Historiologie - Christoph W. Rosenthal - E-Book

Historiologie E-Book

Christoph W. Rosenthal

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Beschreibung

Der historische Prozess, der am Ende der Eiszeit vor ca. 13.000 Jahren begann, erklärt sich in der menschlichen Entwicklung aus dem neuen Schritt, seine Existenz nunmehr auf selbst geschaffenen Grundlagen aufzubauen, so etwa mit der Nahrungsproduktion. Leider verknüpfen sich mit diesem Prozess nicht bloß Fortschritte, sondern auch Fehlentwicklungen, wie es etwa in den altorientalischen Despotien, in den Weltkriegen oder auch in ökologischer Hinsicht zum Ausdruck kommt. Von daher ist eine möglichst genaue Klärung der Struktur des historischen Prozesses zu der entscheidenden Frage bzgl. der weiteren Perspektive der Menschheit geworden. Infolge des erreichten Überblicks über die menschliche Vergangenheit bis weit über die Humanevolution und selbst über die Evolution der Primaten hinaus ist inzwischen ein ganz anderes Verständnis der bisherigen Geschichte, der unterschiedlichen Kulturansätze und des menschlichen Potentials entstanden. Der Ansatz der Historiologie, der sich mit der übergreifenden historischen Entwicklung und ihrer inneren Systematik befasst, erschließt völlig neuartige Erkenntnisse, die auch eine kulturelle Architektur bzgl. einer wünschenswerten Kultur der Zukunft ermöglichen.

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Seitenzahl: 217

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Zum Autor:

Christoph W. Rosenthal (Jg. 1957) lebt seit 1981 als freier Kulturschaffender mit Jobs, Kulturarbeit, Kunst und Forschungen. Nach langjährigen Forschungsarbeiten begann er 2018 mit etlichen Veröffentlichungen zu Humanevolution, Geschichte und Sprache.

www.christoph-w-rosenthal.de

Aufriss

Geschichte verstehen lernen, Geschichte denken lernen

Geschichte als Welt- und Landkarte der menschlichen Realität Sich in unserer historisch bestimmten Realität zutreffend verorten können

Die historische Entwicklung, die am Ende der Eiszeit vor ca. 13.000 Jahren begann, erklärt sich in der menschlichen Entwicklung aus dem Schritt, seine Existenz nunmehr auf selbst geschaffene Grundlagen aufzubauen, wie etwa mit der Nahrungsproduktion, vor allem und zuerst jedoch durch die Institutionalisierung seiner sozialen Organisation. In dieser Institutionalisierung liegt auch der Grund, dass es nicht bei den ersten Anfängen blieb, sondern daraus eine dauerhafte historische Entwicklung erwuchs.

Dieser Schritt zu den selbst geschaffenen Grundlagen vergleicht sich etwa mit dem Schritt vom Gehen zum Autofahren. Man kommt so schneller vorwärts – aber wohin? Mit diesem Schritt ließen sich völlig neuartige Möglichkeiten erschließen. Doch waren damit auch neuartige Anforderungen in der Steuerung dieser Prozesse und in der Klärung der Strecken verbunden. Hierbei geriet jedoch einiges mit Folgen bis heute aus dem Griff.

Von da aus verknüpfen sich mit diesem historischen Prozess nicht bloß Fortschritte, sondern auch Unfälle, Schäden und gefährliche Fehlentwicklungen, wie es etwa in den altorientalischen Despotien, in den Weltkriegen oder auch in ökologischer Hinsicht zum Ausdruck kommt.

Für die Lösung der historisch entstandenen Probleme und für eine Entwicklung von neuem Fortschritt bedarf es einer möglichst exakten Analyse der Struktur des historischen Prozesses.

Hierbei ist infolge des erreichten Überblicks über die menschliche Vergangenheit bis weit über die Humanevolution und selbst über die Evolution der Primaten hinaus ein völlig neues Potential entstanden, das durch den entsprechenden Ansatz der Historiologie erschlossen werden kann.

Die Historiologie ist im Rahmen der Geschichtswissenschaft der Fachbereich, der sich mit der übergreifenden historischen Entwicklung und ihrer inneren Systematik befasst.

Es ist durch die historiologische Forschung ein entscheidend neuartiges Verständnis von Geschichte entstanden, das nicht mehr auf dem vorwissenschaftlichen Modell des 19. Jh. basiert wie die heute immer noch gängigen gesamtgeschichtlichen Entwürfe. Es wird nun langsam deutlich, wo, warum und wie die entscheidenden historischen Probleme entstanden sind, und damit auch, wie sie lösbar sind, was die bisherigen Modelle nicht leisten. Damit erschließt die Historiologie auch Erkenntnisse, die eine kulturelle Architektur bzgl. einer wünschenswerten Kultur der Zukunft ermöglichen.

Das hier vorliegende Buch bietet hierbei einen Überblick über die grundlegenden Erkenntnisse und Themen.

Inhaltsverzeichnis

1 Zum Thema Geschichte

1.1 Die historische Dimension der menschlichen Realität

1.2 Zu den vorwissenschaftlichen Hintergründen des bisherigen Weltgeschichts-Bildes

1.3 Zu dem neuen Ansatz der >Big History<

1.4 Zu dem Begriff Historiologie

2 Anthropologie und Geschichte

2.1 Zur Humanevolution als Grundlage der Anthropologie

2.2 Zur Evolution des Gehirns

2.3 Die tatsächliche evolutionäre Problemstellung in der Humanevolution

2.4 Zur Evolution von Sprache

2.5 Zur Evolution von Kultur

2.6 Zur humanevolutionären Weiterentwicklung von Sprache

2.7 Zur Evolution von Pubertät und Identität

2.8 Zur eiszeitlichen Kultur des Homo sapiens

3 Zur Entstehung der historischen Entwicklung

3.1 Zu dem Begriff der >historischen Entwicklung<

3.2 Zu der Unhaltbarkeit des gängigen Geschichts-Bildes

3.3 Zu dem Beginn der historischen Entwicklung

3.4 Der Auslöser des historischen Prozesses

3.5 Die Mesolithischen Revolution

3.5.1 Die neue Sozial-Organisation

3.5.2 Die neue historische Sprach-Anlage

3.5.3 Die Grundlagen der neuen Sozial-Organisation

4 Zur Systematik und Stratigraphie der historischen Entwicklung

4.1 Zu der Frage nach der historischen Systematik und den Systematiken

4.2 Zu der Stratigraphie der historischen Entwicklung

4.2.1 Zu dem Begriff >Mesolithikum<

4.3 Zu den frühgeschichtlichen Stadien

4.3.1 Zu den Anfängen des Mesolithikums

4.3.2 Das Mittlere Mesolithikum

4.3.3 Das Späte Mesolithikum

4.3.3.1 Die Ahnen-Kult-Kultur

4.3.3.2 Göbekli Tepe

4.3.4 Die Neolithischen Revolution

4.4 Das neue stratigraphische Modell der Weltgeschichte

5 Geschichte und Historiologie

5.1 Die Kopernikanische Wende des Weltgeschichts-Bildes

5.2 Zu der Kompatibilität von Geschichte, Historiologie und den Humanwissenschaften

5.3 Geschichte und Historiogenese

5.4 Historiologie als Grundlage der Futurologie und einer wünschenswerten Kultur der Zukunft

5.5 Zur Halbzeit der Geschichte

Anhang:

Familiengeschichte als ein persönlicher Zugang zu Geschichte

Literatur

Vorwort

Nachdem ich seit dem Beginn meiner historischen Forschung Mitte der 1980er eine Reihe von historischen Werken gelesen hatte, ergab sich mir mit der Zeit das Gefühl, mit meiner historischen Forschung auf noch etwas Anderes als diese Werke hinauszuwollen. Was für mich die Erforschung der Geschichte leisten sollte – und soll -, ist in erster Linie die Klärung unserer heutigen Situation. Genau das leisteten die mir zunächst bekannten Werke nicht. Die widersprüchlichen Auffassungen bzgl. von Geschichte verwiesen mich in den 80ern recht schnell darauf, dass von einem Verstehen der historischen Entwicklung insgesamt noch nicht die Rede sein konnte.

Von daher erfand ich bei meinen Forschungen in Analogie zu Geographie – Geologie in den 1990ern für meinen Ansatz den Begriff Historiologie. Erst in jüngerer Zeit erfuhr ich bei meinen Internet-Recherchen, dass es eine entsprechende Begriffsaufstellung mit Historiologie und Historiographie bereits gab. Wenn ich dort im Grundlegenden Parallelen zu meinem Ansatz sehe, so möchte ich hier doch betonen, dass meine Aufnahme des Begriffs der Historiologie nicht von älteren Konzeptionen her motiviert ist, sondern von den Ergebnissen meiner eigenen Forschung.

Der Ausgang meiner Forschungen um 1985 lag vor allem darin, dass mir die bestehenden Geschichts-Modelle die Entwicklungen zum 3. Reich und den beiden Weltkriegen entweder nur unzureichend oder auch gar nicht erklären konnten. Nach einer längeren Beschäftigung mit den letzten 5.000 Jahren als dem Inhalt der gängigen Geschichtswerke sowie nach meiner Bekanntschaft mit dem Werk >Krieg und Macht< des US-amerikanischen Historikers William H. McNeil kam ich dahin, in diesem Werk auch meine eigenen Einsichten im Grundlegenden beschrieben zu sehen. Sieht man von einigen Punkten von McNeills Prämissen ab – die an dem damaligen Forschungsstand bzgl. der Frühgeschichte liegen dürften -, ist dies immer noch das Werk, das ich am meisten bzgl. der Darstellung der substanziellen historischen Prozesse der letzten vier- bis fünftausend Jahre empfehle.

Seitdem konzentrierte ich mich in meiner Forschung auf die noch recht unbekannte Zeit vor dem Alten Orient bis hin zur Humanevolution. Dabei stieß ich um 1990 auf das damals noch nicht so verbreitete Theorem der >neolithischen Revolution<, die als Umschlag von der humanevolutionär entwickelten Lebensweise zur historischen Entwicklung dargestellt wurde. Auf dieser Basis entwickelte ich meine weitere Forschung unter der Systematik von Anthropologie und Geschichte: was jeweils der menschlichen Natur und der ursprünglichen Kultur und was der historischen Entwicklung zuzuordnen ist. Dazu verfasste ich 1992/93 ein Skript, das aber keine Resonanz fand. Ich selbst kam zu dem Ergebnis, damit auch erst neue Grundlagen erreicht zu haben, auf denen nun die eigentliche Forschung beginnen konnte.

Nach einer Pause nahm ich 1999 diese Forschungen wieder auf. Von einem besonderen Interesse wurde für mich die Auseinandersetzung mit der paläolithischen Symbolik, etwa in den eiszeitlichen Höhlen. Angesichts der schon über 30.000 Jahre alten und bis in die jüngere Zeit weltweit verbreitete Symbolik der „Venus“-Figuren und der Stier/Kuh/Drachen- und Hörner-Symbolik, griff ich diese beiden Symbol-Komplexe in einer speziellen Studie über entsprechende Darstellungen, Mythologien und die damit verbundenen Wörter in den Kulturen auf. 1 Tatsächlich sollte sich dies als ein regelrechter Schlüssel für das Verständnis der eiszeitlichen Kultur und damit auch für die Humanevolution sowie für die Ausgangslage der historischen Entwicklung erweisen, auch in sprachlich-etymologischer Hinsicht.

Es ist nun um die 20 Jahre her, dass mir deutlich wurde, dass die Neolithische Revolution nicht als die Begründung der historischen Entwicklung in Betracht kam, sondern dass allein gänzlich andere und etwas ältere Sachverhalte eine hinreichende Erklärung bieten konnten. Die Entdeckung der schon über 10.000 Jahre alten gewaltigen Megalith-Anlage von Göbekli Tepe (Türkei – Grenze Syrien) bot dafür auch wichtige neue Hinweise und Anhalte.

Eine gewisse Abhandlung der sich inzwischen abzeichnenden neuen Weltgeschichte-Karte habe ich schon mit meinem Werk >Die Kopernikanische Wende des Weltgeschichts-Bildes< vorgelegt (erste Fassung 2018, inzwischen zwei Updates mit Korrekturen und leichten Aktualisierungen).

Doch angesichts der bestehenden Forschungsprobleme wollte ich das Thema >Geschichte< auch noch in einer anderen Form aufnehmen, abgelöster davon, ob sich alles, was sich mir bislang bzgl. der Frühgeschichte darstellt, auf die Dauer als zutreffend erweist. Denn in dieser Hinsicht befinden wir uns noch in einer Pionierphase. Doch so sehr das neu entdeckte „Amerika“ erst begrenzt fassbar wird, so kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass wir es dabei mit einem neuen Kontinent zu tun haben – das soll besagen, dass trotz einiger Unklarheiten an dem Ergebnis eines substanziell veränderten Weltgeschichts-Modells insgesamt kein Zweifel bestehen kann. Etliche unklare Details können nichts an der Bedeutung des damit verbundenen neuen Verstehens der historischen Entwicklung ändern.

Zunächst einmal bestand die Frage, womit sich der Begriff Geschichte im Entscheidenden und Eigentlichen verknüpft. Handelt es sich dabei lediglich um eine Redeweise bei einer schon seit mehreren Milliarden Jahren bestehenden >Naturgeschichte<? Ist >Geschichte< eine natürliche organische Weiterentwicklung der evolutionären Prozesse, wie es sie vor allem bei evolutionären Umschlägen von chemischen Prozessen hin zum biologischen Leben oder auch vom Affen hin zum Menschen gab? Kann der Begriff >Geschichte< mit der Entwicklung der Schrift oder aber mit dem Schritt zum >Staat< verbunden werden (und was ist unter >Staat< dabei genauer zu verstehen, was in Bezug auf die historische Entwicklung eine echte Frage ist, s.u.)?

An diesem Punkt kam ich zu einem für mich eindeutigen Ergebnis, das ursprünglich mit dem Theorem der Neolithischen Revolution verknüpft war.

Wenn man unter >Geschichte< den spezifischen historischen Begriff meint, dann ist er im Entscheidenden mit dem Schritt von dem in der Natur eingebundenen Leben hin zu dem Leben auf selbst geschaffenen Grundlagen zu verbinden. Denn damit wurde eine neue Dimension in der menschlichen Existenz eröffnet, die entsprechenden Fortschritt ermöglichte, aber auch von uns Menschen zu steuern und zu verantworten ist. Wenn man etwa aufgrund kaputter Bremsen oder aufgrund von Trunkenheit am Steuer einen Unfall mit Toten baut, ist das effektiv von Naturkatastrophe zu unterscheiden. Diese Auseinandersetzung ist angesichts der menschlich selbst geschaffenen Grundlagen in der historischen Entwicklung absolut substanziell und entscheidend. Vor allem angesichts der heutigen Konsequenzen ist hier unbedingt auf eine begriffliche und methodologische Sauberkeit und Klarheit zu bestehen, soweit sie bislang möglich ist.

War der Begriff >Geschichte< für mich somit effektiv definiert, stellte sich nun die Frage, mit was sich dieser Begriff nun genauer in Verbindung bringen ließ. Gab es einen bestimmten Anfang, der hier die entscheidenden Fortschritte auslöste, und wenn ja, worin erklärten sich die Probleme, die es bis dahin menschlich nicht gegeben hatte? Handelte es sich um einen schleichenden graduellen Prozess aufgrund der zunehmenden menschlichen Erfahrung, der sich weder zeitlich noch mit einem einzige bestimmten Punkt in Verbindung bringen ließ, sondern nur irgendwann in der Summe vieler Schritte dieses Resultat erbrachte? Oder gab es sehr bestimmte Ereignisse, die die historische Entwicklung begründeten, und wenn ja, welche?

Tatsächlich sollte ich für mich damit zu sehr bestimmten Ergebnissen kommen, die ich in diesem Buch vorstellen möchte. Allerdings sind damit noch nicht solche Endergebnisse wie bei der geographischen Weltkarte erreicht.

Daraus ergibt sich hier vorläufig eine Grenze. Denn an sich begreife ich die Rekonstruktion des äußeren historischen Weges nur als den ersten Schritt. Das eigentlich Spannende und Relevante ist für mich die Auseinandersetzung, was dieser historische Weg zum Ausdruck bringt und welche Erfahrungen wir daraus für die Zukunft erschließen können.

Wir befinden uns heute in einer Situation, wo eine solche Auswertung des historischen Weges möglich geworden, diese aber auch dringend an der Zeit ist. Wir können wichtige Fortschritte erkennen, die mit einer guten Analyse noch weiter gefördert werden können. Denn wir transportieren z.T. schon Jahrtausende alte Probleme wie etwa das schon über 10.000 Jahre alte ärgerliche >grammatische Geschlecht< (s.u.) unserer Sprache/n mit uns herum. Es ist überfällig, alten behindernden Ballast zu entrümpeln wie auch alte Fehlentwicklungen und Ausfälle zu beheben. In der übergreifenden historischen Perspektive wird so einiges sichtbar, was es noch zu bewältigen gibt, wollen wir alten historischen Fehlentwicklung nicht zum Opfer fallen, wie es z.B. vor noch nicht langer Zeit mit dem 3. Reich oder den Weltkriegen der Fall war.

Doch wie gesagt stellen sich mir noch einige Probleme in Hinsicht auf die Rekonstruktion des historischen Weges dar. Es hieße in manchem den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, vor bestimmten Klärungen des Weges dessen Inhalte bewerten zu wollen. Gerade auch die sich abzeichnenden Ergebnisse raten zu einer gewissen Vorsicht.

Von daher werde ich in Bezug auf dieses Weitergehende in diesem Buch nur paar Hinweise bieten. Sehr wohl gibt es – auch schon länger – weitergehende Forschungsarbeiten. Ich halte es jedoch für notwendig, diese Einschätzungen neu in Verbindung mit dem sich abzeichnenden neuen Geschichts-Modell zu prüfen.

Doch im Eigentlichen geht es nicht bloß um eine äußere Rekonstruktion des historischen Weges. Die historische Entwicklung ist so etwas wie die 3. Dimension der menschlichen Existenz, wozu es auch die Dimensionen von Neurologie und Psychologie usw. gibt. Erst in dieser Verbindung wird die tatsächliche menschliche Realität erfasst.

Die historische Entwicklung geht mit entsprechenden kognitiven, mentalen und psychischen Veränderungen einher, und auch in dieser Hinsicht sind nicht bloß die Fortschritte zu betrachten und zu sehen, wie es sich u.a. mit dem Faschismus belegt. Ohne die Beachtung dieser kritischen Gegebenheiten werden wir nicht aus den historisch entstandenen Problematiken herauskommen.

Insofern geht es bei der Rekonstruktion der äußeren Entwicklungsprozesse auch um ein Verstehen, wie dies mit den mentalen und psychischen Entwicklungen korrespondiert. In diesem Erschließen läge erst die eigentliche Bedeutung einer Historiologie wie auch die Chance, die historischen Fehlentwicklungen beheben zu können.

Mit dem vorliegenden Werk möchte ich einen Beitrag leisten, der einige neue Erkenntnisse einbringt und der auch Neuentwicklungen in Richtung einer historisch Neuen Kultur ermöglicht.

Christoph W. Rosenthal

Hinweis

Im Unterschied zu den runden Klammerzeichen (...) sind die eckigen Klammerzeichen […] in Zitaten Ausdruck meiner Bearbeitung [= CR]. Dies schließt auch mitunter eine Bemerkung [kursiv abgesetzt] ein. Dies wird an den Stellen nicht jeweils vermerkt.

Wer nicht von dreitausend Jahren

Sich weiß Rechenschaft zu geben,

Bleib im Dunkeln unerfahren,

Mag von Tag zu Tage leben

J.W. Goethe, West-Östlicher Diwan

Heute ist vielmehr von 13.000 Jahren zu sprechen, zumindest mit dem Überblick wie bei einer Weltkarte. Bei Zeile 3 würde ich vom Inhaltlichen her ergänzen:

Bleib im Gestern tief verfahren

1 2021 als >Frau Holle und der Drache von Lascaux< veröffentlicht

1 Zum Thema Geschichte

Der Prozess der historischen Entwicklung erweist sich als der bestimmendste Sachverhalt der menschlichen Existenz, der auch das Persönliche vom Äußeren bis hin zur Sozialisationsprägung, zu dem Denken und der Sprache effektiv umfasst.

Leider gehört es zu den Problemen der bisherigen historischen Entwicklung, dass man diesen menschlich selbst geschaffenen Prozess recht bald nach den Anfängen am Ende der Eiszeit aus dem Griff und dann auch aus dem Blick verlor.

Daraus ergaben sich mythologische Weltbilder aller Art, die sich die Diskrepanzen zwischen seinen Gefühlen und den neuartigen äußeren Gegebenheiten der historischen Entwicklung oder auch seine Ohnmacht bzgl. unerfreulicher Gegebenheiten wie Macht, Gewalt und Kriege usw. zu erklären versuchten.

So gab es bis zur jüngsten Zeit tatsächlich keine Möglichkeit, den historischen Weg objektiv (wie auf einer geographischen Weltkarte) zu überschauen, und also nicht das Potential, den menschlich selbst betriebenen historischen Prozess korrekt auszurichten. Oft genug hat man sich bei seinen Absichten in der Gegend verirrt und gehörig in der Richtung vertan. Liefen die Prozesse im eigenen Gefühl günstig, schrieb man sich dies gerne als Resultate seiner Fähigkeiten zu. Alles andere wurde in mythologischen, fantastischen oder ideologischen Erklärungen aller Art verdrängt.

Erst im 19. Jahrhundert waren die technischen Entwicklungen und das Knowhow so weit, mit einer wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte und dann auch der Evolution beginnen zu können. Doch weit mehr, als man damals sehen und ahnen konnte, übernahm man dabei Ideologien und vorwissenschaftliche Vorstellungen, was immer noch wirksam ist.

9500 – 8500 v. Chr.

„Vom Körtik Tepe stammen zahlreiche ritzverzierte Steingefäße. Ein Bruchstück [s.o.] zeigt Schlangen und Skorpione.“ Zitat und Nachzeichnung nach: Klaus Schmidt: Sie bauten die ersten Tempel, S. 188

Fotos und Zeit-Angabe in: Badisches Landesmuseum Karlsruhe: Vor 12.000 Jahren in Anatolien, S. 102, 303

1.1 Die historische Dimension der menschlichen Realität

Angesichts der historischen Entwicklung erscheint eine taugliche Weltgeschichts-Karte als die einzig adäquate Form, die gegenwärtigen Verhältnisse in der menschlichen Realität verorten und verstehen zu können. Dies ist die Voraussetzung dafür, die historisch entstandenen Fehlentwicklungen beheben und einen wünschenswerten Weg für die Zukunft ausmachen zu können.

Es wird heute durch den Weltmarkt deutlich, mit welchen Dimensionen wir es mit der historischen Entwicklung zu tun haben. Nicht erst mit der Christianisierung und nicht erst mit dem Neolithikum mit Ackerbau und Viehzucht wurden wir und andere Teile der Welt von andersweiten Entwicklungen wie etwa im Nahen Osten erreicht.

Die Herkunft des ärgerlichen grammatischen Geschlechts wie etwa auch die Sonne – der Mond usw., das in dieser Form eine spezielle gemeinsame Eigenart der indogermanischen und der semitisch/afroasiatischen Sprachfamilie ist,2 bringe ich aus etlichen Gründen mit Göbekli Tepe in der Ära von 8.800 – 8.000 v. Chr. in Verbindung. Hierbei ist das grammatische Geschlecht schon Ausdruck einer bereits umfassend entwickelten sexistischen Geschlechts-Ideologie. Wir müssen uns also hierbei mit Problemen herumschlagen, die schon über 10.000 Jahre alt sind – dies ist hier nur als ein Beispiel und Anhalt gemeint.

Wir sind nicht keineswegs von akuten neuen Prozessen berührt. Die immer noch bestehende Vorstellung, dass ein paar Jahrhunderte in der allgemeinen Realität ein hohes Alter wären, ist altertümlich und unaufgeklärt. Bei dem Beginn der Geschichtswissenschaft im 19. Jh. hielt man die Menschheit für gerade einmal 6.000 Jahre alt (wie man aus der Bibel entnehmen zu können meinte). Gerade die Modernisierung dieses Geschichtsbildes durch die Evolutionstheorie führte noch am Ende des 19. Jh. – selbst bei Friedrich Engels (s.u.) – gar dazu, die griechische Antike – also vor gut 2500 Jahren – für den erstmaligen richtigen Ausdruck der Entwicklung von Kultur und bis dahin noch eher ein evolutionäres Tier-Stadium des Menschen zu sehen. Nach dem Rückfall in das entsprechend genannte >(finstere) Mittelalter< hätte mit der Wiedergeburt (= Renaissance) der Antike die Entwicklung von Kultur erst wirklich mit der Moderne und der Industriellen Revolution begonnen.

Tatsächlich erscheinen die bislang gängigen Geschichts-Modelle und -Vorstellungen wie die damaligen Weltkarten mit der Erde als Scheibe. Man übersehe dabei nicht, dass auch diese Weltkarten schon auf echter Forschung basierten und auch schon überaus beträchtliche Fortschritte erreichten, ohne die auch ein Kolumbus gar nicht zu verstehen ist. Nur erreichten diese Weltkarten mit der Erde als Scheibe bei allen noch so imposanten wissenschaftlichen Forschungen und Vermessungen noch nicht das entscheidende Resultat der geographischen Kartenwerke.

Es geht hier nicht um Polemik, sondern um das gleiche Problem, das hinter der Weltkarte mit der Erde als Scheibe stand: man konnte von den bisherigen und tradierten Vorstellungen gar nicht ahnen, wie es sich tatsächlich mit der Wirklichkeit verhielt. Exakt dies gilt heute noch für das Verständnis der Humanevolution und für unsere historische Realität. Wo im 19. Jh. für den Beginn der Menschheit noch ca. 6.000 Jahre angesetzt wurden, sieht man heute eher 2,5 Mio. Jahre, und dabei ist man noch gar nicht wie damals bei dem Beginn des Kosmos und der Welt und nicht einmal bei dem Aufkommen der Primaten. Aus der wissenschaftlichen Perspektive sind heute ein Jahrtausend nur evolutionäre Minuten oder Sekunden. Die rund 13.000 Jahre der historischen Entwicklung sind in Generationen bei den Mikroorganismen vielleicht ein bis zwei Wochen. Die einfachen Affen (Anthropoiden) existieren bereits über 30 Mio. Jahre – das muss eine >Hochkultur< erstmal erreichen, bevor man sich plustert. Dass man für einige Sekunden die Luft anhalten kann, ist kein Beweis, ohne Luft leben zu können. Sofern man nicht nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ lebt, verknüpfen sich damit echte Fragestellungen. Doch nichts von diesen Fragestellungen wird ohne ein Verstehen der historischen Entwicklung verständlich - und lösbar.

Konnte es bei dem weltanschaulichen Hintergrund der Weltkarte mit der Erde als Scheibe egal sein, ob diese Erdscheibe etwas kleiner oder größer war und dass es hinter den Azoren noch eine weitere Insel namens Amerika gab, sollte sich dies mit der neuen Weltkarte recht anders darstellen.

Dies ist bei der sich inzwischen abzeichnenden Weltgeschichts-Karte noch ganz anders der Fall. Dabei geht es freilich im Eigentlichen nicht um Steinwerkzeuge und nicht um Dampfloks, die wohl für Liebhaber interessant, aber ansonsten tatsächlich >Geschichte< sind. Solche Darbietungen von Humanevolution und von Geschichte können dem keine Relevanz vermitteln, aber sie gehen auch an dem Eigentlichen vorbei.

Die historische Entwicklung ist hier eher mit dem Bau eines großen Gebäudekomplexes zu vergleichen, wo wir in mehr oder weniger höheren Etagen leben. Die entscheidenden Grundlagen unserer Kultur wurden von der sprachlichen über die soziale bis zur politischen Anlage seit der Zeit vor 13.000 Jahren aufgebaut. Die bis heute wirksamen Weichenstellungen erfolgten schon in der Frühgeschichte, im Grundlegenden bereits vor ca. 13.000 Jahren. Das Weitere verknüpft sich mit dem Ausbau dieser Grundlage, mit Aufstockungen, Ausschmückungen wie auch mit notwendig werdenden Nachbesserungen.

Aus diesem Alter resultieren auch die heutigen Probleme. Unsere rund 12.000 Jahre alte Gesellschaftsanlage ist in etwa endgültig an ihre Grenzen gekommen. Der Punkt ist nicht, wie man noch weitere Etagen auf diesen Bau gesetzt bekommt, sondern dass das damalige Fundament nicht für die ganzen Etagen ausgelegt war, die bereits darauf aufgebaut worden sind. Tatsächlich waren die damaligen Ansätze auch nur Verlegenheitslösungen unter größeren Naturkatastrophen, die zuerst gar nicht auf Dauer, aber vor allem nicht auf eine Weiterentwicklung in der späteren Form angelegt waren.

So haben wir es damit zu tun, dass das vor ca. 12.000 Jahren geschaffene gesellschaftlich Fundament nicht mehr tragfähig ist, und es besteht durchaus ein effektiver Handlungsbedarf, weil das Fundament schon bedenklich bröselt. Doch die meisten Probleme, die im Bewusstsein sind, erklären sich aus der völlig falschen Weltkarte. Man wähnte sich etwa schon in Indien, und es wird nun deutlich, dass man in einer >Karibik< gelandet ist.

Es gibt wohl Schwierigkeiten, die aber, richtig verstanden, gar nichts Neues sind. In Wirklichkeit besteht inzwischen längst in jeder Hinsicht das Potential, die historisch entstandenen Probleme zu beheben, und auch, eine dauerhafte wünschenswerte Kultur zu schaffen. Die Geschichte ist voller Beispiele produktiver Kulturen und fortschrittlicher Entwicklungen, dass auch auf Hightech nicht verzichtet werden muss - wenn man den Kollaps-Problemen zuvorkommt.

Doch dafür braucht es eine taugliche Weltgeschichts-Karte. Ohne das Verstehen der historischen Entwicklung ist man zu dem wirklich entscheidenden Umbau nicht in der Lage, weil man das Eigentliche gar nicht in den Blick bekommt und seine Ansätze an den völlig falschen Punkten festmacht. Die entscheidenden Probleme verknüpfen sich zunächst einmal und hauptsächlich mit dem vor etlichen Tausend Jahren geschaffenen Fundament. Es ist hiervon so vieles aus dem Bewusstsein verloren, verinnerlicht, unverstanden oder auch völlig anachronistisch geworden, dass man ohne ein entsprechendes Verstehen sehr schnell dabei ist, die historisch entstandenen Probleme nur unter einem neuen Anstrich zu wiederholen oder gar noch verbessert zu verschärfen, s. etwa China oder die hiesige Monetarisierung, die die ökonomischen Probleme nicht etwa löst, sondern entwickelt.

Das Sexismus-Problem ist dafür nur ein Beispiel und auch nur ein Element eines umfassenderen Zusammenhangs. Die historische Entwicklung berührt nicht bloß Techniken und äußere Gegebenheiten wie die Sesshaftwerdung und die Urbanisierung, sondern auch den mentalen und den psychischen Bereich, ja selbst die körperliche Ebene. Wenn auch manches davon mit den früheren historischen Fehleinschätzungen verbunden ist, so hat doch Sigmund Freud davon schon einiges bereits vor über hundert Jahren erkannt.

Wenn hier auch immer noch einige Forschungsprobleme bestehen, so verfügen wir doch heute über das Potential, nicht nur die historische Entwicklung, sondern selbst die evolutionäre Entwicklung bis weit über die Humanevolution hinaus zu überblicken. Daraus ist ein völlig anderes Verständnis der Humanevolution und der bisherigen Geschichte entstanden. Die Historiologie ist im Rahmen der Geschichtswissenschaft der entsprechende Fachbereich, die übergreifenden Logiken der historischen Entwicklung zu erschließen.

Die sexistische Problematik der Vokabeln >Mann< und >Frau< wird bei den frühen sumerischen Schriftzeichen (rechts) bestens erkenntlich. Das obere Zeichen steht für >Mann< und stellt nach den Auffassungen entweder einen Oberarm (für Arbeitskraft) oder einen Penis dar.

2 „Dass Indogermanisch und Hamito-Semitisch [heute >Afroasiatisch<] in irgendeiner Weise näher zusammengehören, ist sicher. Der allgemeinste Sprachbau dieser beiden großen Sprachgruppen in Wortbildung, Flexion und Syntax ist sehr verwandt; vor allem sind sie die einzigen Sprachen der Welt, die voll flektierend sind und die eigenartige Erscheinung des grammatischen Geschlechts besitzen.“

Ernst Meyer, in: Anton Scherer: Die Urheimat der Indogermanen, S. 280

1.2 Zu den vorwissenschaftlichen Hintergründen des bisherigen Weltgeschichts-Bildes

Es macht Sinn, zunächst kurz auf die historische Entwicklung des Geschichts-Bildes einzugehen, um die Probleme der immer noch bestehenden vorwissenschaftlichen Hintergründe des gängigen Geschichts-Modells besser sehen und verstehen zu können.

Als Einstieg dazu möchte ich mit einem pointiert formulierten Zitat des israelischen Geschichtsprofessors Yuval Harari beginnen:

„Lange wollte uns die Wissenschaft den Übergang zur Landwirtschaft als großen Sprung für die Menschheit verkaufen und erzählte uns eine Geschichte von Fortschritt und Intelligenz. Im Laufe der Evolution seien die Menschen immer intelligenter geworden. Irgendwann seien sie dann so intelligent gewesen, dass sie die Geheimnisse der Natur entschlüsseln konnten und lernten, Schafe zu halten und Weizen anzubauen. Danach gaben sie begeistert das entbehrungsreiche und gefährliche Leben der Jäger und Sammler auf und ließen sich nieder, um als Bauern ein angenehmes Dasein im Wohlstand zu genießen.

Das ist jedoch ein Ammenmärchen.“ 3

Es sollte mehr als überfällig sein, ein Geschichts-Bild aufzugeben, dass nicht bloß an einigen Stellen Fehler aufweist, sondern sich an dem entscheidenden Ausgangspunkt des Geschichts-Modells als >Ammenmärchen< erweist.

Die Probleme der immer noch gängigen Geschichts-Modelle erklären sich aus der Entstehungsgeschichte der Geschichtswissenschaft sowie daraus, dass wir den erreichten Stand an Wissenschaftlichkeit allgemein gerne überschätzen.

Dabei sind die erreichten Einsichten der Archäologie und Geschichtswissenschaft an sich überaus beträchtlich. Wenn ich dennoch den Stand des gängigen Bildes von Humanevolution und Geschichte mit der Vorstellung von der Erde als Scheibe vergleiche, geht es nicht darum, der bisherigen Forschung Respekt und wissenschaftliches Bemühen abzusprechen.

Freilich galt dieses wissenschaftliche Bemühen auch für die Entwicklungen der geographischen Kartenwerke im 15. Jh. Doch so beträchtlich die wissenschaftlichen Entwicklungen der Geographie im 15. Jh. waren, so änderte dies nichts daran, dass sie noch nicht das wissenschaftliche Endergebnis mit der Erde als Kugel erreichten. Sie konnten bei allem wissenschaftlichen Bemühen zunächst nicht ahnen und auch noch nicht erkennen, dass ihre Voraussetzungen auf Mythologien basierten.