Im Bann - Jennifer Egan - E-Book

Im Bann E-Book

Jennifer Egan

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Beschreibung

Der meisterhafte Schauerroman von Pulitzer-Preisträgerin Jennifer Egan: Irgendwo in Europa treffen sich zwei Cousins auf einer verfallenen Burg. Howard ist zu Macht und Ansehen gekommen, während Danny, der Internetfreak, nach immer neuen Ablenkungen sucht. Schon bald nach seiner Ankunft glaubt Danny, dass sein Cousin ihn an diesen seltsamen Ort gelockt hat, um Rache zu nehmen – und ein altes Familiengeheimnis zu lüften. »Ein Leseerlebnis, das Kafka, Calvino und Poe vereinigt. Höchst unterhaltsam.« Elle »Jennifer Egan hat das Genre der Gothic Novel kunstvoll gegen den Strich gebürstet.« Neue Zürcher Zeitung »Solch spielerische Meisterhaftigkeit […] so ein Leservergnügen, bei der sich intellektuelles Spiel und leichter Grusel die Waage halten.« Der Tagesspiegel

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Seitenzahl: 394

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Jennifer Egan

Im Bann

Roman

Roman

Aus dem Englischen von Gabriele Haefs

FISCHER E-Books

Inhalt

Für die kleinen Jungen,1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. KapitelDanksagung

Für die kleinen Jungen,

Manu und Raoul

1. Kapitel

Die Burg war im Zerfall begriffen, aber um zwei Uhr nachts und unter einem wirkungslosen Mond konnte Danny das nicht sehen. Was er sah, wirkte solide wie die Hölle: zwei runde Türme, verbunden durch einen Wehrgang, in diesem Wehrgang ein Eisentor, das sich seit dreihundert Jahren nicht mehr bewegt zu haben schien, vielleicht auch noch nie.

Er war bisher weder in einer Burg noch in diesem Teil der Welt gewesen, aber irgendetwas kam ihm bekannt vor. Er hatte das Gefühl, sich aus alten Zeiten her an diesen Ort zu erinnern, nicht, als ob er ihn tatsächlich kannte, eher wie aus einem Traum oder einem Buch. Die Türme hatten solche eckigen Zinnen, wie Kinder sie beim Zeichnen auf ihre Burgen setzen. Die Luft war kalt und ein wenig rauchig, als sei der Herbst schon da, obwohl es erst Mitte August war und die Menschen in New York sich kaum etwas anzogen. Die Bäume verloren ihre Blätter – Danny spürte, wie sie in seinen Haaren landeten, und hörte sie unter seinen Stiefeln knirschen, als er weiterging. Er suchte eine Klingel, einen Türklopfer, eine Lampe; irgendeinen Zugang zu diesem Ort oder zumindest eine Möglichkeit, um diesen Zugang zu finden. Er wurde langsam sauer.

Zwei Stunden hatte er in einem düsteren kleinen Ort im Tal auf einen Bus gewartet, der ihn hier hochbringen sollte. Als das blöde Ding sich nicht blicken ließ, hatte er schließlich hochgeschaut und den schwarzen Umriss der Burg vor dem Himmel gesehen. Daraufhin hatte er sich auf den Weg gemacht, hatte seinen Samsonite plus eine Satellitenschüssel einige Meilen bergauf gezogen, wobei die schwächlichen Räder des Samsonite an Steinquadern, Baumwurzeln und in Kaninchenlöchern hängengeblieben waren. Dass er hinkte, war ihm auch keine Hilfe. Diese ganze Reise war von Anfang an so: eine Schikane nach der anderen, seit die Nachtmaschine auf Kennedy nach einer Bombenwarnung auf eine Wiese gezerrt worden war, vor riesige Geschützmündungen, die beruhigend wirken sollten, bis man merkte, dass ihre Aufgabe darin bestand, mit ihrem Feuer lediglich die armen Schweine in Brand zu stecken, die bereits im Flugzeug saßen. Also hatte Danny seinen Anschlussflug nach Prag und den Zug nach dorthin verpasst, wo auch immer er sich nun befand, irgendeine Stadt mit deutsch klingendem Namen, die aber nicht in Deutschland oder sonstwo zu liegen schien – Danny hatte sie im Netz einfach nicht finden können, allerdings war er sich auch mit der Schreibweise nicht ganz sicher gewesen. Bei einem Anruf seines Cousins Howie, dem diese Burg gehörte und der Danny die Reise bezahlt hatte, damit Danny ihm bei den Renovierungsarbeiten half, hatte er versucht, einige Details in Erfahrung zu bringen.

Danny: Ich hab das noch immer nicht kapiert – steht dein Hotel in Österreich, Deutschland oder der Tschechischen Republik?

Howie: Ganz ehrlich, ich weiß das selber nicht so genau. Diese Grenzen hier verrutschen doch dauernd.

Danny (nachdenklich): Sie verrutschen?

Howie: Aber vergiss nicht, das ist noch kein Hotel. Im Moment ist es eine alte …

Die Verbindung war tot. Als Danny versuchte zurückzurufen, kam er nicht durch.

Jedenfalls trafen die Tickets eine Woche später ein (unleserlicher Poststempel) – Flugzeug, Bahn, Bus –, und da er eben arbeitslos geworden war und aufgrund eines Missverständnisses im Restaurant, in dem er gearbeitet hatte, so schnell wie möglich aus New York verschwinden musste, konnte Danny es nicht ablehnen, wenn ihn jemand dafür bezahlte, dass er Gott weiß wohin reiste, irgendwohin, und sei es auf den Scheißmond.

Er kam dort fünfzehn Stunden später an als geplant.

Er ließ Samsonite und Satellitenschüssel am Tor stehen und drehte eine Runde um den linken Turm (Danny ging ganz bewusst immer nach links, wenn er die Wahl hatte, da die meisten Leute nach rechts gingen). Eine Mauer zog sich von dem Turm zu den Bäumen hinüber, und Danny folgte der Mauer, bis der Wald ihn umschloss. Er tappte im Dunkeln. Er hörte Rauschen und Huschen, und als er weiterging, schlossen die Bäume sich immer dichter an die Mauer an, bis er sich schließlich zwischendurch quetschen musste, weil er Angst hatte, sich zu verirren, wenn er die Mauer nicht mehr in Reichweite hätte. Und dann passierte etwas Gutes: Bäume hatten sich durch die Mauer gebohrt und dabei eine Öffnung geschaffen, die Danny eine Möglichkeit bot hineinzuklettern.

Das war nicht leicht. Die Mauer war fast sieben Meter hoch, zerklüftet und bröcklig durch die Baumstämme, die sie in der Mitte durchbrachen, noch dazu hatte Danny ein problematisches Knie, das er dem Missverständnis bei seinem letzten Job verdankte. Außerdem waren seine Stiefel nicht gerade zum Klettern gedacht – es waren Stadtstiefel, hippe Dinger, vorne irgendwo zwischen breit und spitz – seine Glücksstiefel, das hatte Danny jedenfalls vor langer Zeit geglaubt, als er sie gekauft hatte. Sie hätten neu besohlt werden müssen, da sie sogar auf dem Beton in der Stadt ins Rutschen kamen, weshalb es Danny auch gar nicht lieb gewesen wäre, wenn ein Bild von ihm, wie er sich über eine sieben Meter lange zerfallende Mauer hochzog, um die Welt gegangen wäre. Aber endlich hatte er es geschafft, keuchend, schwitzend, sein wehes Bein hinter sich herziehend, stemmte er sich auf eine Art flachen Gehsteig, der oben auf der Mauer verlief. Er wischte sich die Hose ab und richtete sich auf.

Und dann hatte er eine von diesen Aussichten, bei denen man sich einen Moment lang wie Gott fühlt. Die Burgmauern glänzten silbern im Mondlicht und zogen sich als unebenes Oval von der Größe eines Fußballplatzes über die Anhöhe. Alle fünfzig Meter oder so gab es einen runden Turm. Unter Danny, innerhalb der Mauern, war alles schwarz – pures Schwarz, wie ein See oder das Weltall. Er ahnte die Wölbung des endlosen Himmels über seinem Kopf, bedeckt von zerfetzten Wolken in Lilatönen. Die Burg selber lag hinter ihm, dort, wo sein Weg begonnen hatte; eine Ansammlung von scheinbar achtlos zusammengewürfelten Gebäuden und Türmen. Aber der höchste Turm stand für sich, schmal und eckig, rotes Licht fiel aus einem Fenster ganz oben.

Als er nach unten schaute, fühlte Danny sich auf irgendeine Weise erleichtert. In seiner ersten Zeit in New York hatten er und seine Freunde versucht, einen Namen für die Beziehung zu finden, die sie zwischen sich und dem Universum anstrebten. Aber die Sprache reichte nicht aus: Perspektive, Vision, Wissen, Weisheit – alle diese Wörter waren zu schwer oder zu leicht. Also erfanden Danny und seine Freunde einen Namen: Alto. Echtes Alto funktionierte in zwei Richtungen: Man sah, konnte aber auch gesehen werden, kannte und wurde gekannt. Beiderseitiges Erkennen. Als er dort auf der Burgmauer stand, empfand Danny Alto – dieses Wort war nach all den Jahren noch immer bei ihm, auch wenn die Freunde ihn verlassen hatten. Vermutlich waren sie erwachsen geworden.

Danny bedauerte, die Satellitenschüssel nicht mit auf die Mauer genommen zu haben. Es juckte ihm in den Fingern, einige Anrufe zu tätigen – es kam ihm vor wie ein Grundbedürfnis, wie der Drang zu lachen, zu niesen oder zu essen. Das lenkte ihn dermaßen ab, dass er wieder die Mauer hinunterrutschte und seinen Weg zurück durch dieselben aufdringlichen Bäume suchte, wobei sich Erde und Moos unter seine langen Fingernägel schoben. Aber als er das Tor wieder erreicht hatte, war sein Alto verflogen, und Danny spürte nur noch, wie müde er war. Er ließ die Satellitenschüssel in ihrem Behälter und suchte sich unter einem Baum eine flache Stelle, wo er sich hinlegen konnte. Er häufte Blätter an. Danny hatte schon einige Male unter freiem Himmel geschlafen, wenn die Lage in New York sich zugespitzt hatte, aber das war nie so gewesen wie jetzt. Er zog seine Samtjacke aus, drehte das Innere nach außen und faltete sie am Fuße des Baumes zu einem Kissen. Mit dem Gesicht nach oben legte er sich auf die Blätter und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Noch immer fielen Blätter von den Bäumen. Danny sah zu, wie sie durch die Luft trudelten, wie sie sich vor den halbkahlen Zweigen und den lila Wolken drehten, und er merkte, wie seine Augen sich in seinen Kopf zurückzogen. Er versuchte, einige Sätze zu ersinnen, die er Howie gegenüber verwenden könnte –

Zum Beispiel:

He, Mann, ist dein roter Teppich gerade in der Reinigung?

 

Oder: Du bezahlst mich dafür, dass ich hier bin, aber ich stelle mir vor, dass du deine Gäste nicht bezahlen willst.

 

Oder vielleicht: Du kannst mir glauben, Beleuchtung draußen würde deine Welt erschüttern!

– nur, um etwas zu sagen zu haben, wenn Schweigen einträte. Danny war nervös, jetzt, wo er seinen Cousin nach so langer Zeit wiedersehen würde. Er konnte sich den Howie, den er als Kind gekannt hatte, nicht als Erwachsenen vorstellen; Howie war damals unter diesem birnenförmigen Mädchenfett versteckt gewesen, das man an bestimmten Jungen sehen kann, dicke Rettungsringe quollen hinten über seine Jeans. Schweißfeuchte bleiche Haut und jede Menge dunkler Haare um sein Gesicht. Mit sieben oder acht hatten Danny und Howie ein Spiel erfunden, das sie immer spielten, wenn sie sich in den Ferien oder bei Familienpicknicks begegneten. Sie nannten es »Terminal Zeus«; es gab einen Helden (Zeus), und es gab Monster und Missionen und Flüchtlinge und Flugmaschinen und Schurken und Explosionen und jede Menge Verfolgungsjagden in hohem Tempo. Sie konnten überall spielen, in einer Garage, einem alten Kanu oder unter dem Esszimmertisch, und sie benutzten dabei alles, was sie fanden: Strohhalme, Federn, Pappteller, Bonbonpapiere, Bindfäden, Briefmarken, Kerzen, Heftklammern, was auch immer. Howie dachte sich das meiste aus. Er schloss die Augen, als liefe hinter seinen Augenlidern ein Film ab, den auch Danny sehen sollte: Okay, also, Zeus beschießt die Feinde mit Leuchtkugeln, damit ihre Haut aufleuchtet und er sie durch die Bäume sehen kann, und dann – peng! – fängt er sie mit Elektroschocklassos ein!

Manchmal ließ er auch Danny reden – Okay, erzähl du: Wie sieht der Unterwasser-Folterkeller aus? –, und Danny fing an, sich alles Mögliche auszudenken: Felsen, Seetang, Körbe voller menschlicher Augäpfel. Er lebte sich dermaßen in dieses Spiel ein, dass er vergaß, wer er war, und wenn seine Eltern sagten, Zeit zum Aufbruch, war der Schock darüber, von Howie weggerissen zu werden, so schlimm, dass Danny sich vor den Eltern auf den Boden warf und um noch eine halbe Stunde bettelte, bitte!, noch zwanzig Minuten, zehn, fünf, bitte, nur noch eine Minute, bittebittebitte? Verzweifelt versuchte er, nicht aus der Welt weggerissen zu werden, die er und Howie erschaffen hatten.

Die anderen Cousins und Cousinen fanden Howie ziemlich daneben, hielten ihn für einen Versager, außerdem war er adoptiert, und blieben deshalb auf Distanz: allen voran Rafe, der zwar nicht der älteste Cousin war, aber der, auf den alle hörten. Es ist so reizend von dir, dass du mit Howie spielst, sagte Dannys Mutter oft, soweit ich das sehe, hat er nicht viele Freunde. Aber Danny wollte nicht reizend sein. Ihm war es egal, was die anderen dachten, denn nichts machte so viel Spaß wie Terminal Zeus.

Als Teenager hatte Howie sich dann verändert – über Nacht, wie alle sagten. Er hatte ein traumatisches Erlebnis und war danach nicht mehr nett und freundlich, sondern launisch und ängstlich, zuckte dauernd mit dem Fuß und murmelte Texte von King Crimson vor sich hin. Er trug ein Notizbuch mit sich herum, das sogar an Thanksgiving auf seinem Schoß lag, unter einer Serviette, die die Soßentropfen auffangen sollte. Howie schrieb mit einem stumpfen schweißnassen Bleistift, sorgfältig sah er sich alle Familienmitglieder an und schien sich zu überlegen, wann und wie jedes von ihnen sterben sollte. Aber niemand hatte jemals besonders auf Howie geachtet. Und nach der Veränderung, dem traumatischen Erlebnis, stellte auch Danny sich ihm gegenüber gleichgültig.

Natürlich wurde über Howie geredet, wenn er nicht in der Nähe war, aber klar doch. Howies Probleme waren ein beliebtes Gesprächsthema in der Familie, und über das Kopfschütteln und das Ach, es ist ja so traurig hinaus war Freude zu hören, denn letztlich findet es jede Familie wunderbar, ein Mitglied zu haben, das dermaßen phantastisch verkorkst ist, dass fast alle anderen sich neben ihm wie Vorzeigebürger fühlen. Wenn Danny die Augen schloss und sich wirklich konzentrierte, konnte er noch immer einiges von dem längst vergangenen Gemurmel einfangen, wie einen rauschenden, weit entfernten Radiosender: Howie Probleme Drogen schon gehört dass er verhaftet worden ist was für ein unattraktiver Junge tut mir leid aber kann May ihn nicht auf Diät setzen als Teenager nein das reicht nicht ich habe Teenager du hast Teenager Norm ist schuld der wollte unbedingt adoptieren man weiß nie was man kriegt am Ende liegt alles an den Genen das lernen sie manche Menschen sind einfach schlecht oder nicht schlecht aber du weißt ja nicht richtig schlecht aber genau das ist es: Ärger.

Danny berührte es immer ein wenig seltsam, wenn er nach einem gewonnenen Spiel schmutzig nach Hause kam und seine Mutter am Telefon mit irgendeiner Tante über Howie sprechen hörte, während seine Freundin Sharon Shank, die die größten Titten der Cheerleaderbrigade oder vielleicht sogar der ganzen Schule hatte, nur darauf wartete, ihm auf seinem Zimmer einen zu blasen. Das machte sie immer, wenn er gewonnen hatte, und, Gott sei gedankt, er gewann oft. Hallo, Mom. Dieses blaulila Viereck aus Nachthimmel gleich vor dem Küchenfenster. Scheiße, es tat Danny weh, sich an das alles zu erinnern, an den Duft von Moms Thunfischauflauf. Er hörte diese Bemerkungen über Howie gern, denn sie erinnerten ihn daran, wer er war, Danny King, soeinguterjunge, das, was alle sagten und was sie immer sagten, aber trotzdem fand Danny es schön, es wieder zu hören, es wieder zu wissen. Er konnte es nicht oft genug hören.

Das war Erinnerung Nr. 1. Danny verlor sich sozusagen darin, als er dort unter dem Baum lag, aber schon ziemlich bald verkrampfte er sich dermaßen, dass er nicht mehr still liegen konnte. Er stand auf, wischte sich Zweige und Blätter von seiner Hose und war sauer, weil er diesen Erinnerungskram nicht ausstehen konnte. Rückwärts gehen, wie Danny das nannte, war überall und jederzeit eine Vergeudung wertvoller Ressourcen, aber an einem Ort, zu dessen Anreise er vierundzwanzig Stunden gebraucht hatte, war es scheißlächerlich.

Danny schüttelte seine Jacke aus, streifte sie wieder über und fing an zu gehen, rasch. Diesmal ohne zu hinken. Zuerst umschloss ihn nur der Wald, dann aber dünnten die Bäume aus, und der Hang unter seinen Füßen wurde steiler, bis Danny beim Klettern sein Bein krümmen musste, was spitzen Schmerz vom Knie zur Lende jagen ließ. Und dann verschwand der Hang, als ob jemand ihn mit einem Messer abgeschnitten hätte, er stand am Rande eines Abgrunds, und die Burgmauer ragte genau darüber auf, weshalb die Mauer und die Felskante eine einzige vertikale Linie bildeten, die gen Himmel zeigte. Danny schreckte zurück, bevor er doch über den Rand des Abgrundes schaute. Unter ihm, tief unten: Bäume, buschig und schwarz, und tief darin ein paar Lichter, die von dem Ort stammen mussten, in dem er auf seinen Bus gewartet hatte.

Alto: Er stand mitten in Scheißnirgendwo. Das war extrem, und Danny mochte Extreme. Sie lenkten ab.

Wenn ich du wäre, würde ich Geld auf die Seite legen, ehe ich Leute als Höhlenforscher anheuerte.

Danny kippte den Kopf in den Nacken. Wolken hatten die Sterne verdrängt. Auf dieser Seite der Burg kam die Mauer ihm höher vor. Sie schlängelte sich zur Hügelspitze hoch, und alle paar Meter klaffte eine enge Scharte. Er trat zurück und sah sich eine dieser Öffnungen an – senkrechte und horizontale Scharten, die sich überkreuzten –, in Hunderten von Jahren, seit diese Scharten gehauen worden waren, hatten Regen und Schnee und was auch immer sie ein wenig weiter geöffnet. Und wo schon gerade von Regen die Rede war, ein leichtes Nieseln setzte ein, das kaum mehr war als ein Nebel, aber Dannys Haare entwickelten, wenn sie nass wurden, prompt ein Eigenleben, und ohne seinen Föhn und ein bestimmtes Gel, das er im Samsonite verstaut hatte, konnte er das nicht in Ordnung bringen, und er wollte keinesfalls, dass Howie ihn mit diesen Haaren sah. Er wollte verdammt nochmal raus aus dem Regen. Also krallte er sich in ein paar Mauerreste und nutzte seine großen Füße und seine knochigen Finger, um sich zur Scharte hochzuziehen. Er bohrte den Kopf hinein, um zu sehen, ob die Öffnung groß genug war, und das war sie, es war nur ein wenig Raum übrig, gerade genug, um seine Schultern durchzulassen, seinen breitesten Teil, den er drehte, und dann rutschte er durch die Scharte, es war, wie einen Schlüssel im Schloss umzudrehen. Der Rest ging leicht. Ein durchschnittlicher männlicher Erwachsener hätte Schrumpfpillen gebraucht, um dieses Loch zu passieren, aber Danny hatte eine besondere Art von Körper: Er war groß, aber auch biegsam, anpassungsfähig, man konnte ihn aufrollen wie einen Kaugummistreifen, um ihn dann wieder abzurollen. Und das passierte jetzt: Er rollte sich auf einem feuchten Steinboden zu einem schweißnassen Haufen auseinander.

Er befand sich in einem uralten Kellerraum ohne irgendein Licht und mit einem Geruch, der Danny nicht gefiel: Es roch nach Höhle. Eine niedrige Decke schlug einige Male gegen seinen Kopf, so kam es ihm vor, und er versuchte, mit gekrümmten Knien zu gehen, aber das tat seinem verletzten Knie zu weh. Er blieb stehen und richtete sich langsam auf, horchte auf die Geräusche kleiner Wesen, die hin und her huschten, und für einen Moment krampfte sich sein Magen vor Furcht zusammen, als sollte ein Tuch ausgewrungen werden. Dann fiel es ihm ein: An seinem Schlüsselbund gab es eine Minitaschenlampe, Überrest seiner Clubtage – wenn er damit jemanden in die Augen leuchtete, wusste er, ob dieser Jemand E oder Heroin oder Special K eingeworfen hatte. Danny schaltete die Lampe ein und richtete den dünnen Strahl auf die Dunkelheit: Steinmauern, glitschiger Stein unter seinen Füßen. Bewegungen an den Mauern. Danny atmete rasch und flach und versuchte, seine Atemzüge zu beruhigen. Angst war gefährlich. Sie ließ den Wurm herein, noch so ein Wort, das Danny und seine Freunde vor vielen Jahren erfunden hatten, sie hatten Pot geraucht oder sich eine Linie Koks reingezogen und sich gefragt, wie man das benennen sollte, das einem passierte, wenn man das Vertrauen verlor und unecht, ängstlich, komisch wurde. Paranoia vielleicht? Geringes Selbstwertgefühl? Unsicherheit? Panik? Diese Wörter waren alle zu vage. Aber der Wurm, das Wort, für das sie sich schließlich entschieden, der Wurm war dreidimensional; er kroch irgendwo hinein und fing an zu nagen, bis alles zusammenbrach, ganze Leben, bis man einfach fertig war oder nach Hause zur Familie zurückkehrte oder in eine Anstalt eingewiesen wurde oder, im Fall einer Frau, die sie alle gekannt hatten, von der Manhattan Bridge sprang.

Noch mehr zurückgehen. Und das war keine Hilfe, es machte alles schlimmer.

Danny zog sein Mobiltelefon hervor und schnippte den Deckel zurück. Er hatte keine internationale Verbindung, aber das Display leuchtete doch auf, suchte, und allein schon dieser Anblick war für Danny beruhigend, als hätte das Telefon Kräfte – wie ein Kraftfeld-Stabilisator und Überrest von Terminal Zeus. In dieser Sekunde hatte er zwar zu niemandem Kontakt, aber ganz allgemein gesehen war der Kontakt doch so weit vorhanden, dass sein Vorhandensein Danny durch die ungedeckten Stellen auf U-Bahn-Strecken oder in besonderen tiefen Stockwerken trug, wo er wirklich niemanden erreichen konnte. Er hatte 305 sms-Kontakte gespeichert und eine Buddyliste von 180. Weshalb er für diese Reise eine Satellitenschüssel gemietet hatte – eine fürchterliche Schlepperei, ein Albtraum bei Flughafenkontrollen, aber eine Garantie dafür, dass er überall auf dem Planeten Erde nicht nur Telefonverbindung haben würde, sondern auch Zugang zum Internet. Das brauchte Danny. Sein Gehirn weigerte sich, sich in der Echokammer seines Kopfes einsperren zu lassen – es quoll hervor, es lief über und ergoss sich über die Welt, bis es tausend Menschen berührte, die nichts mit ihm zu tun hatten. Wenn sein Gehirn das nicht durfte, wenn Danny es in seinem Schädel einsperrte, dann baute sich dort ein quälender Druck auf.

Er ging wieder los, hielt in der einen Hand das Telefon und streckte die andere Hand in die Luft, um zu wissen, wann er den Kopf einziehen musste. Er kam sich vor wie in einem Kerker, nur wusste Danny aus irgendeinem Grund, dass Kerker in alten Burgen meistens im Turm untergebracht waren – vielleicht in dem hohen eckigen Dings, das er von der Mauer aus gesehen hatte, das mit dem roten Licht ganz oben: da war der Kerker. Dort, wo er sich befand, war wohl eher die Jauchegrube gewesen.

Wenn du mich fragst, dann könnte Mutter Erde sich mal den Mund ausspülen.

Aber das war nicht Dannys Spruch, sondern Howies. Danny steuerte jetzt Erinnerung Nr. 2 an, das sage ich euch wohl lieber gleich, denn wie ich ihn ziemlich glatt und problemlos bei diesen Erinnerungen aus- und eingehen lassen soll, so dass niemand das viele Kommen und Gehen bemerkt, weiß ich wirklich nicht. Rafe ging zuerst, mit der Taschenlampe, dann Howie. Danny als Letzter. Sie waren alle ziemlich aufgeregt, Howie, weil seine Cousins ihn dazu ausersehen hatten, sich vom Picknick wegzuschleichen, Danny, weil es auf der Welt kein aufregenderes Abenteuer gab, als bei einem Verbrechen Rafes Partner zu sein, und Rafe – also, das Schöne an Rafe war, dass man nie wusste, warum er etwas machte.

Wir können Howie doch die Höhle zeigen.

Das sagte Rafe leise, mit einem Seitenblick auf Danny, durch seine langen Wimpern. Und Danny machte mit, denn er wusste, es würde noch mehr kommen.

Howie stolperte durch die Dunkelheit. Er hatte ein Notizbuch unter seinen einen Ellbogen geklemmt. Sie hatten seit über einem Jahr nicht mehr Terminal Zeus gespielt. Das Spiel war wie durch schweigende Übereinkunft geendet – an einem Heiligen Abend, Danny ging Howie einfach aus dem Weg und zog mit seinen anderen Cousins ab. Howie machte einige Annäherungsversuche, wollte Dannys Blick einfangen, gab sich aber bald geschlagen.

Danny: Dieses Notizbuch bringt dich aus dem Gleichgewicht, Howie.

Howie: Ja, aber ich brauch es.

Wieso brauchst du es?

Falls mir eine Idee kommt.

Rafe drehte sich um und richtete die Taschenlampe auf Howies Gesicht. Howie schloss die Augen.

Rafe: Was redest du da, was denn für Ideen?

Howie: Für D&D. Ich bin der Dungeon Master.

Rafe ließ den Strahl weiterwandern. Mit wem spielst du?

Meinen Freunden.

Danny war leicht verblüfft, als er das hörte. Dungeon und Dragons. Er konnte sich sozusagen körperlich an Terminal Zeus erinnern, das Gefühl, sich in dem Spiel aufzulösen. Und jetzt musste er sich anhören, dass es gar nicht aufgehört hatte. Es war ohne ihn weitergegangen.

Rafe: Bist du sicher, dass du Freunde hast, Howie?

Bist du nicht mein Freund, Rafe? Und dann hatte Howie gelacht, und sie hatten eingestimmt. Er hatte einen Witz gemacht.

Rafe: Dieser Knabe kann wirklich witzig sein.

Weshalb Danny sich fragte, ob das genug sein könnte – dass sie sich in der mit Brettern zugenagelten Höhle befanden, die niemand betreten durfte. Ob Rafe sich damit zufriedengeben würde? Das wünschte Danny sich wirklich sehr.

Und so sah die Höhle aus. Zuerst ein großer runder Raum, in den ein wenig Tageslicht fällt, dann eine Öffnung, wo man den Kopf einziehen muss, um in einen anderen Raum zu gelangen, der dunkel ist, und dann kommt ein Loch, durch das man in Raum 3 kriecht, wo sich der Tümpel befindet. Danny hatte keine Ahnung, was hinter dem Tümpel kam.

Alle verstummten, als sie den Tümpel sahen: sahniges weißes Grün, das Rafes Taschenlampenstrahl einfing und sein Licht an den Wänden verteilte. Der Tümpel war vielleicht eins achtzig breit und klar und tief.

Howie: Scheiße, Jungs. Scheiße. Er schlug sein Notizbuch auf und schrieb etwas hinein.

Danny: Du hast einen Bleistift mitgebracht?

Howie hielt ihn hoch. Es war einer der kleinen grünen Stifte, die man im Country Club erhält, um einen Scheck zu unterschreiben. Howie sagte: Ich nehme eigentlich Kugelschreiber, aber die sind in meiner Hosentasche immer ausgelaufen.

Rafe lachte schallend, und Howie lachte auch, aber dann verstummte er, als sei es ihm nicht erlaubt, ebenso sehr zu lachen wie Rafe.

Danny: Was hast du geschrieben?

Howie sah ihn an: Warum?

Ich weiß nicht. Neugier.

Ich habe grüner Tümpel geschrieben.

Rafe: Das nennst du eine Idee?

Sie schwiegen alle. Danny spürte, wie sich in der Höhle ein Druck aufbaute, als ob jemand ihm eine Frage gestellt hätte und es nun zum Kotzen satthatte, auf die Antwort zu warten. Rafe. Sich nun aber zu fragen, warum Dannys älterer Cousin solche Macht über ihn hatte, wäre wie sich zu fragen, warum die Sonne scheint oder warum Gras wächst. Es gibt Menschen, die andere Menschen dazu bringen können, etwas zu tun, das ist alles. Manchmal ohne zu fragen. Manchmal sogar ohne zu wissen, was sie getan haben wollen.

Danny ging an den Rand des Tümpels. Howie, sagte er, da unten auf dem Boden liegt etwas Glänzendes. Siehst du das?

Howie kam zu ihm und schaute hinein. Nix.

Da, da unten.

Danny ging am Tümpelrand in die Hocke, und Howie tat es ihm nach, er wippte auf den Sohlen seiner großen Füße hin und her.

Danny legte die Hand auf den Rücken seines Cousins. Er spürte Howies Weichheit, wie warm er durch sein Hemd war. Vielleicht hatte Danny seinen Cousin noch nie angefaßt, vielleicht lag es nur daran, dass er gerade in diesem Moment wusste, dass Howie ein Mensch war, mit einem Gehirn und einem Herzen, allem, was Danny auch hatte. Howie presste sein Notizbuch an sich. Danny sah, wie die Blätter zitterten, und ihm ging auf, dass sein Cousin Angst hatte – Howie spürte, wie die Gefahr sich um ihn zusammenballte. Vielleicht hatte er es die ganze Zeit gewusst. Aber sein Gesicht zeigte totales Vertrauen, als er nun Danny ansah, als wisse er, dass Danny ihn beschützen würde. Als verstünden sie einander. Es geschah schneller, als es sich hier anhört: Howie sah Danny an, und Danny schloss die Augen und stieß ihn in den Tümpel. Aber sogar das ist zu langsam: Blick. Augen zu. Stoß.

Oder einfach: Stoß.

Dann war es nur noch Howies Körper, der aus dem Gleichgewicht geriet, fuchtelnde Arme und Beine, aber kein Geräusch, soweit Danny sich erinnern konnte, nicht einmal ein Platschen. Howie musste geschrien haben, aber Danny hatte keinen Schrei gehört, er hörte nur, wie er und Rafe durch das Loch krochen und dann die Beine in die Hand nahmen, er sah Rafes Taschenlampenstrahl, der über die Wände jagte, wie sie aus der Höhle stürzten und in eine Welle aus warmem Wind gerieten, wie sie zwei lange Hänge hinunterrannten und zum Picknick zurückkehrten (wo niemand sie vermisst hatte), und Danny spürte einen Ring um sich und Rafe, einen glühenden Ring, der sie aneinanderband. Sie sagten erst einige Stunden später etwas darüber, was sie getan hatten, als das Picknick zu Ende ging.

Danny: Scheiße. Wo zum Teufel steckt er?

Rafe: Könnte genau unter uns sein.

Danny schaute das Gras an. Wie meinst du das, unter uns?

Rafe grinste. Ich meine, wir wissen nicht, in welche Richtung er verschwunden ist.

Als alle zusammengepackt hatten und nach Howie Ausschau hielten, war etwas in Dannys Gehirn gekrochen und nagte dort ein Muster zurecht wie diese vielen Tunnel, wie alle die Wege, auf denen Howie tiefer in die Höhlen hineingewandert sein konnte, unter die Hügel. Alle waren gelassen: Howie war auf eigene Faust losgezogen, das schienen alle zu denken – er war fett, er war komisch, es gab keine Blutsbande, und niemand machte Danny irgendeinen Vorwurf. Aber seine Tante May sah verängstigter aus, als Danny das jemals bei irgendeiner Erwachsenen erlebt hatte, eine Hand an ihrer Kehle, als wüsste sie schon, dass sie ihren Jungen verloren hatte, ihr einziges Kind, und als er sah, wie weit die Dinge gekommen waren, hatte Danny noch größere Angst davor zu sagen, was er doch sagen musste, das wusste er – Wir haben ihn ausgetrickst, Rafe und ich, wir haben ihn in der Höhle verlassen –, denn diese Handvoll Wörter würde alles ändern; alle würden wissen, was er getan hatte, und Rafe würde wissen, dass er geplappert hatte, und bei dem, was danach kommen würde, versagte Dannys Gehirn. Also wartete er noch eine Sekunde, ehe er den Mund aufmachte, und dann noch eine und noch eine und noch eine, und jede Sekunde, die er wartete, schien sich etwas Scharfes tiefer und tiefer in Danny hineinzubohren. Dann war es dunkel. Sein Vater legte Danny die Hand auf den Kopf (soeinguterjunge) und sagte, es sind genug Leute unterwegs, die nach ihm suchen, Junge. Du hast morgen ein Spiel.

Auf der Fahrt nach Hause konnte Danny nicht warm werden. Er zog alte Decken über sich und nahm den Hund auf den Schoß, aber seine Zähne klapperten dermaßen, dass seine Schwester sich über den Lärm beklagte und seine Mom sagte, du kriegst offenbar eine Erkältung, Herzchen. Ich lass dir zu Hause gleich ein heißes Bad einlaufen.

 

Danny ging später einige Male allein zu den Höhlen. Er stieg die Hänge zu dem mit Brettern zugenagelten Eingang hoch, und im Rascheln des trockenen Grases hörte er die Stimme seines Cousins aus dem Boden heulen: nein und bitte und Hilfe. Und Danny dachte: Na gut, jetzt – jetzt!, und spürte, wie in ihm die Vorstellung aufstieg, endlich das zu sagen, was er die ganze Zeit in sich zurückgehalten hatte: Howie ist in den Höhlen, wir haben ihn in den Höhlen gelassen, Rafe und ich, und bei der bloßen Vorstellung überkam Danny eine dermaßen intensive Erleichterung, dass er sich einer Ohnmacht nahe fühlte und zugleich das Gefühl hatte, dass Himmel und Erde die Plätze tauschten und dass ein ganz anderes Leben sich eröffnete, licht und klar, eine Zukunft, von der er bis zu diesem Moment nicht begriffen hatte, dass er sie verloren hatte.

Aber es war zu spät. Für das alles war es viel zu spät. Sie hatten Howie drei Tage später in den Höhlen gefunden, nur halb bei Bewusstsein. Jeden Abend rechnete Danny damit, seinen Vater wütend an seine Schlafzimmertür klopfen zu hören, und er übte seine Entschuldigungen ein – Rafe war es und ich bin doch noch ein Kind –, bis sie in einer Endlosschleife abliefen – Rafe war es, ich bin doch noch ein Kind Rafewaresichbindochnocheinkind –, und die Schleife lief sogar, wenn Danny Hausaufgaben machte oder fernsah oder auf dem Klo saß, Rafewaresichbinnureinkind, bis alles in Dannys Leben zu dem Zeugen zu werden schien, den er brauchte, um zu beweisen, dass er noch immer er selbst war, noch immer Danny King, genau wie vorher: Seht her, ich hab ein Tor geschossen. Seht her, ich hänge mit meinen Freunden ab.Aber er war nicht zu hundert Prozent dort, er sah zu, er hoffte, dass alle überzeugt sein würden. Und das waren sie.

Und nach Monaten und Monaten dieses Vortäuschens fing Danny an, es zu glauben. Alle normalen Dinge, die ihm seit der Höhle passiert waren, bildeten eine Kruste über diesem Tag, und die Kruste wurde immer dicker, bis Danny fast vergessen hatte, was sich darunter verbarg.

Und als es Howie dann besserging, als er endlich ohne seine Mutter allein in einem Zimmer sein konnte, als er wieder ohne Licht schlafen konnte, hatte er sich verändert. Nach dem traumatischen Erlebnis war er nicht mehr reizend, er geriet an Drogen und kaufte sich schließlich eine Waffe und versuchte, einen 7-Eleven auszurauben, und wurde in ein Heim gesteckt.

Nachdem Rafe drei Jahre später ums Leben gekommen war (wobei er mit seinem Pick-up zwei Mädchen aus seiner Klasse am Michigan-College getötet hatte), hatten die Familienpicknicks ein Ende. Und als sie wieder anfingen, war Danny nicht mehr zu Hause.

Das war Erinnerung Nr. 2.

 

Aber jetzt zurück zu Danny, der mit erhobenem Arm und seinem eingeschalteten Mobiltelefon durch den Keller oder Kerker oder was immer das sein mochte, in Howies Burg stapfte. Er war einen weiten Weg gereist, um sich hier mit seinem Cousin zu treffen, und seine Gründe waren praktisch: Er brauchte Geld und hatte dringend aus New York verschwinden müssen. Aber Danny war auch neugierig. Denn im Laufe der Jahre hatten Nachrichten über Howie ihn über das blitzschnelle Nachrichtenübermittlungssystem erreicht, das auch »Familie« genannt wird:

Aktienmakler

Chicago

Wahnsinnsreichtum

Ehe, Kinder

mit vierunddreißig im Ruhestand

Und immer wenn so ein Stück Nachricht bei Danny eintraf, dachte er: Na also, es geht ihm gut. Alles bestens. Es geht ihm besser als gut!, und er empfand eine gewaltige Erleichterung, und gleich darauf musste er sich setzen, wo immer er war, und ins Leere starren. Denn etwas war nicht geschehen, das bei Danny eigentlich hätte geschehen müssen. Oder vielleicht waren die falschen Dinge geschehen, oder vielleicht waren zu viele kleine Dinge geschehen anstelle eines einzigen großen, oder vielleicht waren nicht genug kleine Dinge geschehen, die sich zu einem einzigen Großen hätten zusammenfügen lassen.

Bildunterschrift: Danny wusste nicht, warum er den ganzen Weg bis zu Howies Burg gekommen war. Warum habe ich einen Schreibkurs gemacht? Ich dachte, ich würde damit meinem Zimmergenossen, Davis, entkommen, aber jetzt glaube ich langsam, dass sich dahinter noch ein anderer Grund versteckte.

Du? Wer zum Teufel bist du? Das muss jetzt doch irgendjemand fragen. Na, ich bin hier der Erzähler. Irgendwer erzählt immer, nur weißt du ganz oft nicht, wer das ist oder aus welchem Grund er erzählt. Das hat mir meine Lehrerin erzählt, Holly.

Ich hatte den Kurs mit einer miesen Einstellung angefangen. Zur zweiten Stunde hatte ich eine Geschichte geschrieben, in der ein Typ seine Schreiblehrerin in einer Besenkammer fickt, bis die Tür aufgeht und alle Besen und Mopps und Eimer hinausfliegen und ihre nackten Hintern im Licht aufleuchten und beide Ärger kriegen. Es wurde viel gelacht, als ich das vorlas, aber als ich fertig war, wurde es ganz still.

Na gut, sagt Holly. Kommentare?

Niemand hat einen Kommentar.

Also los, Leute. Es ist unsere Aufgabe, Ray zu helfen, so gute Arbeit zu leisten wie überhaupt nur möglich. Und ich habe so das Gefühl, dass das hier nicht der Fall ist.

Noch immer Schweigen. Endlich sage ich: Sollte doch nur ein Witz sein.

Es lacht aber niemand, sagt sie.

Haben sie aber, sage ich. Sie haben gelacht.

Bist du das, Ray? Ein Witz?

Ich denke: Scheiße, was denn jetzt? Sie sieht mich an, aber ich bringe es nicht über mich, sie anzusehen.

Sie sagt: Ich wette, dass es genug Leute gibt, die mir sagen würden: Ja, Ray ist ein Witz. Die mir sagen würden, dass du Müll bist. Hab ich recht?

Jetzt wird gemurmelt: Au und Scheiße und Na, was sagst du jetzt, Ray-man, und ich weiß, sie finden, ich müsste mich jetzt angepisst fühlen, und ich weiß, ich bin eigentlich angepisst worden, und ich fühle mich angepisst, aber das ist nicht alles. Da ist noch was.

Da ist die Tür, teilt sie mir mit und zeigt darauf. Warum gehst du nicht einfach?

Ich bewege mich nicht. Ich könnte aus der Tür gehen, aber dann würde ich auf dem Gang stehen und warten müssen.

Was ist mit diesem Tor da? Sie zeigt jetzt aus dem Fenster. Das Tor wird nachts angestrahlt, Stacheldraht ist oben aufgerollt, dazu der Turm mit dem Scharfschützen. Oder was ist mit euren Zellentüren?, fragt sie. Oder den Blocktoren? Oder den Türen zu den Duschen? Oder den Türen zum Esssaal oder den Toren zu den Sprechzimmern? Wie oft fasst ihr eine Türklinke an, meine Herren? Das möchte ich ja mal wissen.

Auf den ersten Blick hatte ich Holly angesehen, dass sie noch nie in einem Gefängnis gewesen war. Es war nicht ihr Aussehen – sie ist kein Kind mehr, und man kann sehen, dass sie es nicht leicht gehabt hat. Aber Leute, die in Gefängnissen unterrichten, haben eine harte Schale, und die fehlt bei Holly. Ich kann hören, wie nervös sie ist, sie scheint jedes Wort in dieser Rede über die Türen geplant zu haben. Aber das Verrückte ist, sie hat recht. Als ich zuletzt draußen war, habe ich immer vor Türen darauf gewartet, dass sie aufgingen. Man vergisst, wie es ist, sie selbst aufzumachen.

Sie sagt, meine Aufgabe ist es, euch eine Tür zu zeigen, die ihr öffnen könnt. Und sie tippt sich an den Kopf. Diese Tür führt euch, wohin immer ihr wollt, sagt sie. Das ist meine Aufgabe, und wenn dich das nicht interessiert, dann verschone uns bitte alle, denn der Kurs wird nur für zehn Teilnehmer bezahlt, und wir treffen uns nur einmal die Woche, und ich werde unser aller Zeit nicht mit scheißblöden Machtkämpfen vergeuden.

Sie kommt zu meinem Tisch und schaut auf mich herab. Ich schaue hoch. Ich möchte sagen, ich hab in meinem Leben schon allerlei kitschige Motivierungssprüche gehört, aber der hier ist einfach Quark. Eine Tür in unseren Köpfen, also echt. Aber während sie das gesagt hat, ist in meiner Brust irgendwas geplatzt.

Du kannst draußen warten, sagt sie. Es sind nur noch zehn Minuten.

Ich glaube, ich bleibe.

Wir tauschen einen Blick. Gut, sagt sie.

 

Als Danny dann endlich unten in der Burg ein Licht entdeckte und ihm aufging, dass es sich um eine Tür handelte, wo das Licht durch den Rahmen sickerte, als sein Herz in seiner Brust einen Sprung machte und er zu der Tür ging und sie anstieß und sie sich zu einer Wendeltreppe öffnete, wo Licht brannte, weiß ich, wie ihm zumute war. Nicht weil ich Danny bin oder er ich ist oder irgend so ein Scheiß – das ist alles Kram, den mir ein Typ erzählt hat. Ich weiß es, weil etwas mit mir passiert ist, nachdem Holly die Tür in unseren Köpfen erwähnt hatte. Die Tür war nicht wirklich, es war keine echte Tür, es war einfach Bildersprache. Will heißen, es war ein Wort. Ein Klang. Tür. Aber ich machte sie auf und ging hinaus.

2. Kapitel

Es bestand eine Verbindung zwischen diesem neuen Howie und dem, an den Danny sich als Kind erinnern konnte, aber es war eine entfernte Verbindung. Zum einen war dieser neue Typ blond. War es möglich, dass Haare zuerst braun waren und dann blond wurden? Von blond zu braun, damit kannte Danny sich aus – die Hälfte aller Mädchen, mit denen er geschlafen hatte, hatte behauptet, sie seien früher total blond gewesen, du hast ja keine Ahnung, wie blond ich als kleines Mädchen war, und deshalb gaben sie ihr halbes Gehalt für Tönungen aus, um den ihnen zustehenden und ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Aber braun zu blond? Das hatte Danny noch nie gehört. Die auf der Hand liegende Antwort war, dass Howie sich die Haare bleichte, aber sie sahen nicht gebleicht aus, und dieser neue Howie (nur war er nicht mehr Howie, er war Howard, das hatte er Danny an diesem Morgen als Erstes gesagt, noch ehe er ihn in eine Bärenumarmung geschlossen hatte) sah nicht aus wie ein Typ, der sich die Haare bleicht.

Der neue Howie war fit. Hatte sogar etwas von einem Bodybuilder. Rettungsringe, Fohlenspeck – alles weg. Fettabsaugen? Training? Der Zahn der Zeit? Schwer zu sagen. Zu allem Überfluss war er auch noch braun. Und das haute Danny wirklich um, denn der alte Howie war weiß gewesen, auf eine Weise, die tiefer saß als nur fehlende Sonne. Er hatte ausgesehen wie einer, den die Sonne nicht berühren mochte. Aber jetzt? Braunes Gesicht, braune Arme, braune Beine (er trug Khakishorts), braune Hände sogar, bewachsen mit blonden Härchen, die mussten also echt sein, oder? Wer würde sich denn die Haare auf den Händen bleichen, zum Teufel?

Die größte Veränderung war nicht körperlich: Howard hatte Macht. Und Macht war etwas, mit dem Danny sich auskannte – das gehörte zu den Fähigkeiten, die er in New York entwickelt hatte, nach Jahren von Studium und Training und Praxis, Fähigkeiten, die zusammengenommen ein so spezielles Ergebnis zeitigten, dass es mit unsichtbarer Tinte geschrieben wurde, so dass sein Vater (zum Beispiel) hinsah und nur ein leeres Blatt Papier entdeckte. Danny konnte ein Zimmer betreten und wissen, wer hier Macht hatte, so wie andere Leute der Luft anfühlen können, dass es schneien wird. Wenn der Mensch mit der Macht nicht im Zimmer war, wusste Danny das auch, und wenn dieser Mensch erschien, konnte Danny ihn (oder sie) normalerweise erkennen, ehe dieser Mensch den Mund aufmachte – manchmal, ehe er die Türschwelle überquert hatte. Das ergab sich aus den anderen im Raum, aus ihren Reaktionen. Und hier sind die Leute, die zusammen mit Howard im Zimmer waren.

Ann, seine Frau. Glänzende braune Haare in Pagenschnitt, dreieckiges Gesicht, große graue Augen. Sie war hübsch, aber nicht auf die Art, wie Danny es von der Frau eines Aktienmaklers erwartet hätte. Sie war nicht geschminkt, und ihre Jeans und ihr brauner Pullover waren alles andere als sexy. Sie lag auf dem Rücken auf dem grauen Steinboden und ließ ein Baby in rosa Strampelanzug (woraus Danny auf ein Mädchen schloss) auf ihrem Bauch Schritte versuchen.

 

Arbeiter. Sie waren jung, sie trugen Schutzmasken, sie waren mit irgendetwas beschäftigt, irgendwo, und zwischendurch drängten sie durch mehrere Schwingtüren in die Küche. Manchmal hatten sie Werkzeug bei sich. Howard erklärte Danny, das seien Magisterstudierende von der Universität Illinois und außerdem einige von Cornells Hotelschule. Howards Renovierung war ihr Sommerprojekt – mit anderen Worten, sie sammelten hier Studienpunkte. Aber Danny hatte eher das Gefühl, dass sie hier Tischlerei lernten.

 

Mick, Howards »alter Freund«. Danny war diesem Dussel in der Nacht schon begegnet – er war endlich aufgetaucht, nachdem Danny Gott weiß wie lange in jenem runden Treppenhaus, wo keine Tür eine Klinke aufwies, halloho gebrüllt hatte. Mick strahlte etwas Bedrohliches aus. Er hatte einen drahtigen Körper, stark, aber fast schon ausgezehrt, einfach nackte aneinandergelötete Muskeln. Mick lächelte in der ganzen Zeit, in der er Danny auf sein Zimmer führte, kein einziges Mal, und als er die Arme hob, um einen Samtvorhang vor einem riesigen antiken Bett zurückzuziehen, sah Danny die vielen alten Einstichnarben auf seinen Armen (die waren jetzt versteckt, Mick trug ein Hemd mit langen Ärmeln). Mick war Howards Nr. 2. Danny hatte das sofort gewusst, sowie er sich mit beiden in einem Zimmer befunden hatte. Mächtige Leute hatten entweder eine Nr. 2 oder brauchten eine oder beides – will sagen, sie brauchten eine andere als die, die sie hatten.

Das waren alle im Raum.

Nur ist der Raum noch immer eine leere Stelle. Diese Leute hielten sich in einer großen mittelalterlichen Küche auf. Dort gab es einen mannshohen Kamin, in dem ein Kessel von Badewannengröße an einem Haken hing. Es gab einen Wandteppich, auf dem ein König ein Tier erlegte, unter dem sich damals wohl jemand einen Löwen vorgestellt hatte. Es gab mehrere lange Holztische mit Bänken, auf denen einige der Studenten saßen, ihre Schutzmasken abnahmen und es sich gemütlich machten. Es gab einen hochmodernen deutschen Herd, an dem Howard gerade eine Riesenpfanne Rührei zubereitete.

Ein Windstoß kam durch die vier kleinen Fenster mit aus vielen Karos zusammengesetzten Scheiben. Danny schob eins weiter auf, lehnte sich hinaus, und der Duft von Blumen kam von tief unten zu ihm hoch, wo das Schwarze, das er in der vergangenen Nacht von der Mauer her gesehen hatte, in ein so dichtes Grün verwandelt war, dass er den Boden darunter nicht sehen konnte. Etwas über dreißig Meter weiter erhob sich aus diesem Grün der Turm, den Danny in der vergangenen Nacht schon entdeckt hatte. Er war eckig und gerade und auf seltsame Weise majestätisch.

Howard erzählte Danny, wie er die Burg von einer deutschen Hotelkette gekauft hatte.

Howard: Sie haben etwa ein Drittel renoviert, oder nicht einmal das, nur zwei Stock mit Zimmern im Südflügel – da schlafen wir jetzt alle –, dann diese Küche, die große Halle und zwei Treppenhäuser in den Türmen. Danach ging ihnen das Geld aus, und einige Jahre ging die Arbeit nur phasenweise weiter, und als sie dann endgültig pleite waren, haben sie uns das Grundstück angedient.

Ann (vom Boden her): Für weniger als zwei Drittel von dem, was sie bezahlt hatten, plus allem, was sie schon reingesteckt hatten.

Howard: Das war ein Deal, den wir nicht ablehnen konnten. Aber das bedeutete, dass wir Anns Lieblingsburg aufgeben mussten. In Bulgarien.

Ann: Himmel, die war so schön!

Sie machten Konversation, waren nett zu ihrem Gast, erzählten von sich, wie man das bei der ersten Begegnung eben so tut. Und normalerweise hatte Danny keine Probleme mit anderen Menschen. Auch das gehörte zu seinen unsichtbaren Fähigkeiten: Er hatte ein Radarsystem dafür, wie die Menschen angesprochen werden wollten, und er konnte von der Art des einen auf die Art des anderen überwechseln, ohne nachzudenken. Aber gerade jetzt war Dannys Radar flach, er war nicht auf der richtigen Wellenlänge, oder vielleicht musste er sich einfach neu einstellen und an diesem neuen Ort neu programmieren, wie seine Satellitenschüssel. Bildunterschrift: Danny fühlte sich in Howards Nähe nicht wohl in seiner Haut. Aber nicht wohl in seiner Haut klingt zu milde, und was Danny empfand, war nicht mild, es war miserabel. Er konnte diese Misere nicht in Worte fassen. Er konnte nicht einmal die Symptome benennen, mit einer Ausnahme: Er wollte weg von hier. Sofort.

Das überraschte Danny sehr. Er hatte so oft mit Howard telefoniert und gemailt, um diesen Burgjob zu organisieren, und alles war wunderbar gewesen. Aber wirklich vor dem Mann zu stehen war etwas ganz anderes. Etwas in Danny war erstarrt, sowie Howard am Morgen den Raum betreten hatte.

Howard: O Mann, nun sieh dich an!

Danny: Sieh du dich an!

Howard: Ich weiß nicht, ob ich dich erkannt hätte, Kumpel. Ebenfalls.

Gott, ist das lange her. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie lange.

Danny: Erschreckend lange.

Howard: Ich will nicht mal wissen, wie lange – dann komm ich mir so alt vor.

Danny: Dann lassen wir das einfach auf sich beruhen.

Und diese ganze Zeit wurde in Dannys Gehirn ein einziger Satz gebrüllt: Was zum Teufel mach ich eigentlich hier?

Er wusste nicht so recht, wo er sich in Howards mittelalterlicher Küche hinstellen sollte, und deshalb blieb er beim Fenster. Auf seinen Armen fühlte er ein Prickeln, das ihm Hoffnung schenkte. Das war noch eine unsichtbare Fähigkeit (das gibt eine lange Zusammenfassung): Danny konnte auf der Oberfläche seiner Haut spüren, ob ein WLAN-Zugang vorlag. Er spürte das vor allem im Bizeps und im Nacken. Dieses Talent hatte Danny in New York schon gewaltigen Nutzen gebracht, wo er den ganzen Tag E-Mails lesen konnte, ohne dafür zu bezahlen. Und an diesem Morgen war er in seinem riesigen mittelalterlichen Bett aufgewacht und hatte sofort dieses Gefühl gehabt, es war wie eine Gänsehaut oder ein eingeschlafenes Bein. Aber dann musste er feststellen, dass er sich geirrt hatte: Als er seinen Laptop öffnete, gab es keinen Zugang, nicht mal ein Flickern. Und im Zimmer fand er keinen Telefonanschluss. Als Erstes wollte er nach dem Frühstück seine Satellitenschüssel aufstellen – oben auf dem Turm, wenn das möglich wäre.

Neben dem Fenster stand ein Teleskop; Danny drehte es zurecht und schaute hindurch. Der zerfurchte Sandstein des Turms tauchte auf und schien nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt zu sein. Die Ecken sahen aus wie angeknabbert. Die Fenster waren klein und spitz, Danny richtete das Teleskop auf das obere Fenster und suchte nach dem roten Licht, das er nachts gesehen hatte, doch wenn es noch brennen sollte, konnte er es nicht sehen.

Danny: Was ist das da für ein Turm?

Howard hatte das nicht gehört, im Gegensatz zu seinem alten Freund – Mick, der an einem der langen Tische Wasser in Gläser goss. Er kam ans Fenster und schaute hinaus.

Mick: Das ist der Bergfried.

Danny: War das mal ein Kerker?

Diese Frage entlockte Mick das erste Lächeln, das Danny bisher gesehen hatte. Es öffnete sein düsteres Gesicht und ließ ihn gut aussehen, trotz der Jahre des Drogenmissbrauchs.