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Nach dem Vorbild von Walter Kempowskis 'Chronik deutschen Bürgertums' schreibt Franziska ihr ganzes Leben auf. Säuberlich in Monate verpackt, in welchen alles gesammelt wurde, was für die Leserschaft, aber auch die Rückblicksphase von erhöhtem Interesse sein dürfe. So ergibt sich ein Wimmelbild, ein Journal oder auch eine Doku. Der Leser ist eingeladen, die Geigerin und Chronistin einen ganzen Monat lang zu begleiten, und an ihren Gedanken und Erlebnissen zu nippen. Begegnungen, Kriminalfälle, Familienleben, Gedanken.
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Seitenzahl: 195
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Meinem lieben Onkel Dölein gewidmet!
Franziska (Kika) mit ihrer Violine – fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute aus Rottweil
„Wenn ich dereinst verstorben bin, so schweigt auch meine Violine!“ so denkt sie.
Und drum bringt Franziska alle vier Wochen ein schlankes Taschenbuch heraus:
Erzählt werden Geschichten aus ihrem Leben, die von erhöhtem Interesse sein dürften.
Jeden vierten Dienstags um 18.05 wird das fertige Manuskript in die Umlaufbahn entsandt.
Alle Vorkömmlinge finden sich am Schluß des Buches im Personenverzeichnis
Hier aber meine Lieben vorneweg:
Buz (Wolfram), mein Papa (*1938)
Rehlein (Erika), meine Mutter (*1939)
Ming (Iwan), mein Bruder (*1964)
Julchen, seine Lebensgefährtin (*1983)
Pröppilein (Yaralein), kleines Töchterlein von
Julchen und Ming (*2012)
(Fast alle wurden eines Tages umbenannt wie man sieht.
Rehlein gar nach der Berta in der „Lindenstraße“, die von ihrem Hajo ebenfalls „Rehlein“ genannt wurde, und ein ähnliches Schicksal hatte wie unser Rehlein: Einen Mann, der ständig seine saublöden Spezis mit nach Hause brachte.)
Zum Hintergrund der Geschehnisse empfiehlt sich ein Blick auf diesen Link:
Einfach nur - familie könig vs werner bonhoff – in die Suchmaschine eingeben
November 2014
Sonntag, 1. November 2014: Lauterbach/Schwarzwald
Sonntag, 2. November: Lauterberg
Montag, 3. November: Lauterbach – Stuttgart
Dienstag, 4. November: Stuttgart – Rottweil
Mittwoch, 5. November: Rottweil
Donnerstag, 6. November: Rottweil – Lauterbach – Karlsruhe
Freitag, 7. November: Karlsruhe
Samstag, 8. November: Karlsruhe
Sonntag, 9. November: Karlsruhe
Montag, 10. November: Karlsruhe
Dienstag, 11. November: Karlsruhe – Grebenstein
Mittwoch, 12. November: Grebenstein
Donnerstag, 13. November 2014: Grebenstein
Freitag, 14. November: Grebenstein
Samstag, 15. November: Grebenstein
Sonntag, 16. November: Grebenstein – Nürnberg (Gasthof „zum Lamm“)
Montag, 17. November: Nürnberg (Gasthof „zum Lamm“) – Grebenstein
Dienstag, 18. November: Grebenstein
Donnerstag, 20. November: Aurich
Freitag, 21. November: Aurich
Samstag, 22. November: Aurich - Grebenstein
Sonntag, 23. November: Grebenstein
Montag, 24. November: Grebenstein
Dienstag, 25. November: Grebenstein
Mittwoch, 26. November: Grebenstein
Freitag, 28. November: Grebenstein
Samstag, 29. November: Grebenstein – Oberbalbach
Sonntag, 30. November: Oberbalbach
Personenregister
Lauterbach/Schwarzwald
Ein wunderschöner, warmer Tag. Dem goldenen Oktober war es geglückt, sich in den November hinein zu retten
Vorwissen:
Im Rahmen meiner Reisen nächtigte ich bei meiner Freundin Katharina auf dem Sofa.
Katharinas Hausfreund Karsten befand sich (noch) in der Psychiatrischen, stand jedoch kurz vor der Entlassung, und ihr 13-jähriger, schwer erziehbarer Sohn Marius wiederum stak in der Konfirmandenfreizeit fest.
Am Nachmittag wollte sich die Katharina mit einem fremden Herrn namens Alexander treffen, der in der Zeitung ein Inserat aufgegeben hatte, und eine Frau suchte.
Bettschwer und von wohliger Schlafenssüße umfasst, sinnierte ich meinen Träumen hinterher:
Ich war ins Gefängnis von Celle eingeliefert worden, und das Ambiente möge man sich folgendermaßen vorstellen:
Die Wand in schmuddeligem Hochglanz-Industrieweiß derart lieblos gestrichen, daß die Farbe an vielen Stellen aufgeplatzt und abgebröckelt war. Ein schäbiger giftgelber Linoleumboden, der bei jedem Schritt unschön quietschte, ebenso wie die Türen und die verrosteten Schlösser, die bei jedem Auf- und absperren schrill und markerschütternd aufjaulten.
Überraschenderweise mußte ich mir die Zelle mit zwei Herren teilen. Doch die waren gottlob soweit ganz nett, und schienen sich über die Gesellschaft einer Dame zu freuen.
Ich dachte positiv, und stellte mir nun vor, daß man sicherlich ganz gut acht Jahre lang mit denen irgendwie klarkommen könne, wenn man nur wolle!
Mir fiel auch immer irgendetwas Neues ein, was man – entblößt von all seinem Besitz - wohl doch noch mit dem Leben anfangen könne. Z.B. „versuchen, ein Vorbild zu sein!“ Doch von den aufgebrummten acht Jahren war noch nicht einmal ein halber Tag um.
Weswegen ich die aufgebrummt bekommen hatte, wußte ich gar nicht, und im Traum schien´s mir auch nicht weiter von Interesse. „Man wird doch wohl nicht alles wissen müssen?“←(dies dachte ich soeben, als der Wecker tönte.)
Dann dachte ich wieder über die frisch gebackene Witwe Frau Reimer nach.
Das Bestreben, mich rasch und tief mit ihr zu befreunden sinkt wie eine Sonne, weil ich verabsäumt hatte, diese Chance zu ergreifen. Man läßt die Chance sinken und versinken, weil man – grad so, wie andere den Arsch nicht hochbekommen – die Hände nicht hochbekommt.
Kein Brief scheint einem klug genug, und ein Zerdenkungsprozess hat begonnen.
Auch die Katharina war mittlerweile erwacht, und trat verschlafen ihren Tagesumlauf an.
Irgendjemand habe um 0:22 bei ihr angerufen, wie ein Blick auf das Smartphon verraten hatte, so jedoch keine Botschaft hinterlassen, und in der Katharina zog ein ungutes Gefühl auf, zumal ihr die wachrüttelnden Worte der Chordame Agnes noch in den Ohren tönten: „Dem wirsch Du doch hoffentlich koi Adresse gegeben haben?!?“
Daß sie sich einfach einen wildfremden Herrn, der in der Zeitung eine schlichte Anzeige aufgegeben hat, in die Wohnung bestelle!
„Ich will Dir ja koi Angscht einjagö!“ hatte die Agnes, die bereits in jungen Jahren Oma wurde, zwiefach ausgerufen, doch genau die hatte sie der Katharina nun eingejagt.
Beim Telefonieren ist die Katharina immer schnell dabei. Jetzt z.B. rief sie in der Psychiatrischen an, um zu eruieren, ob es womöglich der Karsten war, der da mitten in der Nacht angerufen habe?
„Da müsset Sie das Patiententelefon orufö!“ hörte man eine sterile Herrenstimme durch den Hörer sagen.
„Dös wollt i eigentlich! I hän denkt, dös wär´s!“
Dieser „Herr Klug“, der sich gerne als Fachkraft aufplustert, sei ja selber ein Insasse, erfuhr ich später. Er meldet sich, und genießt es, für einen Bediensteten gehalten zu werden, der es sich erlauben darf, leicht von oben herab zu agieren.
Die Katharina sprach dann aber doch noch mit dem Karsten, doch der Karsten stak ganz sicher nicht hinter dem nächtlichen Anruf, und klang hinzu völlig normal.
In einigen Tagen wird er nach langer Zeit aus der Gesundheitshaft entlassen, und muß sich wieder im Alltag orientieren. Einen Führerschein hat er nicht mehr. Doch ob ihn die Katharina nun überall hinfährt, wie er sich dies so denkt??
Dann rief die Katharina auch noch den Antonio an, und wollte wissen, ob er wohl hinter dem mysteriösen nächtlichen Anruf stak?
Der Antonio am Ende der Leitung hörte sich verwundert und siegessicher an: [Die Kleine scheint nicht von mir loszukommen]: „Wieso sollte ich Dich anrufen?“
In derart geschliffenem Deutsch sagte er es jedoch nicht. Es klang eher so:
„Warum ich di in die Nacht anrufe???!?! Ääääää???“ Nein, der Antonio war´s wohl auch nicht, und bald hätte die Katharina auch noch den Pfarrer Wachlin angerufen – ob vielleicht etwas mit dem Marius sei? Nein. Den Marius vermisse sie immer noch nicht.
Dann wiederum rief ich die Sabine an, und in der Sekunde, in der sie sich meldete, heulte der Staubsauger auf, und schien auch Sabines fragendes „Hallo“ gleich mit eingesaugt zu haben.
Es ging um unsere Probe zur Mittagsstund.
Katharina und ich begaben uns auf einen kleinen Vormittagsspaziergang.
In einer etwas fernen Ausstrahlung lief die Katharina neben mir her, und schien nicht so ganz in Form. Zu viele bedrückende Gedanken bepickten und marterten sie.
Ich erzählte von meinen Onk- und Tanteln, doch die Katharina war nicht so ganz dabei. Sie hatte das Gefühl, vielleicht Bluthochdruck bekommen zu haben, weswegen sie heut um ein Uhr ihr Bluthochdrucksmessgerät beim Antonio abholen wollte, das der Antonio ausgeliehen und nie zurückgebracht hatte.
Als wir an den schönen Apfelbäumen vorbeiliefen, erzählte sie mir, daß sie ein wenig Bammel davor verspüre, sie könne sich verlieben, der Alexander jedoch nicht, weil sie ihm zu dick sei. Doch der Psychiater, den sie zuvor angerufen hatte, hatte wiederum geraten, es ein wenig nüchterner zu sehen: Es sei ein kleines Glücksroulette, dem sie sich da aussetze ++, - - . + - , - + mehr Möglichkeiten gäbe es nicht.
„Die Chance, daß sich beide verlieben, liegt somit bei sagenhaften 25%!“ jubilierte ich den Worten des Gelehrten in Friesenlogik hinterher.
Mittags in Schramberg:
Die Sabine rief: „Tür isch offö! Du glaubsch, Dein Klingeln hört man besser als Dein Singen! Hahaha!“ Dies rief die Sabine weil ich, wie meist, und grad so wie mein Onkel Hartmut, ein frohes Lied auf den Lippen trug.
Die an für sich verhärmt wirkende Sabine mit ihrem unschönen Ausschlag im Gesicht (einer Allergie), lacht zuweilen vergnügt und belustigt auf, so daß die Verhärmung kurz zur Seite gefegt wird. Jetzt hatte sie soeben Kaffee gekocht, und wer mich kennt weiß, daß ich zu einem Kaffee noch niemals nein gesagt habe.
Am heutigen Feiertag war die ganze Familie endlich mal komplett beisammen. Ihr Sohn Marco sei oben auf seinem Zimmer, und ihr Mann Andreas schwätze mit der Nachbarin.
Ich ließ mich am Tische nieder, und trug eine Frage von der Katharina weiter: Daß die Katharina gerne wüßte, was die Sabine wohl von ihr hielte?
Zu dieser Frage versank die Sabine in ein dumpfes Grübeln und meinte schließlich, sie habe sich etwas geärgert, und dies müsse sie ehrlich sagen! Nämlich darüber, daß die Katharina mich neulich im März in der Konzertpause so unschön angegangen sei.
Die Katharina sei so bös mit mir gewesen, weil sie das Gefühl gehabt hat, ich hätte sie bei meiner Schwabenlandreise überhaupt nicht eingeplant. Grad so, als sei es mir gar kein Herzensbedürfnis gewesen, Zeit mit ihr zu verbringen! erklärte ich.
Und den Zeitpunkt, so fuhr die Sabine fort, den fand sie voll daneben. Ich aber meinte, dies habe mir nichts ausgemacht, und dann erzählte die Sabine noch, daß sie Katharinas Händchen für die Männer „net so gut fänd´“.
Der Italiener jedoch gefiele ihr, weil er die Frauen so formvollendet behandelt.
„Haha!“ möchte hier der Eingeweihte nur ausrufen.
Doch dann beendeten wir dies Thema, und sprachen über die vielen Telefonzellen, die nun zu kleinen Büchereien umfunktioniert worden sind, da heutzutage doch wohl ein jeder sein eigenes Händi besäße?
Lachend meinte ich, daß das von der Sabine so beschwärmte Buch von Charles Rosen „Der klassische Stil“, das auf dem Tische lag, dort wohl ein Telefonzellenhüter würde?
Doch die Sabine hat es gelesen, etwas daraus gelernt, und es habe ihr auch etwas bedeutet.
Der Klavierunterricht bei Paul Dan* sei etwas oberflächlich, so doch sehr emotional gewesen.
*Unser rumänischer Nachbar in Japan – ein Konzertpianist mit Krönchen, der es später zum Professor gebracht hat. Damals ein enger Spezi Buzens
Der Paul sagte Dinge wie: „Jetzt spielen Sie erstmal – und dann können Sie immer noch interpretieren!“
„Ganz anders der Frosch!“
Hört man den Satz: „Ganz anders der Frosch!“ so denkt man zunächst an einen Frosch, und meine Gedanken streiften kurz unseren Froschwaschlappen in Aurich, - den kleinen grünen Frosch, der so rührend schuldbewusst schauen kann.
Doch hinter dem Namen „Frosch“ verbarg sich in diesem Falle ein feiner Herr namens Frosch, den auch ich einmal kennenlernen durfte. Es handelte sich dabei um den Vorgänger von Herrn Reimer im Rektoramt.
Und auch ich konnte mit einer alten herbeibeschworenen Erinnerung aufwarten.
Man traf sich in Tübingen im Vorübergehen, und der ehemalige Direktor lüftete den Hut.
„Ich habe den Frosch geliebt!“ sagte die Sabine in einer jähen Gefühlsaufwallung.
Zu seinem 80. Geburtstag habe sie ihn noch besucht. Später jedoch wiegelte er weitere Besuche ab. U.a. auch deshalb, weil die Sabine unter Verdacht stand, auf ihn als Mann spitz zu sein. Dies hat die hochsensible Sabine so sehr getroffen, daß sie der Witwe nach dem Ableben des Angebeteten einen langen Brief geschrieben hat. Dann war alles OK, und gestern habe die Sabine die Wittib sogar angerufen um ein herzliches Gespräch zu führen, worüber Selbige sich sehr gefreut habe.
In der Küche begrüßte ich den Marco.
Einen lieben, schüchternen und ganz ungewöhnlich hübschen rothaarigen Jüngling, der etwas jünger wirkt als 17-jährige für gewöhnlich wirken. Er könnte beispielsweise auch als 13-jähriger durchgehen, und wird sicherlich überall noch geduzt, wenn man auch offiziell ab 16 gesiezt werden sollte.
„Darf ich noch „Du“ sagen?“ frug auch ich.
„Ja, unbedingt!“ sagte der Marco ganz erschrocken, da ihm die Erwachsenenwelt fremd ist und Grind bereitet. („Was soll ich da?“ denkt er unfroh, „rauchen, trinken und den Puff aufsuchen, oder was??“)
„Süß, der Marco!“ sagte ich, als wir in der kleinen Übzelle im Keller angekommen waren. „Finsch du au, gell?“
In der nächsten Pause saßen wir dröge draußen in der Sonne. Der reif werdende Andreas lag auf der Liege, und machte mir ein Kompliment zu meinen schrillen Tennisschuhen, die er im Gang gesehen habe. Er habe bereits gemeint, der Marco habe endlich mal ein Mädchen kennengelernt, und sei schon ganz leis und vorsichtig an dessen Zimmer vorbeigeschlichen.
Wir sprachen über Mord, und ich erzählte von dem sympathischen Herrn aus Weener, der seine Mutter totgeschlagen hat, weil sie ihm schon wieder eine Liebe versaut hatte.
Doch dieser Herr war so sympathisch, daß ihn die Mitgefangenen zum Gefangenensprecher wählten.
Man könnt´ tatsächlich manchmal solche Anwandlungen bekommen, sagte der Andreas, und auch die Sabine wußte zu berichten, daß sie zum ersten Mal im Leben Mordlust verspürt habe: Gegen ihre Schwiemu, die eine Phase in ihrer Demenz durchgemacht hatte, in der man rasend aggressiv wird. Die Aggressionen verbreiten sich im ganzen Zimmer und erfassen auch die Umherstehenden.
Nach der Probe verabschiedete ich mich in die schöne Wetterlage hinaus.
Ich befand mich auf der Suche nach einer Bank, um in der freien Natur zu dichten, doch die fand ich erst wieder in Lauterbach an einer von sonntäglichen Spaziergängern sehr frequentierten Stelle.
Teile sonntäglicher Gespräche werden dem Dichter ins Ohr geschwemmt, und fast alle Vorbeiflanierenden sprachen soeben über etwas Finanzielles. Nur eine Seniorin, die sich einen Apfel gemopst hatte, sprach mich auf mein Tagebuch und meine zierliche Schrift an:
„Könnöt Sie dös überhaupt noch lesö?“
Katharinas Auto vor dem Hause war verschwunden, und ich machte mir Gedanken:
Die leicht entflammbare Katharina fängt Feuer, und denkt nimmer an mich. Dann denkt sie aber doch an mich und bekommt Angst, der Alexander könne sich womöglich in mich verlieben, und so schön es auch war, mich da gehabt zu haben, so schnell möchte sie mich auch wieder los sein.
In mattem Prä-Dämmer erklomm ich den Hügel und wartete ungeduldig darauf, daß eine Gestalt mit Hund sich endlich entfernen möge, damit ich Äpfel klauen könne.
Später wälzte ich mich mit etwa fünf geraubten Äpfeln weiter fort, so daß es mir nicht so ganz recht war, als sich eine Frau mit Kindern auf mich zubewegte. Die Frau muffte mir zwar einen unverbindlichen Abendgruß zu, doch in ihren Zügen las man Unzufriedenheit, Häme, Neid, Mißgunst, und eine unverhältnismäßig hohe Bereitschaft eine Feindschaft einzugehen.
Nun war´s schon fast dunkel, und in unmittelbarer Nähe von Katharinas Haus entdeckte ich ein Auto aus Rottweil: RW-AG-154.
„Er heißt also tatsächlich „Alexander Graf““, freute ich mich, daß der Unbekannte in diesem Punkte offenbar tatsächlich die Wahrheit geschrieben hatte. Und auch wenn es sich nur um ein simples kleines Auto handelte, so schaute es im Autoinneren doch sehr schön und ordentlich aus.
Innen im Hause hörte man die Katharina Händels F-Dur Sonate auf der Violine interpretieren, doch die Begleitungsansätze des Herrn auf dem Klavier klangen lachhaft und äußerst unbeholfen, so daß es selbst einem in großzügig freien Tempi streichenden Geiger eine Pein bereiten dürfte, seine Melodien über diese unbeholfenen weit auseinanderstehenden fehlgeklimperten Clusterakkorde zu spannen?
Angeblich habe er in Freiburg Klavier studiert, doch nun klangen seine Bemühungen eher so, als habe er eben mal ein Wochenendseminar besucht, um Noten zu lernen, und die entsprechenden Tasten auf der Klaviatur zuzuordnen.
Eine herbe Enttäuschung, - denn hatte sich die Katharina nicht schon darauf gefreut, einen Partner zu finden, mit dem man auch noch musizieren könnte?
Heute sei der ehemalige Klavierstudent Zeitungsausträger von Beruf.
Er lachte allerdings fröhlich, und ich fand ihn nett.
Leider sprach er sehr langsam auf Rottweiler schwäbisch, doch gelacht hat er in normalem Tempo.
Das Zusammensein war vielleicht ein kleines bißchen mühsam, so jedoch nicht unnett.
Es gab ein Tomatensüppchen, zwei Zwiebelküchen gedreiteilt, und schließlich wurde zu vorgerückter Stund eine Pizza geliefert.
Einmal frug der Herr, ob er Katharinas WC benützen dürfe, und das selten zu hörende Wörtchen WC sprach er aus, als handele es sich um zwei scharfkantige und gefährliche Buchstaben, die man eigentlich nicht in den Mund nehmen sollte. Dann verschwand er so lange, bis man ihn bereits vergessen hatte.
Unfassbar wäre es natürlich gewesen, er wäre durchs Fenster in die Nacht hinaus entwichen.
Doch nein, er war schon noch da.
Als sich der sonderbare Gast zu vorgerückter Stund endlich empfahl, und in der Dunkelheit verschwunden war, zogen wir eine kleine Zwischenbilanz:
Ja, er gefalle ihr, meinte die Katharina, die es sich mit 55 Jahren nun nicht mehr erlauben kann, allzu wählerisch zu sein. Jetzt habe sie allerdings Angst vor einer Absage, wie vom Ralf oder vom Berthold.
Sie zeigte mir zwei nahezu identische SMSs auf dem Smartphon, und die Katharina wiederum hatte den beiden Herren gar völlig identisch geantwortet, indem sie das eine Brieflein kopiert, und lediglich einen anderen Namen eingefügt hatte.
„Sorry, du bist eine nette Frau, entsprichst aber nicht dem Typ Frau, der mir vorschwebt.“ (So schrieben beide. Der einzige Unterschied bestand darin, daß der eine „Sorry“, und der andere „leider muß ich Dir mitteilen“ geschrieben hatte.)
Und nun befindet sich die Katharina am Beginn einer quälenden Wartestrecke, in der ein Urteil gefällt werden soll.
Um die Zeit bis zur Urteilsverkündung zu überbrücken, spielten wir ein paar Duos von Bartòk: U.a. eines mit dem Titel „Gram“.
Ein sehr berührendes und betrübliches Werk, - doch ein überraschendes „Cis“ gegen Ende wirkt wie ein kleiner Sonnenstrahl der Hoffnung.
Ein Duo, das ich einst zusammen mit meiner Nachbarin Simone Rinniker zur Verabschiedung von Herrn Bloser gespielt hatte, und das „Cis“ versinnbildlichte damals die Hoffnung auf ein Wiedersehen – und sei es im Jenseits.
Dies alles erzählte ich nun in Erinnerungen badend, doch die frischverliebte Katharina hatte nicht so ganz hingehört, bzw. das Gehörte einfach umgedeutet: Daß wir es zum Heimgang von Herrn Reimer gespielt hätten, und das Cis am Ende etwas Hoffnung ausgedrückt habe, daß Frau Reimer vielleicht bald einen Neuen findet?
Lauterberg
Am Morgen Nebel. Ansonsten ein wunderschöner Herbsttag. Manchmal leicht zerrieben wirkende zarte Wolkenfleckerln
Hi und da denke ich daran, daß ich Onkel Dölein in Florida besuchen sollte, doch Florida ist weit. Eine Reise, die einer kleinen Auswanderung gleichkommt – und ist man erst dort, so warten Palmen, traumhafte Sonnenuntergänge, und in sog. „Sneakers“ oder Birkenstocksandalen eingetopfte Rentner mit welken Beinen in schweren weißen Ärztesocken auf einen.
Mir gefällt Katharinas lose Art der Lebensführung, und auch das ständige Hin- und Hergewälze ihrer Gedanken. Den Gedanken einer liebeshungrigen fülligen Dame. Und ein bißchen ist es ja tatsächlich so, daß dem Alexander etwas Kostbares anhaftet, so daß man ihn nicht so gern ganz verloren gibt, auch wenn der Katharina beim Gedankenwälzen zuweilen Bedenken kommen, ob man sich da nicht doch etwas aufbürdet, wenn er tatsächlich bei ihr einzöge, und fortan sein Leben mit ihr verbringen würde?
Was geschähe dann mit Antonio und Karsten?
Zunächst besuchte ich die Bäckerei, wo sich sonntagsgemäß eine ganz lange Schlange gebildet hatte.
Ein herannahender Herr laborierte am selben Nasenleiden wie der arme Herr im Knollennasenkiosk von Aurich: Die Nase wird dicker und größer, es bilden sich schuppenartige rosa Hautausstülpungen, und binnen kürzestem schaut ein vielleicht edler Mensch aus wie ein Ungeheuer. Doch lang darf man seine Blicke nicht auf einer derart erbarmungswürdigen Kreatur ruhen lassen. Man wendet sich diskret ab, und denkt noch eine Weile über ihn nach.
Zwei Bäckereifräuleins arbeiteten emsig daran, uns Kunden zufrieden zu stellen.
Früher hasste ich es, im Stau zu stecken, oder aber bei meinen Autofahrten irgendwie in Verzug zu geraten, doch seitdem ich im Auto die schöne Clara-Schumann-CD anzuhören pflege, sehne ich es direkt herbei, mal im Stau stecken zu bleiben, um noch länger lauschen zu dürfen.
Wenig später saßen wir Damen beim Frühstück beieinander.
Eines rumort ja doch sehr in der Katharina:
Die hellseherisch veranlagte Heilpraktikerin Ina habe gesagt: „Das mit dem Alexander dös däät net passe! Da würd nix draus, doch mit dem Lothar, da passt´s!“
Der Lothar ist der vorläufig letzte auf Katharinas Liste, doch wenn sie sein Foto so ansieht, so empfindet sie die selbsterfüllende Prophezeiung von der Ina im Grunde als beleidigend.
Der Lothar kehrt auf übertriebene Art den schnörkellos zünftigen Normalo hervor. Auf dem Foto sieht man ihn am Tische sitzen, den Mund auf bedenksame Art zerknödelt, den Kopf leicht gesenkt, und man wird nicht so recht schlau daraus, was er so denkt?
„Ein ganz normaler Mann ohne Vergangenheitsballast“ ← Dies ein Passus aus seinem knapp und lakonisch formulierten Begleitschreiben, der darauf hindeutet, daß er seine verdrießliche Vergangenheit abgeworfen, und nicht vor hat, sich nochmals danach umzudrehen.
(Lothar: „Das Thema ist gegessen!“)
Bang wartete die arme Katharina darauf, vom Alexander eine SMS mit der Grundbotschaft zu erhalten, daß er sich nach reiflichem Beratschlagen mit seiner Mutter nun doch gegen sie entschieden habe.
Vieles „wundert“ die Katharina leicht an diesem sonderbaren Kandidaten, und streut auch noch Salz in ihre keimende Skepsis: Daß er beständig seine Mutter anrufen muß, um zu erörtern, daß er sich zum Abendessen eventuell leicht verspäten würde.
Jetzt erwärmte ich mich plötzlich für den Lothar – wäre der nicht etwas für die Hilde in Stuttgart? Handfest, und mit beiden Beinen im Leben stehend?
Anhand eines Beispiels erläuterte ich, wie es so sei: Ich machte vor, wie der Alexander wohl reagiert, wenn die Katharina drum bittet, eine Sprudelflasche zuzuschrauben?
Zu diesen Worten legte ich den Deckel falschherum mit der Vertiefung nach oben auf die Flaschenöffnung und drehte einmal unbeholfen nach rechts und einmal unbeholfen nach links, und dann machte ich vor, wie zünftig der Lothar das wohl hinbekommt?
Ähnlich verhält es sich beim Geburtstag: Der Alexander steht unbeholfen mit einem leicht verwelkten kleinen Sträußlein da, das man überhaupt nicht brauchen kann. Linkisch presst er das kleine Geschenk auf die Brust, während er die freie Hand steif und ungelenk zu einer Gratulation ausfährt.
Anders der Lothar. Er ruft aus: „Weib. Kleid di g´scheit o. Mir fahröt über´s Wochöend nach Venedig!“
Ich riet der Katharina, jene SMS, vor der sie sich so sehr fürchtet, selber abzuschicken, denn dann wäre dies leidige Thema vom Tisch, und man könne wieder gescheit durchatmen.
Doch die Katharina benützt die SMS vom Ralf und ändert bloß an einer Stelle „Frau“ in „Mann“, und „Ralf“ in „Katharina“.
Befremdet liest der Alexander:
„Du bist eine sehr nette Mann, entsprichst aber nicht meinem Frauenbild. Ich wünsche dir viel Glück bei deiner weiteren Suche. LG Katharina.“
Dann riet ich der Katharina, den Alexander ganz konkret auf jene Punkte anzusprechen, die ihr Grind bereiten. Ob er immer so langsam rede und so unbeholfen wirke? Ob er ihr zur Freude vielleicht ein kleines Nachschulungsseminar in der Lebenstüchtigkeit besuchen könne?
Dann wiederum gefiel mir der Gedanke, den Lothar im Zollern-Alb-Kreis zu treffen.
Man duscht hier direkt in der Natur: Das Fenster in der Dusche steht offen, man schaut auf das mit Apfelbäumen gesäumte Feld, in seinen strahlenden Herbstfarben, - und zeigt sich ein Apfeldieb, oder vielleicht nur ein Wandersmann oder Apfeldiebskontrollator, so würde der auf eine völlig entblößte Frau draufschauen.
Um 16 Uhr stand das Konzert in Bad Wildbad auf dem Programm. Eine Stunde vorher wollte ich mich mit der Sabine auf dem Klosterhof treffen, und die Sabine erschien in Begleitung eines leider fast gänzlich verpickelten Jünglings – dem Blätterer. Und wer hätte jetzt gedacht, daß sich dahinter ein pfiffiger und höchst ungewöhnlicher junger Mann verbarg?
Er heißt „Milos“ und möchte später Dirigent werden, nachdem er in Leipzig studiert haben würde.
Wir spielten in einem sehr verschachtelt anmutenden weißen Raum, wo fleißige Hände bereits 70 Stühle aufgestellt hatten.