Homöopathische Arzneimittelbilder - James Tyler Kent - E-Book

Homöopathische Arzneimittelbilder E-Book

James Tyler Kent

4,9
107,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die quellenkritische Übersetzung von Kents Vorlesungen zur homöopathischen Materia medica. Kents Lectures on Homoeopathic Materia medica gehören zu den Klassikern der Homöopathie. Sie ist die wichtigste synthetische Arzneimittellehre der Homöopathie. Das Buch stellt eine hervorragende Einführung in den Kernbestand der homöopathischen Materia medica dar, angereichert mit äußerst wichtigen klinischen Erfahrungen Kents. Die vorliegende Übersetzung überzeugt durch ihre hohe sprachliche und wissenschaftliche Qualität. Eine intensive quellenkritische Textanalyse hat zahlreiche Fehler bereinigt und viele klinische Quellen auf ihr Original zurückgeführt. Die genaue Quellenangabe erfolgt jeweils am Ende eines Symptoms. Neu in der 2. Auflage - Ausgabe in einem Band, - vollkommen stilistisch überarbeitet und korrigiert,

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 2775

Bewertungen
4,9 (16 Bewertungen)
15
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Homöopathische Arzneimittelbilder

Vorlesungen zur homöopathischen Materia medica

James Tyler Kent

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Rainer Wilbrand

2., aktualisierte Auflage

1 Abbildung

Bibliografische Information

der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Anschrift des Übersetzers:

Rainer Wilbrand

Süderfangweg 3

25899 Niebüll

1. Auflage 1998

© 2009 Karl F. Haug Verlag in

MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Oswald-Hesse-Str. 50, 70469 Stuttgart

Unsere Homepage: www.haug-verlag.de

Umschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe

Umschlagfotos: Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart (auch S. XIV); Bruno Vonarburg, Teufen/Schweiz; Dr. Olaf Richter, Butzbach

eISBN 978-3-8304-7562-0

1 2 3 4 5 6

Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesemWerk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht.

Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen.

Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

DasWerk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Inhalt

Einleitung des Übersetzers

Vorwort von J.T. Kent zur ersten Auflage

Vorwort von J.T. Kent zur zweiten Auflage

Verzeichnis der Quellen und Chiffren

Abrotanum*

Aceticum acidum*

Aconitum napellus

Aesculus hippocastanum

Aethusa cynapium

Agaricus muscarius

Agnus castus*

Ailanthus glandulosa

Allium cepa

Aloe

Alumen

Alumina

Ambra grisea

Ammonium carbonicum

Ammonium muriaticum*

Anacardium orientale

Antimonium crudum

Antimonium tartaricum

Apis mellifica

Apocynum cannabinum

Argentum metallicum

Argentum nitricum

Arnica montana

Arsenicum album

Arsenicum jodatum*

Arum triphyllum

Asa foetida

Aurum metallicum

Aurum muriaticum*

Baptisia tinctoria

Baryta carbonica

Baryta muriatica*

Belladonna

Benzoicum acidum

Berberis vulgaris

Borax

Bromium

Bryonia

Bufo

Cactus grandiflorus

Cadmium sulfuricum

Caladium seguinum

Calcarea arsenicosa*

Calcarea carbonica

Calcarea fluorica*

Calcarea phosphorica*

Calcarea sulfurica*

Camphora

Cannabis indica*

Cannabis sativa*

Cantharis

Capsicum

Carbo animalis

Carbo vegetabilis

Carboneum sulfuratum*

Carboneum sulfuratum (Symptomenregister)

Carduus marianus*

Caulophyllum

Causticum

Chamomilla

Chelidonium majus

China

Chininum arsenicosum*

Cicuta virosa

Cimicifuga (inkl. Caulophyllum)

Cina

Cistus canadensis

Clematis erecta

Cocculus indicus

Coccus cacti

Coffea cruda

Colchicum

Colocynthis

Conium maculatum

Crotalus horridus

Croton tiglium

Cuprum

Cyclamen*

Digitalis purpurea

Drosera

Dulcamara

Eupatorium perfoliatum

Euphrasia

Ferrum

Ferrum phosphoricum*

Fluoricum acidum

Gelsemium

Glonoinum

Graphites (1)

Graphites (2)*

Gratiola*

Guajacum*

Helleborus niger

Hepar sulfuris

Hydrastis canadensis*

Hyoscyamus

Hypericum

Ignatia

Ipecacuanha

Jodum

Kalium bichromicum (1)

Kalium bichromicum (2)*

Kalium carbonicum

Kalium jodatum

Kalium phosphoricum*

Kalium sulfuricum*

Kalmia latifolia

Kreosotum

Lac caninum

Lac defloratum*

Lachesis

Laurocerasus*

Ledum palustre

Lilium tigrinum

Lycopodium

Magnesia carbonica

Magnesia muriatica

Magnesia phosphorica

Manganum

Medorrhinum*

Mercurius

Die Quecksilbersalze

Mercurius corrosivus

Mercurius cyanatus

Mercurius jodatus flavus

Mercurius jodatus ruber

Mercurius sulfuricus

Cinnabaris (1)

Cinnabaris (2)*

Mezereum

Millefolium*

Moschus*

Muriaticum acidum*

Naja tripudians

Natrium arsenicosum*

Natrium carbonicum

Natrium muriaticum

Natrium phosphoricum*

Natrium sulfuricum (1)

Natrium sulfuricum (2)*

Nitricum acidum*

Nux moschata

Nux vomica

Opium

Oxalicum acidum*

Petroleum

Phosphoricum acidum

Phosphorus

Phytolacca

Picricum acidum*

Platinum

Plumbum

Podophyllum

Psorinum

Pulsatilla

Pyrogenium*

Ranunculus bulbosus*

Rhododendron*

Rhus toxicodendron

Rumex crispus

Ruta graveolens

Sabadilla

Sabina

Sanguinaria canadensis

Sarsaparilla

Secale cornutum

Selenium*

Senecio aureus

Senega

Sepia

Silicea

Spigelia

Spongia tosta

Squilla

Stannum

Staphisagria

Stramonium

Sulfur

Sulfuricum acidum*

Syphilinum*

Tarantula hispanica*

Theridion*

Thuja

Tuberculinum bovinum

Valeriana*

Veratrum album

Zincum metallicum

Index der Arzneiquerverweise

* Die mit einem * versehenen Mittel sind in der 2. Auflage von 1911 hinzugekommen.

Einleitung des Übersetzers

Kents Arzneimittelbilder wurden zum überwiegenden Teil in dem 1897 von ihm ins Leben gerufenen Journal of Homoeopathics als Vorlesungsmitschriften veröffentlicht. Kent war zu dieser Zeit Professor für Materia medica und homöopathische Theorie an der Post-Graduate School of Homoeopathics in Philadelphia und ab 1900 am Dunham Medical College und Hering Medical College in Chicago. 1905 erschienen die mitstenographierten Vorlesungen dann gesammelt und um viele Arzneimittelbilder bereichert als Lectures on Homoeopathic Materia Medica im Verlag Boericke & Tafel. Aus diesem Anlass hat Kent die Darstellungen gründlich überarbeitet, z. T. auch um ganze Absätze gekürzt. Eine neuerliche Überarbeitung erfuhren sie bei der 2. Auflage, die 1911 herauskam; diesmal fielen die Kürzungen geringer aus, bisweilen hat Kent auch neue Informationen hinzugefügt. Auch diese Buchausgabe wurde wieder um viele Arzneimittelbilder ergänzt (es kamen 43 neue hinzu), die – nach ihrem Stil zu urteilen – aber wohl in der Mehrzahl nicht als Vorlesungen anzusehen sind. 1916 starb Kent, sodass die beiden folgenden Auflagen (1923 und 1932) nur noch unveränderte Nachdrucke der 2. Auflage waren.

1971 wurde das Werk vom indischen B. Jain Verlag auf der Basis der 2. Auflage neu herausgegeben;1 d. h., es wurde vollkommen neu abgeschrieben (wobei bemerkenswert wenig Fehler passiert sind!) und enger gesetzt, um zusätzlichen Platz für die sog. New Remedies zu schaffen. Bei diesen handelt es sich fast ausschließlich um synthetische Darstellungen ungeprüfter Mineralsalze (wie Ferrum arsenicosum, Kalium silicatum etc.), die Kent im Extrapolationsverfahren aus dem Repertorium zusammengestellt hat. Wenn z. B. in einer Rubrik sowohl Kalium carbonicum als auch Silicea vertreten waren, hat Kent angenommen, dass auch Kalium silicatum dieses Symptom eigen ist. So berechtigt dieses Vorgehen sein mag, so wenig kann man allerdings bei den derart entstandenen Symptomenregistern von Arzneimittelbildern sprechen, und gewiss hat Kent sie niemals vor Studenten vorgetragen. Ich gehe hier deshalb näher darauf ein, um einerseits zu begründen, warum ich die New Remedies, die bereits in einer guten deutschen Fassung vorliegen2, bei der vorliegenden Übersetzung nicht mitberücksichtigt habe; andererseits besteht die gleiche Problematik auch bei manchen der von Kent selbst in die 2. Auflage integrierten Arzneidarstellungen. Auch hier finden sich einige Mittel, deren Symptome Kent offenbar zum großen Teil synthetisch gewonnen und nach der alphabetischen Logik des Repertoriums zusammengestellt hat (Beispiele: Arsenicum jodatum, Baryta muriatica). Man würde Kent gewiss unrecht tun, wollte man unterstellen, er hätte seinen Studenten solche Symptomenverzeichnisse als Vorlesungen zugemutet! Da die Qualität der meisten in der 2. Auflage hinzugekommenen Arzneidarstellungen nicht die Anschaulichkeit der Vorlesungen der 1. Auflage erreicht und da es auch zweifelhaft ist, ob es sich bei ihnen überhaupt um Vorlesungen handelt, habe ich es für sinnvoll gehalten, diese im Inhaltsverzeichnis extra zu kennzeichnen.

Um die Notwendigkeit einer Neuübersetzung der Kent’schen Arzneimittelbilder zu begründen, bedarf es einer Auseinandersetzung mit den bisherigen Übersetzungs- und Bearbeitungsversuchen. Einzelne Vorlesungen Kents wurden bereits zwischen 1894 und 1907 in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung veröffentlicht, waren aber meistenteils nicht mit denen der Lectures identisch. 1906 wurde in der Zeitschrift des Berliner Vereines homöopathischer Aerzte (Bd. 25) mit dem fortlaufenden Abdruck der 1905 erschienenen 1. Auflage begonnen, in einer Übersetzung durch Anna Maywald und Dr. Willy Erbe. Letzterer hatte, wie er in einer Fußnote schreibt, die Erlaubnis dazu von seinem »hochverehrten Lehrer« Prof. Kent persönlich erhalten. Die Übersetzung zeichnet sich zwar durch Ausführlichkeit aus, strotzt aber vor Fehlern (mehr als zehn Fehler auf einer Seite sind keine Seltenheit!) und ist in einem haarsträubenden Deutsch verfasst.

Ab 1910 wurde die Zeitschrift von einem neuen Herausgeber unter neuem Namen (Berliner homöopathische Zeitschrift) weitergeführt, und damit wechselte auch der Übersetzer der Kent’schen Vorlesungen. Ab Mitte der Belladonna-Vorlesung wurde die Übersetzung von Medizinalrat Dr. Müller vorgenommen, bis 1919/20 auch diese Serie mit dem Arzneimittelbild von Nux vomica abbrach.

In der nachfolgenden Deutschen Zeitschrift für Homöopathie wurde das Projekt offenbar nicht weiter verfolgt. Die Übersetzung Müllers ist lesbarer und fehlerärmer, dafür ist der Text aber um etwa die Hälfte gekürzt! Benötigte Kent im amerikanischen Original z. B. 20 Seiten, um Calcarea carbonica darzustellen, so genügten Müller ganze 8 (wo es, allein schon bedingt durch die ›längere‹ deutsche Sprache, wenigstens 25 Seiten hätten sein müssen). Dieser Bearbeiter liefert nicht viel mehr als eine ausführliche Inhaltsangabe des jeweiligen Kapitels, die dann alles, was die Bildhaftigkeit und Lebendigkeit der Kent’schen Vorlesungen ausmacht, vermissen lässt.

Die 1958 von Medizinalrat Dr. Heits herausgegebenen Kent’s Arzneimittelbilder stellten schließlich der deutschen Homöopathenschaft erstmals sämtliche in der 2. Auflage enthaltenen Vorlesungen zur Verfügung. Ihr gravierender Nachteil ist, dass sie sich überall da, wo die genannten Vorübersetzungen vorhanden waren, fast ausschließlich auf diese stützten. Das Original wurde so gut wie nie bemüht, sodass jede falsche Übersetzung, der man ihre Fehlerhaftigkeit nicht unmittelbar anmerkte, getreulich, wenn auch meist in besserem Deutsch, wiedergegeben wurde. Welches Maß an medizinisch-übersetzerischem Schlendrian bei Erbe/Maywald vorherrschte, zeigt das Asa-foetida-Symptom »Meteorism of the stomach«, das mit »Blitzartige Schmerzen im Magen« übersetzt wurde – bei Heits findet es sich in gleichem Wortlaut wieder! Auch diemassiven Kürzungen Müllers wurden durchweg beibehalten, sodass hinsichtlich des Umfangs der einzelnen Mittel ein erhebliches Ungleichgewicht eingetreten ist. Die Ergänzungen, die Kent in der 2. Auflage bei einzelnen Mitteln hinzugefügt hat, wurden in der Regel bei den Mitteln bis Nux vomica ebenfalls nicht berücksichtigt.

Die vorliegende Neuübersetzung der Kent’schen Arzneimittelbilder beinhaltet erstmals alle von Kent in Buchform publizierten Vorlesungen (es gibt, über die New Remedies hinaus, noch eine Reihe von Alternativfassungen einzelner Arzneimittelbilder, die Kent in verschiedenen Periodika veröffentlicht hat; sie sollen später gesondert herausgegeben werden), wobei diese zusätzlich quellenkritisch bearbeitet wurden. Bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich darlegen, inwieweit bei der Übersetzung die verschiedenen Fassungen der Lectures berücksichtigt wurden. Grundsätzlich habe ich mich für einen Mix aus allen drei Versionen (Journal of Homoeopathics, 1. und 2. Auflage der Lectures) entschieden, dabei aber aus Gründen der Praktikabilität und der Lesbarkeit auf eine entsprechende Kennzeichnung verzichtet. Oder anders ausgedrückt: Kents ›Letzter Wille‹, die 2. Auflage, ist vollständig enthalten, hier und da aber angereichert durch einzelne Begriffe, Passagen oder auch ganze Absätze aus den vorangegangenen Fassungen, wenn diese zur Verdeutlichung oder zu einem Mehr an Information beigetragen haben. In der Regel handelte es sich bei den von Kent vorgenommenen Änderungen um berechtigte Kürzungen oder um sinnvolle Präzisierungen. Nicht selten war der Vergleichmit den früheren Fassungen aber hilfreich, weil Kent sinnentstellend oder missverständlich gekürzt hatte. Wenn es etwa bei Arum triphyllum in der 1. und 2. Auflage heißt »… aphthous patches, which cover the whole mouth and tongue. It says ›stinging‹, but it is a painful tingling …«, dann ist man geneigt, das »Stechen« mit den Aphthen in Verbindung zu bringen. In Wirklichkeit war Kent beim Zitieren aus den Guiding Symptoms bereits vom Kapitel »Inner Mouth« zum Kapitel »Throat« übergegangen, wo er das Symptom »Stinging burning sensation in throat« erläutern wollte. Die Zuhörer seiner Vorlesung dürften keine Schwierigkeiten gehabt haben, ihn zu verstehen, weil er sie auf das Folgende mit den Worten »In a general way I have said sufficient about the throat. Read the symptoms themselves. It says ›stinging‹ …« vorbereitet hat. Selbstverständlich hat Kent bei der Überarbeitung seiner Texte Fehler in den früheren Fassungen, wo sie ihm aufgefallen waren, korrigiert, ebenso ist es aber auch umgekehrt vorgekommen, dass sich neue Fehler eingeschlichen haben. Lautete z. B. in der Bryonia-Vorlesung (abgedruckt im Journal, Bd. 4) ein Augensymptom aus den Guiding Symptoms noch richtig »Inflammation of eyes and lids, especially in newborn infants«, so wurde in den Buchversionen aus lids »lips«. Oder: Bei Cocculus heißt es in der 1. Auflage noch richtig »Chorea, attacks of paralytic weakness …«, während in der 2. Auflage aus Chorea »Cholera« wird. Auch Fehler, die beim Satz des Textes passiert sind, konnten aufgedeckt und durch den Vergleich mit den früheren Versionen richtiggestellt werden (siehe z. B. die sechste Fußnote im Arsenicum-Kapitel der vorliegenden Ausgabe, hier). Auf Irrtümer, die nur in der indischen Ausgabe der Lectures aufgetreten sind, habe ich in der Regel nicht extra hingewiesen (so muss es z. B. bei Alumen [S. 65 der indischen Ausgabe von 1988, 13. Zeile v.o.] statt »patients« painters heißen), auf die übrigen habe ichmittels einer Fußnote aufmerksam gemacht. Ich glaube, die genannten Beispiele zeigen hinreichend, dass ich mich bei der Neuübersetzung nicht allein auf die ›Ausgabe letzter Hand‹, die 2. Auflage, verlassen durfte.

Nach dem Vergleich der verschiedenen Fassungen der Lectures folgte die quellenkritische Untersuchung des Textes, die mit der Rückführung der Symptome auf die von Kent selbst benutzten Quellen begann. Nachmeiner Einschätzung bestehen die Lectures, als Ganzes gesehen, zu mehr als einem Drittel aus Zitaten, wovon allerdings nur die wenigsten als solche ausgewiesen sind. Bei den einzelnen Arzneimittelbildern kann deren Anteil zwischen 20 und 95 % betragen, wobei die großen Polychreste eher mit wenigen Zitaten auskommen, während die ›kleinen‹ Mittel manchmal fast ausschließlich aus solchen bestehen. An den von Kent zitierten Werken wiederum sind die zehnbändigen Guiding Symptoms (GS) von Hering (bzw. seinen Nachfolgern Raue, Knerr und Mohr) mit über 90 % beteiligt. In einzelnen Fällen hat er daneben u.a. aus Allens Encyclopedia und aus The Twelve Tissue Remedies von Boericke und Dewey zitiert, bisweilen auch aus eigenen Nachträgen in seine durchschossenen GS-Exemplare. Die Struktur der GS-Kapitel war für Kent der Leitfaden für den Aufbau seiner Vorlesungen, wobei er aber mit den allgemeinen Symptomen und Modalitäten am Ende der Kapitel begann, um dann mit den psychischen Symptomen und den nachfolgenden Lokalsymptomen fortzufahren. Ohne den ständigen Vergleich der Kent’schen Arzneimittelbilder mit den Symptomen aus den GS hätte ein großer Teil des Textes nicht richtig übersetzt werden können (wie das Beispiel aus dem vorigen Abschnitt zeigt). Ich nehme an, dass die meisten Zuhörer Kents ihren eigenen GS-Band dabei hatten, um seinen Ausführungen besser folgen zu können. Viele Symptome wurden von ihm nämlich nur stichwortartig angeführt, sodass ich beim Übersetzen nicht selten den Eindruck hatte, Kent setze voraus, dass diese von seinem Publikum in ihrer Ganzheit mitgelesen werden. Zum Teil diente diese knappe Art der Darstellung natürlich auch der schärferen Charakterisierung der Arzneien, und ich habe deswegen bei der Übertragung keineswegs immer eine Vervollständigung dieser ›Symptomfragmente‹ angestrebt. Insgesamt aber ist meine Übersetzung etwas breiter und ausführlicher angelegt, denn im Gegensatz zum damaligen Zuhörer hat man als Leser ja die Möglichkeit, jederzeit innezuhalten und den Stoff zu rekapitulieren.

Den größten Zeitaufwand bei der Übersetzung bedeutete der Versuch, die GS-Symptome auf die wiederum ihnen zugrunde liegenden Quellen zurückzuführen; dies ist mir in den meisten Fällen gelungen, selbst bei vielen klinischen Symptomen, aus denen die GS bekanntlich zu einemguten Teil bestehen. Die Tatsache, dass auch die klinischen Quellen berücksichtigt wurden, bedingte ein verfeinertes Kennzeichnungssystem, damit die Symptome in ihrem ursprünglichen Kontext überhaupt aufzufinden und zu verifizieren sind. Es wäre wenig sinnvoll gewesen, etwa für ein klinisches Symptom aus der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung, die zur Zeit Kents (sagen wir 1900) bereits 70 Jahrgänge (= 140 Bände) erlebt hatte, eine einzige Ziffer als Chiffre anzugeben – niemand hätte damit etwas anfangen können.

Daher habe ich bei fast allen Quellenchiffren eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen gewählt, wobei die Zahlen entweder eine Symptomnummer (z. B. bei den Werken Hahnemanns), einen Paragraphen (z. B. beim Lehrbuch der Homöopathie von Grauvogl) oder eine Seitenzahl (z. B. bei der AHZ) bedeuten können. So steht beispielsweiseAZ65,17 für AHZ, Bd. 65, Seite 17. Bei Werken hingegen, in denen die Symptome relativ einfach zu finden sind, wie z. B. bei den Guiding Symptoms (GS), habe ich auf Seitenangaben ganz verzichtet. Desgleichen erscheinen z. B. die Werke Hahnemanns (Chronische KrankheitenCK, Reine ArzneimittellehreRA) dann ohne Symptomnummer, wenn es sich um klinische oder sonstige Angaben aus dem Vorspann handelt. Über die Bedeutung der Chiffren und der in ihnen enthaltenen Zahlen gibt das Verzeichnis der Quellen und Chiffren (S. XV) detailliert Auskunft. Ich hoffe, dass die zahlreichen Quellenangaben die Lesbarkeit des Textes nicht allzu sehr beeinträchtigen. Der kleine Nachteil, den diese mit sich bringen, wird m.E. bei Weitem aufgewogen von den Vorteilen: Zum einen kann man etwaige Unklarheiten leicht durch das Nachschlagen im Original beseitigen, zum anderen – und das wiegt gewiss schwerer – bedeuten sie ein höheres Maß an Sicherheit bzgl. der Richtigkeit des betreffenden Symptoms. Wo auch immer Übersetzungsfehler vorhanden sein mögen – hier sind sie am wenigsten zu erwarten!

Als letztes, etwas umfangreicheres Beispiel dafür, wie wichtig es ist, homöopathische Texte quellenkritisch zu durchleuchten, möge eine Passage aus dem Allium-cepa-Kapitel der Lectures dienen. Dort heißt es in der 2. Auflage (ohne Anführungsstriche): »Fluent coryza with headache, tears from the eyes, want of appetite, cough and trembling in the open air.« Der Vergleich mit der 1. Auflage zeigt, dass hier (offenbar beim Setzen) eine Zeile ausgelassen worden ist, denn der letzte Teil des Symptoms lautet dort: »… cough and trembling of the hands; feels hot and thirsty; worse evenings and indoors, better in the open air.« Obwohl Kent dieses Symptom hier nicht in Anführungsstriche gesetzt hat, handelt es sich doch um ein fast wörtliches Zitat aus den Guiding Symptoms; dort heißt es nämlich: »Fluent coryza, with headache, tears from eyes, feels hot and thirsty, with want of appetite; cough and trembling of hands; < evenings and in-doors; > in open air.« Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Unterschiede in der Interpunktion! Hering hat (in Anlehnung an Jahr) in den GS bei jenen Symptomen, die er aus verschiedenen Quellen unter einem gemeinsamen Oberbegriff (hier: »Fluent coryza«) zusammengefaßt hat, deren unterschiedliche Herkunft durch ein Semikolon gekennzeichnet. Hierbei ist es leider sehr häufig zu Fehlern gekommen: statt eines Semikolons wurde ein Komma gesetzt (oder umgekehrt). So ist es auch im vorliegenden Fall. Ein Vergleich mit den originalen Symptomen in den Amerikanischen Arzneiprüfungen (in die auch klinische Beobachtungen mit eingegangen sind) ergibt, dass »cough« und »want of appetite« zusammengehören, d. h., sie sind bei einer Patientin im Zusammenhang mit Fließschnupfen aufgetreten. Korrekt muss der Eintrag in den GS daher lauten: »Fluent coryza: with headache, tears from eyes, feels hot and thirsty; with cough and want of appetite; with trembling of hands; < evenings and indoors; > in open air.« Oder wie ich es hier übersetzt habe: »FließschnupfenAA172: mit Kopfweh, Tränen der Augen, Hitze und DurstAA162; mit Husten und AppetitmangelAA170; mit Zittern der HändeAA541; schlimmer abends und in der Stube, besser im FreienAA163.«GS

Abschließend noch ein paar Bemerkungen zur Orthographie und zu den Quellenangaben. Bei wörtlichen (und mit Anführungszeichen versehenen) Zitaten deutschsprachiger Quellen habe ich die alte Rechtschreibung beibehalten und nur gelegentlich die Interpunktion verändert, wenn dadurch größere Klarheit erreicht und Missverständnisse vermieden werden konnten. Heute unverständliche oder ungebräuchliche Ausdrücke wurden in eckigen Klammern oder in Fußnoten erläutert. Auf eine Besonderheit bzgl. des Gebrauchs der Anführungszeichen muss an dieser Stelle hingewiesen werden: Damit Zitate oder zitierte Begriffe leichter von ungewöhnlich verwendeten Wörtern oder Fügungen unterschieden werden können, habe ich, abweichend von der Norm, Letztere nur in einfache Anführungszeichen gesetzt. Innerhalb von zitierten Passagen kommt diesen jedoch im Regelfall wieder ihre normale ›Zitat-im-Zitat-Funktion‹ zu. Quellenchiffren, die am Ende eines Satzes oder Symptoms nach dem Punkt oder nach dem Anführungszeichen erscheinen, beziehen sich auf den ganzen Satz bzw. auf das ganze in Anführungszeichen gesetzte (u.U. mehrsätzige) Symptom. Quellenchiffren innerhalb eines Satzes dagegen gelten entweder nur für die mit ihnen versehenen Wörter oder auch für die davor gelegenen Satzteile (Symptomfragmente); ihre Gültigkeit erlischt mit dem Auftauchen einer anderen Chiffre oder eines Semikolons, spätestens aber mit dem Satzanfang (vgl. z. B. das GS-Symptom aus dem vorigen Abschnitt).

Die überaus große Wertschätzung, die die Kent’schen Vorlesungen von Beginn an bei fast allen namhaften Homöopathen erfahren haben, habe ich nie so recht nachvollziehen können – bis ich im Rahmen meiner Übersetzung der Homöopathischen Arzneimittelbilder Margaret Tylers erstmals begann, die Texte Kents im Original zu lesen. Welch ein Unterschied zu der mir einigermaßen geläufigen, aber ungeliebten deutschen Fassung! Wie verständlich wurde plötzlich vieles, und wie gut lesbar war das alles formuliert! Es entstand der Wunsch, diesen Kent gründlich zu studieren und zugleich durch eine neue Übersetzung auch den deutschsprachigen Homöopathen (und interessierten Laien) zur Verfügung zu stellen, ja ans Herz zu legen – sofern sie nicht ohnehin schon immer den ›englischen Kent‹ bevorzugt haben – was, wie ich mittlerweile erfahren habe, nicht wenige taten. Aber auch sie werden von der geringeren Fehlerhaftigkeit profitieren, was die von Kent benutzten Quellen betrifft, zumal hinsichtlich der zahlreichen deutschsprachigen Quellen, die den Guiding Symptoms – Kents Hauptquelle – mehrheitlich zugrunde liegen. Ich hoffe nur, ich habe auch den originären Kent – den Kent jenseits aller Zitate und fremden Quellen – so wiedergegeben, dass der Geist, der aus seinen Vorlesungen spricht, erkennbar geblieben ist.

***

Zehn Jahre nach dem Erscheinen der dreibändigen Ausgabe der Homöopathischen Arzneimittelbilder James Tyler Kents wird das Werk nun in einbändiger Form herausgebracht. Ich habe es zu diesem Zweck noch einmal vollständig stilistisch überarbeitet und auf Fehler untersucht.

Bedingt durch die hohe Startauflage sind die Wirren der ersten Rechtschreibreform an diesem Buch vorübergegangen, d. h., es konnte ohne Umwege von der alten Rechtschreibung in die nunmehr deutlich moderatere neue Rechtschreibung übertragen werden. Verlag und Übersetzer haben sich dabei weitgehend an den (gelegentlich abweichenden) Empfehlungen der Duden-Redaktion orientiert.

Ich danke allen Beteiligten seitens des Karl F. Haug Verlags für die gute Zusammenarbeit während des Überarbeitungsprozesses. Und dem Leser wünsche ich, dass ihm das Studium der Kent’schen Arzneimittelbilder – trotz ihres ›Schwergewichts‹ – nicht schwerfallen möge.

Niebüll, im Dezember 2008

Rainer Wilbrand

1 Zumindest stammt das Vorwort von Dr. Jugal Kishore aus diesem Jahr; mir liegt nur der Reprint von 1988 vor.

2 J.T. Kent: Neue Arzneimittelbilder der homöopathischen Materia medica. Übers. v. Willi Leßmann. 4. Aufl., Heidelberg: Haug; 1997.

Prof. James Tyler Kent

Vorwort zur ersten Auflage

Diese Vorlesungsreihe über die homöopathische Materia medica wurde an der Post-Graduate School of Homoeopathics in Philadelphia gehalten. Manche Vorlesungen sind bereits früher im Journal of Homoeopathics erschienen, doch habe ich sie für dieses Buch noch einmal gründlich überarbeitet. Von einigen Studenten dringend gebeten, habe ich mich – wenn auch gegen meine Neigung – entschlossen, den Vorlesungscharakter beizubehalten. Die Sprache dieser Vorlesungen ist bewusst einfach gehalten, weil m.E. die Arzneimittel so am besten zu erlernen sind. Es ist schließlich die Sprache des Laien, durch die der Arzt in der Praxis von den Krankheiten erfährt; deshalb muss sich auch die Materia medica einer einfachen Sprache bedienen, Fachausdrücke sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Die Form der Darstellung der einzelnen Mittel folgt keinem bestimmten Muster, denn um das Charakteristische jeder Arznei herauszuarbeiten, bedarf es jeweils einer etwas anderen Herangehensweise. Natürlich konnte in diesen Vorlesungen nicht die ganze Materia medica durchgenommen werden; nur die wichtigen und gut geprüften Arzneien, die sich durch charakteristische Eigenschaften auszeichnen, wurden berücksichtigt, um an ihnen zu demonstrieren, wie die Materia medica entwickelt und nutzbringend angewendet werden sollte. Es gibt auch andere Methoden, die Arzneimittel zu studieren, aber die von mir gewählte scheint mir der natürlichste Weg zu sein, den Studenten einen nachhaltigen Eindruck von der Natur jeder dieser Arzneien zu vermitteln. Es kann aber auch sein, dass es mir nur deswegen so erscheint, weil dies die einzige Art und Weise ist, wie ich es tun könnte. Die zahlreichen Wiederholungen charakteristischer Symptome werden dem Werk möglicherweise Kritik eintragen, aber die Erfahrung hat mir gezeigt, dass der Anfänger nur so ein bleibendes Verständnis der Arzneien erlangen kann.

Hahnemanns Reine Arzneimittellehre, Herings Guiding Symptoms und Allens Encyclopedia of Pure Materia Medica waren die Werke, auf die ich bei diesen Studien am meisten zurückgegriffen habe.

Die Vorlesungen werden nicht als Abrisse der homöopathischen Arzneien dargeboten, sondern lediglich als Untersuchungen hinsichtlich einiger ihrer hervorstechendsten Eigenschaften. Regelrechte Kompendien der einzelnen Mittel würden weit über das hinausgehen, was ich mir als Ziel gesetzt habe. Wenn nur einige der Studenten und jüngeren Ärzte in diesem Werk die Hilfe fänden, nach der sie gesucht haben, so wäre das alles, was ich erwarten kann. Es gibt keinen Königsweg zu einem vollkommenen Verständnis der Materia medica. Es ist eine öde Sache und bestenfalls eine ziemliche Plackerei – aber auch nicht mehr als bei jeder anderen großen Wissenschaft. Viele werden angesichts der schieren Größe dieser Aufgabe scheitern, auch wenn es um das Retten von Leben und das Lindern von Leiden geht; dennoch wird dies manche nicht davon abhalten, ihre Dienste den Menschen anzubieten, ihrer Unwissenheit sehr wohl bewusst und auch offen zugebend, dass die Methoden, die sie anwenden, unangemessen, nutzlos und oftmals zerstörerisch sind. Andere wiederum werden bekunden, dass sie nicht an den Wert solch sorgfältiger Analysen von Arzneisymptomatologien glauben; wenn ihnen dann aber irgendeine einfache Methode angeboten wird, mit der man angeblich schnell zur Meisterschaft auf diesem Gebiet gelangen kann, werden sie stürmisch zugreifen, nur um bald darauf erneut in ihre verabscheuungswürdige primitive Abneigung zu verfallen – und dann vorzugeben, dass ihnen die Trauben zu sauer seien.

Die homöopathische Materia medica kann durch gründliches Studium im Verein mit ihrer Anwendung erlernt werden. Doch kann sie nur verstanden, nicht aber auswendig gelernt werden. Alle, die dies versuchen wollten, müssten schmählich scheitern. Damit man sie stets im Geiste parat hat, muss sie fortwährend und korrekt angewandt werden. Das beständige Studium der Materiamedica, unterstützt durch den Vergleich mit einem möglichst vollständigen Repertorium, ist die einzige Möglichkeit, sich ein gutes, praxisbezogenes Wissen anzueignen. Voraussetzung für das Erlernen der Materia medica ist aber auch das Beherrschen von Hahnemanns Organon; anschließend ergänzen sich die Materia medica und das Organon gegenseitig. Das Organon, die Symptomatologie (Materia medica) und ein umfassendes Repertorium müssen die ständigen Wegbegleiter des Homöopathen sein, wenn seine Verordnungen eine solide und dauerhafte Grundlage haben sollen.

Alle diejenigen, die die Gründe für die in diesen Arzneimittelbildern angesprochenen Methoden [Hierarchisierung der Symptome, etc.] untersuchen wollen, seien auf das Kapitel über den Wert der Symptome in meinen Lectures on Homoeopathic Philosophy1 verwiesen.

29. Oktober 1904

108 N. State St., Chicago

James Tyler Kent

1 In deutscher Sprache erschienen unter folgenden Titeln:

1. Zur Theorie der Homöopathie. J.T. Kents Vorlesungen über Hahnemanns Organon (übers. von Jost Künzli von Fimmelsberg). 4. Aufl., Heidelberg: Haug; 1996.

2. Kent’s Organon-Kommentar. Einführung in die klassische Homöopathie (übers. von Max Tiedemann). Celle: Verlag des Niedersächsischen Instituts für homöopathische Medizin e.V.; 1992.

Vorwort zur zweiten Auflage

Diese Vorlesungen wurden zunächst aufgrund der zahlreichen Bitten von Studenten publiziert, die sie im College gehört hatten. Mittlerweile besteht die Nachfrage nach einer zweiten Auflage, welche den umgangssprachlichen Stil beibehält, wie ihn der Autor im Hörsaal gepflegt hat. Viele Mittel sind neu hinzugekommen, und das ganze Werk wurde nochmals überarbeitet. Einige Arzneien werden auch in einer vollkommen neuen Form dargeboten bzw. so, wie ich sie in späteren Vorlesungen präsentiert habe.

Zwar ist die Pathogenese – das ›Symptomenregister‹ – eine unverzichtbare Form der homöopathischen Materia medica, doch ist es für die Studenten, die einer solchen Aufzählung im Hörsaal folgen sollen, äußerst schwer, daraus eine einprägsame ›Idee‹ der Arznei herauszudestillieren. Der Autor hat, was die Präsentation und Anordnung der Symptome betrifft, eine quasiklinische Methode gewählt, um so ein deutlicheres Bild jeder Arznei hervortreten zu lassen. Auf diese Weise können die Studenten ein Arzneimittel sowohl als Ganzes wie in seinen Teilen verstehen lernen, ohne das das Gedächtnis, das an einer medizinischen Hochschule ohnehin stark beansprucht ist, übermäßig strapaziert und ermüdet wird. Das ›Symptomenregister‹ wird immer die beste Form für ein Nachschlagewerk bleiben, doch aus meiner langen Lehrtätigkeit weiß ich, dass viele Studenten, die Arzneien aus solchen Pathogenesen nicht begreifen können, die Materia medica sehr gut erlernen, sobald sie ihnen in einer quasiklinischen und umgangssprachlichen Form dargeboten wird.

Wenn diese Vorlesungen wenigstens ein paar homöopathische Ärzte in die Lage versetzten, zu einem tieferen Verständnis unserer Polychreste zu gelangen, dann hätte sich schon alles erfüllt, was ich mir davon erhofft habe. Es ist davon auszugehen, dass sich der menschliche Geist von jeder Arznei nur ein allgemeines Bild machen und einprägen kann. Darüber hinausgehende spezifische Überlegungen, wie sie oft bei der Beurteilung komplexer Symptomengruppen angestellt werden müssen, sei es daheim in der Praxis oder am Krankenbett, können daher in der Regel nur unter Zuhilfenahme eines Repertoriums zum passenden Mittel führen.

1. Sept. 1911

92 State St., Chicago

James Tyler Kent

Verzeichnis der Quellen und Chiffren

Abrotanum

Artemisia abrotanum; Eberraute

Abrotanum ist ein sehr wertvolles Mittel, das häufiger eingesetzt zu werden verdient. Sein Wirkungskreis überschneidet sich in weiten Teilen mit dem von Bryonia und Rhus toxicodendron, dennoch haben seine Symptome ein eigenes, individuelles Gepräge. Rheumatische Erkrankungen mit Herzbeteiligung; Nasenbluten; Blut im Urin; Angst und Tremor – all dies bei rezidivierenden Diarrhöen in der Vorgeschichte. Einem abrupt zum Stillstand gebrachten Durchfall pflegen in Fällen, die Abrotanum benötigen, die genannten Symptome nachzufolgen. Oder es entwickeln sich heftige Herzbeschwerden, wenn bei irgendeinem Gelenk gewaltsam der Rheumatismus unterdrückt wird; in dieser Beziehung hat es viel Ähnlichkeit mit Ledum, Aurum und Kalmia

Bei Marasmus von Kindern ist Abrotanum ein sehr nützliches Mittel und ziemlich häufig angezeigt. Die Abmagerung beginnt an den unteren Extremitäten und schreitet dann allmählich nach oben fort, sodass das Gesicht als Letztes betroffen ist; dies ist die entgegengesetzte Richtung von Lycopodium, Natrium muriaticum und Psorinum.

Das Mittel hat Pleuritis geheilt, nachdem Bryonia, das angezeigt schien, versagt hatte. Eine Frau lag mit Herzschmerzen, Atemnot, Angst und kaltem Schweiß im Bett, umgeben von ihren Angehörigen, die überzeugt waren, dass sie sterben werde. Wie sich herausstellte, hatte sie viele Monate an Rheumatismus eines Kniegelenks gelitten, hatte sich an Krücken durchs Haus geschleppt und war, nur wenige Tage vor dem jetzigen Anfall, durch ein starkes Einreibemittel rasch ›geheilt‹ worden. Abrotanum stellte ihre Gesundheit umgehend wieder her.

Abrotanum hat geschwürsartig brennende Magenschmerzen mit verdächtigem Erbrechen1 hervorgerufen und geheilt.

Metastasis2 ist ein herausragendes Merkmal bei Abrotanum. Die Verwandlung einer sog. Krankheit in eine andere sollte stets an Abrotanum denken lassen. Eine Entzündung der Parotiden (Mumps), die auf die Hoden oder Brustdrüsen übergeht, wird im Allgemeinen durch Carbo vegetabilis oder Pulsatilla geheilt; wenn diese aber nicht ›greifen‹, bringt nicht selten Abrotanum den Fall zum Abschluss.

Eine plötzlich unterdrückte Diarrhö, die von Hämorrhoiden, akutem Gelenkrheumatismus und den erwähnten Blutungen gefolgt wird, ist ein weiterer Hinweis auf die Richtigkeit dieses Metastasis-Phänomens.

Der Abrotanum-Patient reagiert empfindlich auf kalte Luft und feuchtkaltes Wetter. Er leidet sehr unter Rückenschmerzen, und seine Symptome verschlimmern sich im Laufe der Nacht.

Bei Knaben heilt Abrotanum Hydrozelen im Bereich der Hoden, bei Neugeborenen Blutungen aus dem Nabel.

Es besteht entweder Durchfall oder Verstopfung; Letzteres ist mit rheumatischen Beschwerden verbunden, Ersteres mit relativem Wohlbefinden. Je mehr der Durchfall nachlässt, desto mehr nimmt das Leiden des Patienten zu. Durchfall bedeutet für ihn die größte Linderung, ähnlich wie es bei Natrium sulfuricum und Zincum der Fall ist.

Hier und da heftige Schmerzen, vor allem im Bereich der Ovarien und Gelenke.

1 Wahrscheinlich ist Hämatemesis hiermit gemeint, als Hinweis auf ein Ulcus ventriculi.

2 D. h. die Verlagerung von Krankheitsprozessen von einem Organ zu einem anderen.

Aceticum acidum

Essigsäure

Aceticum acidum kommt bei Beschwerden blasser, kränklich aussehender Menschen in Betracht. Es sind Patienten, deren Konstitution seit vielen Jahren geschwächt ist und die den Keim der Schwindsucht seit ihrer Geburt in sich tragen. Abmagerung, Schwäche, Anämie, Appetitlosigkeit, brennender Durst und reichlicher, blasser Harn: diese Symptomenkombination verlangt nach Aceticum acidum. Hitzegefühl, mit Pulsieren am ganzen Körper, kommend und gehend, wie Blutwallungen; Chlorose bei jungen Mädchen; ausgedehnte AnasarkaEN103; üble Folgen von Insektenstichen und Bissen von Tieren: all dies ist durch das Mittel geheilt worden. Essig ist ein altes Heilmittel gegen üble Nachwirkungen von Chloroform. Es ist von Nutzen bei Neigung zu Hämorrhagien.1 Blutungen aus diversen Schleimhäuten – Nase, Magen, Rektum, Lungen – sowie aus Geschwüren. Kälteempfindlichkeit.

Geistige Verwirrung; erkennt niemanden, nicht einmal ihre eigenen Kinder; kann sich selbst an jüngste Geschehnisse nicht erinnern. Schreckliche Angstzustände; macht sich ständig unnötige Sorgen; glaubt, es werde etwas Schlimmes passieren. Gereizt, verdrießlich, beklagt sich fortwährend.

Ohnmachtsanfälle bei schwachen, anämischen Personen. Bleiches, wächsernes Gesicht. Kopfschmerzen. Nasenbluten. Eine Wange blass, die andere rot [während der ZahnungGS]. Diphtherische Beläge im Rachen oder Kehlkopf, mit unstillbarem Durst. Empfindlicher Magen. Erbrechen von Blut, von jeglichen Speisen. Magengeschwür. Heißes oder saures Aufstoßen. Schaumiges Erbrechen. Nagender Schmerz im Magen. Auftreibung des Magens, mit beständigem Aufruhr darin. Heftig brennende Schmerzen im Magen und AbdomenEN36, besser beim Liegen auf dem Bauch.

Starke Bauchschmerzen; Meteorismus, Flatulenz; Aszites. Abdomen berührungsempfindlich, schmerzt bei Berührung wie wund. Blutige, dünnflüssige Durchfälle, können auch ganz aus Blut bestehen; profuse Hämorrhoidalblutungen. Chronische Diarrhö.

Reichlicher, hellfarbiger Urin. Aceticum acidum hat Diabetes (mit oder ohne Glukosurie) geheilt, verbunden mit großem Durst, Schwäche, Blässe und Gewichtsverlust.

»Sehr schwächende Pollutionen.«AJ8,222 Erschlaffte Genitalien und geschwollene FüßeEN87.

»Metrorrhagie.«GS Reichliche oder wässrige Regelblutung. Spärliche Menstruation, mit Chlorose.

Schwäche des Larynx. Krupp infolge Diphtherie. Das Mittel hat viele Fälle von Kehlkopfdiphtherie geheilt. Heiserkeit, mit blasser Schleimhaut im Bereich des Kehlkopfes. Chronischer Reizhusten bei kränklichen, blassen Individuen mit tuberkulinischer Veranlagung; mit Ödemen in den Gliedmaßen, Durchfallneigung, Atembeklemmung und/oder Nachtschweißen. Hämoptyse. »Brennender Schmerz in der Brusthöhle und Magengegend.«MA3,343 Schleimrasseln in der Brust. Chronische Bronchitis.

Lähmige Schwäche und Mattigkeit der Glieder, in Verbindung mit rheumatischen oder ödematösen Schwellungen. Beinödeme und Diarrhö.

Aceticum acidum ist ein tief und konstitutionell wirkendes Mittel, das sich, wenn es besser erforscht ist, als sehr nützlich erweisen wird. Alle Substanzen, die Bestandteile unserer Ernährung sind bzw. als solche missbraucht werden, können zu wichtigen Heilmitteln werden, wie z. B. Essig, Kaffee, Kochsalz, etc. In hartnäckigen, chronischen Fällen sollten wir, öfter als wir es tun, auf diese Arzneien zurückgreifen.

1 Im Original heißt es »haemorrhagic constipation«, was keinen Sinn ergibt; zweifellos ist haemorrhagic constitution gemeint.

Aconitum napellus

Sturmhut

Aconitum ist ein kurzwirkendes Mittel. Seine Symptome halten nicht lange an. In größeren Dosen ist es ein gewaltiges Gift, dessen Auswirkungen aber, sofern sie das Leben nicht zerstören, sehr bald vorübergehen, sodass die Genesung, falls der Patient sich erholt, nicht lange auf sich warten lässt. Chronische Krankheitsoder Vergiftungsfolgen treten nicht auf. Aconitum ist wie ein gewaltiger Sturm, der über das Land wütet und dann ebenso rasch nachlässt, wie er gekommen ist. Es bedarf keiner großen gedanklichen Anstrengung, um herauszufinden, welche Art von Krankheit diesem Bild entspricht und welche Art von Patient am ehesten dazu neigt, derart unvermittelt und kurzzeitig zu erkranken. Erfahrung und homöopathische Beobachtung lehren uns, dass kräftige, plethorische Menschen, wenn sie sich erkälten, sehr schnell und heftig erkranken, während schwache und kränkliche Menschen ganz anders reagieren: Bei ihnen tritt die interkurrente Krankheit weitaus weniger plötzlich auf, sie verläuft nicht so intensiv, und auch die Erholungsphase dauert wesentlich länger. Aus dieser Erfahrung sowie der Untersuchung der plötzlichen Wirkungen des Aconit können wir unmittelbar schließen, dass es plethorische Menschen sein müssen, die sich Aconitum-Krankheiten zuziehen. Kräftige, abgehärtete Erwachsene und robuste Kinder werden nicht so schnell krank, aber wenn, dann richtig, keine geringfügigen Erkältungen. Normale Kälteexposition macht ihnen nichts aus; um sie krank werden zu lassen, bedarf es schon einer rechtmassiven Kälteeinwirkung: bei völlig unzureichender Kleidung, durch plötzliche, extreme Temperaturschwankungen oder durch längeren Aufenthalt im Freien bei kaltem, trockenem Nordwind [in Mitteleuropa: Ost- und Nordostwind]. Noch vor Einbruch der Nacht liegen sie mit heftiger Symptomatik darnieder. Diese Art von Patienten ist es, die Aconitum benötigt – die plethorischen und energiegeladenen Individuen, die ein starkes Herz, eine kräftige Blutzirkulation und einen wachen Geist haben und die nach einer extremen Kälteeinwirkung ganz plötzlich erkranken.

Keines der Phänomene, die gewöhnlich auf entzündliche Affektionen folgen, ist der Natur von Aconitum eigen. Der Sturm geht so schnell vorüber, dass das Mittel hauptsächlich dem Frühstadium der Entzündung zu entsprechen scheint. Plötzliche Kongestionen werden bei diesen kraftvollen Patienten mit großer Wahrscheinlichkeit von der guten Abwehrkraft abgeschüttelt. Man hat den Eindruck, der Patient befinde sich in unmittelbarer Lebensgefahr, aber die Genesung geht sehr schnell vonstatten. Es ist eben, wie Carroll Dunham es beschreibt, wie ein gewaltiger Sturm, der sich aber rasch wieder legt. Dunhams Darstellung dieses Mittels in seinen Lectures on Materia Medica ist sehr anschaulich und höchst lesenswert.

Wenner sich trockenem, kaltem Wind ausgesetzt hat, kann der Aconitum-Patient urplötzlich von den verschiedensten Beschwerden heimgesucht werden. Ein Beispiel hierfür sind die plethorischen Kinder, die auf einmal an Gehirnkongestion mit Krämpfen oder hohem Fieber leiden. Jedes Organ des Körpers kann uns die Plötzlichkeit und Heftigkeit dieses Mittels illustrieren, das Gehirn, die Lungen, die Leber, das Blut, die Nieren. Aconitum passt sowohl zu den Beschwerden, die mitten im Winter bei eiskaltem Wetter plötzlich entstehen, als auch zu denen, die sich im Hochsommer bei sehr heißem Wetter einstellen. Es hat die Lungen- und Hirnaffektionen des Winters gleichermaßen wie die Magenverstimmungen und Darmentzündungen des Sommers. Wir wissen, wie leicht diese vollblütigen Menschen sich erhitzen und wie heftig sie davon krank werden können. Ihre anfallsartig auftretenden Leiden sind schrecklich mit anzusehen. All die entzündlichen Zustände sind verbundenmit einer erheblichen Zunahme der Blutzirkulation, stark beschleunigter Herztätigkeit, ungeheurem ›Aufruhr‹ im Gehirn sowie heftiger Gemütserschütterung und großer Furcht.

Die Gemütssymptome, die wir bei Aconitum-Zuständen so gut wie immer antreffen, stehen deutlich im Vordergrund. Der Patient fühlt die Heftigkeit seiner Krankheit, denn das Nervensystem ist außerordentlich erregt und gereizt. Angst und Furcht stehen ihm ins Gesicht geschrieben, und das Herz pocht so gewaltig, dass er den Eindruck haben muss, er werde wohl nicht mehr lange zu leben haben; es muss der Tod sein, wovor er sich fürchtet – seine Gesichtszüge spiegeln es deutlich wider. Er sagt: »Lassen Sie, Herr Doktor, es hat ja doch keinen Sinn; ich werde bald sterben.« Oftmals sagt er sogar die genaue Todesstunde voraus. Befindet sich eine Uhr im Zimmer, kann er etwa behaupten, wenn der Zeiger da und da stehe, werde er bereits eine Leiche sein. Wenn wir es in einem Fall mit so tiefgehenden Befürchtungen, so entsetzlicher Angst, so großer Ruhelosigkeit und mit so heftigen und plötzlichen Anfällen zu tun haben, dann handelt es sich entweder um jemanden, der mit einer Aconit-Vergiftung im Sterben liegt, oder – wahrscheinlicher – um jemanden, der Aconit als Heilmittel benötigt. Ein Patient, dessen Krankheitsbild Ähnlichkeit mit dem Aconit-Vergiftungsbild zeigt, bedarf ebendieses Aconits in der geringstmöglichen Dosierung. Und vergessen Sie nicht: es ist ein sehr kurzwirkendes Mittel.

Um welchen Teil des Körpers es sich auch handeln mag, fast stets finden sich entzündliche Zustände. Doch ist es nicht die Lokalisation der Entzündung, auf die es ankommt; entscheidend ist die äußere Erscheinung des Patienten, so wie ich sie Ihnen beschrieben habe. Der Gesichtsausdruck, die Gemütssymptome, die Unruhe, die Intensität der Symptome: das sind die als Erstes ins Auge fallenden Symptome des Aconitum-Patienten. Es gibt noch viele andere Gemütssymptome bei Aconitum, im Vergleich zur Angst und Todesfurcht sind sie jedoch weitaus weniger bedeutsam; sie werden von diesen alles überragenden, besonders charakteristischen Symptomen gewissermaßen überdeckt oder maskiert. Jede Zuneigung zu den ihm Nahestehenden ist ihm abhanden gekommen.GS Es ist ihm egal, was aus ihnen wird; er bringt nicht das mindeste Interesse für sie auf. Manchmal gerät der Patient in einen Zustand völliger Gleichgültigkeit.

Ein Symptomenbild wie das hier dargestellte hat, wie Sie unschwer erkennen werden, in der ganzen Materia medica nicht seinesgleichen; mit welchem Mittel Sie es auch vergleichen mögen, Sie finden es nur bei Aconitum. Sie werden einzelne Merkmale auch bei anderen Arzneien entdecken, aber das Gesamtbild finden Sie nur bei Aconitum. Jedes der Gemütssymptome zeichnet sich durch eine große Intensität aus. Befindet sich der Patient im Delirium, so ist es ein sehr heftiges Delirium, mit großer Erregtheit, mit Furcht, mit Angst; er weint im DeliriumSK5 oder heult, als würde er die größten Qualen erleiden. Große Aufregung, Furcht, Todesfurcht – man fragt sich, was es wohl sein mag, worüber er all die Tränen vergießt! Auch alle möglichen anderen Stimmungen werden von der Aconitum-Furcht mit geprägt. Ob es das Stöhnen ist, das Jammern, die Reizbarkeit, der Zorn – mit dem Bedürfnis, Dinge in die Ecke zu werfen –, all dies ist zugleich mit der typischen Angst und Heftigkeit des Mittels verbunden. Diese beiden überragenden Merkmale färben auf alle übrigen Symptome ab.

»Schreit vor Schmerzen …«GS – dies zieht sich durch das gesamte Arzneimittelbild. Die Schmerzen sind messerartig stechend oder schneidend. Das Ausmaß der Aconitum-Leiden ist in der Regel ungeheuer groß; bei Neuralgien beispielsweise sind die Schmerzen von kaum noch vorstellbarer Intensität. Der Patient hat die Befürchtung, eine tödliche Krankheit habe ihn befallen, anders kann er sich seine schrecklichen Qualen nicht erklären. In den Guiding Symptoms heißt es: »Sagt seinen Sterbetag voraus.«(SK5) Dieses Symptom hängt zu einem nicht geringen Teil mit den entsetzlichen Leiden zusammen, die ihn zu überwältigen scheinen. Und dieses psychische Bild ist stets zugegen, bei entzündlichen Zuständen jedes beliebigen Körperteils – Entzündungen der Lungen, der Nieren, der Leber, des Darms, etc.

Schwindel ist ein Merkmal, das im Beschwerdebild des Aconitum-Patienten ebenfalls selten fehlt. »Sie konnte vor Schwindel kaum ins Bett kommen, wobei alles mit ihr im Kreise umher ging.«AR4,1,162»Es ist ihr drehend im Kopfe, so daß sie ihn gar nicht bewegen darf …«RA4 Eine Frau sieht sich auf ihrem Einkaufsweg plötzlich einem großen Hund gegenüber, und ihr wird daraufhin so schwindelig, dass sie nicht einmal zu ihrem Wagen zurückfindet. »Schwindel als Folge von Schreck1 – von plötzlicher, heftiger Furcht –, wobei das Angstgefühl des Schreckens längere Zeit bestehen bleibt.« Dieses Übrigbleiben eines Rests an Angst lässt aber stärker noch an Opium denken. »Beschwerden von Furcht [Schreck], u.a. Gehirnentzündung, Schwindel.« Selbst Kongestionen einzelner Teile als Folge von Furcht [Schreck]. Das ganze Sensorium des Aconitum-Patienten ist arg in Mitleidenschaft gezogen. »Wie trunken; es geht alles mit ihr rund herum, sie torkelt beim Gehen, als sollte sie umfallen …«RA5

Die Kopfschmerzen von Aconitum sind kaum zu beschreiben, mit solcher Heftigkeit treten sie auf. Reißendes Brennen im Gehirn und in der Kopfhaut, verbunden mit Fieber, Furcht und qualvoller Angst; Kopfschmerz infolge einer Erkältung oder Unterdrückung eines Schnupfens. Der Katarrh hört bei plethorischen Menschen plötzlich auf zu fließen, durch Kälteexposition, besonders durch Fahren im kalten, trockenen Wind, wie er für unser nördliches Klima im Winter so typisch ist. »Heftiger Kopfschmerz, auf eine kleine Stelle über dem linken Augenbrauenbogen beschränkt.«ÖZ1,2,98 »Gehirnkongestion: mit klopfendem, kongestivem Kopfschmerz, mit Angst, mit heißem Gesicht.«

Es gibt zahlreiche Symptome, die bei Augenaffektionen an Aconitumdenken lassen, so z. B. plötzliche Augenentzündungen, kongestionierte oder blutunterlaufene Augen. Sämtliche Gewebe können von der akuten Entzündung betroffen sein; Konjunktivitis etc. als Folge von Erkältung oder Einwirkung kalten, trockenen Windes.

Eine Lehre, die lange Zeit im Schwange war, lautet: Man verabreiche Aconitum für das erste Stadium einer Entzündung. Doch obwohl der Lehrsatz in fast allen unseren Lehrbüchern zu finden ist, ist diese Art des Vorgehens nicht zu empfehlen. Sie berücksichtigt nicht die Konstitution des Patienten und ebenso wenig die Ursache der Entzündung. Machen Sie sich diese Praxis nicht zu eigen! Suchen Sie, falls möglich, nach weiteren Aconitum-Indikationen – oder geben Sie eine passendere Arznei. Ein anderer Irrglaube, der sich teilweise bis heute erhalten hat, ist der, Aconitum bei jeder Art von Fieber für angezeigt zu halten. Für viele unserer ersten ›Routinehomöopathen‹ war Aconitum das Fiebermittel schlechthin – doch es ist eine üble Praxis.

Die Augenentzündung von Aconitum tritt so plötzlich in Erscheinung, dass man sich fragt, wie dies in so kurzer Zeit wohl möglich ist. Die Augen schwellen stark an, ohne jede katarrhalische Absonderung; allenfalls findet sich etwas wässriger Schleim. Die akuten Entzündungen, die mit einem dicken Sekret einhergehen, sind niemals Aconit. Das Mittel hat keine der üblichen Entzündungsfolgen, lediglich eine starke Anschwellung, die ebenso schnell vergeht, wie sie gekommen ist. Auch hier wundert man sich, wie eine derartige Schwellung so rasch wieder verschwinden kann. Augenaffektionen, die im Begriff sind, sich zu einem späteren Entzündungsstadium zu entwickeln, benötigen stets ein anderes Mittel. Bei einer fieberhaften Erkrankung dürfen Sie Aconitum nicht in Erwägung ziehen, wenn Sie nicht das deutliche Bild eines Aconitum-Patienten vor sich haben. Bei einem Aconitum-Fieber besteht u.a. Lichtempfindlichkeit. »Große Ruhelosigkeit bei Fieber.« Die Augen sind starr, die Pupillen zusammengezogen. In den Guiding Symptoms heißt es: »In den Frühstadien heftiger, akuter Entzündungen von tiefer liegenden Geweben des Augapfels …« Dieser Eintrag ist klinischen Ursprungs und stellt eine fragwürdige Meinung dar. Geben Sie Aconitum nur, wenn die Symptome übereinstimmen – nicht für irgendein Stadium und auch nicht für das Frühstadium. Eine Entzündung, die einen längeren Verlauf nimmt, die in Eiterung überzugehen oder an Schleimhäuten Eiter abzusondern droht, wird Ihnen niemals Symptome von Aconitum darbieten. Geben Sie Aconitum auch niemals bei Blutvergiftung, bei septischen Zuständen, wie wir sie bei Scharlach, Typhus etc. sehen. In solchen Fällen finden Sie keines der für Aconitum so typischen heftigen Symptome. Die nervöse Erregtheit ist nicht vorhanden, sondern das gerade Gegenteil: Sopor, Trägheit, bläulichrote Hautverfärbung – bei Aconitum ist die Haut leuchtendrot. Aconitum kommt nicht in Betracht bei den zymotischen2 Krankheiten, den langsam entstehenden und kontinuierlichen Fiebern. Es hat keinerlei Symptome, die diesen schleichenden Fieberverläufen entsprechen. Das Aconitum-Fieber besteht gewöhnlich aus einer einzigen kurzen, aber heftigen Fieberattacke. Insofern steht es auch in keiner Beziehung zum intermittierenden Fiebertyp. Bei einem Anfall von Wechselfieber könnten Sie eventuell einmal irregeführt werden, doch spätestens beim nächsten Fieberanfall wissen Sie, dass Aconitum nicht in Frage kommt. Einige Arzneien zeigen eine periodische Wiederkehr oder ein wellenförmiges Auf und Ab der Symptome – nicht so Aconitum. Das heftigste Fieber muss, wenn Aconitum das passende Mittel ist, nach einer Nacht vorüber sein. Ist es das nicht, dann ist es bedauerlich, dass Sie den Fehler gemacht haben, es zu geben, denn es kann durchaus auch einmal Schaden anrichten. Alles, was Ihnen bei einer Erkrankung an Symptomen begegnet, muss bei der Arzneiwahl mit berücksichtigt werden, nicht nur das, was eine Arznei abdeckt, sondern auch das, was sie nicht abdeckt.

Aconitum hat Entzündung der Augen, mit Brennen und plötzlicher Geschwulst; die Lider schwellen so rasch und in einem solchen Ausmaß an, dass sie nur mühsam geöffnet werden können, und wenn man sie gewaltsam an den Lidern auseinanderzieht, quellen heiße Tränen hervor – aber kein Eiter. Dieser Zustand kann bei einer Erkältung sehr schnell entstehen. Wo immer sich bei Aconitum Schleimhautoberflächen entzünden, besteht die Neigung zum Austritt blutig-wässriger Flüssigkeit; die Blutgefäße und Kapillaren werden plötzlich lokal gestaut und lassen ein serös-hämorrhagisches Exsudat austreten; einzelne Gefäße können auch reißen.

Entzündungen der Ohren treten ebenso plötzlich auf. »Pochende, heftige, schneidende Schmerzen im Ohr.« Ein Aconitum-Kind, das unzureichend angezogen draußen im kalten, trockenen Wind gespielt hat, kommt schreiend nach Hause und hält sich die Hand vors Ohr. Die Beschwerden entstehen, wenn es tagsüber im Freien war, spätestens am selben Abend, verbunden mit Fieber und so großer Angst, dass man es die ganze Zeit auf dem Arm tragen muss. Das Kind leidet fürchterlich. »Das mindeste Geräusch ist ihm unerträglich«RA523; so empfindlich ist das Gehör, dass ihm selbst Musik durch alle Glieder fährt.RA524 Am ganzen Körper finden wir diese extreme Überempfindlichkeit der Nerven. Wo auch immer sich Beschwerden einstellen, sie sind intensiv und heftig, und der Patient befindet sich stets in einem Zustand großer Angst und Reizbarkeit. »Stechende, brennende, reißende, schneidende Schmerzen im Ohr.«

Von manchen Kollegen wird Aconitum auch als Routinemittel bei jedem etwas stärkeren Erkältungsschnupfen eingesetzt; andere wiederum sind in dieser Hinsicht besonders freizügig im Verabreichen von Nux vomica. Tatsächlich können beide wunderbare Heilmittel bei Erkältungsschnupfen sein – wenn sie angezeigt sind. Wenn der Schnupfen mit heftigen Kopfschmerzen einhergeht und gleich in der ersten Nacht nach der Verkühlung plötzlich auftritt, wird er schnellstens durch Aconitum kupiert. Der Carbo-vegetabilis-Schnupfen beispielsweise entwickelt sich erst mehrere Tage nach der Kälteexposition; ähnlich ist es beim Sulfur-Schnupfen. Der Carbo-vegetabilis-Patient zieht sich auch dann einen Schnupfen zu, wenn er zu warm angezogen ist, z. B. wenn er, und sei es nur für kurze Zeit, in einem Zimmer den Mantel anbehält. Der Aconitum-Patient geht typischerweise zu leicht bekleidet in die Kälte hinaus und erkrankt, aufgrund seiner plethorischen Konstitution, noch vor Mitternacht.

Besonders häufig aber ist Aconitum bei Schnupfen von Babys indiziert – von rosigen, pummeligen, plethorischen, nicht von blass und kränklich aussehenden Babys. Diese blassen Kinder erkranken später; ihre Lebenskraft ist so schwach, sie reagieren so träge, dass sie manchmal erst nach zwei oder drei Tagen Beschwerden entwickeln. Wenn Sie zwei Geschwister, das eine kränklich, das andere robust, der Kälte aussetzen, dannwird Letzteres noch in der folgenden Nacht Krupphusten bekommen – und Aconitum brauchen –, das andere aber erst amnächsten Morgen erkranken – und Hepar sulfuris benötigen.

Symptome, die häufig den Aconitum-Schnupfen begleiten, sind Nasenbluten, Kopfschmerzen, Angst und Furcht. Der ängstliche Gesichtsausdruck ist eines der ersten Zeichen, die sie bei einem Aconitum-Patienten beobachten können. Eine Aconitum-Pneumonie lässt sich oft schon am Gesicht ablesen. Betrachten Sie immer genau das Gesicht Ihrer Patienten! Viele Prüfungssymptome von Aconit, besonders natürlich die große Angst, stehen dem Patienten ins Gesicht geschrieben. Vieles von dem, was im Körper vor sich geht, können Sie schon am Gesichtsausdruck erkennen; das Gesicht erzählt Ihnen einen Großteil der Geschichte. Sei es Freude, Trauer oder Sorge – auf den ersten Blick sehen Sie, dass dem Patienten etwas Bedeutsames widerfahren ist. In der Regel brauchen Sie nicht lange zu raten, dann haben Sie es getroffen. Beim Aconitum-Patienten ist es die Angst!

Bei einer ganzen Reihe von Mitteln finden wir »Röthe und Hitze der einen und Kälte und Blässe der andern Wange …«RA470