Honor Harrington: Ehre unter Feinden - David Weber - E-Book

Honor Harrington: Ehre unter Feinden E-Book

David Weber

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Beschreibung

Manchmal ist es für Admiral Lady Dame Honor Harrington alles andere als leicht zu entscheiden, wer der Feind wirklich ist. Trotz politischer Gegener, beruflicher Eifersüchteleien und des Skandals, der sie ins Exil trieb, erhält sie eine Chance, wieder das Weltraumschwarz und Gold der Royal Manticorans Navy zu tragen und ihre Karriere in der Flotte ihrer Geburtswelt erneut aufzunehmen. Die Sache hat nur einen Haken. Wieder gewöhnlicher Captain, muß sie das Kommando über ein "Geschwader" aus aufgemotzten bewaffneten Handelsschiffen übernehmen, deren Besatzungen sich aus dem Bodensatz der Flotte rekrutieren. Ihr Auftrag: irgendwie die Raumpiraten zu stoppen, die sich den Krieg gegen Haven zunutze machen, um wie die Wölfe über die Handelsschiffe des Sternenkönigreichs herzufallen. Und Honor ist sorgsam für diese Mission ausgewählt worden - von zwei unversöhnlichen und sehr einflußreichen Erzfeinden. So wie diese es sehen, hält Honor entweder die Piraten auf, oder die Piraten töten Honor - wie es auch ausgeht, Honors Feinde gewinnen.

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Seitenzahl: 899

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EhreunterFeinden

Roman

Ins Deutsche übertragen vonDietmar Schmidt

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Honor Among Enemies

Copyright © 2000 by David Weber

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2000/2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

All rights reserved

Titelillustration: David Mattingly / Agentur Thomas Schlück GmbH

Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg

E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-0962-8

Sie finden uns im Internet unterwww.luebbe.de

Bitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

Für BomburWenn Katzen Hände hätten,dann wäre er Nimitz gewesen.

Sternenkarte

Silesian Confederacy ‡ Silesianische Konföderation

Tyler's Star ‡ Tylers Stern

Sharon's Star ‡ Sharons Stern

Posnan ‡ Poznan

In der Legende: 15 LY ‡ 15 Lichtjahre

SILESIANISCHE KONFÖDERATION

Prolog

»Skipper, wir haben ein Problem.«

»Was gibt’s denn, Chris?« Captain Harold Sukowski, Kapitän des Frachters Bonaventure unter der Flagge der Hauptmann-Linien, blickte rasch auf, als sein Erster Offizier die Meldung in so angespanntem Tonfall vorbrachte, denn in der Silesianischen Konföderation entpuppten sich »Probleme« zuweilen ohne weitere Warnung als tödliche Gefahr. Schon immer war das Raumgebiet der Konföderation gefährlich gewesen; seit etwa einem Jahr jedoch entwickelte sich die Lage merklich zum Schlimmeren. Sukowski spürte, dass ringsum die Brückencrew erstarrte, und gleichzeitig beschleunigte sich sein Puls. Dass die Bonaventure dem Ziel so nahe gekommen war, ohne auf Schwierigkeiten zu stoßen, ließ die plötzliche Krise um so bedrohlicher erscheinen. Erst vor zehn Minuten hatte die Bonaventure ihre Transition in den Normalraum hinter sich gebracht, und die G0-Sonne des Telmach-Systems lag nur zweiundzwanzig Lichtminuten voraus. Diese Entfernung bedingte auch eine Signalverzögerung von zweiundzwanzig Minuten, und die Abteilung der Silesianischen Navy im Telmach-System war ohnehin nicht mehr als ein Witz; im Grunde war die gesamte Navy der Konföderation lachhaft. Selbst wenn Sukowski den Kommandeur des Detachements rechtzeitig hätte kontaktieren können, wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein einziges Schiff in einer Position gewesen, aus der es hätte eingreifen können.

»Jemand nähert sich uns rasch von achtern, Skip.« Während sie sprach, nahm Commander Hurlman nicht den Blick vom Display. »Sieht ziemlich klein aus – höchstens siebzig oder achtzig Kilotonnen –, hat aber einen Kompensator in Militärausführung. Der Bogey liegt achtzehn Komma drei Lichtsekunden zurück, ist aber jetzt schon zwotausend Kps schneller als wir und zieht gut fünfhundertzehn Ge.«

Sukowski nickte grimmig. Er verfügte über genügend Erfahrung, um ohne weitere Ausführungen den Ernst der Lage zu begreifen. Sein Kapitänspatent hielt er seit über dreißig T-Jahren, und er war außerdem Commander der Reserve in der Royal Manticoran Navy. Mit sechs Millionen Tonnen und den für Handelsschiffe üblichen Trägheitskompensatoren und Impellern war die Bonaventure für jedes Kriegsschiff ein nahezu unbewegliches Ziel. Ihr maximal erzielbarer Schub betrug gerade 201 g, und die Partikelabschirmung begrenzte ihre Höchstgeschwindigkeit auf 0,7 c. Wenn der Verfolger über militärtaugliche Partikelschirme verfügte, die zu seinem Antriebssystem passten, dann beschleunigte er nicht nur doppelt so hoch, sondern konnte zudem bis zu achtzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreichen.

Und deshalb besaß die Bonaventure nicht die geringste Fluchtchance.

»Wie lange, bis er uns einholt?« fragte Sukowski.

»Knapp zwoundzwanzigeinhalb Minuten, selbst wenn wir mit Maximalschub beschleunigen«, antwortete Hurlman knapp. »Dann sind wir ungefähr zwölftausendsiebenhundert Kps schnell, aber er hat fast neunzehntausend erreicht. Wer das auch immer ist, abschütteln können wir ihn jedenfalls nicht.«

Sukowski nickte erschüttert. Er war doppelt so alt wie Christina Hurlman, aber sie gehörte wie er zu den Kielplatteneignern der Bonaventure, den Mitgliedern der Crew, die das Schiff nach der Fertigstellung in Empfang genommen hatten. Sie hatte als Vierter Offizier begonnen, und wenn Sukowski es auch niemals eingestanden hätte, so betrachteten seine Frau und er dennoch Chris als die Tochter, die ihnen niemals vergönnt gewesen war. Tief in seinem Innersten hatte der Kapitän immer gehofft, dass sie und sein Zweitältester eines Tages ein Paar würden. So jung Chris für ihren Rang auch sein mochte, sie verrichtete sehr gute Arbeit, und in der Einschätzung der gegenwärtigen Lage stimmte Sukowski völlig mit ihr überein.

Natürlich beruhte die Hochrechnung auf einem Abfangkurs mit minimalem Zeitaufwand, den der Bogey kaum einschlagen würde. Vielmehr würde er abbremsen, um seinen Geschwindigkeitsüberschuss zu verringern, sobald feststand, dass die Bonaventure ihm nicht mehr entkommen konnte. Auch das Schicksal von Sukowskis Schiff stand bereits fest. Was immer geschah, vermochte das Unausweichliche nur unwesentlich hinauszuzögern.

Harold Sukowski zermarterte sich verzweifelt das Hirn nach einer Möglichkeit, sein Schiff zu retten – aber es gab keine. Dabei hätte sich Raumpiraterie eigentlich nie und nimmer auszahlen dürfen. Selbst der gewaltigste Frachter war angesichts der riesigen Leere des interstellaren Weltraums nicht mehr als ein Staubkörnchen, aber wie die Ozeanschiffe von Alterde folgten auch die Weltraumhändler bekannten Routen, denn die Gravwellen, auf denen die Sternenschiffe durch den Hyperraum ritten, diktierten diese Routen ebenso sehr wie die vorherrschenden Winde auf Terra die Wege der alten Rahsegler vorgegeben hatten. Kein Pirat konnte vorhersagen, an welcher Stelle genau ein bestimmtes Sternenschiff die Alpha-Transition in den Normalraum machte, aber er kannte grob die Zone im All, in der alle Schiffe ihre Transition vornehmen mussten. Wenn er sich nur lange genug auf die Lauer legte, würde schon ein armer, unglücklicher Kerl innerhalb seiner Abfangreichweite auftauchen, und diesmal hatte es die Bonaventure erwischt.

Unhörbar, aber bitter fluchte der Kapitän vor sich hin. Wäre die Silesianische Navy auch nur einen Furz in einem Raumanzug wert gewesen, dann hätte ihm der Unbekannte egal sein können. Zwei oder drei Kreuzer … – verdammt noch mal, selbst ein einziger Zerstörer, der die Transitzone überwachte, vertrieb jeden Piraten in sicherere Gefilde! Leider erinnerte die Silesianische Konföderation mehr an eine Reaktorkernschmelze, die sich in vollem Gang befand, denn an eine Sternennation. Die schwache Zentralregierung – wenn man sie denn ›Regierung‹ nennen wollte – plagte sich ununterbrochen mit abtrünnigen Separatistenbewegungen. Kriegsschiffe waren ständig Mangelware, und die Piraten innerhalb des Raumgebietes der Konföderation waren stets informiert, wo diese Schiffe gerade eingesetzt wurden, und suchten sich andere Jagdgründe. Diese Situation war altbekannt; geändert hatte sich in jüngster Zeit nur die Präsenz der Royal Manticoran Navy, die früher den Handelsverkehr des Sternenkönigreichs in Silesia geschützt hatte.

Die meisten manticoranischen Kampfschiffe waren abgezogen worden, weil sie im Krieg zwischen der Manticoranischen Allianz und der Volksrepublik Haven benötigt wurden, und so gab es niemanden, den Harold Sukowski nun um Hilfe bitten konnte.

»Rufen Sie den Mistkerl, Jack«, befahl er. »Verlangen Sie, dass er sich identifiziert und sagt, was er will.«

»Jawohl, Sir.« Der Signaloffizier schaltete das Mikrofon an seiner Station ein und sprach mit klarer Stimme: »Unbekanntes Sternenschiff, hier spricht der manticoranische Frachter Bonaventure. Bitte identifizieren Sie sich und nennen Sie Ihre Abschichten.« Vierzig endlose Sekunden verstrichen, während der rote Punkt auf Hurlmans Display sich weiterhin mit zunehmender Geschwindigkeit näherte, dann zuckte der Signaloffizier mit den Achseln. »Keine Antwort, Skipper.«

»Habe ich nicht anders erwartet«, seufzte Sukowski. Einen Augenblick lang starrte er auf die Sonne Telmach, die er fast erreicht hätte, dann machte er eine resignierende Gebärde. »Also gut, Leute, ihr wisst, was ihr zu tun habt. Genda«, wandte er sich an seinen Leitenden Ingenieur, »bevor du verschwindest, unterwirfst du deine Abteilung meiner Konsole. Chris, du beaufsichtigst den Ausstieg. Abzählen, und ich will eine Bestätigung hören, dass alle in den Booten sind, bevor ihr ablegt.«

»Aber Skip …« begann Hurlman, doch Sukowski schüttelte heftig den Kopf.

»Ich sagte, ihr wisst, was ihr zu tun habt! Jetzt raus mit euch, zum Teufel, solange wir noch außer Reichweite der Raketen sind!«

Hurlman zögerte. Ihr Gesicht gab ihre Unentschlossenheit preis. Seit mehr als acht T-Jahren diente sie unter Sukowski, das war fast ein Viertel ihres Lebens. Die Bonaventure war die einzige Heimat, die sie in diesen Jahren gekannt hatte, und es fiel ihr nicht leicht, das Schiff aufzugeben und ihren Skipper zurückzulassen. Sukowski war sich dessen durchaus bewusst, und deswegen bedachte er sie mit einem ungerührten, zwingenden Blick.

»Du bist jetzt für die Leute verantwortlich, also setz deinen Hintern in Bewegung, verdammt noch mal!«

Noch immer zögerte Hurlman, dann schließlich nickte sie ihm steif zu und fuhr zum Brückenlift herum.

»Ihr habt den Skipper gehört!« rief sie mit rauer Stimme, die vor Zerknirschung und Schuldgefühl verzerrt klang. »Bewegt euch, verdammt!«

Sukowski sah ihnen hinterher, dann beschäftigte er sich mit seiner Konsole. Lieutenant Kuriko hatte den Technischen Leitstand bereits Sukowskis Kontrolle unterworfen; der Kapitän gab weitere Befehle ein und übernahm auch das Ruder. In seinem Magen spürte er Leere und aufkommende Übelkeit, und er sehnte sich mit jeder Faser seines Seins danach, Chris und den anderen folgen zu können. Doch er war der Kapitän der Bonaventure und für Schiff, Besatzung und Ladung verantwortlich. Die Chance, dem Hauptmann-Kartell diese Ladung zu erhalten, war verschwindend gering, doch sie existierte, besonders falls der Angreifer sich als Freibeuter bezeichnete und sich nicht offen zur Piraterie bekannte. Wenn aber auch nur diese winzige Chance bestand, dann war es Harold Sukowskis Pflicht, sie zu nutzen. Diese Pflicht musste er zum einen wegen seines Ranges erfüllen, und …

Ein Piepen ertönte. Sukowski drückte den Comknopf.

»Sprich«, sagte er knapp.

»Zählung abgeschlossen und überprüft, Skip«, meldete Hurlman. »Ich habe alle in Hangar Sieben.«

»Dann schaff’ sie raus, Chris – und ich wünsche euch viel Glück.« Sukowskis Stimme klang nun viel sanfter.

»Aye, aye, Skipper.« Deutlich vernahm er das Zögern in ihrer Stimme und spürte, dass sie noch etwas hinzufügen wollte. Aber die Stimme versagte ihr, und es klickte im Lautsprecher, als sie die Verbindung beendete.

Sukowski blickte aufs Display und stieß vor Erleichterung einen langen Seufzer aus, denn ein kleiner, grüner Punkt erschien darauf. Der Shuttle gehörte zu den großen Frachtfähren der Bonaventure und besaß einen Antrieb, der so stark war wie der eines Leichten Angriffsbootes. Im Gegensatz zu einem LAC war der Shuttle allerdings unbewaffnet. Mit vierhundert Gravos schoss er davon, langsamer als der Verfolger, aber doppelt so schnell wie das Mutterschiff. Die Piraten würden wenig erfreut sein, wenn sie sahen, wie die Crew entkam, mit der sie ihre Beute zu bemannen hofften, aber die Bonaventure und der Shuttle waren noch immer außerhalb der Reichweite für einen Angriff mit manövrierfähigen Raketen, so dass die Raider nichts dagegen unternehmen konnten. Auf keinen Fall würde ein Pirat einen Shuttle verfolgen und dafür einen Sechs-Megatonnen-Frachter entkommen lassen. Außerdem, dachte Sukowski bitter bei sich, werden sie schon vorgesorgt haben. Garantiert sind überzählige Ingenieure an Bord dieses Halunkenschiffs, und die werden die Systeme der Bonaventure bedienen können.

Er lehnte sich in den bequemen Kommandosessel zurück, der ihm noch eine halbe Stunde lang gehören würde. Sukowski hoffte, die Unbekannten würden Mr. Hauptmanns Angebot ernst nehmen, der ein Lösegeld zu zahlen bereit war – und zwar für jeden seiner Leute, die in Piratenhand gefallen waren. Seit sich die Navy aus dem manticoranischen Handelsverkehr in Silesia mehr oder weniger heraushielt, hatte Hauptmann zähneknirschend zu dieser Maßnahme Zuflucht genommen. So arrogant und hart der alte Bastard auch sein musste, Sukowski wusste besser als viele andere, dass Klaus Hauptmann zu seinen Beschäftigten stand. Das war alte Tradition des Hauses Hauptmann …

Das Zischen der Lifttüren unterbrach Sukowskis Gedanken. Erschrocken drehte er sich mit dem Kommandosessel um. Als er sah, dass Chris Hurlman auf die Brücke trat, flackerten seine Augen wütend auf.

»Was zum Teufel machst du denn hier?« bellte er. »Ich habe dir einen Befehl erteilt, Chris!«

»Ach, steck dir deine Befehle doch sonst wohin!« Sie hielt seinem Blick stand, dann stolzierte sie quer durch die Brücke und ging an ihre Station. »Wir sind nicht in der verdammten Navy, und du bist nicht Edward Saganami!«

»Aber immer noch Kapitän dieses Schiffes, verflucht, und ich will, dass du es auf der Stelle verlässt!«

»Na, ist das nicht wirklich zu traurig«, entgegnete Hurlman schon erheblich milder, ließ sich in den Sessel sinken und setzte sich das Comset auf das schwarze Haar. »Skipper, dein Wunsch birgt ein Problem: Ich kämpfe viel schmutziger als du. Wenn du versuchst, mich aus dem Schiff zu werfen, dann könntest am Ende du es sein, der hier die Fliege macht.«

»Und was ist mit unseren Leuten?« konterte Sukowski. »Du hattest das Kommando, du bist für sie verantwortlich.«

»Genda und ich haben eine Münze geworfen, er hat verloren.« Hurlman zuckte mit den Schultern. »Keine Sorge. Er wird die Crew schon heil nach Telmach bringen.«

»Verdammt noch mal, Chris, ich will dich hier nicht haben«, sagte Sukowski leiser und eindringlicher. »Es ist völlig überflüssig, dass du dein Leben aufs Spiel setzt – und es könnte noch schlimmer kommen.«

Hurlman senkte einen Moment lang den Blick auf die Konsole, dann drehte sie sich um und sah ihm offen in die Augen.

»In welche Gefahr ich mich begebe, ist mir ebenso klar wie dir, Skip«, erwiderte sie ruhig. »Aber ich will in der Hölle schmoren, wenn ich dich diesen Mistkerlen alleine überlasse. Außerdem«, fügte sie lächelnd und mit aufrichtiger Zuneigung hinzu, »braucht ein alter Sack wie du jemand Jüngeres und Hinterlistiges, der sich um ihn kümmert. Jane würde mir in den Hintern treten, wenn ich abhauen und dich hier allein zurücklassen würde.«

Sukowski setzte zu einer Entgegnung an, dann schloss er den Mund wieder. Wie mit einer Faust umklammerte die Qual sein Herz, aber er sah die Unnachgiebigkeit hinter Hurlmans Lächeln. Sie würde ihn nicht verlassen, und in einer Hinsicht hatte sie recht: Sie kämpfte wirklich schmutziger als er. In gewisser Weise war Sukowski heilfroh, sie bei sich zu haben und dem Bevorstehenden nicht allein gegenübertreten zu müssen, aber das war selbstsüchtig von ihm, und er verabscheute sich dafür. Er wollte Einwände erheben, wollte Chris bitten – sie sogar anbetteln, wenn es sein musste –, aber im Grunde wusste er, dass sie ohne ihn nicht fliehen würde, und er war wiederum nicht imstande, lebenslanger Verantwortlichkeit und Pflichterfüllung den Rücken zuzukehren.

»Also gut, verdammt noch mal«, stieß er statt dessen hervor. »Du bist eine Idiotin und eine Meuterin, und wenn wir hier herauskommen, werde ich dafür sorgen, dass du nie wieder eine Heuer bekommst. Aber wenn du so entschlossen bist, deinen rechtmäßigen Vorgesetzten zu übergehen, dann weiß ich nicht, wie ich dich davon abhalten soll.«

»Endlich wirst du vernünftig«, meinte Hurlman fast fröhlich. Sie studierte ihr Display noch einen Augenblick länger, dann erhob sie sich und ging zum Kaffeespender am achteren Schott. Sie schenkte sich eine Tasse ein und versenkte darin die üblichen beiden Zuckerstückchen, dann blickte sie den Mann, dessen Befehle sie gerade missachtet hatte, mit erhobenen Augenbrauen an.

»Auch eine Tasse, Skip?« fragte sie höflich.

1

»Mr. Hauptmann ist da, Sir Thomas.«

Admiral Sir Thomas Caparelli, Erster Raumlord der Royal Manticoran Navy, erhob sich und versuchte ein aufrichtiges Begrüßungslächeln aufzusetzen. Der Schreibersmaat winkte den Besucher in das geräumige Büro des Raumlords. Caparelli fürchtete, dass sein Lächeln nicht allzu überzeugend wirkte, denn Klaus Hauptmann zählte nicht eben zu seinen Lieblingszeitgenossen.

»Sir Thomas.« Der dunkelhaarige Mann mit den affektiert anmutenden weißen Schläfen und dem Bulldoggenkinn nickte Caparelli knapp zu. Hauptmann verhielt sich nicht etwa bewusst unhöflich; vielmehr begrüßte er praktisch jeden auf diese Weise und streckte nun die Hand vor, um seine Schroffheit ein wenig abzumildern. »Vielen Dank, dass Sie mich empfangen.« Er hatte das ›endlich‹ ausgelassen, aber Sir Thomas hörte es dennoch und bemerkte, dass sein Lächeln noch ein wenig hölzerner wurde.

»Bitte, setzen Sie sich.« Der untersetzte Admiral, dem man noch ansehen konnte, dass er vor langer Zeit als nicht allzu sanftmütiger Mannschaftskapitän dreimal hintereinander die Fußballmeisterschaft auf der Akademie gewonnen hatte, bedeutete seinem Besucher höflich, auf dem bequemen Stuhl vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen, dann entließ er den Schreibersmaat mit einem Kopfnicken.

»Vielen Dank«, wiederholte Hauptmann. Er setzte sich auf den zugewiesenen Stuhl – wie ein Kaiser, der sich auf seinen Thron niederlässt, fand Caparelli – und räusperte sich. »Ich weiß, dass Ihre Zeit sehr knapp bemessen ist, Sir Thomas, deshalb will ich gleich zum Wesentlichen kommen. Nämlich, dass die Bedingungen in der Konföderation unerträglich geworden sind.«

»Ich weiß, wie schlimm die Lage dort ist, Mr. Hauptmann«, begann Caparelli, »aber an der Front …«

»Verzeihen Sie, Sir Thomas«, unterbrach Hauptmann ihn, »aber über die Frontlage bin ich informiert. Um genau zu sein, haben Admiral Cortez und Admiral Givens mir – sicherlich auf Ihren Befehl hin – die Situation in epischer Breite erläutert. Ich begreife durchaus, dass Sie und die Navy großen Belastungen ausgesetzt sind, aber die Verluste in Silesia erreichen katastrophale Ausmaße – nicht nur für das Hauptmann-Kartell.«

Caparelli biss die Zähne zusammen und ermahnte sich zur Vorsicht. Klaus Hauptmann war von sich eingenommen, unsachlich und rücksichtslos – außerdem der reichste Mensch im ganzen Sternenkönigreich von Manticore, was einiges heißen wollte. Obwohl sich das Sternenkönigreich auf ein einziges Sonnensystem beschränkte, war es innerhalb des Umkreises von fünfhundert Lichtjahren die drittreichste Sternennation. Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen übertraf es sogar die Solare Liga. Ein großer Teil dieses Reichtums war einem Glücksfall zu verdanken: der Existenz des Manticoranischen Wurmlochknotens nämlich, der den Doppelstern Manticore zum Umschlagplatz von achtzig Prozent des Langstreckenhandels im Sektor machte. Aber beinahe ebenso wie auf diesen Zufall beruhte der manticoranische Reichtum auf dem Geschick, mit dem das Sternenkönigreich seine Aktivposten nutzte. Viele Generationen lang hatten die Monarchen und Parlamente den Gewinn aus dem Knoten wohlbedacht investiert. Außerhalb der Solaren Liga erreichte niemand den technischen Standard Manticores oder die Leistung pro Mannstunde, und Manticores Universitäten gaben sich die größte Mühe, Alterde den Rang abzulaufen. Caparelli hätte jederzeit freimütig eingeräumt, dass Klaus Hauptmann sowie dessen Vater und Großvater einen erklecklichen Beitrag zu der Infrastruktur geleistet hatten, die diese Anstrengung nun erst ermöglichte.

Leider war sich Klaus Hauptmann dessen nur zu gut bewusst, und manchmal – nach Caparellis Einschätzung allzu oft – benahm der Magnat sich, als entstünde ihm dadurch ein Besitzanspruch auf das gesamte Sternenkönigreich.

»Mr. Hauptmann«, sagte der Raumlord nach einem Augenblick, »ich bedaure Ihre Verluste und die der anderen Kartelle zutiefst. Trotzdem ist es mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlichtweg unmöglich, Ihrem Ansinnen, so vernünftig es auch ist, nachzugeben.«

»Mit allem schuldigen Respekt, Sir Thomas, doch diese Antwort sollte die Navy sich lieber noch einmal überlegen.« Hauptmanns unbewegte Stimme war nur um Haaresbreite von einer Beleidigung entfernt, doch er zügelte sich und holte tief Luft. »Verzeihen Sie«, bat er in einem Ton, der deutlich machte, wie wenig er daran gewöhnt war, sich zu entschuldigen. »Das war grob und provokant. Dennoch steckt ein Körnchen Wahrheit darin. Unsere Kriegsanstrengungen sind von der Stärke unserer Wirtschaft abhängig. Die Verladezölle, Transfergebühren und Inventarsteuern, die meine Geschäftsfreunde und ich zahlen müssen, sind bereits dreimal so hoch wie zu Anfang des Krieges, und …« Caparelli öffnete den Mund, aber Hauptmann hob die Hand. »Bitte. Ich beschwere mich ja nicht über die Steuern und die Zölle. Wir haben Krieg mit dem zweitgrößten Imperium im erforschten Weltraum, und irgend jemand muss ja schließlich die Kosten tragen. Meine Geschäftsfreunde und ich sind uns darüber im klaren. Sie aber müssen begreifen, Sir Thomas, dass wir keine andere Wahl haben, als unseren Handel mit Silesia zu reduzieren oder gar einzustellen, wenn die Verluste weiterhin zunehmen. Ich überlasse es Ihnen abzuschätzen, welche Auswirkungen das auf die Steuereinnahmen des Sternenkönigreichs und damit auf die Kriegsanstrengungen haben muss.«

Caparelli blickte Hauptmann düster an, aber der schüttelte den Kopf.

»Das ist keine Drohung; das ist eine Tatsache. Die Versicherungsprämien sind nie höher gewesen und klettern weiter; wenn sie um weitere zwanzig Prozent steigen, dann verlieren wir selbst bei den Transporten, die ihr Ziel erreichen, noch Geld! Ganz abgesehen von den finanziellen Verlusten müssen Sie bedenken, wie viele Menschenleben auf dem Spiel stehen. Unsere Leute – meine Leute, Leute, die jahrzehntelang für mich gearbeitet haben – finden dort den Tod, Sir Thomas!«

Caparelli lehnte sich zurück. Auch wenn es ihm widerstrebte, musste er Hauptmann recht geben. Durch ihre schwache Zentralregierung war die Konföderation immer gefährliches Gebiet gewesen, aber ihre Welten bedeuteten gewaltige Absatzmärkte für die Industrieprodukte des Sternenkönigreichs, für Maschinen und zivilen Technologietransfer. Ferner war die Konföderation ein wichtiger Lieferant für Rohstoffe und Halbfertigprodukte. Und so groß die persönliche Abneigung auch sein mochte, die Caparelli gegenüber Klaus Hauptmann empfand, so hatte der Magnat doch jedes Recht, die Hilfe der Navy einzufordern. Schließlich und endlich bestand eine der Hauptpflichten der Flotte darin, den manticoranischen Handel und die manticoranischen Bürger zu schützen. Und vor Kriegsausbruch hatte die Royal Manticoran Navy in Silesia stets bestens dafür gesorgt.

Leider erforderte dieser Schutz eine spürbare Flottenpräsenz. Nicht von Schlachtgeschwadern – wer Wallschiffe gegen Piraten einsetzte, der erschlug auch Fliegen mit dem Vorschlaghammer –, sondern von leichten Einheiten. Die Bedürfnisse der Kriegführung gegen die Volksrepublik Haven hatten zum Abzug gerade dieser leichten Kampfschiffe geführt. Man benötigte sie dringend, um die schweren Geschwader abzuschirmen, für die unzähligen Patrouillen, für Aufklärungseinsätze, für Geleitaufgaben und als Vorposten – jede einzelne Verwendung lebenswichtig für die Flotte. Niemals gab es genügend Kreuzer und Zerstörer, und der noch dringendere Bedarf an Großkampfschiffen führte dazu, dass auf den Werften nur noch Superdreadnoughts gebaut wurden, anstatt die leichteren Schiffe in den erforderlichen Stückzahlen zu fertigen.

Der Admiral seufzte und rieb sich die Stirn. Er war nicht gerade der brillanteste Flaggoffizier, den die RMN je besessen hatte. Caparelli kannte seine Stärken – Mut, Integrität und so viel Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen, dass sie für drei gereicht hätten –, aber er war sich auch seiner Schwächen bewusst. Offiziere wie der Earl von White Haven oder Lady Sonja Hemphill vermittelten ihm stets ein unbehagliches Gefühl, denn Caparelli wusste genau, dass sie ihm intellektuell überlegen waren. Und White Haven, gestand sich Caparelli ein, besaß die unerträgliche Dreistigkeit, nicht nur ein besserer Stratege, sondern auch noch ein besserer Taktiker zu sein als er. Dennoch war es Sir Thomas Caparelli, den man kurz vor Ausbruch des Krieges zum Ersten Raumlord ernannt hatte – gerade rechtzeitig, dass er den ganzen Ärger abbekam. Nun hatte er den Krieg zu gewinnen, und nichts sollte ihn daran hindern. Doch ebenso wie die Kriegführung fiel auch der Schutz aller manticoranischen Zivilisten, die im Weltraum ihren legitimen Handelsgeschäften nachgingen, in die Verantwortung des Ersten Raumlords, und weil Caparelli wusste, wie dünn seine Navy bereits verteilt war, stand er am Rande der Verzweiflung.

»Ich verstehe Ihre Probleme und teile Ihre Besorgnis«, sagte er schließlich, »und ich kann Ihnen in keinem einzigen Punkt widersprechen. Wir sind jedoch bis an die Grenzen unserer Kapazität ausgelastet. Weitere Kriegsschiffe kann ich nicht von der Front abziehen – und wenn ich sage ›kann nicht‹, so meine ich nicht ›will nicht‹ oder ›werde nicht‹, sondern kann nicht im wahrsten Sinne des Wortes. Ich würde gern unseren Geleitdienst in Silesia verstärken, aber es geht einfach nicht.«

»Nun, etwas müssen wir jedenfalls unternehmen«, entgegnete Hauptmann ruhig, und der Admiral spürte, wie sehr sich der arrogante Magnat anstrengte, Caparellis vernünftigem Tonfall gleichzukommen. »Das Geleitsystem ist sehr wirkungsvoll bei Transits zwischen den Sektoren. Wir haben nicht ein einziges Schiff verloren, das eskortiert wurde. Eins können Sie mir glauben: Meine Geschäftsfreunde und ich sind dafür sehr dankbar. Die Piraten wissen so gut wie wir, dass sie die Geleitzüge nicht angreifen können. Sie wissen aber auch, dass schon die Astrografie von uns verlangt, zwei Drittel unserer Schiffe allein und unabhängig weiterreisen zu lassen, sobald der Zielsektor erreicht wurde – und dass dann die verfügbaren Geleitschiffe einfach nicht mehr ausreichen.«

Caparelli nickte ernst. Auf den Geleitzügen zwischen den Verwaltungsknoten der silesianischen Sektoren gingen niemals Schiffe verloren, aber irgendwann mussten sich die einzelnen Frachter vom Konvoi lösen und die Welten der Konföderation ansteuern – und dann schlugen die Piraten zu.

»Ich bin mir nicht sicher, wie viel wir unternehmen können, Sir«, sagte der Raumlord nach langem Schweigen. »Admiral White Haven kehrt in der kommenden Woche nach Manticore zurück. Ich werde mit ihm konferieren und feststellen, ob es irgendeine Möglichkeit gibt, uns zu reorganisieren und einige Schiffe freizusetzen, aber wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben, in dieser Sache wenig optimistisch zu sein. Nicht bevor wir irgendwie Trevors Stern eingenommen haben. Bis zur Ankunft von Admiral White Haven lasse ich meinen Stab jede Möglichkeit begutachten – und damit meine ich wirklich jede, Mr. Hauptmann –, die Situation zu entspannen. Ich versichere Ihnen, das Problem erhält die zwothöchste Priorität – gleich nach der Eroberung von Trevors Stern. Ich werde alles, was in meiner Macht steht, unternehmen, um Ihre Verluste zu reduzieren. Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort.«

Hauptmann lehnte sich zurück, musterte das Gesicht des Admirals und grunzte schließlich, ein müdes, zorniges und ganz klein wenig verzweifeltes Geräusch. Dann nickte er widerwillig.

»Mehr kann ich wohl nicht von Ihnen verlangen, Sir Thomas«, sagte er schwerfällig. »Ich möchte Sie nicht damit beleidigen, dass ich Wunder von Ihnen fordere, aber die Situation ist ernst, sehr ernst. Ich bin mir nicht sicher, ob wir noch einen Monat haben … aber gewiss haben wir nicht mehr als vier, höchstens fünf, dann sind die Kartelle gezwungen, den Handel mit Silesia aufzugeben.«

»Ich verstehe«, antwortete Caparelli, erhob sich und reichte Hauptmann die Hand. »Ich werde tun, was ich kann – und so schnell wie möglich. Ich verspreche Ihnen, die Lage mit Ihnen persönlich zu erörtern, sobald ich mit Admiral White Haven konferiert habe. Mit Ihrer Erlaubnis lasse ich Ihnen von meinem Schreibersmaat einen weiteren Termin geben. Vielleicht fällt uns dann etwas Besseres ein. Bis dahin bleiben wir in Verbindung. Sie und Ihre Geschäftsfreunde können die Lage in Silesia vermutlich besser beurteilen als wir hier in der Admiralität, und wir wären Ihnen dankbar für jede Hilfe, die Sie meinen Fachleuten und dem Planungsstab zukommen ließen.«

»Also gut«, seufzte Hauptmann, erhob sich und schüttelte dem Admiral die Hand, dann überraschte er Caparelli mit einem ironischen Grinsen. »Ich weiß, dass ich nicht gerade der umgänglichste Mensch in diesem Universum bin, Sir Thomas. Ich versuche sehr, mich nicht wie der Elefant im Porzellanladen zu benehmen, und ich begreife, mit welchen Schwierigkeiten Sie es zu tun haben. Ich weiß zu würdigen, wie sehr Sie sich um unseretwillen bemühen, und hoffe nur, dass wir irgendwo eine Lösung finden.«

»Geht mir nicht anders, Mr. Hauptmann«, antwortete Caparelli leise und führte den Besucher zur Tür. »Geht mir nicht anders.«

Der Admiral der Grünen Flagge Hamish Alexander, Dreizehnter Earl von White Haven, fragte sich, ob er wohl genauso müde aussah wie er sich fühlte. Der Earl war neunzig T-Jahre alt, aber in einer Gesellschaft, die das Prolong-Verfahren zur Lebensverlängerung noch nicht kannte, hätte man ihn ohne weiteres für einen jung wirkenden Vierzigjährigen gehalten, und das auch nur, weil sich in seinem schwarzen Haar einige weiße Strähnen zeigten. Rings um seine eisblauen Augen hatten sich nun neue Falten eingegraben, und er war sich seiner Erschöpfung nur allzu deutlich bewusst.

Vor dem Bullauge seiner Pinasse wich die Ebenholzschwärze des Weltraums tiefem Indigoblau. Das Beiboot senkte sich auf die Stadt Landing hinab, und White Haven spürte seine Müdigkeit bis in die Knochen. Mehr als fünfzig Jahre lang hatte sich das Sternenkönigreich – oder wenigstens die Realisten darin – vor dem unausweichlichen Krieg gegen die Volksrepublik gefürchtet, und die Navy (sowie Hamish Alexander) hatte diese Jahre für die Vorbereitungen genutzt. Nun stand dieser Krieg bereits im dritten Jahr – und hatte sich als so brutal erwiesen, wie Alexander befürchtet hatte.

Nicht, dass Havens Kriegführung gut gewesen wäre; die Volksrepublik war nur leider so verdammt groß. Trotz der inneren Verletzungen, die sie sich seit der Ermordung von Erbpräsident Harris selbst zugefügt hatte, trotz der Wirtschaft, die auf tönernen Füßen stand, und der Säuberungen, durch die die Volksflotte ihre erfahrensten Raumoffiziere eingebüßt hatte, ja selbst trotz der Trägheit der Dolisten wankte die Volksrepublik so unaufhaltsam voran wie ein alles verschlingender Moloch. Wäre Havens Industrie auch nur halb so effizient gewesen wie die des Sternenkönigreichs, hätte Manticore keinerlei Siegesaussichten besessen. Zum Glück war das nicht der Fall, und eine Kombination aus Befähigung, Hartnäckigkeit und mehr Glück, als ein fähiger Stratege sich erhoffen durfte, hatten der RMN bislang ermöglicht, sich gegen Haven zu behaupten.

Aber Behaupten allein reichte nicht.

White Haven seufzte und rieb sich die müden Augen. Ungern kehrte er der Front den Rücken, aber wenigstens hatte er Admiral Theodosia Kuzak, an die er vorübergehend das Kommando abtreten konnte. Bei ihr durfte er sich darauf verlassen, dass sie während seiner Abwesenheit die Lage unter Kontrolle behielt. White Haven schnaubte. Zum Teufel, vielleicht nimmt sie sogar Trevors Stern? Ja, vielleicht schafft sie, was ich so oft vergebens versucht habe!

Er nahm die Hand von den Augen und blickte wieder hinaus, während er sich wegen dieses letzten Gedankens zur Ordnung rief. Seine Offensive war im großen und ganzen recht erfolgreich verlaufen! Im ersten Jahr war seine Sechste Flotte tief in die Republik vorgedrungen und hatte der VFH dabei Verluste zugefügt, die jede kleinere Flotte in die Knie gezwungen hätte. Seinen Mitadmiralen und ihm war es gelungen, die bedrückende Übermacht, der sich Manticore bei Kriegsausbruch gegenübersah, nicht nur auszugleichen, sondern im Zuge dessen noch vierundzwanzig Sonnensysteme zu erobern. Die beiden folgenden Jahre waren weniger glorreich verlaufen. Haven erlangte das Gleichgewicht zurück, und Rob Pierres Komitee für Öffentliche Sicherheit rief eine Schreckensherrschaft ins Leben, die jedem havenitischen Admiral durch Einschüchterung das Äußerste abverlangte. Und wenn die Vernichtung der Legislaturistenfamilien, von denen die alte Volksrepublik regiert worden war, Haven auch seine erfahrensten Admirale gekostet hatte, so wurde doch gleichzeitig auch das Protektionssystem zerstört, das Offizieren aus weniger erlauchter Herkunft einen Aufstieg in einen Dienstgrad verwehrt hatte, der ihren Fähigkeiten eigentlich angemessen war. Nun, da die Legislaturisten aus dem Weg waren, erwiesen sich einige der nachgerückten neuen Flaggoffiziere als ausgesprochen harte Nüsse. Wie zum Beispiel Admiral Esther McQueen, havenitische Flottenchefin im System von Trevors Stern.

White Haven schnitt dem Bullauge eine Grimasse. Das Komitee für Öffentliche Sicherheit hatte Volkskommissare eingesetzt, um bei der Volksflotte auf die Einhaltung der Linie zu achten, und diese Volkskommissare hatten den Meldungen des ONI zufolge in Wirklichkeit das Sagen. Wenn das stimmte und politische Kommissare tatsächlich die Schlagkraft von hochkarätigen Offizieren wie McQueen reduzierten, dann konnte Hamish Alexander dafür nur Dankbarkeit empfinden. Im Laufe der vergangenen Monate hatte er ein Gefühl für die Frau bekommen und vermutete, ihr in Sachen Strategie überlegen zu sein. Aber dieser Vorsprung war, wenn es ihn denn überhaupt gab, erheblich knapper als es White Haven recht sein konnte. Und in McQueens Adern floss Eiswasser. Sie kannte die Stärken und Schwächen ihrer Verbände, sie wusste, dass ihr die primitivere Technik und das weniger erfahrene Offizierskader zur Verfügung stand, sie wusste aber auch, wie sie diese Nachteile durch zahlenmäßige Überlegenheit und die beharrliche Weigerung, sich zu Fehlern verleiten zu lassen, ausgleichen konnte. Hinzu kam, dass die strategische Gleichung für McQueen sehr einfach war, denn sie wusste, dass die Eroberung von Trevors Stern für Manticore notwendig war. Und wenn McQueen etwas einstecken musste, revanchierte sie sich in gleicher Münze: Seitdem sie das Kommando übernommen hatte, hielten sich havenitische und manticoranische Verluste beinahe die Waage, und das konnte Manticore sich nicht leisten. Nicht in einem Krieg, der möglicherweise Jahrzehnte andauern würde. Und nicht, wenn mit jedem verstreichenden Monat die Chance größer wurde, dass die Republik ihre technologischen und industriellen Nachteile aufholte. Wenn die Haveniten jemals soweit kamen, dass sie gegenüber der RMN aufholten und zugleich noch immer ihre zahlenmäßige Überlegenheit besaßen, so mussten die Konsequenzen für das Sternenkönigreich katastrophal sein.

Die Staustrahlturbinen der Pinasse heulten auf. Das Beiboot ging in den Landeanflug zur planetaren Hauptstadt, und White Haven riss sich zusammen. Kuzak und er hatten letztendlich einen Plan ersonnen, mit dem sich Trevors Stern vielleicht – vielleicht – nehmen ließe. An Trevors Stern führte kein Weg vorbei; Trevors Stern musste im Zug der Offensive erobert werden. In diesem Sonnensystem lag der einzige Terminus des Manticoranischen Wurmlochknotens, den Manticore nicht kontrollierte, und dadurch wurde er zu einer potenziell tödlichen Bedrohung für das Sternenkönigreich. Aber auch für Haven stellte Trevors Stern ein zweischneidiges Schwert dar. Verlor die Volksrepublik den Terminus, so war für Manticore nicht nur die Drohung einer direkten Invasion abgewendet, die RMN würde dadurch einen sicheren Brückenkopf innerhalb der Republik erhalten. Beinahe zeitverlustfrei könnte Manticore Schiffe – sowohl Kriegsschiffe als auch Versorgungstender – zwischen seinen stärksten Flottenbasen und der Front verschieben, ohne dass für Haven eine Möglichkeit bestand, diese Schiffe abzufangen. Die Eroberung von Trevors Stern – wenn sie denn gelang – würde die Logistik der Navy ganz beträchtlich entlasten und ein breites Spektrum strategischer Möglichkeiten eröffnen. Deshalb war Trevors Stern gleich nach dem Haven-System zweitwichtigstes Operationsziel der manticoranischen Flotte. Aber selbst wenn White Havens Plan funktionieren sollte, würden bis zum Erfolg wenigstens vier Monate vergehen, und nach Caparellis Depeschen zu urteilen, wurde es schwierig, die Schwungkraft der Offensive noch so lange aufrechtzuerhalten.

»Das ist die Lage«, schloss White Haven ruhig seinen Rapport. »Theodosia und ich glauben, es schaffen zu können, aber die vorbereitenden Operationen werden Zeit in Anspruch nehmen.«

»Hm.« Admiral Caparelli nickte bedächtig. Sein Blick ruhte noch auf der holographischen Sternenkarte über seinem Schreibtisch. White Havens Plan sah keinen waghalsigen Handstreich vor – außer vielleicht im letzten Stadium –, aber die vergangenen zehn Monate hatten schließlich überdeutlich gezeigt, dass ein Handstreich auch nicht funktionieren würde. Im Grunde schlug White Haven mit seinem Plan vor, den verlustreichen, unentschiedenen Vorstoß auf Trevors Stern abzubrechen und statt dessen um ihn herum vorzudringen und eins nach dem anderen alle Sonnensysteme zu erobern, die ihn versorgten. Trevors Stern sollte im Zuge dessen isoliert werden, und White Haven wollte eine Position erreichen, die ihm einen Angriff aus mehreren Richtungen gestattete. Dann sollte zur Unterstützung die Homefleet eingreifen. Dieser Teil des Operationsvorschlags war allerdings ausgesprochen waghalsig. Ungeachtet der großen Entfernung konnten dreieinhalb Schlachtgeschwader von Sir James Websters Homefleet durch das Wurmloch ohne Zeitverlust von Manticore nach Trevors Stern gelangen, aber der Transit dieser Tonnage würde den Wurmlochknoten für mehr als siebzehn Stunden destabilisieren. Wenn die Homefleet angriff und keinen schnellen und entscheidenden Sieg erringen konnte, säße die Hälfte ihrer Superdreadnoughts in der Falle und könnte sich nicht wieder auf dem gleichen Weg zurückziehen.

Der Erste Raumlord rieb sich stirnrunzelnd die Lippe. Funktionierte der Plan, wäre ein entscheidender Sieg errungen; schlug er fehl, hätte die Homefleet – nicht nur Schutzverband für das Heimatsystem, sondern auch die wichtigste strategische Reserve der RMN – binnen weniger Stunden jede Operationsbereitschaft eingebüßt. In gewisser Weise sorgte gerade dieses Katastrophenpotenzial dafür, dass der Plan Erfolg versprechend erschien: Kein geistig gesunder Stratege nähme ein derartiges Risiko in Kauf, wenn er sich des Gelingens nicht absolut sicher wäre. Deshalb würden die Haveniten wohl kaum mit diesem Vorgehen rechnen. Sicherlich hätten sie Reaktionspläne für den Fall eines solchen Angriffs bereit, aber Caparelli musste White Haven und Kuzak zustimmen: Reaktionspläne oder nicht, die Volksflotte würde einen Angriff der Homefleet durch das Wurmloch niemals erwarten, und schon gar nicht, wenn White Havens vorbereitende Operationen ihm bereits eine realistische Siegeschance verschafften, ohne das Wurmloch zu benutzen. Wenn es ihm gelang, McQueen vorzugaukeln, dass die 6. Flotte die eigentliche Bedrohung darstellte, und wenn er sie dazu verleiten konnte, ihre Schutzverbände vom Wurmloch abzuziehen …

»Koordination«, brummte Caparelli. »Das ist das eigentliche Problem. Wie koordinieren wir eine Operation dieses Maßstabs über solche Entfernungen?«

»Ja, das ist es«, pflichtete White Haven ihm bei. »Theodosia und ich haben uns darüber die Köpfe zermartert – und die Köpfe unserer Stabsspezialisten – und nur eine einzige Möglichkeit gefunden. Wir müssen Sie per Kurierboot so genau informiert halten wie möglich, aber die Verzögerung ist zu groß, um eine echte Koordination zu ermöglichen. Damit es funktioniert, müssen wir schon im Vorfeld absprechen, wann wir unseren Zug machen wollen, und dann muss Homefleet einen Aufklärer durch das Wurmloch schicken, um zu sehen, ob wir es geschafft haben.«

»Und wenn Sie es nicht geschafft haben«, entgegnete Caparelli frostig, »dann wird es für das Schiff, das wir für diesen kleinen Aufklärungseinsatz einteilen, ganz schön haarig.«

»Das lässt sich nicht abstreiten.« White Haven sprach mit unbewegter Stimme, aber er gab mit einem Kopfnicken Caparellis Einwand statt. Die Masse eines einzelnen Schiffes würde den Terminus nur wenige Sekunden lang destabilisieren, und wenn die havenitischen Verteidiger tatsächlich, wie geplant, abgelenkt sein würden, könnte ein Aufklärer den Transit machen, seine Ortungen vornehmen, wenden und wieder ins Wurmloch gehen, bevor er angegriffen würde. Aber wenn die Haveniten nicht abgelenkt wären, erführe Homefleet niemals, wer oder was den Kundschafter abgeschossen hätte.

»Ich gestehe es ein: das Ganze ist riskant«, antwortete der Earl. »Leider sehe ich keine Alternative. Und wenn wir kühl abwägen, dann bedeutet der Verlust eines einzigen Schiffes nur sehr wenig im Vergleich zu der Gefahr, dass unser Vorrücken weiterhin so schleppend vonstatten geht und schließlich im Sande verläuft. Wenn es sein müsste – wenn ich dadurch gewinnen könnte –, würde ich offenen Auges ein ganzes Geschwader opfern. Zwar ungern, aber in Relation zu all denen, die wir schon verloren haben und die wir noch verlieren werden, wenn wir so weitermachen, halte ich das mögliche Opfer immer noch für unsere beste Alternative. Und wenn der Plan gelingt, dann haben wir die Havies zwischen zwo Feuern gefangen und besitzen die reelle Chance, sie alle auszuschalten. Ja, gewiss ist das Risiko groß, aber der mögliche Gewinn ist überwältigend.«

»Hm«, grunzte Caparelli noch einmal und stellte den Stuhl auf die Hinterbeine, während er nachdachte. Eigentlich ironisch, dass ausgerechnet White Haven einen Plan wie diesen in Erwägung zog, denn er klang eher nach etwas, das Caparelli sich ausgedacht haben könnte – falls er gewagt hätte, dergleichen überhaupt in Betracht zu ziehen. Denn White Haven galt als Meister der indirekten Methoden und hatte einen an Genialität grenzenden Sinn für den richtigen Moment, um einen unerwarteten Kniff anzuwenden oder auf irgendeine Weise den feindlichen Verband einiger Geschwader zu berauben. Seine Verachtung für »Alles oder nichts«-Schlachtpläne war legendär. Der Gedanke musste ihm zutiefst widerstreben, den Kriegsverlauf vom Ausgang eines einzigen Zugs abhängig zu machen, eines Zuges, der zudem die Subtilität eines Vorschlaghammers aufwies.

Ein weiterer Grund, der für den Erfolg spricht, begriff Caparelli. Haven war über das Offizierskorps der RMN genauso gut informiert wie das ONI über die Volksflotte. Daher musste der Gegner wissen, wie untypisch ein solcher Zug für White Haven war, und White Haven hatte die Strategie der RMN maßgeblich beeinflusst. In Anbetracht dessen bestand durchaus die Möglichkeit, dass McQueen auf den Trick hereinfiel – aber dann musste die zeitliche Abstimmung funktionieren, sonst drohte der Manticoranischen Allianz eine Katastrophe.

»Also schön, Mylord«, erklärte Caparelli schließlich, »aber bevor ich mich für oder gegen Ihren Vorschlag entscheide, sind noch einige Fragen zu beantworten. Auf jeden Fall leite ich den Plan zur Begutachtung an Pat Givens, die Kriegsschule und meinen Stab weiter. Sie haben ganz sicher recht damit, dass wir uns nicht für immer und ewig ausbluten lassen können, und mir gefällt auch nicht die Kompetenz, die McQueen an den Tag legt. Wenn wir ihr Trevors Stern abnehmen, dann lässt das Komitee für Öffentliche Sicherheit sie vielleicht an die Wand stellen, um die Nachrückenden zu ermutigen.«

»Vielleicht«, stimmte White Haven mit einer Grimasse zu, die Caparelli nur zu gut verstand. Auch ihm gefiel der Gedanke nicht besonders, dass jemand willens war, gute Offiziere hinzurichten, die ihr Möglichstes getan hatten, nur weil ihre Anstrengungen nicht ausreichten, um den Feind aufzuhalten, aber das Sternenkönigreich kämpfte ums Überleben. Wenn die Volksrepublik so zuvorkommend war, ihre besten Kommandeure zu beseitigen, dann nahm Sir Thomas Caparelli den erwiesenen Gefallen gern an.

»Was mich an Ihrem Plan am meisten stört – abgesehen von«, er konnte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, gegen den Earl zu sticheln, »der Möglichkeit, die Homefleet lahmzulegen – ist die Verzögerung. Zur Verwirklichung Ihres Vorschlags müssten wir Ihre leichten Einheiten sogar noch verstärken, anstatt welche abzuziehen, und in Anbetracht der Lage in Silesia …« Er zuckte mit den Schultern, und White Haven nickte verstehend.

»Wie schlimm trifft uns das?« fragte er.

Caparelli runzelte die Stirn. »Absolut gesehen könnten wir es durchaus überleben, den Handel mit Silesia komplett einzustellen«, antwortete er. »Das wäre nicht angenehm; Hauptmanns Kartell und auch die anderen würden Zeter und Mordio schreien. Damit hätten sie sogar recht, das ist das Schlimme. Der Ausfall würde etliche der kleineren Kartelle ruinieren, und den großen Fischen wie Hauptmann und Dempsey bekäme es auch nicht gerade gut. Über die politischen Auswirkungen bin ich mir nicht ganz im klaren. Gestern hatte ich ein langes Gespräch mit dem Ersten Lord, und sie erhält bereits einigen Beschuss wegen Silesia. Sie kennen die Baronin ja besser als ich, aber selbst mir ist nicht entgangen, dass sie unter erheblichem Druck steht.«

White Haven nickte nachdenklich. Allerdings kannte er Francine Maurier, Baronin von Morncreek und Erster Lord der Admiralität, besser als Caparelli. Als die Ministerin der Krone, die für die Navy verantwortlich war, erfuhr Morncreek zweifelsohne so viel Druck, wie Caparelli andeutete. Wenn sie sich die Belastung anmerken ließ, stand es wahrscheinlich sogar viel schlimmer als Caparelli vermutete.

»Dazu kommt, dass das Hauptmann-Kartell mit den Freiheitlern und dem Bund der Konservativen unter einer Decke steckt, von den Progressiven ganz zu schweigen – das summiert sich zu einem hübschen Problem«, fuhr der Erste Raumlord grimmig fort. »Wenn die Opposition beschließt, wegen des angeblichen ›Desinteresses‹ der Navy an Hauptmanns Problemen Streit vom Zaun zu brechen, dann könnte es wirklich hässlich werden. Und dann noch die unmittelbaren Verluste an Einfuhrzöllen und Transitgebühren … oder Menschenleben.«

»Da ist noch etwas«, bemerkte White Haven widerstrebend, und Caparelli hob eine Augenbraue. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand wie McQueen die brachliegenden Möglichkeiten erkennt«, erklärte der Earl. »Wenn ein Haufen Piraten uns so schwer treffen kann, dann überlegen Sie doch mal, was passieren würde, wenn Haven ein Geschwader Schlachtkreuzer aussendet, um den Piraten unter die Arme zu greifen. Bisher haben wir ihnen nicht genug Ruhe gelassen, dass sie sich auf solche Schachzüge besinnen konnten. Aber im Grunde können sie viel bequemer leichte Einheiten detachieren, weil sie so viele Schlachtschiffe in Reserve halten. Und Silesia ist längst nicht die einzige Gegend, wo sie uns mit einem groß angelegten Handelskrieg schwer schaden könnten.«

White Haven, dachte Caparelli säuerlich, hat einen Hang, sich besonders scheußliche Szenarien auszudenken.

»Aber wenn wir die benötigten Geleitschiffe nicht freistellen können«, begann der Erste Raumlord, »wie sollen wir dann …«

Er verstummte plötzlich und kniff die Augen zusammen. White Haven legte aufmerksam den Kopf schräg, aber Caparelli ignorierte ihn und gab eine Anfrage in sein Terminal. Einige Sekunden lang studierte er das Display, dann zupfte er sich am Ohrläppchen.

»Q-Schiffe«, sagte er leise, als wäre er allein im Raum. »Mein Gott, vielleicht ist das die Antwort.«

»Q-Schiffe?« wiederholte White Haven. Caparelli schien einen Augenblick lang nicht zuzuhören, dann blickte er den Flottenchef an.

»Was denn, wenn wir ein paar Trojaner nach Silesia schicken?« fragte er, und nun war es an White Haven, nachdenklich das Gesicht zu verziehen.

Projekt Trojanisches Pferd war Lady Sonja Hemphills Idee, und schon das, gab der Earl zu, stimmte ihn gegen ein solches Vorhaben. Seit langen Jahren waren Hemphill und er bittre Feinde in Bezug auf die taktische Philosophie; White Haven misstraute ihrer materialbasierten strategischen Doktrin. Aber ›Trojanisches Pferd‹ verlangte nicht, wesentliche Kräfte von der Front abzuziehen, und selbst im Fall des Scheiterns besaß die Idee genügend Potential, dass White Haven sie zähneknirschend unterstützen musste.

Hemphill hatte vorgeschlagen, einige der von der RMN verwendeten Standardfrachter der Caravan-Klasse in bewaffnete Handelskreuzer umzubauen. Die Caravans waren große Schiffe, sie maßten mehr als sieben Millionen Tonnen, waren aber langsam, ungepanzert und lediglich mit zivilen Antriebssystemen ausgestattet. Unter normalen Umständen standen sie jedem Kriegsschiff hilflos gegenüber. Deshalb wollte Hemphill die Caravans mit größtmöglicher Feuerkraft ausstatten und sie in die Geleitzüge einschleusen, von denen die Sechste Flotte versorgt wurde. Die Schiffe sähen noch immer aus wie gewöhnliche Frachter, aber wenn ihnen ein unvorsichtiger Raider zu nahe käme, würden sie ihn in Fetzen schießen.

Persönlich bezweifelte White Haven sehr, dass dieses Konzept auf lange Sicht funktionieren würde. Haven hatte recht erfolgreich Q-Schiffe gegen frühere Feinde benutzt, aber die fundamentale Schwäche dieser Taktik bestand darin, dass sie kaum mehr als ein- oder zweimal gegen eine Streitkraft funktionierte, die sich zu recht als Flotte bezeichnete. Hatte der Feind erst begriffen, dass Q-Schiffe im Einsatz waren, würde er einfach alles, was nach einem Q-Schiff aussah, aus maximaler Reichweite vernichten. Außerdem waren die havenitischen Q-Schiffe von vornherein für ihren ständigen Einsatz ausgelegt gewesen und hatten militärtaugliche Antriebe besessen, die ihnen die Geschwindigkeit eines Kriegsschiffs der gleichen Größe verliehen. Die Baumuster waren intern gepanzert und mit druckfesten Abteilungen und Systemredundanzen ausgestattet gewesen, die den Schiffen der Caravan-Klasse zwangsläufig fehlten.

Dennoch lag Caparelli mit seiner Idee vielleicht nicht falsch, denn die Raider im silesianischen Weltraum besaßen keine echten Kriegsschiffe – und sie gehörten zu keiner Flotte. Die meisten von ihnen agierten unabhängig und verschacherten ihre Beute an zwielichtige ›Händler‹ – Hehler –, die den Piraten die Operationen finanzierten und keine peinlichen Fragen stellten. Die Schiffe waren in der Regel nur leicht gepanzert und gingen zumeist im Alleingang vor, auf keinen Fall aber in Gruppen, die aus mehr als zwei oder drei Schiffen bestanden. Die üblichen Unruhen in der Konföderation, bei denen immer wieder Sonnensysteme versuchten, sich von der Zentralregierung abzuspalten, machten die Lage ein wenig komplizierter, weil die abtrünnigen Regierungen gern Kaperbriefe ausstellten und Freibeutern gestatteten, im Namen der Unabhängigkeit fremden Handel zu stören. Manche dieser Freibeuter waren im Verhältnis zu ihrer Tonnage schwer bewaffnet, und einige Schiffe wurden sogar von aufrichtigen Patrioten kommandiert, die bereit waren, zum Besten des Heimatsystems in kleinen Geschwadern zu operieren. Vor einem gut geführten Q-Schiff würden sie die Flucht ergreifen. Während es im Kampf gegen Haven eher von Nachteil wäre, wenn sich die Neuigkeit über die Q-Schiffe herumsprach, könnte innerhalb der Konföderation dadurch sogar eine abschreckende Wirkung erzielt werden: Piraten betrieben ihr blutiges Handwerk letztendlich des Geldes wegen und waren selten bereit, den Verlust ihres Schiffes und damit ihres »Geschäftskapitals« zu riskieren oder potenzielle Beute aus großer Entfernung zu vernichten. Wo ein havenitischer Handelsstörer durchaus das Risiko eingehen würde, einem Q-Schiff zu begegnen, solange er nur manticoranische Frachter vernichtete, legte es ein Pirat darauf an, Beute zu machen, und würde sein Schiff kaum der Gefahr aussetzen, von einem Handelskreuzer vernichtet zu werden.

»Das könnte helfen«, gab der Earl zu, nachdem er die Möglichkeiten sorgfältig erwogen hatte. »Aber wenn wir nicht viele Q-Schiffe einsetzen, werden auch nicht viele Raider vernichtet. Der Effekt wäre wohl mehr kosmetischer Natur, fürchte ich, aber die psychologische Wirkung könnte den Aufwand lohnen – sowohl in Silesia als auch im Parlament. Aber haben wir denn schon Q-Schiffe einsatzbereit? Ich dachte, bis zur Fertigstellung wären es noch Monate.«

»Sind es auch«, nickte Caparelli. »Demnach …« – er deutete auf das Terminal – »werden die ersten vier Schiffe irgendwann im nächsten Monat fertig, aber die meisten brauchen noch fast ein halbes Jahr. Crews sind noch nicht zusammengestellt, und offen gesagt rechne ich auch dabei mit Engpässen. Aber wenigstens könnten wir einen Anfang machen, und wie Sie bereits sagten, Mylord, dürfen wir die psychologische Wirkung nicht außer acht lassen. Im Breslau-Sektor ist die Situation am schlimmsten. Wenn wir die ersten vier Q-Schiffe dahin entsenden und dafür sorgen, dass es sich herumspricht, senken wir wenigstens dort die Verluste, bis die anderen einsatzbereit sind.«

»Mag sein.« White Haven massierte sich das Kinn, dann zuckte er mit den Achseln. »Mehr als Beschwichtigung wäre es nicht – nicht, bevor die anderen Q-Schiffe fertig sind. Und wem auch immer Sie das Kommando geben, mit nur vier Schiffen wird das ein fürchterlicher Job. Aber Sie haben recht: Wenigstens könnten wir Hauptmann und Konsorten unter die Nase reiben, dass wir durchaus etwas unternehmen.« Und das, ohne Schiffe abzuziehen, die ich selber brauche, fügte er in Gedanken hinzu.

»Stimmt.« Caparelli trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. »Im Moment ist es nichts weiter als ein Gedanke, aber ich bespreche ihn heute Nachmittag mit Pat, dann erfahre ich, was BuPlan dazu zu sagen hat.« Der Admiral dachte eine Weile nach, dann warf er den Kopf zurück. »Bis dahin sollten wir die Erfordernisse Ihres Plans näher betrachten. Sie sagen, Sie brauchen noch zwo Schlachtgeschwader bei Nightingale?«

White Haven nickte.

»Nun, angenommen, wir ziehen sie hier ab …«

2

Leise klassische Musik schuf die passende Kulisse für die elegant gekleideten Damen und Herren im Saal. An der Wand hinter den Gästen erhoben sich die geplünderten Ruinen eines üppigen Büfetts, und die Leute standen, Gläser in der Hand, in kleinen Grüppchen beisammen. Ihr auf- und abschwellendes Stimmgemurmel konkurrierte mit den Klängen der Musik; eine entspannte Zurschaustellung von Reichtum und Macht. In Klaus Hauptmanns Stimme indes war nur wenig Gelassenheit zu finden.

Der Billionär sprach mit einer Frau, die ihm in puncto Geld und Einfluss nur wenig nachstand, und einem Mann, der nicht einmal im Rennen war. Nicht, dass der Clan der Housemans arm gewesen wäre, aber deren Reichtum war »altes Vermögen«, und die meisten Housemans blickten mit Verachtung auf einen Mann hinab, der sich tatsächlich um etwas so Grobes wie Handelsgeschäfte kümmerte. Selbstverständlich musste man Manager beschäftigen, die das Familienvermögen hüteten, aber das waren nur Angestellte; mit derlei Profanem befasste sich kein Gentleman. Professor Dr. Reginald Houseman teilte in mancher Hinsicht dieses Vorurteil, das die Finanzelite den Neureichen entgegenbrachte (und nach den Standards der Housemans war selbst das Vermögen der Hauptmanns noch sehr neu), dennoch galt Houseman als einer der zehn besten Wirtschaftswissenschaftler des Sternenkönigreichs.

Nicht allerdings bei Klaus Hauptmann, der ihn mit beinahe vollkommener Verachtung betrachtete. Trotz Housemans unzähliger akademischer Referenzen hielt Hauptmann ihn für einen Dilettanten, eine Personifizierung der Phrase, die aus uralter Zeit überliefert wurde: »Wer etwas kann, der tut es; wer nicht, der unterrichtet«. Housemans erhabene Selbstgefälligkeit brachte jemanden wie Hauptmann innerlich zum Kochen, denn Hauptmann hatte seine Fähigkeiten auf die einzige Möglichkeit unter Beweis gestellt, die niemand anzweifeln konnte, nämlich durch Erfolg. Nicht, dass Houseman ein kompletter Idiot gewesen wäre. Trotz seiner intellektuellen Borniertheit hatte er sich häufig als gewandt und effektiv erwiesen, wenn es darum ging, öffentliche ökonomische Strategien mit privatwirtschaftlichen Anreizen zu lenken. Hauptmann betrachtete es als außerordentlich unglückselig, dass Houseman so fest der Überzeugung verhaftet war, Regierungen besäßen die Kompetenz, der Privatwirtschaft Vorschriften zu machen, obwohl es doch so offensichtlich nicht der Fall war. Doch sogar er musste zugeben, dass sich Houseman seine Meriten als politischer Analytiker verdient hatte.

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