HORROR 014 Buchausgabe: Der Mann mit dem Hexentick - W. A. Hary - E-Book

HORROR 014 Buchausgabe: Der Mann mit dem Hexentick E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

HORROR 014 Buchausgabe: Der Mann mit dem Hexentick W. A. Hary: »Er hielt sie für schuldig – drum mussten sie sterben!« Du bist ein Mann. Du liegst im Bett und öffnest die Augen. Alles erscheint dir unwirklich. Träumst du nur oder bist du schon wach? Du schaust dich um. Eine seltsame Musik schwillt an und erfüllt jeden Winkel des Schlafzimmers. Es klingt wie Sphärenmusik, die herüber kommt aus den unbekannten Gefilden des Jenseitigen. Jetzt erst erkennst du die schemenhafte Gestalt, die da am Fußende deines Bettes steht… Es ist ein wunderschönes Mädchen, noch blutjung. Es hat lange pechschwarze Haare, ist etwa einsfünfundsechzig groß. Die braunen Augen sind voller Glut. Sie sind auf dich gerichtet. Dein Blick tastet die Gestalt ab. Du siehst, dass sie fast nackt ist. Das zerrissene Gewand, das sie anhat, kann nicht viel verbergen. Der Anblick elektrisiert dich. »Wer - wer bist du?«, stammelst du. Die Worte kommen nur mühsam über deine ausgedörrten Lippen. »Ein Geist!«, sagt das Mädchen sanft und kommt näher. Seine Füße berühren nicht den Boden. Es schwebt. Begreifst du denn, dass dies ein Alptraum ist, der niemals wieder enden soll?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

HORROR 014:

Impressum:

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Epilog

HORROR 014:

Der Mann

mit dem

Hexentick

W. A. Hary

Impressum:

Alleinige Urheberrechte: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3310

Diese Fassung:

© 2016 by HARY-PRODUCTION

Canadastr. 30

D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: [email protected]

 Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

Basierend auf dem gleichnamigen Geister-Krimi aus dem Jahr 1976-05

 Coverhintergrund: Anistasius

1

Du bist ein Mann. Du liegst im Bett und öffnest die Augen. Alles erscheint dir unwirklich. Träumst du nur oder bist du schon wach?

Du schaust dich um. Eine seltsame Musik schwillt an und erfüllt jeden Winkel des Schlafzimmers. Es klingt wie Sphärenmusik, die herüber kommt aus den unbekannten Gefilden des Jenseitigen.

Jetzt erst erkennst du die schemenhafte Gestalt, die da am Fußende deines Bettes steht…

Es ist ein wunderschönes Mädchen, noch blutjung. Es hat lange pechschwarze Haare, ist etwa einsfünfundsechzig groß. Die braunen Augen sind voller Glut. Sie sind auf dich gerichtet.

Dein Blick tastet die Gestalt ab. Du siehst, dass sie fast nackt ist. Das zerrissene Gewand, das sie anhat, kann nicht viel verbergen. Der Anblick elektrisiert dich.

»Wer - wer bist du?«, stammelst du.

Die Worte kommen nur mühsam über deine ausgedörrten Lippen.

»Ein Geist!«, sagt das Mädchen sanft und kommt näher. Seine Füße berühren nicht den Boden. Es schwebt.

Deine Gedanken wirbeln im Kreis. Ein Geist? Diese Behauptung verwirrt dich zutiefst. Du bist ein Realist. Niemals hättest du so was für möglich gehalten, und jetzt siehst du es mit eigenen Augen.

Du bist hier in Spanien. Urlaub. Oh, es ist kein normaler Urlaub. Du liebst es, dich von der Masse der Menschen abzusetzen. Du bist ein eingefleischter Junggeselle, ein Eigenbrötler. Wenn du nach Spanien gehst, suchst du einsame Orte, wo sich die alte Tradition der Spanier noch hält, wo Touristen noch unbekannte Wesen sind.

»Es - es gibt keine Geister«, widersprichst du ohne Überzeugung.

Das wunderschöne Mädchen lächelt nachsichtig.

Es bleibt neben dem Bett stehen und betrachtet dich wohlgefällig.

»Du bist ein Fremder hier in Candilla. Du kommst aus England. Dort war ich nie. Seit vielen Jahrhunderten bin ich an diesen Ort hier gefesselt. Alle, die ich heimgesucht habe, waren von hier oder zumindest aus der Nähe.«

»Und dennoch sprichst du perfekt englisch?«, wunderst du dich.

»Nein«, antwortet die Erscheinung, »ich bediene mich keiner normalen Sprache. Meine Gedanken sprechen zu dir.«

Sie streckt ihre Rechte aus. Es ist eine kleine, zarte, süße Hand, und sie streichelt sanft über deine Stirn.

Tatsächlich, deutlich kannst du sie spüren, obwohl sie dir fast durchsichtig erscheint. Dein verkrampfter Körper entspannt sich. Langsam sinkst du in die Kissen zurück, deinen Blick keinen Moment von der Erscheinung lösend.

Sie setzt sich zu dir auf die Bettkante. Du betrachtest das liebliche Gesicht und weißt, dass du es niemals mehr vergessen kannst. Bisher hast du dir nie viel aus Frauen gemacht, aber dieses geisterhafte Mädchen hier hat es dir angetan. Du wirst nie mehr von ihr los kommen, das weißt du in diesem Augenblick.

Das Mädchen beugt sich zu dir herunter. Du riechst ihre süße Fraulichkeit. Die Haare lösen sich von ihren Schultern und umschmeicheln ihr Gesicht. Ihre Spitzen berühren dich. Es kitzelt. Ein angenehmes Gefühl.

Dann ist das Gesicht ganz nahe. Volle, samtweiche Lippen berühren unendlich sanft deinen Mund. Dein Sinne schwinden fast. Dir wird glühend heiß. Ein bislang unbekanntes, unglaublich starkes Gefühl durchdringt deine Glieder. Wie selbstverständlich nimmst du das herrliche Geschöpf in die Arme und erwiderst den Kuss. Da ist der feste, federnde Druck ihrer Brüste. Deine tastenden Hände gleiten über vollendete weibliche Formen. Wildes Begehren springt dich an.

Und da löst sich die Erscheinung aus deiner Umarmung. Ein wehmütiges Lächeln ist in ihrem Gesicht.

»Wer bist du wirklich?«, fragst du. Es gelingt dir nicht, deine jagenden Gedanken zu stoppen, das Chaos in deinem Innern zu ordnen.

»Ich sagte, dass ich ein Geist bin. Aber ich werde dir erzählen, wer ich einmal war.«

Die Erscheinung bedeckt mit beiden Händen deine Augen. Eine eigenartige Macht geht von diesen Händen aus. Du fühlst dich in einen ungeheuren Strudel gerissen.

Absolute Finsternis umgibt dich. Aus dieser Finsternis schälen sich auf einmal zwei Gestalten. Sie sind unendlich weit entfernt. Bilder, Geschehnisse rasen an dir vorüber. Dann bist du den beiden Gestalten ganz nahe und siehst, was sie tun. Das eine ist ein Mann, ein Spanier, wie du deutlich erkennen kannst. Du weißt seinen Namen, obwohl du ihn zum ersten Mal in deinem Leben siehst: Jose Fernandez.

Dein Blick wendet sich von ihm ab und erfasst die zweite Person. Eine hässliche Alte. Sie hat eine vertrocknete, verkrümmte Gestalt. Die dicken, hervortretenden Augäpfel, in denen die blutigroten Äderchen zu leuchten scheinen, dominieren in dem abstoßend hässlichen Gesicht. Beide beugen sich über eine große Silberkugel, die auf einem Tischchen ruht.

In die Kugel kommt Leben. Es wirbelt und quirlt darin. Und dann erkennst auch du, dass sich in der Kugel eine Szene abbildet. Sie scheint näher zu kommen, wird größer und größer und füllt schließlich dein Gesichtsfeld aus.

Nicht nur ein Szenenbild siehst du jetzt. Du kannst auch etwas hören. Das Geschehen fesselt deine Aufmerksamkeit. Du vergisst alles um dich herum…

*

»Senorita Fernandez! Senorita!«, rief die Hausmagd voller Furcht und rannte ohne anzuklopfen in das Gemach ihrer Herrin.

Andrea Fernandez schaute auf. Die Hausmagd wollte rasch die Tür hinter sich schließen, doch diese wurde im gleichen Moment ungestüm aufgestoßen. Ein bärtiger, hünenhafter Novize stampfte hässlich lachend herein und deutete eine ironische Verbeugung an.

»Ihr hier?«, entfuhr es der erschrockenen Andrea Fernandez. Jetzt konnte sie die Aufregung der Hausmagd verstehen.

»Buenos dias, Senorita Fernandez.« Wieder lachte der Novize, dass es eiskalt über den Rücken von Andrea lief.

»Ich sagte bereits, dass ich die Einladung des Abtes der Janqueliter ablehne!« Sie versuchte vergeblich, ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen. Aus ihrem züchtig ausgeschnittenen, bodenlangen Hauskleid lugten die Ansätze üppiger Brüste hervor. Wenn sich ihr Brustkorb bei erregten Atemzügen hob, quollen sie zusammen.

Eine steile Unmutsfalte erschien auf der Stirn des Novizen. Er war es nicht gewohnt, dass sich jemand den Wünschen des Abtes widersetzte.

Die Magd schrie entsetzt auf und rannte hinaus. Ihre Schreie entfernten sich rasch.

Angst beschlich die zurückgebliebene Andrea. Sie fühlte sich plötzlich hilflos, schutzlos, allein und ihm ausgeliefert.

Der Novize raffte den derben Stoff seiner Kutte, die bis zum Boden ging. Seine primitiven Sandalen patschten über die Steinfliesen, als er näher schritt.

»Machen wir es kurz«, knurrte der mächtige Mann. »Wenn du nicht freiwillig mitkommst, werde ich dich anders gefügig machen.«

Bevor sich ihm das Mädchen entziehen konnte, hatte er es hart an den Schultern gepackt und zur Tür gestoßen. Die Magd hatte diese bei ihrer überstürzten Flucht offengelassen.

Andrea kam nicht dazu, in den Flur zu laufen, denn zwei Männer traten ein. Sie trugen die graue, mehrfach bereits geflickte, sackähnliche Kleidung der Bauern. Lange Messer hielten sie in den Händen.

Mit einem Aufschrei schreckte Andrea zurück. Doch sie kam nicht weit, denn die Männer packten sie und zerrten sie auf den Flur hinaus.

Ihre namenlose Angst verwandelte sich schnell, als sie endlich erkannte, was die beiden von ihr wollten: Es waren Diener ihres Vaters, und die Messer waren nicht für sie, Andrea, bestimmt!

Furchtlos wandten sich die Retter gegen den Novizen. Da trat etwas ein, womit wohl keiner gerechnet hatte: Der Novize zog aus einer vorher nicht sichtbaren Öffnung seiner Kutte ein kurzes Krummschwert, wie es die Mauren noch im besetzten Granada gebrauchten.

Die beiden Diener schreckten zurück. Damit hatten sie nicht gerechnet. Sie wollten sich zur Flucht wenden. Da aber diel ihr Blick auf die junge Herrin. Tränen kullerten über deren Wangen. Mit lautem Gebrüll stürzten sich die beiden auf den Feind.

»Ihr wagt es tatsächlich, einem Janqueliter tätlich anzugreifen?« Der Novize spuckte zu Boden. »Tod komme über euch!«

Sein Krummschwert wirbelte. Einer der Angreifer verlor ein Ohr. Er brachte sich schreiend in Sicherheit. Der andere bekam einen blutigen Striemen quer über das Gesicht. Sein Messer blitzte, verfehlte den Gegner jedoch um Haaresbreite.

Der Novize lachte nur.

»Elendes Bauemgesindel!«, knurrte er verächtlich. Er wusste, dass sie keinerlei Chancen gegen ihn hatten. Sie waren nicht kampferprobt wie er.

Doch unerwartet bekamen sie Verstärkung. Die geflüchtete Magd hatte mit ihrem Davonlaufen eine gute Absicht verfolgt. Sie alarmierte die gesamte Dienerschaft. Plötzlich stand rund ein Dutzend Männer am Schlafgemach ihrer Herrin. Die Mordlust in den Augen des Novizen erlosch und machte schlagartig unverhohlener Todesangst Platz. Ächzend zog er sich in eine Ecke zurück.

»Hört auf!«, bibberte er. »Was wollt ihr von mir? Ich bin nur ein Lakai, nichts Besseres als ihr. Wendet euch an den Abt!«

Die Diener ließen sich nicht beeindrucken.

»Unser Herr hat eine gute Nase gehabt«, zischte einer. »Er ahnte, was während seiner Abwesenheit passieren konnte, und verstärkte seine Dienerschaft. Nur die notwendigsten Leute nahm er mit.«

Ein anderer hob seine Messerhand zum tödlichen Streich gegen den schändlichen Novizen.

In diesem Augenblick peitschte eine schrille, unangenehm klingende Stimme durch den Raum: »Haltet ein!«

Sie wirbelten herum.

Die Haltung des Novizen entspannte sich. Senora Fernandez, die Frau des Kaufmanns, trat ein. Sie griff ihre einzige Tochter an den Haaren und zerrte sie hinter sich her.

»Gesinde!«, keifte sie. »Ihr wagt es, euch gegen einen Diener Gottes mit Waffengewalt zu wenden? Ich jage euch dorthin, wohin ihr gehört, nämlich zum Teufel!«

Sie stieß ihre Tochter zu Boden.

Wimmernd blieb Andrea liegen. Mit den bloßen Fäusten schlug die große, mindestens zwei Zentner wiegende Senora die Dienerschft in die Flucht. Wenig später war sie mit ihrer Tochter und dem Novizen allein.

»Steh auf, sündiges Ding! Du bringst noch den Fluch über unser gottesfürchtiges Haus. Ich höre, der Abt verlangt nach dir. Es gehört sich, diesem hohen Diener des allmächtigen Gottes zu gehorchen!«

»Aber, er will doch...« Andrea hätte nie zuvor für möglich gehalten, dass sie ihrer Mutter einmal hätte widersprechen können.

Sah diese gestrenge, stets nach den Geboten der Kirche lebende Frau denn nicht, was hier geschehen sollte?

»Schweig, Elende! Dein Körper ist eine Ausgeburt der Hölle, denn er sendet Signale des Teufels. Du hast den Abt behext.«

Sie sank auf die Knie und fing an, laut zu beten.

Andrea Fernandez brach zusammen. Sie konnte einfach nicht begreifen, dass die Mutter ihr selbst die Schuld für alles gab und den Abt freisprach.

Teilnahmslos nach außen hin und mit Chaos in ihrem Innern, ließ sich Andrea Fernandez von dem Novizen hinaus zerren. Diesmal kam ihr niemand zu Hilfe. Ihr Schicksal war unabwendbar…

*

»Dann bist du also Andrea Fernandez«, sagst du, nachdem die Bilder verblasst sind und du dich wieder in dem Bett liegen siehst.

»Nein, ich war es einmal. Das ist lange her. Aber vernehmt, was noch alles geschah, damit du langsam zu begreifen beginnst.«

Du kommst nicht dagegen an. Wieder versinkt dein Geist. Du siehst wieder die beiden Gestalten.

Jose Fernandez sprang mit einem erstickten Laut auf. Mit weit aufgerissenen Augen stierte er auf die glitzernde Silberkugel, auf der eben die letzte Szene verblasst war. Die uralte Frau, Quendola nannte sie sich auf dem Schildchen neben dem Zelteingang, kicherte boshaft. Ihre welken Hände umschlossen die Kugel. Sie zitterten.

»Was hast du, mein Sohn?«, erkundigte sie sich scheinheilig.

Jose wusste in diesem Augenblick, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er hätte einen großen Bogen um das Zelt der Wahrsagerin machen sollen. Die Alte war eine echte Hexe, und er hatte sich ihr quasi ausgeliefert.

Er dachte an seine Tochter Andrea. Keine Sekunde zweifelte er an der Echtheit dessen, was er in der Kugel gesehen hatte.

Seine Gedanken wirbelten im Kreis. Es war reiner Zufall, dass er zu der Hexe gekommen war. Er war hier in Sevilla, um während der jährlichen Feria, die in zehn Tagen begann, gute Geschäfte zu machen. Daheim in Candilla pflegte er zu sagen: »Eine Feria ist die beste Grundlage, sein Geld zu verdienen. Wenn sich die Menschen beim Charrada erhitzen und der Wein in Strömen fließt, sitzt das Geldsäckel bei den meisten locker.«

Er sah die Alte an.

»Du willst dich jetzt wohl beeilen, um deiner Tochter zu Hilfe zu kommen, wie?« Sie grinste hämisch. »Zu spät, denn was du gesehen hast, ist bereits vorbei.«

Er warf sich auf die Hexe, besinnungslos vor Hass. Er gab der Hexe für alles die Schuld.

Seine Hände krallten sich um ihren Hals. Mit aller Kraft drückte er zu, bis ihre Zunge heraushing und die Augen aus ihren Höhlen quollen.

Aber er konnte der Hexe nichts anhaben. Eine unsichtbare Kraft trieb ihn zurück.

»Das wirst du mir büßen!«, kreischte die Alte. »Ich werde es verhindern, dass du Sevilla verlässt. Deine verzogene Tochter soll allein sehen, wie sie klar kommt.«

Jose Fernandez taumelte hinaus. Schrilles Gelächter verfolgte ihn.

2

Andrea Fernandez fand sich auf dem Kutschbock neben dem Novizen wieder. Der bärtige Mann gab dem Pferd die Peitsche, woraufhin der Wagen anruckte. Wie von einem Riesen hin gewürfelt blieben die weißen Gebäude hinter ihnen. Die Fenster glichen finsteren höhlen. Der Hof, die Wirtschaftsgebäude und das Haupthaus schienen leer und verlassen zu sein. Die Dienerschaft hatte sich zurückgezogen, da sie den Zorn von Senora Fernandez fürchtete.

Der Wagen rollte an den hohen Stadtmauern vorbei. Dann öffnete sich vor ihnen ein Hohlweg. Die Luft hier wirkte angenehm kühl, wenn auch etwas abgestanden. Ein unheimliches Gefühl beschlich die verängstigte Andrea. Sie spürte die unmittelbare Nähe eines dritten Wesens. Der Novize schien es nicht zu merken. Mürrisch saß er da und hielt die Zügel lässig in den Händen. Der Wagen rumpelte über den steinigen Boden. Die beiden wurden durchgeschüttelt, da es keinerlei Federung gab.

Und da erkannte Andrea die dunkle Gestalt zwischen den Büschen rechts. Der Hohlweg kam ihr auf einmal vor wie eine Falle. Sie presste ihre verkrampfte Rechte auf ihr Herz, das wild pochte.

Die Gestalt trat vor und entpuppte sich als uralte Frau. Sie kicherte in einem fort und sprang vor den Wagen. Das Pferd scheute und ging wiehernd in die Höhe. Der Novize hatte alle Mühe, es im Zaum zu halten. Andrea indessen konnte ihren Blick nicht von der Alten lösen.

Der Novize achtete gar nicht auf sie, als wäre sie für ihn unsichtbar. Er fluchte wie der sprichwörtliche Türke, bis er das Pferd beruhigt hatte und es wieder in normalen Trab verfiel.

Die Alte lief neben dem Wagen her. Sie war trotz ihres bestimmt schon hohen Alters sehr gut zu Fuß.

Plötzlich sprach die Alte:

»Schön bist du, Andrea, eine richtige Augenweide. Kein Wunder, wenn der Abt an dir Gefallen findet. Willst du, dass ich dir helfe?«

Andreas Herz blieb einen Moment stehen. Sie blickte ängstlich zur Seite. Der Novize reagierte überhaupt nicht auf die alte Frau.

Das Mädchen wendete sich wieder der eigenartigen, gekrümmt laufenden Gestalt zu. Erst jetzt bemerkte es, dass sie nicht das geringste Geräusch von sich gab. Nicht einmal ein Keuchen war zu hören, was bei dem schnellen Lauf ganz natürlich gewesen wäre.

Andrea verstand auf einmal. Bei der Fremden konnte es sich nur um eine Hexe handeln!

»Weiche von mir!«, murmelte Andrea mit brüchiger Stimme.

»Schicke mich nur weg, dumme Göre«, keifte die Alte. »Retten kann ich dich nur, wenn du meine Schwester wirst, wenn du so wirst wie ich. Wisse das! Dafür brauchst du nicht hässlich zu werden. Auch ich war einmal schön. Entscheide dich schnell, denn auch der Teufel hat Gefallen an dir.«

Andrea schüttelte sich angewidert. Das Pferd wurde schneller. Die Hexe blieb zurück. Andrea fühlte sich erleichtert. Ein Alpdruck wurde von ihr genommen.

Sie warf einen Blick über die Schulter. Die Alte schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Sie war nirgendwo mehr zu sehen.

Und dann tauchten vor ihnen auch schon die Klostermauern auf. Sie waren erst sechs Jahrzehnte alt und auf den rauchenden Fundamenten errichtet, welche die zurückziehenden Mauren hinterlassen hatten. Groß und stolz reckten sie sich empor - eine kräftige Wehr gegen jeden Feind bildend. Andrea erschienen sie diesmal dennoch nicht als Zufluchtsstätte für Verfolgte und Schutzsuchende, sondern eher düster und drohend.

---ENDE DER LESEPROBE---