Ich war Pirat - Erik Schreiber - E-Book

Ich war Pirat E-Book

Erik Schreiber

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Beschreibung

Die Kriminellen der Meere haben in frühen Filem und Erzählungen schon immer fasziniert. Dabei unterscheidet man in der Regel nicht zwischen Barbaresken-Korsaren, Korsaren, Kaperer, Piraten und Freibeuter. Es bestehen jedoch diverse Unterschiede. Barbaresken-Piraten oder auch Barbaresken-Korsaren werden die meist muslimischen Kaperfahrer im Mittelmeer bezeichnet, die vom 16. Jahrhundert bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts vor der nordafrikanischen Küste ihr Unwesen trieben. Der Begriff Pirat stammt aus dem griechischen, damit bezeichnet man jemanden, der auf hoher See plündert und Verbrechen begeht. Viele berühmte Piraten waren um das Jahr 1700 aktiv: Als Kaperer wurden Kapitäne und Besatzungsmitglieder bezeichnet, die mit offizieller Genehmigung feindliche Schiffe überfielen. Diese schriftliche Genehmigung war der "Kaperbrief", dessen erste Exemplare aus dem 13. Jahrhundert belegt sind. Der Begriff Korsar kommt aus dem Französischen und bedeutet "Kaperfahrt". Die Kaperfahrer Frankreichs und des Mittelmeerraums nennt man Korsaren. Französische Korsaren gab es seit dem 9. Jahrhundert, als sich Handelsschiffe aus der Bretagne gegen plündernde Wikinger zur Wehr setzten.

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Seitenzahl: 539

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Herausgeber

Erik Schreiber

Freibeuter 4

Edward John Trelawny

Ich war Pirat

Saphir im Stahl

Freibeuter Nr. 4

e-book Nr: 300

Edward John Trelawny - Ich war Pirat

Originaltitel: Adventures of a younger son (ca. 1820)

Erste Auflage 01.07.2025

© Herausgeber Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

Übersetzung: Dr. Karl Konrad

Titelbild: Archiv Andromeda

Redaktion: Peter Heller

Vertrieb: neobook

Herausgeber

Erik Schreiber

Freibeuter 4

Edward John Trelawny

Ich war Pirat

Saphir im Stahl

Gebrochene Treue und bestrafte Mitgiftjägerei.

Meine Geburt stand unter einem Unglücksstern. Ich kam zur Welt mit dem Brandmal des Landstreichers: Ich war ja der „jüngere“ Sohn einer ahnenstolzen Familie! Sogar die Gicht und verpfändete Liegenschaften waren viele Geschlechter zurück als Erbstücke hochbürtigen Ursprungs auf ihrem Stammbaum verzeichnet und wurden in Ehren gehalten. In solchem Hause galt ein nachgeborner Sohn gerade so viel wie in den Tagen des guten Königs Edgar das Junge eines „hochverräterischen Wolfs“, auf dessen Kopf ein Preis gesetzt war. Eltern haben hie und da ihre schwächlichen Sprösslinge töten müssen; eine Spartanermutter hätte, während sie das Leben ihres noch bewusstlosen Kindes auslöschte, mit Othello rufen können:

Bin ich auch grausam, bin ich doch barmherzig, in deinen Qualen lass ich dich nicht schmachten.

Gemessen an dem abscheulichen Recht der Erstgeburt war das gerecht und milde!

Großvater war General und konnte Vater, seinem Einzigen, wenig mehr bieten als Vorspann in seinem Stande. Einigermaßen glich das die Natur aus; sie verlieh ihm, was öfter zum Glück führt als Geist, Tugend oder ähnliche abgehalfterte Thronanwärter: ein hübsches, durch feine Lebensart gehobenes Äußere. Seine Jugend verlief nicht anders als die der Vornehmen seiner Zeit. Weiber, Wein, der Hof, das Lager bildeten den Tummelplatz seines Ehrgeizes; hier galt er für einen guten Spieler. Der Vierundzwanzigjährige verliebte sich in ein reizendes, liebenswürdiges Mädchen. Seine Gedanken nahmen eine andere Richtung. Er merkte, nicht ohne Erfahrung, dass seine Leidenschaft erwidert wurde. Einziges Hindernis war das Geld. Ihre Familien waren gleich, nicht aber ihre Erwartungen. Wollte Gott, mein Vater hätte sein Geschick an das ihrige gebunden, – ihr Wert hat die verändernde Zeit überdauert. Während er sich mühte, die Hindernisse der Verbindung zu beseitigen, wurde er mit einem Werbetrupp in den Westen geschickt. Sie dachten sich die Trennung nur als vorübergehend und verabschiedeten sich, wie alle in ihrer Lage, unter Beteuerungen ewiger Treue. Was aber bei einem so flotten Soldaten wie ihm nicht ebenso üblich ist: Er blieb seinen Eiden drei Monate treu.

Anlässlich seiner Berufung gab der Präsident der Grafschaft einen Ball. Dabei äußerte er zu seiner Tochter, seiner Erbin, sie möge den Reigen mit dem vornehmsten Mann eröffnen, der zufällig der älteste war. Sie erklärte, sie werde sich den schönsten aussuchen. Wählte meinen Vater und tanzte mit ihm. Die Bevorzugung schmeichelte ihm. Da man allenthalben drüber sprach, erwachten Gedanken in ihm, die ihm sonst nicht gekommen wären. Sie war dreiundzwanzig, von finsteren, männlichem Aussehen, aber sehr wohlhabend. Das genügte, sie höchst reizvoll erscheinen zu lassen. Vater war selbstsüchtig. Reich, schön wurden ihm bald gleichbedeutend. Von der Dame wurde er merklich ermuntert. Er sah sich jetzt von denen beneidet, die er beneidet hatte. Gold war sein Gott, hatte er doch täglich die Demütigung des Nichtbesitzes verspürt. So beschloss er, sein Herz allein Fortuna zu weihen, und harrte nur der Gelegenheit, seine Abtrünnigkeit zu offenbaren. Der Kampf mit seinem besseren Selbst war kurz. Er nannte sein Verhalten Klugheit, kindlichen Gehorsam – sind das, bitte, keine Tugenden? – und deckte so seine nackte Gemeinheit mit einem anständigen Gewande. Seine Briefe wurden knapper, seltener, seine Besuche bei dem Goldfisch häufiger. Er heiratete. Fand die Mitgift bedeutend geringer, die Dame bedeutend ungenießbarer, als er erwartet hatte, und zog ärgerlich, enttäuscht in die Stadt, mit dem Bewusstsein, sein Schicksal verdient zu haben. Hier verläpperte er einen Teil des Vermögens in törichtem Aufwand, um die Gemahlin zufriedenzustellen. Seine Verhältnisse kamen dadurch in Unordnung, er musste schließlich den Dienst aufgeben, der Einschränkung wegen aufs Land übersiedeln.

Malthus mit seiner Lehre der Geburtenbeschränkung hatte die Welt noch nicht aufgeklärt. Alljährlich zeichnete er widerwillig in der Familienbibel den Zuwachs einer neuen Lebensbürde ein. Er verfluchte die Fruchtbarkeit meiner Mutter, die Rechnungen des Fleischers und Bäckers. Ward verdrießlich, mutlos.

Ein Vermächtnis fiel ihm zu, und er ging jetzt ernstlich daran, Mammon zusammenzuscharren. Diese Leidenschaft beherrschte ihn von nun an. Er wurde, was man einen klugen Mann nennt. Trat ihn ein armer Verwandter an, so sprach er von Pflicht gegen Weib und Kind. Als er am reichsten war, stöhnte er am beweglichsten über seine Armut, über Erpressung, über die schamlosen Preise aller Lebensbedürfnisse. Er habe, so behauptete er, nicht die Mittel, die Kinder zur Schule zu schicken; das Lernen sei zu teuer, übrigens auch unnötig. Seine lateinische Stallfütterung in Westminster habe sich als nutzlos erwiesen, da er seither keinen Blick in die griechischen, römischen und anderen Scharteken geworfen habe; dabei sei er nicht unwissender als die Nachbarn. Das unbedingt Notwendige könnten wir noch immer nachholen, wenn wir uns einmal für ein Fach entschlossen hätten; da mein Bruder und ich Soldat werden sollten, sei sowieso nur wenig erforderlich. Er hasste ein Zuviel an all und jedem. Hatte er nicht außerdem beobachtet, dass die Bücherwürmer seines Regiments die größten Trauerklöße gewesen und durch die Gelehrsamkeit keinen Deut im Aufstieg gefördert worden waren?

Hans Huckebein, der Unglücksrabe. – Kindliches Rechtsverfahren.

Mein Bruder war folgsam, sanft, nachgiebig. Ich war immer in Schwulitäten. Hartnäckig wollte ich meine Neigungen durchsetzen. Widerstand schärfte mein Verlangen nur. Zu den vielen kleinlichen Beschränkungen durch unsern unholden Gebieter gehörte der Befehl, die Kieswege im Garten zu meiden. Der Bruder gehorchte. Ich durchstöberte, mich schadlos zu halten, die Nachbargärten und kehrte mit Obst, Blumen in rauen Mengen heim. Brüderchen begnügte sich mit einem täglichen Bummel auf der Gemeindeweide oder der Landstraße. Ich stopfte mir die Taschen mit Brot und Äpfeln, erklomm die Hügel oder lernte in den Bächen schwimmen. Ich hasste alles, was mir dabei in die Quere kam: Pfaffen, Pastöre, Schulmeister. Was ich als gefährlich oder unrecht meiden sollte, war meine größte Lust. Wäre man mir mit Liebe begegnet oder wenigstens ihrem Schein, – ich wäre vermutlich auch nachgiebig, sanft, folgsam gewesen. Aber solange ich denken konnte, waren Strafen und Strenge jeder Art die einzigen Zeichen väterlicher Liebe, die auf mich entfielen.

Vater hatte eine schrullige Liebe zu einem Raben, der mit seinen schäbigen Flügeln, seinem würdevollen, altfränkischen Aussehen einsam im Garten lustwandelte. Kinder konnte er nicht verknusen; sooft er einen von uns sah, jagte er ihn fort. Ich war damals fünf Jahre. Hätte sich der Vogel für einen andern Ort entschieden als den einmal erwählten Obstgarten, – ich hätte sein Besitzrecht nie angefochten. Sobald wir gehen konnten, hielten wir ihn und Vater für die zwei mächtigsten, schrecklichsten Tyrannen auf Erden. Das Vieh kam in die Jahre, es schaute grau und grantig aus und hinkte auf einer Seite; seine Gelenke waren steif, die Ständer rau wie die Borke des Korkbaums, mit Riesenwarzen bestreut, die Triefaugen hatten einen bösen Blick. Meist faulenzte er in der Sonne an einer Südwand, wo die köstlichen Pflaumen wuchsen. Welche Kniffe hätten wir nicht angewandt, ihn wegzuködern! Vergeblich boten wir ihm den Küchenabfall an, – er glupte nur höhnisch hin. Sein mürrisches, gehässiges Wesen, die Schwierigkeit, das Obst zu ergattern, waren unerträglich. Wir suchten ihn mit Knüppeln einzuschüchtern; zu schwach, auf seinen wetterharten Körper den mindesten Eindruck zu machen, zogen wir den kürzeren. Heimlich schmiss ich Steine nach ihm, – auch nichts! Vergeblich rief ich die Hilfe des Gärtners, der Dienerschaft an; sie lachten uns nur aus.

Eines Tages hatte ich ein Dirnchen aus der Kinderstube gelockt, Früchte mit mir zu mausen. Heimlich wutschten wir in den Garten. Aber gerade, als wir uns unter einem Kirschbaum beglückwünschten, schoss das verwünschte Biest gegen uns los. Das ging über die Hutschnur! Er schnappte das Mädel am Kleide. Es konnte vor Angst nicht schreien. Nun galt's!

Ich ermutigte sie und warf mich auf den Verhassten. Er ließ sie fahren, griff mich mit Klauen, Schnabel an. Ich packte ihn am Halse, hob ihn mühsam hoch, schleuderte ihn gegen den Baum, die Erde. Nichts schien ihm was anzuhaben, felsenhart wie er war. So kämpften wir; aber offensichtlich war ich der Schwächere. Die Kleine, mein Liebling, rief: „Ich will den Gärtner holen!“

„Ja nicht“, antwortete ich, „er wird's Vater sagen. Ich will das Luder henken. Gib deine Schärpe!“

Das tat sie. Mit Ach und Krach schaffte ich's, wenn auch übel zugerichtet, das eine Ende um den Hals des Biestes zu schlingen; dann erklomm ich den Kirschbaum, wand das andre Ende um einen waagrechten Zweig und rutschte dal. Da baumelte der Satan!

Eben kam mein Bruder angerannt. Über mein Aussehen war er nicht zu knapp erschrocken. Aber als er unsern Erzfeind schweben sah, heulte er vor Freude. Wir knoteten das Ende der Schärpe fest und begannen ihn zu steinigen. Als wir des Spiels müde waren, das Tier auch offensichtlich verreckt war, ließen wir's runter. Es fiel auf die Seite. Ich nahm den Stützpfahl eines Himbeerstrauchs und bearbeitete, um ganz sicher zu gehen, seinen Kopf. Zu unserem Entsetzen fuhr es mit einem heiseren Krächzen wieder auf und fasste mich. Unser erster Gedanke war, davonzulaufen. Aber es hielt mich fest. Ich stürzte wieder drüber her, rief meinen Bruder zu Hilfe und hieß ihn mit der Schärpe auf den Baum klettern. Derweil bemühte ich mich, den Raben an der Flucht zu hindern. Sein Anblick war grauenerregend: ein Auge hing ihm aus dem Kopfe, das Blut quoll ihm aus dem Schnabel, mit den Flügeln peitschte er die Erde, der Schwanz, den ich halb ausgerissen hatte, war zerfetzt. Schrecklich kämpfte er ums Leben. Ich blutete über und über. Endlich konnten wir den durch die Anstrengungen und Wunden Erschöpften wieder angalgen, knüttelten ihn zu Tode, hieben den Kopf zu Brei. Schließlich banden wir ihn an einen Stein und versenkten ihn im Entenpfuhl.

Der erste Zweikampf, zugleich der furchtbarste, den ich je zu bestehen hatte! Ich erwähne ihn, so kindisch er war: nicht bloß, dass er mir frisch im Gedächtnis lebt, – er erweist sich auch bei einer Schau über mein Leben deutlich als Anfangsglied einer langen Kette. Er zeigt, wie lange ich Plage, Unbill ertragen konnte; wurde ich bis aufs Blut gereizt, so begnügte ich mich nicht mit Halbheiten, sondern schritt sofort zum Äußersten.

Ein schwerer Fehler, und schwer hab ich ihn bereut! Ich habe getötet, wo ich das strenge Recht für mich hatte, wo ich aber im Geiste der Barmherzigkeit nur hätte zurechtweisen sollen. So haben die Zuschauer das für Rache angesehen, was in meinen Augen nur angemessene Vergeltung war.

Altenglische Erziehungskunst.

„Raben“-Vater erachtete eine frühe Erziehung für zwecklos; ich wurde darum erst zwischen neun und zehn Jahren eingeschult. Den täglichen Streit der Eltern, wann der Unterricht der Söhne beginnen solle, entschied ein gewöhnlicher Vorfall. Ich hockte auf einem Apfelbaum, ein ausnehmend langer, knochiger Schlaks, und warf meinem Bruder die Früchte herunter, als Vater plötzlich auf uns zukam. Jeder Quark fuchste ihn. Wir mussten ihm folgen, und er schritt schnell durch die Felder auf den Landweg. Wortlos führte er uns nach der Stadt und durch die Straßen, zwei Meilen weit. Ich trottete mit verbissener Gleichgültigkeit hinterdrein, suchte aber dann und wann den Bruder auszuquetschen. Keine Antwort! Am äußersten Ende stand Papa still, richtete einige unverständliche Fragen an uns und ging auf ein ummauertes, düsteres Gebäude zu. Wir ihm nach, einen langen Gang hinab. Er läutete an einer Art Kerkerpforte. Ein Diener ließ uns in einen Hof, dann durch eine dunkle Halle in ein kleines Empfangszimmer. Die Tür schloss sich, wir waren allein. Nach endlosen zehn Minuten trat ein geschniegeltes Männchen ein, bebrillt, gepudert, Kopf hoch, enge Halsbinde, breite silberne Schuhschnallen. Das Zopfige, Itüpflige um ihn musste einen Knaben anfrösteln. Ein schneller Blick aus dem Falkenauge, zuerst auf Vater, dann auf uns, – er war im Bilde. Unter wiederholten Bücklingen bat er den alten Herrn, Platz zu nehmen, und hieß uns ein Gleiches. Ungeduld, Hast lag in allem, was er sprach, zeigte, dass er lieber handelte als redete.

„Sie sind wohl Herr Sayers?“, fragte Vater.

„Zu dienen.“

„Ist noch Platz in Ihrer Anstalt?“

„Zu dienen.“

„Schön. Wollen Sie die Erziehung dieser Flegel übernehmen? Ich kann nichts mit ihnen anfangen. Der Nichtsnutz (er deutete auf mich) stiftet in meinem Hause mehr Unheil als Ihre sechzig Jungen zusammen.“

Der Schulmeister schob die Sehmaschine auf die Nasenspitze, schielte drüber weg und musterte mich von Kopf zu Fuß; dabei krampfte er die Hand zusammen, als ob sie in Gedanken bereits die Rute packe, und nickte wie: „Dich krieg ich schon!“ Meine feierliche Einführung ging weiter:

„Er ist wild, unverbesserlich! Kommt an den Galgen, wenn Sie nicht seinen Teufel rausfuchteln. Ich hab ihn heut morgen über einer Gemeinheit ertappt, für die er den Strang verdient. Mein Älterer ist von ihm verleitet worden; von Haus aus ist er anständiger veranlagt.“

Er traf die notwendigsten Abmachungen, verneigte und entfernte sich, ohne uns zu beachten.

Welch empörende Verhöhnung meiner Gefühle! Aus dem Elternhause ohne Andeutung oder Vorbereitung gerissen, als ein Geächteter mit bitteren Worten einem Fremden ausgeliefert: so fand ich mich nach einer Minute auf einem winzigen Platz, der zum Spielen bestimmt war, aber mit seinen hohen, festen Wänden eher einem Gefängnishof glich. Dreißig, vierzig Zöglinge zwischen fünf und fünfzehn Jahren ständerten um uns herum, machten Glossen, fragten. Hätte mich doch die Erde verschlungen und meine Herzensqualen begraben! Rückblickend, wiederhole ich's aus voller Seele. Wäre mir meine Zukunft im Traum erschienen, – ich hätte, ein Knabe, mein Gehirn an der Wand verspritzt, woran ich in trübem Schweigen lehnte. Wie mein Bruder veranlagt war, trug er sein Schicksal verhältnismäßig gefasst; doch die roten Flecke auf seinen Wangen, die schweren Augenlider, die gepresste Stimme zeigten, dass unsre Stimmung zusammenklang, wenn sie sich auch in der Heftigkeit unterschied.

So unglücklich ich während meiner Schulzeit war, – der erste Tag war der bitterste. Beim Abendessen würgte es mich so, dass ich mein Hundefutter, in kümmerliche Bisschen geteilt, nicht herunter bekam; ich fühlte mich erst erleichtert, als ich auf meiner Bettelmatratze, kaum dass die Nachtlichter erloschen und die übermüdeten Jungen herum ihr Schnarchkonzert begannen, meine gepresste Brust in Tränen verströmen konnte. Ich schluchzte laut. Sowie sich einer rührte, hielt ich den Atem an, bis ich mich wieder sicher fühlte. So stöhnte ich unbelauscht weiter, bis die Nacht vorgeschritten war, mein Kissen in Tränen schwamm und ich erschöpft entschlummerte. Unerquickt wurde ich um sieben wachgerüttelt und stieg ins Schulzimmer hinab.

In der Fron unumschränkter Herren sind Knaben grausam, freuen sich der Grausamkeit. Alles Üble in ihnen wird wachgerufen, alles Gute zurückgedrängt. Sie erinnern sich an das, was sie erdulden mussten, als sie schutzlose Sklaven waren: an die groben Streiche, die ihnen gespielt wurden, an die Verhöhnung ihrer Einfalt, daran, dass sie von den Schlauen beklaut, von den Starken gebimst wurden. Keinen Neuling lassen sie ungeschoren. Knaben lernen in der Schule in Rohheit, Verschlagenheit, Selbstsucht aus; der ist ihr Opfer, ihr Narr, der nur eine Spur von Güte zeigt.

Der Vorsteher trat ein: Erzieher der „alten“ Schule. Blind glaubte er an seine Wünschelrute, die er in ständiger Übung hielt und in allen Zweifelsfällen anwandte. Seine Schule glich mehr einem Zuchthause als einer höheren Bildungsanstalt. Wenn ich an den Befehl meines Vaters dachte, nicht die Knute zu schonen, wurde mir weh ums Herz.

Meine Schulzeit war ein einziger Kreuzweg; ich gleite daher möglichst schnell drüber weg. Ich wurde selten mehr als einmal täglich mit der Rute, mehr als einmal stündlich mit dem Stock abgeprügelt. Gewohnheit stumpfte mich ab. Der Schulherr sah mich als den verstocktesten, gewalttätigsten, bockigsten Bösewicht an, der ihm je unter die Hände geraten war. Jede mögliche Strafe wurde über mich verhängt, aber ganz wirkungslos. Nie kam's ihm bei, es mit Güte zu versuchen, – wahrscheinlich hatte er nie von so was gehört.

Schnell wurde ich abgebrüht gegen Scham und Furcht. Jede freundliche, zarte Regung meiner von Haus aus zutunlichen Natur schien durch das viehische Wesen meines Zuchtmeisters unterdrückt. Ich wurde tückisch, rachsüchtig, hartmäulig. Während sich die Kameraden immer wieder vergeblich abmühten, der Schmach der Züchtigung zu entgehen, fing ich an, meinen Groll an ihnen auszulassen. Bald verschaffte ich mir durch ihre Einschüchterung eine Achtung, die ich durch Bücherhocken nicht erlangen konnte. So lernte ich zuerst das muss, mich nur auf mich zu verlassen. Mein Geist sammelte Kraft, allen entgegengesetzten Bemühungen zuwider, wie eine junge Föhre, die in einem Felsspalt aufsprießt.

Der Titanensturz. – Ein Gewaltschritt und eine Prüfung.

Meine Körperkraft wuchs. Ich wurde außerhalb der Anstalt Führer bei allen Wettkämpfen und schlimmen Streichen. Freilich saß ich noch immer in der untersten Klasse. Ich war entschlossen, nicht zu lernen, der Strafe zu trotzen. Überhaupt hat sich nicht einer der Jungen nützliche Kenntnisse dort erworben. Als ich meiner Überlegenheit über sie sicher war, spannte ich alle Gedanken auf die Möglichkeit, mich an dem Leiter zu rächen. Zuerst versuchte ich's mit dem Unterlehrer. Ich bildete mir aus meinen verwegensten Anhängern eine Gefolgschaft und ersann einen Plan, ihn auszuzahlen. Was auch geschah. Einmal wöchentlich unternahmen wir zur Erholung lange Wanderungen aufs Land. Bei einer solchen setzte sich der Pauker hin, um zu rasten. Die Nichtverschworenen suchten eifrig nach Nüssen. Meine Bande lungerte in der Nähe herum und machte Stöcke zurecht. Plötzlich fiel ich mit drei der Stärksten über unsern Feind her. Ich packte ihn an der schmutzigen Halsbinde und drehte sie immer mehr zu, die andern fassten ihn an Armen und Beinen und warfen ihn rücklings nieder. Ein Hallo rief weitere sechs, sieben herbei. Mehrmals hätte er uns beinah abgewimmelt. Aber ich ließ nicht locker, und wenn er sich nach langem Ringen von einem befreit hatte, trat ein anderer ein. Endlich war er restlos überwältigt und bat, mühsam japsend, Gnade walten zu lassen, ihn nicht zu erdrosseln. Ich drückte umso fester, bis ihm der Schweiß von der Stirn rann wie der Regen von der Stalltraufe. Dann gaben wir ihm einen Denkzettel mit der Peitsche, den er kaum vergessen haben wird.

Als wir zurück waren, begann dem Vorsteher (er war zugleich Pfarrer) zu dämmern, wessen ich und die andern fähig waren. Die Schilderung des Hilfslehrers ließ ihn besorgen, dass wir die Heiligkeit seines Berufs, sein Priesterkleid nur deswegen geachtet hätten, weil wir Widerstand für aussichtslos ansahen: nun wir einmal die Süße des Siegs gekostet hätten, könnten wir so frech sein, seinen Befehlen schlankweg den Gehorsam zu weigern; dass mein Einfluss und Vorbild andere ermutigen, sein Ansehen täglich an Boden verlieren müsse. Die Notwendigkeit leuchtete ihm ein, schärfer vorzugehen und an mir ein Beispiel aufzustellen, bevor ich vielleicht auch gegen ihn einen Anschlag versuchte oder gar ausführte. Seine Vorsicht kam zu spät. Er stand drei Stufen über mir auf einer Plattform und rief mich vor. Knaben werden störrisch wie junge Pferde, sobald sie ihre Kraft kennen. Ich nahm nicht wie früher Stellung, das Haupt vor seinen Zornesblicken gesenkt, sondern blieb aufrecht, selbstbewusst, schaute ihm furchtlos ins Gesicht. Er klagte mich an – ich rechtfertigte mich – er wurde wütend – das Blut stieg mir zu Kopf – er boxte auf mich ein – ich packte ihn mit einem schnellen Ruck an den Beinen, und er schlug schwer auf den Hinterschädel. Der Hilfslehrer, der Schreibmeister, andere eilten zu Hilfe; die Rangen saßen schweigend, frohlockend und harrten gespannt auf den Ausgang. Ich dachte nicht daran, mich von dem Unterlehrer greifen zu lassen, der zwischen dem Bammel vor uns und der Pflicht gegen den Brotgeber schwankte, stürzte in den Garten und genoss den Siegesrausch. Nichts, nichts sollte mich zu längerem Bleiben zwingen! Nur die Angst vor der unerbittlichen Strenge des Vaters hatte mich festgehalten. Zwei Jahre hatte ich Drangsale erduldet, die wenige ertragen hätten. Jetzt war Schluss! Ich war verzweifelt, ohne Hoffnung, aber auch ohne Furcht.

Durch einen Diener wurde mir befohlen, mich ins Haus zurückzuverfügen. Zögernd folgte ich. Ich wurde allein in ein Schlafgelass gesperrt. Zum Nachtessen gab man mir Brot und Wasser: gewiss ein dürftiger Imbiss und doch nicht viel schlechter als der übliche Fraß. Ich bekam nur den Aufwärter zu Gesicht. Am nächsten Tage dieselbe Einsamkeit, die gleiche karge Kost. Abends wurde mir ein Kerzenstumpf gelassen, mir ins Bett zu leuchten. Ich weiß nicht, was mich trieb, – vermutlich die Hoffnung auf Befreiung, nicht Rache – ich zündete die Vorhänge an. Das Bett loderte in hellen Flammen, Rauchwolken blakten auf. Ohne an Flucht zu denken, sah ich dem um sich greifenden Feuer mit bubenhaftem Genuss zu. Wandverkleidung, Holzwerk fing an zu schwelen, Lohe knatterte die Wände hinauf, während ich vor Qualm kaum atmen konnte. Da kam der Diener nach dem Licht. Als die Tür aufging, blähte der Luftzug die Flamme. Ich rief: „Sieh her, Georg, ich hab mir selbst 'n Feuerchen gemacht; ihr sagtet ja, ich brauchte keins, und es war so kalt!“ Das Geschrei des Mannes brachte das Haus in Aufruhr. Der Brand hatte nur wenig Nahrung in dem verfluchten Winkel und war bald gelöscht. Man steckte mich in ein andres Loch, wo mich jemand die ganze Nacht bewachte. Ich frohlockte über den Schrecken, den ich ihnen eingejagt hatte. Sie hießen es Brandstiftung, Verrat, Tempelschändung. Die Beschuldigungen beeindruckten mich einigermaßen, weil ich den Sinn nicht verstand. Meinen verehrten Meister bekam ich nicht zu sehen, – vielleicht hatte er noch Kopfweh. Ebenso wenig durfte ich aber auch einen Kameraden sprechen, – das schmerzte mich; nicht einmal meinen Bruder, um ihn nicht zu verseuchen.

Morgens wurde ich unter Bedeckung heimbefördert. Mein Vater war glücklicherweise fort. Eine unerwartete dicke Erbschaft war ihm zugefallen. Er kam zurück und, war er durch sein Glück besänftigt, geschah's aus Berechnung: Nie sprach er mit mir einen Ton über das Geschehene. Zu Mutter aber äußerte er: „Anscheinend hast du Einfluss auf deinen Sprössling. Ich überlass ihn dir. Kannst du ihn zur Vernunft bringen, – gut; wo nicht, so mag er sich ein andres Zuhause suchen.“ Ich war damals ungefähr elf Jahre.

Eine Probe von den Fortschritten, die ich in jener Prügelanstalt gemacht hatte: Vater sprach einmal nach dem Mittag mit Mutter über die Riesenkosten des Unterrichts und ließ durchblicken, dass eine Dorfschule, zu der er beisteuern musste, es auch getan hätte. Dann nahm er mich vor: „Komm, Herrchen, lass sehn, was du gelernt hast!“

„Gelernt?“ druckste ich; mir schwante Unheil.

„So antwortest du mir? Sprich nach, Dummkopf: „Wie beliebt Papa?“

„Hältst du mich für einen Schuhputzer?“ Dabei wurde seine Stimme so laut, dass ihr Donner das wenige, was mir der Schulmeister mit unglaublicher Mühe eingebleut hatte, aus dem Kopf trieb. „Was hast du gelernt, Lümmel? Was weißt du?“

„Nicht viel, Papa.“

„Was weißt du im Lateinischen?“

„Lateinisch? Ich versteh kein Latein.“

„Kein Latein, du Trottel? Und ich dachte, sie paukten nur Latein!“

„Doch, Papa, rechnen.“

„Gut, wie weit bist du in der Arithmetik gekommen?“

„Davon weiß ich nichts, Papa. Rechnen lernten sie mir und schreiben.“

Vater blickte ernst drein. „Verstehst du die Regeldetri?“

„Regeldetri, Papa?“

„Kannst du subtrahieren? Antworte, Schafskopf! Wie viel bleibt übrig, wenn man fünf von fünfzehn abzieht?“

„5 und 15 geben“ – ich zählte an den Fingern, aber vergaß den Daumen – „geben – geben – 19, Papa.“

„Wie, du unverbesserlicher Narr? Kannst du denn das Einmaleins aufsagen?“

„Was für ein Einmaleins, Papa?“

Da wandte er sich zu Mutter: „Dein Sohn ist offenbar ein Tropf; vielleicht weiß er nicht mal seinen Namen. Schreib deinen Namen, Dämlack!“

„Schreiben, Papa? Ich kann nicht mit dieser Feder schreiben, Papa, das ist nicht meine Feder.“

„Dann buchstabier deinen Namen!“

„Buchstabieren, Papa?“ Ich war so baff, dass ich die Selbstlaute falsch setzte. Er stand wütend auf, warf den Tisch um und prellte sich das Schienenbein bei dem Versuch, mir einen Tritt zu geben. Ich wich aus und flitzte aus dem Zimmer.

Versicherungsmathematik als Steckenpferd. – Die verschwundene Pastete. – Blaubarts Schreckenskammer.

Vater wurde immer wohlhäbiger, lebte aber nicht auf größerem Fuß, sondern stellte womöglich seine Wirtschaftsführung noch knapper ein. Er hatte einen höheren Genuss darin gefunden, Reichtümer anzuhäufen, als gesellschaftliche Veranstaltungen mitzumachen. Erfinderisch war er nur im Bau von Luftschlössern; aber seine Planungen waren kerniger als die gewöhnlichen Gehirnblähungen der Wachträumer. Nicht das Blendwerk zauberhaften Märchenglücks fand eine Stätte in seinem Herzen: nur Barren, Geld, Ländereien, Häuser, Pachtungen waren seine Gedankenspiele.

Er wurde ein gewaltiger Rechenkünstler dank einer Zahlentafel, die er ständig bei sich trug. Den Geldwert all seiner Verwandten und derer seiner Frau knobelte er nach Alter und Gesundheitszustand bis auf einen Bruchteil aus. Um die Bargeltung ihres Lebens zu veranschlagen, zog er sogar die Sterbeliste einer Versicherungsgesellschaft bei. Außerdem setzte er alle Möglichkeiten angeerbter oder sonstiger Leiden ein, vergaß freilich stets die eigne Gicht. Demgemäß beschloss er, sich mit seinen reichen Verwandten aufs beste zu stellen und sich die Armen drei Schritt vom Leibe zu halten. Da er selber nichts zu borgen brauchte, stieg seine Abneigung dagegen bis zum Widerwillen. Alle Unterhaltungen mit solchen, die er im Verdacht der Bedürftigkeit hatte, waren gespickt mit Weisheitssprüchen vorsichtiger, knausriger Leute. Misstrauen, Abscheu, wie er sie bei den leisesten Anspielungen auf Darlehen ohne Sicherheit und Zinsen äußerte, schreckten die Unverschämtesten, Verwegensten ab; lieber blieben sie in ihrer Klemme, bettelten, raubten, verhungerten, als dass sie sich an ihn wandten. Bevor er reich wurde, war er hierin weniger hart gewesen.

Nie setzten wir uns zu Tisch, ohne dass eine Vorlesung über Sparsamkeit stattfand. Natürlich wurde ich, eingezwängt von allen Seiten, schon aus Widerborstigkeit unbildsam, freigebig, großzügig. Ich wurde recht eigentlich angestachelt, seine Knickrigkeit gegen mich und andere zu überlisten. Ich wurde über mehreren Vergehen ertappt, die wenig Achtung vor fremdem Eigentum bekundeten: der gewöhnliche Fehler derer, die keins haben. Die Fressalien schmolzen auf der Anrichte, in der Speisekammer zusammen; Wein, Süßigkeiten, Obst, die mich als verpönt besonders reizten, verkrümelten sich wunderbar. Aber endlich überführte man mich einer Sünde, die so abgründig, beispiellos erschien, dass sie niemals vergeben noch vergessen wurde. Vater verfluchte sein Los, einen so entarteten Sohn zu haben; damit ich nicht andere mit meinem Beispiele anstecke und ihn nachgerade an den Bettelstab bringe, beschloss er spornstreichs, sich meiner zu entledigen.

Worin meine Schuld bestand? Ich hatte eine ganze Taubenpastete, die Schüssel einbegriffen, aus dem Tempelschrein geholt und einem Bettelweib geschenkt. Vielleicht wäre der Frevel nie entdeckt worden, hätte sich nicht die übergewissenhafte Altsche mit der leeren Platte wieder eingefunden. Ich war außer mir über ihre Ehrlichkeit und konnte hinfort die alten Weiber nicht verknusen. Das arme Geschöpf wurde vorgeladen. Vater drohte mit Fußblöcken, mit dem Zuchthaus, mit einer Anklage wegen peinlichen Verbrechens, mit Strafverschickung. Sie verpetzte mich nicht. Er hätte ihr auch kaum die Wahrheit entlockt, wäre ich nicht vorgetreten, um alles zu gestehen. Nie werde ich seinen Grimm vergessen. Er schalt mich einen ausgekochten Dieb und ließ einen Teil seiner Raserei in Fausthieben und Fußtritten aus. Ich stellte mich fest hin wie einst gegen meinen Lehrer: Ich hatte dulden gelernt, meine Haut war hürnen von Schlägen geworden. Ich weinte nicht, noch bat ich um Gnade. Als Hände und Füße müde waren, herrschte er: „Aus meinen Augen, Lump!“ Ich rührte kein Glied, sondern starrte ihn finster, furchtlos an.

In meinem Wesen hat beileibe nicht etwas besonders Verruchtes gelegen, was diese Überstrenge gerechtfertigt hätte; meine Geschwister standen unter der nämlichen eisernen Zuchtrute. Einziger Unterschied war, dass ich mich nicht davon beherrschen ließ; deshalb ging's mit mir nicht. Hier nur ein Beispiel seiner grausamen Härte, das sich mehrere Jahre später in London zutrug: Er behielt sich in seinem Hause ein Gemach für allerlei vor, das er besonders schätzte: Eingemachtes aus dem Ausland, feine Weine, andre herzstärkende Sachen. Dies Allerheiligste lag im Erdgeschoss unter einem Oberlichtfenster. Einmal vertrieben sich die Nachbarn die Zeit mit Ballspielen. Ein Ball blieb an dem Bleidach des geweihten Raumes hängen. Zwei meiner Schwestern, die eine vierzehn, die andre sechzehn, beide jedoch dem Aussehen nach eher Frauen, rannten von dem Hinterfenster des Wohnzimmers weg, nach dem Ausreißer zu suchen. Die jüngere glitt auf dem Blei aus und stürzte durch die Luke auf die Flaschen und Kruken unten auf dem Tisch. Sie wurde schrecklich zugerichtet: Hände, Beine, Gesicht zerschnitten, so dass sie immer noch die Narben trägt. Die ältere schlug Lärm. Mutter wurde gerufen. Sie eilte nach der Tür. Das Kind schrie ihr zu, sie möge um Gotteswillen öffnen: Sie verblute sich.

Sie jammerte weiter, während Mutter sich mühte, sie zu trösten. Das Schloss aufzubrechen, wagte sie freilich nicht. Vater hatte ja wie Ritter Blaubart streng verboten, seine Geheimkammer zu betreten; was schlimmer war: Er hatte den Schlüssel! Andre wurden versucht, – keiner passte. Wäre ich dabei gewesen, ich hätte mit dem Fuß gedietricht! Ist es zu glauben, dass meine Schwester in dieser verzweifelten Lage die Heimkehr des Vaters aus dem Unterhause abwarten musste, dessen Mitglied er war? Was für ein ehrfurchtgebietender Gesetzgeber! Als er endlich da war, unterrichtete ihn Mutter und suchte das Gewitter zu beschwören, das auf seiner Stirn heraufzog. Er beachtete sie nicht, sondern schritt dem Tatort zu, wo die arme Sünderin, eingeschüchtert durch sein Donnern, ihr Schluchzen unterdrückte. Er sperrte auf, fand sie bibbernd, weinend, kaum fähig zu stehen. Wortlos prügelte er sie hinaus und goss verdrießlich die Neigen aus den zerbrochenen Flaschen um.

Nachschusslorbeeren. – Friedliche Kaperung einer siegreichen Flotte.

Es ging die Rede, mich nach Oxford zu schicken. Hier hatte ein Onkel Pfründen zu vergeben, die Vater nur mit Schmerz in fremden Händen hätte sehen können. Man fragte mich. Die Entschiedenheit, womit ich den geistlichen Stand ablehnte, ließ keine Hoffnung, mich je durch Eigensucht zu ködern.

Bald darauf wurde ich nach Portsmouth auf ein Linienschiff, die Superb, geschafft, um in Nelsons Geschwader zu kommen. Kapitän Keates befehligte sie. Wir segelten nach Plymouth, Admiral Duckworth an Bord zu nehmen. Der hisste seine Flagge und hielt das Schiff drei Tage zurück, um Cornwallische Hammel und Kartoffeln zu fassen. Durch diesen Verzug stießen wir leider erst zwei Tage nach dem unsterblichen Siege Nelsons bei Trafalgar zu seiner Flotte.

So jung ich war, – nie werde ich die Begegnung mit dem von Trafalgar her laufenden Schoner Pickle vergessen, der die ersten Nachrichten von der Schlacht und dem Tode des Helden brachte. Wir hatten ihn viele Stunden außerhalb unsers Kompassstrichs gejagt. Wäre unser Schiff nicht so schnell, der Wind so frisch gewesen, wir hätten ihn nicht zum Beidrehen veranlasst. Sein Befehlshaber, der darauf brannte, als Erster die Kunde nach England zu bringen, musste beilegen und sich rüberbemühen. Kapitän Keates empfing ihn an Deck. Als er die Botschaft vernahm, befand ich mich in seiner Nähe. Das Schiff schwieg: Man ahnte ein großes Geschehnis. Die Offiziere standen in Gruppen umher und beobachteten unruhig die zwei Befehlshaber, die beiseitetraten. „Schlacht – Nelson – Schiffe“, das waren die einzigen vernehmbaren Wörter. Ich sah, wie Keates das Blut ins Gesicht stieg; er stampfte auf, ging eilig hin und her und sprach in heftiger Erregung. Ich staunte, hatte ich ihn doch nie so außer sich gesehen. Bei jeder Gelegenheit war er mir fest, kalt, gesammelt vorgekommen, und es schlug mir in die Seele, dass ein schreckliches Ereignis stattgefunden habe oder bevorstehe.

Der Admiral war noch immer in der Kajüte, hungrig auf Nachrichten von Nelsons Flotte. In seiner Reizbarkeit war er empört, dass der Schoner seinem Signal nur zwangsweise gehorcht hatte. Wutentbrannt sandte er nach einigen Minuten einen Befehl an Keates. Der hatte ihn vielleicht überhört. Er schwankte noch immer auf Deck auf und ab, zu Tode betrübt über die Meldung, und vergaß so zum ersten Male die Achtung gegen den Vorgesetzten. Anscheinend fluchte er auch über sein Geschick, durch das Zögern des Admirals um sein Teil an der ruhmvollsten Schlacht der Seegeschichte gekommen zu sein. Ein zweiter Bote drängte. Nun musste er sofort zum Admiral hinunter, der vor Ungeduld raste.

Beim Eintritt sagte Keates, dem ich folgte, so leise, als wollte es ihn ersticken: „Eine große Schlacht hat vor zwei Tagen auf der Höhe von Trafalgar stattgefunden. Die vereinigten Flotten von Frankreich und Spanien sind vernichtet, Nelson ist nicht mehr!“ Dann brummte er: „Hätt' man uns nicht hingehalten, wir wären auch dabei gewesen! Der Kapitän des Schoners bittet Sie, Herrn Admiral, ihn nicht länger zu versäumen und seine Hoffnungen nicht ebenso zu zerstören wie die unsrigen.“

Duckworth, dem das Gewissen pochte, antwortete nicht, sondern stahl sich an Deck. Er schien nach wie vor dem Blick seines Kapitäns auszuweichen und wandte sich an den Befehlshaber des Schoners, der in grämlicher Kürze mit Ja, Nein antwortete. Dann beurlaubte er ihn, hieß alle Segel setzen und pendelte allein auf dem Achterdeck umher. Totenstille lastete über dem Schiff, ab und zu unterbrochen durch das Getuschel der Mannschaft und der Offiziere; wieder ließ sich nur „Schlacht“ und „Nelson“ unterscheiden. Kummer, Missmut malte sich auf jedem Antlitz. Ich teilte die Gefühle, ohne den Zusammenhang klar zu erkennen.

Morgens stießen wir auf einen Teil der siegreichen Flotte. Es wehte eine steife Brise, die Schiffe lagen wie Wracks auf der See. Der Admiral setzte sich mit ihnen in Verbindung, fuhr zu Collingwood hinüber und erhielt sechs Linienschiffe, um den flüchtigen Teil der feindlichen Flotte zu verfolgen. Ich gelangte nun auf das Schiff, für das ich bestimmt war. Das Elend eines Verbandplatzes an Bord übergehe ich. Immerhin fand ich das Leben erträglicher als in der Schule, weniger schlimm als im Elternhause, zudem wurde ich auf das freundlichste behandelt und gewann Gefallen am Beruf. Wir kehrten nach Portsmouth zurück. Der Kapitän schrieb an Vater, was er mit mir anfangen solle, die Mannschaft werde alsbald abgeheuert. Der äußerte den festen Willen, mich nicht daheim zu sehen, und wies an, mich unverzüglich in die Schiffsschule Dr. Burneys zu schicken. Ich erschrak des Todes. Die Lehranstalten glaubte ich hinter mir zu haben; in der Annahme, sie seien jede wie die frühere, machte ich mir im Voraus ein Bild von den Plackereien, die meiner harrten. –

Eine beschwerliche Fahrt lag hinter uns. Wir waren zusammen fünf, sechs Linienschiffe, ganz oder teilweise entmastet, das unsrige überdies durch die Feinde kahlgefegt, will sagen: Im Oberdeck fast ganz zerstört; unsere Heimreise verlief daher recht unbequem. Das schmucke Schiff, dessen leichte Segel noch vor wenig Tagen fast in den Wolken geflattert hatten, als es, mit dem Namen „Unüberwindlicher“ dem gegnerischen Flottenverband zu Leibe ging, – jetzt war es, obwohl sich sein zerfetztes Banner noch immer siegreich blähte, zerschossen, mit Notmasten versehen, zerspellt: ein Rumpf, der sich mühsam durch die See arbeitete, Wellen, Winden preisgegeben. Mit unsäglicher Anstrengung und Gefahr schleppten wir uns unter dem jauchzenden Hurra der folgenden Schiffe in das sichere Spithead fort.

Welcher Freudenauftritt spielte sich aber jetzt ab! Vom Bord bis zum Lande hätte man über eine Brücke von Booten schreiten können, die um die Wette längsseit kommen wollten. Die einen, atemlos vor banger Erwartung, forschten gierig nach dem Schicksal ihrer Brüder, Söhne, Väter; fröhlich umarmte man sich und drückte sich die Hände. Die anderen drehten bleich, verzweifelt, gebrochenen Herzens um. Es nahte der jüdische Blutsauger, schnalzend vor Entzücken über den Wucherzins, den er jetzt aus den vorausgekauften Prisengeldern ziehen würde; mit raffiger Klaue bot er sein Gold und heischte schwindelhafte Pfänder für seinen Zaster. Mächtige Marketenderboote nestelten sich uns an, voll frischer Lebensmittel, dazu ein Kreis von Kähnen, die von Matrosenweibern, Kindern, Seemannsliebchen wimmelten. Die letzten strudelten so massenhaft herbei, dass von den achttausend, die angeblich damals Portsmouth und Gosport bevölkerten, wohl keine acht daheimblieben. In kurzem schienen sie fertiggebracht zu haben, was die verbündete Streitmacht der Feinde nur großmäulig angedroht hatte: das ganze Geschwader von Trafalgar gekapert! Am nächsten Tag hoben die geschminkten Dämchen beim Abtakeln des Schiffs die drei ersten Zweiunddreißigpfünder heraus; kaum weniger als drei-, vierhundert bedienten die Winde. Unser schwerverwundeter Kapitän landete und übergab mich nebst zwei anderen Gelbschnäbeln der Obhut eines Obermaats, der bald darauf mit uns nach Gosport übersetzte. Er sollte uns zu Dr. Burney geleiten.

Der erste Schwips in der „Krone und Anker“.

Als Papa Noah und seine gemischte Gesellschaft den Fuß auf festen Boden setzten, konnten sie nicht aufgekratzter sein als wir. Das Gesicht des Obermaats, das durch die lange Gewohnheit des Gehorchens und Befehlens eine bärbeißige Würde angenommen hatte, entspannte sich und wurde so lustig wie das eines Hanswursts. Er guckte sich um, als hätte er unbeschränkten Besitz von der Insel ergriffen, und es war ihm gleichbedeutend mit Hochverrat, Gotteslästerung, wenn einer seiner Untertanen sauertöpfisch dreinschaute. Daher wandte er sich unmittelbar an mich: „Holla, Jung, was gibt's? Siehst ja so hängmäulig aus, als wenn Sonntag wär und Betglock läutete. Hältst mich doch nicht für den faulen ehrpussligen Pfaffen an Bord. Oder doch?“

Er hatte es ziemlich getroffen: Die verdeixelte Schule war mir sauer aufgestoßen, und mir bangte, dass er uns wirklich hinbringen würde. Doch ich blieb still, und er fuhr fort: „Dass de nie an Land oder an Ankerplätzen zur Kirche gehst! Auf See kann man manchmal nich umhin, ja. Außerdem hat man da einigen Grund zum Beten: schön Wetter, Prisengeld, ja. An Land brauchste um nischt zu beten. Los, Jungs, scharf ausgelugt nach „Kron und Anker“! Das Haus müsst irgendwo in diesen Breiten liegen, ja, wenn's nich andernwärts festgemacht hat.“

„Eine Galgenfrist!“, dachte ich. „Er hat die Schule verschwitzt, und wir nehmen Kurs auf das Wirtshaus.“ Ich griff aus wie ein ungezähmtes Füllen, als ich die schimmernde Krone über der Kneipentür sichtete. Ich zeigte drauf, und er wollte uns eben einschleppen, als er plötzlich stoppte und sich die Stirn rieb: „Halt mal, Jungs! Wie war'n das? Hat mir der Käpten nich befohlen, euch Kerlchen zu – zu – zu schaffen? Der Teufel weiß, wohin. Zum Kuckuck, Jungs, wohin sollt ihr gehn?“

„Gehn?“, echoten wir.

„Nu ja – bin angewiesen, euch irgendwohin zu führen. Verdammt sonderbar, dass ihr's nich wisst. Ich kann mich nich entsinnen. O doch, ich hab's! Zum Dokter – mag er heißen, wie er will – in Gosport. Ja, ja, hab von dem Kerl gehört. Erinnre mich, dass se mich mal hinschicken wollten, – war aber zu schlau für sie – hatte'n zu guten Blick! Order pariern muss ich – hm! –; doch jetz bin ich frei – nich unterm Wimpel –, kann tun, was mir geliebt, ja. Na Jungs, was meint ihr? Wollt ihr zur Schule? Oder – kommt – ihr schaut euch ja um, wie ob ihr auskneifen wollt. (Stimmte auch!) Nun, wir können das beim Glas Grog besprechen. Zeit schockweis, drei Tag Urlaub, ja. Hauptsach, dass ich eure Namen in des Dokters Büchern seh, eh ich mich an Bord meld, ja. Nu aber nach vorn überholt!“

Als uns der Kellner geschäftig, der Befehle gewärtig, ins Zimmer wies, fragte uns der Kommodore nach unsern Wünschen. Darauf wandte er sich an den Aufwärter, der das Feuer schürte: „Puh, was für Staub rührste auf! Wenn de nich Grog auffährst, um unsern Brand zu löschen, so will ich sehn, ob dir 'n Tritt achter nich Beine macht, ja. – Festgehalten! (Er hielt ihn an.) Kommt, Jungs, merkt ihr nich, dass der Landwind in euer Unterdeck weht? Is es sieben?“

Aufwärter: „Nein, euer Gnaden, erst zehn.“

„Na, schnuppe! Was zu futtern her!“

„Was beliebt, euer Gnaden? Es is prima Rindskeule und Schinken im Haus.“

„Nein, nein, – damit wir Skorbut kriegen, Faulpelz!“

„Vielleicht 'n Kotlett, euer Gnaden, – Beefsteak?“

„Ja, ja, das eher! Auf, warum rührste deine Knochen nich, Landratte? Festgehalten! Könnt ihr nich 'n paar Hühner rösten?“

„Ja, euer Gnaden, 'n feines Hühnchen is in der Speisekammer.“

„Schade für euer Hühnchen! Röstet 'n Korb voll Hühner, sag ich, aber dalli! Und sperrt die Ohren auf, ja: wenn se nich in fünf Minuten hier sind, so sagt der Mutter, oder wie nennt er se? der Wirtin, dass ich komm und se braten wer, ja. Nu, warum hauste nich ab? Festgehalten! Alle Teufel, wo is der Grog? Vor 'ner Stunde schon abgerufen!“

Er warf seinen goldbetressten Dreimaster hin und jagte den Kellner raus. Nach einem üppigen, reichlich befeuchteten Schmaus vergaßen wir Schiffe wie Schule und machten einen Ausfall. Unser Pilot führte uns in eine Menge Buden, in deren jeder er etwas bestellte oder kaufte; wir sollten nur nach Herzenslust wählen, er zahlte. Diese Kerls, bemerkte er, kennten ihn, ja, würden ihn nicht anschmieren wie uns. Er bestand darauf, in die Hinterstübchen der Kaufleute einzudringen, um ihre Frauen und Töchter zu begrüßen und ein Glas Heißen zu nippen.

Während dieses „Kreuzens“, wie er's nannte, lud er alle Backskameraden und jeden, den er von früher her kannte, ein, mit ihm um zwei in der Schenke zu essen. Mit allen Jungen seiner weitschichtigen Freundschaft verabredete er, sie sollten wie brave Töchter heimgehen, ja, die Verdecke schrubben, ihre Kammern aufräumen, sich schön machen, um im Theater zu ihm zu stoßen, ihren Müttern sagen, dass sie ihre Reiseflaschen gehörig füllen – keine leeren drunter – und ihre Kisten reichlich mit Grog beschicken möchten. Darauf begab er sich, er war sehr fürsichtig und zielklar in seinen Anordnungen, ins Theater, um zwei, drei Lauben zu bestellen, und lief wieder die „Krone und Anker“ an, wo er sich über seinen „trocknen Dienst“ beschwerte.

Seine umherstreifenden Gevattern trafen bald ein. Ihre Grüße waren wild, rau, unbeherrscht. Das Mahl wurde aufgetragen, die Speisen verschwanden wie durch Zauberschlag. Die Flaschen flogen umher, die leeren Platten wurden abgeräumt, der Tisch besetzt mit getrockneten Früchten, Weinen aller Art, verschiedenen Karaffen voll Branntwein, Wacholderschnaps, Fruchtsaft, Rum. Unter Hochs, Liedern, ungeistlichen Scherzen verstrich die Zeit, bis unser planmäßig vorgehender Obermaat, der den Vorsitz führte, also anhub:

„Maul gehalten, ihr krummes Gemüse, oder ich bring euch beim Dokter! Verstandibum? Nu, meine wackern Jungs, wie wär's, wenn wer'n bisschen ausführen? 's is Zeit zum Schauspiel, ja, und ihr wisst, in de Kirche und in de Thiater müssen wer nüchtern, aus Achtung vor Priestern und Damßen. Es is nich offiziersmäßig, ja, sich vor Sonnuntergang zu besäuseln. Es is nich schicklich, ja, und ich wer 'n nich dulden. Gut, ich hab nur noch 'ne Gesundheit auszubringen, – dann zieh ich de Abfahrtsflagge auf, ja, und ihr müsst euch unter Segel betrachten. (Hier wurde er durch Geräusch unterbrochen.) Ruhe jetz, ihr Herrn, de Gläser gefüllt! Keine Neigen; denn ich bring jetz 'n feierliches Hoch aus. Schmerzlich muss ich bemerken, ja, dass durch diese bummligen Landratten nur leere Buddels und Reste auf der Back stehn. Dessentwegen befehl ich, ja, dass jeder 'ne leere Pulle am Kragen nimmt und sich bereit hält, ihr 'n Hals zu brechen.“ Der Aufwärter erhob Gegenvorstellungen, bat den Präsidenten, sie zu schonen. „Jungs“, rief er, „Meuterei! Her zu euerm kommandierenden Offizier! Kellner, runter, räum's Achterdeck! Was, de muckst? Hoho, Jungs, eins – zwei – wenn ich sag: drei, denkt dran, ja, dass hier eure Zielscheibe is“, – er zeigte auf den Kellner – „und knickt ihm's Genick!“

Der erschreckte Aufwärter verduftete im entscheidenden Augenblick, und alle leeren Flaschen wurden gegen die Tür gefeuert. Darauf tranken wir auf Nelsons Andenken und trudelten in die Hochstraße. Die Luft kam mir alkoholgeschwängert vor; als ich im Freien war, verspürte ich die ersten Anzeichen von Besäuftheit. Vom Theater weiß ich nur so viel, dass die Zuschauer ausschließlich in Seeleuten und ihrem weiblichen Anhang bestanden. Die große Glocke von St. Paul wäre mit ihrem Bimbam ebenso wenig gehört worden wie die Musik in den Pausen. Um Mitternacht tafelten wir wie mittags und schwirrten wieder los. Nachtwächter, Hafenwärter, rotröckige Soldaten wurden gerempelt, wo wir sie trafen. Der Seebär war durch die unbändige Menge verschiedenster Getränke, die er vereinnahmt hatte, nicht mehr angegriffen als der Spund eines Rumfasses. Es war mein erster Schwips, und ich sah nicht eben klar. Die Häuser schienen zu rollen, zu stampfen wie Schiffe. Auch konnte ich nicht sonderlich sicher gehen; in der breitesten Straße zerstieß ich mir die Schienbeine an den beiderseitigen Bordsteinen. Da ich bei jeder Wendung auf Grund kam, glaubte ich, der Weg habe weder Anfang noch Ende. Aber der Obermaat hielt die Nachzügler zusammen, bis wir zum „Hauptquartier“ kamen. Hier übergab er mich und die beiden andern mit genauen Behandlungsvorschriften einer rotglühenden alten Trulle. Sie erwiderte, sie werde für uns sorgen wie für ihre eignen Kinder. Inzwischen entwandelte er, „um die Küste zu peilen“, versprach wiederzukommen und bestellte ein Bett, eine Wärmpfanne, einen Räucherhering, einen Napf Punsch.

Die sorg-, gehor- und sittsame Wirtin ließ mit übermütterlicher Betulichkeit ein Lager für uns Hosenmätze aufschlagen, braute für jeden ein Glas Starkwasser, bemerkte weise, dass Nachtstunden für junges Blut schädlich seien, und brachte mich zuerst in die Klappe. Sie stülpte mir eine ihrer Hauben auf, knüpfte sie mit einem blauen Band unter dem Kinn fest, zog den Vorhang vor, nannte mich ein süßes Geschöpf, wickelte mich ein, besabberte meine Wange und schied mit den Worten: „Sei nu 'n art'ger Jung, und dass de nich vergisst, vorm Einschlafen zu beten!“

Als es graute, erwachte ich aus unruhigen, beklemmenden Träumen. Hätte ich damals schon den Alp gekannt, ich hätte geglaubt, seine Faust zu spüren. Wie staunte ich, mich auf meiner engen Ruhstatt zu finden! Noch suchte ich mir krampfhaft zu vergegenwärtigen, wie ich hierher gekommen sei, da erschien die Hausmagd, – das Rätsel war gelöst.

Einige Zeit verstrich, ehe das zur Morgenwäsche Nötige herbeigeschafft war. Dann kleidete ich mich an. Von des Obermaats wohlbekannter Stimme geleitet, trat ich kleinlaut, halbnärrisch, seine Vorwürfe fürchtend, ins Zimmer, – ich wusste ja nicht, dass er an allem schuld war.

Er ging sehr methodisch zu Werke, war aber wenigstens im Predigen kein Methodist. (Beider Verfahren mag ja sonst sehr verwandt sein.) Hier saß er mit seiner erhabenen Person wie'n Kaiser oder abessinischer Fürst auf dem Ehrensessel der alten Wirtin und im ausschließlichen Genuss des Feuers. Scherbenhafte Tassen ohne Schalen, ein Teetopf ohne Henkel, ein Stück gesalzene Butter in braunem Papier, Zucker auf einer zerbrochenen Schüssel, geröstete Butterstullen, aufgeweicht, halbgenossen, mit merklichen Bissspuren: all das sielte sich neben Schinkenfett und Wurst.

Diese meine ersten Sünden müssten in meiner letztwilligen Verfügung stehen. Doch wem soll ich sie vermachen? Vater? Dem Käpten? Dem Obermaat? – Aber der schlimmste Feind kann mir nicht vorwerfen, was ich in meinem zwölften Jahre begangen habe ...

Nach rund zwei Tagen lieferte uns unser Führer in der Schule ab und übergab uns Herrn Burney mit einigen salbungsvollen Redensarten. Der Lehrer war über seine bescheidene Weise und Ansprache so entzückt, dass er ihn zu Gaste lud. Er entschuldigte sich mit „Schiffsdienst“ und stakte, schätz' ich, wieder zum „Hauptquartier“. Vorher versetzte er jedem von uns einen kräftigen goldnen Händedruck. Schließlich forderte er uns auf, uns an ihn zu wenden, so oft wir was brauchten; „die alten Kracher“, ja, die dürften freilich nichts von dem Vorgefallenen erfahren. Wir verloren ihn für immer aus dem Auge.

In der Marineschule. – Unterschlagung mit Hühnerjagd. – Wieder zur See.

Von den über hundert Schulkameraden waren viele gleich mir auf See gewesen. Stillschweigende Voraussetzung war, dass ich nur so lange bleiben sollte, bis ich auf ein Schiff berufen würde.

Ein einziger Vorfall, der mit dieser Anstalt zusammenhängt, lebt frisch in meinem Gedächtnis. Kapitän Morris hatte mir ein Schreiben an Vater zur Besorgung anvertraut. Auf dem Wege zur Post begleitete mich ein Mitschüler, ein ungefähr sechzehnjähriger Strick, der zwei Jahre gefahren war. Er verlangte den Brief zu sehen, betastete ihn, spürte was, guckte rein und rief: „Du liebe Tante, 'ne Prise!“ Als er hörte, dass er vom Kapitän komme, erriet er sogleich den Inhalt. „Aha“, rief er, „der Überschuss des Geldes, das dein Oller ihm gegeben hat! Wirst doch nich so dämlich sein, es ihm zu schicken?“

„Doch!“

„Blech! Es gehört dir. Du kannst dir damit verschaffen, was du brauchst.“

Dann höhnte er mich so lange wegen meiner „Ebbe“, bis ich allmählich über die Filzigkeit meines Erzeugers nachsann; so bald würde sich jedenfalls keine zweite derartige Gelegenheit treffen! Er bewies mir, dass ich unbedingt einen Anteil beanspruchen könne: ein Junge müsse eben „Pinke“ im Sack haben! Währenddem erbrach er das Siegel und krähte: „Sieh, es ist offen – durch Zufall, ganz durch Zufall –, hier ist das Geld!“ Ein Blick auf die Einlage wirkte, wie er vorausgesehen hatte, mehr als seine Beredsamkeit. Die Summe war wirklich sehr gering, wenn ich sie auch für unerschöpflich hielt. Dank der freundlichen Hilfe des Genossen war sie schnell vertan. Meine Rate ging für eine Flinte, Pulver und Schrot drauf; der Löwenanteil war sein.

Am Morgen zogen wir auf die Vogeljagd. Mein Begleiter ließ mir die Vorhand. Dann gab ich ihm die Waffe; wir hatten uns nämlich geeinigt, abwechselnd zu feuern. Hierin war ich angeschmiert, weil er darauf bestand, sie zu behalten. Ich forderte ihn auf, mich ranzulassen. Umsonst! Ich bezichtigte ihn des Wortbruchs und murmelte, es sei mein Gewehr. Darauf backte er gegen mich an, und ich war der Affe. So gingen wir weiter, bis uns beide vor Ärger, dass wir nichts zu erlegen bekamen oder – was dasselbe war – nichts erlegen konnten, gegen Mittag Kohldampf anwandelte. Er hieß mich nun für meine letzten Kröten Futterage in einem Bauernhof kaufen. Mir blieb keine Wahl: er mit dem Schießprügel hatte mich in der Gewalt. Dann hieß er mich frech meinen Hut hochwerfen, um danach zu bollern. Zuerst weigerte ich mich. Er schwur aber, er wolle mich den zweiten Schuss tun lassen, ebenfalls nach meinem „Deckel“; wenn ich nicht so viel Schrote reinbrächte wie er, solle ich die Krone verlieren. Na schön! Er drückte ab und gab mir die geladene Knarre. Kaum war sie in meiner Hand, so zielte ich nicht nach meinem Hut, sondern nach dem auf seiner „Birne“, rief: „Hut um Hut!“, und machte krumm. Entsetzt schrie er auf: „Willst du mich killen?“ „Allerdings!“, antwortete ich und ließ noch einmal schnappen. Es war kein Pulver auf der Pfanne. Seine List rettete ihm zum Glück das Leben. Er entwetzte. Ich Pulver aufgeschüttet und haste was kannste nach. Er vierzig bis fünfzig Schritt voraus. Als er über eine Hecke sprang, bremste ich. Päng! Er purzelte, und meine Wut verwandelte sich auf der Stelle in Angst. Er lag auf dem Gesicht und brüllte, er sei getötet. Ich schmiss das Rohr weg und eilte hin. Er war, obwohl nur unbedeutend angekratzt, außer sich vor Schreck, flehte um gut Wetter und erklärte, dass er sterben werde. Eine günstige Fügung hatte die Ladung gerade dorthin gelenkt, wo er die Rute verdiente. Ich versicherte ihm wiederholt, er sei nicht ernstlich verletzt, und überredete ihn endlich, sich heimführen zu lassen. Unterwegs wurde ihm schon weit besser. Seinem Eide zutrotz beschwerte er sich dann bei dem Vorsteher. Der beschlagnahmte das Mordwerkzeug, ohne mich zu hören, und lochte mich ein.

Nach zwei Tagen wurde ich vorgefordert, bekam mein Fett und erfuhr, dass Vater angewiesen habe, mich auf eine grade seeklare Fregatte zu schicken. Morgens ging's an Bord. Nach wenigen Tagen gondelten wir los und kreuzten auf der Höhe von Havre de Grace. Der Kapitän, ein guter Bekannter meiner Familie, war ein ohrenbläserischer Schotte mit rotem Kehlbraten, Sohn eines königlichen Anwalts, und hatte durch Bücklinge und Speichelleckerei die Aufmerksamkeit des Hofes erschlichen. Sein erster Leutnant war von der Insel Guernsey, niederer Herkunft und gemeiner Gesinnung, ein Kujon, der jeden hasste, der besser war als er – das heißt alle. Ich hatte wackere Jungen zu Backsgenossen, und die Zeit verging anfangs recht erträglich. Doch ich sah jetzt ein, dass das Schiffsleben nicht für mich passe. Der Kapitän hatte unumschränkte Gewalt; von seiner Laune hing es ab, Himmel oder Hölle aus seinem Kahn zu machen. Ich fragte nichts nach menschlichen Launen, kroch vor keinem Machthaber; folglich war ich unten durch. Bald fühlte ich mich unzufrieden, sehnte mich nach Freiheit. Tätigen Dienst, Kampf hatte ich auf der Flotte gesucht. Hier war nichts dergleichen, nicht Mal die Aussicht darauf; viele wollten ihr lebelang auf dem Meere gewesen sein, ohne einen Schuss abfeuern zu sehen. Kurz: Mit der Schlacht von Trafalgar schien der Seekrieg aus zu sein, und durch die Leidenschaft des alten Duckworth für die cornwallischen Hammel und Kartoffeln war ich von dem Ehrendienst ausgeschlossen worden, der mich allein hätte halten können.

Nichts ist so knechtig-verächtlich wie die Aufführung jüngerer Offiziere auf einem Kriegsschiff. Man darf den Vorgesetzten nicht mal mit missvergnügter Miene ansehn. Die „Behauptung“ muss immer in der Hand gehalten werden; dazu die Kratzfüße als Zeichen der Unterwürfigkeit gegen alle Höherstehenden! Wen nämlich der Kapitän oder ein Leutnant nicht „riechen“ kann, der ist so in ihrer Gewalt, dass er kaum das Leben erträgt. Man mag recht haben, soviel man will – gleichgültig: Vorgesetzte können wie die Majestät kein Unrecht tun. Widerstand ist zwecklos. Ob für die Manneszucht auf einer Flotte nötig oder nicht: Niemand wird bestreiten, dass es vom Übel ist. Aber jeder Missstand, den man abzustellen sucht, kommt denen zugute, die einflussreicher sind als die Verbesserer.

Züchtigung einer Schreiberseele. – Schottische Gerechtigkeit und Gerissenheit.

Wäre mir die Wahl geblieben, ich hätte jetzt die Flotte verlassen. Trotzdem war mein Zug zum Meere ungeschwächt. Ich fühlte, dass es meiner Natur zuwiderlief, mich einer langen Lehrzeit im Seedienst zu unterwerfen. Ehe ich mein eigner Herr würde, konnten vierzehn Jahre oder mehr verrinnen; das erschien mir damals endlos. Von nun an brütete ich nur über die Möglichkeit, meine Fesseln zu sprengen, selbst das Glück zu suchen wie die Helden der alten Sagen und Geschichten; aber meine Freundlosigkeit, meine Weltfremdheit dünkten mich ein arger Hemmschuh. Immer noch härmte ich mich bei der Erinnerung an Mutter, die ich damals fast vergötterte, an meine Schwestern. Tausend zarte Klänge der Vergangenheit hafteten an meiner Seele. Dabei hielten mich die hartnäckige Verfolgung durch das Schicksal, langes Fernsein, schofle Behandlung, der Gedanke an meinen strengen, unerbittlichen Vater in einer verzweifelten, unseligen Stimmung.

Damals packte mich die Lesewut. Ich nutzte jede Gelegenheit, Bücher zu leihen und zu hamstern, und jeden freien Augenblick, drin zu schmökern. Besonders gern versenkte ich mich in alte Theaterstücke, Seefahrten, Reisen. Käpten Blighs Erzählung von seiner Unternehmung nach den Südinseln und der Meuterei seiner Schiffsmannschaft lernte ich fast auswendig; sie hat mein Leben entscheidend beeinflusst.

Der Schreiber unseres Kapitäns merkte, dass ich eine stattliche Reihe Bände besaß, aber keinen Platz, sie aufzustellen. Da fiel ihm ein, sie würden seiner Kabine hübsch anstehn – reingucken tat er nämlich nie. Er schlug mir vor, sie ihm zur Aufbewahrung zu geben, und bot mir seinen Raum als Lesezimmer an. Freudig willigte ich ein, erschien doch meiner damaligen Einfalt sein Antrag ungemein liebenswürdig. Ein paar Tage kamen wir recht gut miteinander aus. Dann wollte ich mir ein Werk holen. Er war übler Laune und sagte patzig: „Sie können hier lesen, soviel Sie Lust haben; aber ich leide nicht, dass Bücher aus meiner Kammer genommen werden.“

„Gehören sie nicht mir?“

„Jetzt nicht!“

„Wie? Wollen Sie sich meine Bücher aneignen?“

„Ruhe – keine Unverschämtheit!“

„Meine Bücher her! Nun ich Ihre Absicht kenne, will ich sie nicht länger hier lassen!“

Er höhnte, ich möge sie doch anfassen. Ich riss eins vom Brett. Er schlug mich. Ich wieder. Solch ein Schlag war damals so ungefährlich wie der eines Saugfohlens. Mein Widersacher war zwei-, dreiundzwanzig, stämmig gebaut, ich ein hochgeschossener, schmächtiger Bub von vierzehn. Die vermessene Gegenwehr erschreckte den Hasenfuß so, dass er einen Augenblick zauderte. Aber einige Jungoffiziere hatten sich an der Tür aufgestellt und riefen: „Recht so, Kleiner!“ Das stachelte den schmutzigen „Federhalter“. Er packte mich mit den Worten: „Du Rotznase, dich krieg ich schon klein“, und zog mir eins mit dem Lineal über, das auf meinem Kopfe zerschellte. Dann quetschte er mich gegen die Wand und schnickte mordsmäßig auf mich los. Solange ich konnte, hielt ich stand. Die Zuschauer ermutigten mich und riefen Schande über ihn. Es schwindelte mir von den Hieben, Blut strömte aus Mund und Nase. Körperlich unterlag ich, nicht aber geistig. Ich bat nicht um Schonung, sondern trotzte ihm. Als er mich rausfeuern wollte, brachte ich ihn zum Schäumen, indem ich erklärte, dass ich ohne die Bücher nicht gehen würde. So kämpften wir weiter: er, um mich rauszutreiben, – ich, um mich zu behaupten. Auf einmal landete er einen Magenhaken, und ich stürzte reglos hin. Er tobte fort: „Pack dich, Lump, oder ich schlag dich tot!“

Ich fühlte mich am Ende meiner Kraft. Verzweiflung bemächtigte sich meiner und Raserei, von einem feigen Schuft wie ein Hund abgedroschen zu werden, des Elenden hämische, frohlockende Reden zu hören. Doch was blinkte da neben mir? Der Tisch flog um, ein Federmesser bot sich griffbereit dar. Die Aussicht auf Rache pulverte mich wieder auf. Ich fasste es und fügte, seine Drohung wiederholend, mit gezückter Waffe hinzu: „Memme, acht auf dein eignes Leben!“

Ich lag noch auf einem Knie und wollte hoch. Der Tintenkuli fuhr zurück, als er die Klinge und mein leidenschaftverzerrtes Gesicht erblickte. Ich versetzte ihm verschiedene Stiche. Er schloss die Augen, hielt die Hände vors Gesicht und winselte entgeistert um Gnade. Jemand rief: „Heda, was tut ihr?“ Ich drehte mich um: „Der feige Schuft hat mich fast totgeprügelt, – ich hab ihn totgestochen!“ Damit schmiss ich das Messer hin, nahm mein Buch und verließ die Kabine.

Sogleich wurde ein Marinesergeant abgesandt, mich an Deck zu holen. Der Kapitän stand unter seinen Offizieren und fragte den ersten Leutnant, was los sei. Antwort: „Der Bursche hat die Kabine Ihres Schreibers betreten und ihn mit einem Federmesser umgebracht.“ Er betrachtete mich angeekelt und rief, ohne mich zu befragen: „Meinen Schreiber umbringen! Legt dem Burschen Ketten, Handschellen an! – Meinen Schreiber umbringen!“ Ich wollte sprechen, wurde aber augenblicklich zum Schweigen gebracht: „Knebelt ihn! Bringt ihn sofort runter! Kein Wort, junger Mann! – Meinen Schreiber umbringen!“

Als der Sergeant mich beim Wickel nehmen wollte, sagte ich: „Hände weg!“, blickte selbstbewusst drein, – ich hielt mich jetzt für einen Mann – und schritt langsam die Luke hinab. Eine Wache wurde mir beigegeben, der Profos brachte die Eisen. Vermutlich hatte aber der Kapitän inzwischen eine andre Lesart gehört: Ein Kadett kam herunter, widerrief den Fesselungsbefehl und sagte: „Nur getrost, es geschieht Ihnen nichts. Wir werden die Wahrheit sagen. Sie haben gehandelt wie ein Mann. Lassen Sie den Mut nicht sinken!“

„Fürchten Sie nichts für mich!“

Einige Stunden drauf war der „Alte“ da: „Schämen Sie sich nicht über Ihr Benehmen, junger Mann?“

„Nein!“

„Wie, junger Mann? So antworten Sie mir? Stehn Sie auf, junger Mann, Hut runter!“

Ich sagte, dass ich auf die Ketten wartete, stand aber auf.

„Man wird Sie als Mörder henken, junger Mann!“

„Ich will lieber gehenkt, als von Ihren Schergen geschlagen werden.“

„Wie? Was? Sind Sie toll, Sie?“

„Ja! Ihre schnöde Behandlung hat mich toll gemacht. Sie, Ihr französischer Leutnant strafen, quälen mich fortwährend ohne Grund, – das lass ich mir nicht gefallen! Ich bin als Offizieranwärter, als Mann von Stand und Bildung in die Flotte getreten und behandelt worden wie'n Hund. Setzen Sie mich an Land! Ich will keinen Dienst mehr tun, mich weder von Ihnen noch Ihren Dienern misshandeln und prügeln lassen!“

Dabei trat ich einen Schritt auf ihn zu, – weshalb, weiß ich nicht. Er fasste mich am Kragen und befahl mir, mich auf die Lafette zu setzen. „Nein“, widerredete ich, „Sie haben mir mal verboten, mich in Ihrer Gegenwart zu setzen, – ich tu's nicht!“

„Tu's nicht!“, keifte er, wobei er mich fast erdrosselte. Ich konnte nicht sprechen, hob aber die Hand, um mir Luft zu machen. Hierauf wiederholte er: „Sie wollen nicht?“ und gab mir einen heftigen Schlag ins Gesicht. Ich, mit nochmaligem „Nein“, war so kühn, ihn anzuspucken.

Seine rote Fratze lief augenblicklich fast blau an. Er konnte kein Wort hervorbringen, schleuderte mich von sich und kehrte, fast berstend vor Grimm, in seine Kajüte zurück. Viele Offiziere, besonders Kadetten, scharten sich um mich. Ich erhob mich von der Lafette, auf die ich gefallen war. Zwei Backskameraden kamen auf mich zu: „Recht so, Junge, nur keine Bange!“

„Seh ich vielleicht bangbüxig aus?“

Mit Sonnenuntergang durfte ich runter, sollte mich aber nie wieder an Deck zeigen. Den dickbäuchigen schottischen Capitano hab ich nicht mehr gesehn. –

Nun begann für mich ein einziger Festtag. Ich erhielt meine Schmöker und bemühte mich, durch Lesen meine Bildungsmängel auszugleichen. Der Schreiberling erholte sich. Zwar machte er immer einen großen Bogen um mich; aber ich war boshaft genug zu sagen: „Wenn Sie auch Schreiber sind – stibitzen Sie künftig keine Bücher mehr, und schlagen Sie keinen Gentleman!“ Dabei deutete ich auf einen großen Schmiss auf seiner Wange. Er war der Sprössling des Schneiders unsers edlen Kapitäns, seine Bestallung ein echt schottischer Einfall, um – die Rechnung bei seinem Vater zu begleichen.

Eine Weltreise. – Außer Hörweite der Heimat. – Die Schiffsfarm und ihre Nutznießer.

Als wir wieder einen englischen Hafen anliefen, wurde ich einem Wachschiff in Spithead überwiesen. Von meinem Vater hörte ich keinen Ton. Ich war noch jung, aber stolz genug, nutzlose Gegenvorstellungen, jämmerliche Klagen zu unterlassen, und einsichtig genug, auszuharren. Von Kind an war ich abgestumpft gegen aufgezwungene Befehle; deswegen suchte ich gleichgültig dreinzuschauen und runzelte die Stirn, um meine innere Erregung zu tarnen.