ich bin abenteurer und nicht dichter - H. C. Artmann - E-Book

ich bin abenteurer und nicht dichter E-Book

H.C. Artmann

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Beschreibung

"Das autobiografische Vermächtnis des literarischen Genies. Hofmann, der schon mit Thomas Bernhard und Friedrich Gulda Gespräche geführt hat, ist es gelungen, Artmann ›packende‹ und ›originelle‹ Aussagen zu entlocken. Kunsttheorie und Leben werden in diesem ungewöhnlichen Band kunstvoll miteinander verbunden." Frankfurter Allgemeine Zeitung "Oft räsonierend, manchmal polternd, dann wieder zutiefst bedrückt, nimmt uns Artmann mit in seine unbekannte Welt, in der das Leben und die Poesie, der Überschwang und die schaudernde Angst fest miteinander verschmolzen sind. Kurt Hofmann ist hier etwas Großes gelungen." biblio.at "Hier stimmt die Phrase von der Unersetzlichkeit: Nach ihm kommt keiner mehr." Die Welt

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Seitenzahl: 177

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H. C. Artmann

H. C. ARTMANN

ich bin abenteurer undnicht dichter

Aus Gesprächen mit Kurt Hofmann

Mit zehn Porträts von H. C. Artmann

Gefördert von der Stadt Wien Kultur

Besuchen Sie uns im Internet unter: amalthea.at

© 2021 by Amalthea Signum Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Veränderte Neuausgabe des gleichnamigen Originals

(2001 by Amalthea in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH)

Primärzitate aus älteren Ausgaben wurden wie das gesamte Buch an die neue Rechtschreibung angepasst.

Umschlaggestaltung und Satz: Johanna Uhrmann

Umschlagfoto: © Bruni Meya/akg-images/picturedesk.com

Herstellung: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

Gesetzt aus der Adobe Hebrew und Alegreya Sans

ISBN 978-3-99050-198-6

eISBN 978-3-903217-71-3

Es freut mich, dass zum 100. Geburtstag meines im Jahr 2000 verstorbenen Mannes H. C. Artmann das Buch ich bin abenteurer und nicht dichter neu aufgelegt wird. Vor allem auch deshalb, weil H. C., der Interviews so gar nicht mochte, Dich, Kurt, als Gesprächspartner sehr geschätzt hat.

Rosa Pock-Artmann

Inhalt

Prolog

von Kurt Hofmann

tök ph’rong sülengvorbemerkung für meine leser (meine leserinnen)

was dem einen sein blatt fürs poemist dem andern sein wisch für den po

Sehnsucht, rückwärtsgewendet und gegen den Wind

Soiree mit illuminierten Vogelkäfigen

i bin a ringlgschbüübsizzaund hob scho sim weiwa daschlong

: kuckuck! sucht’s mich jetzt, ihr gefraßter!!

Das heilige Experiment

bei de japana drongs papiarane schtifö,des hast daun: HAIKU

Dracula, Dracula, oh mein Gott Dracula

tritt hin vor meinen aschen stein im abend rot

»Wie ein Franz Liszt der Schreibmaschinentasten«

Zum Tod von H. C. Artmann

von Klaus Reichert

Anhang

Lebensdaten

Preise und Auszeichnungen

Sprachen

Werkverzeichnis

Bücher

Stücke

Übersetzungen

Hörspiele

Film- und Fernsehproduktionen

Tonträger

Lehrtätigkeit

Wiener Dialektwörterverzeichnis

Text- und Bildnachweis

Namenregister

Prolog

Als ich 1980 als junger ORF-Redakteur in Salzburg anfing, von einem Buch mit H. C. Artmann zu träumen, sah es jahrelang so aus, als ob diese Träume immer Träume bleiben müssten. Die, die ihn näher kannten, rieten von so einem Projekt ab. Die, die ihn bisher interviewten, erst recht. Als ich behutsam versuchte, Artmann dieses Buchprojekt näherzubringen, war die wiederholte Antwort: »Vergiss das, trink ma lieber was.«

Meine Träume waren mir schon abhandengekommen, als er irgendwann einwilligte, es doch versuchen zu wollen.

Viele Gespräche endeten mit dem Satz »… du kannst ohnehin nichts damit anfangen«, oder »Gib endlich auf«.

Nach meinen Interviews und Büchern mit Thomas Bernhard und Friedrich Gulda vermeinte ich eine Schule der Schwierigkeitsbewältigung durchgemacht zu haben und gewappnet zu sein. Ich war es nicht. Alles, was über Artmann gesagt wurde, bekam ich bestätigt, x-mal.

In einer besinnlichen Minute zwischen drei und vier Uhr morgens, die Flasche Rotwein war längst leer, habe ich ihn gefragt, warum dies so sein muss und bekam zur Antwort: »Weißt du … (lange Pause), im Grunde bin ich menschenscheu, sehr menschenscheu. Bei einfachen Dingen zu meiner Person habe ich schon Schwierigkeiten. Auskunft geben über mich bereitet mir Übelkeit und Schmerzen. Ich bin kein Selbstdarsteller. Sich vor Reportern und dem Fernsehen und all dem zu schützen, das ist doch nur Notwehr.«*

Das Ergebnis zahlreicher nächtelanger Gespräche war ein Rohmanuskript mit einem Umfang von über tausend Seiten. Das ausgewählte Material, bearbeitet als Wort-Feature, das nur Originalaussagen enthält, ergänzte ich mit einem angedeuteten Querschnitt seines Schaffens und der »Grabrede« von Klaus Reichert.

»Kein Dichter in diesem mit ihm zu Ende gehenden Jahrhundert hat so bedingungslos wie H. C. Artmann die Existenz und die Würde des Dichtens noch einmal vorgelebt. In keinem Dichter des Jahrhunderts kamen wie bei ihm noch einmal die Möglichkeiten des Dichtens in einer über tausendjährigen Tradition zusammen und zeigten sich wie gerade erst erschaffen, herrlich wie am ersten Tag. (…) Er war ein altersloser Dichter, dessen Zeit immer gekommen war. Jede Generation, bis herab zur jüngsten, konnte mit ihm, durch ihn, den Funken der Dichtung neu entfachen.«**

Als Artmann das fertige Manuskript las, wenige Monate vor seinem Ableben, erschrak er: »Was haben wir gemacht!« und »Bring das erst raus, wenn ich nicht mehr bin!«

Kurt Hofmann

Frühjahr 2021

*Vgl. Seite 13–14

**Vgl. Seite 187–188

tök ph’ rong süleng

vorbemerkung für meine leser (meine leserinnen): ein jäger von werwölfen muss sich ordentlich ins zeug legen – legt er sich einmal nicht in es, gibts ein heilloses debakel, denn ein schreckliches phänomen ist sein sparring-partner. mitleidlos, da im augenblicke seiner taten ohne seele, fantastisch schlau, da ein mischding aus verständigem mensch und instinktgelenktem tier, unverwundbar nahezu, da unterm schutze des mondes1 und dessen dunkeler idole, so geht er, der were wolf, grünaugs, gesträubten fells und unheiliges im sinne, ins gäu.

mensch und jäger, hüte dich, gib acht, sieh dich für!

— Grammatik der Rosen. Gesammelte Prosa,Salzburg und Wien, 1979 —

1luna, ae, der mond; d. h. (poet.), meton., die nacht.

was dem einen sein blatt fürs poem ist dem andern sein wisch für den po

Ich habe noch nie über mich Auskunft gegeben. In meinen Büchern nicht, außer ansatzweise in Nachrichten aus Nord und Süd – »ich bin schlecht ich bin einer dem es nicht zusteht ein netter junge von nebenan geheißen zu werden bitte bitte sagt mir doch wer ich bin damit ich mich wenigstens in zukunft danach richten kann« – darüber hinaus schon gar nicht. Ich bin kein Selbstdarsteller, und ich bin kein Erzähler. Auskunft geben über mich bereitet mir Übelkeit und Schmerzen.

Bei einfachen Dingen zu meiner Person habe ich schon Schwierigkeiten. Diese Selbst-Zur-Schau-Stellung, wie auf einer Schlachtbank. Da liegen die Kadaver, seht her. Und wer da alles mit dem Messer auf dich zugeht, mit einem stumpfen, damit es ja wehtut. Und dann wird in den Wunden herumgerührt und das Blut spritzt und die Leute begeilen sich daran. Da kann man sich ja nur übergeben.

Sich vor Reportern und dem Fernsehen und all dem zu schützen, das ist doch nur Notwehr. Das passiert mir doch ununterbrochen, ich sag’ was und, oh Gott, ich schlag’ über’s Ziel hinaus. Es gibt natürlich Leute, die sagen, egal was der große H. C. macht, das ist was – aber das sind die Senilen. Ich bin natürlich sehr militant. Ein militanter Lyriker, kann ich noch deutlicher werden?

Wenn über mich geschrieben wird, dass ich alles wegschmeiße, wenn mir der Papierhaufen auf meinem Schreibtisch zu groß wird – geschrieben ist geschrieben – und ich soll da alles beim Fenster hinauswerfen. »Die Hälfte von dem«, steht dann in der ZEIT, »was zum Besten in der modernen Lyrik gehört, hat er weggeschmissen oder verschlampt«, das ist nicht wahr. Ich schmeiß’ nie was weg. Wie weit mich das dann noch interessiert, das ist etwas anderes. Natürlich ist mir wichtiger, dass ich was schreibe oder geschrieben habe, als das, was damit passiert.

Andere sagen im Fernsehen über mich, ich hätte einen Fernseher aus dem Fenster rausgeschmissen, und meine Leitfiguren sind Verrückte und Selbstmörder. Ich habe Angst vor Verrückten, und die Angst vor’m Wahnsinnigwerden, die geht vorüber. Manchmal, manchmal vor dem Einschlafen, da höre ich so eigenartige Stimmen, und dann denke ich mir, so, jetzt ist es so weit, du wirst wahnsinnig.

in meinem garten verbluten

die drosseln des wahnsinns

aus geometrischen fontänen

die drosseln des wahnsinns

in meinem garten verbluten

aus geometrischen fontänen

aus geometrischen fontänen

verbluten in meinem garten

die drosseln des wahnsinns

in meinem garten verbluten

die fontänen des wahnsinns

aus geometrischen drosseln

die geometrischen drosseln

in meinem garten verbluten

aus fontänen des wahnsinns

aus geometrischem wahnsinn

verbluten in meinem garten

deine drosseln zu fontänen

— hans carl artmann, verbarium gedichte, Olten, 1966 —

Ich bin im Grunde genommen saunormal, für Irrenkunst habe ich nichts übrig. Ich habe keine Sehnsucht nach delirierendem Wahnsinn oder Verrücktheit, im Gegenteil. Ich bin ein geschichtsloser Mensch, in mir bleiben nur Atmosphären. Ich bin ein Gefühlsmensch, habe aber nie geschrieben, was in mir vorgeht. Das Unbewusste schreibt aus mir.

l’eliphat ’l qümqüm i’ul

assegor thibeta et dü

azimount..

vendigot ül iblout et

’l ab ab..

m’elmoth ül iblout et

azimout

assegor thibeta et dü

assegor thibeta et dü

m’izrouph..

vendigot ül iblout et

l’amghar..

m’elmoth ül iblout et

m’izrouph

assegor thibeta et dü

assegor thibeta et dü

fl’aflal..

vendigot ül iblout et

m’ta’aroth..

m’elmoth ül iblout et

fl’aflal

assegor thibeta et dü

— ein lilienweißer brief aus lincolnshire,Frankfurt a. M., 1969 —

Ich verhunze die Sprache nicht, ich baue sie eher auf, aber von genial kann bei mir nicht die Rede sein. Ich habe, wen wundert’s bei meinem Alter, einen gewissen Teil geleistet, ich bin schon seit sehr langer Zeit unterwegs mit Dichtung und Literatur, von Genialität will ich aber nichts mehr hören, von niemandem. Wenn ich ein Genie wäre, würde es mir besser gehen, aber ich habe ja nie etwas anderes gemacht, als mich mit Literatur und Sprachwissenschaft befasst, etwas wirr, was ich da spreche.

Für mich ist gute Literatur Magie. Eine Welt ohne Feen, Kobolde, Druden wäre für mich keine. Ich bin ein ganz normaler armer fahrender Dichter.

Von mir sagen sie auch immer, der ist doch so unernst, das kann man doch so nicht, tiefernst soll man sein, ein Priester der Germanistik, pfui Teufel, sagt der Zauberer aus dem Wald.

»warte, warte noch een weilchen,

bald kommt Artmann auch zu dir,

mit dem kleenen hackebeilchen,

und macht schabefleisch aus dir.«

— Grammatik der Rosen, Salzburg und Wien, 1979 —

Ich komme ja vom Surrealismus her, ursprünglich. Surrealismus ist für mich etwas ziemlich Verrücktes. Und Romantiker bin ich auch. Also, ein surrealer Romantiker oder ein abstrakter Romantiker, oberflächlich betrachtet, denn meine Herkunft ist überall: bei den Surrealisten und Dadaisten, bei Villon und dem Wiener Vorstadtdialekt, Lorca, Gómez de la Serna, in der Artusepik, in barocker Schäferpoesie, in Irland, im England des Sherlock Holmes, in den finsteren Wäldern von Transsylvanien, den lieblichen Gefilden von Sussex, in orientalischer Liebeslyrik, in den Detektivheftchen der Zwanzigerjahre, den Comicstrips von damals bis heute usw. Wenn ich schreibe, dann kommt das aus mir raus, wie ein Dämon.

Und dann, wenn’s am Platz steht, feil ich das durch, das schon und mit Raffinesse. Ich bin sehr sprunghaft und deshalb kann ich auch keine längeren Texte schreiben. Mein längster Text hat nicht einmal 200 Seiten und groß gedruckt. Ich würde das gerne machen, wie andere, so jeden Vormittag zehn Zeilen, aber ich bleibe nie auf derselben Idee sitzen, ich bin hudelig. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich ein abstrakter Maler vorstellt, so muss das ausschauen. Der baut’s einfach auf, insofern bin ich ein abstrakter Dichter.

tom du tümmel

tom

tom tom tümmel

tom du tom und tom

o tom du

lederne cappen

tom du

tom tom

du tom tom

am himmel tom

dreh tom dreh dreh

deine cappen tom

tom du tümmel

dreh du

canonen tümmel

tom du

tom

— Die Wiener Gruppe, Reinbek bei Hamburg, 1985 —

Wenn sich dieser innere Dämon nicht rührt, kann ich gar nichts machen, nichts. Ich kann dann nicht schreiben. Dann wiederhole ich halt ein paar Grammatiken oder les’ in Handbüchern oder Sachbüchern, höre Schallplatten, geh’ mit Freunden fort, was heutzutage weniger geschieht, mach’ wieder eine Lesung, jedenfalls bin ich mit mir unzufrieden, und solange man unzufrieden ist, ist man noch am Leben.

Es gibt sehr viele Leute, die sagen, ja wo kann man Sie denn anrufen und immer diese wiederkehrenden Scheißhausparolen, dass ich eine Managerin hätte, was soll ich mit einer Managerin, die Leute rufen mich an, H. C. willst bei uns lesen, hast Zeit, sag’ ich, ja o. k. oder na. Ich kann doch von niemandem abhängig sein. Das ist doch kein Geschäft wie jedes andere. Ich hab’ da eine mystische Haltung. Wenn ich begnadet bin, ohne Glorienschein so etwas zu machen, dann kann ich mich doch nicht vermarkten, da bin ich zu gläubig dazu. Was machen denn dann meine Feen da unten, die da im Gebüsch sitzen, die würden mir schön was hinten rein hauen. Ich glaube daran, sonst würde ich es ja nicht so machen, sonst würde mich ja schon längst der Teufel geholt haben. Ich glaube absolut an diese Vorbestimmung, ich habe so viel erlebt und bin bei so ungeheuren Sachen durchgerutscht und durchgekommen, ich muss in einer Glückshaut geboren worden sein.

Ich habe immer Glück, dass ich nicht das Unglück hinterher hab’, sonst könnt’ ich ja nicht weitermachen. Wenn es also so etwas gibt wie Glück, stell dir vor, du musst dann sterben, das ist Angst. Man spielt mit der Angst natürlich auch als literarischer Trick. Ich bin ein extremer Mensch. Entweder sehr melancholisch oder euphorisch, bis zum Exzess. Vielleicht bin ich deshalb jetzt in Mode. Ich bin en vogue. Das bedeutet nichts Gutes.

Bekannt zu sein war uns, ich spreche in der uns-Form, immer völlig gleich, und wenn ich nicht Lyriker geworden wäre, wäre ich als Abenteurer nach Afrika oder Indonesien oder irgendwo hingekommen. So bin ich halt auf meine Art Abenteurer geworden und nicht, wie man glaubt, Dichter. Ich kenne sehr viele Leute, die sind Dichter, aber die schreiben nichts. Die ganze Erscheinung und die ganze Aura, die sie umgibt, das ist einfach was ungeheuer Poetisches. Poesie ist doch wesentlich mehr als nur dichten. Dieser weltfremde Dichter in seinem Kämmerchen, der auf seine Schreibmaschine einhämmert, der bin ich doch nie gewesen.

Ich schreibe ja nur, wenn es überhaupt nicht anders geht, wenn es auch mit Valium nicht mehr geht, wenn ich nicht mehr schlafen kann vor lauter Verzweiflung, dann kann ich schreiben auch gleich. Im Grunde meines Herzens bin ich ein faules Schwein.

alles schöne der welt verwandelt sich in

büsche

und zweige/es säumt meinen weg ein

rahmen

unwirklich schimmernder stimmen

— Gedichte über die Liebe und über die Lasterhaftigkeit,Frankfurt a. M., 1975 —

Die Kunst zu leben, französisch »savoir vivre«. Der Satz verfolgt mich seit Jahrzehnten: »Eine Flasche Wein, ein gepflegter Beischlaf, und für H. C. Artmann ist die Welt wieder in Ordnung.« Ja, ja, das stimmt schon, meine Heimat ist das Bett, ich bin kein Gesundheitslieger. Ich habe so Halbträume und ungeheuer poetische Vorstellungen, die man dann nicht ausführen kann, weil’s einfach wie eine Qualle in den Händen zerfließt, wenn man munter wird. Es hat was Oblomov’sches. Man geht nicht mehr aus seinem Bett raus. Dann springt man doch auf, weil man schiffen muss.

Und am Klo muss man dann in der Zeitung lesen, dass ich mich über alles ernst gemeinte Ernste und schön gedachte Schöne hinwegsetze, respektlos. Mir geht es darum, abgebrauchte Ausdrücke lustvoll wieder aufzufrischen. Neue zu erfinden sowieso. Dieses syntaktische Erlebnis, das philosophische Abenteuer. Du hast recht, ich bin ein literarischer Sadist. Ich schände auf das Ordinärste, und dann putze ich wieder auf das Herrlichste auf. Und das ist das, das der Durchschnittsleser nicht versteht. Der liest das und, »ah, a lustige G’schicht«.

Rixdorfer Bilderbogen No. I

morgen kommt der schornsteinfeger und wird dir den arsch putzen da nützt dir kein etcetera und kein mordioho der führt dich aufs klo und bemächtigt sich deines höschens und genießt deines röschens denn was son richtiger schornsteinfeger ist ist ein hans und kanns!

auch wenn du meinen mächtigen schnurrbart nicht schätzen tust beug ich dich meiner momentanen lust ja glaubst du vielleicht ich werde mir wegen deiner meine guten dreißigmarkschlipse ums kinn binden und als könig abimelech vor deinem babybett erscheinen wenn ich dir jetzt meine unflätige aufwartung unterbreite?

wenn carrasco der schänder aus dem tiefen finstren walde tritt dann scheißen sie allesamt in die hosen und die damen spüren zarte zucker im after und die herren glauben sie müssen speiben vor zorn denn dem carrasco ist keiner gewachsen oder besser gesagt ein solcher gewachsen dass es seinesgleichen nimmer wird haben zwischen tampico und santa fé!

damiane lass dieses faxen mir ist nur einer zwischen den haaren gewachsen und meine zehn finger sind auch kein dreck nicht also was willst du also willst du oder willst du nicht du sonderbares geschöpf eines vaters und einer mutter?

— The Best of H. C. Artmann, Frankfurt a. M., 1975 —

Schreiben ist natürlich für mich ein erotischer Vorgang. Also Erotik und Sexualität lässt sich bei mir nicht trennen. Ich habe vielleicht mit 85 noch ein erotisches Erlebnis, wenn ich etwas schreibe, was ich ja sonst vermutlich nicht mehr haben würde. Die Sexualität ist natürlich der Erotik vorzuziehen, solange es geht. Sexualität oder Erotik oder irgendwas. Was ist Erotik und was ist Sexualität, mir geht es ums Budern. Sexualität in künstlerischer Vollendung, das ist was. Das hat aber mit dem Schreiben nichts zu tun. Ich schreibe für Laubbäume. Unbewusst rutscht die Sexualität natürlich ins Schreiben rein, aber bewusst mache ich das nicht, das wäre ja auch sehr billig. Auch wenn ich viel reise, Reisen sind nicht unbedingt notwendig, damit ich schreiben kann. Gerüche vielleicht, das Klima oder eine Frau.

mit einer maschine der iraqui air war ich nach london gekommen und mit einem buch von sapper (a new gripping story of a bulldog drummond series) flog ich zurück nach graz das sind abenteuer die sich erst im laufe eines halben lebens deutlich abzeichnen und zu einem ganzen runden wie soll ich das einem weiblichen wesen beibringen wie meinen rezensenten wie den tüchtigen burschen von der germanistik die mich samt und sonders für einen launigen equilibristen halten für einen sprachfex und tausendsassa der sich halt einen jux machen will und ein jeder x-beliebige todel plappert das zum tausendsten male nach da stand ich auf einmal wie aus der kamera geschossen mitten in der guten stube meiner angebeteten und sang aus vollem magen die arie des riegelotto die bewusste grandiose und herr verdi nicht die spur von ungehaltensein nickte mir als büste vom klaviere zu gewiss er hatte sicher schon trefflichere sänger vernommen ein reifes leben bringt manches fürs gehör allein der maestro war wenn auch nicht begeistert so doch gerührt …

— Nachrichten aus Nord und Süd, Salzburg und Wien, 1978 —

Ich bin Abenteurer und nicht Dichter. In meinem Pass müsste stehen Abenteurer. Schriftsteller steht drinnen. »Es gibt keine Dichter, Sie sind Schriftsteller«, sagt der Polizist. Der Jonke hat in seinem Pass stehen gehabt »Freier Schriftsteller«, mit Gänsefüßchen. Der Turrini Heimatdichter. Die sind so blöd. Wenn man sagt, man ist Schriftsteller, so ist das in Österreich Hochstapelei. »Können S’ das beweisen?« Ein Amerikaner fragt dich, wie viel verdienst denn, so und so wenig, warum machst denn nichts anderes? Und der Engländer, wenn du sagst, du bist Schriftsteller, ah, interessant, kannst du mir einmal was zeigen. Aber bei uns ist das immer verdächtig. Das ist im deutschen Sprachraum überall so. Dichter – ha, ha, i dicht a, die Wasserleitung. Das ist ja keine Berufsbezeichnung, das ist ein Zustand. Wenn man sich dann dagegen wehrt, dann hat man gleich den Ruf des Wilden, des Polizistenschlägers, des wilden Herumschreiers. Man kann ja nicht vor tausend Leuten lyrische Gedichte lesen, da muss ich die härtern Sachen bringen, die schärferen, und die muss ich brüllen, weil ich ja auch meistens kein Mikrofon hab’. Natürlich kriegt man so ein Image dadurch. Und in Wirklichkeit interessiert mich die lateinische Literatur, die keltischen Dichtungen, die mittelalterliche Literatur und die großen Detektive und Abenteurer, das bin ich wirklich. Aber wen interessiert das.

Was ich von den großen detektiven und abenteurern halte, möchte ich hier kurz zu papier bringen:

Poirot ist dumm, Maigret ein netter spießer, Lemuel Caution hat einen uneingestandenen hodenbruch, The Saint ist ein kompletter trottel, Holmes ein elender geiger, sonst jedoch geistreich, Lord Peter Whimsey ist albern, Nat Pinkerton verstand sein metier, Cardby log bisweilen das blaue vom himmel herunter, The Phantom leidet an furunkeln, Percy Stuart führte stehend aus, was er sich liegend vornahm [er gehört zu den wirklich großen], Eddie ist ein mann von talent, Frisco Kid ist schneidig, Rip Corbys brillen sind aus fensterglas [eine list!], Lord Lister wäre als detektiv ebenso gut gewesen, wie er als gentlemandieb war, Frank Allan war ein ausgezeichneter spürhund, über James Bond möchte ich jedoch nur sagen, dass er falsche beweise liefert.

Die besten abenteuer Tom Sharks, des königs der detektive, waren: »Die Opiumschmuggler von Montmartre und Me Wang der Chinese.«

Ab nummer 100 werden alle abenteuer schlecht.

— The Best of H. C. Artmann, Frankfurt a .M., 1975 —

Selbst kann ich nicht lesen. Außer vorlesen. Ich lese lieber was von alten Philosophen, Zauberei, Druidentum, Mythologien, prähistorische Texte, mittelhochdeutsche Lyrik, Ritterromane und Comics, diese echten, alten. Donald Duck ist die beste Literatur. Mickey Mouse mag ich nicht, aber Asterix.