Humor in der psychodynamischen Therapie - Kai Rugenstein - E-Book

Humor in der psychodynamischen Therapie E-Book

Kai Rugenstein

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Beschreibung

Humor muss nicht in die psychodynamische Therapie eingeführt werden. Er ist immer schon in ihr enthalten. Von Freud ausgehend arbeitet Kai Rugenstein die theoretischen und behandlungstechnischen Charakteristika des spezifisch psychodynamischen Humors heraus und verdeutlicht diese anhand zahlreicher Beispiele. Dabei kommt Humor nicht nur unter diagnostischer Perspektive in den Blick, sondern erweist sich vor allem als empfehlenswerte therapeutische Haltung und wirksame Methode therapeutischen Handelns. Die vertrauten Grundregeln psychoanalytischer Praxis, freie Assoziation und gleichschwebende Aufmerksamkeit, werden durch den psychodynamischen Gebrauch von Humor um die Prinzipien »freie Bisoziation« und »gleichschwebende Schlagfertigkeit« ergänzt: Der Haha-Effekt lustvollen Lächelns und der Aha-Effekt realitätsorientierter Einsicht gehen miteinander Hand in Hand, wenn Humor als eine Weise ungesättigten Deutens dazu genutzt wird, spielerisch auf den Ernst der übertragung hinzuscherzen.

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Herausgegeben vonFranz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Kai Rugenstein

Humor in der psychodynamischen Therapie

Mit 3 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

© 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 GöttingenAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Paul Klee, Maske der Furcht, 1932/akg-images

Bildnachweis Seite 19 (Abb. 3): Alex Gregory (The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-90093-3

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

1 Einleitung

1.1 Die Pointe der Analyse

1.2 Humor ist keine Olive

2 Theorie des Humors

2.1 Historisches: Humor und Heilkunst

2.2 Metapsychologisches I: Freuds Humor

2.3 Metapsychologisches II: Humor nach Freud

3 Humor-Diagnostik

3.1 Humor in Beziehung, Konflikt und Struktur

3.2 Humor als Behandlungsziel

4 Humor als therapeutische Haltung

4.1 Therapeutische Beziehung: Gleichschwebende Schlagfertigkeit

4.2 Beziehung zu sich: Humor und Psychohygiene

5 Humor als Methode therapeutischen Handelns

5.1 Nicht über etwas hinweg, sondern auf etwas hinscherzen: Humor als Weg zur Einsicht

5.2 Freie Bisoziation: Vom Haha-Effekt zum Aha-Effekt

5.3 Therapeutische Techniken: Humor als Intervention

6 Mit Humor lernen: Psychodynamische Ausbildung und Supervision

7 Zusammenfassung: Zehn Prinzipien für die Nutzung von Humor in der psychodynamischen Therapie

Literatur

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.

Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.

Themenschwerpunkte sind unter anderem:

–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.

–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.

–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.

–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.

–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Soziale Arbeit, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.

–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

»Humor ist das Salz, welches in die psychodynamische Suppe hineingehört.« Unter diesem Motto nimmt uns der Autor mit auf einen bilderreichen Streifzug durch das Thema Humor. Es handelt sich um eine Art Entdeckungsreise, die den in der Psychoanalyse – möglicherweise implizit – enthaltenen Humor herauszufinden trachtet. Es geht daher nicht darum, das Thema Humor in eine vergleichsweise humorlose Therapietechnik »hineinzubringen«. Auch wenn schon Freud selbst davon ausging, dass die Absicht des Menschen, glücklich zu werden, nicht im Schöpfungsplan enthalten sei, so explizierte er doch sein Lieblingsmodell des Humors als Galgenhumor. »Humor ist, wenn man trotzdem lacht« (O. J. Bierbaum). Humor gewährt Freiheit nicht vom, sondern im Leiden.

Der Autor verweist in einem historischen Exkurs auf die Ursprünge des Humors als Körpersaft. Diese Sicht blieb von der Antike an als Lehre von den Körpersäften bis in das 17. Jahrhundert konstitutiv. In der Heilkunst war das Ziel ärztlichen Handelns die Regulation der Körpersäfte. Diätetik verstand sich dabei als die Kunst einer angemessenen Lebensweise. Erst allmählich entwickelte sich aus der hippokratischen Humoralpathologie eine Humoralcharakterologie. Vom Humor als physiologischer Basis des Temperaments in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen ging man schließlich in einem Bedeutungswandel zum Humor als Persönlichkeitseigenschaft unter anderen über. Nicht der Humor bildet die Basis des Temperaments, sondern das Temperament die Basis des Humors.

Freuds Humorbegriff wird ausführlich erläutert und in seinen unterschiedlichen Facetten und Funktionen verdeutlicht. In Freuds Metapsychologie erscheint der Humor in vierfacher Perspektive als paradoxe Struktur, als aufdeckende Abwehr, als progressive Regression, als ernstes Spiel und als doppelgesichtiges Über-Ich, welches das Ich durch den Humor zu trösten scheint. Bei Freuds Schülern nahm das Thema Humor in der Auseinandersetzung mit dem Werk des Meisters eine vergleichsweise marginale Position ein. Heinz Kohut ist hervorzuheben, der einen Zusammenhang zwischen Humor und Narzissmus herstellte und klarstellte, dass Humor dem Menschen helfe, »die Erkenntnis seiner Endlichkeit […] zu ertragen«. Heute ist das Thema »Humor Research« im Mainstream der klinisch-therapeutischen Diskussion angekommen.

Unter diagnostischen Aspekten wird in einem eigenen Kapitel der Humor als strukturelles Merkmal untersucht; die Humorpräferenz gibt Aufschluss über mögliche überdauernde Konflikte, Humor stellt aber auch ein Beziehungsangebot dar.

Humor als therapeutische Haltung ist das Thema, wenn dem Modell der väterlichen »Redekur« ein Modell der mütterlichen »Erlebniskur« gegenübergestellt wird. Humor hat psychohygienische Aspekte und kann als Methode des therapeutischen Handelns eingesetzt werden. Klinische Beispiele bereichern diese theoretischen Überlegungen. Der Zusammenhang von Lachen und Erkennen im »Aha-Moment« wird hervorgehoben. Kreativität und Humor sind auch für die psychodynamische Ausbildung und Supervision fruchtbar zu machen. Zehn Prinzipien für die Nutzung von Humor in der psychodynamischen Therapie beschließen mit einem Augenzwinkern dieses durch und durch erkenntnisreiche und humorvolle Buch.

Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

1 Einleitung

1.1 Die Pointe der Analyse

»Komisch.« Das letzte Wort, das Otto Rank auf seinem Sterbebett sagte, lautete: »komisch« (Liebermann, 1997, S. 487). Was bewegte den Pionier der Psychoanalyse dazu, im Rückblick auf ein ereignisreiches Leben und im Angesicht des Todes etwas komisch zu finden? – Noch zu Lebzeiten formulierte Rank den merkwürdigen Leitgedanken, dass die traumatische Ursache für all unser neurotisches Leiden nicht etwa in den überstarken Versagungen oder Befriedigungen liege, welche das Leben für uns bereithalte, sondern vielmehr darin, überhaupt geboren worden zu sein (Rank, 1924). In diesem vergleichsweise fundamental ansetzenden Ätiologiemodell hallt das Echo jener Weisheit nach, welche einst König Midas unter gellendem Lachen durch den trunkenen Waldgott Silen offenbart und uns in Sophokles’ später Ödipus-Tragödie überliefert wurde: »Nicht geboren zu sein, das geht / über alles; doch, wenn du lebst, / ist das zweite, so schnell du kannst, / hinzugelangen, woher du kamest« (Soph. Oid. K., 1224 ff.).

Der anthropologische Pessimismus war bekanntermaßen auch Freud nicht fremd. Es gehe darum, neurotisches Elend in gewöhnliches Unglück zu verwandeln, so lautet bereits in den »Studien über Hysterie« die auf den ersten Blick wenig erheiternde Bestimmung der therapeutischen Aufgabe der Psychoanalyse (Freud, 1895d). Später spitzte Freud diesen Gedanken zu der düsteren Pointe zu, »die Absicht, daß der Mensch ›glücklich‹ sei, ist im Plan der ›Schöpfung‹ nicht enthalten« (Freud, 1930a, S. 434). Über »Glück« spricht der aufgeklärte und aufklärende Psychoanalytiker in ironisierenden Anführungszeichen. Führt die Psychoanalyse auf individueller und kulturtheoretischer Ebene zur Einsicht in die Beschränktheit persönlicher oder gar menschlicher Glücksmöglichkeiten, dann scheint sie eine schmerzliche, eine ernste, ja: eine sehr ernste Angelegenheit zu sein. Was bleibt uns angesichts dessen in der Analyse zu lachen?

Die von Freud mit dem Beispiel des Galgenhumors gewählte Metaphorik ist wenig subtil: Das Leben ist – Freud fasst diese biologische Tatsache mit dem für seine Verhältnisse eher blumigen Begriff »Nirwanaprinzip« – nichts anderes als ein Weg zum Galgen, ein Weg zur Reduktion der Bedürfnisspannungen auf null (Freud, 1920g, S. 60). Mehr oder weniger geradlinig, mehr oder weniger lang. Der Humor, der diesen Weg zu meistern hilft, scheint darin zu bestehen, angesichts der illusionslosen Einsicht in das »Ziel«, welches am Ende des Weges wartet, nicht zu verzweifeln, sondern den Weg trotzdem zu genießen und sich an ihm und seiner Sonderbarkeit erfreuen zu können. »Humor ist, wenn man trotzdem lacht«, so das sprichwörtlich gewordene Motto, welches sein Schöpfer, der Journalist Otto Julius Bierbaum, bezeichnenderweise einem Bändchen mit Reisegeschichten voranstellte (Bierbaum, 1909, Motto, o. S.). Auf das Trotzdem kommt es an. Der Humor, um den es hier gehen soll, der Humor, der in einer spezifisch psychodynamischen Weise therapeutisch wirksam ist, dieser folgt dem subversiven Modell des Trotzdem: Humor ermöglicht dem Subjekt einen Lustgewinn trotz der Ungunst der (äußeren und inneren) Verhältnisse. Er gewährt Freiheit nicht vom, sondern im Leiden.

Anders als das Lachen-Erzeugende in seiner Gesamtheit zeichnet sich Humor durch eine besondere Beziehung zum Ernst aus, also zu dem, was auf den ersten Blick als sein genaues Gegenteil erscheinen könnte. Die Psychoanalyse und der psychodynamische Therapeut meinen es ebenso ernst wie der Silen und Freud mit ihren Hinweisen auf die beschränkten Glücksmöglichkeiten des Menschen.

Ausgangspunkt sowohl des Humors als auch des therapeutischen Handelns ist der Ernst des Lebens. Diesen Ernst – das, was Money-Kyrle (1968) die »facts of life« nannte – nicht nur leidend zu erdulden, sondern mit Lustgewinn anerkennen zu können, ist ein Ziel, in welchem Humor und psychodynamische Therapeutik in inspirierender Weise übereinkommen.