Im Auftrag der Chefin - Rudolf Mittelmann - E-Book

Im Auftrag der Chefin E-Book

Rudolf Mittelmann

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Beschreibung

Der Roman „Im Auftrag der Chefin“ beginnt wie eine Abenteuergeschichte, mit einer langen Fahrt durch die nordöstlichen Wälder von St. Petersburg. „Der Mann im Wald“ aber hat einen Auftrag, und während seine Chefin sich in ihrem Büro mit Vodka betrinkt, gerät er in erst kleinere, dann immer schwerwiegendere Probleme. Er beginnt an seiner Wahrnehmung zu zweifeln und muss bald feststellen, dass er sich wirklich nicht mehr auf seine Sinne verlassen kann. Aber auch den Menschen, denen er begegnet, kann er nicht trauen - in einem kleinen, unbekannten Walddorf, wo es nur Frauen gibt, in einem merkwürdigen Gebäude, welches er zunächst für ein Schloss hält, wo seltsame Männer leben, in einem einsamen, gemütlichen Waldhaus. Schließlich muss er sogar ohne den großen Hund auskommen, der ihm zugelaufen war und ihn treu beschützt hat. Er fühlt sich einsam und krank... Um ihn ist alles weiß, sogar das Essen ist weiß, und die weißbekittelten Leute fragen ihn aus, ohne etwas zu verstehen. Kann seine Chefin ihn retten? Nach den eher heiteren Romanen aus der Reihe „Der Junge und...“ nun eine ernstere Geschichte vom selben Autor, die neben Spannung auch skurrile und erotische Elemente bietet. In diesem Buch (mit 23 farbigen Illustrationen vom Autor) erzählt rudolf mittelmann die berührende Geschichte eines Mannes, der seine Lebensaufgabe zunehmend als sinnlos erkennen muss und daran zerbricht.

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Seitenzahl: 260

Veröffentlichungsjahr: 2015

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für die Mädchen A. und M.

Inhaltsverzeichnis

Kap. 1

Kap. 2

Kap. 3

Kap. 4

Kap. 5

Kap. 6

Kap. 7

Kap. 8

Kap. 9

Kap. 10

Kap. 11

Kap. 12

Kap. 13

Kap. 14

Kap. 15

Kap. 16

Kap. 17

Kap. 18

Kap. 19

Kap. 20

Kap. 21

Kap. 22

Kap. 23

Kap. 24

Kap. 25

Kap. 26

Kap. 27

Kap. 28

Kap. 29

Kap. 30

Kap. 31

Kap. 32

Kap. 33

Kap. 34

Kap. 35

Kap. 36

Kap. 37

Kap. 38

Kap. 39

Kap. 40

Kap. 41

Kap. 42

Kap. 43

Kap. 44

Kap. 45

Bildliste

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Figurentheater.

Die Bühne, ein riesiger Schreibtisch mit altmodischem Telefon in einem großen Büro.

Eine Maus, intelligent und versoffen.

Drei Katzen, untereinander zerstritten, die um die Maus zanken.

Eine der drei ein Geheimdienst, die zweite eine Guerillagruppe, die dritte eine Bürgermiliz.

Ein großer Hund, den alle fürchten, obwohl er kaum je eingreift.

Und der Zuschauer, auf jeden Fall zur Maus haltend, und auch irgendwie von ihr abhängig.

Die Katzen balgen um die Maus, die Maus telefoniert, der Hund hält die Katzen in Schach.

Wir aber betrachten das alles und denken uns unseren Teil.

Nur die schwarze Spinne, die über der Szene an der Decke sitzt, die entgeht uns. Noch.

1

Der Mann nahm seine Kameratasche vom Rücksitz, stieg aus und versperrte die Tür des großen Wagens. Er sog die Luft ein, und war enttäuscht, statt des erhofften Duftes hauptsächlich die Gerüche des Autos wahrzunehmen. Langsam stapfte er auf dem Trampelpfad unter die hohen Bäume.

Da war die gute Waldluft, mit jedem Schritt dicker werdend. Erde, Laub, frisches Holz, vermodernde Stämme, Moos, Pilze. Alles da.

Das Unterholz stand ziemlich dicht, Büsche versperrten ihm den Weg. Wer hatte den Pfad hier ausgetreten, Menschen oder Tiere? Er konnte sich diese Frage nicht beantworten, denn der Boden war weich und feucht, von Moos und Farn überwuchert, oder von verrottendem Laub aus dem Vorjahr bedeckt. Spuren waren da keine zu sehen. Und doch gab es diesen kleinen Weg. Er bog einige dickere Äste zur Seite, durch die dünneren zwängte er sich einfach durch. Bald kam er zu einer lichteren Stelle, hier standen sehr hohe Buchen und ungewöhnlich gerade gewachsene Eichen, die anscheinend keine Büsche unter sich duldeten. Der Pfad war so leichter zu erkennen. Er folgte dieser Spur durch den Hochwald, bis sich ihm wieder dickes Gestrüpp in den Weg stellte. Aber er ließ sich nicht abhalten, und kämpfte sich durch das Dickicht. Wohl eine Stunde war er so unterwegs, als er eine besonders hübsche Gruppe rotweißer und brauner Pilze fand. Die fotografierte er in aller Ruhe, sah auf die Uhr und erschrak.

Noch über zweitausend Kilometer hatte er für diesen Auftrag zu fahren, und er wanderte hier in der Einsamkeit herum, um den Wald zu genießen. Es war Nachmittag, bis zum Abend hätte er noch ein- bis zweihundert Kilometer weiterkommen sollen. Und eine Herberge für die Nacht musste er sich auch noch suchen. Er kannte sich hier nicht aus, wenn er auch schon früher mal durch diese Gegend gereist war. Damals hatte er sich auch vorgenommen, sich diesen riesigen Wald einmal genauer anzusehen. Immerhin hatte er keinen Hunger, wie er überrascht feststellte. Eben wollte er den Rückweg antreten, da knackte es ziemlich laut, ganz in der Nähe. Bevor er noch Zeit hatte, zu überlegen, wer oder was das war, knackte es noch einmal auf der anderen Seite, dann hinter ihm und noch einige Male, in allen Richtungen und Entfernungen. Ihm war plötzlich unheimlich zu Mute. War denn der ganze Wald auf einmal lebendig geworden? Natürlich war der lebte Wald ohnehin lebendig, aber er hatte das Gefühl, alles begänne sich zu bewegen, zu regen, zu laufen. Oder war da ein Rudel Tiere um ihn herum? Hektisch sah er sich um, konnte aber nirgends etwas rennen sehen, dabei fing das Knacken schon wieder an, und er vernahm ein noch fernes Geräusch, etwas schien sich zu nähern. Ihm kam es so vor, als sei es auch plötzlich dunkler geworden. Da fiel ihm ein dürrer Ast vor die Füße. Schnell sah er auf, weit über ihm bewegten sich die Baumkronen im Wind. Wind! Es war ein Wind aufgekommen, der immer heftiger an den Bäumen rüttelte. Das war die Erklärung. Und der Himmel, soweit er das erkennen konnte bei dem dichten Blätterdach über ihm, schien jetzt dunkelgrau zu sein, vielleicht kam ein Gewitter? Er packte seine Kamera ein und begann den Weg zurück. An einer dunklen, feuchten Stelle sah er am Boden etwas leuchten. Er bückte sich und konnte einen großen Feuersalamander bewundern. Zu wenig Licht zum Fotografieren, anblitzen wollte er das seltene Tier nicht. Bald begann es zu regnen. Zuerst hörte er nur von allen Seiten ein stetig anschwellendes Rauschen. Nach ein paar Minuten wurde die Luft feuchter, und einzelne Tropfen kamen bis zu ihm durch. Als er eine kleine Lichtung durchquerte, war er von den paar Sekunden unter freiem Himmel schon richtig nass. Unter dem Dach der Bäume kam noch immer wenig durch, aber trockener wurde seine Kleidung natürlich nicht. Ihm war es gleichgültig, mehr oder weniger viel Regen abzubekommen, aber er achtete darauf, kein Wasser in die Kameratasche laufen zu lassen.

Als er zu seinem Auto zurückkam, spürte er erst, wie müde er eigentlich war. Diese weite Fahrt, die letzten Stunden über kleine und kleinste Straßen, das war zwar nicht stressig, so wie im Stadtverkehr oder auf der Autobahn, aber auf Dauer doch auch sehr anstrengend. Und jetzt hatte er eine zweistündige Waldwanderung gemacht, anstatt vernünftigerweise ein wenig zu schlafen.

Die Straße wurde schlechter, immer mehr tiefe Schlaglöcher machten das Fahren mühsam, und nach einem kleinen Hügel ging es in ein Tal hinunter, in dem leichter Nebel stand. Bald fing es auch wieder zu regnen an, Begrenzungspfosten gab es schon lange keine mehr. In ein paar Kilometern musste er durch das letzte Dorf kommen, wo aber seit Zeiten keiner mehr wohnte. Eine verlassene Geistersiedlung aus einem dutzend kleiner Höfe und einer uralten Kapelle. Im nächsten oder übernächsten Tal. Wo sollte er übernachten, auf dem Dorfplatz? Oder lieber irgendwo am Straßenrand im Wald?

Er hatte alles mit, was er für die nächsten drei Wochen brauchte. Decken, Schlafsack, sogar ein geräumiges Zelt, aber für eine Nacht war es einfacher, hinten im Wagen zu schlafen.

Er sah auf die Uhr. In ein bis zwei Stunden würde es dunkel werden. Schön langsam, hier im Norden. Ah, da war das Dorf. Das Dach des ersten Hauses war inzwischen eingestürzt. Das zweite sah abgebrannt aus. Nein, hier wollte er nicht bleiben. Er fuhr vorsichtig weiter.

Nach einer halben Stunde kam er zu einem breiteren Platz. Vielleicht war hier mal Holz gelagert worden. Er lenkte sein Fahrzeug von der Straße herunter. Das grüne Gestrüpp war für den schweren Geländewagen kein Problem. Er hielt das Auto an und schaltete die Zündung aus.

Er hatte kein Bedürfnis auf eine ausgiebige Mahlzeit, ein Müsliriegel war ihm genug. Dazu ein paar Schluck aus der Thermoskanne. Morgen würde er sich einen neuen Tee kochen. Aber er musste nochmal raus, um zu pinkeln. Sein linker Schuh versank tief im Schlamm. Vorsicht, sagte er sich, hier muss man aufpassen.

Er machte sich eine Bettstatt auf den rechten Sitzen zurecht, Platz war genug, und rollte sich ein.

Es dauerte eine Weile, bis er sich an die Geräusche in dieser Einsamkeit gewöhnt hatte. Aber dann schlief er gut bis ins Morgengrauen. Als er erwachte, hätte er sich einen heißen, guten Café gewünscht, einen doppelten Cappuccino am besten, aber das war hier nicht möglich. Er fröstelte. Den Komfort der Stadt würde er die nächsten Tage vermissen. Er holte seinen Gaskocher und das Geschirr, um sich einen Tee zu kochen.

2

Das Wetter war besser, grauer Himmel zwar, aber immerhin trocken. Der Nebel hatte sich verzogen. Er kam gut voran, wenn auch die Straße voller Löcher war, der Asphalt überall aufgebrochen. Durch die Risse zwängten sich allerlei Pflanzen ans Licht, in ein paar Jahren wäre hier kaum noch ein Weg zu erkennen. Dann würde die Chefin ihm ein Kettenfahrzeug zur Verfügung stellen müssen… Hoppla, da lag ein Baum quer über die ganze Breite der Fahrbahn. Etwas abrupt kam er zum Stehen. Mit einem amüsierten Grinsen stieg er aus. Hier schon solche Hindernisse? Lange lag der Baum noch nicht da, das war klar zu erkennen.

Der Stamm war nicht sehr dick, aber doch viel zu schwer, um ihn einfach wegheben zu können. Er holte die Säge aus dem Laderaum und zerlegte das Holz in Stücke, die er bewältigen konnte. Nach einer halben Stunde war die Sperre beseitigt. Und ihm war endlich richtig warm.

Zur Mittagszeit überquerte er ein kleines Gebirge, immer wieder führte die alte Straße auf Höhenzüge hinauf und in Täler hinunter. Auf den Höhen gab es nur niedrige Vegetation, in den Tälern kleinere und größere Waldstücke. Der schwere Dieselmotor brummte unbeeindruckt vor sich hin. Ein gutes Maschinchen, dachte er fast zärtlich. Zuverlässig.

Am späteren Nachmittag, die Landschaft war ziemlich eben und voller Wald, sah er auf den Kilometerzähler. Er hatte nur vierhundertfünfzig Kilometer geschafft heute. Etwas weniger als erhofft. Er entschloss sich, so lange es ging, weiterzufahren. Das Auto hatte gute Scheinwerfer.

Als es längst dunkel war, erklomm er eine Steigung. Oben auf der Kuppe übersah er fast die scharfe Kurve. Im letzten Moment riss er das Auto rechts herum und dann in eine langgezogene Linkskurve. Da sah er weit vor sich ein Licht. Ein kleines Licht hier in der Einsamkeit, wo es laut Karte der Landesregierung keine Siedlung und keine Menschen gab. Eine Reflexion? Er hielt an und schaltete die Scheinwerfer ab. Das Licht blieb. Es leuchtete gleichmäßig dahin, nach Lagerfeuer sah es nicht aus. Ein elektrisches Licht also?

Der Mann war neugierig, aber er wusste auch, er musste vorsichtig sein. Man konnte nie wissen. Wer trieb sich da herum?

Er nahm seine Pistole aus dem Handkoffer, steckte sie entsichert in die Gürteltasche und fuhr mit gedämpftem Standlicht weiter. Sehr langsam, der Weg war im Finstern schlecht zu erkennen. Er bildete sich ein, das einsame Licht wirke langsam größer. Als er die Entfernung auf ein- bis zweihundert Meter schätzte, fuhr er das Auto unter zwei großen Bäumen von der Fahrbahn herunter. Ein paar Äste knackten so laut, dass er zusammenzuckte. Sei nicht so schreckhaft, sagte er sich.

Er stieg aus, zog das grüngefleckte Tarnnetz vom Dach und breitete es über das Auto. Falls jemand vorbeikäme, würde er das Fahrzeug kaum entdecken.

Auf das Licht zu folgte der Mann zu Fuß der Straße, die aber bald nach rechts abdrehte. Links schimmerte das Licht durch immer dicker werdendes Gesträuch. Nach ein paar Minuten war es kaum noch auszumachen. Doch da kam er zu einer Abzweigung, ein Weg führte links durch die Büsche. Zwei Fahrrillen, also fuhr wohl ab und an ein Fahrzeug hier hinein. Er folgte dem Weg und sah bald das Licht vor sich. Es waren eigentlich zwei Lichter, zwei erleuchtete Fenster. Mehrfach geteilte Fenster. Hier gab es ein Haus! Anscheinend ein altes Haus. Und es brannte Licht. Ob da jemand zu Hause war? Und wenn ja, wer?

Er bekam Herzklopfen. Er versuchte, sich zu beruhigen, und trat auf das Häuschen zu. Um sich Mut zu machen, tastete er nach der Pistole und hielt sie fest, ohne sie aus der Tasche zu nehmen. Je näher er kam, je größer kam ihm das Gebäude vor, obwohl er die Umrisse nicht richtig sehen konnte. Zwischen den Fenstern gab es ein paar Stufen und eine Tür, er ahnte das mehr als dass er sie hätte erkennen können. Er stieg die kleine Treppe hinauf.

Mit der anderen Hand klopfte er an die Tür. Nichts passierte. Er wartete eine Weile. Da fühlte er ein Stück Metall, ertastete einen altmodischen Türklopfer. Er wollte eben den Klopfer betätigen, da hörte er Schritte und eine weiche Stimme rief: „Ist da jemand? Bekommen wir Besuch?“

Die Haustür öffnete sich knarrend einen Spalt. Drinnen war es nicht sehr hell, er sah eine große Gestalt als Silhouette.

„Oh wirklich, ein Gast. Wir haben einen Gast! Komm doch herein. Nur Mut, hereinspaziert.“

Die Tür wurde ganz aufgemacht. Er hatte sich an das schwache Licht gewöhnt, das von zwei Wandkerzen kam, und betrachtete die alte Frau. Sie hatte lange, weiße Haare, ein braungebranntes, runzliges Gesicht, und trug eine weiße Schürze über einem ärmellosen Kleid. Ihre Arme waren ebenfalls braun und faltig, sehnig und muskulös. Sie lächelte ihren Besucher freundlich an.

„Wir haben hier selten Besuch. Komm doch rein. Der Ofen ist geheizt, und ich habe einen Gemüsekuchen im Ofen. Bist du hungrig? Sicher bist du hungrig. Komm herein und erzähl uns, wo du herkommst, und was dich in diese Gegend treibt.“

Dabei war sie in den nächsten Raum vorausgegangen.

Der Mann war so verblüfft, dass er noch kein Wort herausgebracht hatte. Er ließ seine Pistole los und blickte sich kurz in der Diele um. Hier war es nicht sehr hell, aber er erkannte hohe, dunkle Schränke, eine hölzerne Garderobe mit einem ovalen, angelaufenen, fast stumpfen Spiegel, kleinere und größere Kommoden, und jede Menge Ziergegenstände aus Holz und Porzellan. Dazu gab es eine laut tickende Wanduhr und allerlei ausgestopfte Tiere und Tierköpfe an den Wänden. Links war eine offene Türe, daneben führte eine dunkle, verzierte Holztreppe nach oben. Rechts gab es noch drei Türen. Gleich neben der Eingangstür lagen etliche Paare Schuhe, er zog seine aus und stellte sie dazu. Das sah lustig aus, die anderen Schuhe waren durchweg viel kleiner als seine.

Er folgte der Frau durch die offene Türe in die von allerlei Kerzenleuchtern erhellte Küche. Sie nötigte ihn, sich auf die Eckbank an den großen Tisch zu setzen, der mit einer gestickten Decke versehen war. Die Küche war ebenso überfüllt wie die Diele, über der Eckbank gab es kleine Regal-reihen mit bemalten Tellern, auf der hinteren Seite eine geräumigen, reich verzierte Kredenz mit gehäkelten Vorhängen hinter den kleinen Scheiben, unter dem Fenster eine alte, bemalte Truhe. Der Mittelpunkt der Küche aber war natürlich der gemauerte Herd, mit einer breiten Kochfläche und einem höheren Teil, der wohl den Backofen darstellte. Unten im Herd prasselte ein Feuer, am flackernden Lichtschein hinter diversen Ritzen zu erkennen und auch nicht zu überhören.

Kurz gesagt konnte es wohl kaum einen gemütlicheren Raum geben, und der Mann hatte sein anfängliches Misstrauen fast überwunden. Da fühlte er eine weiche Berührung an seinem Bein. Er wich unwillkürlich aus, aber schon wieder drückte sich etwas an ihn. Er sah vorsichtig hinunter und war erleichtert: Eine große Katze schmierte um seine Beine. Eine Katze. War das nicht der beste Beweis für ein gutes Haus, wenn es eine Katze gab? Er zog seine Jacke aus und legte sie neben sich.

Inzwischen hatte die Frau die Ofentür geöffnet, und wieder geschlossen.

„Es dauert noch ein bisschen. Was magst du trinken? Ich habe einen guten armenischen Wein da, oder lieber einen Vodka? Oder einfach Wasser?“

„Oh, danke, ich weiß nicht, vielleicht später…“

„Ach fein, du kannst ja doch sprechen. Ich hab schon befürchtet, du seist vielleicht stumm.“

„Entschuldigung, einen guten Abend wünsche ich erst mal. Mein Name ist Rolf Rotmüller. Ich war so überrascht, das Licht im Wald, das Haus hier, und alles…“

„Was ist das für ein Name? Bist du aus Deutschland? Wir haben selten Gäste. Ziemlich einsam hier. Aber wir leben noch. Wenn das auch nicht jedem passt.“

Der Mann fragte sich, was sie damit meinen könnte. Politiker und Bürokraten, denen diese Menschen lästig waren? Oder Verbrecher, gegen die sie sich erfolgreich zur Wehr gesetzt hatten? Ich sollte nicht so voreilig phantasieren, schalt er sich selbst.

Er fragte: „Und wer ist ‚wir‘, wenn ich fragen darf? Entschuldigen Sie. Ich möchte nicht neugierig sein. Aber – hier – in der Einsamkeit – ist es immer besser, wenn man weiß, mit wem man zu tun hat.“

Die Alte ließ sich Zeit mit ihrer Antwort.

„Wir? Ja ja. Wir haben nichts zu verbergen. Ich bin die Marta. Und die anderen: Meine Schwester Hanna liegt mit ihrem jährlichen Schnupfen im Bett. Dann gibt es noch Lotte und Brigitte. Die kommen bald heim. Natascha und Nina, die sind drüben in den Stuben. Maria müsste auch im Haus sein. Agatha ist sicher noch im Wald. Und Erna, die Magd, die wird auf ihrem Zimmer sein. Die Kinder sind in der Stadt. So sieht es aus. Hier bei uns im Haus.“

„Ach. Gibt es denn noch mehr Häuser?“

„Natürlich. Das Schigorsky-Haus, das Bäckerhaus, die Windmühle, das Lehrerhaus, das Breitwieser-Haus, das Sägewerk, na und so weiter halt. Ganz so einsam ist es auch wieder nicht, wie du dir das wohl vorgestellt hast?“

„Klingt ja nach einem kompletten Dorf? Dorfgemeinschaft. Und wie heißt das alles zusammen?“

„Na, weißt du das denn nicht? Du musst doch wissen, wo du hingereist bist? Letmanovo. Schon immer.“

Das klang ja fast vorwurfsvoll. Der Mann, der sich Rolf nannte, wunderte sich. Letmanovo? Er war sich sicher, bei der Behörde war dieser Name unbekannt.

„Ah, nein, ich wusste das nicht. Letmanovo. Das ist in meiner Karte nicht eingezeichnet.“

„So. Dann haben sie uns schon aus den Landkarten ausradiert? Das hat unsere Lehrerin schon vor vielen Jahren befürchtet. Die wollen uns nicht. Die wollen uns los werden. Ganz.“

Das Letztere hatte sie immer leiser vor sich hin gemurmelt, eher nur zu sich selbst, aber der Mann hatte jedes Wort verstanden. Irgendetwas stimmte da nicht. Was gab es da für ein Geheimnis?

Er war noch im erschlossenen Gebiet, die weißen Flecken auf der Karte kamen später. Bildlich gesprochen. Morgen konnte er diese Gegend erreichen, die zwar auf jeder Landkarte irgendwie eingetragen war, von der aber kaum jemand etwas Genaues wusste. Streng genommen, gar niemand.

Und jetzt fingen die Rätsel schon hier an, wo eigentlich alles erkundet, gezählt, erfasst und vermessen hätte sein sollen.

Und die Hausbewohner waren alle weiblich? Gab es hier denn keine Männer?

Die alte Frau bückte sich erneut zum Ofen, legte dann ein Gedeck auf für den Mann. Bald hatte er ein dampfendes Stück von dem pikanten Kuchen auf dem Teller. Daneben stellte sie ein Glas Wasser.

„Und Sie? Essen Sie nicht mit?“

„Hier, jetzt iss erst mal du. Die anderen werden später speisen, wenn alle da sind. Du brauchst nicht zu warten.“

„Danke.“

Er kostete ein kleines Stück, vorsichtig, denn es war heiß.

„Hmm. Wunderbar“, brummelte er mit vollem Mund.

„Bitte sehr, freut mich, wenn es dir schmeckt.“

Nach einer Weile: „Iss nur, du kannst gerne mehr haben. Ich habe genug gemacht. Und die Mädchen essen so wenig wie Vögelchen.“

Ein Vögelchen? Das verspeist ein mehrfaches seines Gewichtes pro Tag, das ist eigentlich ganz schön viel, dachte der Mann.

„Und was treibt dich in unser Walddorf? Bist ja sicher nicht nur zum Essen hergekommen?“

„Tja. Wie soll ich sagen… ich muss was erledigen, aber bis zu dem Bestimmungsort ist es noch weit.“

„Wo kommst du denn her? Und was heißt, erledigen? Bist du von der Polizei?“

Na, die ist ja neugierig. Und im Kopf nicht halb so alt, wie sie aussieht, dachte er.

„Ich komme von der Hauptstadt, und nein, nicht von der Polizei.“

„Ja, was denn sonst?“

„Also, ich muss Ihnen gestehen, das darf ich nicht so genau sagen. Bin zur Geheimhaltung verpflichtet.“

„Ach? Ich sage aber sicher nichts weiter. Mir kannst du das ruhig erzählen. Wie du vorhin selber gesagt hast, hier ist es immer gut, zu wissen, mit wem man es zu tun hat.“

Oh, oh. Ganz schön hartnäckig.

„Also gut. Bin vom Kommunikationsministerium hergeschickt. Habe vor drei Jahren im Grünwald eine Einrichtung installiert. Die soll ich in Ordnung halten.“

Ob sie meine Geschichte schluckt? Was Besseres ist mir nicht eingefallen. Zumal es ja fast stimmt. Fast.

„Eine technische Einrichtung. Was ist das denn? Ein Radiosender vielleicht?“

Die ist ganz schön schlau, dachte er, und antwortete: „Ja, genau. Eine Art Radiosender.“

„Und was meinst du mit Grünwald?“

„Ach so. Ja, das ist so eine Gegend, noch weit von hier aus, nordöstlich muss ich weiterfahren.“

„Grünwald. Habe ich noch nie gehört. Nordöstlich von hier ist der Lärchenwald, noch weiter der Dunkelwald, und dahinter beginnt der unermesslich große Hexenwald. Da darfst du nicht hingehen.“

„Hexenwald? Ich habe mal von Hexen gehört…“

„Ja, vielleicht, aber was man hört stimmt meist nicht. In Wirklichkeit ist es äußerst gefährlich dort. Von da kommt keiner zurück. Jedenfalls…“

Sie zögerte.

„Ja?“

„Jedenfalls kein Mann. Meiner ist auch dort geblieben. Irgendwo da draußen. Sehr weit von hier.“

Ihr standen Tränen in den Augen, sie starrte über ihn hinweg.

Neben ihm plötzlich eine Bewegung.

Die Katze war auf die Bank gesprungen und machte es sich auf seiner Jacke gemütlich.

Der Mann vermutete, bei dem „Hexenwald“ ginge es genau um die Gegend, die in seiner Behörde den Codenamen Grünwald trug. Genau da musste er hin. Aber so überzeugend die Alte geunkt hatte, er selber war ja schon dort gewesen. Wenn auch nur kurz. Und vor mehreren Jahren. Aber er war dort gewesen und zurückgekehrt. Wenn auch nur mit viel Glück. Er konnte sich an die Zeit unmittelbar vor dem Unfall kaum erinnern. Zum Glück war er gefunden worden. Rechtzeitig.

Hexenwald. Bisher hatte er den Unfall für einen dummen Zufall gehalten. Aber er hatte Gerüchte gehört. Hexen. Lächerlich. Wirklich lächerlich? Er hing seinen Gedanken nach, während die Alte in ihre eigene Vergangenheit stierte. Die Stimmung war plötzlich gedrückt. Nur das Feuer im Herd prasselte lustig weiter.

Er begann die Katze zu streicheln, um auf heiterere Gedanken zu kommen.

Da klopfte es ans Fenster. Er zuckte zusammen. Wer wagte es hier…

Die Frau schreckte aus ihren Grübeleien auf und ging schnell das Fenster öffnen, offensichtlich ohne Furcht. Der Mann hörte eine harte, helle Stimme, aber verstand kein Wort.

Die Alte antwortete: „Keine Sorge, das wird von unserem Gast sein. Moment, ich frage ihn gleich. – Gehört dir das Fahrzeug da hinten unter dem Baum? Der große Geländewagen?“

Der Mann fühlte sich durchschaut. Sein Auto wollte er eigentlich nicht herzeigen. So wenig Aufmerksamkeit wie möglich, hatte ihm seine Chefin eingeschärft. Und jetzt spielte er schon bei der ersten Begegnung mit den Einheimischen praktisch mit offenen Karten. Aber es half nichts.

„Ja, das ist mein Wagen. Stört er da?“

„Nein, nein, schon in Ordnung“, beruhigte die Alte ihn, und nach draußen gewandt: „Ja, Agatha, das gehört unserem Gast, einer aus der Hauptstadt, ein Beamter.“

Interessant, jetzt bin ich schon Beamter, dachte der Mann. Vielleicht ist das ein Vorteil. Wir werden sehen.

Sie schloss das Fenster und forderte den Mann auf: „Gehe doch jetzt hinüber, die hintere Stube ist gemütlich warm. Ich bereite dein Zimmer vor. Du kriegst Nummer fünf. Die Gästezimmer sind oben. Ich sag dir dann Bescheid.“

„Oh. Danke.“ Damit hatte er nicht gerechnet, noch einmal eine Nacht in einem richtigen Bett. Seine Laune wurde gleich viel besser. Hexen hin oder her. Richtig gut schlafen in einem guten russischen Bett. Fein.

Er stand auf und fragte: „Kann ich die Jacke hier liegen lassen? Die Katze hat es sich darauf gemütlich gemacht.“

„Aber ja. Wenn du sie nicht brauchst. Minka wird dir dankbar sein.“ Die Alte strahlte ihn an. Die Minka war sicher ihr Liebling. Ein bisschen einschmeicheln hat noch nie geschadet, dachte er.

3

Er trat in die Diele hinaus, und fragte sich, wo es zur hinteren Stube ginge. Wenn die Stube die hintere heißt, dann wohl am ehesten die letzte Tür. Er schlurfte durch den halbdunklen Vorraum und öffnete die knarrende Holztür. Er lugte hinein und musste schmunzeln. Das war nicht die Stube. Sondern die Toilette. Die Tür davor war eher richtig. Er betrat einen großen Raum mit niedriger Holzbalkendecke. Ganz hinten prasselte ein Feuer in einem offenen Kamin. Rundum gab es Kommoden und Truhen. Die Fenster waren mit dicken Vorhängen, wahrscheinlich auch außerhalb mit Läden, verschlossen. Der Holzboden war teilweise mit Fellen belegt, vor dem Kamin mit Baumwollteppichen. In der Mitte des Raumes stand ein Schaukelstuhl, neben dem Kamin standen noch ein paar kleinere Sessel, auch gab es zwei niedrige Tischchen. Neben der Türe hingen Kerzenleuchter, die den Raum sanft beleuchteten. Der Mann stand wie angewurzelt und starrte auf den Schaukelstuhl, der zum Kamin gedreht war. Er sah schwarzglänzende Haare, und zwei nackte Arme und zwei nackte Knie. Das Mädchen hatte die Beine angezogen und wippte ein wenig vor und zurück, indem sie ihre herunterhängenden Arme entsprechend vor und zurück bewegte.

Er räusperte sich, in der Hoffnung, sie würde sich umdrehen, aber sie ließ sich nicht stören. Also musste er anfangen, was ihm Mühe machte, er war nicht gut in Konversation:

„Guten Abend. Entschuldigung, wenn ich hier so hereinplatze. Die Frau in der Küche, die Marta, hat gesagt, ich solle hier warten.“

„Hat sie das. Mir egal.“

Was ist denn das für eine? Nicht sehr nett. Dafür hat sie wunderschöne Beine.

„Kann ich mich daher setzen?“

„Keine Ahnung, was du kannst.“

Was sollte er jetzt machen? Hier war er wohl nicht willkommen. Am liebsten wäre er in die Küche zurück. Aber er hatte die Alte die Treppe hinaufstapfen gehört. Und die Marta hatte ihn doch hierher geschickt. Gar nicht so einfach, ein Gast zu sein. Ach ja… Da hörte er ihre Stimme:

„Was seufzt du da? Bist du wirklich nicht in der Lage, dich da hinzusetzen? Das gibt es ja wohl nicht. Was bist denn du für ein kaputter Typ?“ Dabei hatte sie auf einen der Sessel gezeigt, und sich zum Schluss zu ihm hingedreht.

Ein hübsches Gesicht, wirklich, eine solche Schönheit, hier in dem Wald, in der Einsamkeit. Und hatte sie nicht recht? Warum setzte er sich nicht?

Er setzte sich. Nun konnte er sie aus weniger als zwei Metern Entfernung betrachten. Er wurde rot. Sie sah ihn herausfordernd an.

„Bist ein ganz schüchterner Kerl, was? Noch nie ne Frau gesehen?“

„Ehm. Doch. Schon. Entschuldigen Sie. Ich war nicht darauf vorbereitet…“

„Auf was? Ein Mädchen zu treffen? Brauchst du da ne Vorbereitungszeit? Hihi, witzig. Und sag du zu mir. Ich bin die Natascha. Und du?“

Er war so verwirrt, nicht mal sein derzeitiger Name fiel ihm ein. Er wurde schon wieder rot. Aber dafür schämte er sich nicht. Es kam nicht jeden Tag vor, nicht mal jedes Jahr, dass er unvermittelt einer fast nackten Schönheit gegenübersaß. Das Mädchen trug nämlich außer einem seidig glänzenden schwarzen Hemdchen und schwarzen Pumps gar nichts. Nicht mal einen Slip. Was in der Haltung mit den angezogenen Beinen und der Beleuchtung durch den Kamin nicht zu übersehen war. Und dazu war sie wirklich wunderschön. Endlich fiel ihm sein selbstgewählter Name wieder ein. „Äh. Rolf. Ja.“

Sie zog die Augenbrauen hoch und fragte keck:

„Ärolfja. Interessant. Oder nur Ärolf? Das gefällt mir besser. Ist kürzer. Ärolf. Du kannst Tascha zu mir sagen. Wenn du dich traust.“

„Ich meinte, Rolf. Ich heiße Rolf.“

„Ach so. Ein gewöhnlicher Name. Nein, ich bleibe bei Ärolf. Das klingt so, so na, wie soll ich sagen, so ein bisschen schräg. Das passt besser zu dir.“ Sie kicherte.

„Meinetwegen, Tascha. Dann eben so. Wie du willst.“

„Hey. So geht das nicht. Tascha darfst du nur sagen, wenn du dich traust. Das musst du mir erst beweisen.“

„Aber ich trau mich ja, dich Tascha zu nennen. Da ist doch nichts dabei.“

„Nein, du verstehst nicht. Darum geht es nicht. Das reicht nicht. Du musst dich was anderes trauen.“

„Was denn?“

Das Mädchen senkte den Blick, nahm ihre Hände vor ihren Bauch, legte die Fingerspitzen sorgfältig aufeinander. Sie drehte die Hände vor und zurück, sog pfeifend Luft ein und flüsterte, ohne ihn anzusehen, vor sich hin:

„Heute Nacht. Um Mitternacht. Da musst du mich. Oben an der Treppe. Da musst du mich treffen. Und küssen.“

Sie nahm die Hände auseinander, klatschte sie zusammen, sah ihn frech an und rief:

„Aber das traust du dich nicht. Nie. Und darum darfst du auch nicht Tascha sagen.“ Und sie begann wieder zu kichern.

Ihm gefiel ihr Kichern. Überhaupt begann das ganze Mädchen, ihm zu gefallen. Die hat was drauf. Die hat was. Um Mitternacht?

„Erzähl mir was. Wo kommst du her? Warst du schon mal in der großen Stadt?“

„In St. Petersburg? Da komme ich her. Da lebe ich. Wenn ich nicht unterwegs bin. Meistens bin ich unterwegs.“

Sie stellte viele Fragen über das Leben in der Stadt. Nach ein paar Minuten war er sich schon sicher, dieses Mädchen sollte nicht hier im einsamen Wald leben. Na, vielleicht würde sich ja was ergeben.

Da ging die Türe ein Stück auf, und Marta schaute durch den Spalt.

„Rolf? Ich habe dein Bett gerichtet. Wenn du mitkommst, zeige ich es dir.“ Er wollte „Ja, ich komme“ rufen, aber schneller rief Natascha: „Nicht nötig, Marta. Ich mach das schon. Später. Geh nur.“

Während Marta die Tür zögernd und kopfschüttelnd zuzog, hörte der Mann sie etwas murmeln, so etwa: „Diese jungen Leute… ist ja nicht mal angezogen… kriegt die nicht kalt…“

Hier am Kamin war es heiß, ihm jedenfalls.

Sie redeten noch eine Weile über die Stadt, das Land und die große, weite Welt, bis er zu gähnen begann. Natascha bot ihm an:

„Komm, Ärolf, ich zeige dir dein Zimmer. Ich sehe ja, du gehörst ins Bettchen. Komm mit!“

Sie schwang sich elegant aus dem Schaukelstuhl, im Stehen sah sie sehr schlank aus. Er ging ihr nach, auf der Treppe hatte er ihren knackigen Po vor der Nase, was ihn ziemlich anmachte.

Oben gab es einen langen schmalen Flur, in dessen Mitte der Treppenabgang lag. Zu beiden Seiten waren viele Türen zu sehen, obwohl es nur sehr wenig Licht gab, von nur zwei Kerzen in Wandhalterungen. Hatten die hier denn gar keinen Strom?

Gleich die erste Tür im linken Gang trug die Nummer fünf, und dahinein steuerte Natascha den Gast.

„Siehst du? Ein warmes Federbett, ein bisschen kurz vielleicht für dich?“

„Das geht schon. Für eine Nacht ist das sehr gut.“

„Der Waschraum ist die letzte Tür rechts. Klar?“

Sie hatte es wohl eilig, hier wegzukommen, es war eiskalt in dem Zimmer. Er bedankte sich nochmal, dann schwebte die schöne Natascha davon. Er sah auf seine Uhr. Es war erst neun Uhr.

Sein Waschzeug war im Auto geblieben, und er hatte absolut keine Lust, das jetzt zu holen. Wer hätte denn ahnen können, hier auf eine Art Gasthof zu stoßen?

Er ging in den Waschraum. Da gab es eine Schüssel, zwei große Blechkannen mit Wasser, ein paar Bürsten und einen Stapel Handtücher. Alles sehr altmodisch, sehr elementar, und sehr gemütlich. Wie im Märchen. Nur dieses Mädchen, das großstädtische, das passte nicht so ganz ins Bild. Mitternacht?

Zurück in seinem Zimmer zog er sich nackt aus und legte sich in das kalte Bett. Brrr. Kalt. So kalt. Er bibberte und klapperte mit den Zähnen. Aber er wusste, wie fein so ein Bett später wärmen würde. Man musste nur die Aufheizzeit durchstehen.

Er stellte die Weckfunktion seiner Armbanduhr auf fünf vor zwölf. Dabei musste er zweimal von vorne anfangen, weil er die winzigen Tasten vor lauter Zittern zu oft gedrückt hatte. Endlich war es gelungen. Da fiel ihm ein, er hatte vergessen, seine Pistole zu sichern. Mit einem Schimpfwort stand er auf und brachte das in Ordnung, krabbelte wieder ins Bett. Er pustete die Kerze auf dem Nachttisch aus.