Honor Harrington: Der letzte Befehl - David Weber - E-Book

Honor Harrington: Der letzte Befehl E-Book

David Weber

4,6
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Seit Honor denken kann, sind das Sternenkönigreich Manticore und die Republik Haven verfeindet. Und jetzt geht auch noch ein unaufhaltsamer Moloch, die Solare Liga, auf Kollisionskurs mit Manticore. Die Millionen, die bereits ihr Leben ließen, sind vielleicht nur ein bitterer Vorgeschmack auf die künftigen Opfer. Diesmal sind Honors schlimmste Alpträume nichts im Vergleich zum drohenden Krieg. Sie wird alles riskieren, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Denn eines haben Manticores Feinde womöglich nicht bedacht: Wenn Honor Harrington untergehen soll, reißt sie ihre Gegner mit in die Tiefe ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 570

Bewertungen
4,6 (18 Bewertungen)
12
4
2
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Februar 1922 P. D.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

März 1922 P. D.

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

April 1922 P. D.

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Mai 1922 P.D.

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Dramatis Personae

Glossar

Über den Autor

David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der HONOR-HARRINGTON-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.

DERLETZTEBEFEHL

Aus dem Amerikanischen vonUlf Ritgen

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

© 2010 by David Weber

Titel der Originalausgabe: »Mission of Honor« (Teil 2)

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2012/2014 by Bastei Lübbe AG

This work was negotiated through Literary Agency

Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen,

on behalf of St. Martin’s Press, L.L.C.

Textredaktion: Beate Ritgen-Brandenburg

Lektorat: Ruggero Leò

Titelillustration: Arndt Drechsler

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München

E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-1115-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Februar 1922 P. D.

Die Solare Liga kann so etwas nicht hinnehmen – nicht von irgendeiner kleinen Pissnavy von jenseits des Randes –, völlig gleichgültig, wodurch sie sich auch provoziert fühlte! Wenn wir ihnen das durchgehen lassen, dann weiß Gott allein, wer als Nächstes so eine Dummheit probiert!

Flottenadmiral Sandra Crandall, SLN

Kapitel 1

»… so einfach ist es leider doch nicht, Admiral. Was diesen Punkt betrifft, ist der Konsens des Hauses gänzlich unstrittig. Bevor die Regierung den Kongress dazu bewegen kann, einen formalen Vertrag zu ratifizieren – vor allem einen Vertrag, der ein bedingtes Schuldanerkenntnis der Republik hinsichtlich dieses Krieges enthält! –, muss über die Zukunft dieser Sonnensysteme entschieden sein. Schließlich war genau das ja der Grund, weswegen wir uns seinerzeit für die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten ausgesprochen haben.«

Honor Alexander-Harrington biss sich auf die Zunge. Kräftig. Darin hatte sie im Laufe der letzten fünf oder sechs Wochen bedauerlicherweise reichlich Erfahrung sammeln dürfen. Eigentlich war sie inzwischen so weit, dass sie es ganz automatisch tat, wann immer Gerald Younger den Mund öffnete.

Unauffällig atmete sie tief durch und dachte dabei sehnsüchtig an Duellplätze und Pistolen Kaliber 10 Millimeter. Der Representative lehnte sich in seinem Sessel zurück, die Kiefermuskeln männlich angespannt, die braunen Augen hart von stählerner Entschlossenheit. Nicht, dass Honor nicht glauben wollte, dass die Mitglieder seines Komitees genauso dachten wie er. Nein, das Problem war, dass Honor genau die Emotionen schmecken konnte, die in Wirklichkeit hinter seiner Argumentation steckten. Und das bedeutete, sie wusste ganz genau, dass ihm persönlich die Zukunft der strittigen Sonnensysteme herzlich egal war. Und es war auch nie anders gewesen. Einen halben Tag lang ritt er nun schon auf diesem Punkt herum, doch eigentlich ging es ihm um etwas völlig anderes. Bedauerlicherweise vermochte Honor nicht genau zu sagen, was dieses ›völlig andere‹ denn nun eigentlich war, doch allmählich kam sie zu dem Schluss, an sich kämen nur zwei Möglichkeiten infrage.

Entweder hatte Younger die Absicht, letztendlich doch noch einzulenken, wobei dann unausgesprochen aber trotzdem wirksam bliebe, dass er mit diesem Zugeständnis seinerseits auch ihr etwas abringen würde … bei irgendeiner anderen Sache – vermutlich dem Ausmaß der Reparationszahlungen, die letztendlich auf die Republik zukommen würden. Schließlich verknüpfte er die derzeit diskutierten Punkte immer und immer wieder mit diesem ›Schuldanerkenntnis‹. Vielleicht aber wollte Younger gar nichts von Honor selbst. Dass er immer wieder auf die Gründe zurückkam, derentwegen der Havenitische Kongress seinerzeit die Entscheidung der Regierung Pritchart unterstützt hatte, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen, brachte Honor mehr und mehr zu der Annahme, Letzteres sei der Fall. Younger war ein bisschen zu vorsichtig vorgegangen … und dabei ein wenig zu offensichtlich gewesen. Er hatte wirklich im Übermaß darauf geachtet, nicht ausdrücklich anzusprechen, dass sich die Republik in Wahrheit derzeit in dieser misslichen Lage befand, weil eben diese Regierung Fehlentscheidungen getroffen hatte. Das wiederum ließ vermuten, Younger wolle mit seinem Verhalten in Wahrheit eher Eloise Pritchart erpressen. Honor hatte keine Ahnung, welches innenpolitische Zugeständnis er der Pritchart-Regierung abringen wollte. Doch es war zumindest denkbar, dass es dort etwas gab, was ihn interessierte – und Younger wusste genau, dass Pritchart ihm letztendlich genau das versprechen würde, wenn er nur endlich die Klappe hielte.

Dass man bislang noch mit keinem Wort den Green-Pines-Zwischenfall angesprochen hatte, wies ebenfalls eher auf letztere Möglichkeit hin. Schließlich hätten die gegen das Sternenimperium erhobenen Vorwürfe sich bestens dazu geeignet, Druck auszuüben. Allerdings kannte Honor Präsidentin Pritchart mittlerweile gut genug, um sich denken zu können, dass es noch ganz andere Gründe gab, warum Younger sich bislang dafür entschieden hatte, dieses Druckmittel nicht zum Einsatz zu bringen.

Doch wie dem auch sei, auf irgendetwas arbeitete er zweifellos hin. Und so wie Pritcharts Geistesleuchten schmeckte, war auch die Präsidentin dieser Ansicht … und vermutlich dachte auch sie gerade an Duellplätze, oder an etwas, was in der Republik Haven deren Sinn und Zweck erfüllte.

»Mr. Younger«, sagte Honor, nachdem sie sich sicher genug war, nicht die Beherrschung zu verlieren, »ich halte es nicht für sonderlich zielführend, wenn wir hier über die politische Zukunft ganzer Sonnensysteme diskutieren, ohne wenigstens mit den Menschen Kontakt aufzunehmen, die tatsächlich dort leben. Ihnen ist sicherlich bewusst, dass die Mehrheit der Sonnensysteme, die sich zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen noch in manticoranischem Besitz befanden, von strategischem Wert für das Militär sind. Und nur aufgrund dessen blieben sie seinerzeit auch durch Manticore besetzt. Vorausgesetzt, es gelingt uns hier, einen formalen Friedensvertrag auszuhandeln, würde diesen Systemen die Unabhängigkeit gewährt oder sie würden wieder Haven unterstellt – ganz wie das von den jeweiligen Systemen gewünscht wird. Zugegeben, einige andere Systeme befanden sich zum fraglichen Zeitpunkt ebenfalls noch unter manticoranischer Besatzung. Das lag aber daran, dass sie so weit jenseits unseres Hauptterritoriums liegen und bereits sehr lange Zeit besetzt waren. Diejenigen Systeme, die bereits den Wunsch geäußert haben, von der Republik unabhängig zu bleiben, würde es seitens des Sternenimperiums auch zugestanden werden – den gleichen bereits erwähnten Friedensvertrag natürlich vorausgesetzt. Wie Ihnen sicher bekannt ist, haben einige dieser Systeme den Wunsch nach Unabhängigkeit bereits vor der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten ausgesprochen. Ich bezweifle sehr, dass Ihre Majestät bereit wäre, sie notfalls mit Waffengewalt zurück in die Arme der Republik zu treiben, sollte eine Wiedereingliederung in das politische Gefüge der Republik Haven nicht der ausdrücklichen Wunsch der Bewohner dieser Systeme sein.

Doch im Augenblick befindet sich – nur für den Fall, dass Ihnen das entgangen sein sollte! – kein einziges der fraglichen Systeme unter manticoranischer Besatzung. Angesichts dessen und auch angesichts der geschichtlichen Ereignisse, die ich gerade kurz zusammengefasst habe, begreife ich nicht recht, warum Sie von der Regierung Ihrer Majestät erwarten, eine Art Blankoscheck gegenzuzeichnen, sodass alleine die Republik über die Zukunft dieser Systeme bestimmen kann.«

»Ich erwarte mitnichten, dass irgendetwas ›gegengezeichnet‹ wird, Admiral«, erwiderte Younger. »Ich bitte Sie lediglich, in Ihrer Funktion als Repräsentantin Königin Elisabeths, die Gültigkeit der Ergebnisse jener Volksabstimmungen in diesen ›strategisch wichtigen‹ Sonnensysteme anzuerkennen, die nach der Befreiung von manticoranischer Besatzung durch bewaffnete Truppen der Republik abgehalten wurden. Und ich bitte Sie, entsprechende Volksabstimmungen auch auf allen anderen Planeten anzuerkennen, die zuvor Teil der Volksrepublik Haven waren und derzeit durch Republikanische Truppen besetzt sind.«

»Und ich sage Ihnen, Sir«, erwiderte Honor in einem Tonfall äußerster Geduld, der jeden, der sie kannte, extrem nervös gemacht hätte, »dass Ihre Majestät nicht bereit ist, irgendetwas anzuerkennen, nirgendwo, in keinem Sonnensystem, ohne zuvor Gelegenheit gehabt zu haben, sich eigenständig davon zu überzeugen, dass besagte Abstimmungen frei, offen und rechtlich einwandfrei abgehalten wurden.«

»Wollen Sie damit andeuten, die Ergebnisse der Volksabstimmungen, die durch die Republik bereits durchgeführt wurden, würden nicht den wahren Willen der Bewohner dieser Systeme widerspiegeln?«

Younger hatte die Augen zusammengekniffen, und nun besaß seine Stimme einen deutlich härteren Klang. Alles in allem hätte niemandem entgehen können, wie sehr er sich persönlich gekränkt fühlte alleine durch den Gedanken, es könne zu Wahlmanipulationen gekommen sein. Honor jedoch wusste genau, welche Emotionen sich hinter dieser ungehaltenen Fassade verbargen. Nimitz, der neben ihr auf seiner Sitzstange kauerte, rührte sich, als er bemerkte, dass Honor das dringende Bedürfnis hatte, Younger eine zu scheuern. Nimitz’ Emotionen schmeckten so, als würde er das ganz und gar befürworten. Er wusste ebenso gut wie Honor, dass diesem havenitischen Gesetzgeber voll und ganz bewusst war, sie habe in Wahrheit nichts dergleichen andeuten wollen. Im Augenblick empfand Younger immense Befriedigung – zweifelsohne weil es ihm gelungen war, Zeit auf etwas derart Unbedeutendes zu verschwenden.

Wo wir gerade von Zeit reden, dachte sie. Es wird Zeit, eine gewisse Offenheit an den Tag zu legen.

»Mr. Younger«, sagte sie ruhig, »Sie und ich, wir wissen doch beide, dass ich nichts dergleichen habe andeuten wollen.«

Er riss die Augen auf, und sie schmeckte sein Erstaunen ob ihres freimütigen Vorgehens. Tja, zu schade aber auch, nicht wahr? Schließlich war sie Admiral, keine Diplomatin. Das konnte dieser Younger entweder gut finden oder sich einfach damit abfinden. Im Augenblick war es Honor ziemlich egal, wie Younger damit umging.

»Ich habe mitnichten gesagt, Manticore werde die Ergebnisse der Volksabstimmungen nicht anerkennen. Ich habe gesagt, Manticore werde diese Ergebnisse so lange nicht anerkennen, bis wir nicht selbst Gelegenheit hatten, uns zu vergewissern, dass diese Ergebnisse stichhaltig, korrekt, offen und ehrlich erzielt wurden. Sie wissen ebenso gut wie ich, dass dies einer der Punkte ist, an dem ich, als Repräsentantin des Sternenimperiums, ihnen nicht die Zugeständnisse einräumen kann, die Sie verlangen. Daher kann ich nur annehmen, Sie bringen diese Forderung lediglich vor, um Zeit zu schinden. Ich erlaube mir anzumerken, dass Sie das tun, obwohl ich noch vor Beginn dieser Verhandlungen ausdrücklich darauf hingewiesen habe, es sei mir nicht gestattet, diese Verhandlungen unbegrenzt in die Länge zu ziehen. Wird nicht innerhalb einer akzeptablen Zeitspanne ein Konsens erzielt, wird das Sternenimperium die Kampfhandlungen gegen die Republik wieder aufnehmen.«

Younger zog eine indignierte Miene und öffnete schon den Mund, um etwas zu erwidern, doch Honor hob die rechte Hand, den Zeigefinger geradewegs auf den Representative gerichtet, um ihn zum Schweigen zu bringen. Dann sprach sie mit dem gleichen ruhigen Tonfall weiter.

»Es könnte viele Gründe geben, weswegen Sie das Bedürfnis haben, hier für unnötige Verzögerungen zu sorgen. Einschließlich möglicherweise der Annahme – der fälschlichen Annahme, das versichere ich Ihnen! –, Manticore könne gerade angesichts des Konfliktes mit der Liga so verzweifelt auf eine Beilegung des Konfliktes mit der Republik drängen wollen, dass wir, wenn diese Verhandlungen sich nur genug in die Länge ziehen lassen, bereit seien, auch von unseren wesentlichen Forderungen abzurücken – beispielsweise der … Klärung unserer Differenzen hinsichtlich der diplomatischen Vorkriegs-Korrespondenz. Sollten Sie darauf hoffen, Mr. Younger, darf ich vielleicht auf eines hinweisen: Ich bin mir recht sicher, dass Präsidentin Pritchart nicht der gleichen Ansicht ist.«

Honor blickte nicht einmal zu Pritchart hinüber, doch sie spürte, wie die Präsidentin in ihrem Sessel kaum merklich erstarrte. Nicht, weil Honor unrecht gehabt hätte, sondern weil Pritchart erstaunt war, wie genau dieser manticoranische Admiral ihre eigene Einschätzung der Lage erkannt hatte.

»Ich vermute, Sie wissen sehr wohl, dass die Präsidentin der Ansicht ist – und das völlig zurecht –, meine Anweisungen würden lauten, lieber ganz ohne Friedensvertrag nach Manticore zurückzukehren als mit einem schlechten Friedensvertrag, Zeitbeschränkungen hin oder her. Das wiederum bringt mich zu der Annahme, Sir, dass Sie hier eine innenpolitische Angelegenheit ansprechen, weil sie hoffen, die Präsidentin werde Ihnen zugestehen, was immer Sie auch von ihr wollen, nur damit Sie hier nicht unsere Zeit verschwenden. Ob diese Hoffnung berechtigt ist oder nicht, vermag ich gewiss nicht zu sagen. Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, dass es mir eine Verschwendung Ihrer Zeit scheint, mit dem Geigenunterricht anfangen zu wollen, wenn das Haus bereits in hellen Flammen steht. Vor diesem Hintergrund denke ich, dass es ratsam ist, wir unterbrechen diese Verhandlungen vorübergehend, statt hier weiter wertvolle Zeit zu verschwenden. Während dieser Unterbrechung können Sie ja mit Präsidentin Pritchart darüber sprechen, was Sie denn nun eigentlich wollen.« Youngers Gesicht war zunehmend rot angelaufen. Sein Zorn loderte in Honors Verstand wie ein Schweißbrenner. Doch er wusste sich gut zu beherrschen. So bedachte er sie in seiner lodernden Wut nur mit einem finsteren Blick, statt den Mund zu öffnen und mit seinem Zorn allen Anwesenden deutlich zu zeigen, wie genau sie ihn durchschaut hatte. Einen Moment lang hielt Honor seinem Blick unverwandt stand, dann schaute sie doch zu Pritchart hinüber.

Mit ihren Topasaugen blickte die Präsidentin sie lobenswert gefasst an, obwohl ihre Lippen vielleicht doch ein wenig zitterten. Sicher war sich Honor nicht, doch sie spürte bei der havenitischen Präsidentin ein bemerkenswertes Gemisch an Emotionen: Verärgerung, Frustration und – ganz besonders, geradezu überwältigend – Belustigung.

»Ich denke, unter diesen Umständen ist eine Unterbrechung der Verhandlungen wirklich angebracht«, sagte Pritchart, nachdem sie kurz geschwiegen hatte, um sich sicher sein zu können, dass ihre Stimme hinreichend fest klingen würde. »Es ist ohnehin schon fast Zeit für das Mittagessen. Wenn Sie gestatten, Admiral, würde ich vorschlagen, wir dehnen diese Mittagspause ein wenig aus. In dieser Zeit kann Representative Younger sich an die Mitglieder seines Komitees wenden und deren Reaktion auf Ihre … freimütige Schilderung der Position des Sternenimperiums hinsichtlich dieses strittigen Punktes zusammentragen.«

Freundlich lächelte sie Honor an, dann wandte sie sich an Younger.

»Gerald, wenn Sie das wünschen«, fuhr sie ebenso freundlich fort, »werden Leslie, Walter und ich gewiss die Zeit finden, mit Ihnen über die Position der Regierung hinsichtlich dieser Dinge zu sprechen, bevor wir uns wieder mit Admiral Alexander-Harrington und ihrer Delegation zusammensetzen. Ich höre die Ansichten des Kongresses immer gerne, und ich nehme, wie Sie ja wissen, auch gerne entsprechende Empfehlungen an. Und wenn die Mitglieder Ihres Komitees hinsichtlich dieses Punktes Vorbehalte haben, dann würde ich darüber gerne informiert werden. Nichts liegt mir ferner, als den gewählten Representatives der Republik, die schließlich nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet sind, eine Meinung aufzuzwingen! Aber ich muss zugeben, dass mir im Augenblick nichts von einem allgemeinen Volkswillen bekannt ist, der dem bisher Gesagten entgegenstünde. Sollte ich mit dieser Annahme jedoch falsch liegen und es tatsächlich ernstliche Vorbehalte geben, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar, in entsprechende Überlegungen eingebunden zu werden.«

Der Blick, den Younger seiner Präsidentin zuwarf, war noch finsterer als der, mit dem er zuvor Honor bedacht hatte. Doch immer noch hatte er seinen Zorn fest im Griff, und so nickte er und bewahrte dabei sogar einen gewissen Anschein der Höflichkeit.

»Also gut«, sagte Pritchart ein wenig fröhlicher und lächelte Honor erneut an. »Dann, Admiral, sehen wir uns in zwei Stunden wieder. Wäre das für Sie und Ihre Delegation akzeptabel?«

»Na, das war doch unterhaltsam, oder nicht?«, merkte Honor fast schon launig an. In Begleitung ihrer Waffenträger, die sie wie wachsame Schäferhunde hüteten, betrat sie zusammen mit ihrer Delegation den Speisesaal ihrer Suite. Wie im Konferenzsaal, den Pritchart für diese Verhandlungen ausgewählt hatte, boten auch hier die Fenster einen herrlichen Ausblick auf die schäumenden Frontenac Falls. Honor trat an die Scheibe heran, um den spektakulären Anblick erneut zu genießen.

»Ich weiß nicht recht, ob ›unterhaltsam‹ das Wort ist, das mir dazu einfiele, Hoheit«, gab Tuominen trocken zurück. »Ihre Herangehensweise an die subtile, dezente Welt der Diplomatie erschien mir doch ein wenig … direkt, könnte man wohl sagen.«

»Ach, kommen Sie schon, Voitto!« Sir Barnabas Kew schüttelte den Kopf und lächelte dabei über das ganze Gesicht. »Geben Sie es doch zu: Ihnen hat es genauso gut gefallen wir mir, miterleben zu dürfen, wie dieser unerträgliche junge Kerl ein bisschen zurechtgestutzt wurde! So viel zum Thema Giftschlangen.« Erneut schüttelte der permanente Unterstaatssekretär den Kopf und blickte zu Honor hinüber. »Ich weiß ja nicht, was er nun im Schilde führt, Hoheit, aber ich bin fest davon überzeugt, dass Sie den Nagel genau auf den Kopf getroffen haben.«

»Nimitz und ich hatten schon mehrmals über ihn diskutiert«, erwiderte Honor. Das war ja auch durchaus richtig, nur dass damit eben noch nicht die ganze Wahrheit ausgesprochen worden war. Kew, Tuominen und Baronin Selleck nickten. Sie hatten den gleichen Eindruck von sämtlichen der havenitischen Unterhändler wie Honor – und Nimitz natürlich –, auch wenn sie über Pritchart, Theisman und Nesbitt nicht ganz so viel verraten hatte, und das aus mehrerlei Gründen.

»Von allen Mitgliedern der Delegation«, fuhr sie fort, »sind Younger und Tullingham zweifellos die zynischsten und selbstsüchtigsten. McGwire ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, verstehen Sie mich nicht falsch, aber er scheint zumindest begriffen zu haben, dass angesichts der derzeitigen Lage der Republik doch ein gewisses Maß an pragmatischer Resignation angesagt ist. Tullingham ist es völlig egal, was mit Pritcharts und Theismans Verfassung geschieht – was meines Erachtens nicht gerade wünschenswert ist bei einem Richter am Obersten Gerichtshof. Ich habe den Eindruck, er gehört zu diesen Leuten, die es für eine wunderbare Idee halten, Rechtsauffassungen prinzipiell immer an den Höchstbietenden zu verscherbeln. Aber gleichzeitig neigt er nicht dazu, aus bloßem, persönlichen Ehrgeiz diese Verhandlungen mit wehenden Fahnen in den Untergang zu führen. Ich denke, er sieht das Ganze mehr im Sinne von ›Geschäft ist Geschäft‹. Younger hingegen …«

Honor schüttelte den Kopf und versuchte nicht einmal, ihren Abscheu zu verbergen.

»Was ist mit ihm, Hoheit?«, fragte Selleck nach. Mit zusammengekniffenen Augen blickte sie den Admiral an, und Honor schmeckte, wie ihrem Gegenüber Spekulationen durch den Kopf gingen. Natürlich hatte man die Baronin nicht zuletzt deswegen in diese Delegation aufgenommen, weil sie Erfahrung mit den verschiedenen oppositionellen Gruppen hatte, die nach Saint-Justs Tod im Zuge der Wiederauferstehung der Republik entstanden waren.

»Ich bin mehr als nur gelinde überrascht, dass er nicht versucht hat, Green Pines gegen uns ins Feld zu führen«, gestand Honor ein. »Ich weiß zwar, dass wir in meinem kleinen Gespräch mit der Präsidentin genau darauf gehofft hatten, aber ich habe wirklich nicht erwartet, dass er kein Wort darüber verlieren würde.« Und sie hatte auch nicht mit der Furcht des Representatives gerechnet, die immer dann in seinem Geistesleuchten aufflammte, wenn es danach aussah, als könne jemand anderes dieses Thema anschneiden. »Aber je mehr ich von ihm erlebe, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass er schon lange bevor wir in Nouveau Paris eingetroffen sind, im Trüben gefischt hat – im sehr Trüben.«

»Damit könnten Sie durchaus recht haben«, gab Selleck zu. »Wie ich schon sagte, ich habe immer noch kein sonderlich gutes Gespür für die parteiinterne Dynamik entwickeln können. Aber die Aussagen meiner Informanten lassen immer deutlicher vermuten, dass Younger ungleich wichtiger ist, als wir bislang gedacht hatten. Meinen Sie vielleicht, er könnte sogar noch wichtiger sein, als uns das im Augenblick erscheint?«

»Das lässt sich nicht so leicht sagen, Carissa«, erwiderte Honor nachdenklich. Sie wandte sich von der Fensterfront ab und ging auf den Tisch zu, als James MacGuiness in der Tür auf der anderen Seite des Raumes erschien. Mit Adleraugen beobachtete er die Stewards der Navy, die ihm die Achte Flotte zur Seite gestellt hatte, damit für seinen Admiral eine zuverlässige, sicherheitstechnisch über jeden Zweifel erhabene, Versorgungsgruppe bereit stand.

»Ich weiß nicht, wie wichtig er wirklich ist«, fuhr Honor fort, während sie am Kopfende des Tisches Platz nahm. »Ich weiß noch nicht einmal, ob er überhaupt so wichtig ist, wie er selbst das von sich annimmt. Ganz offensichtlich hat er einen gewissen Einfluss, sonst wäre er gar nicht erst in Pritcharts Delegation aufgenommen worden. Das Problem ist, dass er zu den Leuten gehört, die einfach zu wissen meinen, dass sie klüger, gerissener und alles in allem einfach besser sind als alle anderen. Ich habe keine Ahnung, was er von Pritchart will. Aber was auch immer es ist, er ist noch nicht einmal auf die Idee gekommen, er könnte es letzten Endes nicht bekommen. Zumindest nicht, bis sie ihn um diese ›Einweisung‹ gebeten hat.«

Sie lachte leise, und die meisten ihrer Begleiter schlossen sich ihr an. Dann blickte Honor zu MacGuiness auf.

»Und was werden Sie uns heute vorsetzen, Mac?«

»Ich bin recht zuversichtlich, dass es Ihnen schmecken wird, Hoheit«, erwiderte MacGuiness, deutete eine Verbeugung an und lächelte mild.

»Aber Sie wollen es mir nicht verraten, bis der Teller vor mir steht, richtig?«

»Ich schätze es, Sie hin und wieder überraschen zu dürfen«, bestätigte er. Nun lächelte er noch breiter. Voller Zuneigung blickte Honor ihn an und schüttelte den Kopf.

»Also gut, dann legen Sie los!«, forderte sie ihn heraus. MacGuiness lachte leise, während die anderen Stewards die Deckel von den Schüsseln nahmen. Und dann standen diese mit aromatisch duftender Krebssuppe vor den Gästen.

»Entschuldigen Sie, Hoheit.«

Honor blickte von ihrer zweiten Portion Kirschkuchen auf, als Lieutenant Tümmel wie von Zauberhand unmittelbar neben ihr erschien. Honor war sich sicher, der Lieutenant müsse Teleportations-Unterricht bei MacGuiness genommen haben. Allmählich begriff sie, dass sie sein Talent zur Unaufdringlichkeit umso mehr schätzte, weil Tim Meares eben nicht damit gesegnet gewesen war. Zweifellos war Meares ebenso effizient gewesen wie Tümmel, doch es war ihm nie in der gleichen Art und Weise wie Tümmel gelungen, dezent im Hintergrund zu verschwinden und unvermittelt wieder zu erscheinen – immer zum richtigen Zeitpunkt. Das bedeutete, dass Tümmel zumindest in einer Hinsicht Honor nicht ständig an ihren letzten Flaggleutnant erinnerte – und daran, was ihm widerfahren war.

»Ja, Waldemar?«, sagte sie und achtete sorgsam darauf, sich keinesfalls den Schmerz anmerken zu lassen, der sie immer dann durchzuckte, wenn sie an Meares denken musste.

»Wir haben gerade eine Depesche von Manticore erhalten, weitergeleitet über die Imperator. Sie ist eigenhändig an Sie gerichtet, von Ihrer Majestät persönlich. Bedauerlicherweise ist sie als dringend gekennzeichnet.«

»Ich verstehe.«

Honor legte ihre Gabel beiseite, tupfte sich mit der Serviette über die Lippen und erhob sich. Angespannt – oder zumindest grüblerisch – blickte der Rest ihrer Delegation sie an. Honor lächelte.

»Lassen Sie sich von mir nicht stören«, sagte sie. »Genießen Sie den Nachtisch!«

Zwanzig Minuten später wandte Honor den Blick vom Display im Wohnraum ihrer eigenen Suite ab. Ihre Miene war nun deutlich weniger amüsiert als zuvor. Sie kippte ihren Sessel ein wenig zurück und schlug die Beine übereinander. Mit einer fließenden Bewegung ließ sich Nimitz auf ihren Schoß gleiten, richtete sich dann auf und blickte seiner Person geradewegs in die Augen.

»Nicht so gut, was, Stinker?«, fragte sie und kraulte ihm die Ohren. Eigentlich, so ging es ihr durch den Kopf, ist ›nicht so gut‹ aber übermäßig optimistisch ausgedrückt. Schließlich war die Nachricht bereits mehr als drei Wochen alt. Mittlerweile war es nur zu wahrscheinlich, dass Michelle Henke bereits die Gelegenheit hatte, die Überlegenheit manticoranischen Kriegsgeräts unter Beweis zu stellen – oder der anderen Seite zu belegen, dass jegliche Abschätzungen in dieser Hinsicht gänzlich falsch gewesen waren. Honor spürte, dass Nimitz ebenso besorgt war wie sie selbst. Doch dann zuckte die obere Hüfte des Baumkaters – die Nachahmung eines menschlichen Achselzuckens.

›Mike ist stark‹, signalisierte er mit seinen flinken Fingern. ›Sie wird damit zurechtkommen.‹

Kurz war Honor versucht zu fragen, was Nimitz denn plötzlich zu einem Experten auf dem Gebiet von Schlachtflotten gemacht habe. Glücklicherweise verschwand dieses Bedürfnis ebenso rasch, wie es aufgekommen war. Im Grunde genommen hatten Baumkatzen keinerlei Ahnung von fortgeschrittener Technologie und Waffensystemen. Doch jene ’Katzen, die einen Menschen adoptiert hatten, waren schließlich oft genug mit derlei Dingen in Kontakt gekommen, um zumindest zu begreifen, wozu diese Dinge in der Lage waren, auch wenn den ’Katzen immer noch gänzlich verschlossen blieb, wie das möglich war. Und Nimitz hatte mehr Raumschlachten miterlebt als die meisten Flottenangehörigen. Bei einigen dieser Schlachten waren Honor und er dem Tode entschieden zu nahe gekommen. Ja, nachdem Paul Tankersley die Entwicklung des ersten Skinsuits für Baumkatzen gelungen war, hatte Nimitz genauso viele Schlachten miterlebt wie Honor selbst – und auf den gleichen Brücken.

Und er kennt Mike besser als praktisch jeder andere, ging es ihr durch den Kopf. Ja, Nimitz hat definitiv ein Anrecht auf eine eigene Meinung.

»Ich hoffe, du hast recht, Stinker«, antwortete sie leise, statt das auszusprechen, was ihr auf der Zunge gelegen hatte. Der ’Kater stieß ein amüsiertes Blieken aus, als er bemerkte, wie sie innerlich ›umschaltete‹. Lächelnd schüttelte Honor den Kopf und zupfte ihn spielerisch-strafend am Ohr. Das trug ihr einen sanften Klaps mit einer seiner Echthände ein (natürlich mit eingezogenen Krallen). Honor lachte leise. Doch dann verblasste das Lächeln auf ihrem Gesicht wieder. Sie schloss den ’Kater fest in die Arme und dachte angestrengt nach.

»Die Frage«, sagte sie dann laut und nutzte ihre ’Katz wieder einmal als Testperson für ihre Gedankengänge, »ist nun, ob wir das Pritchart erzählen oder nicht.«

›Du würdest es ihr gerne erzählen‹, signalisierte Nimitz. Honor stieß ein Schnauben aus.

»Ja, das stimmt. Das würde ich wirklich gerne tun«, gestand sie sich ein. Fragend zuckten Nimitz’ Ohren, und Honor seufzte.

»Beth hat Mikes Depeschen noch nicht für die Öffentlichkeit freigegeben – oder zumindest hatte sie das noch nicht getan, als diese Depesche hier abgeschickt wurde. Aber früher oder später wird sich das ändern. Also wird Pritchart ohnehin davon erfahren, ganz egal, was ich hier tue. Ich möchte nicht, dass sie zu dem Schluss kommt, ich sei angesichts ihrer möglichen Reaktion darauf zu nervös gewesen und hätte es ihr deswegen bewusst vorenthalten. Ich glaube zwar nicht, dass sie sich von Younger anstecken lässt und ebenfalls anfängt, auf Zeit zu spielen, aber da könnte ich mich ja auch täuschen. Und ich war ihr gegenüber von Anfang an so offen, wie das nur möglich war. Sogar über Green Pines habe ich ihr die Wahrheit erzählt. Ich möchte auf keinen Fall das Maß an Vertrauen gefährden, das wir uns mittlerweile erarbeitet haben.«

Darüber grübelte Nimitz, die grasgrünen Augen nachdenklich zu Schlitzen verengt. Im Gegensatz zu allen anderen Mitgliedern von Honors Delegation hatte er Eloise Pritcharts Geistesleuchten sogar noch deutlicher schmecken können als Honor selbst. Für sie war ganz offensichtlich, dass der ’Kater vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen über das nachdachte, was sie gerade gesagt hatte. Und Honor wollte ihn auch gewiss nicht hetzen. Anders als die Manticoraner, die sich immer noch weigerten, den Baumkatzen echte Intelligenz zuzusprechen – angesichts der Belege aus jüngster Zeit nahm die Zahl dieser Skeptiker allerdings rasch ab –, brachte Honor Alexander-Harrington den ’Katzen beachtlichen Respekt entgegen, was ihre Fähigkeit betraf, auch komplexe Sachverhalte zu begreifen. Und für Nimitz galt das natürlich ganz besonders – vor allem, wenn es dabei um die menschliche Natur ging.

Schließlich bewegten sich wieder Nimitz’ Finger. Honors Augen weiteten sich.

›Du möchtest ihr das erzählen, weil du sie magst‹, erklärte er.

»Ich …«, setzte sie an. Doch dann stockte sie, weil Nimitz wieder einmal genau ins Schwarze getroffen hatte.

»Ja, du hast recht«, gestand sie. »Und vielleicht ist das gar nicht gut.« Sie verzog die Lippen zu einem reumütigen Lächeln. »Ich glaube nicht, dass echte, hartgesottene, professionelle Diplomaten die Leute mögen sollten, denen sie einen Vertrag abschwatzen wollen.«

›Na und?‹, signalisierte Nimitz. ›Dafür hat dich Seele-aus-Stahl doch nicht hierhergeschickt. Sie hat dich hierhergeschickt, um eine Übereinkunft zu erzielen, nicht bloß zum Reden, Debattieren und Streiten. Außerdem mag ich Sucht-die-Wahrheit auch.‹

»›Sucht-die-Wahrheit‹?«, wiederholte Honor, lehnte sich zurück und blickte ihrer ’Katz fest in die Augen. »Du findest, das sollte ihr Baumkatzenname sein?«

Nimitz nickte, und Honors Augen verengten sich. Im Allgemeinen erwiesen sich die Namen, die Baumkatzen Menschen gaben, als außergewöhnlich zutreffend. Gewiss, einige fielen eher assoziativ als beschreibend aus – ihr eigener beispielsweise: Tanzt-auf-den-Wolken. Doch selbst derartige Namen verrieten doch immens viel über die betreffenden Menschen. Und wo Honor nun darüber nachdachte, kam sie zu dem Schluss, dass ›Sucht-die-Wahrheit‹ ihrer eigenen Einschätzung von Pritcharts Persönlichkeit bemerkenswert nahe kam.

Nun mach mal langsam, Honor!, schalt sie sich innerlich. Ganz bestimmt möchtest du, dass ihre Persönlichkeit so aussieht. Und für Nimitz gilt gewiss das Gleiche. Vielleicht lest ihr beide einfach viel zu viel in das hinein, was ihr von ihr auffangt.

Vielleicht aber auch nicht.

»Ist dir auch schon für Thomas Theisman ein Name eingefallen?«, fragte sie.

Nimitz rechte Echthand beschrieb den Buchstaben ›S‹ und ›nickte‹ dann auf und ab – das Zeichen für ›Ja‹. Doch Honor hatte das Gefühl, als bewege sich ihr ’Kater ein wenig langsamer als sonst. Eine oder zwei Sekunden lang blickte er sie an, und Honor wölbte die Augenbrauen. Sie spürte deutlich, wie Nimitz zögerte. Nicht, weil er besorgt war, wie sie wohl darauf reagieren würde, nein … es war eher, als rechne er damit, sie werde ihm nicht glauben.

Dann hob er die rechte Echthand, die Handfläche einwärts gedreht, tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und beschrieb mit der Fingerspitze langsam einen Halbkreis im Uhrzeigersinn. Während die Hand aufstieg, krümmte Nimitz den Finger und streckte ihn dann wieder aus. Mehrmals. Damit wechselte er zwischen der Zahl ’1’ und dem Buchstaben ›X‹ hin und her. Schließlich drehte er die Handfläche zu Honor und schloss die Hand, um erneut das ›N‹ anzuzeigen. Kurz darauf führte er beide Hände vor der Brust zusammen und verschränkte Daumen und Zeigefinger, bevor er die Hände unter das Kinn legte. Nur die rechte Hand berührte dabei sein Gesicht, und Daumen und zwei Finger jeder Hand signalisierten den Buchstaben ›F‹. Einen Moment hielt Nimitz inne, dann trennten sich seine Hände wieder, und Honor spürte, dass sie ihre Augenbrauen noch höher zog.

»›Träumt-von-Frieden‹?«, sagte sie vorsichtig, als könne sie selbst nicht glauben, was sie sich da gerade sagen hörte. »Das ist sein Baumkatzenname?«

Sehr entschieden nickte Nimitz, und Honor schmeckte seine Zuversicht – seine Überzeugung. Er glaubte wirklich an den Namen, den er Theisman gegeben hatte! Kein Wunder, dass er gezögert hatte, ihr das zu sagen! Wenn es in der Galaxis irgendjemanden gab, der die unerschütterliche, unaufhaltsame Bereitschaft unter Beweis gestellt hatte, wirklich alles zu tun, was die Pflicht ihm abverlangte, wie schlimm es auch sein mochte, dann war das Thomas Theisman! Er war derjenige, der die Republican Navy in eine Kriegsmaschinerie verwandelt hatte, die es tatsächlich im Gefecht mit der RMN aufnehmen konnte. Er war derjenige, der Unternehmen Donnerkeil geplant und ausgeführt hatte. Er hatte Operation Beatrice geplant. Er …

Honor hielt inne, und Nimitz blickte ihr so fest in die Augen, wie es selbst bei ihnen beiden nur äußerst selten vorkam. Mehrere scheinbar endlose Sekunden lang saßen sie so nur reglos dort. Dann holte Honor tief Luft.

Ja, Theisman hatte immer seine Pflicht erfüllt. Das würde auch immer so bleiben, ohne Zögern, ohne Furcht, was auch immer ihm abverlangt würde. Doch wahrscheinlich ließe sich über sie selbst genau das Gleiche sagen. Was tat sie denn hier und jetzt, auf ausgerechnet diesem Planeten, wenn nicht auch sie ›vom Frieden träumte‹? Je mehr Honor darüber nachdachte, wie es gewesen sein musste, seine Sternnation all die Jahre gegen einen Feind zu verteidigen und gleichzeitig miterleben zu müssen, wie die Systemsicherheit Exempel an den Männern und Frauen statuierte, die er seit Jahren gekannt hatte, die vielleicht seine Freunde gewesen waren, desto bewusster wurde ihr, wie sehr jemand wie Thomas Theisman von Frieden träumen mochte.

Ich wünschte, Elizabeth wäre hier, dachte sie. Sie kann ja vielleicht nicht ganz so gut Ariels Emotionen schmecken wie ich die von Nimitz, aber sie vertraut Ariel. Und wenn er ihr sagen würde, er stimme den Namen zu, die Nimitz Pritchart und Theisman gegeben hat …

»Dir ist schon klar, dass du mir mit dem, was du da gerade gesagt hast, die Entscheidung nicht gerade leichter machst, oder, Stinker?«, fragte sie ihn, ein schiefes Grinsen auf dem Gesicht.

Er blinzelte, dann bliekte er zustimmend, strahlte seine unerschütterliche Liebe zu ihr aus … und ließ sie gleichzeitig spüren, wie belustigt er war. Nimitz verstand ganz genau, dass seine Person nach Haven gekommen war, um etwas sehr, sehr Wichtiges zu erreichen. Er verstand sogar, worum es hierbei ging. Doch für ihn war das ganze Zwei-Bein-Konzept von ›Verhandlungen‹ völlig unsinnig, schließlich gehörte er einer Spezies von Telempathen an. Und Telempathen hätten sich nicht einmal dann in diplomatischen Täuschungsversuchen ergehen können, wenn sie es darauf angelegt hätten. Nimitz wusste natürlich, dass Honor nach den Regeln der Zwei-Beine spielen musste. Doch ihm selbst erschien dieser ganze Prozess unnötig weitschweifig, hinderlich und einfach nur albern.

»Ja, klar«, sagte Honor und drückte ihn noch einmal an sich. »Für dich ist das ganz einfach, Stinker.«

»Ja, Admiral?«

Eloise Pritcharts Miene verriet höfliche Neugier, als sie Honor von deren Combildschirm aus anblickte. Ohne körperliche Nähe konnte Honor natürlich nicht die Emotionen der Präsidentin schmecken. Trotzdem war es offensichtlich, dass Pritchart sich fragte, warum Honor sich bei ihr gemeldet hatte, wenn ihre Delegationen sich doch ohnehin in nicht einmal einer halben Stunde wieder zusammensetzen würden.

Na, das wird sie ja gleich herausfinden, dachte Honor. Und es wird interessant sein zu erfahren, ob sie und Theisman in der Art und Weise reagieren werden, wie das bei den Namen, die Nimitz ihnen verpasst hat, zu erwarten wäre.

»Es tut mir leid, Sie zu stören, Madame Präsidentin«, sagte sie, »aber ich habe gerade eine Depesche aus der Heimat erhalten. Ihrerseits ist deswegen noch kein unmittelbares Handeln erforderlich«, versicherte sie Pritchart, als die Präsidentin fragend die Augenbrauen wölbte, »aber ich dachte, ich sollte Ihnen zumindest den Inhalt mitteilen – als Hintergrundwissen über die Position, aus der heraus das Sternenimperium diese Verhandlungen führt.«

»Bitte, Admiral, wenn Sie das für angemessen halten.« Pritchart lehnte sich in ihrem Sessel zurück und straffte die Schultern. Als Honor in diese topasfarbenen Augen blickte, sah sie, dass ihre Gesprächspartnerin daran dachte, wie Honor ihr beim letzten Mal ›Hintergrundwissen‹ hatte zukommen lassen.

»›Angemessen‹ ist ein so interessantes Wort«, merkte Honor fast schon schelmisch an. »Ich hoffe, es ist in diesem Falle passend, aber das werden wir wohl einfach abwarten müssen, nicht wahr?

Wie dem auch sei, Madame Präsidentin: Es sieht so aus, als hätte vor etwas mehr als drei T-Wochen einer unserer Zerstörer, HMS Reprise, bei seiner Rückkehr von Meyers aus in das Spindle-System recht interessante Neuigkeiten mitgebracht. Entgegen allen bisherigen Indizien aus der Vergangenheit scheinen solarische Wallschiffe doch unter eigener Kraft bis in den Rand vorstoßen zu können. Tatsächlich …«

Kapitel 2

»Na«, sagte Elizabeth Winton trocken, »dann lautet die Frage, die sich jetzt stellt, ja wohl: ›Was zur Hölle machen wir jetzt?‹«

»Das stimmt, Eure Majestät«, erwiderte William Alexander. »Andererseits wurden sämtliche denkbaren Entscheidungsbäume gerade brutal gekappt. Wenn man erst einmal auf dem Rücken des Hexapumas sitzt, dann bleiben einem nur noch zwei Möglichkeiten: sich festhalten oder gefressen werden!«

»Nicht unbedingt, Willie«, widersprach sein Bruder. Baron Grantville blickte ihn an, die Augenbrauen gewölbt, und Hamish Alexander-Harrington stieß ein bellendes Lachen aus. Es war ein kalter Laut, ohne jeglichen Humor, und die blauen Augen des Admirals waren noch kälter.

»Meinst du wirklich, es gibt noch eine andere Option, Hamish?«, erkundigte sich der Premierminister skeptisch.

»Aber natürlich« Wenn man an seinen Pulser kommt, dann kann man diesem sechsbeinigen Mistvieh auch einfach einen Bolzen durch das Hirn jagen«, versetzte der Earl von White Haven barsch.

Grantvilles Miene verfinsterte sich, als er den Zorn, die Rachsucht und zugleich auch das Selbstbewusstsein in der Stimme seines Bruders bemerkte. Das aufbrausende Temperament der Alexanders war in der gesamten Royal Manticoran Navy berüchtigt, und Grantville hatte damit noch mehr Erfahrung sammeln dürfen als die meisten von White Havens Offizierskollegen. Außerdem neigte er selbst zu exakt dem gleichen Verhalten. Und er kannte seinen Bruder gut genug, um sofort zu verstehen, wie jemand, der die Männer und Frauen der Royal Navy bereits in zahllosen Schlachten befehligt hatte, über einen Gegner denken musste, der bereit war, mit einer ganzen Flotte Superdreadnoughts kaltblütig gegen eine Hand voll Schlachtkreuzer und Schwerer Kreuzer vorzugehen. Dass es letztendlich nicht ganz so gelaufen war, wie sich Admiral Sandra Crandall das vorgestellt hatte, war nicht gerade dazu angetan, White Havens Zorn zu lindern. Und das sollte es auch nicht.

Schließlich geht es hier darum, was sie eigentlich beabsichtigt hatte, nicht wahr?, sinnierte Grantville. Andererseits …

»Weißt du, Ham, nachdem uns Mikes erste Berichte über New Tuscany erreicht haben, habe ich selbst ein bisschen historische Recherche betrieben«, sagte er. »Du hattest ganz recht, als du mich auf Lincoln hingewiesen hast. Aber es gibt da noch ein paar andere interessante Kleinigkeiten in der Geschichte von Alterde. Du bist doch gewiss mit dem Begriff ›Victory Disease‹ vertraut, oder?«

»Ja, das bin ich tatsächlich.« Kurz blitzten White Havens Zähne auf, eine Mimik, die beinahe schon einem Lächeln gleichkam. Samantha legte die Ohren an; White Havens Baumkatze lag angespannt und unverkennbar zornig auf der Rückenlehne seines Sessels. »Natürlich kann man arg selbstgefällig und selbstsicher werden, wenn man einfach gewohnt ist, immer und überall zu siegen. Andererseits hätten eigentlich wir diejenigen sein sollen, die einen Pearl-Harbor-artigen Angriff über sich ergehen lassen mussten. Wir waren es nicht, die töricht genug waren, einen solchen Angriff durchzuführen. Und ich will auch gar nicht vorschlagen, das Ausmaß der Bedrohung kleinzureden. Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass es keinen Sinn hätte so zu tun, als wäre das alles nie passiert oder als würde die Liga die völlige Zerstörung von dreiundzwanzig ihrer Superdreadnoughts und das Aufbringen von achtundvierzig weiteren einfach so hinnehmen – ganz zu schweigen von all den anderen Geleitschiffen, die Crandall ins Spindle-System mitgebracht hat. Die werden jetzt ihr Bestes tun, das ganze Sternenimperium in Schutt und Asche zu legen. Meines Erachtens hat Mike genau das getan, was unter den gegebenen Umständen auch erforderlich war. Schließlich hatte sie es mit einer Streitmacht zu tun, deren Oberkommandierende zu dämlich war, um Wasser aus einem Stiefel auszuschütten, selbst wenn ihr dafür eine ausführliche Dienstanweisung vorlag. Aber dass sich Mike für das richtige Vorgehen entschieden hat, bedeutet noch lange nicht, dass das auch gut war. Aber alternative Optionen standen ihr leider nicht offen!«

Er hielt inne und forderte auf diese Weise seine Zuhörer wortlos auf, ihm zu widersprechen. Königin Elisabeth schwieg, und so gerne Grantville der Argumentation des Admirals etwas entgegengesetzt hätte: Er konnte es nicht. Sir Anthony Langtry schien hin und her gerissen zwischen seiner Pflicht als Diplomat, eine Möglichkeit zu finden, weitere Kampfhandlungen zu vermeiden, und der blutrünstigen Rachsucht eines ehemaligen Marines. Sir Thomas Caparelli und Admiral Patricia Givens hingegen waren ganz offenkundig völlig einverstanden mit White Havens Argumentation.

»Also gut«, fuhr der Earl fort, als niemand das Wort ergriff. »Da die Sollys zu dem Schluss kommen werden, das Sternenimperium sei ein Nagel und sie müssten nun nach dem größten gottverdammten Hammer suchen, den sie nur haben – genau wie Ihre Majestät es schon ausgedrückt hat, bevor diese Crandall überhaupt im System aufgetaucht ist –, hat es überhaupt keinen Sinn, jetzt vor diesem Vollidioten Kolokoltsov und seinen widerlichen, ebenso arroganten Kumpeln einen Kotau zu machen. Die haben auf diesen Green-Pines-Mist ja geradezu panisch reagiert. Sie verlangen eine ›unvoreingenommene interstellare Untersuchung‹ der ›offensichtlichen Verwicklung des Sternenimperiums in terroristische Aktivitäten‹ – und die soll dann auch noch ausgerechnet vom Amt für Grenzsicherheit durchgeführt werden! Das zeigt doch ziemlich deutlich, in welche Richtung deren Gedanken gehen! Und das war auch schon so, bevor Mike dieser Crandall in den Arsch getreten hat! Deswegen denke ich, das Beste, was wir tun können, wäre ihnen geradeheraus zu sagen, dieser ganze Schlamassel sei nur die Folge davon, dass deren Leute Schei … öhm, Mist gebaut haben, und zwar so richtig! Und dass wir nicht mehr bereit sind, das einfach so hinzunehmen. Wir sollten denen die taktischen Aufzeichnungen aus dem Spindle-System schicken und sie fragen, wie viele ihrer Superdreadnoughts unsere Kreuzer noch zerstören sollen. Irgendwann werden auch wir unsere Schlachtkreuzer hinzuziehen – von unseren Wallschiffen ganz zu schweigen –, und dann geht’s erst richtig los. Und während wir das tun, bereiten wir hier vor Ort schon einmal Fall Laokoon vor.«

Bei diesem letzten Satz spannten sich die Mienen seiner Zuhörer sichtlich an. ›Fall Laokoon‹ war die Bezeichnung des Plans der Royal Manticoran Navy, dem solarischen Schiffsverkehr den Zugang zu jedem einzelnen durch Manticore gesicherten Wurmloch-Nexus zu verwehren. Genauer gesagt war das die erste Phase von Laokoon. Zur zweiten Phase gehörten dann auch aktive Angriffe auf solarische Handelsschiffe und die Ausweitung der manticoranischen Herrschaft über jeden anderen Nexus, der für sie überhaupt nur erreichbar war – ganz egal, in wessen Zuständigkeitsbereich besagter Nexus formal fiel.

»Ich weiß, worüber wir hier reden«, fuhr White Haven grimmig fort. »Und mir ist auch klar, dass die Sollys schreien werden wie am Spieß, wir würden uns ›in den freien Handel einmischen‹, selbst wenn wir mit Laokoon Zwo noch gar nicht angefangen haben. Aber wenn sie erst einmal erkennen, wie sehr wir ihnen auf diese Weise wirtschaftlich schaden können, dann ist das vielleicht sogar für die Sollys abschreckend genug – vor allem, wenn man dann noch betrachtet, was im Spindle-System passiert ist. Auf jeden Fall ist Laokoon das Wirksamste, was uns offen steht, von einer Generaloffensive einmal abgesehen. Deswegen denke ich, wir sollten ausprobieren, ob das nicht vielleicht schon reicht. Viel zu verlieren haben wir ja nun wirklich nicht. Schlimmstenfalls wird die Liga einfach mit dem weitermachen, was sie ohnehin schon geplant hatten. Dann werden wir ja herausfinden, ob Honor recht hat mit ihrer Abschätzung, die gesamte Navy der Sollys sei geradezu erschreckend angreifbar. Im Idealfall – auch wenn ich mich wirklich nicht darauf verlassen würde, dass dieser Idealfall tatsächlich eintritt! – entwickelt irgendjemand in Chicago spontan einen IQ, der über Zimmertemperatur liegt, und kommt dann zu dem Schluss, es sei vielleicht doch keine so gute Idee, ein paar Millionen ihrer Militärangehörigen einfach zu verheizen.«

Er zuckte mit den Schultern.

»Ich behaupte ja nicht, das sei eine gute Idee. Ich will nur sagen, dass uns, genauso wie Mike, einfach keine guten Alternativen offenstehen. Deswegen ist es meines Erachtens an der Zeit, endlich damit aufzuhören, das Unvermeidbare doch noch irgendwie abwenden zu wollen, und uns so aufzustellen, dass wir in der Lage sind, so effektiv wie nur möglich gegen die Liga zu kämpfen, wenn – sobald – es dazu kommt.«

Drückendes Schweigen legte sich über den Konferenzsaal in Mount Royal Palace. Mit steinerner Miene lehnte sich White Haven in seinem Sessel zurück.

»Ich spreche das wirklich nicht gerne aus«, ergriff schließlich Langtry das Wort, »aber ich denke, dass Hamish wirklich nicht unrecht hat. Niemand hat jemals zuvor ein solarisches Wallschiff aufgebracht, geschweige denn, gleich dreiundzwanzig von den Dingern aus dem All gefegt! Und wenn ich mich recht erinnere, hat noch nie jemand einen Superdreadnought ausgeschaltet und dabei nichts Größeres als Schwere Kreuzer zum Einsatz gebracht. So viel zum Thema ›Salz in die Wunden reiben‹.«

Er schüttelte den Kopf und dachte darüber nach, wie wohl die Arroganz der Solarier mit dieser Beleidigung zurechtkam, beiläufig – und gänzlich – von jemandem derart verprügelt zu werden, der dafür noch nicht einmal Großkampfschiffe benötigt hatte.

»Wir betreten hier wirklich Neuland«, fuhr er fort. »Bedauerlicherweise sind wir uns doch wohl allesamt einig, dass die Liga diese Nachrichten nicht … sonderlich gut aufnehmen wird. Da dem so ist, scheint mir lediglich eine kleine Modifikation von Hamishs Vorschlag ratsam: Meines Erachtens sollten wir Kolokoltsov eine diplomatische Note zukommen lassen, in der wir ihn darauf hinweisen, dass wir Crandalls Vorgehen vor Spindle als einen weiteren kriegerischen Akt der Liga ansehen. Falls dieses Vorgehen nicht seitens der Liga verurteilt wird – und zwar öffentlich, und im schärfstmöglichen Ton, innerhalb von zwo Standard-T-Tagen nach Erhalt unserer Note, wird die Regierung Ihrer Majestät davon ausgehen, Crandalls Verhalten sei repräsentativ für die Außenpolitik, die seitens der Liga dem Sternenimperium gegenüber vertreten wird. In diesem Fall werden wir, da nun durch das Betreiben der Liga der Kriegszustand zwischen ihr und Manticore herrscht, umgehend jeglichen solarischen Schiffen den Zugang zu jedem einzelnen durch uns gesicherten Nexus verwehren. Zudem werden wir die Stationskommandeure vor Ort darüber in Kenntnis setzen, dass wir uns mit der Liga im Krieg befinden, und sie entsprechend zu handeln haben.«

»Damit habe ich kein Problem«, erwiderte White Haven. »Ich glaube zwar nicht, dass das viel bringen wird, aber zumindest gibt es dann dieses Mal keine Fragen hinsichtlich unserer Vorkriegs-Diplomatie.«

»Moment!« Mit reumütiger Miene hob Elizabeth die Hand. »Ich kann zwar selbst nicht glauben, dass gerade ich das sage, aber so ist es nun einmal: Wäre es nicht vielleicht eine gute Idee, zunächst einmal herauszufinden, ob wir vielleicht doch zu einer Übereinkunft mit Pritchart kommen, bevor wir der Solaren Liga irgendein Ultimatum stellen?«

»Bei allem schuldigen Respekt, Eure Majestät«, antwortete Langtry, »das Ultimatum wurde doch bereits gestellt – und zwar durch die Liga, nicht durch uns. Dieses Ultimatum ist sozusagen vor etwa zwo Wochen im Spindle-System eingetroffen. Genau das meint Hamish ja. Glücklicherweise lassen die Depeschen von Herzogin Harrington vermuten, dass die Chancen auf einen Friedensvertrag mit Nouveau Paris recht gut stehen. Natürlich neige auch ich nicht dazu, den Tag vor dem Abend zu loben, aber wir können es uns nicht leisten, unsere Politik der Liga gegenüber dadurch beeinflussen zu lassen, wie unsere Beziehungen zur Republik stehen. Ganz offensichtlich müssen wir das natürlich berücksichtigen, da sich diese beiden Faktoren einander auch immens beeinflussen werden. Aber wir können es uns nicht leisten, sie zu eng miteinander zu verknüpfen, wenn es darum geht, unsere Politik und unsere militärische Strategie zu entwerfen.«

»Gut, das verstehe ich«, erwiderte Elizabeth. »Aber bleiben wir doch noch einen Augenblick bei dieser Überlegung, den Sollys die taktischen Aufzeichnungen zukommen zu lassen. Besteht wirklich eine ernstzunehmende Chance, dass sie daraus die richtigen Schlüsse ziehen werden? Pat? Wie sehen Sie das?«

Elizabeth schaute Admiral Givens an. Die Chefin des Office of Naval Intelligence verzog die Lippen zu einem unglücklichen Lächeln, das beinahe schon eine Grimasse darstellte.

»Eure Majestät, leider fällt das in die Kategorie ›das weiß niemand‹. Es ist schlichtweg unmöglich, ihre Reaktion auf diese Aufzeichnungen zu prognostizieren. Ganz offensichtlich hat Crandall aus dem, was Byng widerfahren ist, nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Aber ich denke, wir sind uns einig, dass sie die Weisheit auch nicht gerade mit Löffeln gefressen hatte. Außerdem ist die Schlacht von Spindle wohl ein deutlich größeres Ausrufezeichen als das, was sich vor New Tuscany ereignet hat. Andererseits ist Chicago von Spindle viel weiter entfernt als Meyers von New Tuscany. Und wahrscheinlich sind deren sogenannte Auswertungsexperten schon seit so langer Zeit dermaßen von der Wirklichkeit abgeschnitten, dass niemand den Bürokraten, die wirklich das Sagen haben, erzählt haben wird, wie miserabel die militärische Leistungsfähigkeit der SLN tatsächlich aussieht. Angenommen natürlich, einer von besagten Experten würde ihnen das überhaupt sagen wollen.«

»Warum sollten sie das denn nicht wollen?«, fragte Elizabeth nach. »Das ist doch deren Job, oder nicht? Und es ist ihre Navy, die gewaltig einen auf den Deckel kriegt, wenn sie Mist bauen!«

»Warum haben High Ridges und Janaceks Auswerter den beiden nicht erzählt, was wirklich passiert, Eure Majestät?«, gab Givens traurig zurück und klang dabei beinahe schon sanft. »Angesichts der Datenbanken, die Admiral Gold Peak vor New Tuscany in die Hände gefallen sind, bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass jeder in der Liga seinen Vorgesetzten immer nur genau das erzählt, was diese Vorgesetzten hören wollen – und dass schon seit so langer Zeit, dass keiner von denen überhaupt noch weiß, wie man eine unschöne Wahrheit überhaupt verpacken soll. Und wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich das sogar verstehen kann. Zumindest ein bisschen.«

»Wie bitte?«

Elizabeth wölbte eine Augenbraue, und Givens schüttelte den Kopf.

»Eure Majestät, jeder Auswerter ist immer versucht, sich für die Arbeitshypothese zu entscheiden, von der er weiß, dass sein Vorgesetzter sie am liebsten hören will – oder seine Regierung, oder diejenigen, die letztendlich das politische Vorgehen festlegen. Jemandem etwas anderes zu sagen, sorgt schließlich nicht dafür, dass besagter Auswertungsexperte sich sonderlich großer Beliebtheit erfreuen wird. Aber es ist noch nicht einmal zwangsläufig eine Frage der Selbstsucht, ob man vermeiden möchte, allzu große Wellen zu schlagen. Manchmal begreift ein solcher Experte auch einfach, was seine Vorgesetzten überhaupt bereit sind zu hören – also vermeidet man Wahrheiten, die dafür sorgen würden, dass man besagten Experten nicht mehr zuhört oder sie gar feuert. Schließlich weiß jeder Experte genau: Wenn man ihn entlässt, dann wird er durch jemand anderen ersetzt, der noch weniger willens sein wird, sich dem allgemeinen Konsens entgegenzustellen. Natürlich kann auch einfach geistige Trägheit eine Rolle spielen. Echte Denkfaulheit eben. Das geschieht sogar noch deutlich häufiger, als jeder Mitarbeiter im Nachrichtendienst zuzugeben bereit sein wird. Aber viel häufiger ist da noch etwas anderes: Selbst vollkommen ehrliche, stets hart und sauber arbeitende Auswerter bauen nach Strich und Faden Mist, weil sie sich bestimmte Denkgewohnheiten zugelegt haben. Weil sie bereit waren, dass sich bei ihnen eine ganz bestimmte Sicht der Dinge festsetzt – meistens sind sie sich dessen noch nicht einmal bewusst. Und dann schieben ihre internen Wahrnehmungsfilter alles beiseite, was dazu führen würde, die gewohnte Interpretation infrage zu stellen.

Um ehrlich zu sein, ist das wohl das Hauptproblem der Liga. Und das ist passiert, weil die Liga es eben geschafft hat, trotzdem weiterhin zu existieren. Das hat denen nicht so zugesetzt, wie Jurgensens Fehleinschätzung beim ONI, als Theisman seinerzeit Unternehmen Donnerkeil gestartet hat. Die Liga ist so riesig und so mächtig, dass die Sollys zumindest in gewissem Maße in der Lage waren, tatsächlich das wahr werden zu lassen, was sie gerne wollten. Ich meine, wer war denn schon groß oder aggressiv genug, denen eine zu verpassen, wenn sie sich täuschten? Also haben sie fröhlich immer weitergemacht, haben sich im wahrsten Sinne des Wortes Jahrhunderte lang für die Herren der Schöpfung gehalten. Natürlich musste es dadurch für jegliche Schwarzseher schwierig gewesen sein, bis zu den Leuten vorzudringen, die Entscheidungen zu treffen hatten!«

»Selbst wenn denen die taktischen Aufzeichnungen aus dem Spindle-System vorliegen?«

»Angenommen, die Auswerter selbst würden überhaupt glauben, besagtes Material sei echt, müssten sie dieses Material immer noch an ihren Vorgesetzten vorbeibugsieren, Eure Majestät. Und das wird ihnen gewiss nicht so leicht fallen, wie es das in einer perfekten Galaxis sein sollte. Ich halte es für möglich – sogar für wahrscheinlich –, dass irgendjemand, der in der Nahrungskette höher steht als diese Auswerter, jegliche Hinweise auf genau jene unerwünschten Kleinigkeiten verschwinden lassen wird, die für diesen ganzen Schlamassel hier überhaupt verantwortlich waren. Und selbst wenn es anders sein sollte, werden auch diese Vorgesetzten aufgrund ihrer Voreingenommenheit gewisse Wahrnehmungsfilter haben. Außerdem halte ich es für mindestens ebenso wahrscheinlich, dass jemand die Berichte dieser Auswerter ein bisschen weniger bedrohlich klingen lassen wird, einfach um einen kühlen Kopf zu bewahren und jeglichen ›hysterischen Alarmismus‹ zu vermeiden.«

»Da hat Pat einige wirklich wichtige Dinge angesprochen, Eure Majestät«, merkte White Haven an. Sofort richtete Elizabeth den Blick wieder auf den Ersten Lord der Admiralität. »Auf jeden Fall hat sie absolut recht, was diese Denkfaulheit betrifft: dazu die Neigung, mit der derzeit herrschenden Meinung – wie immer sie auch gerade aussehen mag – alles zu ersticken, was gegen sie spricht.« Er stieß ein bitteres Schnauben aus und schüttelte den Kopf. »Ich selbst habe schon gewisse Erfahrungen damit sammeln dürfen. Vielleicht erinnern Sie sich ja noch an diese kleine Meinungsverschiedenheit, die so lange zwischen Sonja Hemphill und mir bestanden hat. So etwas kann jedem passieren, selbst wenn man sich noch so sehr bemühen mag, intellektuell ehrlich und fair zu bleiben. Es kann einfach vorkommen, dass man nicht bemerkt, wie sehr man auf das vertraut, was man doch bereits ›weiß‹. Man hält das eben einfach für wahr, ohne auch nur in Erwägung zu ziehen, die Dinge könnten sich mittlerweile geändert haben. Und zugleich hat Pat auch recht, was wir vermutlich von den ranghöheren Offizieren der SLN erwarten dürfen. Die werden nicht einmal ansatzweise so sehr an intellektueller Ehrlichkeit interessiert sein wie daran, ihren eigenen Ar … öhm, Hals zu retten. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas jemals über irgendjemand anderen sagen würde, aber im Vergleich zu einigen der ranghöchsten Solly-Offiziere war Edward Janacek kompetent, umsichtig, weitblickend und aufmerksam.«

»Na, ganz so weit würde ich vielleicht nicht gehen, Hamish«, warf Caparelli trocken ein. »Ich gebe auch gerne zu, dass die Sollys sogar noch schlimmer sind als er, aber niemand bringt das Kunststück fertig, Janacek gut dastehen zu lassen.«

»Na gut.« White Haven nickte und nahm diese Korrektur hin. »Aber ich bleibe trotzdem bei dem, was ich gesagt habe. Diese Leute haben so lange in ihrem System den Ton angegeben, ohne auch nur einen Moment lang zu reflektieren, es könne für besagtes System überhaupt jemals eine Gefahr bestehen. Deswegen werden die zuallererst dafür sorgen, dass absolut nichts ihre eigene Position innerhalb dieses Systems gefährdet. Einige werden bestimmt dämlich genug sein zu glauben, das könnten sie dadurch hinbekommen, dass sie diese … wie hatten Sie das genannt, Pat? Dass sie all diese ›unerwünschten Kleinigkeiten‹ verschwinden lassen, die sie selbst schlecht dastehen lassen. Andere wiederum sind so wenig gewohnt, über externe Bedrohungen nachzudenken, dass sie eine Gefahr nicht einmal dann erkennen werden, wenn sie unmittelbar vor ihnen steht. Zumindest nicht, bevor es zu spät ist.«

»Wir haben immer noch Admiral O’Clearys offiziellen Bericht. Der stützt die Daten ja, die wir den Sollys zukommen lassen wollen«, merkte Langtry an. Nun war es an Givens, ein Schnauben auszustoßen.

»Ja, die haben wir, Herr Außenminister«, stimmte sie ihm zu, als er sie fragend anblickte. »Aber zunächst einmal wird alleine schon die Tatsache, dass O’Cleary kapituliert hat, ihrer Glaubwürdigkeit gewaltig schaden – zumindest, was die Leute auf Alterde angeht. Nicht nur, dass sie ganz bestimmt in ihrem Verhalten Feigheit vor dem Feind sehen werden! Nein, irgendjemand wird ganz bestimmt vorbringen, es sei ihr daran gelegen, die Effektivität unserer Waffentechnologie in völlig unangemessenem Maße überzubetonen. Ich meine, wenn wir tatsächlich über ›Superwaffen‹ verfügen würden, dann ließe dass doch ihre feige Entscheidung, einfach zu kapitulieren, gleich viel besser aussehen, oder nicht?

Und das ist nicht das Einzige, das all den Leuten in die Hände spielt, die O’Clearys Glaubwürdigkeit unterminieren wollen. Da ist auch noch unsere Bereitschaft, ihren Bericht tatsächlich nach Alterde zu befördern. Das an sich ist doch schon höchst verdächtig, meinen Sie nicht auch? Zweifellos haben wir doch unsere eigenen niederträchtigen Gründe, so etwas zuzulassen! Und dann ist da noch die Frage, warum gerade sie kapitulieren und diesen Bericht abfassen musste!«

Äußerst nachdenkliches Schweigen senkte sich über den Konferenztisch.

»Dann sind Sie also der Ansicht, es sei gar kein Selbstmord gewesen?«, fragte Elizabeth schließlich.

»Im Augenblick neige ich weder zur einen noch zur anderen Annahme, Eure Majestät«, erwiderte Givens. »Eines muss ich allerdings sagen: Wäre ich ein solarischer Admiral, der es geschafft hat, in wirklich jeglicher Hinsicht falsche Entscheidungen zu treffen, sodass aufgrund meiner eigenen erbärmlichen Dummheit mehr als zwanzig Wallschiffe zerstört wurden, dann wäre die Versuchung, mir einfach einen Pulserbolzen durch den Kopf zu jagen, eindeutig da. Andererseits neigen die meisten, die sich tatsächlich einen Bolzen durch den Schädel jagen, nicht gerade dazu, sich in den Hinterkopf zu schießen. Außerdem hätte sie auch einen Überrangcode in das Medopaneel ihres Skinsuits eingeben können, um sich eine tödliche Überdosis zu verpassen. Dann wäre sie einfach friedlich eingeschlafen. Natürlich reden wir nicht gerne darüber, aber jeder Raumfahrer weiß doch, wie das geht – schließlich gibt es ja für uns reichlich unschöne Möglichkeiten abzutreten.«

»Das klingt für mich aber ganz danach, als würden Sie das nicht für einen Selbstmord halten.«

»Na ja, es besteht kein Zweifel daran, dass es ihr Pulser war, Eure Majestät, und dass er sich in ihrer Hand befand, als Admiral Gold Peaks Marines ihre Leiche entdeckt haben. Und dem Bericht des Admirals zufolge haben die Forensiker keinerlei Hinweise darauf gefunden, irgendjemand anderes könnte den tödlichen Bolzen abgefeuert haben. Bedauerlicherweise gibt es aber keine Zeugen, die selbst miterlebt haben, wie das passiert ist – und das ist an sich ja schon verdächtig. Und da jeder auf ihrer Flaggbrücke einen Skinsuit getragen hat, wäre selbst unter Idealbedingungen auch nicht mit forensisch nutzbaren Indizien zu rechnen.«

»Aber wenn es kein Selbstmord war, wer hat sie dann umgebracht?«, fragte Grantville und legte nachdenklich die Stirn in Falten.

»Von unserem Blickwinkel aus betrachtet, ist das eine gänzlich offene Frage«, erwiderte Givens. »Ich will jetzt nicht geheimniskrämerisch klingen, aber mir war der Gedanke gekommen, jemand anderes auf der Flaggbrücke – wahrscheinlich jemand aus ihrem Stab – könnte ebenfalls für Manpower tätig gewesen sein. Möglicherweise hatte er die Anweisung, dafür zu sorgen, dass Crandall keinerlei Möglichkeit hatte, mit uns über ihre Entscheidungen und die dahinterstehenden Gründe zu sprechen.

Aber das Problem ist, dass unser Blickwinkel hier gar keine Rolle spielt. Entscheidend ist, wie sich das für Chicago darstellt. Und es ist durchaus wahrscheinlich, dass jemand auf Alterde auf die Idee kommt, Admiral Crandalls Ableben sei die Folge des Handelns eines ruchlosen Mantys.«

»Aber … warum?«, fragte der Premierminister in beinahe schon kläglichem Tonfall.

»Na, um sicherzustellen, dass wirklich O’Cleary diese offizielle Depesche abfassen würde, Herr Premierminister! Ganz offensichtlich hat sie ihr Mäntelchen nach dem Wind gehängt, vielleicht weil wir sie bestochen haben, oder weil wir sie haben wissen lassen, ihr würde das Gleiche blühen, was Crandall widerfahren ist, wenn sie in ihrem Bericht nicht genau das schreiben würde, was wir wünschen. Dass Crandall trotz aller Schäden, die die Buckley erlitten hat, die Einzige war, die auf der Flaggbrücke gefallen ist, muss doch an sich schon einigen Leuten sehr verdächtig erscheinen! Da braucht es doch gar nicht diese sonderbare ›selbst zugefügte‹ Verletzung mehr, oder dass es erstaunlicherweise keinen einzigen Zeugen gibt.«

»Na prächtig.«

Elizabeth griff hinter sich und setzte sich Ariel auf den Schoß. Mehrere Sekunden lang kraulte sie ihre ’Katz schweigend. Schließlich holte sie tief Luft.

»Also gut. Dann ist das alles hier also vergebene Liebesmüh’. Das soll keine Kritik sein – nur eine Zusammenfassung, wie schlecht wir abschätzen können, wie die Solly-Bürokraten das Geschehen verdrehen werden. Von den Solly-Medien ganz zu schweigen! Aber ich habe doch noch eine Frage, zu der ich gerne die Meinung von Ihnen allen hören möchte.«

»Ja, Eure Majestät?«, fragte Grantville beinahe schon misstrauisch, als seine Regentin nicht weitersprach.

»Ich denke, wir sind uns alle einig, dass, so ungeheuerlich das auch klingen mag, letztendlich Manpower und/oder Mesa hinter allem steckt.« Die Königin schüttelte den Kopf, als könne sie selbst nicht fassen, was sie da gerade aussprach. »Ich weiß, dass wir keinen direkten Beweis haben, der Crandall mit den Geschehnissen vor New Tuscany in Verbindung bringt. Und wir können auch nicht beweisen, dass Byng wusste, für Manpower tätig zu sein. Allerdings wissen wir, dass Manpower hinter den Ereignisse im Monica-System steckt. Und dass diese Anisimovna auch bei New Tuscany mitgemischt hat, zeigt doch sehr deutlich, dass die bei dem Ganzen da die Fäden in der Hand halten – ganz egal, ob das Byng jetzt bewusst war oder nicht. Und die offizielle mesanische Version der Geschehnisse in Green Pines verrät eindeutig, dass die Systemregierung selbst für Manpower tätig ist.

Ich will auf Folgendes hinaus: Mir scheint, wir würden uns genauso wie die Sollys verhalten, einige dieser ›unerwünschten Kleinigkeiten‹ einfach zu missachten, wenn wir uns nicht mit der Tatsache befassen, dass sämtliche unserer Gefahrenprognosen ganz und gar daneben gelegen haben, was Manpower und Mesa betrifft. Nachdem wir jetzt so viele Hinweise dafür haben, dass Manpower sowohl in die Ereignisse von Monica als auch in die von New Tuscany involviert war, kümmern wir uns jetzt direkt um Mesa?«

»Im Sinne von: ›militärisch gegen dieses System vorgehen‹, Eure Majestät?« Caparelli klang, als wolle er sich nur versichern, die Worte seine Regentin nicht missverstanden zu haben.

»Das wäre eine Möglichkeit«, gab Elizabeth grimmig zurück. »Und ehrlich gesagt hat diese Vorstellung auch durchaus ihren Reiz. Wenn die Achte Flotte die Systemverteidigung und die Infrastruktur von Haven ausschalten kann, dann sollten ein paar Schlachtgeschwader doch ausreichen, um das Gleiche bei Mesa zu bewirken. Aber ich hatte auch daran gedacht, die Sollys auf diese Sache hinzuweisen und zu verlangen, dass sie Ermittlungen einleiten, um herauszufinden, in welchem Ausmaß Manpower die Solly-Militärstreitkräfte manipuliert.«

»Rein militärisch betrachtet wäre es gar nicht sonderlich schwierig, Mesa auszuschalten – vorausgesetzt natürlich, die haben nicht eine Überraschung für uns in petto, gegen die sich unsere Überraschung für die Sollys winzig ausnimmt, Eure Majestät«, sagte Caparelli. »Gewiss, erst einmal dorthin zu kommen könnte etwas schwieriger werden. Ganz zu schweigen davon, dass es immens zeitaufwändig wäre. Und wenn wir einseitig in Aktion treten, dann besteht zumindest eine ernstzunehmende Chance, dass ein paar mesanische Strohmänner in der Liga darauf hinweisen, dies sei doch bloß ein weiterer Beweis für die gedanken- und rücksichtslose militärische Aggressivität von Manticore. Und dieses Mal würde sich das Sternenimperium sogar gegen ein Sonnensystem richten, das tief im Inneren der Schale liegt, auch wenn es formal kein Mitglied der Liga ist.«