht sein …«

Ob das wirklich ein Zufall war, dass der Werbezettel da liegen blieb? Aus der Tasche gerutscht? Na, wer es glaubt! Mirko kann sich in seiner etwas naiven Denkweise nichts anderes vorstellen, das ist mir klar, aber andere Männer auf dieser Welt gehen offensiver vor. Wahrscheinlich hat es dem anderen Kerl mit dem Anlächeln langsam gereicht. Meinen Applaus hat er!

»Jo, dann gehen wir da am Wochenende hin und machen den netten Typen aus der Bahn für dich klar. Der Club ist schließlich hier in Mockenbeck. Zieh dir irgendetwas Nuttiges an und dann klappt das schon.« Ich schlage bewusst einen forschen Tonfall an, damit Mirko gar nicht erst auf die Idee kommt, er könne einen Rückzieher machen, jetzt, wo er mich auf die Fährte gebracht hat. Aus der Nummer kommt er nun nicht mehr heraus.

Außerdem hat er recht damit, dass ich schon länger nicht mehr ausgegangen bin. Meine letzten Erlebnisse waren für mich eher unbefriedigend. Ich habe bisher nicht gefunden, was ich suche. Daher habe ich eine Pause eingelegt und meine Energie auf andere Dinge verwandt, zum Beispiel auf meine Arbeit. Dieser Gedanke erinnert mich daran, dass ich meine Recherche noch fortführen muss. Ich habe zu tun.

»Mirko, versprochen! Wir gehen dahin, von mir aus direkt am Samstag«, bestätige ich meine Aussage von vorhin nochmals bei Mirko. Dieser nickt mir mit einem Strahlen im Gesicht zu. »Aber jetzt möchte ich arbeiten. Sonst muss ich es am Samstagabend erledigen und kann nicht mit dir auf die Piste gehen. Deine Wahl!«

Grinsend macht Mirko kehrt und verlässt mein Reich. In der Tür dreht er sich noch einmal um.

»Danke, Lieblingsmitbewohner!«, flötet er mir zu. Super, ich bin schließlich der einzige Mitbewohner! Lachend mache ich mich wieder an die Arbeit.

Ich gehe am Wochenende also ins Stahlhart, so heißt der Club. Der Werbetext auf dem Zettel ist für meinen Geschmack ein wenig zu dick aufgetragen. Wahrscheinlich geht es nicht anders, wenn man in dem Meer an Angeboten Beachtung finden will. Sonst ist der Flyer allerdings geschmackvoll gestaltet und nicht zu bunt. Die Texte und Bilder sind gut gesetzt. Das Ganze klingt auf jeden Fall nach Abwechslung. Der Club wirbt mit Männern aus besonderem Material, so steht es da. Männer, die sich nicht verbiegen und nicht verformen lassen. Männer, die mit einem harten Rohr umgehen können. An der Stelle finde ich es plump formuliert und einfach toomuch. Allerdings muss ich zugeben, dass die Werbung funktioniert. Ich bin angefixt und mein Rohr ist hart bei der Aussicht auf Kontakt mit Männern mit Format. Stahlhart! Ich bin mehr als interessiert!

Zwei

Entweder Mirko ist aufgeregt, weil wir heute in diesen speziellen Club gehen oder er gibt sich besondere Mühe mit seinem Aussehen und seinem Outfit, weil er den Typen aus der Bahn beeindrucken möchte. Auf jeden Fall blockiert er seit geraumer Zeit das Bad. Außerdem fragt er mich alle paar Minuten, was er anziehen soll. Dabei hört er sowieso nicht auf mich. Er hat inzwischen sämtliche Kombinationen von Hosen, Hemden und T-Shirts durch.

Mirko ist ein gutaussehender Mann. Sein klares Gesicht und der ruhige intensive Blick seiner Augen wirken auf die meisten Menschen anziehend. Wenn er besonders fröhlich oder aufgeregt ist, dann ist sein gesamter Ausdruck erleuchtet. Mirko ist schlank und gut proportioniert. Mit gezieltem Sport hat er es nicht gerade, aber da er täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, ist er in Form. Im Sommer trägt er gerne knappe Shorts und lässt seine Waden bewundern. Ja, er zeigt durchaus gerne, was er hat. Er kann es sich erlauben.

Ich höre die Tür des Bades quietschen. Meine Chance!

»Ist jetzt frei?«, rufe ich in den Flur, aber ich erhalte keine Antwort. Die Tür meines Zimmers habe ich absichtlich nur angelehnt, damit ich meinen Einsatz in der Nasszone nicht verpasse. Schließlich möchte ich auch duschen, bevor wir gleich losziehen. Wenn es irgendwie geht, möchte ich außerdem noch vor Mitternacht unsere Wohnung verlassen.

»Ach menno, das ist alles Mist. Ich sehe langweilig aus. Jöööörn, komm mal! Bitte!« Die Verzweiflung ist deutlich in Mirkos Stimme zu hören. Etwas genervt verdrehe ich die Augen. Manchmal führt Mirko meine Geduld Schritt für Schritt an die Grenze und gibt ihr dann den letzten Schubs über den Abgrund. Wenn er mich noch ein bisschen mehr reizt, hat sich das mit dem Stahlhart gleich für mich erledigt, und wahrscheinlich somit auch für ihn.

Da ich mich inzwischen auf einen Abend mit Männern und Musik freue, straffe ich die Schultern, setze eine geduldige Miene auf und trete in unseren kleinen Flur. Mirko steht vor dem langen Spiegel und betrachtet sich kritisch. Immer wieder dreht er sich, um einen skeptischen Blick auf seinen knackigen Hintern zu werfen. Er trägt eine Jeans, die superskinny seine schlanken Beine umspannt. Die Hose ist aus diesem beschichteten Material, das matt schimmert. Ich glaube, das ist gewachst. Mirko steht darauf, da es extravagant wirkt. Er mag auch Leder, aber eine Lederhose trägt er nicht, weil man sie nicht waschen kann. Das findet er unhygienisch. Tja, so ist er!

Meiner Meinung nach sieht mein Kumpel heiß aus. Sein schlichtes, aber perfekt sitzendes Shirt betont seine festen Arme und macht Lust auf mehr. Stiefel mit dicken Sohlen vervollständigen das Gesamtbild.

Ich stelle mich hinter Mirko und schlinge meine Arme um ihn. Meine Wange lege ich an seine, so dass er mit mir gemeinsam in den Spiegel schauen muss. Ich ergreife seine rechte Hand und zeige damit auf sein Spiegelbild.

»Sprich mir nach, Mirko! Ich würde mich ficken!« Mein ernster Blick begegnet seinem im Spiegel. Wie erwartet ist ihm die Röte ins Gesicht geschossen. An meiner Wange kann ich gleichzeitig die Hitze spüren. Ich schnuppere wenig diskret an Mirkos Hals. Mein Kumpel hat seinen Lieblingsduft aufgelegt. Heute will er es offensichtlich wirklich wissen.

»Mensch Jörn, du sollst doch nicht …«, windet sich Mirko.

»Was denn? Die Wahrheit sagen? Mirko, ich bin dein Freund, ich muss das machen. Das ist meine heilige Pflicht. Freunde sagen sich die Wahrheit. Letztes Jahr habe ich dir gesagt, dass der Irokese dir absolut nicht steht. Ich habe dir davon abgeraten, dir so einen beschissenen Bart wachsen zu lassen, bloß weil das alle haben. Und hatte ich nicht recht damit? Na siehste! Jetzt sage ich dir, dass du heiß aussiehst. Und es stimmt. Du solltest dich selber flach legen wollen. Glaub mir einfach!«

Die Ernsthaftigkeit in meiner Stimme hat Mirko erreicht. Er betrachtet sich im Spiegel. Dann gibt er mir einen Kuss auf die Wange und grinst zufrieden.

»Du hast recht. Ich sehe toll aus. Damit du dich neben mir nicht schämen musst, gebe ich jetzt endlich das Bad frei.« Entschuldigend verzieht Mirko kurz das Gesicht. »Sorry, hat ein wenig gedauert. Du weißt ja, wie ich manchmal bin.«

Ja, das weiß ich. Deshalb mache ich keine große Sache daraus. Erst einmal verschwinde ich in meinem Zimmer und beende die Arbeit, an der ich bis gerade gesessen habe.

Als ich zehn Minuten später unter der Dusche stehe, frage ich mich, was mich an diesem Abend erwartet. In den letzten Monaten war ich kaum aus. Höchstens mit Mirko und einer Hand voll Freunden war ich mal beim Italiener essen oder im Kino. Ich war in keinem Club. Ich hatte keine Verabredung mit einem Mann. Ich hatte schlicht kein Interesse. Meine letzten Begegnungen mit Männern waren eher sexueller Natur, aber selbst diese blieben irgendwie unbefriedigend. Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass ich selber nicht genau weiß, was ich überhaupt suche. Suche ich überhaupt? Was stelle ich mir in meinem Leben für die Zukunft vor?

Ich will einen Mann! Insoweit unterscheide ich mich nicht von den meisten Kerlen, die an einem Samstagabend in den einschlägigen Etablissements unterwegs sind. Sind wir nicht alle Glücksritter auf der großen Spielwiese unseres Lebens? Aber ich will einen richtigen Kerl! Ich liebe Sex, aber ich wünsche mir über kurz oder lang einen Gefährten auf Dauer, einen stabilen Partner, auf den ich mich verlassen kann.

Einige Bekannte wundern sich, dass Mirko und ich kein Paar sind. Warum? Da ich selber groß und gut in Form bin, denken viele, ich würde einen kleineren und schmaleren Partner suchen. So voll nach dem Klischee! Aber so einfach funktioniert die Welt nicht. Mirko ist ein wundervoller Freund. Wir verstehen uns wunderbar. Als Freunde und Mitbewohner harmonieren wir hervorragend. Damit ist es aber auch gut. Ich nehme ihn als Mann durchaus wahr. Er ist attraktiv und verfügt über einen einwandfreien Charakter. Allerdings macht er mich echt nicht an. Erotisch läuft nichts zwischen uns. Das geht zum Glück von beiden Seiten aus.

Ich möchte einen Kerl, der mich fest anpackt, ohne mich zu verletzen. Der mich respektiert und trotzdem sagt, wo es lang geht. Ich wünsche mir einen Partner, der gemeinsam mit mir herausfindet, was meine Vorlieben sind und was nicht. Mit diesen Vorstellungen könnte ich leicht in einer speziellen Szene landen, aber da möchte ich nicht hin. Ich bin mir sicher, dass ich dort nicht richtig bin. Mit meinem Mann wünsche ich mir Liebe, Vertrauen, Sex, Spaß und ein gemeinsames Leben. Und das alles eben härter!

Drei

Der Eingang des Stahlhart ist nicht außergewöhnlich. Der Club liegt am Rande der Stadt in einer wenig frequentierten Gegend. Hinter einem Schotterplatz erkennen wir mit Mühe ein Schild unter einer kaum wahrnehmbaren Beleuchtung. Dort geht es ein paar Treppenstufen hinab. Wenn die Tür sich gelegentlich öffnet, dringt ein Strahl diffusen Lichtes nach draußen. Eine Straßenlaterne ist weit und breit nicht zu finden. Das Ganze wirkt wie ein verlassenes Fabrikgebäude. Vor einer Mauer steht eine Schubkarre mit einem platten Reifen. Daneben stapeln sich verrottete Holzpaletten. Es stinkt nach Kanal und Pisse. Automatisch atme ich flach durch den Mund. Ziemlich düstere Ecke hier!

»Lass mich hier bloß nicht alleine stehen, Jörn!«, flüstert mir Mirko zu. Warum spricht er denn so leise? Wahrscheinlich ruft die dunkle Umgebung unangenehme Erinnerungen hervor.

Ernst schaue ich meinen Kumpel an und hoffe, dass er meinen Gesichtsausdruck erkennen kann. »Hey, ich lasse dich nie mehr alleine vorgehen. Nie mehr! Könnte ich den einen Abend rückgängig machen, dann würde ich es tun. Geht aber nicht! Aber das wird nicht noch einmal passieren, versprochen.«

Mirko nickt. Normalerweise ist er kein besonders ängstlicher Mann, aber er ist extrem vorsichtig geworden. Das kann ich einerseits verstehen, andererseits möchte ich nicht, dass er sich hineinsteigert in Angst und Unsicherheit.

»Komm, jetzt haben wir einfach Spaß! Und für dich, Mirko, suchen wir den Bahn-Mann!« Ich fasse meinen Freund am Arm und ziehe ihn weiter.

Da es heute geregnet hat, sind wir froh, dass wir es trockenen Fußes durch die vielen Schlaglöcher und Pfützen schaffen. Genau wie Mirko trage ich Stiefel. Nasse Füße gibt es da nicht so schnell, aber vermatschte Boots sehen einfach beschissen aus. Meine Stiefel haben eine weniger dicke Sohle als Mirkos, dafür ist der Schaft höher. Ich liebe diese Stiefel, die ich mir in einem speziellen Geschäft für Lederkram in Berlin gekauft habe. Bei der Erinnerung an den Laden und den wunderbaren Geruch darin bekomme ich eine Erektion. Einfach so. Ich liebe Leder.

Während Mirko Leder nicht gerne trägt, da man es nicht mal eben waschen kann, liebe ich genau das an diesem Material. Ich trage meine Lederhose heute Abend direkt auf der Haut, denn ich liebe es, wenn sie meine Körperwärme und meinen Geruch annimmt. Die Kombination von Leder und Mann, von mir oder einem anderen Mann, bedeutet für mich das reinste Aphrodisiakum.

Ich gehe voran und drücke die schwere Eingangstür zum Stahlhart auf, die ich für Mirko offen halte. Nebeneinander stehen wir nun in dem Eingangsbereich mit der enorm hohen Decke und schauen uns um. Die Musik dringt aus dem Innenraum bis hierher und bringt mich sofort in Stimmung.

Der Typ am Einlass drückt uns routiniert Verzehrkarten in die Hand. Mit einem Nicken deutet er auf den Durchgang. Da geht es lang!

Nachdem wir unsere Jacken an der Garderobe abgegeben haben, suchen wir uns einen Platz an einer Säule am Rande der Tanzfläche. Wir sind zum ersten Mal hier, daher wollen wir anfangs vor allem gucken. Zum Glück stehen wir in der Nähe der Theke, so dass die Getränkeversorgung gesichert sein sollte. Ich hole direkt mal zwei Bier und schiebe meinem Kumpel eines rüber. Wir stoßen auf einen schönen Abend an.

Mirko verrenkt sich fast den Hals, schließlich ist er auf der Suche nach dem Bahn-Typen. Auch ich schaue mich um, allerdings um einiges entspannter als mein Begleiter. Das eine oder andere Gesicht hier kommt mir bekannt vor. Aber näher befreundet bin ich mit niemandem der Gäste.

Plötzlich entdecke ich auf der Tanzfläche allerdings Haare, vor allem eine Haarfarbe, die ich kenne. Eindeutig! Langes schwarzes Haar mit roten Blocksträhnen. Kohle und Glut! Die Kombination erkenne ich überall.

»Was ist los? Warum grinst du so?«, erkundigt sich Mirko neugierig. Sein Blick klebt auf meinem Gesicht. Schließlich dreht er sich um, kann aber nicht entdecken, was mein Grinsen hervorgerufen hat.

»Ach nichts, ich habe gerade einen Bekannten entdeckt. Den kenne ich noch von der Berufsschule. Alle Jubeljahre treffen wir uns mal in einem Club. Supercooler Typ! Toto heißt er«, gebe ich bereitwillig Auskunft. Ich habe nichts zu verbergen. Es ist echt selten, dass ich Toto treffe, aber wenn, freue ich mich ehrlich. »Falls ich ihn später treffen sollte, soll ich dich ihm mal vorstellen? Ach nee, du suchst ja den Bahn-Mann. Schade eigentlich!«

Genervt rollt Mirko mit den Augen. »Ich bin nicht so ein hoffnungsloser Fall, dass du mich verkuppeln musst. Meine Männer finde ich schon noch selber.« Mein Kumpel trinkt sein Bier aus und stößt sich von der Ecke der Theke ab. »Ich drehe mal eine Runde. Gehst du gleich tanzen? Später wieder hier?«

Ich nicke ihm zu. »Die Musik ist genau mein Ding. Später wieder hier! Viel Erfolg!«

Zügig trinke auch ich mein Bier aus, stelle das leere Glas ab und schiebe mich zwischen den fremden Körpern hindurch auf die Tanzfläche.

Das Ausgehen habe ich nicht vermisst. Das Kennenlernen von Männern habe ich nicht vermisst. Aber die Musik und das Sich-zur-Musik-Bewegen haben mir gefehlt. Zuhause höre ich häufig Musik, aber da stehe ich nicht auf und tanze dazu. Das macht mir eher Spaß in einem Club wie diesem.

Meine Gedanken schweben davon. Ich lasse mich von der Musik einfangen. Mich interessiert nicht, wo ich bin, wer sich neben mir bewegt. Alles egal! Auf ein gutes Lied folgt das nächste und das nächste und das nächste.

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich mich auf der Tanzfläche austobe. Ewig könnte ich weiter tanzen, aber Durst zwingt mir schließlich eine Pause auf. Nur aus diesem profanen Bedürfnis schlängele ich mich zurück zur Theke. Ich muss zugeben, dass einige der Besucher optisch interessant aussehen. Die meisten legen offensichtlich viel Wert auf ihre Aufmachung.

Mir fällt ein, dass ich mich auch mal nach Mirkos Schwarm umsehen könnte. Allerdings weiß ich gar nicht, wie dieser aussieht. Ich habe bisher nicht daran gedacht, ihn nach einer Beschreibung zu fragen. Mirko sprach immer von einem Hammer-Typen, da war für mich alles gesagt. Leider findet man mit dieser Beschreibung keinen Unbekannten.

Direkt vor mir sehe ich rote Haarspitzen aufleuchten. Das ist auf jeden Fall kein Unbekannter. Ich schlinge einen Arm von hinten um Totos Brustkorb und drücke ihn kurz an mich. Normalerweise gehe ich bei anderen Menschen nicht direkt auf Körperkontakt, aber bei Toto weiß ich, dass es in Ordnung ist.

»Toto, super, dass wir uns hier treffen!«, spreche ich ihn an, damit er sich nicht zu sehr erschreckt. Meine Stimme sollte er selbst nach langer Zeit erkennen, auch wenn er mich nicht sofort sieht. Erst als ich um meinen Bekannten herumgehe, entdecke ich Mirko, der mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrt.

»Hey, hast du deinen Bahn-Typen noch nicht gefunden? Darf ich dir in der Zwischenzeit Toto vorstellen?«, frage ich ehrlich interessiert, wenn auch reichlich unverschämt. Ich schaue zwischen Mirko und Toto hin und her. Witzig, dass die beiden hier fast nebeneinanderstehen!

»Mirko, das ist Toto.« Mit dem Kopf nicke ich zu meinem Bekannten. Dann ergänze ich: »Toto, das ist Mirko, mein bester Freund und Mitbewohner.«

Toto lächelt mich an. »Danke Jörn, aber ich kenne Mirko bereits. Wir waren gerade im Gespräch, als du rangehüpft kamst.«

Mirko zieht meinen Kopf zu seinem heran. Er flüstert mir etwas ins Ohr, aber bei der Geräuschkulisse hier ist dies ein sinnloses Unterfangen. Ich verstehe kein einziges Wort. Also zucke ich mit den Schultern und schaue Mirko mit einem wahrscheinlich dämlichen Gesichtsausdruck an. Dieser erkennt das riesige Fragezeichen in meiner Visage und brüllt mir voll ins Ohr. »Mensch Jörn! Toto ist der Bahn-Typ. Wusste ich nicht, dass du ihn kennst. Ist er nicht toll?«

Ach, so ist das! Jetzt habe ich es kapiert. Auch wenn ich bereits weiß, dass Toto ein toller Kerl ist, betrachte ich ihn nun genauer. Er ist sehr schlank. Auf seinen schmalen Hüften sitzt ein langer schwarzer Wickelrock, der seine Körpermitte vorteilhaft betont. Wenige Schnallen aus Metall zieren das Kleidungsstück. Schnürstiefel und ein schlichtes Shirt runden die Optik ab. Alles in Schwarz, das ist Toto! Sein Haar trägt er lang und glatt. Bei der Haarfarbe mit den feuerroten Strähnen braucht es keine aufwendige Frisur. Im Gegenteil: In dieser Schlichtheit wirken die Haare wild und gleichzeitig elegant. Dazu passt Totos schmales Gesicht. Die hohlen Wangen werfen Schatten. Seine Augen funkeln in einem tiefen Grau und erhalten durch die Umrandung mit schwarzem Kajal eine geheimnisvolle Note. Toto ist wirklich ein Hingucker.

»Ja, er ist wirklich toll«, gebe ich an Mirko, der mich glücklich anstrahlt, zurück. Immerhin hat er Toto gefunden und ist offensichtlich erneut mit ihm ins Gespräch gekommen.

Einige Minuten unterhalten wir uns zu dritt. Mirko und Toto scheinen ernsthaft Interesse aneinander zu haben. Mich fragt natürlich keiner, aber wenn, dann würde ich sagen, dass die beiden gut zueinander passen könnten, auch wenn sie recht unterschiedlich sind, vielleicht gerade deshalb.

Als Mirko zwischendurch die Toiletten aufsucht, deutet Toto auf den Platz, an dem bis soeben mein Mitbewohner stand.

»Habe ihn in der Bahn kennengelernt. Problem für dich?« Toto bildet wahrscheinlich mit Absicht keine ganzen Sätze, da er davon ausgeht, dass ich bei der Lautstärke der Musik sowieso nicht alles verstehe. Auch die Konversation vorhin war schwierig und wurde immer wieder dadurch gebremst, dass einer von uns eine Passage wiederholen musste. Falls wir längere Gespräche führen wollen, sollten wir in einen ruhigeren Bereich wechseln. Aber wer weiß, wie lange Mirko und Toto überhaupt noch bleiben, jetzt, wo sie sich gefunden haben.

»Nein, überhaupt nicht. Würde fast im Gegenteil sagen«, antworte ich und grinse meinem Gesprächspartner verschwörerisch zu. Toto lacht und nickt schließlich zufrieden. Ich gehe nicht davon aus, dass er meinen Segen erwartet für den Kontakt zu Mirko oder wie auch immer ich das nennen soll. Trotzdem finde ich es schön, dass er meine Gefühle oder Meinung nicht völlig außer Acht lässt. Schließlich ist Mirko mein Freund und wir wohnen zusammen.

»Was ist mit dir, Jörn? Hast du jemanden?« Toto betrachtet mich eindringlich.

»Nö!«, gebe ich kurz angebunden zurück.

»Nö was? Woran liegt es? Kein Interesse?«, bohrt mein Gegenüber nach.

Mensch, wie lange ist Mirko denn zum Pinkeln weg? Ich mag Toto, aber ich will lieber tanzen als quatschen.

»Sind mir alle zu weich, die Typen. Ich brauche es härter. Da sind die richtigen Kerle schwer zu finden.« Wenn ich dachte, dass ich Toto damit schockieren könnte, dann habe ich mich wohl geschnitten. Ein süffisantes Grinsen erscheint auf seinem Gesicht. Anerkennend zieht er die Augenbrauen in die Stirn.

»Komm, wir gehen tanzen!«, schiebe ich zügig nach und drehe mich einfach zur Tanzfläche um. Mit einer Verzögerung von etwa zwei Atemzügen folgt mir Toto. Offensichtlich hat er gesehen, dass Mirko zurückgekehrt ist, und hat die paar Sekunden auf ihn gewartet. Gemeinsam bilden wir nun eine Einheit zwischen den sich bewegenden Menschen. Das macht noch mehr Spaß, als allein zu tanzen.

Wie schon vorhin verliere ich mich in der Musik und der Bewegung. Die Augen schließen sich von selbst. Irgendwann fühle ich, wie mich jemand am Ellbogen fasst, sanft, aber mit festem Druck. Es ist Toto, der mich auffordernd anschaut.

»Ich weiß, wir kennen uns nicht wahnsinnig gut, wenn auch schon länger. Aber hör einfach mal auf mich! Da hinten ist ein Typ, den kenne ich über Bekannte, doch glaub mir, der könnte was für dich sein. Ernsthaft, schau ihn dir wenigstens an. Das ist auf jeden Fall ein echter Kerl!«

Vier

Die Beine leicht gespreizt, steht auf einer Empore ein Mann, dessen Anblick mich umhaut. Hätte ich gewusst, dass es solche Kerle wirklich gibt, hätte ich schon häufig von so einem wie ihm geträumt. Meine Wunschvorstellungen bleiben weit hinter dem zurück, was gerade vor mir in der Realität erscheint.

Dadurch, dass der Wikinger etwas erhöht steht, kann ich ihn von schräg unten bewundern. Er hat einen festen Stand, als wäre er mit dem Untergrund verwurzelt. Die Stabilität, die er ausstrahlt, lässt die Menschen um ihn herum Abstand halten. Aber das scheint ihm nichts auszumachen. Er wirkt mit sich im Reinen.

Seine Bekleidung ist unauffällig und zur gleichen Zeit bemerkenswert. Die dunkle Wildlederhose schmiegt sich an seine kräftigen Beine. Darüber trägt er ein Hemd, welches luftig fällt, ohne flatterig zu sein. Am Hals hat es eine Schnürung, die locker geöffnet ist. Die Ahnung von blanker Haut steigert meine Neugier. Ich weiß nicht, aus welchem Stoff das Oberteil hergestellt ist, aber da es wie von einem Mittelaltermarkt aussieht, würde ich auf Baumwolle oder Leinen tippen. An ihm sieht es nicht albern oder verkleidet aus. Nein, es kleidet ihn und unterstreicht seine Ausstrahlung.

Das Beste an seiner Kleidung sind für mich die Stiefel. Da ich bekanntlich eine Schwäche für hohes Schuhwerk habe, erfreut mich der Anblick der kniehohen Wesco-Boots besonders. Der Kerl hat Geschmack, das ist Fakt.

»Hast du die Haare gesehen? Sind die nicht der absolute Hammer?«, raunt mir Toto jetzt ins Ohr. Ich hatte für einen Moment fast vergessen, dass ich nicht allein hier stehe.

Mein Blick wandert am Oberkörper des Wikingers entlang nach oben. Die Brust, die sich unter dem Hemd ahnen lässt, ist breit und fest. Der kräftige Hals wird von einer Kette mit Anhänger, den ich aber nicht eindeutig erkennen kann, umspielt. Es sieht ein bisschen aus wie eine Axt, was da auf seiner Brust schimmert.

Dann begreife ich, was Toto so fasziniert hat. Die Haare! Der Farbton ist wahrscheinlich aschblond oder sandbraun. Das lässt sich in dem Licht hier schlecht erkennen. Aber darum geht es nicht. Feine geflochtene und gekordelte Zöpfe halten das lange Haar des Wikingers aus seinem Gesicht.

Lange Haare stelle ich mir beim Kampf sowieso unpraktisch vor, aber wenn sie dann noch ins Gesicht fallen … Stopp! Was denke ich denn da? Welcher Kampf? Das ist schließlich nicht wirklich ein Wikinger. Oder doch? Der Typ wirkt so authentisch, dass sich in meinem Kopf Bilder von Schlachten und Scharmützeln entwickeln.

Gerade dreht der Wikinger den Kopf zur Seite, so dass ich nicht nur sein Kinn und seine Kieferpartie bewundern, sondern auch sehen kann, dass er einige Zöpfe mit Holzperlen und Lederbändern verschlossen hat. Es würde mich kaum wundern, wenn er Muscheln eingearbeitet hätte.

»Hat er einen Namen? Toto! Wie heißt der Wikinger?« Abrupt drehe ich mich zu meinen Freunden herum. Meine Stimme klingt ungeduldig, als könnte ich jetzt, wo ich diesen echten Kerl entdeckt habe, keine Sekunde ohne wietere Informationen überleben.

»Natürlich hat er einen Namen«, antwortet Toto betont bedächtig. Er begreift sofort, wen ich mit Wikinger meine.

»Boah, komm mir jetzt nicht mit solchen Spitzfindigkeiten. Ich will doch nur, dass du mir sagst …«, unterbreche ich unhöflich.

»Thor. Der Wikinger heißt Thor. Wenn du mich mal ausreden lassen würdest, dann hättest du …« Toto zieht pikiert die Augenbrauen hoch. Ich weiß nicht, ob er den Rest des Satzes ausspricht. Es ist mir egal. Ich habe die Information, die ich will.

»Thor«, flüstere ich mit unüberhörbarer Andacht in meiner Stimme und unterbreche damit Toto schon wieder. »Natürlich … Thor … er könnte gar nicht anders heißen.«

Wir verlassen gemeinsam die Tanzfläche, auf der wir schon von einigen Leuten grimmig angeguckt werden, da wir reichlich Platz blockieren. Am Rand der Tanzfläche haben wir mehr Ruhe. Ich brauche einige Minuten, um Thor zu bewundern. Eine Erscheinung dieser Art muss ich erst einmal verkraften. Immer wieder wandert mein Blick zu ihm. Dabei lerne ich Nuancen seiner Mimik kennen. Er lächelt, wenn ihm die Musik gefällt. Dann bewegt er sich verhalten zum Rhythmus, allerdings ohne auf die Tanzfläche zu gehen. Dahin zieht es ihn offensichtlich nur, wenn sein Gesicht sich vor Begeisterung erhellt, wenn er der Musik gar nicht widerstehen kann.

Im neutralen Zustand strahlt Thor eine gewisse Distanziertheit aus. Ob es Arroganz ist, weiß ich nicht, ich kenne ihn nicht, noch nicht. Er wirkt ruhig und kühl. Gelegentlich redet er mit jemandem, bleibt dabei aber nie lange in einem Gespräch.

»Was ist jetzt, Jörn? Ich glaube, wenn du darauf wartest, dass er den ersten Schritt macht, weil er dich entdeckt hat und unwiderstehlich findet, wird das nichts mit euch.« Mirko stupst mich auffordernd mit dem Ellbogen an. Dabei deutet er wenig diskret mit dem Kopf in die Richtung, in der Thor nach einem Ausflug auf die Tanzfläche wieder steht. Mein Freund hat ja recht, aber plötzlich habe ich Hemmungen.

»Jörn, hör mir zu! Du hast betont, dass du es härter willst. Das könntest du bei Thor finden. Aber für härter musst du jetzt auch was tun. Nämlich den Wikinger anquatschen«, bringt sich Toto erneut ins Gespräch. »Gerade hat dein echter Kerl in unsere Richtung geschaut. Keine Ahnung, ob er dich meint. Geh los und finde es heraus!«

Ohne eine Erwiderung drehe ich mich um und gehe los. Allein aus dem Grund, dass ich die Aufforderungen nicht mehr hören möchte, gebe ich mir den endgültigen Ruck. Meine frische Motivation erhält allerdings einen Dämpfer. Thor steht nicht mehr auf der Empore. Suchend schaue ich mich um und entdecke ihn schon wieder beim Tanzen.

Kein Problem für mich! Dann tanze ich eben erst mal, und zwar in seiner Nähe. Dämliches Antanzen spare ich mir, das ist mir zu doof. Mag sein, dass es unter seiner Würde ist, andere Kerle anzusprechen, plumpe Anmache ist dagegen unter meiner. Erfreut stelle ich fest, dass das gar nicht nötig ist. Thor schaut mich an. Als sich unsere Blicke begegnen, deuten seine schmalen Lippen ein Lächeln an. Ja, er hat mich gesehen!

Wir bewegen uns eine Weile und schaffen es dabei, dass niemand zwischen uns gelangt. Wir berühren uns nicht körperlich, aber es entsteht eine Verbindung zwischen uns. Dieses Verhalten geht eindeutig nicht nur von mir aus.

Als Thor die Tanzfläche verlässt, gehe ich ihm nach und stelle mich neben ihn.

»Toto hat dich mir als echten Kerl angepriesen«, rede ich drauflos. Der Einstieg in ein Gespräch ist vielleicht holprig, aber ich mag es auf diese Art lieber als mit Gesäusel. Hallo, so allein? Ohne mich!

»Da hat Toto recht«, erwidert Thor gelassen. Seine Stimme gefällt mir auf Anhieb. Trotz der Lautstärke im Club schreit er nicht, sondern spricht ruhig. Seine Betonung ist deutlich, wahrscheinlich, damit ich ihn verstehe. Der tiefe Tonfall und die unaufgeregte Aussprache vermitteln mir ein gutes Gefühl. Vor mir steht ein Mann ganz nach meinem Geschmack.

Überrascht bemerke ich, dass Thor von der Körperlänge ein wenig kürzer ist als ich. Das hätte ich vor wenigen Minuten nicht gedacht, als ich ihn von unten bewundert habe. Aber es ist egal, denn Körpergröße halte ich für überbewertet. Sich ernsthaft damit zu beschäftigen, empfinde ich als oberflächlich. Thor ist ein großer Mann. Sein Körperbau verrät Kraft und Stärke. Erneut kommt mir das Wort Stabilität in den Sinn. Diesen Donnergott haut garantiert so schnell nichts um.

Fünf

Bei Männern ist die Reihenfolge meiner Blicke meistens folgende: Schritt, Arsch, Augen. Ich kann nichts dafür, so bin ich eben. Wobei ich zugebe, dass die Augen im Laufe der Zeit mehr in den Vordergrund rücken. Männer, die mich interessieren, müssen schön gucken. Was auch immer das ist!

Den Blick auf Thors vordere Körpermitte habe ich bereits erledigt. Alles im grünen Bereich! Sieht so aus, als wäre in Thors Hose auch Thors Hammer. Dieser Geistesblitz lässt meinen Blick nochmals zu dem Anhänger an seiner Kette wandern. Mit einem Grinsen stelle ich fest, dass es keine Axt ist, die einen schimmernden Kontrast zu seiner Haut bietet, sondern ein Thors Hammer. Respekt! Thor hat Sinn für nordische Mythologie. Ich bin beeindruckt.

Sein Arsch ist anbetungswürdig, ansprechend betont durch die Wildlederhose, die seine Rundungen umschmeichelt. Soweit gefällt mir alles.

Die Augen des Wikingers sind blau. Ob eher hell- oder dunkelblau, das werde ich noch herausfinden. Aber der Ausdruck in den Augen, mit dem kann ich bisher nicht viel anfangen. Allerdings lasse ich nicht locker. Der Kerl ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Thors Blick ist abwartend und wenig einladend, wenn auch nicht ablehnend. Meine Freunde haben recht. Von ihm sollte ich kein Entgegenkommen erwarten.

»Ich bin Jörn«, starte ich einen erneuten Versuch einer Konversation. Von Thor erhalte ich für meine höfliche Vorstellung lediglich ein Nicken. Na gut, ich weiß, wie er heißt. Aber ich hätte es trotzdem gut gefunden, wenn er mir seinen Namen genannt hätte, am besten ohne impertinentes Nachbohren meinerseits. Damit hätte ich das Signal, dass meine Annäherungsversuche nicht Perlen vor die Säue geworfen sind. Vielleicht sollte ich das ganze Unternehmen abblasen, bevor ich mich zum Hampelmann mache vor diesem Typen.

»Mein Name ist Thor«, höre ich in genau diesem Moment. Junge, das war verdammt knapp! Ein mutwilliges Grinsen begleitet Thors Worte. Der Mistkerl weiß genau, was er tut. Bestimmt hat er an meiner Haltung bemerkt, dass ich kurz davor war, auf Abstand zu gehen. Er dagegen hat in aller Ruhe abgewartet.

»Wie bitte?«, frage ich unnötigerweise nach. Ich möchte seinen Namen noch einmal aus seinem Mund hören.

»Thor!« Der Donnergott spricht es mit mehr Nachdruck, aber nicht lauter, aus. Er rollt das R dabei, als käme am Ende seines Namens noch ein E. Aber es klingt nicht so extrem wie das typische »Rammstein-R«. Genau auf diese Weise muss sein Name ausgesprochen werden, nämlich wie der Name eines Gottes.

Betont gelassen nicke ich nun Thor zu, was ihn belustigt schnaufen lässt.

»Warum bist du mir hierher gefolgt, Jörn?«, spricht mich Thor nach gefühlten Ewigkeiten an. Ich bin die ganze Zeit neben ihm stehen geblieben, habe ein wenig auf die Tanzfläche geschaut und mich gefragt, was ich hier eigentlich veranstalte.

»Weil ich … also ich … ich war nicht auf der Suche, nicht direkt. Aber ich habe dich gesehen, na ja, Toto hat mich auf dich aufmerksam gemacht«, stammele ich herum. »Ehrlich gesagt, ich war länger nicht mehr aus. Ich hatte das alles so über. Die Männer, die ich kennenlernte, langweilten mich. Alles nicht das Richtige!«

Ich mache eine Pause, um zu sehen, ob Thor meinen Gedankengängen folgen kann und ob er versteht, was ich sage. Das will er bestimmt alles gar nicht wissen, aber jetzt ist es zu spät für einen Rückzieher.

»Ja gut, aber was habe ich damit zu schaffen? Warum bist du mir gefolgt?«, wiederholt Thor seine Frage. Sein Ton klingt nicht genervt, sondern eher, als wäre es ihm unverständlich, dass ein Mensch auf diese Weise Interesse an ihm zeigt. Dabei vermute ich, dass nur seine leicht unterkühlte Aura die Leute auf Distanz hält. Soll mir nur recht sein. Ich stehe schließlich direkt neben ihm und taste mich heran.

»Ich mag es härter. Toto meinte, du könntest dafür der Richtige sein. Ich finde dich interessant. So einfach ist das«, gebe ich gelassener, als ich mich fühle, eine Antwort. Und ob das wirklich so einfach ist, wage ich zu bezweifeln. Nichts an Thor wirkt auf mich einfach. Allein schon dieses Gespräch kommt mir im Vergleich zu lockerem und oberflächlichem Kennenlern-Small-talk-Gelaber geradezu skurril vor.

»Härter? Sexuell jetzt oder wie?« Thor schaut mich mit aufgerissenen Augen an. Sein Interesse habe ich jetzt eindeutig. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht spricht er weiter. »Ich weiß nicht, ob ich es so nennen würde, also härter. Aber ganz falsch liegt Toto nicht. Sagen wir mal, ich mag es kreativ.«

Interessant! Kreativ klingt in meinen Ohren eindeutig gut, vielleicht noch besser als härter.

Als ich nichts sage, redet Thor: »Suchst du denn nur was zum Ficken? Jemand, der dir den Arsch aufreißt? Der es dir besorgt, bis du nicht mehr sitzen kannst? Einmalig? Oder was stellst du dir genau vor?«

So wie er das darstellt, klingt es grob und schmutzig. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass er es absichtlich auf diese Art ausdrückt. Ficken! Er hätte von Sex sprechen können, das hätte wenigstens etwas weicher geklungen. Aber nein: Ficken!