Häusliche Liebe - Isabell von Burg - E-Book

Häusliche Liebe E-Book

Isabell von Burg

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Beschreibung

Isabelle, eine zweifache Mutter auf der Suche nach neuen Lebensvisionen, arbeitet aus Geldnot heraus zwei Monate lang in einem Edelbordell. Dort taucht sie nicht nur in die Parallelwelt der käuflichen Liebe ein, sondern muss sich auch ihren eigenen inneren Dämonen stellen und vergangene Erlebnisse verarbeiten, um zu sich selbst und zur Liebe zu finden...

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Seitenzahl: 194

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Isabell von Burg

Häusliche Liebe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Liebe als Luxusgut

Liebe im Spiegel

Liebe im Wandel

Liebe zur Erkenntniss

Impressum neobooks

Liebe als Luxusgut

Die schwere Eisentür rastete im Schloss ein und ihr Puls war im roten Bereich. Es waren nur Sekunden. Sie versuchte, sich zu beruhigen.

Dann nahm Isabelle die freundliche Stimme von Alexa wahr:

„Hallo Angie“, hörte sie, womit ihr Adrenalinspiegel sank und ein unsichtbarer Schleier über sie fiel.

Angie war drin, Isabelle versuchte sie draußen zu lassen.

Ihr hypnotischer Gang führte sie an der Rezeption vorbei in den Keller, sie kam in den Waschsalon, dort war es warm und der Wäschetrockner lärmte in heimeliger Atmosphäre.

Carmen faltete fein säuberlich Handtücher zusammen.

„Hallo Angie, wie geht’s“, sprach sie Isabelle beiläufig an.

“Hallo ja, danke gut“, stotterte sie leichtherzig zurück.

„Unser armes Ökosystem“, kam ihr in den Sinn, „in diesem Haus wird rund um die Uhr gewaschen“.

Es war siebzehn Uhr, Angies Dienst begann.

„Hey Angie!“, rief plötzlich jemand ganz aus dem Häuschen.

Diese Stimme kannte sie doch. Vom Vortag.

„Hallo Nina, wie geht’s dir?“

Isabelle hatte sich ihren Namen gemerkt. Sie hatten gestern zusammen gearbeitet, eine Stunde lang.

„Na Pia“, begrüßte Angie ein anderes Mädel, „auch schon da?“

„Ja, ich konnte nicht mehr schlafen“, erwiderte diese.

„Wann bist du denn gegangen?“

„Um sechs“, offenbarte ihr Pia mit rauchiger Stimme, „wir hatten noch eine Truppe Italiener gestern, die wollten einfach nicht geh‘n und um halb fünf orderten sie noch Champagner und waren hungrig. Es war grausig.

„Haha“, dachte sich Isabelle, denn sie selber hatte um fünf bereits zu Hause im Bett gelegen undgrinste, scheinbar anteilnehmend, zurück.

Allerdings musste sie heute früh schon zum Zahnarzt, Hygienebehandlung, das war ihr wichtiger als Schlaf.

Puh, vier Stunden waren es wieder, stöhnte sie in sich, das würde eine anstrengende Nacht werden.

Isabelle zog sich ihre Jeans aus und ersetzte sie zügig durch schwarze Netzstrümpfe und einen Bleistiftrock der Haute Couture, super, edel. Den hatte sie sich mal für besondere Anlässe gegönnt, das passte ja nun, geht sie in sich.

Etwas schwerfällig stülpte sie ihre geschwollenen Füße in die High Heels und begann mit dem Feinschliff.

„Ich hasse diese ganze Zeremonie jeden Tag“, brabbelte Nina zu ihr rüber. Nebenbei stolzierte sie durch den Raum, wie eine atmende Barbiepuppe. Ihre Haare hatte sie auf Wickler gedreht.

„Au Backe“, dachte Angie“, jetzt setzt sich der Barbie-Klon in Ihren nagelneuen Dessous auch noch neben mich."

Nina hatte Prosecco in der Hand und bot allen Mädels einen Schluck an.

Dann rissen zwei kecke Ladys ungestüm an der Flasche und mussten albern und aufgesetzt lachen.

Trotz allem sah Nina scharf aus, ein Luder wie aus dem Film. Ihr Slip war aus völlig durchsichtiger Spitze und ihre neuen Brüste sensationell gelungen.

Nina in ihrem roten Halbschalen BH – da war Alarmstufe Rot angesagt.

Ihr richtiger Name war Mariana, sie hatte sich den Künstlernamen Nina gegeben, nun ja, das war wohl Geschmackssache.

Sie war sehr gebräunt und wog gute fünf Kilo zu wenig, auf jeden Fall hatte sie bei ihren gut und gerne einen Meter achtzig nicht mehr als zweiundfünfzig Kilo, sah dennoch dank der neuzeitlichen Möglichkeiten nach Traummaßen aus.

Müde aber auch.

Sie stammte aus Ungarn und war bereits drei Jahre im Haus.

Alle drei bis vier Wochen, wenn sie nach Hause fuhr, erzählte sie ihren Eltern von ihrem Job als Tänzerin in einer Bar, und dass sie da gute Kohle verdienen würde.

An der Sache mit dem Geld war was dran, sie hatte genau die Louis Vuitton Tasche vor ihrem Schrank steh`n, die Angie neulich in der „Instyle“ als Must Have angegiert hatte.

„Eh Mädels“, töne Angie dann mit spitzem Witz in den Raum, "macht eine ?alte Frau? nicht verlegen mit euren Luxuskörpern.“

„Oh weh“, kreiste es in Angies Hirn, denn sie war gut zehn Jahre älter als diese jungen, „alten Häschen“ dort, um Ellenlängen unerfahrener und vollkommen in ihrem Selbstwertgefühl angeschlagen.

„Heute ist mein zehnter Tag“, röhrte Angie lauthals und übermütig, „darauf sollten wir ein Glas trinken. Die Flasche ist leer. Pia holst Du noch was, du bist doch fertig?“

„Klar, was wollt ihr“, fragte sie und verschwand schon hinter der Waschmaschine.

Der verdammte Eyeliner!

Angie hasste es, sich das Lid oberhalb der Augen anzutuschen. „Okay, das musste reichen“, fluchte sie gedanklich vor sich hin.

„Gin Tonic“ – rief sie Pia nach, „ein großes Glas bitte!“

Wangenrouge, Lippen nachziehen, ihre schwarze supersexy „Desquared“- Jacke drüber – fertig! Halbherzig, doch vollbusig prüfte sie sich kritisch vor dem Spiegel.

„Wo bleibt Pia mit dem Drink?", überlegte sie, “ aha“, da hörte sie sie kommen.

Pia reichte Angie das Glas, sie prosteten sich zu und Angie trank es in einem Zuge aus.

„Whow, an die Arbeit Frauen“, überspielte Angie flugs ihren „Schiss in der Hose“ mit ihrer Reife als Weib.

„Kommst du, Pia?“, rief sie ihr zu.

Mit holprig, tapsigen Schritten folgte Pia Angie auf ihren Plateausohlen in die viel zu dunkle Bar.

„Alex!“, rief Angie laut nach oben, „mach es bitte etwas heller, nur eine Spur, sonst fliegen wir alle über die edlen Teppiche und kein Alibaba ist da, geschweige denn vierzig knusprige Räuber, um uns aufzuhelfen.“

Sie drehte den Dimmer etwas höher.

Alexa war der „Kommandant der Schaltzentrale“, positioniert am Haupteingang, warf sie regelmäßig einen geschulten Blick auf die High Tech Bildschirme, die schonungslos die Bilder aus den „öffentlichen Räumen“ aufzeigten.

Akkurat und streng betrieb sie offensiv und perfektionistisch das Controlling im Haus. Ein „cooler Typ“ in Frauenkleidern.

Der Job schien ihr auf die Weste geschneidert, obwohl die Umstände, durch die sie dazu kam, sich unbedeutend von denen der anderen Damen im Haus unterschieden.

„Es sind noch keine Gäste da, ist scheinbar ruhig heute“, tuschelte Angie zu Nina rüber, die gerade rein kam und sich hinter der Bar gleich einen „weißen Spritzer“ einschenkte.

„Na dann freu dich mal nicht zu früh Angie, Angelo hat gesagt, es gibt eine Reservierung für zwölf Leute heute!“

Angie wollte sich auch gar nicht freuen, sie dachte eher, dass es eine Katastrophe wäre, wenn keiner käme. Isabelle sah das anders, sie müpfte in Angie auf und redete ihr schon seit Tagen ins Gewissen.

Angelo war, neben Roland, der einzige Mann im Haus. Der Koch der Cuisine D´ Amour.

Es gab nach Angies Meinung kein raffinierteres Vorspiel als ein aphrodisisches Diner-à-deux, wobei Nase, Zunge und Gaumen gleichermaßen verwirrt und verwöhnt werden.

Roland war der Inhaber.

„Was suchst du hier, Isabelle“, schimpfte Angie innerlich. „Du solltest draußen bleiben!“

Angie hatte zwar recht, aber ganz ohne Isabelle ging es eben nicht. Auch, wenn wie in ihrem Fall, eine Angie die neue Rolle übernahm.

„Ich geh jetzt ins Restaurant, halt dich jetzt zurück Isabelle“, ermahnte sie sich selbst.

Im Restaurant war Angie am liebsten, dort es war viel heller und lies sie vergessen, wo sie war.

Die schweren antiken Tische, die immer im Fünf-Sterne-Look eingedeckt waren, machten schon was her.

Hier kam sie ins Schwärmen, alles war stilecht und geschmackvoll eingerichtet.

Mit der leisen Musik im Hintergrund, fand sie, war dies der perfekte Platz für erwartungsvolle Stunden.

An den geräumigen Tischen saßen bereits einige elegante Damen, von denen sie keine kannte.

„Hübsch, so viel Sexappeal an einem Ort, wie deprimierend“, urteilte sie.“ Isabelle, eifer nicht!“, ergriff Angie innerlich das Wort. „Ich doch nicht“, gab sie zurück, „das bist wohl du. Eben lauter junge Hühner, makellos, faltenfrei und das noch ohne Sport, ist das gerecht?“

„Althuhn", pflegte Isabelles geliebter Bruder manchmal zu ihr zu sagen. Ein Althuhn sollte einfach so viel Selbstbewusstsein besitzen und längst erkannt haben, dass Schönheit und Jugend nicht alles ist.

Angie nicke den Mädels also freundlich zu. Eine gut bewährte Taktik, fand sie. Blick dem Feind freimütig in die Augen und lass um keinen Preis dein falsches Spiel durchschauen.

Die Wahrheit war: Sie war voller Komplexe.

Eine derartige Überdosis an Jugendlichkeit, Schönheit und Perfektion konnte selbst eine attraktive Frau wie Isabelle in die Schranken weisen. Das klebte ihr fest im Hinterstübchen.

Wie konnte Isabelle hier nur landen?

Sonderlich orthodox war ihr Leben noch nie gewesen, zumindest in Hinsicht auf das typischeNormaldes Verbrauchers dieser Weltzeit. Wie und wo begann das alles.......

Isabelle kam gerade aus der Schule und hatte Angst. Angst davor, was sie zu Hause erwarten würde.

Todunglücklich fühlte sie sich. Sie hatte solche Sehnsucht nach innerem Frieden. Sie wollte doch nur wie alle Kinder geliebt werden. Ihr einziger Wunsch war, dass ihr Vater endlich versteht, wie sehr sie ihn braucht, dass er ihre Liebe und ihre Sorge um ihn sehen würde.

X-mal schrieb sie die Worte: „Liebe Isabelle, ich höre jetzt mit dem Trinken auf! Für immer! Das verspreche ich dir, hier, auf diesem Zettel.“

Dann forderte sie ihn auf, doch bitte zu unterschreiben. Er sollte doch nur seinen Namen unter diesen Text setzen, weil sie glaubte, dass er es dann endlich tun würde: aufhören zu saufen. Sie liebte ihn doch so und brauchte ihn. Was sollte sie denn ohne ihren geliebten Papi machen, wenn er sich zu Tode säuft? Sie bat den lieben Gott, ihm bitte zu helfen, ihm den Weg zu zeigen und dass er versteht, um was sie täglich flehte: seine Verantwortung für sie und seine Liebe …

Isabelle hatte das Beten in der Christenlehre gelernt und erprobte es täglich aufs Neue.

Sie rannte hinter ihrem schwankenden Vater her, er stank nach Bier und Schnaps, alles stank danach, er sah erbärmlich aus in seinem Unterhemd und seiner schmierigen, schmutzigen Schlosserhose. Seine Augen waren glasig und rot. Sie weinte und riss an seinen Armen, er ging einfach weiter ins Schlafzimmer und fiel aufs Bett.

Isabelle wohnte mit ihrer Familie auf dem Land, in einem kleinen uralten Haus, das Ihre Eltern mit großer Mühe, jämmerlichen finanziellen Mitteln und über die vielen Jahre renovierten. Es war in der ehemaligen DDR, einen Steinwurf von Berlin entfernt.

Isabelle hatte solche Angst um ihren Vater, ihr Herz pochte und sie schluchzte. Dann fing sie an aufzuräumen, sie hatte einen Putzfimmel. Sie wollte einfach nur, dass alles schön aussieht.

Es gelang ihr nie wirklich, weil alles, was sie besaßen, ganz einfach alt und improvisiert war. Ihr Vater hatte ins Bett gebrochen. Ihre Mutter war arbeiten, sie war Krankenschwester und hatte Schichtdienst.

Isabelle war damals neun Jahre alt.

„Angie! Angie!“

„Wer? Was?“

Angie blickte auf, Pia stand vor ihr.

„Was ist?“, fragte Isabelle verdutzt.

„Es sind Gäste gekommen“, erwiderte Pia.

„Welche Gäste?“ Isabelle, beziehungsweise Angie, schien gedanklich nicht ganz bei der Sache zu sein.

„Spinnst du, steh auf!“, forderte sie Angie auf, „Elaine ist da, sonst kriegst du gleich einen Mordsstress!“

"Warum?" fragte Angie. „Die Chefin, der Hausdrachen!“, flüsterte Pia leise.

Angie stand auf und im gleichen Augenblick kamen zwei süße Typen in lässig modernem Outfit scherzend durch die Eisentür in die Vorhalle.

Angie schlich an ihnen vorbei Richtung Klo und feuerte auf Isabelle ein, sie solle sich zusammenreißen mit ihren Zweifeln und dass sie das schon hinkriegen würde.

„Aaaangie!!!“- dröhnte es plötzlich aus der Vorhalle.

Völlig perplex rief sie noch während des Pinkelns: „Jaaa!!! Ja, gleich, ich komme schon!!!“

„Geh bitte an die Rezeption vor zu Elaine“, forderte Alexa Angie auf, die an ihrem Rock zupfte, während sie den zwei Männern einen Platz im Restaurant anbot.

Angie lief im Eiltempo vor und blickte der grauen Eminenz des Hauses in die Augen.

Eine hart wirkende Frau mit schwarzen, langen Haaren und fleischigen Händen begrüßte sie emotionslos.

Isabelle hatte kein gutes Gefühl, versuchte aber freundlich zu bleiben.

Sie schätzte Elaine vielleicht fünfzehn Jahre älter, als sie selber war, und visierte sie unsicher lächelnd an.

„Du bist die Neue?“, fragte Elaine trocken.

„Ja, seit ein paar Tagen“, antwortete Angie ehrfürchtig und folgsam.

Elaine wirkte auf Angie wie ein bissiger Feldmarschall.

Sie war verreist und deshalb war sie ihr bisher nicht begegnet.

„Gut, hier sind deine Unterlagen für die Untersuchungen. Dienstags. Ruf vorher an wegen eines Termins. Hast du ein Fach?“

„Ja, Pia hat mir eins frei gemacht“, stotterte Angie.

„Wie oft kannst du arbeiten?“

„Sieben Wochen, diese Ferien“, gab Angie unsicher zurück.

„Aha, hast du ein Auto?“

„Ja, klar.“

Da schellte das Telefon.

„Mh, alles Gute“, nuschelte Elaine noch, bevor sie abhob.

„OK, ja, danke“, erwiderte Angie und verschwand mit den Unterlagen in den Keller.

Sie hat mich nicht angesehen, die ganze Zeit nicht, was ist das für ein Mensch, dachte Angie empört.

Im Keller war inzwischen Hochbetrieb, gut fünfzehn Mädchen tummelten sich, dürftig bekleidet und scheinbar unorganisiert, in der Schlossgarderobe.

Isabelle fühlte sich ein wenig an ihre Schulzeit erinnert, an den Umkleideraum einer Turnhalle. Es roch auch so. Nach Mädchen und Schweiß.

Sie fragte sich, wo die Frauen auf einmal alle herkamen? Das musste sie komplett verpennt haben?

Föhne düsten, spitze Absätze von Achtzehn-Zentimeter-Schuhen tackten laut durcheinander, es roch nach den Noten großer Designer und Isabelle fühlte sich irgendwie eigenartig.

Fast mächtig. Sie stellte sich vor, sie wäre eine Schauspielerin, ein Star im Backstage.

Ja, es war wahrlich anders hier.

Sie versuchte Alexa zu verstehen, die ihr sagte, sie solle dankbar sein,hierarbeiten zu dürfen.

Das wäre ein besonderes Haus, erzählte sie ihr.

Anders als die anderen. Es habe einen exzellenten Ruf.

Das Haus, ihr neuer Arbeitgeber, ein zwielichtiger Ort, ein der Gesellschaft trotzendes Mauerwerk, wo fleischliche Lust ausgelebt wird.

Isabelle wurde übel, ganz mulmig, bei diesen Gedanken, wenn das ihre Mutter wüsste, ihre Kinder, die Nachbarn. Nun war es zu spät, sie war drin, und Angie konnte sie nur teilweise ersetzen.

„Das hättest du dir früher überlegen müssen Isabelle, wärst du doch nicht rein gegangen, nun bin ich bei dir, deine Angie.“

„Jetzt ist es genug Angie, ja, DU machst den Job hier, so haben wir es ausgemacht.“

Isabelle versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Wieder einmal glaubte sie, von einem Extrem ins Nächste geschlittert zu sein. Sie machte sich Vorwürfe, unfähig zu sein, sich der Gesellschaft anzupassen. Und darüber, eventuell irgendwann mal einen Mann auszuhalten, ohne Doktorarbeit zu praktizieren, oder den Zwang alles selber machen zu müssen und zu können. Ein augenblicklich übermächtiges Eltern-Ich mahnte sie aus ihrem tiefsten Kern.

Es schien ihr deutlich, als käme ihr wiederholt ihr alter Psychotik in die Quere. Permanent musste sie über diese Misere, in die sie wieder einmal geraten war, nachsinnen.

Sie legte die medizinisch wertvollen Unterlagen in ihren Schrank, ging nochmals zum Spiegel, überprüfte routiniert ihr Make-up und strich sich mit den Fingern den verwischten Kajal unter den Augenlidern weg.

„Schau dir in die Augen, in dich, wer schaut dich da an“, fragte sie sich.

Vor drei Jahren hatte sie ihr Studium als abgeschlossen, und und als ihr Alexa vor zwei Monaten auf einer Party-Tour in der Stadt begegnete, ahnte sie noch nichts von dieser Welt hier.

„Krieg dich ein Isabelle, vergiss nicht, es ist doch nur ein Ferienjob“, schimpft Angie.

„Ja genau, andere gehen als Kellner auf Saison – ich gehe eben hier her, es ist eine Arbeit, ein Job, ja, im Dienste der Liebe - klingt doch interessant.“

Kneifen wollte sie nicht, niemals würde sie das tun, „schließlich wollten wir es nicht anders“, beendet Isabelle das innere Zwiegespräch.

Isabelle wusste zwar, dass Angie hier drinnen wichtig war, aber gleichzeitig überkam sie eine Ahnung, dass sie ihr künftig eine Menge Probleme bereiten würde.

Dann sprang sie nochmal zum Schrank, der Kajalstift war ihr abgebrochen, und nun suchte sie nach dem Anspitzer.

„Hat jemand einen“, rief sie in den Raum, als sie keinen fand.

Doch es antwortete keiner, jeder war mit seiner eigenen Fassade beschäftigt.

Isabelles Mutter war eine schöne Frau, geradezu graziös, und Isabelle wollte eines Tages mal so aussehen wie sie. Schon als kleines Mädchen hatte sie sich mit ihrer Mutter verglichen und fragte sie, warum sie nicht ihre Nase hätte, sondern die vom Papi. Isabelles Mutter war irre schlank und sie hatte langes schwarzes Haar. Allerdings störte sie deren kokette Art, ständig überspielte sie damit ihre innere Not. Das kam Isabelle so unnatürlich vor, sie mimte immer die Starke.

Was wusste sie schon über diese Welt, in dem Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, dachte sich Isabelle ständig?

Isabelle war oft wütend auf ihre Mutter, weil sie ihren geliebten Papi mit sämtlichen Kraftausdrücken beschimpfte, die sie kannte. Ihr war schon klar, dass dies alles wegen seiner Sauferei geschah. Und irgendwie glaubte Isabelle auch, dass sie wohl recht hatte, aber für Isabelle war sie nie konsequent genug, wenn sie zum hundertsten Male ankündigte zu gehen, ihn zu verlassen.

Manchmal hatte Isabelle sogar den Wunsch, sie würde es tun, dass sie endlich nur einmal das tun würde, was sie sagte, aber zugleich hatte Isabelle eine Heidenangst davor.

Wenn es gefährlich wurde, erpresste Isabelle sie.

Sie drohte ihrer Mutter in diesen Fällen, alleine bei ihrem Papi zu bleiben.

Heimlich beschlich sie dann das Gefühl, ihre Mutter könnte glauben, dass sie ihren Papi mehr lieben würde.

Dieser Verdacht jagte Isabelle dann wieder eine andere Angst ein.

Denn sie liebte sie doch beide. Wenn einer von beiden fort wäre, wäre Isabelle doch zerrissen.

In ihrem Tagebuch schrieb sie ihrer Mutter, sie solle ihr nicht böse sein, und dass sie ihren Papi vielleicht ja doch mehr liebe, und dass sie nicht genau wüsste, warum, aber dass sie glaubt, es läge, dass er sie mehr brauchte.

Waren das etwa Tränen? „Was ist los mit mir?“, schoss es plötzlich durch Isabelles Kopf.

Isabelle wäre in diesem Moment am liebsten nach Hause gerannt, hin zu ihren Eltern und hätte sie so gern in die Arme genommen. Mahnend sprach ihre innere Stimme erneut auf sie ein.

Doch sie tat es ab als dummes Geschwätz und längst verarbeitet und ging nach oben, wo Pia bereits auf sie gewartet hatte.

Im Restaurant orderte sie bei den Bedienerinnen, die in dunklen Businessanzügen die Wünsche der ehrwürdigen Gäste erkennen und filtern mussten, einen schwarzen Kaffee mit Zucker und setzte sich an den großen Ecktisch, der zumeist den Stammkunden vergönnt war.

Dann kam Pia angeschlendert, Isabelle lächelte sie an.

„Na Schnecke“, näselte Pia leise, „alles OK mit dir, was hat Elaine denn gesagt?“

„Na hör mir bloß auf, das ist ja ne Tussi, kalt wie ein Eisbrocken“, berichtete Isabelle kurzerhand von dieser Begegnung.

Pia quasselte Isabelle dann die Ohren voll, was sie mit der Frau im letzten Jahr schon alles erlebt hatte.

Jeder, der Typen wie Pia kennt, versteht, dass Isabelle jetzt nur auf Durchzug schalten konnte. Ja, Pia fragt auch mal was, aber man musste sich nicht sorgen, denn das konnte sie auch perfekt allein beantworten.

Isabelle starrte in den Raum

Sie hörte plötzlich diese Stimme in ihrem Ohr, oh je, ihre Oma war im Anmarsch. Sie kam fast in Zeitlupe schwankend angeradelt.

Isabelle wusste, der Fahrradsattel war unter Ihrem dicken Hintern nicht zu sehen.

Sie vernahm nur die krähenden Ausrufe, die die Oma an den Nachbarn richtete, „Alfred ist noch im Stall!“ Warum Sie wohl immer so schrie, fragte sich Isabelle oft? Sie konnte doch gut hören.

Isabelles Großmutter arbeitete im Schweinestall der dörflichen Kolchose, der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Sie war ein wahres Arbeitstier, wie ihr Ehemann auch.

Jeden Morgen stand sie gemeinsam mit ihrem Mann um vier Uhr früh auf, fuhr mit dem Fahrrad zirka zwei Kilometer an den Dorfrand in die Gemeindestallungen und mistete dort Schweineställe aus, fütterte die Schweine und fuhr dann für fünf Stunden, bis Mittag, wieder nach Hause, um am Nachmittag die alltägliche zweite Mästung der dem Tode geweihten Tiere vorzunehmen.

Eigentlich war es grausam, ein Leben in Einzelhaft; auf zwei Quadratmetern, durch Gitter getrennt, vegetierten die Viecher vor sich hin.

Isabelle ist oft mitgefahren, weil sie die Dämpfkartoffeln mochte, die ihre Oma ihr manchmal dort zu essen gab.

Meistens hatte Isabelle ihr dann auch bei der Arbeit geholfen. Der Geruch ist ihr noch heute in der Nase, siloverfaultes Gras, auch der trockene Staub, der in der Luft lag ,wenn aus Getreide und Wasser ein Brei gematscht wurde.Nicht zuletzt hatte dies ihr ein wenig die Freude an Fleischgerichten verdorben.

Manchmal hatte eine Sau geferkelt oder der Tierarzt war da.

Letztendlich wollte Isabelle ja selber Veterinärmedizin studieren.

Ihre Großeltern hatten auch einen Hund, „Flocki“ hieß er, ein Kettenhund, der den bäuerlichen Hof zu bewachen hatte.

Isabelles Vater hatte ihn irgendwann einmal in einer seiner Sauflaunen mit nach Hause gebracht.

Wenn Isabelle großes Mitleid mit ihm hatte, hat sie Flocki an der Leine ausgeführt.

„Hi, wie heißt du?“, drang eine leise Stimme zwischen das geistige Hundegebell.

„Moment“, dachte Isabelle.

„Was, wie bitte?“

„Hey Du, ich bin Thomas. Träumst du?“

„Ja, nein! - meine ich“, schluckte Isabelle.

„Hallo, ich bin Isa, Angie! Mh…“

Schon war Isabelle wieder da, mit allen Befindlichkeiten, die innerkörperliche Chemie auslösen kann.

Zum Glück kam Hilfe herbei, ein Freund dieses Thomas gesellte sich übermütig grinsend an den Tisch.

Das war ein Zeichen für Isabelle und sie nutze diese Kluft, um in die Realität, das Schloss, zurückzukehren.

Umsichtig peilte Alexa Isabelles Tisch an, um die Bestellung von den Herren entgegen zu nehmen.

Die Männer setzen sich nieder und orderten jeder ein kleines Bier.

„Wie einfallsreich“, sagte sich Isabelle und entschied sich für den häuslichen Tageshit, Pfirsich-Champagner-Cocktail.

Menümäßig verzichteten beide Männer auf die tolle Vorspeise, das Fenchel-Carpaccio mit Parmesanflöckchen, und nahmen beide nur die von Amor persönlich flambierten Hirschsteaks auf grüner Pfeffersoße.

Die Herren unterhielten sich angeregt und für Isabelle klang es nach einem Problem in der Arbeit. Doch die hatte sie ja selber gerade und so entschied sie sich für die Alternative: Angie-guck-in-die-Luft......

Sie musste an ihren Opa denken, er stand am Hoftor und Isabelle rannte zu ihm hinüber. Aber Opa Alfred stand nur da und schaute.

Es kam jemand mit dem Rad vorbei und auch ein Bauer mit dem Pferdewagen. Ihr Opa brabbelte dann immer etwas, oder er nickte nur.

Er war ziemlich schwerhörig, das konnte sie gut verstehen bei der Ehefrau.

Er hatte gerade ein neues Hörgerät vom Arzt bekommen, das war etwas Besonderes damals.

Isabelle konnte sich aber nicht daran erinnern, dass er es je richtig bedienen konnte, weil er immer daran herumgefummelt hatte. Isabelle liebte ihren Opa, er war toll, er wusste einfach viel. Im Krieg war er gewesen und in Gefangenschaft geraten.

„Er hat die Welt gesehen“, dachte sie sich. Und er konnte toll Englisch sprechen.

Sie hörte ihm gerne zu, wenn er ihr mit wachsender Begeisterung über die Zeit in England vorschwärmte.

War der Krieg denn nun doch nicht so schlimm, war es vielleicht ein Abenteuer, dachte Isabelle vor Neugier.

Er hatte dabei geschmunzelt, als er ihr erzählte, dass sie nichts zu essen hatten, und wie er dadurch gelernt hätte, zu improvisieren.

Ob er ihre Oma wohl geliebt hatte, fragte Isabelle sich manchmal. Er war eigentlich nicht ihr richtiger Opa, den kannte sie gar nicht, noch immer nicht.

Isabelles Großeltern waren mittlerweile beide tot und sie sieht sie im Paradies, denn dafür hatten die beiden lange gebetet. Isabelle glaubte, jedermann würde hier, aufErden, nur reif werden für diese andere Welt.

Welche Schande, bei diesem Gedanken fiel ihr ein, dass sie oftmals bei wirklich wichtigen Dingen eine Ausrede parat hatte.

Das Chaotische war, wie sie fand, dass sie es auch „geschafft hatte“, die Beerdigung ihres Großvaters auszulassen.