Humane Algorithmen - York Heinrich - E-Book

Humane Algorithmen E-Book

York Heinrich

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Beschreibung

Jede gemeinsam bestandene Prüfung verband die beteiligten Menschen. Alle diese Fragen ließen sich in einem umweltbezogenen Leben beantworten. Die Jüngeren würden ihre Lebenszeit für neue Aufgaben einsetzen, Aufgaben, die er nicht mehr erledigen wollte. Einige Menschen dachten nur an sich, an das, was sich in ihrer Lebenszeit verwirklichen ließ. Andere bauten etwas auf, versuchten etwas an die nächste Generation weiterzugeben. Ihm war es wichtig, humanen Algorithmen zu folgen und sie zu beschreiben. Aber was war der humane Faktor? Der Mensch war ein vermittelndes Element: Ausgleich zwischen Tag und Nacht, Mittler zwischen Streitenden, Informationsträger der Vergangenheit für die Zukunft, Medium der Natur in einer technisierten Welt. Für diese Vermittlung musste er Instrumente schaffen, die Zeugnis seiner Bemühungen waren und anwendbar blieben. Aber er sah keine Chance für die Menschheit, wenn sie sich nicht den möglichen Positionen und erreichten Stufen jedes Einzelnen gegenüber offen zeigte, sondern alles unter einer Denkart betrachten wollte und so tat, als ob es nur eine Sorte Mensch gab.

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Seitenzahl: 91

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Betreff: Brieffreund

Verlaufene Zeit

Tun als ob

Harmonisierung

Die Philosophie vom Anderen

Bekanntsein

Subjekte des Handelns

Peridisziplinäre Atmosphäre

Kurzlebige Antworten

Lokalbewusstsein

Grenzverschiebungen

Kontrollverlust

Universal

Unvernünftige Atmosphäre

Bewohntsein

Humane Atmosphäre

Überbrückung oder Provisorium

Freundbilder

Blutige Veröffentlichung

Entwöhnung

Kompetenter Mensch

Kranksein

Zwischenschritte

Manche Entfernungen erschienen den Menschen so weit, dass sie gar nicht erst versuchten, diese zu verringern. Dabei war oftmals gar keine weite Reise zu unternehmen, eher die Beschäftigung mit Türen, die als verschlossen galten.

Betreff: Brieffreund

Hallo Sauermacher,

mir wurde empfohlen, einen Brieffreund zu suchen. Im Netz erschien bei der Eingabe der Kombination der Suchbegriffe Dialogführung und Neuorientierung der Hinweis auf Ihre Bücher: Sie wären geeignet. Mehr will ich für den Anfang nicht schreiben, das spart Kraft.

Bird

Hallo Bird,

ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!

Sauermacher

Sauermacher hatte einen kurzen Brief erhalten, einen Brief, über ein Mailprogramm. Das sparte Zeit, die sonst nötig gewesen wäre, eine Handschrift zu entziffern.

Lesbare Schrift, schlechter Arzt! Dieser bekannte Ausspruch wurde in seinem Lebensbereich häufig angewendet. Ein Bonmot, ein schönes Wort, fähig zur geistreichen Konversation, aber Sauermacher hasste diese Art von geregeltem Umgang in bestimmter Gesellschaft, in der die Bindungen den Dialog bereits vorgaben. Er liebte den zwischenmenschlichen Austausch, der alle Beteiligten anregte. Nun störte ihn weniger diese gekünstelte Art des Gesprächs, wenn er nicht hineingezogen wurde. Am meisten nervte es ihn, wenn er selbst Sätze verwandte, die er noch nicht zu Ende gedacht hatte. Er hatte sich immer geärgert, wenn er so unvollkommen zu sein schien.

Jetzt erreichte ihn diese klar formulierte Nachricht. Er wollte dieses Mal genau aufpassen, was er antwortete, wenn er überhaupt erneut Post erhalten würde. Er wollte ein Briefeschreiber sein, der nach seinen Worten leben und handeln konnte. Er hatte doch die meisten Begriffe für sich bearbeitet, als seinen Beitrag aus seinem ständigen Tun, seiner Disziplin, heraus.

Hallo Sauermacher,

Sie haben geantwortet. Das Zitat ist aus dem Film Casablanca. Ich weiß, Ihre Nachricht ist unverbindlich. Jetzt liegt es an mir, Sie zu überzeugen, erneut zu schreiben.

Ich lebe quasi in einer zeitlosen Dimension. Mein Leben ist eine Zusammenkunft von Minuten mit Gelegenheiten. Die Dinge, die ich unternehme, dauern eben so lange, wie sie benötigen. Die Zeit ist herausgekürzt.

Bestimmte Bücher sind wie ein langer Brief an bestimmte Menschen. Ich habe Ihre Briefe erhalten, obwohl es scheint, Sie würden nicht an einzelne Menschen schreiben. Interessant, dass Sie einer Handlung so wenig Bedeutung beimessen.

Bird

Sauermacher dachte für einen kurzen Moment, dieser Brief könnte aus seiner Zukunft kommen, sein zukünftiges, erwünschtes Verhalten: ein besseres Tun, ein mit seinem Denken abgestimmtes Handeln.

Nein, es war kein Brief aus der Zukunft, eher aus einer zeitlosen Denkweise, wie dieser Bird schrieb; die Zeit für seine Aufgaben zu nutzen, bis man eine Pause einlegen musste, egal wieviel offizielle Zeit verstrichen war. Die Zeit als Arbeitsgrundlage gedacht, ein Fundament auf dem man seine persönlichen Dinge ablegen konnte.

Hallo Bird,

das ist interessant, dass Sie meinen, ich vermied die Handlung. Mein Leben ist nämlich voller Taten.

Gestern stand ich zum Beispiel auf einem Laufband und tat als ob. Ich bewegte meinen Körper im Rhythmus der Maschine und dachte für einen Moment, ich brächte außer meinem Puls überhaupt gar nichts in Gang. Hätte ich einen Staffelstab oder eine Botschaft für jemanden in der Hand gehalten, ich hätte beides keinen Zentimeter transportiert. Doch hatte ich den gesamten Körper einmal durchbewegt, die Durchblutung angeregt und einen freien Kopf erhalten. Diese Argumente hatte ich mir hinterher zurecht gelegt, aber auch die Frage zugelassen, ob ich den Kopf und die Gedanken nicht auch anders hätte reinigen können. Ich ließ die handlungsbetonte Lösung des Problems zu, eine Botschaft an mich selbst. Wenn ich also in Zukunft mit meinen Gedanken keinen Zentimeter weiter kommen konnte, würde ich zu laufen anfangen, ein praktischer Algorithmus für den Stand der Dinge, mit körperlicher Bewegung auch einen Stillstand der Gedanken zu beheben. Wie sollte ich also derzeit ohne Handlungen auskommen?

Sauermacher

Für Sauermacher war diese Art von Dialog, wenn auch in Briefform, fremd. Er hatte in dieser Weise noch keine Post versandt. Meist schrieb er an keine besondere Adresse, sondern hoffte, dass seine Zeilen – wie bei einer Flaschenpost – irgendwann jemanden erreichen würden, der sich über die Worte freute und ihnen, da auf besondere Weise erhalten, einen besonderen Wert beimessen würde. Nun suchte dieser Bird einen Brieffreund und schien seine Bücher nicht nur gelesen zu haben, darüber hinaus war er ihnen mit seinem Verstand gefolgt. Bird hatte an irgendeinem anderen Ort der Welt die Gedanken aufgegriffen und diese in Sauermachers erwünschter Weise verknüpft.

Lieber Sauermacher,

Sie könnten Ihren Körper von anderen durchbewegen lassen und so den Kontrakturen Ihrer Gedanken einen größeren Spielraum ermöglichen. Es ist wahr, ein Körper muss bewegt werden, aber nur in wenigen Fällen werden die Gedanken beim Laufen erhöht. Meist führt ein erhöhter Erregungszustand zu Problemen!

Da meine Handschrift ihren Zweck verfehlt, würde ich gerne bei der elektonischen Variante bleiben. Ich verspreche alle Kürzel und schlechten Angewohnheiten dieser Form der Kommunikation auszulassen.

Bird

Sauermacher hatte nun keinen Zweifel mehr, dieser Bird würde sich auf das Spiel mit den Begriffen einlassen. Es würde kein Ball hin- und herbewegt, um einen Gewinner auszuwählen.

Nein, beide würden in diesem Spiel belohnt, nicht wissend wie der Spielball beim Return aussehen würde.

Er müsste nun nicht auf Kritiken warten, seine in Zeilen gefassten Gedanken erhielten ihre Weiterführung in einem anderen Kopf.

Verlaufene Zeit

Lieber Bird,

es tut mir leid, dass so viel Zeit verstrichen ist, ohne Ihnen geantwortet zu haben. Aber meine Tätigkeit lässt mir durch den Dienst am Menschen häufig wenig Spielraum. Sie erahnen meinen Beruf, in dessen Zentrum die humane Wissenschaft mit ihren existentiellen Fragen steht: Was habe ich, was soll ich tun und was darf ich hoffen?

Wenn einige Wissenschaftler die Zeit als Intervall zwischen zwei Zeitpunkten definieren, was befindet sich dann vor und nach den entsprechenden Punkten?

Meine Arbeitszeit begann heute bereits vor dem Eintritt ins Krankenhaus, denn ich war gefragt, auf der Straße erste Hilfe zu leisten. Aber sie endete wenigstens definitionsgemäß mit dem Verlassen des Gebäudes. Obwohl es ja heißt, ein Arzt sei immer im Dienst.

Meine bisherige Lebenszeit fing in den Sechzigern an und wäre demnach, durch die Wahrscheinlichkeit bedingt, erst in einem neuen Jahrtausend beendet. Vorher existierte ich nur in dem Wunsch meiner Eltern, ein Kind zu zeugen. Am Ende bleibt man vielleicht noch in seinen Büchern, und vielleicht in den Gedanken der Verbliebenen existent. Also entsprach das Leben eher einer Umlaufzeit, in der vorher und nachher nur das Geistige dominierte, das Körperliche hatte seine Ablaufzeit.

Das Ende ging in einen Anfang über und vor dem Start befand man sich demnach in der Position eines bereits abgelaufenen Zieleinlaufs.

Hatte man nach der Arbeitszeit, also die Zeit der Arbeit, Freizeit, was Zeit des Frei bedeuten würde? Oder nagte die arbeitende Zeit an unserer freien Zeit, weil sie irgendwann wieder die Arbeit aufnahm.

Sie sehen, lieber Bird, die Zeit nach Ihrer letzen Nachricht ist schnell vergangen, aber ohne feste Begrenzung und ich wünsche Ihnen eine schöne Weile ohne Zeitverlust.

Sauermacher

Lieber Sauermacher,

ich habe mir in der Zwischenzeit etwas Zeit genommen. Das war für mich die Lesezeit Ihrer Bücher, in denen ich einiges über Sie zwischen den Zeilen erfahren konnte. Genau so lebte ich zwischen der Zeit, die für andere an definierten Punkten Resultate in einer Überschneidung mit der Zeitleiste erbrachten. Ich befand mich quasi zwischen diesen Leistungen, denn ich erledigte nichts innerhalb einer gewissen Zeitlinie, sondern nahm mir die Zeit heraus.

Was hatten meine Mitmenschen nicht bereits alles erledigt, einer hatte eine Aufgabe in der schnellsten Zeit überhaupt gelöst. Ein Anderer war hoch erfreut, eine Arbeit in seiner Zeit vollbracht zu haben, was eine andere Beschreibung für schneller ging es nicht ist.

Ich freue mich über Ihre Antworten, egal wann sie kommen. Ihre Antworten sind meine Fragen und meine Antworten regen Sie zu neuen Fragen an, eigentlich eine Aufhebung der richtigen Reihenfolge einer Zeitschiene.

Bird

Lieber Bird,

befanden Sie sich im Lesemodus quasi außerhalb der Zeit oder sollte man besser sagen: der Zeitrechnung?

War vor einer Zeitrechnung etwa nach einem definierten Zeitende oder gab es noch keine Zeit? Konnte man Zeit herausholen und woanders einsetzen? Wichtige Fragen, die wir in unserem Dialog beantworten können, aus unserer Position heraus, ohne den Anspruch eines endgültigen Urteils.

Ich las einmal ein Buch, das auf über tausend Seiten seine Geschichte aus einer anderen Zeit und einem anderen Raum ausbreitete. Ich las bis zur Ermüdung und nach einem Dämmerschlaf setzte ich die Aufnahme der Worte fort. Meine Mutter bediente mich mit Essen und Trinken, sodass noch nicht einmal diese beiden Bedürfnisse meine Wahrnehmung unterbrachen. Die Zeit war allerdings nicht berechnet, ich befand mich in einem Ausnahmezustand inmitten der Zeitrechnung der anderen. Ich weiß bis heute nicht, wieviel Zeit vergangen war, als ich die letzten Zeilen gelesen hatte und bat meine Mutter, es mir nicht zu verraten. Wenn ich am Ende des Buches – wie der Held – gestorben wäre, ich wäre außerhalb der Zeit ausgeschieden. Nach der Lektüre begann ich wieder ein berechnetes Zeit-Raum-Verhältnis, erreichte pünktlich zur Zeit den Raum des Treffpunktes mit der Familie.

Sauermacher

Lieber Sauermacher,

wenn das Universum unendlich ist, wie einige Forscher behaupten, wie sollte überhaupt irgendein Urteil endlich sein? War es dann nicht egal, wie man sich die Zeit vertrieb?

Der Mensch kalkuliert mit Raum und Zeit seiner Vorstellung, die nun einmal begrenzt ist. Wenn sich nach seiner Berechnung das Universum ausdehnt, schließt er daraus, dass es einmal ein Nichts gab. Aber das Verständnis ist rein menschlich, erweitert durch künstliche Intelligenz, die allerdings auch von Menschen entwickelt wurde, also ein menschliches Maß der Dinge.

Aus der Sicht der Erythrozyten, wie Sie einmal geschrieben haben, hundertzwanzig Tage Leben, ist unser Leben fast unendlich. Deren Funktion ist wohl bestimmt, sie transportieren Sauerstoff an unterschiedlichste Orte.

Zeit verstreichen lassen, ohne daran teilzunehmen, ohne sich irritieren zu lassen, sein Leben einfach leben – wäre das nicht unsere Aufgabe? Vielleicht nahm man sich einfach eine Auszeit oder eine persönliche Festzeit jederzeit, zeitlich unbegrenzt.

Bird

Lieber Bird,

von einer Auszeit träumt meine Frau häufig. Ich denke, sie meint damit, sich die Zeit anders zu vertreiben. Zeit vertreiben, aber wohin? In die eigene Westentasche?

Möglich ist auch, sich außerhalb der Zeit aufzuhalten, ohne Bezug zur Aktualität, ohne Hinweis auf die Vergangenheit oder Zukünftiges.

Die Zeit vergeht, sie handelt. War man ohne Handlung zeitlos? Meinten Sie vielleicht damit, dass ich einer Handlung nicht so viel Bedeutung beimesse, um eher einen Dialog zu beschreiben, der zu jeder Zeit stattfinden könnte?

Arbeit pro Zeit war eine Leistung, aber was leistete die Zeit? In meinem Fachgebiet sagt man, sie heile Wunden? Aber es kam doch eher auf die Arbeit an, auf die Wundheilung.

Wenn man die Zeit herausstrich, war vieles gewonnen.