Meine nie Onkel gewordenen Onkel - Christoph W. Rosenthal - E-Book

Meine nie Onkel gewordenen Onkel E-Book

Christoph W. Rosenthal

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Beschreibung

Die nie Onkel gewordenen Onkel: das sind die beiden Brüder des Vaters des Autors Christoph W. Rosenthal, die ihren Einsatz im 2. Weltkrieg nicht überlebten. Der Älteste (*1918) wurde mit 21 einberufen, der Jüngste (*1924) wurde nicht einmal 21. Interessant ist dieses Buch, da das Schicksal des Ältesten von Säugling an in Fotos und in der Kriegszeit in Briefen dokumentarisch gut genug fassbar ist, um es im ganz Konkreten in Fakten und Erleben verfolgen zu können, dass man sich davon berühren lassen kann. Insofern kombiniert dieses reichhaltig mit Foto-Material ausgestattete Buch Romanhaftes, Biographisches, Zeitgeschichte und von dem Heimatbereich her etwas Wuppertaler Stadtgeschiche.

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Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Die Rosenthal-Kinder im Sommer 1929 oder 1930:

Meine nicht Onkel gewordenen Onkel:

links

Hansi

(Jr.)

11. 3. 1918 - 14.7.46 (in Gefangenschaft)

rechts

Helmut

20.02.1924 – vermutlich Januar 1945

in der Mitte mein Vater Wolfgang (1921 – 1985),

alle in Wuppertal-Elberfeld geboren.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Zur historischen und familiären Vorgeschichte

Im 2. Weltkrieg

Zur Kriegsgeschichte meines >Onkels<

Hans Rosenthal

Soldat (1939)

Der Feldzug gegen den Westen (1940)

Die Stationierung in Kiel (1942)

An der Ostfront (ab Dez. 1942)

Die Bombardierung Wuppertals (1943)

Liebe – Beziehung

Das Ende (1944 – 1946)

Zu >Onkel<

Helmut Rosenthal

Zu meinem Vater

Wolfgang

Rosenthal

Die mütterliche Linie und der Krieg

Anhang

Nachwort

Zur Entstehung dieses Buchs

Literatur

1921: >Onkel< Hansi (rechts) mit meinem Vater als Säugling

1941: >Onkel< Helmut (links) mit meinem Vater

Vorwort

Meine nicht Onkel gewordenen Onkel: dies meint die beiden Brüder meines Vaters, die nicht alt genug wurden, um Onkel zu werden, da sie aus dem 2. Weltkrieg nicht zurückkehrten.

Vom rein Wissenschaftlichen her dürfte dieses Buch keine Neuigkeiten enthalten. Das Schicksal meiner >Onkel<, so schrecklich es auch war, enthält in Bezug auf die damalige Zeit nichts wirklich Besonderes. Es ist eher repräsentativ für das Schicksal, das damals viele aus den einfachen Verhältnissen traf.

Doch genau dies könnte von Interesse sein, da die Geschichte des älteren Bruders meines Vaters von Säugling an samt Fotos recht gut dokumentiert ist. Zumal Hansi ein recht hübsches Kind war, finde ich es als sein Neffe sehr berührend, seine kurze Geschichte von seiner Geburt 1918 noch während des Ersten Weltkriegs bis zu seinem eigenen Kriegseinsatz seit 1940 und seinem Tod in Gefangenschaft 1946 so dicht verfolgen zu können. Geboren, um zu töten und zu sterben?

Hansi 1918, laut Notiz auf der Foto-Rückseite 2 Monate alt

Nicht weniger berührt es mich, mit dieser Geschichte so eng in ein „archäologisches“ Dunkel verwickelt zu sein. Das Meiste des hier Dargestellten wurde mir erst durch eine ausgiebige Recherche bekannt.

Doch empfand ich diese Arbeit als überaus lohnend. Die Ergebnisse ließen mich entdecken, dass ich >Geschichte< habe. Es eröffnete ein Verstehen, aus der merkwürdigen Irrealität einer geschichtslosen Existenz herauszukommen, die für mich im Nachhinein etwas von Schnittblumen hat. Auch wenn die hier beschriebenen Ereignisse vor meiner Zeit lagen, so empfand ich diesen Anschluss an meine Vorgeschichte als einen Zugang zu mir selbst. So wurde deutlich, dass man ohne Zugang zu seiner Vergangenheit in einem von der Vergangenheit bestimmten Zustand verfangen bleibt, der die Gegenwart nie wirklich erreicht.

Dass diese Vergangenheit nichts >Ruhmreiches< war und nichts Besonderes aufwies, war wohl letztlich gerade das Gute. Es erleichterte einen nüchternen Blick und eine vollere Wahrnehmung der Geschehnisse.

Gänzlich unbekannt war es mir wohl nicht, dass mein Vater zwei Brüder gehabt hat. Berührt hat mich dieser Sachverhalt erstmalig, als ich selbst mit 18 mit der Wehrpflicht konfrontiert wurde, zumal ich im Kopf hatte, dass der jüngere Bruder bereits mit 17 in den Krieg einberufen wurde, aus dem er nicht wiederkam. Wenn insofern auch die Opfer-Perspektive heraustrat, stellte sich für mich aber auch immer ihre Täterschaft dar, hatten sie auf Hitlers Seite gekämpft. Hier fand ich als Jugendlicher auch die Stellungnahme meines Vaters in dieser Form nicht akzeptabel – an diesem Punkt trat die feudale Obrigkeits-Ideologie ungebrochen heraus -, auch wenn ich an seinem persönlich integren Verhalten in dieser Zeit nicht zweifelte (s. dazu S. → f.).

In diesem Buch geht es um eine dokumentarische Aufnahme der Geschichte meiner nie Onkel gewordenen Onkel aus dem Blickwinkel einer unmittelbaren menschlichen Perspektive. Dies bedeutet nicht, dass ich die Beteiligung an dem damaligen Krieg usw. für wertfrei hielte. Doch sind eben auch vorschnelle Bewertungen als negativ zu bewerten. Die Perspektive des Individuums darf nicht missachtet werden.

Die Dokumentation bedeutet freilich auch nicht, dass ich jede damalige Äußerung okay finde. An manchen Stellen belegt sich, wie die Unmöglichkeit, der Situation etwa im Krieg zu entkommen, bis dahin umschlagen kann, sich nun mit ihr zu identifizieren. Zu welcher Position >Onkel< Hansi im Ergebnis gekommen wäre, wenn er aus dem Krieg zurückgekehrt wäre, ist nicht einzuschätzen.

Mit dieser Dokumentation möchte ich meinen nie Onkel gewordenen Onkeln nun überaus nachträglich noch eine Art Grabstein setzen.

„Schon“ 2010 hatte ich eine solche Dokumentation erstellt, jedoch als Copy-Shop-Produktion, die natürlich nicht über den privaten Rahmen hinauskam. Wo mich inzwischen die Möglichkeit von >Book on Demand< erreicht hat, empfand ich es für mich als >Auftrag<, ihnen wenigstens auf diese – für mich gut machbare – Weise ein Denkmal im wirklichen Sinn des Wortes zu setzen und sie wenigstens in dieser Form dem falschen >Tod< zu entreißen.

Wuppertal, im August 2019

Christoph W. Rosenthal

Die eckigen Klammerzeichen […] zeigen bei Zitaten eine Bearbeitung (Auslassung, Kommentar) von mir [CR] an.

Teach your children well

their father's hell did slowly go by

and feed them on your dreams

the one they pick

the one you'll know by

Teach your parents well

their children's hell

will slowly go by...

Graham Nash, 1970

Das „von A bis Z ruinierte Leben“:

so bezeichnete mein nicht Onkel gewordener Onkel Hansi seine Geschichte, als er Ende 1943 an der Ostfront lag, das Z vor Augen, das auch tatsächlich bald kommen sollte.

Das A dessen begann 1918 mit seiner Geburt noch zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Im Oktober starb seine Mutter Elisabeth mit 24 zumindest in Teilen an den Folgen der damaligen Versorgungsprobleme (s.u.).

Hansi mit Mutter Elisabeth, als Karte im Juli 1918 verschickt. Elisabeth wirkt hier schon etwas ausgezehrt

Hansi 11.7. 1920 (2 ½ Jahre)

Zur historischen und familiären Vorgeschichte

Das >große Tier< in der Familie: Karl Rosenthal (oben Mitte links mit Stieftochter Ella), zuletzt Oberstadtsekretär in Elberfeld. Aufnahme eines Fotographen in Bad Kreuznach mit Kurgesellschaft (nicht Familie), wohl um 1910. Unser Namensgeber Karl Rosenthal ist nicht der leibliche Vater meines Großvaters, sondern als Mann in der 2. Ehe Adoptivvater. Ob er jüdischer Herkunft ist, ist uns nicht bekannt. Konfessionell war er laut der (späteren) Dokumente evangelisch.

Ende Mai 1915: Karl Rosenthal (Mitte, mit Zigarre), 4.1.1852 (Laucha, Kreis Querfurt) – 6.7.1924 (W. Elberfeld).

Die obige Aufnahme steht mit einer Fahrt der Elberfelder Liedertafel (Gesangsverein) nach Brüssel in Verbindung (Aufnahme in der dortigen Umgebung). Abgesehen von den beiden gezeigten >Glanzlichtern<, die sich wohl erst aus der späten Position des >Oberstadtsekretärs< ergaben, ist sonst jedoch von einem >Gehobenen< nichts weiter bekannt. Die Familie lebte, soweit ersichtlich, in einer einfachen Mietwohnung in der Elberfelder Südstadt.

Karl Rosenthal war in den 1890ern Witwer mit drei Töchtern. Seine erste Frau war Anna Straubel. Ob diese die Schwester oder eine Verwandte von Franz Straubel, dem Ziehvater meines Großvaters, war, ist leider auch nicht bekannt. -

Dass der 2. Weltkrieg eine Vorgeschichte und auch der 1. Weltkrieg eine Vorgeschichte haben – etwa in dem 30jährigen Krieg 1618 – 48, in dem die Weltkriegs-Problematik zum ersten Mal effektiv wirksam wird -, ist bekannt.

Doch hat diese Vorgeschichte auch in der familiären Geschichte und in den Sozialisationen ihre Entsprechung. Wir haben heute in Bezug auf den 2. Weltkrieg und den Faschismus in dem Rückblick und Überblick eine andere Perspektive. Das ist jedoch nicht die Perspektive, mit der meine nicht Onkel gewordenen Onkel und mein Vater mit dem Krieg konfrontiert wurden. Will man diese Einstellungen und Empfindungen näher verstehen, muss man einen Blick in diese Vorgeschichte werfen.

Um jedoch nicht zu weit auszuholen, möchte ich bei dem bei dem hier familiengeschichtlich bestimmenden Strang namens Edelhagen einsetzen. In diesem von Heiratspolitik geprägten Clan verdichtet sich die geo- und sozialökonomische Situation der frühen Industrialisierung, die im Raum Wuppertal ein Zentrum hatte. Anscheinend vom Handwerklichen herkommend, kam es in dem Edelhagen-Clan in einigen Zweigen zu einigen Firmengründungen mit größerem Erfolg. In einem dieser älteren Zweige kam mit weiterer Heiratspolitik über eine weibliche Linie (in der sich der Familienname nicht erhielt) in zwei, drei Generationen zu einem recht hohen sozialen Aufstieg, wo angeblich auch eine familiäre Verbindung zu den Krupps entstand. Doch diese Kontexte entschwanden dem unsere Linie bestimmenden Horizont.

Insgesamt bestanden hier Clan-Kontexte, wie sie hier bei uns heute eher bei ausländischer Herkunft bekannt sind. Reichtum und Elend standen hier oft eng neben einander, auch eine lange Lebenszeit und ein mitunter gar sehr früher Tod. Der nachfolgend erfolgreiche Fabrikant Franz Straubel, der Ziehvater meines Großvaters, brachte laut dem notariellen Ehevertrag in seine Edelhagen-Ehe kaum mehr ein als den Anzug, den er trug (was damals nennenswert erschien).

Rechts: Laura Edelhagen mit ihrer ältesten Tochter, verheiratete Straubel, die Ziehmutter meines Großvaters.

Laura war zuletzt die Clan-Mutter in unserem familiären Kontext, da ihr Mann Carl August (*1836/37) bereits um 1905 verstarb. Sie hingegen wurde 96 Jahre alt und lebte bis in die 1930er hinein, dass von daher dieses eine Foto von ihr existiert.

Ursprünglich stammt sie wie ihr Mann Carl August auch aus einfachen Verhältnissen aus (Wuppertal-) Ronsdorf. Als Grund, sie zu heiraten, ist der Spruch überliefert: >Diese Frau kann arbeiten<. Dieses Foto könnte ihren letzten Geburtstag zeigen. Ihre letzte Zeit verbrachte sie in dem >Fürstenzimmer< in der ehemaligen Klinik an der Hardt (Elberfeld).

Auch Carl August Edelhagen, der Großvater meines Großvaters Hans Rosenthal sen. muss in Elberfeld als selbständiger Arbeiter in sehr einfachen, evtl. gar regelrecht ärmlichen Verhältnissen begonnen haben. Doch gelang es ihm wahrscheinlich über die Clan-Verbindungen (evtl. mit einer Erbschaft), nach gut einem Jahrzehnt eine damals recht erfolgreiche Papier- und Kartonfabrik in Elberfeld aufzubauen. Das offenbar gleiche Muster wiederholt sich mit dem Schwiegersohn Franz Straubel, der offenbar aus dem „Nichts“ und der Ferne kam. Möglicherweise fiel dieser in der Papier- und Kartonfabrik als tüchtiger und intelligenter Mitarbeiter („Kassengehilfe“) auf, dass er für die Heiratspolitik in Betracht kam. Mit etwas Kapital wurde in einem Edelhagen-Haus (vermutlich zuerst im Keller) eine kleine Druckerei (vermutlich zuerst nichts als eine kleine Druckmaschine) eingerichtet (1887). Doch mit Beziehungen, Fleiß und auch etwas Erfindergeist kam es in dem damaligen Wirtschafts-Aufschwung bald zu einem florierenden Betrieb.

Nach diesem ersten Treffer stellte sich nun noch ein weit größerer Clou in Aussicht. Die Wuppertaler Familie lernte einen Weinhändler und –Produzenten von der Mosel kennen. Auch hier erscheint ein eheliches Arrangement beidseitig von größtem Interesse. Der Weinhandel bringt Prestige und neue Beziehungen ein, die Wuppertaler mit ihrer zweiten Tochter fettes Kapital, das gerade recht kommt. Der Weinkeller an der Mosel wird beträchtlich vergrößert.

Doch diese Ehe wird eine Katastrophe. Pauline (*5.12.1867), die Mutter meines Großvaters ist bei der Eheschließung Ende 1888 oder Anfang 1889 gerade 21 Jahre alt. Im November 1889 wird mein Großvater Hans Rosenthal (sen.) geboren, 1891 später folgt ein Mädchen (Ella). Dann stürzt die Mutter ab. Sie hält es in der Ferne in dem Kaff an der Mosel nicht aus, wo der – zumal deutlich ältere - Mann vielleicht meistens unterwegs ist und sie eventuell unter zu strenger Fuchtel der Alten steht. Dies wächst zu einer psychischen Erkrankung aus, von der sie den Eindrücken nach bis zu ihrem Tod gezeichnet bleibt.

So ergreift der Vater Carl August >Maßnahmen<. Er organisiert die passenden Mädels für den Scheidungsgrund und holt auch das investierte Kapital wieder heraus, was die Weinfirma und den ehemaligen Ehemann abstürzen lässt. Offenbar gelingt Letzterem eine vorübergehende Lösung durch eine neue Geschäfts-Verbindung. Doch als auch diese Firma pleite ist, ist auch er am Ende. Er kommt in eine Einrichtung, wo er wohl 1910 stirbt. Nach diesem Tod nehmen mein Großvater und seine Schwester Ella den Namen Rosenthal nach dem zweiten Mann ihrer Mutter Pauline an, den die Mutter 1897 heiratet.

Demnach sind sie spätestens 1897 wieder in Wuppertal. Doch alle bleiben von psychischen und gesundheitlichen Schäden betroffen. Es muss zuvor eine schwierige Phase mit Depression, Streitigkeiten, Wirrwarr und Verwahrlosung in der Versorgung der Kinder gegeben haben. Ella, die Schwester meines Großvaters, die nur 1921 einen Sohn bekam, wurde vermutlich keine 40.

Pauline, die Mutter meines Großvaters Hans Rosenthal sen., in einer Familienrunde im Sommer 1917 (= 50. Lebensjahr)

Firma 1985 aufgelöst

Auch mein Großvater: der Vater meiner nicht Onkel gewordenen Onkel und meines Vaters, bleibt ein kleiner hagerer, schwächlicher, kränkelnder und psychisch angegriffener Mann, und dies ist für die Kinder nicht bloß im Krieg eine echte Hypothek.

Offenbar wird er zunächst für eine Zeit bei den Straubels untergebracht, der älteren Schwester seiner Mutter. Da die Straubels kinderlos bleiben, entsteht auch der Plan, dass er der Erbe der Druckerei Straubel werden soll. Für dieses Ziel erhält er zwei Ausbildungen, einerseits zum Kaufmann und andererseits zum Feinmechaniker, zumindest in einem Bereich mit dem Meister-Titel. Vermutlich wird er bereits ab etwa 1910 in der Druckerei Straubel arbeiten, nominell als >Betriebsleiter<, praktisch jedoch meist eher als Handlanger für seinen Onkel.

Diese Situation hat für ihn einen großen Vorteil, aber durchaus auch ihre Tücken. Einerseits erlaubt diese, auf seinen gesundheitlichen Zustand Rücksicht zu nehmen. Doch andererseits entsteht zunehmend das Problem, dass er zwischen zwei Welten gerät. In seinem neuen Elternhaus Rosenthal wird das Musische und Feinsinnige gepflegt. Er selbst scheint mit dem Gedanken gespielt zu haben, Dichter zu werden. Von dort her ist eine Sammlung an Gedichten und >Sinnsprüchen< aus der Zeit zwischen 1910 und 1921 von ihm enthalten, aus der auch einiges über seine Gedanken und Befindlichkeiten hervorgeht.

Dafür besteht bei den Straubels und den übrigen Edelhagen nicht der geringste Sinn. Was hier interessiert, ist allein Geschäftstüchtigkeit. Seinen Gedichten und mehr noch seinen >Sinnsprüchen< zufolge scheinen diese Unterschiede immer stärker in Konflikt zu geraten. Wo er nun als >Betriebsleiter< fungieren sollte, hatte sein Chef Onkel Franz Straubel nicht unbedingt mehr so viel Rücksicht und schon gar kein Verständnis, wenn seine Labilität auch noch durch Gedichte gefördert wurde.

Drei Gärten

Menschen, die der Arbeit unergründlich reichen Segen

Nie erkannten, nie dem süßen Drange freudig obgelegen,

Schaffend eine Welt des Glückes in sich zu erzeugen,

Sanft den stolzen Nacken vor der Arbeit hartem Muss zu beugen,

Gleichen einem Garten ohne Pflanzen, Strauch und Blume,

Sonnenlos, verödet, nur dem Wind zum Spiel und Eigentume.

Doch die Menschen, deren Sinn in arbeitsreichem Leben

Ausnahmslos dem niedern Irdischen geschäftig nur ergeben,

Die der Kunst nie Zeit noch Neigung je entgegenbrachten,

Nein, die auch das Göttliche und Hohe in ihr selbst verachten,

Sind ein Blumengarten frei von Farb` und Maiendüften,

Ohne Freudenflieder aus des Märchenhimmels sonn´gen Lüften.

Wohl dir, Mensch, der Arbeit mit der Kunst recht verbunden

Der des Lebens wirren Wandelns wahre Lösung hat gefunden.

Zwar der tief´re Geist verlanget sehnend nach Gedanken,

Die ins heil´ge Äthermeer des höh´ren, ew´gen Himmels ranken.

Mit der Arbeit ems´ger Kraft doch und der Kunst Idyllen

Wird er weislich wohl des Daseins erste inn´re Leere füllen.

Hans Rosenthal

(unveröffentlicht)

In seinem Elternhaus Rosenthal stand man umgekehrt diesem geschäftlichen Treiben (dem Mutter Pauline zum Opfer gefallen war) distanziert und kritisch gegenüber. Das eigentliche Leben verband man dort mit Natur, dem Musischen und Lyrischen. Hier spielte das Menschlich-Emotionale eine Rolle, die Hans Rosenthal sen. soweit ein Gefühl von Heimat und Person-Sein bot – sonst jedoch nicht. Die Mutter scheint recht stark in einem depressiven Zustand verblieben zu sein. Hans sen. fühlte sich dort nicht aufgehoben, sondern eher gelähmt. Dies verwies ihn immer wieder auf die Tüchtigkeit bei den Straubels und den anderen Edelhagen zurück.

So kam Hans Rosenthal sen. dahin, das Positive beider Seiten in sich vereinigen zu wollen, das Geschäftstüchtige und das Künstlerische. Zunächst wollte er seine Freiräume dafür nutzen, ein Dicht-Werk aufzubauen.

Hans Rosenthal sen., der Betriebsleiter und der Dichter in spe, um 1912

Doch insgesamt scheint er eher in den Widersprüchen zwischen beiden Seiten verfangen geblieben zu sein. Denn was beiden Seiten im Eigentlichen fehlte, war die persönlichmenschliche Komponente, in der er sich aufgehoben fühlen konnte.

Entsprechend tritt das Thema Liebe in den Vordergrund. Mochte er darin einige großartige Gedanken entwickeln, so blieb er doch auf der direkten menschlichen Ebene eher überaus ungeschickt, eher entsprechend seiner Kindheit vermurkst, natürlich auch gerade, wo es um eine Liebes-Beziehung ging. Gerade dort wollte einfach nichts gelingen.

Der Ausbruch des 1. Weltkrieges traf ihn auf die Dauer wohl insofern, als dass sich die wirtschaftliche Situation und entsprechend die Anforderungen in dem Druckerei-Betrieb verstärkten. Die Konflikt-Verschärfung mit Onkel Franz Straubel dürfte in einem guten Maß mit der Kriegssituation in Verbindung gestanden haben. Dies tritt auch in der Wirtschaftskrise 1923 (mit der totalen Inflation) heraus, wo es gar dahin kommt, dass er die Firma verlassen muss.

Doch der 1. Weltkrieg sollte für Hans Rosenthal auch seine Vorteile haben. Seine kränkliche Konstitution erspart ihm den Kriegseinsatz. Dass er im Gegensatz zu vielen Anderen als Arbeitskraft erhalten bleibt, wertet ihn für den Betrieb und damit auch sozial auf.

Es macht den Eindruck, dass er gerade durch diese Situation in dem Betrieb an ein Auto kommt. Möglicherweise hatte er auch schon vor dem Krieg die Aufgabe, Auslieferungen für den Betrieb durchzuführen und bei dieser Gelegenheit in den Gegenden neue Kunden zu werben. Jetzt im Krieg ist dies aber ein besonderes Prestige und angesichts der vielen Männer an der Front seine Chance: er lernt auf diese Weise 1915 oder 1916 eine junge Frau kennen, die im Dezember 1916 seine Frau werden wird.

Mein Großvater Hans Rosenthal und Elisabeth, die Mutter von Hansi, 1916