Hedwig Courths-Mahler Großband 2 - Sammelband - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler Großband 2 - Sammelband E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

10 spannende Liebesromane lesen, nur 6 bezahlen!

Über 800 Seiten voller Romantik und Herzenswärme in einem Band!


Hedwig Courths-Mahlers "Märchen für Erwachsene", wie sie ihre Romane selbst nannte, sind ebenso zeitlose Klassiker wie die Themen, die sie behandeln: die Liebe, ihre Gefährdung und deren Überwindung, die Verwirrung der Gefühle und der Weg zum Glück.

Seit über 100 Jahren verzaubert sie ihre Leserinnen und Leser mit ihren wundervollen Geschichten immer wieder neu, und mit einer Gesamtauflage von über 80 Millionen Exemplaren gilt Hedwig Courths-Mahler heute als DIE Königin der Liebesromane.


Großband 2 enthält die Folgen 11 - 20.


Zehn Geschichten, zehn Schicksale, zehn Happy Ends - und pure Lesefreude!

Jetzt herunterladen und sofort eintauchen in eine heile Welt, in der die Liebe noch regiert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 1637

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: shutterstock/ArtStudia Group ISBN 978-3-7325-5720-2

Hedwig Courths-mahler

Hedwig Courths-Mahler Großband 2 - Liebesroman

Inhalt

Hedwig Courths-MahlerHedwig Courths-Mahler - Folge 011Ein berühmter Roman der unvergessenen Schriftstellerin. Der Tod des Vaters hatte die beiden Geschwister Harald und Jutta von Nordegg zutiefst erschüttert. Vor zwanzig Jahren war Graf Georg mit seinen Kindern nach Deutsch-Südwestafrika ausgewandert - von der Untreue seiner Frau Melanie in die weite Welt getrieben. Noch auf dem Sterbebett nahm Graf Georg seinem Sohn das Versprechen ab, mit Jutta nach Deutschland zurückzukehren. Hier erwartet den jungen Grafen eine schwere Aufgabe, denn er soll der Majoratsherr von Nordegg werden. Außerdem hat Harald geschworen, Jutta nicht die Wahrheit über ihre Mutter zu sagen, denn das junge Mädchen ist in Wirklichkeit nur Haralds Stiefschwester. Noch ahnt Graf Harald nicht, dass er mit seinem Schweigen Juttas Glück und auch sein eigenes zu vernichten droht...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 012Roman um Liebe, Heimweh und den Irrweg eines Herzens Auf künstlerisch falschem Boden hatte der Bildhauer Sven Anderson gestanden, bis Professor Rasmussen den jungen Mann aus Schweden mit nach Berlin gebracht hatte. Erst unter des Professors kluger Führung entfaltete sich Svens Talent zur höchsten Blüte. Eine herzliche Freundschaft verbindet nun die beiden Männer. Dritte im Bunde ist Rasmussens Tochter Hella. Sven liebt diese junge Frau - sie hingegen sieht in dem Künstler nur einen Bruder. Da lernt Hella während eines Familienaufenthalts an der See den Fabrikantensohn Franz Boßneck kennen und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Noch ehe die Ferien vorbei sind, feiern die beiden Verlobung. Sven leidet unsäglich. Eine dunkle Ahnung sagt ihm, dass Hella an der Seite Boßnecks nicht glücklich sein kann...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 013Roman um eine gefahrvolle Liebe in einem fremden Land. Einst verliebte sich Werner Rottmann während einer Weltreise in die schöne Brasilianerin Elvira Pesato und heiratete sie. Doch schon bald nach der Geburt einer Tochter betrog Elvira ihren Gatten. Verbittert kehrte Werner Rottmann mit der kleinen Felicie nach Deutschland zurück. Inzwischen ist aus Felicie eine junge Dame geworden. Obwohl sie ihren Vater abgöttisch liebt, sehnt sie sich danach, endlich auch die Mutter kennenzulernen. Als Felicie dann nach Brasilien reisen kann, ahnt sie nicht, dass sie einem gefährlichen Abenteuer entgegengeht...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 014Nachdem der Globetrotter Hans von Ried von einer verführerischen Frau bitter enttäuscht worden ist, kehrt er nun endlich für immer auf sein Schloss zurück. Der erste Sonnenstrahl, der dort wieder in seine Seele fällt, geht von der jungen, ungestümen Komtess Pia von Buchenau aus. Da Hans als Letzter seiner Familie eines Tages doch noch heiraten muss, entschließt er sich, Pia um ihre Hand zu bitten. Und sie willigt arglos ein. Was weiß sie schon von der Liebe, was von einem enttäuschten Männerherzen!Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 015In einem Taxi entdeckt Hasso von Ried eine wertvolle Handtasche. Um den Namen der Besitzerin zu ermitteln, durchsucht er den Inhalt und findet einen leidenschaftlichen Liebesbrief, der seine Empfängerin auf eindeutige Weise kompromittiert. Durch eine Suchanzeige kommt die Tasche wieder in die Hände ihrer Eigentümerin. Wenig später lernt Hasso die schöne Carry von Hartenfels kennen. Doch als er sich mit ihr verloben will, erfährt er, dass sie jene Frau ist, die die Tasche damals verloren hat. Enttäuscht und verbittert, dass Carry die Geliebte eines anderen Mannes war, flüchtet Hasso vor ihr, obwohl er sie mehr als alles andere in sein Herz geschlossen hat...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 016Einer der berühmtesten Hedwig Courths-Mahler-Romane Jahrelang musste Carla nach dem frühen Tod ihrer Mutter in der Fremde leben. Doch nun bittet Fritz Rottmann seine inzwischen erwachsen gewordene Tochter heimzukehren - aber nicht aus Sehnsucht nach seinem einzigen Kind, sondern weil er Carla mit seinem Prokuristen Heinz Salfner, den er wie einen Sohn liebt und achtet, vermählen will. Die schüchterne, lebensfremde Carla willigt ohne Zögern ein, denn sie liebt Heinz und glaubt sich wiedergeliebt. Noch weiß die junge Frau nicht, dass sie nur das Pfand einer geschäftlichen Vereinbarung ist...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 017Ihr einziger Umgang ist die schwarze Dienerschaft. Doch dann kommt eines Tages ein deutscher Gast auf die Farm: Werner Rutland. Er wurde von Räubern überfallen, und Sannas Vater rettete ihm das Leben. Dabei wurde er selbst schwer verletzt. Noch an seinem Sterbebett nimmt er Werner das Versprechen ab, Sanna zu heiraten und mit nach Deutschland zu nehmen. Doch in Rutlands Haus wartet eine herrschsüchtige Tante auf das junge Paar, die aus Eigennutz alles daransetzen wird, die Ehe ihres Neffen so schnell wie möglich zu zerstören...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 018Eva-Marie von Recklingen und Joachim von Eckstädt lieben sich, wie zwei Menschen sich nur lieben können. Heimlich sind sie verlobt, aber eine Heirat kommt nicht in Frage, weil die beiden jungen Menschen mittellos sind. Seine ganze Hoffnung setzt Joachim auf einen Erbschaftsprozess. Als er ihn verliert, ist Joachim der Verzweiflung nahe, zumal noch andere Sorgen hinzukommen: Der regierende Herzog stellt Eva-Marie, die er als Hofdame engagiert hat, mit eindeutigen Absichten nach. In dieser bitteren Herzensnot erwachsen den Liebenden zwei mächtige Freunde: die Herzogin und der Bruder des Herzogs, Prinz Adalbert. Wird es ihnen gelingen, die drohenden Wolken zu bannen, die Eva-Maries und Joachims Liebe überschatten?Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 019Ein sehr berühmter Hedwig Courths-Mahler-Roman. Noch vor Kurzem hing der Himmel für Renate voller Geigen. Sie war reich, denn ihr Vater besaß ein großes Unternehmen. Sie war glücklich, denn sie war mit einem schneidigen Offizier verheiratet. Doch mit einem Mal ändert sich das Schicksal der jungen Frau. Der Vater macht bankrott, und der Ehemann verlässt sie. Arm, allein und hoffnungslos steht Renate nun dem Leben gegenüber. Auf Gut Tornau findet sie eine Stelle als Gesellschafterin. Hier begegnet sie auch dem stattlichen Rolf von Tornau. Mit der Zeit schafft es der junge Gutsherr, wieder Frohsinn und Hoffnung in Renates einsames Herz zu bringen. Bis eines Tages ihr Gatte wieder auftaucht. Und wie damals, so bringt er auch diesmal Leid und Tränen über Renate...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 020Ergreifender Liebesroman der unvergessenen Schriftstellerin. Schweigend erträgt Romana Nordegg alle Anschuldigungen ihrer Stiefmutter und ihrer Stiefschwester Beatrix, die ihr vorwerfen, geizig und rücksichtslos zu sein. Dabei ist Romana nur darauf bedacht, die ererbte väterliche Fabrik vor dem Konkurs zu bewahren. Tag und Nacht sitzt sie über den Büchern, während die Stiefmutter und die Stiefschwester rauschende Feste feiern. Am ausgelassensten dabei ist Beatrix, die schon lange nach einem reichen Freier Ausschau hält. In Gerald Rhoden hofft sie, ihn gefunden zu haben. Als sie sich nahe dem Ziel wähnt, zieht sich Rhoden jedoch plötzlich zurück, denn er hat inzwischen eine wahrhaft tapfere und klügere Frau kennen und lieben gelernt...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Wer wirft den ersten Stein

Vorschau

Wer wirft den ersten Stein

Ein berühmter Roman der unvergessenen Schriftstellerin

„Also… Sie haben endlich Nachricht erhalten von Südwest-Afrika, Herr Justizrat?“

„So ist es, gnädigste Gräfin. Heute Morgen traf sie ein, und ich habe mich gleich auf den Weg nach Nordegg gemacht, da ich weiß, wie ungeduldig Sie darauf warten.“

„Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen.“

Melanie Gräfin Nordegg hatte sich in einen Sessel niedergelassen. Ihr lang schleppendes schwarzes Witwengewand lag wie ein dunkler Schatten auf dem kostbaren Perserteppich.

Justizrat Hollweg hatte der Gräfin gegenüber Platz genommen und legte seine Aktenmappe auf den Tisch zwischen ihnen.

„Ich bin sehr gespannt auf das, was Sie zu sagen haben, Herr Justizrat.“

Er lächelte.

„Das glaube ich Ihnen, gnädigste Gräfin. Ich habe Ihre Geduld auf eine lange Probe stellen müssen. Aber es ist nicht leicht, den Spuren eines Verschollenen zu folgen, von dem man weiter nichts weiß, als dass er vor nahezu zwanzig Jahren mit seiner Familie nach Südwest-Afrika ging. Da in all der Zeit keine Kunde von ihm zu Ihnen drang, hatte ich keinerlei Anhaltspunkte für meine Nachforschungen. Trotzdem ist es mir gelungen, alles, was wir wissen müssen über die Persönlichkeit des künftigen Majoratsherrn von Nordegg, in Erfahrung zu bringen.“

„Bitte, des gegenwärtigen, Herr Justizrat.“

„Ganz recht, Harald Graf Nordegg ist seit dem Tod Ihres Herrn Gemahls der Majoratsherr von Nordegg. Daran ändert der Umstand nichts, dass er selbst wohl nichts von seiner neuen Würde weiß und das Majorat noch nicht angetreten hat.“

Die Gräfin richtete sich hastig auf. Ihre dunklen Augen blickten forschend in das Gesicht des alten Herrn. „Harald Graf Nordegg? Sie irren wohl! Der Nachfolger meines Gemahls ist doch Georg Graf Nordegg.“

Der Justizrat schüttelte den Kopf.

„Nein, Georg Graf Nordegg ist seit zwei Jahren tot. An seiner Stelle ist nun sein einziger Sohn, Graf Harald, Majoratserbe.“

Die Gräfin erblasste und lehnte sich einen Augenblick in ihren Sessel zurück.

Der Justizrat fuhr fort: „Er starb vor zwei Jahren auf seiner Farm Saßneck in Deutsch-Südwestafrika. Diese Farm hatte er gekauft, als er vor zwanzig Jahren dort ankam, und hat sie in zäher Arbeit, später unterstützt von seinem Sohn, vergrößert und kultiviert. Hauptsächlich verdankt er sein ansehnliches Vermögen einer ausgedehnten Viehzucht. Die Farm Saßneck gehört jetzt seinem Sohn Harald. Ihm habe ich nun sogleich Mitteilung vom Tod Ihres Herrn Gemahls gemacht. Ich habe ihn wissen lassen, dass Ihr Sohn, Malte Graf Nordegg, seinem Vater vor zwei Jahren im Tod voranging und dass er nun Majoratsherr von Nordegg geworden ist. Ich habe Harald Graf Nordegg gebeten, mir möglichst telegrafisch Nachricht zu geben, ob er nach Deutschland kommen wird oder was sonst hier in seinem Namen geschehen soll.“

Die Gräfin atmete tief auf und strich sich über die Augen, als wolle sie etwas verwischen.

„Das ist allerdings eine überraschende Nachricht. Sie können sich denken, dass ich ein wenig fassungslos bin“, sagte sie. „Haben Sie Näheres über Graf Georg und seine Familie gehört?“

Auf dem Gesicht des Justizrates zeigte sich leichte Verlegenheit. „Der Bericht, den ich erhielt, ist nicht eben sehr ausführlich, gnädige Gräfin.“

Sie klopfte nervös auf die Lehne des Sessels.

„Sagen Sie mir alles, was Sie wissen – alles“, bat sie, heiser vor unterdrückter Erregung. „Glauben Sie nicht, mich schonen zu müssen. Sie wissen ja als langjähriger Rechtsbeistand unseres Hauses, wie seltsam die Verhältnisse liegen. Sie kennen die peinliche Angelegenheit und wissen, welche Beziehungen zwischen mir und… der Familie des Grafen Georg herrschen. Wenn Sie mir etwas aus Schonung verheimlichen wollen, quälen Sie mich nur.“

Der Justizrat verneigte sich.

„Gnädigste Gräfin, ich werde Ihnen nichts verschweigen. Aber es ist wirklich wenig, was ich in Erfahrung bringen konnte. Dass Graf Georg nicht gerade als reicher Mann nach Südwest ging, wissen Sie. Er hat es jedoch im Lauf der Jahre durch Fleiß und Ausdauer zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Seine Farm ist im Wert gestiegen, und er hinterließ einen nach unseren Begriffen enormen Viehbestand. Der Sohn des Grafen Georg, Graf Harald, muss jetzt etwa fünfunddreißig Jahre alt sein. Mein Gewährsmann teilte mir mit, dass Graf Harald mehrere Jahre Offizier der Schutztruppe war. Er soll ein hervorragender Kenner der Kolonie sein, beherrscht die Sprache der Eingeborenen und hat sich bei der Unterdrückung verschiedener Aufstände ausgezeichnet. Vor vier Jahren verließ er den Dienst, um seinem Vater, der leidend war, in der Bewirtschaftung für die Farm behilflich zu sein. Nach dessen Tod soll er einen Käufer für die Farm gesucht haben – man vermutet, dass dies auf Wunsch seines Vaters geschah. Er soll ihm versprochen haben, die Farm zu verkaufen und nach Deutschland zurückzukehren. Graf Georgs Tod soll die Folge einer schweren Verwundung gewesen sein, die er bei einem Aufstand der Eingeborenen erhielt.“

Mit starren, glanzlosen Augen sah die Gräfin vor sich hin.

„Und von den beiden Töchtern des Grafen Georg hörten Sie nichts?“, rang es sich über ihre Lippen.

Es zuckte leise im Gesicht des Juristen.

„Nein, von den beiden Komtessen konnte ich nichts erfahren.“

Die Gräfin erhob sich jäh und trat ans Fenster. Ihr Gesicht war blass, und ihre Augen hatten einen erloschenen Ausdruck.

Betreten sah der Justizrat nach der stolzen Frauengestalt hinüber. Wie eine Silhouette hob sie sich gegen das helle Fenster ab. Er musste daran denken, welche Leidenschaft diese noch immer schöne Frau in der Brust zweier Männer einst entfacht hatte. Sie waren Vettern und Freunde gewesen und hatten sich dann bitter gehasst – weil sie diese Frau über alles liebten.

Dachte Gräfin Melanie auch an die Vergangenheit, als sie mit leeren Augen über die breite Schlossterrasse hinweg nach dem Park hinüberschaute? Draußen lag die Welt in hellem, warmem Frühlingssonnenschein. Noch war an Busch und Baum kein grünes Blatt zu sehen, aber in den dichten Blattknospen arbeitete der belebende Saft und suchte die Hüllen zu sprengen.

Die Gräfin sah das wohl, aber die Frühlingsbotschaft drang nicht zu ihrem Herzen. Sie dachte an den Mann, der drunten in Südwest sein Grab gefunden hatte. Georg Graf Nordegg war der erste Gatte der Gräfin Melanie gewesen. Seine erste Frau war ihm nach sehr kurzer Ehe bei der Geburt seines Sohnes Harald gestorben. Fast zwölf Jahre hatte er ihr nachgetrauert und hatte nur für sein Kind gelebt. Aber dann hatte er Melanie von Hartenstein kennen- und lieben gelernt. Ihr schenkte er die zweite Neigung seines Lebens. Dass es Melanie gelang, sich die schwärmerische Zuneigung und Verehrung seines Sohnes zu erringen, vervollständigte sein Glück. Er führte Melanie heim und ahnte nicht, dass sie seine Bewerbung nur angenommen hatte, weil sie dem Schicksal, das Gnadenbrot bei ihren Verwandten essen zu müssen, entgehen wollte. Sie war glücklich in den ersten Jahren ihrer Ehe und schenkte ihrem Gatten zwei Töchter.

Graf Georg betete seine Frau an. Ihr Stiefsohn Harald vergötterte sie und warf sich in seinem jungenhaften Ungestüm zu ihrem Ritter auf. Und den Überschuss seiner Gefühle verschenkte er an seine beiden kleinen Halbschwestern.

So schien alles gut und schön. Aber dann zogen drohende Schatten über diesem stillen Familienglück auf.

Als die jüngste Tochter des Grafen Georg kaum ein Jahr alt war, starb der Majoratsherr von Nordegg, ein Onkel des Grafen Georg. Sein Vetter Joachim kam gerade von einer Weltreise heim, die er als Adjutant und Begleiter eines Prinzen aus regierendem Haus unternommen hatte. Er nahm nun seinen Abschied, um das Majorat anzutreten.

Bei der Feier der Beisetzung des Majoratsherrn lernte Graf Joachim die schöne Gräfin Melanie, die Gattin seines Vetters kennen. Von diesem Augenblick an entbrannte in diesen beiden Menschen eine leidenschaftliche Zuneigung. Graf Joachim, der glänzende, bezaubernde Kavalier, entfachte im Herzen der Gräfin Melanie ein so elementares Gefühl, dass sie ihm trotz aller Gegenwehr erlag.

Nach einigen Monaten verließ Gräfin Melanie ihren Gatten und ihre Kinder, um sich scheiden zu lassen und ihrem Herzen zu folgen. Graf Georg war über die Treulosigkeit seiner Frau so verzweifelt, dass man das Schlimmste für ihn fürchtete. Bis ins Innerste getroffen, beschloss er, in die Kolonie zu gehen und seine Kinder mitzunehmen.

Vergebens hatte ihn Gräfin Melanie in verschiedenen Schreiben gebeten, er möge ihr verzeihen und ihr wenigstens eine ihrer Töchter überlassen. Er antwortete gar nicht darauf. Und bei der Scheidung wurde die Gräfin zum schuldigen Teil erklärt.

Gräfin Melanie wurde die Gattin Joachim Graf Nordeggs. Er tat alles, um sie von ihrem Schmerz abzulenken. Und als sie ein Jahr später Graf Joachim einen Majoratserben schenkte, wandte sie diesem Sohn ihre ganze mütterliche Liebe zu und suchte in dieser Liebe Vergessenheit. Sie zwang sich, nicht mehr an ihre Töchter zu denken, und es gelang ihr mit den Jahren auch zum Teil. Aber des Nachts schreckte sie zuweilen aus wirren Träumen auf. Sie meinte weinende Kinderstimmen zu hören, die nach ihr riefen. Dann sprang sie von ihrem Lager auf und flüchtete mit ihrer Not und Qual an das Bettchen ihres Sohnes. Hörte sie dann seine friedlichen Atemzüge, wurde sie wieder ruhig.

Nach zehn Jahren vernahm sie durch einen Zufall, dass Graf Georg mit seinen Kindern nach Südwestafrika gegangen sei, und es beruhigte sie einigermaßen, als sie hörte, dass die unverheiratete Schwester Graf Georgs ihn begleitet hatte. Gräfin Melanie kannte sie als eine liebevolle Dame von großer Gewissenhaftigkeit. In ihrem Schutz glaubte sie ihre Töchter geborgen. Natürlich hatten ihre Scheidung und Wiedervermählung viel Staub aufgewirbelt. Eine Weile ließ man sie fühlen, dass man ihr Verhalten missbilligte. Milder Gesinnte wussten nicht recht, wie sie sich zu ihr stellen sollten. Aber man bedauerte doch allgemein, dass man sich dadurch selbst von den gastlichen Pforten des Nordegger Schlosses verbannen musste. Und als schließlich auf Graf Joachims Bitte Prinz Max, dessen Adjutant und Begleiter Graf Joachim gewesen und der ihm freundschaftlich zugetan war, eine Einladung zur Jagd nach Nordegg annahm und einige Tage im Schloss zu Gast war, da wurde gewissermaßen diese Ehe sanktioniert, und es kam alles wieder in die Reihe. Man ließ Gras wachsen über die Vergangenheit. So verlief die zweite Ehe der Gräfin Melanie in Glanz und Glück. Die mahnende Stimme in ihrer Brust, die nie ganz erloschene Sehnsucht nach ihren Töchtern suchte sie zu betäuben. Ihre ganze mütterliche Liebe ließ sie über ihren Sohn ausströmen.

Er wuchs zu einem schönen Jüngling heran und war der Stolz seiner Eltern. Aber dann kam ein Tag, da das stolze Glück der Gräfin in Scherben brach. Drüben an der Grenze zwischen dem Majorat Nordegg und dem fürstlichen Besitz Hainau lag ein See. Und aus diesem See zog man an einem Frühlingstag den jungen Grafen Malte von Nordegg. Er hatte zwei Bauernkinder retten wollen, die aus einem Kahn in den See gefallen waren. Das eine Kind hatte er gerettet und an Land gebracht. Dann war er wieder hinausgeschwommen, um das andere zu holen. Dazu hatten seine Kräfte nicht mehr ausgereicht, der junge Graf ertrank.

Man brachte seine Leiche nach Schloss Nordegg.

Graf Joachim und seine Gemahlin brachen zusammen. Sie begruben mit ihrem Sohn alle glänzenden Hoffnungen, zogen sich in die Einsamkeit ihres Schlosses zurück und konnten sich nie mehr von diesem Schlag erholen.

Zwei Jahre nach dem Unglück starb Graf Joachim. Ein Herzschlag hatte seinem Leben ein frühes Ende gesetzt. Sechs Wochen war nun Gräfin Melanie Witwe. Seit sie wusste, dass Graf Georg, den sie treulos verlassen hatte, der Majoratsnachfolger ihres Gemahls war, fürchtete sie sich vor seinem Kommen wie vor dem Tag des Gerichts. Zugleich erwachte aber auch jäh und heiß die lange unterdrückte Sehnsucht nach ihren Töchtern. War ihr jetzt ein Wiedersehen mit ihnen beschieden? Würden sie mit ihrem Bruder nach Nordegg kommen?

Nach dem Hausgesetz der Grafen Nordegg war sie gezwungen, im Nordegger Witwenhaus ihre Tage zu beschließen. Und das Witwenhaus war nur durch den Park von Schloss Nordegg getrennt.

Als sie nun mit starren Augen in den leuchtenden Frühlingstag hinaussah, krampfte sich ihr Herz zusammen.

Wie würden sich die Schwestern zu ihrer Mutter stellen?

Die Gräfin seufzte tief auf.

Wie hart würde es sie treffen, in den Augen ihrer Kinder zu lesen, dass sie die Mutter verurteilten?

Auch an Graf Harald dachte sie mit großer Pein. Sie wusste, wie tief sie auch ihn getroffen hatte, als sie das Haus seines Vaters verließ. Seine Augen hatten sie angesehen in tiefstem Schmerz, in stummer Anklage, und sein Jünglingsgesicht schien wie versteinert. Wie um Jahre gealtert und gereift war er ihr erschienen, und sie hatte den anklagenden Blick lange nicht vergessen können.

Sie wischte sich über die Augen und wandte sich dem Justizrat wieder zu.

„Jedenfalls danke ich Ihnen für Ihre Mitteilungen, Herr Justizrat. Sie waren mir sehr wichtig. Und ich bitte Sie inständig, mich über alles Weitere auf dem Laufenden zu halten.“

Der Justizrat erhob sich und verneigte sich.

„Das soll geschehen, gnädigste Gräfin. Sobald ich weitere Nachrichten erhalte, komme ich heraus.“

„Ich bitte darum. Wenn Graf Harald hier eintreffen wird, möchte ich natürlich schon in das Witwenhaus übergesiedelt sein.“

Der alte Herr verneigte sich nochmals und verließ das Zimmer.

***

Der fürstliche Besitz Hainau, der an das Majorat Nordegg grenzte, war Eigentum des Fürsten Herbert Landa, der das Schloss mit seiner zehn Jahre jüngeren Schwester, Prinzessin Rowena, bewohnte. Der Großvater des Fürsten Herbert war noch regierender Fürst gewesen, doch sein Vater hatte dem Thron entsagt. Das kleine Fürstentum fühlte sich unter preußischer Regierung mindestens ebenso wohl wie unter der seines ehemaligen Regenten.

Fürst Herberts Vater führte nach seiner Thronentsagung ein beschauliches Leben auf seinen Gütern. Seine Gemahlin war damit sehr zufrieden und erzog mit ihrem Gemahl ihre beiden Kinder zu warmherzigen Menschen, die sich freuten, den tausend Rücksichten entflohen zu sein, die auch der kleinste Thron forderte.

Ein wenig Hoflust hatte aber doch in Schloss Hainau ihren Einzug gehalten, und zwar mit der ehemaligen Oberhofmeisterin, der Baronin Storkau.

So schlicht die fürstlichen Geschwister auftraten, so krampfhaft bemühte sich die Baronin Storkau, unterstützt von dem ehemaligen Kammerherrn von Bredow, der ebenfalls einen leichten Ruheposten in Schloss Hainau erhalten hatte, am höfischen Zeremoniell festzuhalten.

Sie lebten beide in heftiger Fehde mit dem Oberforstmeister von Lauenstein, der mit seiner Familie das nahe beim Schloss gelegene kleine Jagdschloss der Fürsten bewohnte.

Der Oberforstmeister war allerdings kein überflüssiger Beamter. Er hatte die ausgedehnten Wälder des Fürsten Landa zu verwalten und war von früh bis spät angestrengt tätig. So blieb ihm keine Zeit, wie die Baronin und Herrn von Bredow, über den Hofton zu wachen. Dazu wäre auch dieser frischfrohe Mann durchaus nicht die Persönlichkeit gewesen. Er hatte, wie seine hübsche rundliche Frau und seine reizende achtzehnjährige Tochter, Herz und Mund auf dem rechten Fleck und wog nicht erst ängstlich ab, ob seine Worte den Hofton trafen, wenn er etwas zu sagen hatte. Dafür hatte das, was er sagte, Hand und Fuß. Während nun die Baronin Storkau und Herr von Bredow von den fürstlichen Geschwistern mit guter Miene ertragen wurden, erfreute sich der Oberforstmeister mit seiner Familie ihrer herzlichen Sympathie.

An demselben Tag, da Melanie Gräfin Nordegg die Unterredung mit Justizrat Hollweg hatte, trat Fürst Herbert zur Teestunde in den Salon seiner Schwester. Sie saß in einem hohen Lehnsessel am Fenster. Ihr feines Köpfchen mit dem wunderbar schönen goldbraunen Haar, das in der Sonne wie flüssiges Metall leuchtete, hob sich in zarter Lieblichkeit von dem lichtgrünen Damastbezug ab.

Prinzess Rowena sah lächelnd zu dem Bruder auf und reichte ihm die Hand.

„Grüß Gott, Herbert! Es ist gut, dass du kommst. Unsere liebe Baronin hat schon sehnsüchtig mit der summenden Teekanne kokettiert. Du kommst sechs und eine halbe Minute zu spät.“

Die Baronin Storkau, die in einem hechtgrauen schwerseidenen Gewand neben der Prinzessin saß, hob beschwörend die Hände, während sie sich erhob und eine tiefe Verbeugung vor dem Fürsten machte.

Er zog die Uhr und sagte lachend: „Wahrhaftig! Jetzt sind es schon sechsdreiviertel Minuten. Ich bitte um Entschuldigung. Ich wurde etwas länger vom Oberforstmeister aufgehalten. Ich wollte ihn zum Tee mit herüberbringen, aber er hatte Angst vor Ihnen, Baronin, weil seine Stiefel mit dem weichen Waldboden in Berührung gekommen waren. Er meinte, Ihre Durchlaucht Prinzess Rowena würde vielleicht ein Auge zudrücken, aber die Frau Baronin würde empört sein.“

Die Prinzessin sah schelmisch zur Baronin hinüber.

„Aber deshalb hätte der Oberforstmeister ruhig mitkommen können, nicht wahr, liebe Baronin?“

Die Baronin machte ein unbeschreiblich hoheitsvolles Gesicht. „Durchlaucht verzeihen, aber der Herr Oberforstmeister hat in diesem Fall doch recht getan. Wie dürfte er wagen, mit unsauberem Schuhwerk in Euer Durchlaucht Salon zu erscheinen.“

Die fürstlichen Geschwister sahen sich an und unterdrückten ein Lachen. Und die Prinzessin sagte mit einer Miene, hinter der es wie verhaltener Übermut zuckte: „Ja, richtig, liebe Baronin, das geht auf keinen Fall.“

Fürst Herbert reichte seiner Schwester den Arm.

„Darf ich dich zum Teetisch führen, Rowena?“

„Aber wo ist denn Herr von Bredow, liebe Baronin? Ich bemerke erst jetzt seine Abwesenheit“, fragte Prinzess Rowena.

„Er lässt sich bei den durchlauchtigsten Herrschaften entschuldigen. Der Ärmste hat Zahnweh und ist in die Stadt zum Zahnarzt gefahren.“

Die Prinzessin brachte nun ein anderes Thema auf.

„Morgen möchte ich nach Nordegg hinüberfahren, um der Gräfin einen Besuch zu machen. Wirst du mich begleiten, Herbert?“

„Gewiss, Rowena, gern.“

„Hast du noch nichts gehört von dem neuen Majoratsherrn? Ich möchte wissen, ob er bald kommt. Da er in Zukunft unser nächster Nachbar sein wird, bin ich auf seine Bekanntschaft sehr gespannt.“

„Das kann ich mir denken. Ich traf unterwegs den Justizrat Hollweg. Er teilte mir mit, dass er soeben der Gräfin Nordegg die Kunde brachte, dass der Vetter Graf Joachims, Graf Georg Nordegg, nicht mehr am Leben ist. Folglich ist nicht Graf Georg, sondern sein Sohn Harald der neue Majoratsherr.“

„Ah! Das ist allerdings eine Neuigkeit.“

Am nächsten Tag fuhr Fürst Herbert mit seiner Schwester Rowena nach Nordegg hinüber. Sie wurden von Gräfin Melanie liebenswürdig empfangen. Die Baronin begleitete die Geschwister.

Das Gespräch kam von selbst auf den neuen Majoratsherrn von Nordegg. Aber keine Miene der Gräfin verriet, was sie dabei empfand. Sie hatte gelernt, sich zu beherrschen. Und sie ahnte nicht, dass sie heute von Prinzess Rowena mit besonderem Interesse beobachtet wurde.

***

Achtzehn Reitstunden von Windhuk, nach dem Innern des Landes zu, lag die Farm Saßneck, die Georg Graf Nordegg vor zwanzig Jahren gekauft hatte.

Inmitten großer, Weideplätze lag das Wohnhaus der gräflichen Familie. Es sah jetzt freilich anders aus als damals, als Graf Georg hier herkam. Das Hauptgebäude war erst vor zehn Jahren errichtet worden, und das kleinere ehemalige Wohnhaus wurde nur zu Wirtschaftszwecken benutzt. Das neue Wohnhaus war sehr geräumig, hatte große, luftige Räume und ringsum breite Veranden.

Abseits von diesem Gebäude lagen die Stallungen und die niedrigen Hütten der schwarzen Untergebenen.

In den zwanzig Jahren ihres Aufenthalts in Afrika hatte die gräfliche Familie gelernt, mit den farbigen Leuten umzugehen, und im Ganzen kam sie gut mit ihnen aus, zumal sie neben der nötigen Strenge auch Güte und Freundlichkeit walten ließ. Aber wenn es Aufstände im Land gab, und die gab es eigentlich immer, dann lehnten sich auch die Leute auf der Farm Saßneck auf, und es kam nicht selten zu Angriffen und Überfällen. Aber ernstlich war dabei niemals Schaden angerichtet worden – bis vor zwei Jahren.

Da war eines Tages die Farm Saßneck von einem Negerstamm überfallen worden, und zwar in Abwesenheit der beiden Grafen Nordegg, die wegen wichtiger Geschäfte nach Windhuk geritten waren.

In der Nacht, da die Herren abwesend waren, überfielen die Eingeborenen das Anwesen, rissen die beiden Komtessen von ihrem Lager und schleppten sie fort.

Ein treuer schwarzer Diener, Hullah, hatte vergeblich versucht, die Komtessen zu befreien. Als ihm das nicht gelang, warf er sich auf sein Pferd und jagte auf der Straße nach Windhuk davon, um die Grafen zu Hilfe zu holen.

Diese hatten in Windhuk inzwischen von Aufständen gehört und waren sofort umgekehrt, in Begleitung einer Truppe Soldaten, die auf dem Weg waren, die Aufstände zu unterdrücken.

Hullah traf seine Herren etwa acht Reitstunden von der Farm entfernt. Ohne erst nach Saßneck zu reiten, führte Hullah die Grafen und die Soldaten direkt hinter den Aufständischen her, deren Aufenthalt er kannte.

Der Anführer der Soldaten war der Verlobte der älteren Komtess. Er und die beiden Grafen legten den Weg in höchster Sorge um das Schicksal der jungen Damen zurück.

Aber so sehr sie sich beeilten, kamen sie doch zu spät. Als sie das Lager der Aufrührer umzingelt hatten, kam es zu einem Kampf, und im Verlauf des Kampfes vernahm Harald Graf Nordegg aus einem Zelt den Aufschrei einer Frauenstimme. Er zeigte ihm den Weg zu seinen Schwestern, die in diesem Zelt an Pflöcke gebunden waren.

Er rief seinen Vater, der ihm sofort in das Zelt folgte, während die Soldaten die letzten Aufrührer gefangen nahmen. Vater und Sohn fanden die beiden Komtessen und befreiten sie. Aber es war doch zu spät, die ältere der Schwestern, Komtess Maria, hatte sich aus Furcht vor Schmach und Entehrung mit einer Glasscherbe die Pulsadern durchschnitten und konnte nicht mehr gerettet werden. Komtess Jutta fand man ohnmächtig.

Komtess Maria brachte man sterbend auf die Farm zurück. Komtess Jutta wurde verbunden und gerettet.

Aber noch ein weiteres Opfer musste gebracht werden. Als Graf Georg seine sterbende Tochter aus dem Zelt trug, traf ihn eine Kugel in den Rücken und verletzte die Lunge. Zusammenbrechend legte er Maria in die Arme ihres herbeieilenden Verlobten Hans von Kraßnick. Harald Graf Nordegg sah seinen Vater stürzen. Er übergab seine ohnmächtige Schwester Jutta einem Offizier und wandte sich seinem Vater zu.

Das war ein trauriger Heimweg. Graf Harald ritt bleich, mit düsterer Miene neben der Bahre des sterbenden Vaters her. Ihm zur Seite ritt Komtess Jutta, die sich so weit wieder erholt hatte, dass sie ein Pferd besteigen und sich im Sattel halten konnte. Zur anderen Seite der sterbenden Maria ritt, selbst blass wie ein Sterbender, Oberleutnant Hans von Kraßnick.

So kam man vor dem verwüsteten Wohnhaus an. Der treue Hullah trieb die Diener an, schnell Ordnung zu schaffen, und ging Graf Harald zur Hand, der Vater und Schwester nebeneinander betten ließ.

Kaum daheim angelangt, hauchte Komtess Maria in den Armen ihres Verlobten ihr junges Leben aus, ohne noch einmal zum Bewusstsein zu kommen. Eine Stunde später starb auch Graf Georg.

Er hatte noch eine kurze Unterredung mit seinem Sohn gehabt und verlangte von ihm das Versprechen, dass er mit seiner Schwester Jutta nach Deutschland zurückkehren möge, sobald er die Farm verkauft habe. Graf Harald versprach dem Vater alles.

***

Zwei Jahre waren seitdem vergangen, und erst jetzt war es Graf Harald gelungen, einen Käufer für seine Farm zu finden. Er musste sie unter Wert verkaufen, aber es drängte ihn, Südwest zu verlassen, hauptsächlich seiner Schwester wegen. Jutta hatte seit jener Katastrophe keine ruhige Stunde mehr.

Die beiden Geschwister hatten sich in diesen zwei Jahren noch inniger einander angeschlossen als zuvor. Sie waren sich jetzt alles. Kein Mensch gehörte mehr zu ihnen, als Hans von Kraßnick, der sooft er konnte, nach Saßneck kam. Tante Anna, Graf Georgs Schwester, war schon seit vier Jahren tot. Nun endlich war der Käufer von Saßneck angemeldet, um den Kauf mit Graf Harald abzuschließen.

Am Morgen des Tages, da er erwartet wurde, trat Graf Harald über die Veranda in das trauliche Wohnzimmer.

Jutta sah mit ihren wundervollen dunklen Augen ernst und traurig zu ihm auf.

Sie bemerkte sogleich, dass er erregt war. „Du siehst aus, als brächtest du eine aufregende Kunde, Harald. Ist etwas geschehen?“, fragte sie.

Er legte den Arm um die Schultern der Schwester.

„Sei ruhig, Jutta, und erschrick nicht! Ich bringe dir allerdings zwei überraschende Neuigkeiten, aber sie sind erfreulich. Erstens wird heute, vielleicht zu gleicher Zeit mit Herrn Wilhelm Sundheim, dem Käufer unserer Farm, auch Hans hier eintreffen, und zwar, höre und staune, um uns nach Deutschland zu begleiten.“

Ein freudiges Lächeln erhellte das Gesicht der Komtess.

„Hans! So hat er also doch Urlaub bekommen?“

„Ja. Es herrscht jetzt Ruhe im Land, und so hat man ihn auf längere Zeit beurlaubt. Ich freue mich, dass er mit uns geht.“

„Das freut mich auch. Er ist für uns doch so etwas wie ein teures Vermächtnis unserer armen Maria. Aber du sprachst von zwei überraschenden Neuigkeiten. Was hast du mir noch zu sagen?“

„Das sollst du jetzt hören. Ich habe aus Deutschland eine sehr überraschende Nachricht erhalten.“

„Aus Deutschland?“

„Ja, und diese Nachricht hat mich nicht wenig erregt. Also denke dir: Ein Justizrat Hollweg teilt mir mit, dass der Majoratsherr Graf Joachim Nordegg gestorben ist und dass ihm sein Sohn durch einen Unglücksfall vor zwei Jahren im Tod vorangegangen ist. Da nun unser Vater nicht mehr am Leben ist, bin ich jetzt Majoratsherr von Nordegg geworden. Also gerade jetzt, wo wir im Begriff sind, unsere alte Heimat hier aufzugeben, bietet sich uns eine neue. Justizrat Hollweg wünscht, ich möge ihm sofort telegrafisch Bescheid geben, ob ich nach Schloss Nordegg kommen und das Majorat selbst verwalten will, oder was sonst geschehen soll.“

Die Komtess fasste erregt seinen Arm.

„So bist du jetzt der Besitzer des Majorats?“

„Ja, Schwesterchen, der Herr eines der größten und reichsten Majorate in Deutschland. Wir brauchen nun nicht erst nach einer neuen Heimat, einer neuen Existenz, zu suchen. Wir haben ein Ziel. Ein stolzes Schloss und ein reicher Besitz warten auf uns in einer herrlichen Gegend, wo es dir bestimmt gefallen wird.“

Die Komtess schmiegte sich an den Bruder.

„Ach, Harald, wenn Vater und Maria das noch erlebt hätten! Wie würden sie sich gefreut haben.“

Über das Antlitz des jungen Mannes flog ein Schatten.

„Maria hätte sich sehr gefreut. Sie hatte ja immer Sehnsucht nach Deutschland und hat sich hier in Saßneck nie so recht wohl gefühlt. Es war immer, als habe sie eine dunkle Ahnung gehabt von dem, was euch hier drohte.“

Damit zog Harald seine Schwester fest in seine Arme, als müsse er sie noch jetzt vor drohenden Gefahren schützen. Juttas Köpfchen ruhte an seiner Brust, ihr Gesicht war bleich.

Harald nahm zart ihre Hand und küsste die rote Narbe am Handgelenk – eine Erinnerung an jenen furchtbaren Tag vor zwei Jahren. „Jutta, nur eine Nacht noch schlafen wir hier in Saßneck. In Deutschland wartet eine neue Heimat auf uns. Sollte jetzt noch ein Hindernis eintreten, so übertrage ich den Verkauf von Saßneck einem Makler, und wir reisen trotzdem morgen Früh ab. Heute in vierzehn Tagen gehen wir in Swakopmund an Bord des Schiffes. So lange halten wir uns in Windhuk auf und nehmen Abschied von Freunden und Bekannten.“

Jutta atmete auf.

„Komm, Harald, lass uns zu unseren Toten gehen! Ihre Liebe wird uns begleiten, wenn wir auch ihre Ruhestätten hier lassen müssen.“

Sie erhoben sich und gingen Arm in Arm hinaus. Auf den Stufen der Veranda saß im Sonnenschein ein schwarzer Diener. Er sprang auf und sah den Geschwistern entgegen. Seine weißen Zähne blitzten, seine dunklen Augen blickten gutmütig wie die eines treuen Hundes. Die Geschwister blieben vor ihm stehen.

„Was soll nun aus Hullah werden, wenn wir Saßneck verlassen?“, fragte Harald seine Schwester.

„Kann er nicht mit uns gehen, Harald? Wir sind ihm so viel schuldig, ich möchte mich nicht von ihm trennen“, antwortete sie.

Da sah Harald den schwarzen Diener an.

„Herr und Herrin gehen morgen fort, Hullah – weit, weit fort, nach Deutschland.“

Hullah zeigte keine große Überraschung. Er sagte nur, als sei das selbstverständlich: „Hullah geht mit, Herr, bleibt immer bei Herr und Herrin.“

„Aber Deutschland ist weit, und du wirst dort manchmal frieren.“

„Hullah friert hier auch in kalten Nächten. Kriecht dann ins Stroh oder hüllt sich in warme Decke.“

„Ich schenke dir einen Pelz, Hullah, damit du nicht frierst. Aber wird dir nicht bange werden, wenn du nur weiße Gesichter um dich siehst?“

„Nein, Herr, Hullah liebt weißes Gesicht von Herr und Herrin. Hullah geht mit.“

Jutta nickte ihm lächelnd zu.

„Du sollst mit uns gehen, Hullah, und sollst es gut und warm in Deutschland haben. Du bist ein treuer Diener.“

Hullah lachte und machte einen Freudensprung.

Arm in Arm schritten die Geschwister nun weiter zu den hohen Bäumen hinüber, unter denen in einer Umzäunung die drei Gräber lagen. Es waren zwei hohe, stolze Gestalten. Graf Harald sah trotz des derben Sportanzugs sehr vornehm aus.

Die Komtess war eine bezaubernde Erscheinung, obwohl sie nur ein schlichtes Wollkleid trug. Das Gesicht der jungen Dame war von Luft und Sonne gebräunt. Um den feinen Mund lag es wie ein leiser Leidenszug. Als sie bei den Gräbern angelangt waren, ließen sie sich auf einer Bank nieder.

„Warum ist Vater eigentlich mit uns hierher nach Südwest gegangen, Harald, warum blieb er nicht in Deutschland? Weißt du es?“

Graf Haralds Züge verdüsterten sich. Jetzt sah er wieder hart und finster aus, und seine Augen blitzten wie geschliffener Stahl.

„Frag nicht danach, Jutta, ich kann dir keine erschöpfende Antwort geben. Schlimme Erfahrungen trieben ihn aus seiner Heimat. Ich weiß wohl, warum es geschah, aber ich habe Vater mein Wort gegeben, dass ich weder dir noch Maria etwas von seinen Beweggründen verraten soll. Er hat mir Schweigen auferlegt. Und vor seinem Tod hat er mich meines Wortes nicht mehr entbinden können. So muss ich weiter schweigen, obwohl es nun, da wir nach Deutschland gehen, vielleicht besser wäre, wenn ich dir alles sagen könnte.“

„So werde ich es nie erfahren.“

„Nicht von mir, Jutta. Solltest du es in Deutschland von anderer Seite erfahren, was ich für möglich halte, so hat es das Schicksal so gewollt. Ich bin jedenfalls zum Schweigen verpflichtet.“

Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

„Dann will ich dich nie mehr mit Fragen quälen, Harald. Aber etwas will ich dich jetzt fragen, was du mir sicher beantworten kannst. Ich habe Vater diese Frage einmal vorgelegt, da wurde er blass und verließ das Zimmer, ohne mir zu antworten. Und da wagte ich mich nie wieder damit hervor. Jetzt sollst du es mir sagen: Wann und wie starb unsere Mutter?“

Graf Harald starrte auf den Grabhügel seines Vaters, als müsse er sich da eine Antwort holen. seine Schwestern hatten nie erfahren, dass ihre Mutter nicht der Tod, sondern das Leben von ihnen geschieden hatte. Sie wussten auch nicht, dass Harald nur ihr Halbbruder war, dass er eine andere Mutter gehabt hatte.

Nun wusste er nicht, was er auf diese Frage antworten sollte, auf die er so gar nicht vorbereitet war. Lügen wollte er nicht. Deshalb sagte er zögernd: „Genaue Daten weiß ich darüber nicht mehr, Jutta. Es ist möglich, dass du alles in Nordegg erfährst auch das, worüber ich Vater Schweigen gelobte. Daran lass dir jetzt genügen.“

Jutta nickte.

„Das will ich. Es ist ja auch alles nicht so wichtig. Da liegen nun unsere drei liebsten Menschen, und wir können ihre Gräber nicht mit uns nehmen.“

„Lass sie in Frieden schlafen, Jutta! Ihre Liebe wird bei uns sein, wo wir auch sind. Die ist nicht eingesargt worden, und wie sie uns früher immer verbunden hat, wird sie uns auch in Zukunft verbinden. Doch da kommt Hullah! Was bringt er uns?“

Hullah meldete die Ankunft des neuen weißen Herrn. Der Käufer von Saßneck, Herr Wilhelm Sundheim, war angekommen.

Die Geschwister gingen ins Haus zurück und begrüßten Herrn Sunsheim, einen frischen, energischen Mann Mitte der Dreißiger. Er hatte schon einige Monate in Südwest gelebt, bald hier, bald da, um sich mit den Verhältnissen vertraut zu machen. Da er in den letzten Wochen bereits wiederholt in Saßneck zu Gast gewesen war, kannte man sich schon gut. Die Geschwister wussten, dass er sich demnächst mit einer jungen deutschen Dame verheiraten wollte, die mit ihrem Bruder, einem Arzt, in Windhuk lebte.

Die Geschäfte wurden schnell erledigt. Jutta bat Herrn Sundheim nochmals herzlich, er möge dafür Sorge tragen, dass die drei Gräber drüben gut gepflegt würden. Harald hatte das mit zur Bedingung gemacht. Sundheim versprach es mit Handschlag und Ehrenwort.

Als man dann zu Tisch gehen wollte, kam Hans von Kraßnick mit einem Kameraden. Die Herren waren am Abend vorher zu Pferd von Windhuk aufgebrochen. Hans von Kraßnick wollte Harald und Jutta abholen, und vor allen Dingen vom Grab seiner Braut Abschied nehmen. Sein Kamerad begleitete ihn, um noch einen letzten Besuch bei den gräflichen Geschwistern zu machen. Leutnant Wenkhaus war ein sehr vergnügter junger Mann und sorgte, wie immer, bei Tisch für gute Stimmung.

Harald verkündete, dass er Majoratsherr von Nordegg geworden sei. Hans von Kraßnick drückte ihm in herzlicher Freude die Hand und sagte dann zu Jutta: „Für dich freut mich das mehr als für Harald, Jutta. Du wirst doch nun gleich eine Heimat haben. Und Nordegg liegt in der herrlichsten Gegend unseres deutschen Vaterlandes.“

„Donnerwetter, lieber Graf, das ist ja großartig“, rief Leutnant Wenkhaus. „Na, da können Sie sich leichten Herzens von Saßneck trennen. So ein Majorat wäre mir auch lieber als eine Farm in Südwest, wenn sie auch noch so stattlich ist.“

Man beglückwünschte Harald, und die Herren taten einen herzhaften Trunk auf dieses frohe Ereignis.

Nach Tisch trat Jutta zu Kraßnick.

„Ich freue mich so sehr, Hans, dass du mit uns nach Deutschland gehst.“

Er küsste ihr die Hand.

„Da ich doch einmal Urlaub nehmen wollte, ist es mir natürlich lieb, dass ich mit euch reisen kann.“

„Wie lange hast du Urlaub, Hans?“

„Vorläufig habe ich mir ein halbes Jahr ausgebeten.“

„Und willst du dann wirklich wieder hierher zurückkehren?“

Hans von Kraßnicks Blick flog zum Fenster hinaus nach dem Grabhügel Marias.

„Ich weiß es noch nicht“, erwiderte er ernst.

Harald trat zu den beiden. „Jedenfalls musst du auf ein paar Wochen nach Nordegg zu Gast kommen, Hans. Darauf gib mir dein Wort.“

Hans schüttelte ihm die Hand. „Das verspreche ich gern, Harald.“

***

Justizrat Hollweg hatte Harald Graf Nordeggs Telegramm erhalten und war damit gleich nach Nordegg zu Gräfin Melanie gefahren. Sie las die Depesche. In ihrem Antlitz zuckte Erregung.

„Ich danke Ihnen für diese Nachricht, Herr Justizrat. Also Ende Mai werde ich nach dem Witwenhaus übersiedeln. Sie haben wohl die Güte, mir mitzuteilen, wenn Ihnen Graf Harald von Bremen aus seine Ankunft meldet.“

„Das werde ich tun, gnädigste Gräfin.“

„Leider teilt der Graf in seinem Telegramm nicht mit, ob sich seine Schwestern in seiner Gesellschaft befinden.“

Der Justizrat lächelte. „Gnädigste müssen bedenken, dass man in einem Telegramm nur das Notwendigste mitteilt.“

Sie nickte. „Allerdings. Und ich muss mich eben in Geduld fassen.“

Aber diese Geduld wurde ihr sehr schwer. Voll Unruhe hatte sie auf eine Nachricht gewartet. Und nun sagte ihr diese Nachricht so gar nichts von dem, was sie am meisten interessierte, worauf sie mit allem Sinnen und Denken wartete. In all den Jahren, seit sie ihre Töchter verlassen hatte, um ihrem heißen Herzen zu folgen, hatte sie nicht so lebhaft an sie gedacht wie in diesen letzten Wochen. Wie ein heller Brand flammte in ihrem Herzen die Sehnsucht auf und brachte alles andere zum Schweigen.

Um sich abzulenken, machte sie sich jetzt schon mit ihrer Übersiedlung ins Witwenhaus zu schaffen. Die mit Kletterpflanzen bewachsene Holzveranda wurde mit Frühlingsblumen geschmückt, es wurde geputzt und gelüftet.

Die Gräfin schauerte immer wieder zusammen, wenn sie vor diesem Haus stand. Es erschien ihr fast wie eine Gruft für alle ihre Lebenshoffnungen. Selbst wenn jetzt ihre Töchter nach Nordegg kommen würden – sie würden kaum ihren Lebensabend mit Wärme füllen. Fremd und kalt würden sie ihr gegenüberstehen. Jetzt würde ihr vom Schicksal heimgezahlt werden, was sie gesündigt hatte. So, wie sie ihre Töchter verlassen hatte, so würde sie nun von ihnen verlassen sein – einsam und allein.

Um ihren traurigen Gedanken zu entfliehen, fuhr sie am Nachmittag nach Schloss Hainau hinüber.

Prinzess Rowena kam ihr wie immer herzlich entgegen. Zwar hatte der Fürst seiner Schwester erzählt, dass die Gräfin einst ihre Töchter verlassen hatte. Aber sie war zu jung, um recht verstehen zu können, dass sie damit eine Sünde wider die Natur begangen hatte. Dass sie es aus Liebe zu einem anderen Mann tat, ließ es ihr in einem verzeihlichen Licht erscheinen. Ihr romantisches Köpfchen sah jedenfalls in der Gräfin eine äußerst interessante Persönlichkeit.

Heute erzählte ihr nun Gräfin Melanie, dass Harald Graf Nordegg seine Ankunft für Ende Mai angemeldet hatte. Die beiden Damen waren allein. Prinzess Rowena sah teilnahmsvoll in das zerquälte Antlitz der Gräfin.

„Sie werden also nun bald ins Witwenhaus übersiedeln?“, fragte sie.

„Ja, Durchlaucht, ich lasse schon alles vorbereiten.“

„Wollen Sie nicht lieber erst die Ankunft des neuen Majoratsherrn abwarten?“

Ein Seufzer hob die Brust der Gräfin.

„Nein, Durchlaucht, ich habe nicht den Mut, ihm zu begegnen, Sie werden ja wissen, dass er einst mein Stiefsohn war – und ich weiß, dass er mir unversöhnlich grollen wird, wie es sein Vater tat.“

Die Prinzessin fühlte sich ergriffen von dem Schmerz, der aus diesen Worten sprach.

„Vielleicht irren Sie sich, liebe Gräfin. Es liegen so viele Jahre zwischen jetzt und damals. Da vergisst man viel.“

„Viel, aber nicht alles. Er hat ja Recht, wenn er mir grollt. Und wüsste ich, dass er allein käme, dann hätte ich vielleicht den Mut, zu bleiben und ihm gegenüberzutreten. Aber… er wird seine Schwestern mitbringen.“

Die Prinzessin fasste nach ihrer Hand.

„Möchten Sie nicht gerade deshalb bleiben.“

Sich über die Augen streichend, sagte die Gräfin leise: „Nein nein… Ich ertrüge es nicht, aus ihren Augen mein Urteil zu lesen. Sie wissen doch wohl, Durchlaucht, dass es meine Töchter sind – und dass ich mein Recht an ihnen verwirkt habe. Sie haben ein Recht, mich zu verdammen.“

„Kinder sollen ihre Eltern nicht verurteilen und verdammen. Und wenn Ihre Töchter sehen, wie Sie heute noch leiden unter dem Gedanken, sie einst verlassen haben, dann werden sie Ihnen auch verzeihen.“

„Ich verdiene keine Verzeihung, Durchlaucht“, stieß die Gräfin hervor.

„Gott wird Ihnen helfen, die Liebe Ihrer Kinder zurückzugewinnen.“

Die Gräfin schlug die Hände vor das Antlitz. „Ich sehne mich nach ihrem Anblick – und wage mich doch nicht vor ihr Antlitz“, stöhnte sie.

Stumm sah die Prinzessin eine Weile auf die sonst so stolze, aufrechte Frau, die nun gebrochen vor ihr saß.

Endlich richtete sich die Gräfin wieder auf und sagte leise: „Verzeihen Sie, Durchlaucht, ich hätte zu Ihnen nicht von meinen Sorgen und Nöten sprechen sollen. Das ist nichts für Ihr junges Gemüt. Aber Sie sind immer so lieb und freundlich zu mir, und wenn ich Sie vor mir sehe, denke ich immer daran, dass meine Töchter jetzt in Ihrem Alter sind – und – dass sie ohne Mutter aufwachsen mussten. Da kommt es mir doppelt zum Bewusstsein, wie sehr ich mich auch an ihnen versündigt habe.“

„Beruhigen Sie sich! Welcher Mensch ist ohne Fehler?“

Hier wurde das Gespräch von der Baronin Storkau unterbrochen. Sie hatte schon eine Weile an der Tür gelauscht.

„Seine Durchlaucht sind eben zurückgekehrt“, meldete sie der Prinzessin. Gleich darauf trat Fürst Herbert ein.

Er begrüßte die Gräfin in seiner liebenswürdigen Weise. Man plauderte noch einige Minuten. Dann empfahl sich die Gräfin.

Fürst Herbert führte sie zu ihrem Wagen. Die Baronin sah feindselig hinter der noch immer schönen Frau im schwarzen Witwengewand her.

Als der Fürst zu den beiden Damen zurückkehrte, konnte sich die Baronin nicht enthalten, zu sagen: „Durchlaucht sollten doch nicht gestatten, dass Ihre Durchlaucht die Gräfin Nordegg in meiner Abwesenheit empfängt.“

Ehe der Fürst antworten konnte, sagte die Prinzessin etwas unwillig: „Ah, deshalb zogen Sie es vor, erst auf ihrem Zimmer zu bleiben, weil Sie glaubten, ich würde die Gräfin in Ihrer Abwesenheit nicht empfangen?“

Das Gesicht der Baronin rötete sich jäh, weil sie sich durchschaut sah.

„Wie können Durchlaucht so etwas denken! Ich war nur auf kurze Zeit behindert, zu erscheinen. Aber als ich eintrat, konnte ich noch vernehmen, dass die Gräfin Durchlaucht mit Dingen aus ihrer nicht ganz einwandfreien Vergangenheit behelligte.“

Prinzess Rowena hob stolz den Kopf und sah die Baronin mit großen, ernsten Augen an.

„Liebe Baronin, Sie können ganz beruhigt sein, ich bin in keiner Weise von Gräfin Nordegg behelligt worden. Dazu ist sie viel zu taktvoll.“

„Aber ich hörte doch, Durchlaucht, dass die Gräfin von ihrer Vergangenheit, von ihrer Schuld sprach.“

„Das geschah auf meine Anregung. Und was mir die Gräfin anvertraute, war ganz gewiss nicht für Ihre Ohren bestimmt. Im Übrigen können Sie ruhig mir die Entscheidung überlassen, ob etwas, das man mir sagt, ungehörig ist oder nicht.“

Die Baronin verbeugte sich ein wenig betroffen. Die Worte der Prinzessin waren nicht ohne Schärfe, und es geschah der Baronin das erste Mal, dass die Prinzessin so kurz und bestimmt ihre Einmischung zurückwies.

Fürst Herbert griff begütigend ein.

„Sie meinten es sicher gut, verehrte Baronin, aber Sie wollen meine Schwester zu ängstlich vor jedem frischen Luftzug behüten. Das ist wirklich nicht nötig. Es kann auch einer jungen Dame aus vornehmer Familie nichts schaden, wenn sie sieht, wie leicht ein Mensch in Schuld verstrickt werden kann. Und meine Schwester hat trotz ihrer Jugend einen starken, in sich gefestigten Charakter und weiß selbst Gut und Böse zu unterscheiden. Erinnern Sie sich noch, was mein unvergesslicher Vater immer zu sagen pflegte? An eigener und fremder Schuld sollen wir lernen, gut zu werden. Ich hoffe, dass das meine Schwester immer beherzigen wird. Wenn die Gräfin in der Bedrängnis ihres Herzens zu meiner Schwester kam, so ist das ein Vertrauensvotum und keine Behelligung.“

Mit zusammengepressten Lippen verneigte sich die Baronin.

***

Harald Graf Nordegg und Jutta waren nach einer angenehmen Seereise in Begleitung von Hans von Kraßnicks und Hullahs in Bremen eingetroffen. Hier begaben sie sich in ein Hotel. Graf Harald gab ein Telegramm an Justizrat Hollweg auf und meldete ihm, dass er am dritten Tag um die Mittagszeit in seiner Wohnung vorsprechen würde. Auch jetzt erwähnte er nichts von seiner Schwester.

Den Tag der Ankunft verbrachten sie noch in Gesellschaft Hans Kraßnicks. Am nächsten Morgen reiste er nach herzlichem Abschied von den Geschwistern weiter, um in seiner Heimat am Rhein seine Verwandten zu besuchen. Die Geschwister fuhren zunächst mit Hullah nach Berlin.

In Bremen waren sie trotz ihrer eigenartigen Kleidung und Hullahs Begleitung nicht sehr aufgefallen. In dieser Hafenstadt ist man an allerlei Typen gewöhnt. Aber in Berlin erregten sie einige Aufmerksamkeit.

Jutta sah mit großen, erstaunten Augen in das rastlose Treiben der großen Stadt. Harald hatte für den Tag einen Wagen gemietet und machte mit Jutta und Hullah eine Rundfahrt durch Berlin.

„Oh, hier möchte ich nicht leben, Harald! Wie ist das laut und unruhig! Diese vielen, vielen Menschen!“, sagte Jutta erschrocken von diesem Treiben. Aber Hullah mit seinen unverbrauchten Nerven lachte die Menschen an und fühlte sich wohl wie ein Fisch im Wasser. Auf Harald wirkte Berlin wie ein guter Bekannter, den man lange nicht gesehen, der sich wohl ein wenig verändert hat, aber dessen Züge noch die alten sind.

Eins wurde Harald allerdings auf dieser Rundfahrt klar: Dass er mit seiner Schwester und Hullah im Äußeren nicht in diese elegante, moderne Welt passte. Und er war entschlossen, seiner Schwester und sich sofort zu einer Ausstattung zu verhelfen. Auch Hullah musste entsprechende Kleidung bekommen. Der Majoratsherr von Nordegg durfte nicht wie ein Sohn der Wildnis in Schloss Nordegg seinen Einzug halten.

Jutta nickte verständnisvoll zu den Worten ihres Bruders.

„Ich habe auch schon meine Beobachtungen gemacht“, sagte sie, „wir passen nicht in die Welt mit unserer Kleidung, die in Afrika am Platz war, aber hier entschieden auffällt.“

So beschlossen sie, noch an diesem Tag an verschiedenen Geschäften vorzufahren und sich neu auszustatten.

Das geschah auch. Zuerst wurde Hullah mit einer hübschen Livree bedacht, worüber er sich wie ein Kind freute.

Dann kam Harald an die Reihe. Für ihn war es leicht, sich mit dem Nötigen auszustatten, weiteres zu bestellen und nach Schloss Nordegg zu beordern. Nach zwei Stunden war sein vorläufiger Bedarf gedeckt. Er unterschied sich nun in der Kleidung nicht mehr von den anderen Herren auf der Straße, wenn auch seine kraftvolle, vornehme Erscheinung noch immer auffiel.

Für Jutta fand sich aber unter den modischen Kleidern nicht so leicht etwas, das ihr zusagte. Zwar sah sie in allen Roben, die sie anlegte, reizend aus, und ihrer ebenmäßigen, jugendschönen Gestalt saß alles vorzüglich, aber sie fand sich doch nicht gleich in diesen modischen Kleidern zurecht. Sie war an ihre schlichte, praktische Kleidung gewöhnt. Aber sie sah die Notwendigkeit ein, sich davon zu trennen und sich der herrschenden Mode anzupassen.

Auch einige Hüte erstand sie.

„Ich hoffe zwar, dass ich in Nordegg außer einem Hut gegen die Sonne überhaupt keine Kopfbedeckung zu tragen brauche, so, wie ich es bisher gewöhnt war. Aber da wir einmal beim Einkaufen sind, will ich für alle Fälle auch einige Hüte erstehen. Und weißt du, Harald – unsere derben Stiefel scheinen mir auch nicht recht für deutsche Verhältnisse zu passen. Sieh nur, was die Damen alle für zierliche Schuhe tragen! In Saßneck wäre ich damit freilich nicht weit gekommen, aber hier muss es ein Vergnügen sein, sich in diesen leichten Schuhen zu bewegen. Unserm Schuhzeug sieht man an, dass wir Hinterwäldler sind.“

„Also, kaufen wir uns elegante Schuhe, dann sind wir vom Kopf bis zu den Füßen neu ausstaffiert, und niemand wird uns mehr für Hinterwäldler halten“, sagte Harald.

***

Justizrat Hollweg saß in seinem Arbeitszimmer, als ihm Graf und Komtess Nordegg gemeldet wurden. Er erhob sich und ging ihnen entgegen.

Graf Harald unterhielt sich eine Weile geschäftlich mit ihm, und dann erklärte sich der Justizrat bereit, die Geschwister nach Nordegg zu begleiten.

„Ich habe, da Sie mir Ihre Ankunft meldeten, Herr Graf, von Nordegg telefonisch einen Wagen nach hier beordert. Der steht bereit. Wir können sofort fahren.“

Damit war Graf Nordegg einverstanden.

Unterwegs fragte Graf Harald den Justizrat wie beiläufig: „Ist Schloss Nordegg noch bewohnt?“

Der Justizrat sah ihn durch seinen Kneifer forschend an. Er ahnte, dass diese Frage der Gräfin Melanie galt. Dass Graf Harald nur in der Begleitung einer seiner Schwestern gekommen war, fiel ihm auf. Aber er sagte nichts darüber.

„Bis vorgestern wohnte Gräfin Melanie noch im Schloss. Vorgestern aber ist sie ins Witwenhaus übersiedelt. Und so befindet sich jetzt nur die Dienerschaft im Schloss. Es ist noch niemand entlassen worden. Sie können also selbst bestimmen, ob alle bleiben sollen oder ob Sie das Personal verändern wollen.“

Graf Harald verneigte sich dankend.

Eine lebhafte Unterhaltung wurde auf dieser Fahrt nicht geführt. Die Geschwister waren nicht gewöhnt, über Nichtigkeiten zu plaudern. Und da auch der Justizrat eine schweigsame Natur war, kam keine Unterhaltung in Gang. Nur Hullah schwatzte in einem grausamen Kauderwelsch auf den Fahrer ein.

Als der Wagen in langsamerem Tempo in einen von hohen Bäumen beschatteten Waldweg einbog, begegnete ihnen ein eleganter Dogcart, der von einer schlanken jungen Dame kutschiert wurde. Sie trug ein dunkelgrünes Kostüm. Auf dem goldbraunen Haar saß ein kleidsames Hütchen, und die schlanken Hände steckten in hohen ledernen Handschuhen. Sie hielt die Zügel lose, und hinter ihr saß mit verschränkten Armen ein Diener.

Ihre tiefblauen Augen sahen voll Interesse auf die Geschwister. Einen Moment trafen sie groß und voll in die des Grafen Harald.

Justizrat Hollweg grüßte ehrerbietig, und die junge Dame dankte mit freundlichem Lächeln. Da zog auch Graf Harald seinen Hut zum Gruß.

Im Weiterfahren wandte er seinen Kopf nach der reizenden Erscheinung. Die Prinzessin aus dem Elfenreich, dachte er unwillkürlich, und er fühlte, wie ihm das Herz klopfte. Die holde, liebliche Erscheinung hatte trotz der flüchtigen Begegnung einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht, und er sah den Justizrat fragend an.

Der alte Herr musste wohl die stumme Frage verstehen.

„Das war Ihre Durchlaucht, die Prinzessin Rowena Landa, die Enkelin des letzten regierenden Fürsten. Schon ihr Vater lebte als Privatmann auf seinem Schloss Hainau. Dort wohnt jetzt die Prinzessin mit ihrem Bruder, dem Fürsten Herbert. Die fürstlichen Herrschaften sind die nächsten Nachbarn von Nordegg. Gleich kommen wir an eine Waldlichtung, da können Sie über den See hinweg Schloss Hainau sehen.“

Das Schloss der Märchenprinzessin mit dem goldenen Haar und den blauen Augen, dachte Harald in einer seltsam verträumten Stimmung, die diesem Tatenmenschen sonst so fern lag. Er wurde aufgeschreckt durch die Worte des Justizrats: „In dem See da drüben ertrank der junge Graf Malte Nordegg bei der Rettung von zwei Bauernkindern.“

Harald sah ihn groß an.

„Er muss sehr jung gestorben sein.“

„Ja – siebzehn Jahre war er.“

Wieder herrschte eine Weile Schweigen. Dann sagte Jutta: „Die Prinzessin Rowena Landa hat ein gutes, liebes Gesicht.“

Ihr Bruder nickte ihr lebhaft zu. „So schien es mir auch.“

„Ja, sie ist auch die Güte selbst“, bestätigte der Justizrat. „Die Prinzessin sowohl als ihr Bruder sind allgemein beliebt wegen ihrer Güte und Menschenliebe. Davon werden Sie sich auch noch überzeugen, wenn Sie die Herrschaften kennen lernen.“

Graf Harald sah vor sich hin.

Eine Märchenprinzessin – und der Sohn der Wildnis, dachte er in herber Selbstverspottung. Und den Kopf zurückwerfend, sagte er fast schroff: „Dazu wird sich kaum Gelegenheit finden. Meine Schwester und ich gedenken ganz zurückgezogen zu leben, da wir nicht an viel Verkehr gewöhnt sind.“

Der Justizrat lächelte.

„Das wird sich alles finden, Herr Graf. Mit den nächsten Nachbarn werden sich ganz von selbst Berührungspunkte ergeben. Da lässt sich ein Verkehr kaum vermeiden. Und jedenfalls wird schon Gräfin Melanie Nordegg dafür sorgen, dass Sie mit den fürstlichen Geschwistern bekannt werden. Sie verkehrt viel in Schloss Hainau.“

Graf Haralds Züge bekamen einen noch härteren, verschlosseneren Ausdruck als zuvor.

„Wir werden auch mit der Gräfin Nordegg nicht in Verkehr treten“, sagte er abweisend.

Der Justizrat sah ihn betroffen an und wollte etwas sagen, aber der Blick Graf Haralds bannte ihm förmlich das Wort auf der Zunge. So schwieg er. Auch die Komtess sah den Bruder erstaunt an. Aber sie sagte nichts. Sie war gewöhnt, dass Harald nichts ohne bestimmte Gründe tat.

Bald darauf tauchte Schloss Nordegg aus dem Waldesgrün auf. Jutta sah mit großen Augen auf das malerische Gebäude mit seinen Türmen und Zinnen.

„Wie schön!“, rief sie und ergriff die Hand des Bruders.

„Unsere neue Heimat, Jutta“, erwiderte er und drückte ihre Hand.

Harald kannte das Schloss aus seiner Knabenzeit, aber es erschien ihm heute stolzer und größer, als er es in der Erinnerung gehabt hatte.

Der Justizrat störte die Geschwister nicht. Er sah nur mit warmem Interesse in die beiden jungen Gesichter, in das harte stolze des Mannes und in das liebliche, schwermütige der jungen Dame.

Diese Gesichter haben Schicksale – an ihnen ist das Leben nicht spurlos vorübergegangen, dachte er.

Gleich darauf hielt der Wagen an der großen Freitreppe, die rechts und links von breiten Terrassen begrenzt war. Auf der Treppe hatten sich die Beamten und die Dienerschaft aufgestellt, um die neue Herrschaft zu begrüßen.

Graf Harald erhob sich im Wagen. Er erwiderte ihren Gruß und Jutta neigte freundlich dankend das Haupt. Hullah aber lachte die Versammlung an, die erstaunt sein schwarzes Gesicht betrachtete.

Während dieser Szene bemerkte niemand drüben am Parkrand eine hohe schwarz gekleidete Frauengestalt, die hinter dem Gebüsch verborgen stand und mit brennenden Augen nach den Geschwistern hinüberschaute. Es war Gräfin Melanie. Die Unruhe hatte sie aus ihrem Witwenhaus hier hergetrieben. Nur einen Blick aus der Ferne wollte sie auf ihre Töchter werfen, falls sie sich in Graf Haralds Gesellschaft befanden. Sie sah neben der schlanken Gestalt des Majoratsherrn eine junge Dame – nur eine.

Nur eine – nur eine?, dachte sie immer wieder. Wo mag die andere sein? Und die Zähne schlugen ihr wie im Frost aufeinander. Wie von Sinnen umklammerte sie einen Baum, um sich festzuhalten. Sie hätte hinüberstürzen und die schlanke Mädchengestalt in ihre Arme reißen mögen. Aber sie wagte sich keinen Schritt näher heran. Wie gelähmt stand sie mit zitternden Knien und leeren Augen, eine Verdammte. Und als drüben die beiden Geschwister unter dem hohen Portal des Schlosses verschwunden waren, da glitt Gräfin Melanie haltlos am Stamme des Baumes herab in die Knie, und über ihre Lippen brach ein dumpfes, qualvolles Stöhnen.

In der Eingangshalle des Schlosses stellte Justizrat Hollweg den gräflichen Geschwistern die Beamten des Majorats vor und führte sie dann durch die Haupträume des Schlosses nach den Zimmern, die er vorläufig für sie hatte bereithalten lassen.

„Ich habe nach bestem Ermessen darüber verfügt, Herr Graf. Sie können ja später selbst bestimmen, welche Räume Sie bewohnen wollen. Vorläufig hoffe ich, Sie mit meinen Anordnungen zufriedengestellt zu haben“, sagte er.

Harald dankte ihm.

Die Geschwister befreiten sich nun vom Reisestaub, und der Justizrat ging, um Hullah gut unterzubringen, wie ihn Harald gebeten hatte.

Danach traf man im Speisesaal wieder zusammen. Die Beamten waren mit zu Tisch gebeten. Bei der offiziellen Tafel wurden einige dringende Geschäft besprochen. Graf Harald erhob sich dann und erklärte dem Justizrat und seinen Beamten, dass er sich schnellstens mit allen Obliegenheiten vertraut machen würde. Es seien zwar ihm vollständig fremde Verhältnisse, in die er sich einarbeiten müsse, doch hoffe er, bald die Lage überblicken zu können. Er bat um die Hilfe und Unterstützung seiner Beamten, denen er allezeit ein gerechter Herr zu sein versprach.

Nach der Tafel entließ Harald die Angestellten, und der Justizrat empfahl sich mit dem Versprechen, am nächsten Tag noch einmal herauszukommen. Er fuhr aber nicht gleich zur Stadt zurück, sondern begab sich erst ins Witwenhaus, um die Gräfin zu begrüßen und ihr Bericht zu erstatten.

Sie kam ihm schon im Park entgegen.

„Haben Sie in Erfahrung bringen können, warum Graf Harald nur in Begleitung einer seiner Schwestern gekommen ist?“, fragte sie hastig.

„Darüber kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben, gnädigste Gräfin. Der junge Graf ist ein sehr schweigsamer, verschlossener Herr, der sicher niemals mehr sagt, als er sagen will.“

„Ist es die ältere oder die jüngere der Schwestern, die ihn begleitet?“

„Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Ich weiß nur, dass Graf Harald die junge Dame mit Jutta anredete.“

Die Gräfin atmete schwer.

„Also die jüngere. Wo mag Maria sein?“, sagte sie vor sich hin. „Vielleicht kommt Komtess Maria später nach, gnädigste Komtess.“

Sie sah ihn mit gramvollen Augen an.

„Haben die Geschwister von mir gesprochen?“, fragte sie mit gepressten Lippen.