Im Supermarkt des Lebens mit König Salomo - Marianne Kopp - E-Book

Im Supermarkt des Lebens mit König Salomo E-Book

Marianne Kopp

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Beschreibung

Brauche ich das? Wozu brauche ich das? Was kostet es? Was kann ich mir leisten? Solche Fragen stellen sich, während man im Supermarkt einkauft. Mancher arbeitet dabei seinen Einkaufszettel ab, andere nehmen, was sich gerade anbietet. Der Supermarkt als Abbild unseres Lebens, wo wir es genauso mit Mogelpackungen und Müll zu tun haben. Dieses Buch nimmt Sie mit auf einen Einkaufsbummel der besonderen Art. Während eines Einkaufs im Supermarkt zieht es die Parallele zu unserem Leben. Eine Parallele wie sie seinerzeit der bis heute legendäre König Salomo zog, als er die biblischen Bücher der Sprüche, des Predigers und des Hohenliedes verfasste. Wie oft wünschte man sich im Leben wie im Supermarkt, weniger Hypotheken, um sorgloser zugreifen zu können. König Salomo war weder im Minus noch budgetiert; er war reich und vorprogrammiert, ein Leben als Siegertyp und Überflieger zu führen. Beste Voraussetzungen also im Supermarkt des Lebens. Doch, was hat es ihm genützt?

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Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2015

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für Reinhard

Inhaltsverzeichnis

Von DDR-Kaufhallen und sozialistischem Einzelhandel

Der Supermarkt

Im Supermarkt des Lebens

Das Angebot zum Kundenprofil

Der Warenkorb

Genieße das Leben

Mangelware Zeit – oder haben Sie welche?

Trennung im Angebot

Der richtige Blickwinkel

Die andere Brotsorte

Ballaststoffe sind kein Ballast

»General« stabsmäßiger Großputz

Das Lebenswasser

Die Mogelpackung

Der Ladendieb

Der Kaufhausdetektiv

Gezahlt wird an der Kasse

Recycling – unser Wertstoffkreislauf

Nachtrag

Von DDR-Kaufhallen und sozialistischem Einzelhandel

Es ist lange her, dass ich ausgesprochen gerne einkaufen ging, nicht shoppen. Anglizismen waren uns seinerzeit genauso fremd wie die bunte Einkaufswelt von heute. Die Palette des damaligen sozialistischen Angebots war sehr überschaubar und die Preise landesweit einheitlich. Der DDR-Bürger machte einen Einkaufsbummel und flanierte oder schlenderte dabei den Boulevard auf und ab, was wohl vornehm klingen und davon ablenken sollte, wie entwürdigend sowohl für den Verkäufer als auch den Kunden unsere Verkaufskultur doch war.

Einkaufsbummel zu DDR-Zeiten waren unverbindliche Schaufensterbesichtigungstouren. Die dekorativ ausgestellte Ware vermittelte schon lange nicht mehr die Illusion, das Angebot könne die Nachfrage decken. Es hatte sich inzwischen die Erkenntnis breit gemacht, dass die Sachen im Schaufenster nicht identisch mit dem tatsächlichen Angebot im Geschäft waren. Niemand fiel mehr auf den bösen Scherz herein, den präsentierten Farbfernseher auch gleich erwerben zu wollen. Das ausgestellte Stück war nur ein so genanntes Muster, am Kauf Interessierte wurden in Wartelisten eingetragen.

Glücklich konnten sich daher diejenigen schätzen, denen der Postbote regelmäßig Westpakete aushändigte. Es war eine statistische Größe, die Zahl derer, die sich aus dem Westteil Deutschlands mit Kaffee, Seife, Strumpfhosen und anderen Konsumgütern versorgen ließen. Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde erstmals klar, in welchen Dimensionen dies massiv zu unserer Versorgung beigetragen hatte.

Auch meine Familie gehörte zu den glücklichen, regelmäßigen Empfängern solcher Gaben.

Es war jedes Mal ein Ereignis, wenn wieder ein Paket mit dem Vermerk »Geschenksendung – keine Handelsware« bei uns eintraf. Schokolade, Backzutaten, gebrauchte oder neue Bekleidung, der Inhalt dieser Pakete ließ uns ein Stück weit unabhängig sein von unserer schlechten Versorgungslage. Für die täglichen Besorgungen aber standen wir genauso Schlange wie alle anderen auch.

Trotzdem ist das die Zeit, in der ich noch gerne einkaufen ging, denn man musste findig sein und flexibel.

Einkaufen zur Zeit meiner Kindheit funktionierte immer so bei uns: »Hol bitte ein Paket Spee aus der Kaufhalle«, trug mir meine Mutter auf.

Spee aber war Mangelware.

Also fragte ich: »Wenn es kein Spee gibt, was soll ich dann bringen?«

»Dann nimmst du Swyt.«

Da dieses Waschpulver ebenso heiß begehrt war wie Spee, fiel es unter dieselbe Kategorie.

Darum wurde eine weitere Alternative gebraucht. »Wenn du kein Swyt bekommst, nimmst du eben Milwok.«

Die Palette unserer DDR-Waschmittelproduktion war gar nicht so klein, nur leider gab es sie nie alle gleichzeitig. Wie beim Lied »Wenn der Topf aber nun ein Loch hat«, trieb ich es weiter: »Und wenn es kein Milwok…?«

»…dann schmeißt du eben den Ladentisch um«, lautete an dieser Stelle unseres Dialogs stets die Antwort meiner Mutter.

Derart humoristisch eingestimmt verbrachte ich einen wesentlichen Teil meiner Freizeit sehr sportlich und sprintete von Kaufhalle zu Kaufhalle, von Drogerie zu Drogerie, in der Hoffnung, irgendwo das begehrte Waschmittel oder andere Dinge des täglichen Bedarfs zu ergattern. Und war mein Bemühen trotz aller Anstrengung nicht von Erfolg gekrönt, kam ich dennoch selten mit leeren Händen heim. Jeder brachte von derartigen Streifzügen irgendeine Beute mit, einen begehrten Artikel, den es »gerade gab«, oder von dem es hieß, er würde demnächst knapp werden. Wir DDR-Bürger waren allesamt wendig in der Meisterung des alltäglichen Lebens. Ich besaß nie einen Kaufladen, wohl aber ein Puppenhaus. Oft räumten wir die Zimmerchen zum Kaufhaus um. Das Bad wurde dann die Kaufhaustoilette, die Küche die Imbissstube. In den anderen beiden Zimmern verkauften wir. Das, so erinnere ich mich noch genau, machte riesigen Spaß.

Dem Kaufmannsladen, den meine Schwester als Ergänzung zum Puppenhaus bekam, konnte ich weniger abgewinnen. Vermutlich auch deshalb, weil sie und ich uns nie über die Verkaufsstrategie einigen konnten.

Ich ging damals schon in die Schule, sah die Dinge des täglichen Lebens realistischer und wollte später einmal Verkäuferin werden. Der Umgang mit Kunden und ihre Beratung würden mir leicht fallen. Gut, dass man es mir gründlich ausgeredet hat, denn als die DDR in den letzten Zügen lag, war es keine Freude mehr, hinterm Ladentisch zu stehen oder an der Kasse zu sitzen. Und von wegen Beratung! »Haben wir nicht«, »kriegen wir nicht mehr« oder »wir wissen nicht, wann Ware kommt«, waren die stereotypen Sätze, die jede Verkäuferin ungefragt und unfreundlich gebetsmühlenartig leierte, sobald sich Kundschaft in ihrem Geschäft blicken ließ.

Als ich 1960 das selbstständige Einkaufen erlernte, öffneten in meiner Heimatstadt gerade die ersten Selbstbedienungsläden. Dass Selbstbedienungsläden aus dem Amerikanischen kamen, hat uns natürlich keiner erzählt. Wir kleinen Unterstufenschüler lernten diese Einrichtungen als eine moderne Errungenschaft des Sozialismus, zum Wohle des werktätigen Volkes, kennen.

In der Schule übten wir an einem Lesestück.

Ein älterer, knurriger, ewig gestriger Mann, vermutlich keine sozialistische Persönlichkeit, betritt eines Tages so einen Selbstbedienungsladen schimpfend. Und dann, als er nach wenigen Minuten aus dem Geschäft kommt, läuft er gleich Pionieren in die Arme. Die haben gerade ausgerechnet, wie viele Kunden in wenigen Minuten das Geschäft schon wieder mit vollen Taschen verlassen haben. Mit dem Argument der Zeitersparnis bringen sie den Nörgler zum Schweigen.

Als in unserer Wohngegend die erste sozialistische Kaufhalle eröffnete, gab es noch Butter auf Karten. Das bedeutete, dieses Grundnahrungsmittel war rationiert. Pro im Haushalt lebender Personen gab es monatlich nur eine bestimmte Menge. Man musste sich im Lebensmittelgeschäft seines Wohngebiets registrieren lassen, bekam einen Pappschnipsel, worauf Name und Anzahl der Personen vermerkt war. Die Butter lag nicht im Kühlregal, sondern wurde an der Theke ausgehändigt, im Buch ausgetragen und auf dem Pappschnipsel pro Stück ein Strich gemacht.

Einmal war mir völlig entfallen, wie viel Halbpfundstücke mir Mutter aufgetragen hatte, einzukaufen. Statt zwei Stücken verlangte ich stotternd zwei Kilo. Die erstaunte Verkäuferin legte mir also acht Stücken Butter in meinen Korb, erledigte das Bürokratische, und ich schlich mit mulmigem Gefühl zur Kasse. Dort gab es einen regelrechten Eklat. Zwanzig Mark hätte ich gebraucht, nur fünf waren in der Geldbörse, woraus die Kassiererin die Anzahl der zu kaufenden Butterstücken klar ableitete. Sofort entbrannte ein Streit zwischen ihr und – nein, nicht mir, denn die Frau schien eine verständnisvolle Mutter zu sein – ihrer Kollegin, weil alle Ein- und Austragungen wieder rückgängig gemacht werden mussten.

Aus Fehlern lernt man und sobald ich einigermaßen das große und kleine Einmaleins beherrschte, überließ meine berufstätige Mutter das Einkaufen unter der Woche mir.

Damals kaufte man täglich sein frisches Brot, die Brötchen, holte Milch in der Kanne und nur so viel Käse, wie zum Abendbrot benötigt wurde. So lag immer ein Portemonnaie, das um die fünf Mark enthielt, in der Küchenschublade, und es war meine Pflicht dafür zu sorgen, dass ständig Brot und Milch im Hausewaren.

Zur Kaufhalle unserer sehr schönen Wohnanlage gehörten auch noch ein Bäcker- und ein Milchladen. Mein Einkaufsweg führte durch eine Kleingartenkolonie. Obwohl mit Gehwegplatten befestigt und von trüben Straßenlaternen gesäumt, gruselte es mich immer, wenn ich im Winter vor Tagesanbruch zum Milchladen geschickt wurde. Mit weichen Knien und einem mulmigen Gefühl im Magen schlich ich oder rannte, je nachdem, ob ich auf dem Hin-oder Rückweg war.

Heilig Abend und am Silvestermorgen musste ich um halb sieben Uhr früh aufstehen, sofort nach der Morgentoilette in meinen Anorak schlüpfen, bekam mehrere der heute so belächelten typischen DDR-Einkaufsbeutel in die eine und zwei Milchkannen in die andere Hand und ab ging’s zur Kaufhalle. Je eher man vor sieben dort ankam, desto kürzer war die Warteschlange noch. Kurz nach sieben reichte sie dann schon weit in die Kleingartenanlage.

Meistens kaufte ich zuerst im Milchladen ein. Aus der großen Milchkanne schöpfte die Verkäuferin mit dem Litermaß je zwei Liter in meine Kannen, ich erhielt die bestellte Schlagsahne und kaufte noch Schnittkäse. Im Bäckerladen »parkte« ich meine Milch neben vielen anderen Kannen gleich hinter der Tür und reihte mich erneut in die lange Schlange ein, um das bestellte Brot und die Brötchen zu holen.

Das klingt mühevoll, jedoch empfanden wir den Einkauf in dieser Kaufhalle im Gegenteil als sehr angenehm und praktisch. Man war den netten Verkäuferinnen bekannt, sie legten auch schon mal ein Brot zurück, wenn man nicht zur gewohnten Zeit erschien, man bekam auch manchmal Schlagsahne, ohne sie vorher bestellt zu haben.

Solche Privilegien aber konnte man bei Brockmann auch erwerben. Brockmann war das einzige private Lebensmittelgeschäft in unserer Gegend. Herr Brockmann stand mit zwei Verkäuferinnen noch selbst im Laden, der Bilderbuchkaufmann schlechthin: groß und stattlich, ernstes, aber keinesfalls unfreundliches Gesicht, weißes Haar, streng gescheitelt, weißen Kittel, Bleistift hinterm Ohr. Natürlich hielten wir Kinder Herrn Brockmann für uralt, was, wenn ich es heute recht bedenke, aber gar nicht so gewesen sein kann. Er wird um die fünfzig Jahre auf dem Buckel gehabt haben. Vermutlich teilte er das Schicksal vieler Männer seiner Zeit, denen die Schrecken des vergangenen Krieges das Haar vorzeitig gebleicht hatten.

Brockmann hatte zwei Schaufenster: ein vergrößertes Zimmerfenster und ein richtiges Erkerschaufenster. Über dem Erkerschaufenster hing ein Schild, auf dem mit schwungvollen Buchstaben sein Name stand, mehr war nicht nötig. Jeder in dieser Gegend wusste: bei Brockmann kriegst du Lebensmittel und Drogerieartikel.

Vorne, im Eingangsbereich, standen Bohnerwachs, Waschpulver, Besen, Bürsten, Klopapier. Rechts, in den Glasvitrinen auf der Theke, waren Cremes, Rasierwasser und Parfüm ausgestellt. Die Theke erweiterte sich zu einem Halbrund und man war im Lebensmittelbereich, dem großen Kaufmannsladen von Brockmann.

Die weiß gestrichenen Regale reichten bis zur Decke, hinter Schiebeglas, hygienisch geschützt, lagen große Klumpen Butter, Margarine und angeschnittene Käseräder. Die Theke, ausgelegt mit Linoleum, war stets geputzt. Schmale Papierstreifen und Bleistifte lagen bereit, die Beträge wurden in atemberaubender Geschwindigkeit addiert und die Endsumme in die museumsreife Kasse eingegeben. Herr Brockmann, ein Kaufmann vom alten Schlage, war stets auf das Wohl seiner Kundschaft bedacht. Nicht selten geschah es, dass er beim Einkaufen wortlos unter die Theke griff, und einem schweigend ein spitzes Papiertütchen in die Einkaufstasche schob. Der Preis wurde diskret zu den anderen Beträgen addiert. Daheim entpuppte sich der Inhalt vielleicht als eine Flasche Tomatenketchup, Ende der siebziger Jahre eine absolute Rarität, wie Gummibärchen, Gummilitze, Weihnachtskerzen, Zahnbürsten, oder andere Sachen. Alles so genannte Bück-Ware, nur unterm Ladentisch erhältlich, deshalb unter uns Schulfreunden auch u.T. – unterm Tisch-Ware – genannt.

Bei Brockmann kaufte ich gerne ein. Wohl auch deswegen, weil in diesem Geschäft einem Kind wie mir ungeteilte Aufmerksamkeit für die Dauer des Einkaufs zuteil und ich wie ein erwachsener Kunde behandelt wurde. Ich kaufte Zucker, Nudeln und ungarisches Letscho, Lauchstädter Heilbrunnen, eines der wenigen Mineralwasser, die es in der DDR gab. Süßigkeiten kaufte ich und all die anderen Sachen, die man damals beim Kaufmann bekam. Butter aber, die inzwischen nicht mehr rationiert war, kaufte ich in der Kaufhalle; die hatte schon Kühlregale.

Herrn Brockmanns Laden hat die Zeit des Sozialismus nicht überdauert. Schon seine einzige Tochter wollte sich den Stress, in einer sozialistischen Gesellschaft ein Privatgeschäft zu führen, nicht antun. Sie wurde meine Sportlehrerin, ein Beruf mit Zukunft. Herr Brockmann aber blieb selbstständiger Kaufmann, bis er in Rente ging. Als Herr Brockmann seinen Laden aufgab, wehte ein Hauch Traurigkeit durchs Viertel.

Aus Brockmanns Gemischtwarenladen wurde ein Gemüseladen, mit verschmutztem Boden und penetrant säuerlichem Geruch. In den einstmals penibel sauberen Regalen lagen nun sandige Möhren und Kartoffeln, behaftet mit Ackerkrume. Neben dem Fass Salzgurken stand das Fass Sauerkraut. Wer keinen Behälter mitgebracht hatte, bekam es auf ein Stück Pergamentpapier geklatscht und dann in Zeitung oder grobes Papier eingeschlagen. Die Brühe tropfte schon beim Verlassen des Ladens aus dem Netz und hinterließ Spuren mit entsprechendemGeruch.

Der Gemüsehändler, ein Angestellter der HO, war uns auch kein Unbekannter. Bevor es den Milchladen in der Kaufhalle gab, war er täglich mit dem Milchwagen durch unser Viertel gefahren. Der Milchladen hatte den Milchwagen verdrängt, nun verkaufte der Milchmann Gemüse. Er tat es notgedrungen, das merkte man. Vielleicht fehlten ihm das Herumfahren und der Schwatz mit den Hausfrauen. Jetzt war er tagtäglich an einen Platz gestellt und musste ständig sagen: »haben wir nicht«, oder: »weiß nicht, wann es welche gibt«, wenn er nach Tomaten, Gurken, Salat oder gar Bananen gefragt wurde.

Im Winter war sein Sortiment sehr übersichtlich: Steckrüben, Äpfel, Rot- und Weißkohl, vielleicht auch Zwiebeln, dazu das Gleiche in Gläsern. Der Platz fürs Sauerkraut- oder Gurkenfass blieb dann auch oft leer. Mit der Freundlichkeit vergangener Tage und dem Respekt der Kundschaft gegenüber war es jedenfalls auch in diesem Geschäft vorbei. Jetzt wurde gemault, geschimpft und gekeift.

Zurzeit von Brockmann spielte ich, damals schon elf Jahre, leidenschaftlich gerne ein selbst erfundenes Kaufmannsladenspiel. Aber nicht mit dem kleinen Kaufmannslädchen meiner Schwester, nein, wir spielten abends im Bett, vor dem Einschlafen.

Es war ein reines Fantasiespiel.

Brockmanns Laden oder den Konsum vor Augen, dort wurde auch noch bedient, kaufte ich all jene Dinge, die meine Mutter aus Gründen der Sparsamkeit mir nie auftragen würde: die feinsten Pralinen, Schokolade, viele Tüten Bonbons, Tütensuppen und lauter andere Herrlichkeiten. Abwechselnd war eine von uns Verkäuferin und sagte die üblichen Worte, wie: »Darf es etwas mehr sein?« oder: »Heute kann ich Ihnen Blumenkohl empfehlen, den haben wir gerade frisch hereinbekommen«, manchmal auch: »Haben wir nicht.«

Da meine Schwester als »Kundin«, aufgrund mangelnder Einkaufserfahrung, nicht sehr spritzig war, musste ich ihr oft helfen, indem ich ihr dieses und jenes zu kaufen nahelegte. Für mich eine leichte Übung, ich hatte die Warenanordnung aller Läden meines Wohngebietes mühelos im Kopf.

Meistens schloss sich daran noch ein »Einkauf«“ beim Bäcker, wo ich – natürlich nur in der Fantasie – ein riesiges Kuchenpaket zusammenstellte. Kuchen beim Bäcker war seinerzeit sehr billig. Für fünf Mark konnte man eine Schulklasse zum Kaffee einladen.

Trist wie die DDR-Einkaufskultur der späten achtziger Jahre wurde auch unser Leben. Die Einfachheit und Übersichtlichkeit waren bis dahin nicht das Problem gewesen, die Knappheit, der chronische Mangel und das Fehlen ästhetischen Geschmacks wurden es. Irgendwann hatte man es einfach satt, nur vorwiegend Hässliches von minderwertiger Qualität für ein wertloses Geld angeboten zu bekommen, das wir spöttisch nur noch »Aluchips« nannten.

So hatte der Konsum direkte Auswirkungen auf unseren Alltag und damit auf unser Leben, innerlich und äußerlich.

Wir waren es leid, jeden Einkauf mit der Frage: »Haben Sie?« beginnen zu müssen. Die eigentlich leeren Regale in den Geschäften, die man kaschierte, indem man Bonbontüten, Nudelpackungen oder anderes nicht mehr stapelte, sondern nebeneinander möglichst breit streute, waren ein Sinnbild unseres so hoffnungslosen, zukunftsberaubten, eingesperrten Lebens geworden. Dieses Leben hatte kaum noch etwas Verlockendes, Spannendes parat, weshalb die Aussichten hinter der Mauer viel lohnender schienen.

Wen wundert’s da, dass gleich nach ihrem Fall Heerscharen von DDR-Bürgern, Heuschrecken gleich, über die der Grenze am nächsten liegenden Supermärkte herfielen und in rauschartigem Zustand kauften, was ihre bescheidenen Devisenvorräte hergaben. Jetzt fühlten wir uns angenommen, hatten das Gefühl, uns widerfahre nun doch noch Gerechtigkeit.

»Kommt die D-Mark, bleiben wir; kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!«, war eine Losung der späteren Montagsdemonstrationen. Den westdeutschen Politikern mag sie wie eine Drohung geklungen haben. So reduzierten sich unsere Forderungen von Gerechtigkeit, Freiheit und einem menschlichen Sozialismus nur noch auf den Wunsch nach Teilhabe an der westlichen Konsumwelt – und das innerhalb weniger Wochen!

Meine Leidenschaft fürs Einkaufen ist inzwischen völlig erloschen. Diese Gleichgültigkeit muss etwas mit der Gleichförmigkeit zu tun haben, in der heute alles stattfindet. Rannten wir früher von einem Geschäft ins nächste, um einen bestimmten Artikel zu bekommen, so rennen wir heute von einem Geschäft ins nächste, um einen bestimmten Artikel billiger zu bekommen.

Hoffnungslosigkeit im täglichen Leben bricht sich Bahn, wenn Massen an Kunden wie ferngesteuert durch die Einkaufsparadiese pilgern, um ja nichts zu verpassen und einen Zipfel des Konsumglücks zu erhaschen suchen. Der Kaufrausch ist nicht etwa die Freude am Erwerb, sondern Täuschung über den wahren Gemütszustand, jedoch lassen wir die Kaufsucht außer Acht, wenn ich Sie mitnehme auf einen Einkaufsbummel der besonderen Art. Während wir gedanklich im Supermarkt einkaufen, ich also auf anderer Ebene mit Ihnen das Spiel meiner Kindheit fortsetze, ziehen wir die Parallele zu unserem Leben. Genauso, wie es seinerzeit der bis heute legendäre König Salomo tat, als er die biblischen Bücher der Sprüche, des Predigers und des Hohenliedes verfasste.

Wie oft wünschte man sich im Leben wie im Supermarkt, weniger Hypotheken, um sorgloser zugreifen zu können. Salomo war weder im Minus noch budgetiert; er war reich und vorprogrammiert, ein Leben als Siegertyp und Überflieger zu führen. Beste Voraussetzungen also im Supermarkt des Lebens. Doch, was hat es ihm genützt?



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