Ich muss mit auf Klassenfahrt - meine Tochter kann sonst nicht schlafen! - Lena Greiner - E-Book

Ich muss mit auf Klassenfahrt - meine Tochter kann sonst nicht schlafen! E-Book

Lena Greiner

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Beschreibung

Sie blockieren die Notaufnahme mit Lappalien, diktieren den Speiseplan der Schul-Mensa oder fordern vorgewärmte Klobrillen für ihre süßen Schätzchen in der Kita: Helikopter-Eltern gehen ihrer Umwelt gehörig auf die Nerven. Rund um die Uhr, völlig unreflektiert. Lesen Sie neue skurrile Anekdoten von Eltern und Hebammen, Erziehern und Lehrern, Ärzten, Trainern und Frisören. Außerdem: Der Helikopter-Wahnsinn in elterlichen Whatsapp-Gruppen.

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Das Buch

Nach dem großen Erfolg des Nr.1-Bestsellers Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Sohn hat Geburtstag legen Lena Greiner und Carola Padtberg nach: Im vorliegenden Band versammeln die SPIEGEL-ONLINE-Redakteurinnen erneut verrückte Episoden und unglaubliche Geschichten über Helikopter-Eltern und ihren stolzen Nachwuchs. Aber Vorsicht: Dieses Buch ist kein Erziehungsratgeber und kein pädagogisches Plädoyer gegen Förderwahn, sondern ein schonungsloser Frontbericht aus dem Familienleben. Eltern, Kinder, Hebammen, Erzieher, Lehrer, Trainer und Polizisten packen aus, was sie mit übermotivierten Eltern erlebt haben. Atemberaubend grotesk – und leider wahr.

Die Autoren

Lena Greiner, geboren 1981 in Hamburg. Sie studierte Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen in Hamburg, Berlin und Washington, D.C. Seit 2013 ist sie Redakteurin bei SPIEGEL ONLINE und leitet dort das Ressort Leben und Lernen.

Carola Padtberg, geboren 1976 im Rheinland, studierte Englische Literatur und Politik in Bonn und London. Sie volontierte bei ZEIT Online und ist seit 2005 Redakteurin bei SPIEGEL ONLINE, aktuell im Ressort Kultur. Die Mutter von drei Kindern lebt und arbeitet in Hamburg.

Lena Greiner / Carola Padtberg

Neue unglaubliche Geschichten über Helikopter-Eltern

Mit Cartoons von Hauck & Bauer

Ullstein

Hinweis der Autorinnen:

Rechtschreib-, Grammatik- und Zeichensetzungsfehler in den Anekdoten wurden von uns korrigiert. Die meisten Gesprächspartner baten um strikte Anonymität; wenn Namen vorkommen, haben wir diese geändert. Um Geschlechterstereotype so weit wie möglich zu umgehen, verwenden wir das generische Maskulinum. Begriffe wie »Erzieher«, »Schüler« und »Lehrer« stehen also für Personen beider Geschlechter.

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ISBN 978-3-8437-1844-8

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch

1. Auflage September 2018

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018

In Kooperation mit SPIEGEL ONLINE, Hamburg

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Titelabbildung: © FinePic®, München

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Einleitung

Rohe Eier im Haar und Überschwemmung im Wohnzimmer, allein durch die Stadt stromern, sich Polizisten oder dem Fräulein Prusseliese widersetzen: Das sind die Abenteuer eines neun Jahre alten, mutigen Mädchens, das seit Jahrzehnten weltweit geliebt wird. Aber eigentlich ist Pippi Langstrumpf, die es mit allen Erwachsenen aufnimmt und niemals groß werden will, ein verwahrlostes Kind, das allein und ohne Schulbildung, dafür aber mit Affe und Pferd aufwächst. Wie konnte so ein Mädchen zur Heldin ganzer Generationen von Kindern werden?

Auch Michel aus Lönneberga ist sehr oft allein. Er kann nur so viel Unfug machen, weil er beinahe ständig unbeobachtet ist. Und die Kinderbuch-Heldin Seeräuber-Moses erlebt große Abenteuer – natürlich nicht mit ihren Eltern, sondern als Findelkind auf einem Piratenschiff.

Ob alt oder neu: Es sind romantische Geschichten über Freiheit, die viele Eltern ihren Kindern kurz vor dem Schlafengehen servieren – und das, nachdem sie sie den ganzen Tag herumkutschiert, observiert und verhätschelt haben. Abenteuer und Risiko, eigene Entscheidungen, kleine Regelverletzungen und Geheimnisse haben heutzutage in der Kindheit kaum mehr Platz.

Stattdessen sind Eltern unterwegs, die einen ganz bestimmten Auftrag verspüren: Ihre Kinder bis zum (eigenen) Umfallen zu verwöhnen, zu fördern und zu kontrollieren. Nichts fällt diesen Helikopter-Eltern schwerer, als ihre Kinder mal in Ruhe zu lassen. Permanent kreisen sie über ihrem Nachwuchs – jederzeit bereit, zu landen und zu helfen. Immerzu funken sie dazwischen und mischen sich in alles ein. Wie fast alle Eltern meinen sie es natürlich gut. Aber einige überspannen die Überfürsorge bis zur Groteske. Genau von diesen Übertreibungen handeln die gesammelten Anekdoten in diesem Buch.

Wussten Sie, dass einige Mütter ihre Föten per Vaginalsonde mit klassischer Musik beschallen? Andere stillen übrigens nur nackt, weil der Säugling das vermeintlich so liebt. Väter überwachen Kleinkinder mithilfe von Kameras und Schulkinder über GPS-Peilsender, sie tragen Schulranzen wie Packesel und verfolgen den Nachwuchs bis ins Landschulheim. Steht ein Mann mit Handy in der Straße der Schule, wird die Polizei gerufen, und wenn das Kind sich mal stößt, muss – ernsthaft – ein Rettungshubschrauber anrücken. Auch in der Freizeit nimmt der Kontroll- und Überbehütungswahn kein Ende, da trudeln dann nachts bei 25 Eltern diverse WhatsApp-Nachrichten ein, weil Louisa ihr Freundebuch nicht finden kann.

Solche Auswüchse im Wettstreit um die perfekte Elternschaft und Kindheit sind jedoch nicht nur absurd-komisch, sondern bewirken oft sogar das Gegenteil von gut. So zeigte kürzlich eine Studie der Universität Minnesota, dass kontrollwütige Eltern durch ihr Verhalten die Entwicklung ihrer Kinder hemmen. Acht Jahre lang begleiteten Forscher eine Gruppe von Kindern und stellten fest: Die Nachkommen von Helikopter-Eltern können ihre Gefühle und Impulse weniger gut regulieren. Sie kommen mit Frust, Enttäuschung, Angst oder Neid deutlich schlechter klar, weil ihre Eltern ständig versuchen, negative Empfindungen im Vorfeld abzuwenden, anstatt ihnen den Umgang damit beizubringen. Das Ergebnis der Studie lautet in klaren Worten: Man sollte die Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen lassen.

Eine sympathische Vorstellung – aber es klingt wohl leichter, als es ist. Selbst Eltern, die von sich sagen, keine Helikopter zu sein – entweder aus Überzeugung oder weil sie es sich zeitlich schlicht nicht erlauben können –, fühlen sich unter Druck. Eine genervte Mutter schrieb: »Schon die Kinder allein zur Schule gehen oder fahren zu lassen wird von den Helikopter-Eltern in meiner Umgebung als Zeichen interpretiert, dass man seine Kinder nicht liebt. Stattdessen tanzen sie noch in der vierten Klasse jedes Mal beim Lehrer an, wenn das Kind nicht den Sitznachbarn hat, den sie sich vorstellen.«

Eine Helikopter-Mutter lässt diese Haltung sogar ganz unverblümt raushängen, wie eine Leserin berichtet: »Sie sitzt jeden Morgen mit ihrem vierjährigen Sohn in der Kita rum, meist im Flur beim Bällebad. Die anderen Kinder frühstücken zusammen in der Gruppe, dieser Junge nicht: Er sitzt bei seiner Mutter, bis diese ihn irgendwann endlich ziehen lässt. Auch beim Abholen am Nachmittag ist sie natürlich schon eine Stunde früher da. Einmal fragte der Sohn sogar etwas genervt: ›Mama, warum bist du immer hier?‹ Ihre Antwort: ›Weil wir dich lieber haben als andere Eltern ihre Kinder.‹«

Ja, manchmal ist es so schräg, dass es schon wieder witzig ist. So wie die Geschichten, die wir im ersten Band »Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Sohn hat Geburtstag!« über Helikopter-Eltern erzählt haben. »Ich habe das Buch zu Weihnachten geschenkt bekommen und fühle mich sooo verstanden, seit ich es gelesen habe!«, schrieb eine Leserin nach der Lektüre. Und eine Erzieherin berichtete, sie habe das Buch »regelrecht verschlungen« und viele Eltern aus ihrer Kita wiedererkannt.

Und viele von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, haben sich nicht nur verstanden gefühlt, sondern uns Hunderte neue witzige und unglaubliche Anekdoten über Helikopter-Eltern zugetragen. Von Hebammen, Erziehern, Lehrern, Ärzten, Sporttrainern, Polizisten, Rettungssanitätern und Supermarktmitarbeitern, die einfach nur ihre Arbeit machen wollen – und stattdessen beinahe täglich mit solchen Kampfhubschraubern zusammenstoßen. Die besten dieser Berichte lesen Sie auf den folgenden Seiten.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß. Und denken Sie daran: Die Kinder einfach mal machen lassen!

Volle Kontrolle trotz Keimphobie: Schwangerschaft und Geburt

Eine Schwangerschaft ist ein Wunder. Wie aus einem kleinen Zellhaufen in nur 40 Wochen ein richtiger Mensch wird, ist beeindruckend. Wer bekäme da nicht großen Respekt vor der Biologie, der menschlichen Fortpflanzung, ach, Mutter Natur überhaupt? Jedoch: Es gibt noch eine zweite höchst erstaunliche Metamorphose während mancher Schwangerschaft – nämlich die der Eltern. Aufgeklärte, tolerante und mutige Menschen mutieren zu übervorsichtigen Dogmatikern, die schon beim Gedanken an die bevorstehende Geburt so ängstlich werden, dass sie ohne medizinischen Grund einen Kaiserschnitt einfordern. Sie besorgen sich Krankschreibungen von den Ärzten, misstrauen der Hebamme und dokumentieren Wehen in Excel-Tabellen. Gleichzeitig füttern sie das Kind schon im Mutterleib mit Frühförderung – etwa per Vaginalsonde. Und so werden spätestens mit der Entbindung des kleinen Wesens immer öfter auch zwei neue Helikopter geboren.

Natürlich will man diese neue Aufgabe, die vielleicht eine der wichtigsten im Leben ist, unbedingt gut erfüllen und dem Kind auf keinen Fall schaden. Alles soll gut und schön sein. Doch müssen Babys mit Sensormatten und Kameras überwacht werden? Müssen andere Menschen aus dem Raum gewiesen werden, damit die Mutter beim Nacktstillen das Bonding zur Vollendung bringen kann? Müssen Eltern alles aushalten, bis hin zu Thrombosen, Wunden und dem Verlust des sozialen Umfelds, weil ein Baby das angeblich braucht? Aber lesen Sie selbst.

Schwanger? Sofort in Quarantäne!

Werdende Helikopter-Eltern nerven natürlich zuallererst ihre Ärzte und Hebammen, in deren Praxen sie pausenlos notlanden. Besonders reifere Akademikerinnen begreifen ihre Schwangerschaft nicht nur als »Projekt«, sondern auch als äußerst kritischen Zustand, der rund um die Uhr überwacht werden sollte. Volle Kontrolle im Mutterleib ist angesagt. Ohnehin reichlich vorhandene Ängste werden noch befördert durch die Industrie, die an das Gewissen werdender Eltern appelliert, alles maximal richtig zu machen. Weiterhin ihrem Beruf nachzugehen, finden die Frauen dann oft unzumutbar. Dass der Mutterschutz erst sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin beginnt, scheint ihnen skandalös fahrlässig. Sie wollen von der Feststellung der Schwangerschaft an eine Vollkasko-Existenz führen.

Ein Opfer dieser Panik berichtet:

»Als Frauenärztin bin ich sozusagen am Anfang des Irrsinns. Mittlerweile beansprucht fast jede Schwangere ein Beschäftigungsverbot, da sie ja am Arbeitsplatz mit Menschen in Kontakt kommt, die potenziell eine Infektionsquelle darstellen. Wenn die Verbotsbescheinigung nicht sofort ausgestellt wird, erfolgt sofort ein Arztwechsel, verbunden mit übelster Bewertung auf den bekannten Portalen im Internet.«

Un-ver-ant-wort-lich!

»Ich bin 38 Jahre alt und gehe zu allen normalen Kontrollterminen bei meiner Frauenärztin. Neulich sagte eine andere Mutter zu mir: ›Was, du lässt keine Fruchtwasserpunktion durchführen? Das ist total unverantwortlich!‹«

Gefahr à la carte

»Meine Schwester war mit dem zweiten Kind im sechsten Monat schwanger. Wir waren im Restaurant, und zum Nachtisch gab es ein Dessert mit einem Hauch Zimt. Das gab einen Aufschrei, weil Zimt wehenfördernd ist und meine Schwester Angst hatte, direkt im Restaurant das Kind zu bekommen. Ich fand das übertrieben, sie sagte jedoch, nichts dürfe dem Ungeborenen schaden, und verließ das Restaurant. Sie ist wirklich eine Helikopter-Mutter: Ihren Siebenjährigen lässt sie immer noch nicht allein auf den Spielplatz, trotz direktem Gartenzugang.«

Familientreff beim Ultraschall – eine Ärztin erzählt:

»Von Stunde eins der Schwangerschaft an wird gejammert, was das Zeug hält. Meistens wird die Schwangere vom Partner in die Praxis eskortiert, selbst ihre Handtasche muss der Mann tragen. Allein kann sie jedenfalls nicht kommen. Gibt es bereits Kinder, kommen auch diese mit und müssen nach ausgiebigem Picknick in den Praxisräumen bereits im Alter von einem Jahr bei vaginalen Untersuchungen und Ultraschall die Schwangerschaft miterleben. Wir mussten dazu übergehen, Schwangere und andere Patienten separat einzubestellen, da Letztere sich über den Lärmpegel und den Dreck der Geschwisterkinder beschwert haben. Gerade ältere Patienten, die selbst auch Kinder großgezogen haben, sind fassungslos und haben kein Verständnis für dieses Verhalten.«

Wer lange auf ein Kind wartet, vielleicht auch die Reproduktionsmedizin bemüht, neigt schon während der Schwangerschaft zur Übervorsicht, berichten Hebammen immer wieder. »Wer älter ist, macht sich mehr Gedanken, ist verkopfter«, sagt eine Hebamme aus Berlin. »Da wird dann sehr kleinteilig hingeschaut. Manchmal wird jede Käsesorte einzeln besprochen. Eine Schwangere wollte keinen Salat mehr essen, weil sie befürchtete, ihn zu waschen könnte nicht reichen.« Die Hebamme führt diese Ängstlichkeit auch darauf zurück, dass Schwangerschaften von der Medizin defizitorientiert wahrgenommen werden – als handle es sich um eine Krankheit. »Immer wird geschaut: Was könnte nicht stimmen? Wo ist ein Risiko? Gibt es Abweichungen von der Norm? Mittlerweile bekommt fast jede Schwangere irgendein Risiko im Mutterpass eingetragen. Je mehr man sucht, desto mehr findet man aber auch. Das fördert Ängste und Unsicherheiten.«

Vom Esstisch in die Notaufnahme?

»Ich bin Hebamme in einer Uni-Klinik. Neulich bekam ich abends einen Anruf im Kreißsaal: Eine Frau hatte versehentlich Rohmilchkäse gegessen. Ihre Frage: ›Muss ich jetzt kommen und mir den Magen auspumpen lassen?‹«

Kein Wunder, dass aus den ängstlichen Schwangeren anschließend hysterische Gebärende und helikopternde Eltern werden, deren Ehrgeiz sich auf die ideale Babybekleidung (nur Wolle-Seide-Textilien!), den perfekten Schnuller (Naturkautschuk!) und andere hochpreisige Produkte richtet.

Selbstverständlich werden diese High-End-Produkte damit angepriesen, dass sie irgendetwas fördern beim Kind, mindestens das Bonding, wenn nicht gleich Synapsen. Die skurrile Krönung der pränatalen Frühförderung ist diese Erfindung einer spanischen Kinderwunschklinik: Der BabyPod ist ein Player, den Schwangere an ihr Handy anschließen und in ihre Vagina einführen können. Dort spielt er in direkter Nähe zur Gebärmutterwand klassische Musik ab (macht intelligent) oder erste Vokabeln (Zweisprachigkeit). »Mit BabyPod beginnt die Artikulation schon im Uterus«, frohlockt die gynäkologische Klinik in Barcelona. Und bei einem »Vagina concert for foetuses« wurde der Gesang der ESC-Teilnehmerin Soraya den Schwangeren per BabyPod sogar live in den Unterleib übertragen – statt Händels Wassermusik also Fruchtwassermusik für Föten. Wir sehen: Viel zu lange verliefen die ersten zehn Lebensmonate eines Fötus quasi ungenutzt. Jetzt ist Schluss mit Chillen im Mutterleib.

Schwangere: »Was kann ich meinem Baby im Bauch so vorlesen, haben Sie einen Tipp?«

Hebamme: »Gedichte von Schiller, wenn Sie sie mögen.«

Schwangere: »Klingt toll!«

Hebamme: »Oder auch das Telefonbuch. Hauptsache, das Baby hört Ihre Stimme.«

Kind ja, Geburt nein

Will das optimal vorbereitete Qualitätskind sich nach Monaten auf den Weg nach draußen machen, möchten es die werdenden Helikopter nicht dem Risiko einer Geburt aussetzen.

Viele Frauen sehen eine Geburt inzwischen als lebensgefährlichen Weg auf die Welt. »Sie haben Angst vor Schmerzen und um die Sicherheit des Babys«, berichtet eine Hebamme, »sie wollen gar keine natürliche Geburt.« So kommt es, dass ein Drittel aller Geburten in Deutschland ein Kaiserschnitt ist. Medizinisch nötig wäre das in so vielen Fällen ganz sicher nicht.

In den USA ist mittlerweile jede zweite Geburt ein Kaiserschnitt. Unter dem Motto »Save your love channel« werden Kaiserschnitte in Frauenarztpraxen sogar beworben. Kein Wunder, dass in Online-Foren – und vor allem unter Gutsituierten – viel diskutiert wird, ob ein Kaiserschnitt nicht doch der beste Weg sei. »Too posh to push« nennen das die Amerikaner – zu Deutsch etwa: »Zu vornehm zum Pressen«. Den Hol- und Bringservice durch die Bauchdecke muss man sich natürlich leisten können. Eine Mutter berichtet, sie habe einen vierstelligen Betrag investiert.

Wunschkaiserschnitt mit Chefarztbehandlung:

»Es stand so viel auf dem Spiel, was ich von anderen Müttern gehört hatte: Die Herztöne plötzlich weg, Nabelschnur erdrosselt das Baby, Kind bleibt im Geburtskanal stecken, starker Blutverlust. Ich hatte Angst vor den Schmerzen und davor, mein Kind zu gefährden.«

Kaiserschnitte entsprechen außerdem dem durchoptimierten Lebensstil, den viele spätere Helikopter-Eltern pflegen. Der werdende Vater kann den Geburtstermin perfekt mit seinen Dienstreisen abstimmen – oder von seiner Sekretärin abstimmen lassen. Gibt es schon ein älteres Geschwisterkind, wird dieses keiner unnötigen Aufregung ausgesetzt, weil etwa der Mama plötzlich die Fruchtblase platzt – es verbringt einfach drei geplante Tage bei der Oma und erfährt nichts vom Wunder der Spontangeburt.

Der Perfektionismus in den 40 Wochen der Schwangerschaft zeigt: Hier lassen die besten Eltern der Welt schon mal ihre Rotoren warm laufen. Bis zur Geburt studieren sie dann noch alles an verfügbarer Ratgeberliteratur und sind über Geburtsstellungen und mögliche Risikolagen bestens informiert, sodass ihnen im entscheidenden Moment keine Hebamme vermeintlichen Quatsch erzählen kann. Was hat die denn schließlich für eine Qualifikation – ist das nicht »nur« ein Ausbildungsberuf?

Hebamme: »Ein bisschen Bluthochdruck ist völlig normal im letzten Schwangerschaftsdrittel. Strengen Sie sich nicht zu sehr an, ruhen Sie sich aus.«

Eltern: »Soso, das meinen Sie. Wie viele Semester Gynäkologie haben Sie denn studiert?«

Viele Akademiker-Eltern meinen, erfahrenen Kräften aus anderen Berufen erzählen zu können, wo’s langgeht. Vertrauen tun sie eh nur sich selbst, und schließlich geht es hier um den Thronfolger persönlich. Vor allem Hebammen und Erzieher sind von dieser Entwicklung be- und getroffen, wie die Aussage dieses selbstbewussten Vaters belegt:

Wer ist hier der Experte?

»Das Wissen von Hebammen basiert zu großen Teilen nur auf Erfahrung. Da wird zum Beispiel in von Hebammen geschriebenen Fachbüchern noch immer behauptet, ein gestilltes Kind könne Blähungen bekommen, wenn die Mutter blähende Lebensmittel wie Sauerkraut isst, dabei ist das ganz offensichtlich kompletter Quatsch. Und wenn eine Mutter mit Hochschulabschluss mit einer Erzieherin diskutiert, dann wundert es nicht, wenn die Erzieherin den Kürzeren zieht. Erfahrung reicht heutzutage nicht mehr, weil viele Eltern die Erzieher schlicht und einfach von der Kompetenz her überholt haben.«

Händchenhalten war gestern – jetzt ist Excel!

»Ein werdender Vater saß bei der Geburt vor seinem Rechner und hat jede Wehe in eine Excel-Tabelle eingetragen. Sein Beitrag zu der Geburt war, dass er alle Wehen auf seinem Laptop festgehalten und notiert hat, wie lang oder wie heftig sie jeweils waren.«

Ach ja: Ein perfektes Baby braucht ein perfektes Babyzimmer, ist klar. Hinter dieser Idee steckt eine Industrie, die durch sanften Druck aufs elterliche Gewissen die schicksten Interieurs für Neugeborene verkauft. Die Möglichkeiten sind ungeahnt, und Helikopter-Eltern überschlagen sich mit Planungen.

Eine glückliche Mutter berichtet stolz:

»Wir machen alles zum Thema Wald und Zwerge. Die Wand wird eher sandfarben, und dann malen wir einen Baum mit Blättern und vielleicht ein paar Vögel oder Eulen an die Wand. Dann wollte ich noch ein paar Baumscheiben, die gibt es im Tierhandel für Wellensittiche, anbringen und kleine Puppenhausmöbel draufstellen. Und ich habe eine Kuschelecke mit Lichterkette und Himmel eingeplant, die Kissen mit Zwergen oder Waldoptik. Der Fußboden wird aus Kork.«

Mütter mit Keimphobie und andere Wahnideen

Und dann ist das Baby da. Und seine Eltern lieben es und wollen selbstverständlich nur das Beste für ihren Liebling. Klar: Menschen verändern sich, wenn sie Eltern werden – alles andere wäre auch sehr merkwürdig. Aber ist es normal, wenn selbst die engsten Freunde frischgebackene Eltern nicht wiedererkennen? Aus selbstbewussten Menschen werden ängstlich umherkreisende Rettungshubschrauber. Sie haben Angst vor Keimen und Geräuschen, Feuchttüchern – und selbst den eigenen Brustwarzen.

Eine verwunderte Leserin berichtet:

»Kurz nach der Geburt haben unsere Freunde eine spezielle Matte fürs Bettchen gekauft, damit die Herztöne überwacht werden können. Das Babyphon ist mit Kamera ausgestattet, sodass das Kind jederzeit beobachtet werden kann. Feuchte Tücher beim Wickeln sind, vermutlich aufgrund schädlicher Inhaltsstoffe, grundsätzlich verboten. Meine ironische Frage, ob Stoffwindeln oder das bewährte ›Abhalten‹ Alternativen sein könnten, wurde ernsthaft diskutiert.«

Ist unser Modell eigentlich geländetauglich?

Ob es vielleicht dem Babyhirn schaden könne, wenn sie mit dem Kinderwagen über Kopfsteinpflaster fahre, wollte eine Schwangere von ihrer Hebamme wissen. Der blieb der Mund offen stehen: Das hatte sie in all den Berufsjahren wirklich noch niemand gefragt. Aber sie konnte die werdende Mutter beruhigen: Alle Babys sind SUVs.

Ebenfalls eine Hebamme erzählt das Folgende:

Sterile Zone

»Immer wieder erlebe ich bei Hausbesuchen, dass Mütter ihren halben Haushalt desinfizieren. Sie benutzen antiseptische Flüssigseife und wischen Küchentisch, Arbeitsplatten und alles, was das Baby berührt, mit Sagrotan ab. Neulich habe ich eine Mutter betreut, die die Kleidung ihres Babys mit einem speziellen desinfizierenden Waschmittel wusch. Eine Hygienemaßnahme konnte ich ihr aber zum Glück wieder ausreden: vor dem Stillen ihre eigene Brust zu desinfizieren.«

Pssssst!

»Die ersten Wochen durfte man sich unserem Patenkind nur im Flüsterton und mit langsamen Bewegungen nähern – es hätte überreizt werden können. Beim Stillen wurden alle Menschen aus dem Raum gebeten, damit die Bindung zwischen Mutter und Kind enger wird. Staubsaugen war nur noch möglich, wenn das Kind eine Etage darüber bei geschlossener Tür schlief, ansonsten wurden die Räume gefegt. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass Telefon und Klingel noch immer regelmäßig abgeschaltet sind und die Familie nicht zu erreichen ist.«

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