Hotel de Paris - Tage der Begierde - Emma Mars - E-Book

Hotel de Paris - Tage der Begierde E-Book

Emma Mars

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Beschreibung

Annabelle, genannt Elle, ist mit Louis Barlet zusammen. Mit ihm erlebt sie sinnliche Höhenflüge, muss aber eine große Prüfung bestehen, denn Louis möchte sie zu einer Lady erziehen, bevor er sie heiratet - sinnlich und gesellschaftlich. Dazu holt er sich Unterstützung bei seinem Bruder David - Elles Ex-Verlobtem. Doch, anstatt aus ihr die ideale französische Frau aus der Upper Class zu machen, versucht er, sie wieder zurückzugewinnen. Das macht ihr Privatleben erneut kompliziert, während sie beruflich reüssiert: Ihre TV-Show wird ausgestrahlt und macht sie erfolgreich und berühmt. Das stärkt sie, um den Intrigen der Barlet-Brüder etwas entgegenzusetzen ...

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Seitenzahl: 576

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Die Originalausgabe trägt den Titel »Hotelle, Chambre n° 2«.

1. AuflageCopyright © 2014 by Emma Mars Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014 by carl’s books, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: semper smile, MünchenSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-13066-4www.carlsbooks.de

Und da musste ich an den alten Witz denken. Den von dem Mann, der zum Psychiater kommt und sagt: »Doktor, mein Bruder ist verrückt. Er denkt, er ist ein Huhn.«

Und der Doktor sagt: »Warum bringen Sie ihn nicht ins Irrenhaus?«

Worauf der Mann sagt: »Das würde ich ja gern, aber ich brauche die Eier.«

Tja, ganz ähnlich ist es auch mit menschlichen Beziehungen, habe ich das Gefühl. Sie sind oft so irrational, verrückt und absurd, aber trotzdem machen wir das mit, weil … tja, weil die meisten von uns die Eier brauchen.

Aus: Der Stadtneurotiker, Woody Allen (1977)

Paris in den ersten Maitagen des Jahres 2010, ein Hotelzimmer am Nachmittag

Unser Hafen. Unser Haus.

Das ist das Zimmer Nummer eins, das Joséphine-Zimmer, in dem Moment Heim für uns geworden, als ich dort in meinem zerfetzten Brautkleid Zuflucht gesucht habe. Als Louis seine Arme nach mir ausbreitete. Vielleicht hat es, begraben unter den Tabletts des Zimmerservice und der zerknitterten Kleidung, ein wenig von seinem Glanz eingebüßt, seit wir beide es zu unserem Heim erkoren haben. Aber im Gegenzug verströmt es nun einen raffinierteren Zauber, den des Stöhnens, das wir Tag für Tag an seine Wände hängen, der Seufzer, die auf den Boden hinabgleiten und sein Parkett bevölkern, eine flüchtige, unsichtbare Armee, die niemand außer uns sehen kann. Und selbst wenn, wir lassen niemanden herein.

Draußen herrscht strahlender Frühling. Sommer, Herbst und schließlich der Winter sind verstrichen wie in einem Traum. Die Augen geschlossen, sie wieder geöffnet. Pfft. Schon vorbei. Fast ein ganzes Jahr ist vergangen, bevor wir es wagen, wieder zu den Unseren in die Rue de La Tour des Dames zurückzukehren. Das Hôtel von Mademoiselle Mars wird bald fertig restauriert und seine romantische Ausstattung originalgetreu wiederhergestellt sein. Zehn Jahre wartet Louis nun schon darauf. Er ist so aufgeregt, dass er kaum noch stillsitzen kann und bei jedem Wort, jeder Geste ungeduldig mit den Zähnen knirscht. Meine Liebkosungen tun alles, um ihn zu besänftigen und seine Hast zu zügeln. Ich ziehe es vor, seine Sinne zu erregen, statt seine Nerven zu reizen.

Bis zum Einzug genießen wir die sonnigen Tage hinter halb zugezogenen Vorhängen und zwischen den Laken, wo das leuchtende Tagesgestirn uns aufstöbert. Während all dieser Monate haben wir uns einander vertraut gemacht, wie zwei Tiere, zwei Raubkatzen, ununterbrochen aneinandergeschmiegt. Wir haben einander minutiös erforscht, begierig darauf, die geheimen Zeichnungen, die Empfindsamkeiten, die Feinheiten eines Körpers, eines Geschlechts, einer Seele zu erkunden. Wir blieben nackt und haben bis auf Maudes Beerdigung kaum das Zimmer verlassen. Nur selten öffnen wir das einzige Fenster. Wir ziehen es vor, uns am Zusammenspiel unserer Körpergerüche und ihrem Moschusduft zu laben, uns an ihrem vollkommenen Einklang zu berauschen.

Trotzdem habe ich David und seine Lügen nicht vergessen. Ich habe weder meine Mutter noch ihren unerträglichen Todeskampf aus meinem Gedächtnis getilgt. Ich habe meinen Körper nicht von meinen Erinnerungen befreit, sondern ihn mit Louis gefüllt. Er hat jeden Winkel in mir eingenommen. Er hat alles erobert. Uneingeschränkter Rausch, uneingeschränkte Zärtlichkeit, uneingeschränkter Wunsch nach Grenzenlosigkeit und Hingabe.

Heute könnte ich nicht sagen, welches Datum wir haben. Und noch weniger, in welcher Dimension die anderen leben, da unten, auf der Straße, die, von denen ich die ganze Zeit über abgeschnitten war.

In unserer Dimension ist alles sanft, zärtlich, mit Liebe überzogen, nur gestört durch die kurzen, profanen Unterbrechungen, wenn Ysiam, der spitzbübische Komplize unseres noch so jungen Glücks, uns etwas zu essen bringt. Jeder Lichtstrahl erhebt den Anspruch, uns für die Ewigkeit zu erleuchten. Und träge lassen wir uns von diesem natürlichen Wohlwollen wiegen, hungernd nur nach unserem entkleideten Wesen.

In Helligkeit getaucht, spüre ich im Halbschlaf, wie sich Louis’ Hand zwischen meine Schenkel schiebt, eine zum Biss bereite Schlange der Lust, die zum Ursprung ihrer Versuchung gleitet. Kaum hat er mein Geschlecht nur flüchtig gestreift, da beginnt es auch schon zu pochen, und meine Beine spreizen sich langsam in einem Reflex, den er mit einem zufriedenen Lächeln zur Kenntnis nimmt. Drei Finger streichen über meine Spalte, bis sie ihre ersten Tautropfen auffangen. Er würde warten, bis ich so weit bin, wenn ich nicht sowieso jederzeit bereit wäre, ihn in mich aufzunehmen. Das weiß er. Er nutzt es weidlich aus, und ich genieße es und rufe ihn immer wieder aufs Neue in mich hinein.

Ich stöhne gerade laut genug, damit er versteht. Drehe mich wie eine Katze auf den Rücken, um ihm einen vollständigen, malerischen, unverfälschten Blick zu ermöglichen. Ich habe mich sehr verändert. Ich fürchte mich nicht mehr vor seinem Blick und liefere mich ihm ohne jede Zurückhaltung aus. Ganz gleich, in welcher Haltung, welcher Beleuchtung, welchem Winkel. Meine Rundungen, denen die Nachmittagsschläfchen und die Untätigkeit ihre üppige Fülle zurückgegeben haben, kümmern mich nicht. Ich halte die Augen geschlossen. Wenn er mich jetzt will, gerade erst dem Schlaf entrissen, dann soll er mich träge nehmen, ohne dass von meiner Seite mehr kommt als diese matte Hingabe. Seine Hände berühren mich dort, wo die Sonne meine Haut schon angewärmt und mit einem seidigen Schimmer überzogen hat.

Als ich spüre, wie sich seine Zunge auf meine Klitorisvorhaut legt, ist es zu spät, um ihn zurückzustoßen. Aber will ich das überhaupt?

Er widmet sich nicht wie sonst der Umgebung meiner rosigen Knospe. Stattdessen drückt er den Knopf mit seiner Zunge, als wollte er die Elastizität dieses mit süßem Nektar beträufelten Bonbons prüfen. Diese Neuerung gefällt mir. Es gefällt mir, dass er sich vorwagt, dass er unsere Regeln verändert, dass er sie überschreitet, dass er mich unvorhersehbar will. Das fleischige Bonbon schwillt an und erschauert. Er ist gierig. Er will mehr. Ich auch. Ich benetze seine Lippen mit meinem Saft.

Blind greife ich nach seinem Mittelfinger und schiebe ihn begierig in mich hinein. Er wirkt erstaunt, dann beginnt er, sich zu bewegen, und beschreibt große Kreise gegen die Wände meiner Möse. Von Zuckungen erfasst, ziehen sie sich zusammen, durchdrungen vom kommenden Glück. Als er das letzte Fingerglied kraftvoll weit nach hinten stößt, öffnet sich mein ganzes Geschlecht, um seine Faust aufzunehmen.

»Mach weiter … gib’s mir wie …«

Ich komme nicht dazu, noch ein weiteres Wort zu sagen. Sein Schwanz hat den Platz seines Fingers eingenommen. Meine Lider blinzeln dankbar. Durch die Wimpern hindurch erahne ich seinen Oberkörper, der sich über mir hebt und senkt. Er erscheint mir nicht so mager wie sonst. Muskulöser. Doch das liegt sicher an meinen benommenen Sinnen, an diesem Orgasmus, der irgendwo tief in meinem Inneren grollt und seinen kurz bevorstehenden entscheidenden Angriff ankündigt. Sein Schwanz ist nicht so präzise wie sein Finger, aber die Art und Weise, wie er mich vollkommen ausfüllt, befriedigt all meine Wünsche. Ich spüre, wie er bei einem energischeren Ruck zur Seite anschwillt. Wie er bei jedem Rückzug das erneute Eindringen herbeisehnt. Warm wie frisch aus dem Ofen geholtes Brot prallen unsere trägen Körper in Zeitlupe aufeinander. Das ist keiner unserer wilden Ritte, sondern ein sämiges, nährendes Liebesspiel, bei dem wir unsere Lust mit jedem Bissen bewusst auskosten. Lebenswichtiger, fundamentaler, kräftigender Sex. Nichts ist zu intensiv für uns. Und doch strahlen wir Zärtlichkeit aus.

Er stöhnt, als die ersten Zuckungen ihn erfassen. »Ich komme …«

Auch ich stehe kurz vor der Kapitulation.

»Dann komm!«, flehe ich ihn an.

Als er sich anschickt, mich zu überschwemmen, öffne ich die Augen. Ich will ihn sehen. Seinen Blick in mich eindringen und mich von ihm erforschen lassen. Ich will den Anblick, die Geräusche, die Gerüche und die Berührung seiner glühenden Haut, die mir bei jedem Kontakt sein Verlangen einbrennt, miteinander in Einklang bringen.

Und mehr als alles andere will ich die Haar- und Schattenstriche seiner langen Muskeln lesen, auf denen sich seine neuesten Tätowierungen entrollen. Die Litanei seines lebenden Alphabets, dessen Arabesken ich so gerne sich um mich herumwinden sehe.

Aber ich sehe nichts … Seine linke Schulter ist blütenrein. Genau wie die Innenseite seines Arms. Als schließlich sein Gesicht mit dem triumphierenden Lächeln vor mir auftaucht, stoße ich ihn um ein Haar endgültig aus mir heraus.

»David?«

Abrupt aus meinem Traum gerissen, muss ich leise aufgeschrien haben. Es war das erste Mal seit Monaten, dass ich von David träumte. Dieses unvermittelte Eindringen seines Bruders überraschte Louis nicht, und er wirkte auch nicht verärgert. Er nahm mich in die Arme und wiegte mich, um die Reste des Albtraums zu zerstreuen, den er in meinen ungläubigen Augen erkennen konnte. Mochten die Geister der Vergangenheit auch um uns herumstreifen, die Macht seiner Küsse hatte keinen Rivalen mehr. Er hatte ohne jeden Zweifel, ohne jede Einschränkung gesiegt. Ich gehörte ganz ihm. Wer könnte daran zweifeln?

1

10. Mai 2010

Das allererste Bild, das sich mir von diesem Abend bot, war eine schwarze Droschke, gezogen von zwei Füchsen, deren feuerfarbenes Fell das ganze Licht der Straßenlaternen auf sich zog. Das Auftauchen dieses Gespanns in der Rue de la Tour des Dames war nur ein Vorgeschmack auf das altmodische Motto, das Louis vorgegeben hatte. Eine Traube von Männern in Gehrock und Zylinder stieg aus, und sie brachen in schallendes Gelächter aus, als einer von ihnen die Trittstufe verfehlte und der Länge nach auf die Straße fiel.

Je näher ich dem Stadtpalais von Mademoiselle Mars kam, desto deutlicher erkannte ich, mit welch ausgesuchter Raffinesse die Gäste gekleidet waren. Bis auf mich – denn Louis hatte mich nicht informiert, sondern lediglich gesagt, ich solle mich um Punkt zweiundzwanzig Uhr in unserem neuen Zuhause einfinden – hatten alle ein Kostüm aus der Zeit der Romantik angezogen, auch wenn manche das eine oder andere Stück aus den Garderoben der darauffolgenden Jahrzehnte entlehnt hatten.

Vor mir eilten zwei junge Frauen in rosa Kleidern – duftigen Blütenkronen, die dicht über ihren Knöcheln endeten, mit kurzen, verstärkten Puffärmeln und einem tiefen Dekolleté, das ihre grazilen Schultern freiließ – voller Freude über diese Verkleidung fröhlich hüpfend über das bucklige Kopfsteinpflaster.

Der Lakai, der mich in festlicher Livree und mit einem Kerzenleuchter in der Hand an der Tür in Empfang nahm, verstärkte den Eindruck einer Reise in die Vergangenheit noch zusätzlich. Man musste ihm gesagt haben, dass ich als Einzige nicht dem Dresscode des Abends entsprechend gekleidet sein würde, denn er begrüßte mich mit meinem Vornamen: »Guten Abend, Mademoiselle. Sie sind Elle, nicht wahr?«

»Ja.«

»Ihr Kleid wartet in der Garderobe zu Ihrer Linken auf Sie«, sagte er und trat zurück, um mich einzulassen.

»Danke.«

»Man wird Ihnen beim Ankleiden behilflich sein.«

In der Eingangshalle, wo es bereits von einförmig dunklen Fräcken und farbenfrohen Kleidern wimmelte, nahm mich eine junge Frau, deren schwarze Lockenpracht ihr über die Schultern fiel, unter ihre Fittiche, ohne mir die Gelegenheit zu lassen, den Herrn des Hauses zu suchen.

Obwohl die Beleuchtung ausschließlich aus Kerzen bestand, erahnte ich die Pracht der Ausstattung, die ganz ihrem ursprünglichen Charakter entsprechend wiederhergestellt worden war. Soweit ich es beurteilen konnte, war das Ergebnis Louis’ jahrelange Geduld und das Vermögen, das er in die Restaurierung gesteckt hatte, wert. Hier war der neopompejanische Stil seines Nachbarn, des Hôtel Duchesnois, auf ein unerreichtes Maß an Raffinement erhoben worden. Noch der kleinste Rankenfries war von einem schmalen Goldstrich gesäumt, und es gab nicht eine Decke, die nicht mit Festons und Abbildungen von antiken Instrumenten, Lyren, Auloi und Harfen geschmückt war, auf denen Paradiesvögel thronten. Seit meinem letzten Besuch waren noch einige abschließende Details, ein paar Bürsten- oder Pinselstriche hier und da, hinzugekommen.

»Gefällt es dir?«

Als ich gerade das enge Korsett aus rosafarbener Seide anlegte, das er für mich ausgesucht hatte, bevor ich das dazu passende Satinkleid darüberziehen konnte, drang Louis’ warme Stimme an mein Ohr. Und mit ihr der mir inzwischen so vertraute, schon jetzt mit so vielen Erinnerungen verbundene und so viele künftige Freuden verheißende Duft nach Vanille und Lavendel. Ich spürte, wie sein Atem über die widerspenstigen Strähnen in meinem Nacken strich, die aus dem kunstvollen Knoten entwischt waren, den die junge Frau mir gerade frisiert hatte. Seit Monaten lebte ich nun schon Seite an Seite mit Louis Barlet, und trotzdem vermochte seine bloße Gegenwart meinen Körper, meinen Geist und meine geheimsten Gedanken in Aufruhr zu versetzen. Ich zitterte immer noch, als er eine seiner sanften Hände auf meine Schulter legte. Es fühlte sich an, als würde ich verbrennen.

»Sag schon!«, beharrte er. »Wie findest du es?«

Sprach er von meinem Kleid, von der in jeder Hinsicht perfekten Restaurierung unseres Zuhauses oder von diesem Fest, der extravagantesten Hauseinweihung, die ich je erlebt hatte?

»Ja, es ist wundervoll.«

»Wart’s ab … Das ist nur der Anfang!«

Er setzte sein Versprechen unverzüglich in die Tat um und drehte mich wie eine Puppe zu sich herum. Endlich sah ich ihn vor mir, seine Haltung so stolz, wie es ihm sein verletztes Knie erlaubte, von erhabener Eleganz, die vollendete Verkörperung seiner romantischen Träume, gekleidet in das Kostüm der Dandys: dem stark taillierten nachtblauen Gehrock mit ausgestellten Schößen, der sich über einer goldenen Weste und einem Halstuch aus Seidenbrokat öffnete, cremefarbenen Steghosen und Halbstiefeln mit farblich passenden Gamaschen.

Er sah die Faszination in meinen Augen und klärte mich rasch über meinen Irrtum auf: »Ich meinte natürlich nicht mich, sondern alles, was dich hier erwartet.«

In seiner glückseligen Begeisterung erinnerte er mich an seinen Bruder. Aber ich verkniff mir die Bemerkung und ermunterte ihn stattdessen mit einem Lächeln, dann mit einem Kuss und einem weiteren, bis ich meinen Überschwang schließlich in einem kleinen Hofknicks enden ließ: »Das war mir schon klar, Mylord.«

Während der vergangenen Monate hatte ich mich zu allen Fantasien bereit erklärt, die er für uns ersonnen hatte, ohne auch nur einmal Widerwillen zu empfinden oder mich ihm zu entziehen. Denn wir hatten zwar das Hôtel de Paris nur selten verlassen, doch das bedeutete nicht, dass wir uns auf das Joséphine-Zimmer, unser geliebtes Zimmer Nummer eins, beschränkt hätten. Je nach Tag und Laune hatte Louis mich die den anderen Kurtisanen gewidmeten Räume entdecken lassen: Mademoiselle Deschamps, Kitty Fisher, Cora Pearl, Valtesse de la Bigne und Liane de Pougy.

In jedem von ihnen war ich in eine der vielfältigen Spielarten der Sexualität eingeweiht worden. Es ging nicht darum, mich anderen Lippen oder Händen als den seinen hinzugeben oder meinen kostbaren Geliebten fremden Mündern zu überlassen, sondern unsere Leidenschaft in einer Atmosphäre gesteigerter Sinnlichkeit aufgehen zu lassen. So hatte ich herausgefunden, wie viel Spaß es machte, Sex vor den Augen anderer Menschen zu haben, in unmittelbarer Nähe anderer Körper, im Gleichklang mit anderen Geschlechtern, die genau wie wir in diesem großen Schmelztiegel den Treibstoff ihres Glücks fanden. Von einem unersättlichen Liebespaar waren wir zu Libertins geworden, die in einem tabulosen, aber von Perversionen freien Voyeurismus schwelgten. Wie eine natürliche Verlängerung folgten die Paare, die unser Bett teilten, den illustren Kurtisanen und Liebhabern vergangener Zeiten.

Unter gespielt verschrecktem Glucksen rannten zwei junge Damen mit entblößtem Hintern und nur mit einem Korsett bekleidet durch die Eingangshalle, dicht gefolgt von zwei aufgereckten Schwänzen. Da begriff ich, dass diese Nächte im Hôtel de Paris nur Proben gewesen waren. Die große Aufführung würde hier stattfinden, und zwar an diesem Abend.

»Heute, Madame, haben wir den 21. März 1827«, unterbrach Louis meine frivolen Gedanken.

»Sehr wohl«, ließ ich mich auf sein Spiel ein. »Und wieso gerade dieses Datum?«

»Weil das der Tag ist, an dem Anne-Françoise Boutet alias Mademoiselle Mars dieses hinreißende, von Visconti umgestaltete Stadtpalais im palladianischen Stil eingeweiht hat.«

»Luchino … Visconti?«, wunderte ich mich.

»Liebling!«, tadelte er mich mit einem weiteren elektrisierenden Kuss in meine Halsbeuge. »1827! Louis Visconti, der Architekt. Nicht Luchino, der Regisseur …«

Er hatte seinen affektiertesten Tonfall aufgesetzt und mit einer schwungvollen Armbewegung, in der sich sein ganzer Stolz äußerte, den Raum umfasst. Ich zweifelte nicht daran, dass er, wären die Arbeiten rechtzeitig fertig geworden, die beiden Daten am liebsten über die Jahrhunderte hinweg hätte zusammenfallen lassen. Aber er hatte sich fast zwei Monate länger gedulden müssen.

»Ach ja? War es ein derart unvergessliches Fest, dass du es ganz genau so wiederholen willst?«

»Und ob!«

Bei diesen Worten hämmerte er mit seinem Gehstock, einem Modell, das ich noch nie bei ihm gesehen hatte und dessen Knauf mit dem kaiserlichen Adler geprägt war, auf den Marmorfußboden.

»Stell dir den rauschendsten Kostümball der gesamten ersten Jahrhunderthälfte vor!«, skandierte er, als wäre er selbst in diese glorreiche Vergangenheit zurückversetzt worden. »Die gesamte gehobene Gesellschaft ist anwesend, Prinzen, Marquisen, ausländische Botschafter, ganz zu schweigen von der Crème de la Crème der Künstler dieses Viertels: Sand, Chopin, Musset, Berlioz, Delacroix, Scheffer …«

»Schon gut, aber was war denn daran so außergewöhnlich? Solche Abendgesellschaften gab es doch sicher häufiger, oder?«

»Komm, ich zeige es dir.«

Er nahm meine Hand, und da meine junge Garderobiere gerade die letzte Nadel in meinen Chignon à la Madame de Sévigné steckte, blieb mir nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Seine Schritte waren so vergnügt, dass er darüber ausnahmsweise fast zu hinken vergaß.

Im weitläufigen Großen Salon angekommen, dessen drei große bogenförmige Fenster auf den im englischen Stil angelegten Garten hinausgingen, zeigte er mir auf der einen Seite das großzügig angerichtete Büfett und auf der anderen die Tanzfläche, wo sich mehrere kostümierte Paare zu den Klängen eines kleinen, in der gegenüberliegenden Ecke platzierten Kammerorchesters an einer Quadrille versuchten.

»Fällt dir nichts auf?«

»Nein, tut mir leid …«

»Es fehlt ein entscheidender Einrichtungsgegenstand.«

»Ach ja? Welcher denn?«

»Du musst dich in den Kontext jener Zeit zurückversetzen«, erklärte Louis mit wachsender Begeisterung. »Bei allen Abendgesellschaften war es Sitte, für die Männer Spieltische aufzustellen. Sie gewährten den Damen ein, zwei Tänze und verschwanden dann in einem der kleinen Salons, um sich ihrer wahrenPassion zu widmen. Während ihre Begleiterinnen tanzten, plauderten und sich stärkten, forderten die Herren einander beim Jacquet oder Pharo heraus. Doch an diesem bewussten 21. März 1827 war nichts wie sonst. An diesem Abend hat ihnen Mademoiselle Mars dieses Vorrecht verweigert.«

»Das mag ja sein … aber was war denn so revolutionär daran, den Herren ihr Spiel zu verbieten?«

»Na, weil sie sich an diesem unvergleichlichen Abend ausschließlich um die Damen gekümmert haben! Und du kannst mir glauben, das war mehr als revolutionär!«

Um seine Worte zu verdeutlichen, führte er mich in den angrenzenden kleinen Salon, der unser Esszimmer werden sollte. Dort waren auf dem Teppich, einem riesigen alten Kelim, dessen Preis ich nicht einmal annähernd schätzen konnte, dicke Kissen verteilt, die so breit waren wie Matratzen. Auf ihnen vergnügten sich bereits mehrere Paare, deren Kostüme rings um sie herum verstreut lagen.

Unter ihnen erkannte ich sofort die beiden Darsteller, die sich bei meinem zweiten Rendezvous mit Louis im Hôtel de Paris im Schwarzlicht gegenseitig so viel Lust bereitet hatten. Beide erschienen mir weniger zierlich als auf dem Bildschirm, aber genauso entfesselt. Ihre Neunundsechzigerstellung, die durch das vollkommene Ebenmaß ihrer Proportionen noch harmonischer und erregender wirkte, faszinierte die an den Wänden des Raums lehnenden Beobachter.

»Hmm …«, kommentierte ich leise. »Ich bin mir nicht sicher, ob sich die feinen Herren damals wirklich auf diese Weise um ihre Freundinnen gekümmert haben.«

»Täusche dich nicht. Es kam nicht selten vor, dass diese Feste hinter den Kulissen außer Kontrolle gerieten. So wie heute Abend.«

Vor unseren Augen fand sich ein weiteres Paar, und ich erkannte die klassisch schöne Mestizin aus der Kartei von Belles de nuit, die mich mit dem Griff eines Fächers zum Orgasmus gebracht hatte. Ich hatte ihr einen Spitznamen gegeben, der heute besser zu ihr passte denn je: die Liane.

»Wer ist das?«, fragte ich und wies mit dem Kinn diskret in ihre Richtung.

Louis schien meine Frage zu amüsieren, denn er quittierte sie mit einem verschwörerischen Lächeln.

»Ich glaube, ihr kennt euch bereits.«

»Ja«, stimmte ich ihm zu, ohne meine Erregung verbergen zu können. »Ich meine: Wie heißt sie?«

»Salomé.«

Ich ließ meinen Blick über die restlichen Anwesenden gleiten. Wer waren all diese Leute? Wer bildete den Kreis derer, die Louis nahestanden, seine Vertrauten? Wen würde ich sonst noch wiedererkennen, an der Größe seines Glieds, an der perfekten Rundung ihres Busens? Hatte er echte Freunde, oder waren sie alle nur Werkzeuge seines ausschweifenden Lebensstils, so wie er selbst ein Instrument in den Plänen seines Bruders gewesen war?

Während unserer freiwilligen Isolation war Louis nur selten ausgegangen, zu einigen wenigen Abendessen oder Empfängen, zu denen ich ihn nicht hatte begleiten wollen. Stattdessen hatte ich die Zeit lieber mit Sophia verbracht, die ich im Moment viel zu sehr vernachlässigte. Nicht ein einziges Mal waren wir gemeinsam in der Öffentlichkeit aufgetreten. Kein Abend mit Freunden, kein Konzert, mit Leib und Seele hatten wir uns ausschließlich unserer Liebe gewidmet. Wir schoben den Tag, an dem unsere Beziehung zu einer ganz gewöhnlichen werden würde, so weit wie möglich hinaus, doch an diesem Abend nahm sie vor unseren Augen Gestalt an. Bis jetzt waren wir Liebende gewesen, nun wurden wir zu einem Paar mit allen dazugehörenden gesellschaftlichen Attributen, von denen uns Louis, wie ich sah, auch gleich wieder befreien wollte.

Plötzlich umfing seine schlanke, kräftige Hand meine durch das Korsett zusammengeschnürte Taille und zog mich fest an seine Seite. Sein Blick drang tief in meine Augen.

»Du bist wunderschön.«

»Vielen Dank. Sie sind auch nicht übel.«

Ich gab vor, ihn noch einmal von Kopf bis Fuß zu mustern.

Wunderschön. David hätte auch kein anderes Adjektiv benutzt. Aber der jüngere der beiden Barlet-Brüder konnte sich in meine Träume oder in ein Wort einschleichen, so viel er wollte. Für mich gehörte er einer Vergangenheit an, mit der ich endgültig abgeschlossen hatte, ein kaum noch bedrohlicher Schatten, der mit jedem Tag, der seit unserer geplatzten Hochzeit verstrich, mehr verblasste.

Und doch war nicht ein Tag vergangen, an dem ich nicht an Hochzeit gedacht hatte. An eine andere Hochzeit. Eine Verbindung, die auf unendlich viel tieferen Gefühlen beruhte, welche Zeit und Nähe hatten aufblühen lassen und die sich nicht mehr auf die Erfüllung meiner Kindheitsträume beschränkten. Trotz seines Reichtums, seiner verführerischen Anziehungskraft und der tausend neuen Vorzüge, die ich im Laufe unserer trägen Nachmittage an ihm entdeckt hatte, entsprach Louis beileibe nicht dem Ideal eines Mannes. Er war undurchschaubar und komplex, und das Leben, das er mir bieten würde, hatte nichts mit jenem Erste-Klasse-Flug ohne Luftloch oder intensivere Gefühle gemein, der der Alltag an der Seite von David gewesen wäre.

Louis deutete auf das letzte freie Kissen und zog mich sanft zu diesem improvisierten Lager, während er mit einer Hand bereits den schmal geschnittenen Gehrock aufknöpfte, in den er sich zu diesem Anlass gehüllt hatte.

»Nein, warte!« Ich hielt ihn zurück.

»Warum? Fühlst du dich nicht wohl?«

»Nein …«

»Sollen wir sie fortschicken?«

»Nein, überhaupt nicht«, wehrte ich ab und lächelte. »Darum geht es nicht.«

Keiner der Anwesenden schien unseren Dialog bemerkt zu haben. Sie alle widmeten sich nach Herzenslust den Freuden der Liebe, nutzten dazu Mund, Geschlecht oder Hände, vielgestaltige, geschmeidige Sirenen, deren Ruf zu einem einzigen Stöhnen anschwoll.

»Was ist denn los?«, fragte Louis.

Wenn er mich seit unserer ersten Begegnung eines gelehrt hatte, dann war es, nichts auf Konventionen zu geben. Darauf zu pfeifen, was sich schickte, und die Regeln einzig und allein unserer Lust anzupassen, die wir auslebten, wie und wann es uns gefiel. Diese Vorgabe in unserem Zimmer zu befolgen, jenem kuscheligen, mit unseren kleinen Vergnügen ausgefüllten Nest, war leicht. Etwas völlig anderes wurde es jedoch, wenn der Einsatz plötzlich unser Leben war. Und ich diese Prinzipien in aller Öffentlichkeit vertreten sollte.

Weil ich nicht wusste, was ich antworten sollte, ließ ich mich auf den riesigen Sitzsack gleiten. Louis war so taktvoll, ihn ein Stück von der Gruppe fortzuziehen, als er mich in einer kindlichen Haltung darauf zusammengesunken sah, die weniger zu Liebkosungen verleitete als dazu, unser Gespräch fortzusetzen. Er setzte sich dicht neben mich und nahm mein Gesicht in beide Hände.

»Elle … Was ist los? Du hattest dir unsere Ankunft in unserem Zuhause anders vorgestellt, stimmt’s?«

»Nein, wirklich nicht … Glaub mir, es hat nichts damit zu tun. Dieser Abend ist … perfekt!«

Die immer lauter anschwellenden spitzen Schreie eines Orgasmus bestätigten meine Einschätzung. Das Pizzikato rauschhafter Jas der jungen Frau unterstrich meine Worte so treffend, dass ich Mühe hatte, einen Lachkrampf zu unterdrücken.

»Ist das, was du mir nicht sagen kannst, so witzig?«

»Ganz im Gegenteil, es ist sehr ernst …«

»Dann solltest du es vielleicht lieber auf später verschieben«, erwiderte er. Sein Gesicht verfinsterte sich abrupt, und er schickte sich an, in den Ballsaal zurückzukehren.

Fest entschlossen, ihn an meiner Seite zu halten, klammerte ich mich an den langen Schoß seines Rocks. »Nein! Bleib! Was ich dir zu sagen habe, ist ganz einfach. Und es betrifft in erster Linie dich.«

»Na gut. Ich höre.«

Mit bescheidener Geste umfing ich das herrliche Juwel, das er für uns geschaffen hatte, und darüber hinaus das Vermögen, die Bildung, den unfehlbaren Geschmack und die guten Beziehungen, die ein solches Wunder möglich gemacht hatten. »Wie du weißt, habe ich dir nichts dergleichen zu bieten.«

»Falsch«, korrigierte er mich. »Du besitzt ein prunkvolles Eigenheim in Nanterre.«

Ich mochte es nicht, wenn man mit der Erinnerung an meine Mutter Scherze trieb, wenn man sich über ihren Besitz lustig machte, den sie so mühsam erworben hatte, mochte er auch noch so bescheiden sein. Ich selbst mied dieses Thema und verschob immer wieder meine Termine mit Maître Whurman, ihrem Notar, um die letzten Details ihres Nachlasses zu klären, dessen Alleinerbin ich natürlich war.

»Was ich dir sagen wollte, ist, dass ich dir, abgesehen von meiner unbedeutenden Person und meinen Gefühlen für dich, nichts zu bieten habe.«

»Unterschätze niemals deine unbedeutende Person«, flüsterte er scherzhaft.

»Ach, hör auf … Ich habe nicht einmal mehr einen Job!«

Wir waren beide schon vor Monaten bei BTV entlassen worden. Aufgrund eines gravierenden Fehlers bei der Aufzeichnung der ersten Sendung von Cultur’Mix – ich war nicht im Studio gewesen, um die Sendung abzumoderieren – hatte mein Arbeitsverhältnis mit einer fristlosen Kündigung ohne jegliche Abfindung geendet, wie es in meinem Vertrag für die Probezeit vorgesehen war. Ich hatte nicht einmal mehr in den Turm an der Porte de Sèvres zurückzukehren brauchen. Chloé, Davids Assistentin, hatte mir meine wenigen persönlichen Dinge an die letzte bekannte Adresse geschickt, das heißt in die Rue Rigault 29 in Nanterre.

Bei Louis, seit neunzehn Jahren Angestellter und Aktionär der Barlet-Gruppe und dazu noch Bruder des Chefs, war die Sache nicht so reibungslos verlaufen. Zwar freute er sich über diese Sanktion, die ihn endlich aus der Abhängigkeit vom Familienimperium befreite, doch er hatte nicht die Absicht, lediglich in Badehose und ohne Schwimmreifen oder Rettungsboot von Bord des Dampfers zu gehen. Die von seinem Anwalt Jean-Marc Zerki, einem jungen, ehrgeizigen Vertreter der Pariser Anwaltskammer, geführten finanziellen Verhandlungen hatten sich wochenlang hingezogen und schließlich, nicht ohne Schmerzen, zu einem mit vielen Nullen versehenen Arrangement geführt, das meinem Lebensgefährten bis ans Ende seiner Tage ein sorgenfreies Dasein ermöglichen würde.

Sollte ich ihn heiraten, würde ich ebenfalls von dieser dicken goldenen Matratze profitieren, das musste ihm klar sein.

»Na und?«, erwiderte er. »Alles, was ich brauche, alles, was ich mir immer gewünscht habe, ist hier. In meinen Armen.«

Die Anspielung war unmissverständlich. Es war der Text jenes Liedes, zu dem wir uns ein Jahr zuvor zum ersten Mal geliebt hatten.

Und das war nicht bloß ein augenzwinkernder Wink. Ich wusste, welch symbolische Bedeutung Louis Musik, Bildern und den unzähligen Zeichen beimaß, die uns umgaben und pausenlos wie ein Echo auf unsere Gefühle widerhallten.

Also nahm ich allen Mut zusammen, fest entschlossen, nicht länger hinauszuschieben, was in meiner Kehle, in meiner Brust, in meinem Bauch, in meinem Geschlecht schwelte, und sagte: »Genau das meine ich … Willst du mich heiraten?«

Er musterte mich einen Moment, den er geradezu unanständig in die Länge zog, und unterdrückte ein gewaltiges Lächeln, während unten an seiner rechten Wange jenes altbekannte Grübchen aufschien, das weder lügen noch etwas verheimlichen konnte und dessen Auftauchen mich jedes Mal in höchste Glückseligkeit versetzte. Er hob eine Hand, um sie in mein Haar zu schieben, doch abgeschreckt vom kunstvollen Arrangement meiner Frisur, wich er stattdessen auf meinen Nacken aus und streichelte ihn zärtlich und gerührt mit dem Handrücken.

»Annabelle Lorand«, brummte er mit seiner warmen, samtigen Stimme, »du verflixtes kleines Persönchen … Sag, planst du diesen Coup schon lange?«

So war Louis, wenn man ihn aufforderte, sich zu äußern, und er sich nicht mehr vor einer Antwort drücken konnte: Mit einem einzigen Lächeln, einer einzigen schlagfertigen Erwiderung gelang es ihm, den Fragenden aus dem Konzept zu bringen. Ich seufzte wie ein Backfisch und versteckte meine rosigen Wangen in seiner Halsbeuge.

»Ja … Ich meine, nein. Eine Weile.«

Wenn wir ineinander verschlungen in unserem Zimmer Nummer eins lagen, wenn ich mich an seinem Oberkörper verlor, wenn sein Geschlecht in meinem versank, dann dachte ich nicht daran. Aber kaum legten wir für ein paar Minuten unsere gesellschaftlichen Attribute an, dann erschien mir der Altersunterschied zwischen uns wieder als ein Hindernis … Und mein mädchenhaftes Kichern beruhigte mich auch nicht gerade im Hinblick auf meine Reife.

»Gratuliere zu deinem Überraschungseffekt. Eigentlich dachte ich ja, ich wäre derjenige, der dich heute Abend beeindrucken würde … Aber jetzt muss ich zugeben, dass du mir den Rang abgelaufen hast.«

»Du hast mir nicht geantwortet«, beharrte ich und ließ ihm keine Zeit, sich herauszureden.

»Muss ich dir meine Antwort heute Abend geben?«

Er ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er schien die Situation sogar zu genießen, diese unverkennbare Überlegenheit, die sie ihm verlieh, während ich an seinen Lippen hing und auf das eine verhängnisvolle oder wunderbare Wort lauerte, das aus seinem Mund kommen würde.

»Tja, eigentlich schon«, bejahte ich naiv.

»Hat dir nie jemand gesagt, dass es in unseren Breiten der Mann ist, der die Frau seiner Wahl um ihre Hand bittet? Nicht umgekehrt?«

»Nein. Genauso wenig, wie man dir gesagt zu haben scheint, dass man seinem Bruder nicht am Tag seiner Hochzeit die Braut stiehlt. Ebenfalls in unseren Breiten, versteht sich.«

Sein Kuss erschien mir zu überstürzt und nachdrücklich. Welche Verlegenheit wollte er dahinter verbergen? Welche erbärmliche Antwort damit ersticken?

Schon nach ein paar Sekunden lösten sich unsere Lippen wieder voneinander, und er schien seine Selbstsicherheit wiedergefunden zu haben.

»Wenn das so ist, lautet meine Antwort: Ja.«

Ich war verblüfft. So einfach war das also? Man brauchte nur zu fragen, um erhört zu werden? Nur zu bitten, um zu bekommen, was man wollte? Nur den hinreißendsten, zärtlichsten, liebevollsten, leidenschaftlichsten Mann zu finden, um im Gegenzug auch von ihm erwählt zu werden?

»Ja … Ja?«

Hatte unser Eheversprechen die Leidenschaft der Paare ringsum noch zusätzlich angefacht? Ein dröhnendes Ja, ein aus den Tiefen der Kehlen aufsteigender, ekstatischer Schrei, ein gemeinschaftliches Stöhnen, in dem weibliche und männliche Stimmen zu einer einzigen verschmolzen, erschallte in unserem Rücken, als wollte es betonen, wie unbegründet meine Sorge gewesen war.

Louis jedoch brachte diese absurde Situation nicht im Mindesten aus dem Konzept, und er sprach im gleichen selbstsicheren Ton weiter.

»Ja«, sagte er, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. »Wir könnten die Hochzeit in ein paar Monaten hier feiern. Was hältst du davon?«

»In ein paar Monaten …?«, fragte ich verwundert.

Unwillkürlich sah ich in dieser langen Frist, diesem unbestimmten und plötzlich weit in die Zukunft reichenden Zeitraum den Schatten eines Vorbehalts.

»Übereilte Entscheidungen sind dir in der Vergangenheit nicht sonderlich gut bekommen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«

Das war nicht bloß eine simple Stichelei. Seine Worte beschworen einmal mehr die Gestalt jenes Mannes herauf, der auf der anderen Seite dieser Trennmauer lebte und den ich, was mich betraf, mit aller Macht zu vergessen versuchte. Aber wie hätte er einen ebenso endgültigen Strich unter seinen eigenen Bruder ziehen können? Wie hätte ich das von ihm verlangen können?

»Das ist wohl wahr«, versuchte ich, mich zu beruhigen.

»Und außerdem … werden wir diese Zeit brauchen, um deine Erziehung abzuschließen.«

Ich glaubte, er scherze, und quittierte diese Ergänzung mit einem spöttischen Lächeln, aber seine Miene belehrte mich rasch eines Besseren. Es lag nichts Verschmitztes in seinen Zügen. Ganz im Gegenteil. Ich hatte ihn selten so ernst gesehen.

»Meine Erziehung … Du meinst …?«

»Deine erotische Erziehung, ja«, beendete er den Satz für mich.

Seine verkrampften Kiefer verrieten, wie wichtig ihm dieser Punkt war, und ohne dass es ihm bewusst war, griff diese Starre auf seinen ganzen Körper über. Er hatte das nicht einfach so dahingesagt. Er lebte diesen Gedanken, er verkörperte ihn ganz und gar.

»Haben wir das nicht bereits?«

Damit meinte ich: in den letzten Tagen, den letzten Monaten und schon vorher, als er für mich nur jener Geist war, der in meinen Gedanken und den Zimmern des Hôtel de Paris herumspukte, wo ich mich ihm und all seinen wundervollen Sukkuben rückhaltlos hingab.

»Ich würde sagen, das war eher der Aufbau eines akzeptablen Fundaments. Das Erlernen der Grundlagen.«

Wer war er, dass er mich so herablassend behandelte und meine zugegebenermaßen noch junge und frische Liebeskunst mit dem Gekrakel auf einer Schiefertafel gleichsetzte? War ich denn so schlecht? Oder warf er mir die gleichen erotischen Mängel vor, die sein Bruder meiner Doppelgängerin Aurore angelastet hatte?

Meine Nackenmuskeln versteiften sich, und sofort zog er seine Hand zurück.

»Ist das dein Ernst? Die Grundlagen?«

»Ja. Nimm es mir nicht übel, aber deine wahre Ausbildung fängt gerade erst an.«

Diesmal richtete ich mich auf und schickte mich an zu gehen, als mir ein Blick zur Tür plötzlich eine unverstellte Aussicht auf den Hintern von Salomé gewährte, die sich über dem Körper ihres Partners wiegte wie eine Pantherin, die sich ihrer Beute nähert. Der unter ihr liegende Mann hielt das Warten nicht länger aus. Sein mir riesig erscheinender Penis ruckte immer wieder hoch und versuchte, sie zu berühren, wobei die Eichel wie ein Schaumgummiball von ihrem flachen, bernsteinfarbenen Bauch abprallte. Verglichen mit ihr wurde mir das ganze Ausmaß meiner Fehleinschätzung bewusst. Wer würde sich angesichts einer solchen Meisterin nicht wie eine Schülerin fühlen?

»Und wie soll es weitergehen? Du machst mich neugierig …«

»Wie in jedem guten Lehrplan mit einer Mischung aus Theorie …«

Die Bücher, die er mir empfohlen hatte, nahm ich an.

»… und praktischen Übungen …«

Mit ihm, versteht sich. Und was das betraf, schien mir, hatten wir im Laufe der vergangenen Monate erhebliche Fortschritte gemacht.

»… und zum Abschluss eine Prüfung, um zu kontrollieren, ob dein Wissensstand auch den Anforderungen entspricht.«

»Eine Abschlussprüfung?«, rief ich. »Soll ich vielleicht das Sex-Abi ablegen?«

»Ich denke da eher an eine Reihe von praktischen Tests.«

»Welcher Art?«, erkundigte ich mich kurz angebunden und immer noch schmollend.

Er zögerte, ließ nun ebenfalls den Blick über die Paare wandern, die sich ringsum vergnügten, verharrte mit ungeheucheltem Interesse bei dieser Hundestellung, bei jener Fellatio, die ihm besonders raffiniert erscheinen mussten, dann wandte er sich wieder mir zu und hielt unverfroren meinem Blick stand.

»Hmm … In etwa so wie heute Abend. Wenn du möchtest, können wir die heutige Feier auch schon als den ersten Test betrachten.«

»Den ersten …«, zischte ich leise. »Wie viele davon hast du denn vorgesehen?«

»Das weiß ich nicht. Auf die Zahl kommt es nicht an. Das Entscheidende ist, dass wir beide, du und ich, deine Fortschritte erkennen können. Was hältst du davon?«

Ein normales Mädchen, und auch ich selbst, wäre ich nicht so wahnsinnig, so dumm, so blindlings in ihn verliebt gewesen, hätte ihm eine Abfuhr erteilt und ihn mit seinem Tausendundeine Nacht für Arme stehen lassen. Aber ich war so benommen, dass ich nur einwilligen konnte. Wo ich störrisch und aufsässig hätte sein sollen, wo ich mich gegen sein Gesetz hätte auflehnen sollen, da sagte ich nur resigniert: »Ja … Ich nehme an, das ist in Ordnung so.«

Übergangsrituale, wie er sie mir bereits letztes Jahr mit seinen Geboten auferlegt hatte. Und was würde danach kommen? Weitere Qualen? Weitere Strafen? Lauter kleine und große Tode? Wenigstens hatte er unsere Rendezvous im Hôtel de Paris auf zehn beschränkt. Mir war nicht entgangen, dass er die Zahl der Lektionen diesmal nicht genauer benannt hatte und es sich offenhielt, meine Ausbildung so lange andauern zu lassen, wie er es für nötig erachtete, um auf diese Weise das fatale Datum immer weiter hinauszuschieben. Zwar machte er daraus keine ausdrückliche Bedingung für unsere Hochzeit – eher eine Art Voraussetzung. Und doch war offensichtlich, dass er sich mir erst dann rückhaltlos hingeben würde, wenn er selbst das Gefühl hatte, mich ganz und gar zu besitzen.

Er schien mir meine Ängste von den Augen abzulesen, denn er legte einen Arm um meine Schultern und beeilte sich, mir zu versichern: »Hey! Mach dir keine Sorgen. Es geht doch nur um unseren Spaß. Und es ändert nichts an der Antwort, die ich dir gegeben habe.«

Schuldig war das Wort, das mir durch den Kopf schoss … Louis fühlte sich seinem jüngeren Bruder gegenüber schuldig. Ich hatte es bereits geahnt, doch zum ersten Mal seit Monaten erkannte ich an meinem Gefährten die Zeichen. Indem er den Pakt brach, den die beiden geschlossen hatten, indem er David die Braut stahl, hatte Louis jenen Konflikt wieder angefacht, dem die Zeit und Davids Triumphe nach und nach die Schärfe genommen hatten. Schlimmer noch, indem er ihm ihre Doppelgängerin raubte, war Aurore David ein zweites Mal entrissen worden.

Diesen Verrat musste Louis durch neue Spiele, einen neuen Taumel vergessen machen, auch wenn das bedeutete, dass er mich zu der Flasche machte, die ihm diesen Rausch bescherte. Und das Risiko einging, mich dabei zu zerbrechen.

»Außerdem liegt es doch nur an uns, daraus eine amüsante Erfahrung zu machen.«

»Amüsant …?«

»Ja! Wir könnten unsere Erlebnisse im Zehnmal-am-Tag festhalten.«

In der Verschwiegenheit des Zimmers Nummer eins war das Tagebuch meiner erotischen Gedanken wie von selbst zu unserem gemeinsamen Ausdrucksmittel geworden.

Mein Begehren nach dir ist fatal

Seit Louis diese ersten Worte – nun in seiner eigenen Schrift – hineingeschrieben hatte, hatten wir nicht mehr aufgehört, über dieses Büchlein zu kommunizieren, Fantasien, Wünsche, Träume und Erinnerungen auszutauschen, aus ihm zu schöpfen wie aus dem unermesslichen Reservoir unserer Lüste.

»Wenn du meinst«, willigte ich widerstrebend ein.

»Doch, natürlich!«, versuchte er, mich zu überzeugen. »Siehst du das nicht? Das wird diesem Tagebuch seinen wahren Sinn verleihen. Und dank ihm werden wir diese Tests in eine echte literarische Herausforderung verwandeln.«

So schwadronierte er noch minutenlang vor sich hin, begeistert wie nie zuvor, davon überzeugt, damit die Grundlage für ein größeres Projekt gefunden zu haben, das uns über das gegenseitige Verlangen und dessen Abnutzung hinaus miteinander verbinden würde.

Ich wusste nicht, was ich noch sagen oder tun sollte, um seinen Enthusiasmus zu bremsen. Wie stark meine Gefühle für ihn auch sein mochten, so konnte ich seine Erregung doch nicht teilen. Seit unserer ersten Begegnung hatte ich gespürt, dass es für Louis in der Liebe keine halben Sachen gab. Wenn er einen erwählte, gehörte man ihm ganz und gar. Und von diesem Moment an ruhte er nicht eher, bis er jeden Winkel ihres innersten Wesens ausfüllte, wie ein neues Gebiet, das es zu erobern galt. Mochte er auch über die Herrschsucht seines Bruders spotten, in diesem Punkt war er ihm sehr ähnlich.

Rettung brachte mir das erste bekannte Gesicht, das sich in der Öffnung der zweiflügligen Tür abzeichnete: David Garchey, der Protegé meines zukünftigen Ehemanns und Star der Galerie Alban Sauvage. Sichtlich weniger schamlos als seine Werke, winkte mir der junge Mann, den die Vielzahl ineinander verschlungener Leiber im Raum abzuschrecken schien, schüchtern zu.

Ich sprang hastig auf und stürzte mit einem aufgesetzten Lächeln auf ihn zu, als wären wir alte Bekannte. »Guten Abend! Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen!«

Meine übertriebene Begeisterung verstärkte seine Verlegenheit noch.

»Guten Abend«, antwortete er und reichte mir eine schlaffe, feuchte Hand.

Hinter mir spürte ich die Gegenwart von Louis, der mir, ein wenig verärgert, nachgelaufen war. Besitzergreifend legte er eine Hand auf meinen Hintern und riet seinem jungen Schützling: »Ich vertraue dir mein Meisterwerk an, mein Freund. Pass gut darauf auf.«

Damit zog er sich, von Neuankömmlingen mit Beschlag belegt, zurück und ließ mich mit dem fassungslosen Jüngling allein, dessen neue Frisur sein puppenhaftes Gesicht noch stärker verdeckte als die vorherige.

»Bereiten Sie eine neue Ausstellung vor?«, fragte ich, um ihm seine Befangenheit zu nehmen.

»Ja. Demnächst. In ein paar Tagen, um genau zu sein.«

»Wieder bei Alban?«

»Ja. Er und Louis vertreten meine Arbeit sehr gut.«

Zu hören, wie ein gerade erst der Pubertät entwachsener Junge das als Arbeit bezeichnete, was in Wahrheit schiere pornografische Provokation war, konnte einem schon die Sprache verschlagen. Aber ich ließ mich davon nicht aus der Fassung bringen.

»Ich weiß. Manche Themen vertritt Louis wirklich mit Leib und Seele.«

Er musste die Andeutung verstanden haben, denn er errötete zusehends und lenkte hastig von diesem heiklen Thema ab: »Ja, vor allem, seit er die Mehrheit der Anteile an der Galerie gekauft hat.«

Davon hörte ich zum ersten Mal. Ich zügelte meinen Unmut und zog es vor, ihn stattdessen zu seinem künftigen Werk zu befragen, getreu dem Prinzip, dass ein Künstler, der diesen Namen verdient, über nichts oder zumindest fast nichts anderes reden kann als über sich selbst. Ich zweifelte nicht daran, dass dieser ungeschliffene Junge in diese Kategorie gehörte.

»Und für welches Material haben Sie sich entschieden? Wieder aufblasbares Spielzeug?«

»Nein, nein …« Er hatte den unterschwelligen Sarkasmus herausgehört und verzog missmutig das Gesicht. »Meine neue Installation geht eher in Richtung Videokunst.«

»Ach ja? Und um welche Art von Filmen handelt es sich?«

»Hauptsächlich Liveübertragung, Webcams …«

»Interessant«, ermutigte ich ihn großzügig zum Weiterreden.

»… oder in manchen Fällen, so wie heute Abend, Überwachungskameras.«

»Heute Abend?«

Sein Stirnrunzeln verriet mir, dass er zweifellos mehr verraten hatte, als er sollte, und vor allem, dass er nicht wusste, wie er aus dieser Unterhaltung wieder herauskommen sollte. Die Verlobte seines Mäzens nicht zu verärgern, gehörte für ihn sicherlich zum kleinen Einmaleins des gesponserten Künstlers.

»Ja, vom Kontrollraum aus kann man alles steuern.«

Seinem Blinzeln nach zu urteilen der zweite Fehler. Der dritte, wenn ich mitzählte, was er mir über Louis’ Beteiligung an der Galerie Sauvage verraten hatte.

»Oh, jetzt machen Sie mich aber neugierig!«, antwortete ich geziert und mit einem schrillen Lachen, das überhaupt nicht zu mir passte. »Wollen Sie mir das nicht zeigen?«

»Einverstanden …«

Eine Sekunde lang blieb er verdutzt stehen, dann begriff er, dass ich brav darauf wartete, ihm zu folgen. Quer durch den Großen Salon, der mittlerweile voller Gehröcke und prunkvoller Kleider war, ging er vor mir her in die Eingangshalle, wo eine schmale Tür unter der Haupttreppe Zugang zu den Tiefen des Gebäudes gewährte.

Dass er der Erste war, der mir diesen Bereich des Hauses zeigte, war vielleicht unangemessen, aber ich spürte, wie mich ein Schauer überlief, als mein Blick auf die schwere Panzertür fiel, die ins Untergeschoss führte. Im Vergleich mit den oberen Etagen, denen die Patina vergangener Zeiten zurückgegeben worden war, wirkte die Einrichtung umso nüchterner und moderner. Am Ende eines kurzen grauen, seelenlosen Flurs, der lediglich von einigen Installationsschächten durchzogen war, führte eine zweite Stahltür in einen Raum, der mit einem Videopult und etwa einem Dutzend Schwarz-Weiß-Monitoren ausgestattet war.

»So! Von hier aus hat man so gut wie alles im Blick, was im Haus vor sich geht.«

Die Tür zur Straße, die Eingangshalle, den Großen Salon, das Esszimmer, in dem sich die Paare verausgabten, die Bibliothek, die Küche, den Garten und sogar unser zukünftiges Schlafzimmer: Keiner der wichtigeren Räume fehlte.

Aber das war es nicht, was meine Aufmerksamkeit am meisten fesselte.

»Speichern Sie diese ganzen Aufnahmen?«, fragte ich und deutete mit unbestimmter Geste auf die Bildschirmwand.

»Nein, nur diejenigen, bei denen das rote Lämpchen blinkt.«

Das hieß: Eingangshalle, Salon, Esszimmer.

In der oberen linken Ecke des Arrangements waren zwei Bildschirme ausgeschaltet.

»Und was zeigen die beiden da? Kann man sie einschalten?«

Zutiefst verlegen wand er sich. »Ich weiß es nicht …«

»Na, dann versuchen Sie es«, forderte ich ihn auf. »Das wird sicher lustig.«

Wie ein Zombie gehorchte er und drückte mit zitterndem Finger ein paar Knöpfe. Ich erkannte die Räume sofort. Sie gehörten nicht zum Hôtel von Mademoiselle Mars, sondern zu seinem Nachbarn, dem Hôtel Duchesnois. Das erste Zimmer, das ich als den pompejanischen Salon identifizierte, war leer und lag im Dämmerlicht. Der zweite Bildschirm zeigte Davids Schlafzimmer, das kaum heller erleuchtet war, aber in dem man sehr deutlich zwei sich aneinander reibende Gestalten sehen konnte, die sich auf dem Bett bewegten und mit der Regelmäßigkeit eines Metronoms die Stellungen wechselten, als würden die Zeiten mit einer Stoppuhr gemessen. Was die Identität des Mannes anging, gab es kaum Zweifel – diese athletische Gestalt, dieses perlmuttfarbene Seidentuch am linken Arm –, aber ich musste mich, begleitet von Garcheys verlegenem Räuspern, eine gute Minute gedulden, bis ich das Gesicht der groß gewachsenen, schlanken Frau sehen konnte, die David Gesellschaft leistete.

Plötzlich hob sie mit einer Hand den Vorhang aus blondem Haar an, der ihre Züge verdeckte, und vor mir erschien das ekstatisch verzerrte Gesicht von Alice Simoncini. Der ehemaligen Mätresse, die einst verstoßen worden war und nun die Gunst ihres Fürsten wiedererlangt hatte.

2

Wenige Tage früher … Anfang Mai 2010

Um ganz ehrlich zu sein – und über das Stadium der Heimlichkeiten sind wir doch hinaus, Sie und ich –, dieser Abend war nicht mein erster Ausflug in das Hôtel von Mademoiselle Mars. Sie erinnern sich vielleicht, dass meine Katze Félicité im vergangenen Jahr einmal in den Nachbargarten ausgebüxt war und ich bei dieser Gelegenheit einen kurzen Blick hinter die königsblaue Tür hatte werfen können, die Richard, Louis’ Chauffeur, mir hastig wieder vor der Nase zugeschlagen hatte. Mein erster Eindruck vom Inneren des Gebäudes hatte sich damals auf einen flüchtigen Blick auf die riesige Baustelle beschränkt, die von dem herrlichen Ergebnis, das man heute bewundern kann, noch weit entfernt war.

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