Immer eine Herausfoderung nach der anderen - Norma Banzi - E-Book

Immer eine Herausfoderung nach der anderen E-Book

Norma Banzi

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Beschreibung

Verdammte Leukämie! Vincents Blutkrebs ist zurückgekehrt und er benötigt dringend eine Stammzellentransplantation. Wie gut, dass sein Bruder Frank als Spender bereitsteht. Vincents Arzt drängt zur Eile, denn ein Virus breitet sich aus Asien über den Erdball aus. Erwischt es ihn während seiner Behandlung, ist sein Tod nahezu sicher.

Auch mit Orlandos Gesundheit steht es gerade nicht zum Besten. Die Herausforderungen, mit denen er konfrontiert wird, nehmen zu, nicht ab. Hält er dem Druck stand?

Langsam arrangiert sich Marius mit seiner Vergangenheit als Soldat. Seine noch in ihm schlummernden Fähigkeiten aus dieser Zeit sind praktisch, wenn es darum geht, eine Person aus Orlandos Vergangenheit einzuschüchtern, die das mehr als verdient hat. Oder ist sie doch unschuldig?

Zuhause ist es am schönsten, findet Marina, und verärgert lieber ihre Model-Agentur, als Vincent, ihre Kinder und Gefährten in Gefahr zu bringen.

Mit Arbeit lenkt sich Marc von dem Umstand ab, dass er Vincent nicht im Krankenhaus besuchen darf. Unbedingt möchte er den neuen Fernsehsender zum Erfolg führen. Seine Konzepte sind ungewöhnlich und er erträgt den Spott. Denn wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Die Gefährten Vincent, Marc, Marina, Orlando und Marius halten auch in schweren Zeiten fest zusammen, und wenn einer strauchelt, fangen ihn die anderen auf.

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Inhaltsverzeichnis

Was bisher geschah:

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Nachwort:

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Social Media:

Impressum

IMMER EINE HERAUSFORDERUNG NACH DER ANDEREN © Norma Banzi Bildquellen: Depositphotos Gestaltung des Covers: Norma Banzi Edition Banzini Kurvenstraße 25 22043 Hamburgwww.banzini.de

Was bisher geschah:

In Sinnliche Hochzeit in der Kunstgalerie feiert der Gable-Clan die Hochzeit von Mario und Kyle groß in der Eventvilla von Vincent. Die Feierlichkeiten in Los Angeles werden überschattet von der Nachricht, dass Vincents Leukämie wieder ausgebrochen ist. Dennoch lassen sich Vincent und seine Gefährten Marc, Marina, Orlando und Marius die Stimmung nicht verderben. Sie erleben eine sinnliche Nacht mit ihren Freunden Dimitri und Sascha. Aber auch die schönsten Feste enden irgendwann und die Sorgen des Alltags kehren zurück.

Eins

Durch die Gablestone-Villa flossen die Klänge von Marcs Klavierspiel. Bei dem kleinen Privatkonzert für einige Hausgäste im Musikzimmer interpretierte er das im Original recht schwungvolle Stück in einer anderen, gedämpften Tonart. Orlando, der in Vincents Büro am offenen Fenster stand, hörte Melancholie heraus, die sich mit jeder gespielten Note mehr und mehr auf ihn übertrug und eine Gänsehaut auf seinen Armen auslöste. Unzufrieden mit sich selbst und der unwillkommenen emotionalen Reaktion auf die Musik, ballte er die Hände zu Fäusten.

Im Pool, den Orlando von seiner Position aus gut im Blick hatte, plantschte eine Gruppe Kinder unter den wachsamen Augen ihrer Eltern. Bewusst konzentrierte sich Orlando auf die hellen und fröhlichen Kinderstimmen, in der Hoffnung, dass ihre gute Laune auf ihn abfärbte. Er winkte zurück, als Marina freudestrahlend zu ihm hochschaute und auf die muntere Wasserratte Ramon zeigte. Der Kleine schoss mit Schwimmflügeln praktisch durch das Wasser.

„Früh übt sich, wer später ein Navy SEAL werden möchte“, rief sie Orlando zu, der höflich lächelte. Die Vorstellung, dass sein aufgeweckter Sohn eines Tages eine Militärkarriere in Betracht zog, behagte ihm überhaupt nicht. Gerade er, der selbst als SEAL gedient hatte, wusste, welche Opfer man dafür brachte. Orlando schloss das Fenster und schüttelte das Unbehagen endgültig ab. Er hatte keine Zeit für Grübeleien und Stimmungstiefs, denn sie beherbergten immer noch viele Gäste der gestrigen Hochzeit von Mario und Kyle, die den Luxus ihrer Unterkünfte ein wenig länger auskosteten. Das Bedürfnis, auf alles ein Auge zu behalten, saß tief. Seine persönlichen Befindlichkeiten stellte er also bis zum Abreisetag des letzten Besuchers zurück.

Fühlte Marc sich traurig, suchte er oft Trost in der Musik. Der arme Kerl musste wie sie alle erst einmal verdauen, was Vincent ihm und allen anderen Gefährten in der Nacht zuvor eröffnet hatte. Vincent hatte einen Rückfall erlitten und er würde sich wegen seiner Leukämie so schnell wie möglich einer Stammzellentransplantation unterziehen. Wenigstens gab es in der Familie einen passenden Spender – eine Sorge weniger.

Vincent hatte Orlando nach dem Frühstück in sein Arbeitszimmer gebeten, um etwas Finanzielles mit ihm zu besprechen.

Was auch immer er auf dem Herzen hatte, bereitete ihm kein Unbehagen, denn Vincent saß mit geschlossenen Augen auf der Couch und sein Kopf lag entspannt auf der Rückenlehne. Ob ihn die lange, intensive Nacht mit sexuellen Genüssen so müde und zerknittert aussehen ließ, seine Krankheit oder beides, überlegte Orlando. Trotz der sichtlichen Erschöpfung umgab Vincent eine zufriedene Aura – als hätte er in der Nacht einen Sieg errungen, was vielleicht tatsächlich stimmte.

Vor einigen Stunden hatte Orlando Vincent und den ehemaligen russischen Mafiaboss Dimitri im erotischen Clinch überrascht. Dimitri hielt niemals hin. Er galt als Top durch und durch – als kompromissloser Alpha. Deshalb hatte sich Orlando eilig zurückgezogen, als er erkannte, um welchen Preis die beiden Männer rangen. Natürlich plagte ihn jetzt die Neugier und so rutschte ihm die Frage heraus: „Wer hat gewonnen?“

„Hm?“ Vincent bewegte den Kopf in Orlandos Richtung und öffnete die Augen kurz einen Spalt.

„Du oder Dima?“

In Vincents Mundwinkeln zuckte es amüsiert, aber er behielt das Ergebnis seines Ringkampfs mit Dimitri für sich. „War ja deine Entscheidung, nicht wiederzukommen.“

„Meine Anwesenheit hätte wahrscheinlich Dimas Optionen eingeengt und er hätte sich weniger ... freigiebig ... verhalten.“

„Möglich …“

Orlando setzte sich zu Vincent und bettete seinen Kopf ebenfalls auf die Lehne. Sein linker Arm kribbelte und er ballte die Finger immer wieder zur Faust, um den Blutfluss anzuregen. „Wann wolltest du uns das mit deinen Blutwerten sagen, Vince?“

„Nach der Feier?“

„Was passiert nun?“

„Ich habe noch etwas Zeit. Es wird viele Untersuchungen geben. Ich bekomme die Stammzellen aus dem Blut von Frank.“

„Was ist mit dem Nabelschnurblut von Violetta und Lionel, das wir extra für dich haben einfrieren lassen?“

„Die Ärzte werden es in Reserve behalten. Franks HLA-Werte passen besser zu meinen.“

„Hast du schon mit ihm gesprochen? Er trank auf der Hochzeit erstaunlich wenig.“

„Ja, er weiß es bereits.“

„Worüber möchtest du eigentlich mit mir reden?“

„Jemand muss sich in meiner Abwesenheit um die Finanzen kümmern. Bitte übernimm du das als mein Generalbevollmächtigter.“ Vincent legte seine Hand auf Orlandos Oberschenkel und drückte ermutigend zu.

„Aber dein Bruder Frank ist Buchhalter und versteht davon mehr als ich“, wandte Orlando ein.

„Weißt du, weshalb ich dir die Generalvollmacht erteilt habe und nicht meinem Bruder Frank?“

„Nicht in allen Einzelheiten.“

„Du bist mein Lover und ich liebe dich, Orlando. Wenn ich mein Vermögen nicht dir anvertrauen kann, wem denn dann? Dir ist Geld nicht sonderlich wichtig, nicht auf eine Weise, wie es gierigen Betrügern und Hochstaplern wichtig ist. Außerdem warst du der Generalbevollmächtigte von Dimitri, als er sich wegen seiner Lungenkrankheit dieser schweren Behandlung in der Schweiz unterzogen hat. Dessen Vertrauen hast du auch nicht missbraucht.“

„Das weißt du nicht. Vielleicht habe ich die Hälfte seines Vermögens auf den Malediven gebunkert.“

„Wenn du das getan hättest, dann wärst du jetzt tot. Dimitri ist kein Mann, der sich so etwas bieten lassen würde.“

„Dimitri ist also sozusagen mein Leumundszeuge?“ Orlando lachte leise.

„Weshalb solltest du einen Mann um sein Vermögen betrügen wollen, für den du aus Liebe wirklich alles tust, Orlando?“

„Was meinst du damit?“, fragte dieser. Sein Gesicht zeigte keine verräterische Regung. Er wartete gespannt, was Vincent sich zusammenreimte.

„Wenn man sich schlaflos durch die Nächte quält, hat man sehr viel Zeit zum Nachdenken. Jemand hat den Mann erschossen, der einen Wurfstern auf mich geworfen hat, und du bist Scharfschütze gewesen, ma panthère.“

„In den Zeitungen stand, es war ein Querschläger.“

„Du und Mike wart damals in Vegas.“

Orlando zuckte leichthin mit den Schultern. „Zufall.“

„Mag sein, mag nicht sein. Lass uns das Thema wechseln!“ Vincent griff nach Orlandos Hand und küsste sie, als wolle er ihm etwas signalisieren, vielleicht seinen Dank, dass Orlando ein Problem für ihn aus der Welt geschafft hatte. Oder er stellte mit dieser Geste klar, dass er Orlando mit allen hellen und dunklen Seiten seiner Seele akzeptierte. Seine stillen Überlegungen dazu wurden jäh fortgewischt, als ihn ein heftiger Kopfschmerz regelrecht ansprang und er ein Taubheitsgefühl im linken Fuß spürte. „Scheiße, nicht ausgerechnet jetzt“, fluchte er und atmete mehrmals tief durch. Er wusste, dass er mit seinem langjährigen Herzklappenfehler ein gesteigertes Schlaganfallrisiko hatte. Sein Kardiologe hatte ihn damals ausführlich über die entsprechenden Warnsignale aufgeklärt.

‚Nicht jetzt!‘, dachte er, wütend auf sich selbst. ‚Funktioniere!‘, befahl er seinem Körper mit zusammengebissenen Zähnen in Gedanken.

Alarmiert setzte sich Vincent auf. „Was ist los?“

Als hätte Orlandos Körper den Befehl vernommen und schleunigst umgesetzt, ebbten die Kopfschmerzen ab und das Taubheitsgefühl im Fuß wich.

„Nichts“, antwortete Orlando und lächelte Vincent beruhigend an, der seine Hand auf Orlandos Wange legte. „Du siehst aus, als hättest du gerade ein Gespenst gesehen.“

Orlando schmunzelte. „Ich habe keine Angst vor denen.“

„Irgendetwas hat dich aber erschreckt“, beharrte Vincent und reichte ihm eines der Wassergläser, das auf dem Beistelltisch stand. Orlando trank es durstig aus.

„Wahrscheinlich bin ich lediglich übermüdet. Es war eine lange Nacht.“

„Dagegen gibt es Abhilfe.“ Vincent erhob sich und streckte Orlando die Hand hin, der sie ergriff und ebenfalls aufstand, neugierig, was Vincent plante. Entschlossenen Schrittes führte Vincent Orlando über den Flur in sein Schlafzimmer, wo gerade eine der treuen Haushaltshilfen, die ihren persönlichen Bereich betreten durften, die Tagesdecke über dem Bett glattstrich.

„Sofia! Bitte nehmen Sie die Tagesdecke wieder ab.“

„Si, Mr. Gable!“ Ohne mit der Wimper zu zucken, tat sie, wie ihr geheißen. „Ich sauge dann später. Angenehme Erholung!“ Zügig griff sie ihren Staubsauger und schloss die Tür hinter sich.

„Was hast du vor?“, fragte Orlando und lächelte verführerisch.

„Nicht immer geht es um Sex, Lando. Beide sind wir müde. Also legen wir uns gemeinsam hin und schlafen noch eine Runde. Das ist ein Befehl, also keine Widerrede.“ Vincent begann, Orlando das Hemd aufzuknöpfen.

„Aye, Sir!“ Orlando schmunzelte. „So müde bin ich nun auch wieder nicht, dass du mich ausziehen musst.“

Für einen Moment legte Vincent seine Hände flach auf Orlandos Brust und ein kleiner Seufzer floss ihm über die sinnlich geschwungenen Lippen, die Orlando so gerne küsste. Vincent runzelte die Stirn, als ärgerte er sich über den Laut. Sein Lächeln wirkte eine Spur traurig, als er sich wieder den Knöpfen zuwandte. „Vermutlich wirst du dich in wenigen Wochen erneut eine Weile intensiv um mich kümmern müssen, nachdem ich transplantiert worden bin, so wie damals, als du noch mein Butler warst. Also lass es mich jetzt für dich tun, damit ich eine Art Guthaben bei dir ansammele.“

„Du darfst mich so oft ausziehen, wie du möchtest“, gurrte Orlando mit erotischem Schmelz in die Stimme. So verbarg er seinen inneren Aufruhr. Als wenn es ihm Mühe bereitete, sich um Vince oder die anderen zu kümmern. Orlando liebte es, die Seinen zu verwöhnen. Wenn Vincent nun Aufmerksamkeitsguthaben aufbauen wollte, um Haltung in dieser schweren Zeit zu bewahren, dann legte ihm Orlando bestimmt keine Steine in den Weg. Außerdem fand er es sexy, wie sanft Vincent ihn beim Ausziehen berührte und zwischendurch immer wieder Muskelstränge streichelte, die sich unter Orlandos Haut wölbten, bis Orlando endlich nackt vor ihm stand. Danach streifte Vincent seine eigene Kleidung ab. Gemeinsam schlüpften sie unter eine der Decken, schmiegten sich aneinander und schliefen schnell ein.

xxx

Sicherheitshalber rief Orlando am nächsten Morgen seinen Kardiologen an und beschrieb ihm die Symptome.

„Schwingen Sie Ihren Arsch gefälligst so schnell wie möglich hierher und setzen Sie sich nicht selbst hinter das Steuer. Lassen Sie sich fahren!“, wurde er angewiesen.

Genervt rollte Orlando mit den Augen. Er hatte nicht vor, einen seiner Lieben in Aufruhr zu versetzen. Deshalb plante er, den Arztbesuch diskret und ohne ihr Wissen abzuwickeln. Das Personal hatte noch mit den Hochzeitsgästen zu tun. Daher ignorierte er den ärztlichen Appell zunächst, während er duschte und sich die Zähne putzte. Beim Ankleiden entschloss er sich aber im letzten Moment, den Chefleibwächter Joel darum zu bitten. Der stellte keine überflüssigen Fragen. Vielleicht bemerkte er auch, wie blass Orlando immer noch aussah und hielt es deshalb für eine gute Idee, dass Orlando einen Arzt konsultierte.

„Ich muss etwas Falsches gegessen haben“, murmelte Orlando beim Einsteigen in das Fahrzeug, als er Joels besorgten Blick auf sich spürte.

„Ich fahre sanft“, versprach Joel.

Die private Klinik beherbergte mehrere unterschiedliche Fachärzte unter einem Dach. Da Orlando Joel anwies, draußen zu warten, bekam dieser glücklicherweise nicht mit, dass es um mehr als einen verdorbenen Magen ging.

In der Arztpraxis des Kardiologen meldete er sich am Empfang an und eine junge Frau führte ihn ohne weitere Verzögerung in eines der Behandlungszimmer. Sie schloss die Tür hinter ihm und Orlando setzte sich auf die Sitzgelegenheit vor dem Schreibtisch. Als eine andere Tür aufging und er das Gesicht des Mannes erkannte, der in den Raum trat, schoss jäh Adrenalin durch seinen Körper. Orlando sprang vom Stuhl, zog dabei in einer fließenden Bewegung seine Glock und zielte damit auf ihn.

Die Augen des Mannes im weißen Arztkittel weiteten sich und er blieb wie angewurzelt stehen. Orlando genoss die Angst und Panik, die darin standen. Sein Gegenüber wirkte fast schon zu dünn, ganz im Gegensatz zu früher, als er von dem guten Essen seiner Mutter noch Speck auf den Rippen gehabt hatte. Nur die ausgeprägten Arm- und Brustmuskeln vermieden, dass der Mann hager aussah. Beinahe hatte Orlando den Eindruck, eine etwas schmalere Version von sich selbst zu sehen. Allerdings waren die schwarzen Haare mit mehr Silber durchsetzt. Tief eingegrabene Falten ließen das attraktive Gesicht älter aussehen, als der Arzt tatsächlich an Jahren zählte. Es ärgerte Orlando maßlos, wie ähnlich sie einander sahen, fast wie Brüder.

„Bitte“, krächzte das Arschloch, dem Orlando als junger Student vertraut und das ihn so schrecklich enttäuscht hatte.

„Bitte was, Manuel?“, fragte Orlando mit eiskalter Stimme.

„Bitte nimm die Waffe runter und lass uns in Ruhe reden.“

„Was hätten wir miteinander zu bereden?“, ätzte Orlando.

Manuel räusperte sich und schaute auf einen Ausdruck, den er in den zitternden Händen hielt. „Nun, ich soll einen Patienten mit einem Klappenfehler untersuchen, bei dem der Verdacht auf Schlaganfall besteht. Sorry, ich habe nicht auf den Namen geachtet. Hätte ich gewusst …“

„Ja?“

„Ich hole besser einen meiner Kollegen.“

„Setz dich!“ Mit der Glock zeigte Orlando auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch. So sehr er es genoss, seinen Cousin Manuel Ramirez vor Angst schlottern zu sehen, steckte er die Waffe doch zurück in das Holster. Manuel atmete sichtlich erleichtert auf. Er ließ sich auf den Stuhl plumpsen und goss sich ein Glas Wasser aus einer Mineralwasserflasche ein, das er gierig austrank.

„Du auch?“, fragte er Orlando.

„Glaubst du, dass ich jemals noch etwas von dir annehmen würde, nach dem, was in dem letzten Drink war, den du mir gegeben hast?“

„Wohl nicht“, murmelte Manuel und dann lauter: „Ich wusste nicht, dass sie eine Partydroge in das Glas getan haben. Es, es … lief damals alles aus dem Ruder. Wir waren alle betrunken und, und ... Ich habe noch versucht, dir zu helfen, aber, aber …“

„Ich dachte mir schon, dass du dir Ausreden zurechtlegen würdest.“

Entschlossen schüttelte Manuel den Kopf. „Keine Ausreden! Ich rechnete damit, dass mich diese Sache eines Tages einholen wird. Wenn es dir hilft, gehe ich zur Polizei und zeige mich selbst an.“

Mit vor giftiger Ironie tropfender Stimme antwortete Orlando: „Na klar hilft es mir und der Familie meiner Wahl, wenn öffentlich wird, dass mich mehrere Studenten bei einer Party in einem Verbindungshaus unter Drogen setzten und mich mit einem Dildo vergewaltigten, während mein verfickter Cousin keinen Finger rührte, um mir zu helfen.“

Manuel seufzte und in seinen Augen standen Tränen.

„Weshalb, zum Teufel, heulst du? Selbstmitleid, nehme ich an.“

Manuel wischte sich mit dem Handrücken über die Augenwinkel, atmete mehrmals tief ein und aus und sagte dann: „Wenn du erlaubst, hole ich jetzt einen Kollegen, damit er dich untersucht.“

Orlando genoss es, wie unwohl Manuel sich fühlte. Er sollte sich ruhig noch ein bisschen länger in seinen Schuldgefühlen winden. Also antwortete Orlando: „Weshalb? Bist du kein guter Kardiologe?“

„Ich bin einer der besten des Landes, aber …“

„Aber?“

„Okay, ja. Welche Beschwerden haben dich veranlasst, diesen Termin zu machen?“

Orlando begann zu erzählen und pochte nicht darauf, dass er alles schon am Telefon berichtet hatte. Ein Telefonat ersetzte kein Arzt-/Patientengespräch von Angesicht zu Angesicht. Außerdem hatte er Auszüge aus seiner Krankenakte auf einen Stick geladen und mitgebracht. Manuel sah sich die Untersuchungsergebnisse der letzten Jahre ausführlich an.

„Vielleicht hat sich ein Blutgerinnsel an deiner erkrankten Herzklappe gebildet und zu einem Minischlaganfall geführt. Wenn du es erlaubst, werde ich eine Ultraschalluntersuchung von deinem Herzen machen.“

„In Ordnung!“

Manuel griff zum Telefon und rief eine der Arzthelferinnen an. Kurze Zeit später trat sie in das Besprechungszimmer und führte Orlando in einen anderen Raum, in dem eine gepolsterte Liege und ein Ultraschallgerät standen. Die Frau erklärte ihm routiniert den Verlauf der bevorstehenden Untersuchung und bat Orlando, sich bis auf die Unterhose auszuziehen. „Dr. Ramirez möchte sich neben Ihrem Herzen auch weitere Stellen Ihres Körpers anschauen, an denen sich Thrombosen gebildet haben könnten.“ An einem Computer rief sie ein Programm auf, stutzte und lächelte. „Sie und der Doc tragen ja denselben Nachnamen. Ist das Zufall oder gehören Sie zu seiner Familie?“

Am liebsten hätte Orlando die Frau für ihre unwillkommene Frage erwürgt, die Zunder in Orlandos kalten Zorn warf und ihn heiß auflodern ließ. Aus ihrer Sicht führte sie nur harmlosen und etwas neugierigen Smalltalk. Also beherrschte er sich und antwortete ihr manierlich, statt ihr verbal den Kopf abzureißen.

„Nein, ich gehöre nicht zu Dr. Ramirez‘ Familie.“ Damit log er ja nicht einmal. Die Ramirez‘ hatten ihn sein ganzes Leben abgelehnt und in ihrer Mitte nur geduldet.

„Ja, ja! Ramirez ist ein häufiger Name“, plauderte die Helferin weiter und ließ Orlando dann alleine. Er streifte die Kleidung ab. Bei jedem anderen Arzt hätte Orlando die Halterung seines Dolchs am Unterschenkel entfernt und unter der Hose versteckt. In Manuels Fall allerdings behielt er sie an und hoffte, dass er bei ihm dadurch noch mehr Unbehagen auslöste. Er verschränkte die Arme und baute sich vor der Tür auf. Die Wartezeit störte ihn wenig. Als ein von der Navy ausgebildeter Sniper besaß er die Geduld, Stunden auf der Lauer zu liegen, ohne auch nur einen Funken Nervosität zu zeigen. Je länger Manuel fortblieb, umso mehr freute sich Orlando, weil er sich vorstellte, wie sehr Manuel in seinem Büro um Fassung rang. Es dauerte etwa zehn Minuten unbeirrten Wartens, bis Manuel in den Raum trat und ein erschrecktes Geräusch von sich gab, seinen muskulösen und kräftig gebauten Cousin so nah vor sich zu sehen. Die anderen Patienten setzten sich in der Wartezeit wahrscheinlich auf die Liege oder auf einen der Stühle.

„Bitte lege dich auf das Polster“, sagte Manuel mit rauer Stimme und Orlando ergötzte sich an der Angst in dessen Augen.

„Muss der Patient für die Untersuchung liegen?“, fragte Orlando und zog eine Braue hoch.

„Also ich … äh … nicht unbedingt.“

„Dann bleibe ich lieber stehen.“

„Einigen wir uns darauf, dass du dich hinsetzt?“, bat Manuel.

„Okay!“

Aus den Augenwinkeln sah Orlando, wie Manuel erleichtert aufatmete, als Orlando ihm den Weg freigab, zur Liege trat und sich darauf setzte.

Während der Untersuchung wirkte Manuel fokussiert auf seine Arbeit, als hätte er die Angst vor Orlando wie einen Mantel abgestreift. Ein vergleichbares Verhalten kannte Orlando von den Sanitätern und Ärzten in Einsatzgebieten, denen mitunter Schutt von Bomben um die Ohren flog und die sich trotzdem mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln um ihre Patienten kümmerten. Zu seinem eigenen Erstaunen hörte sich Orlando fragen: „Militärarzt? Ärzte ohne Grenzen?“

Verblüfft warf ihm Manuel einen kurzen Blick zu, bevor er erneut auf den Monitor schaute und die Scannersonde über Orlandos Rippen bewegte. Das glitschige Gleitgel, welches er dafür verwendete, hatte mittlerweile Körpertemperatur angenommen.

„Ärzte ohne Grenzen“, murmelte er. „Weshalb fragst du?“

„Kleiner Anfall von Neugier. Kommt nicht wieder vor.“

„Frage mich, was immer du möchtest. Ich werde auf alles wahrheitsgemäß und umfassend antworten.“

„Ich stehe dir nicht zur Verfügung, damit du deine Schuldgefühle loswirst.“

„Das ist nicht der Grund für mein Angebot. Ich erkenne übrigens deinen Klappenfehler nicht mehr, so sehr ich auch danach suche.“

„Bitte?“ Verwirrt starrte Orlando auf den Monitor und Manuel erklärte ihm kompetent und präzise, was sie darauf sahen. Nicht zum ersten Mal sah Orlando Ultraschallaufnahmen von seinem Herzen. Dank seines hervorragenden Gedächtnisses erinnerte er sich gut an die früheren Sitzungen. Obwohl er kein Arzt war, erkannte auch er den Unterschied. Das Blut strömte dorthin, wo es sollte und alle Klappen verhinderten zuverlässig einen Rückfluss, wie es sich gehörte.

„Ich habe noch nie eine spontane Heilung an einem Herzen gesehen“, sagte Manuel und es klang begeistert. Immerhin! Er hielt Orlando offenbar nicht für einen Simulanten.

„Vielleicht funktioniert euer Ultraschallgerät nicht korrekt“, grummelte Orlando und zum ersten Mal an diesem Tag wirkte Manuel angepisst und offensiv. Der schuldbewusst duldende Ausdruck auf seinem Gesicht wich und vor Orlando saß ein Mann, der auf seine Fähigkeiten vertraute.

„Sieht es aus, als würde es nicht richtig funktionieren?“

„Nope!“

„Bist du einer von denen?“

Was, zum Teufel? War Manuel beim Militär gewesen, vielleicht bei der Navy? Hatte er Gerüchte über das Pretender-Sonderprogramm aufgeschnappt, dem Orlando angehört hatte? „Worauf willst du hinaus?“

Manuel seufzte. „Vor ein paar Jahren setzten mich Ärzte ohne Grenzen in einem Malariagebiet ein. Ich schrieb mehrere Aufsätze über Spontanheilungen bei einigen meiner Patienten und äußerte darin die Idee, dass es besonders anpassungsfähige Personen gibt, deren Körper sich einfach weigern, weiter krank zu sein.“ Etwas verlegen musterte er Orlando, als erwartete er eine Reaktion, der sein ausdrucksloses Pokerface allerdings beibehielt. Er nickte Manuel knapp zu, um ihn zum Weitersprechen zu ermuntern.

„Diese Malaria-Spontanheilungen sind in der Medizin bekannt, aber meine Idee von den Anpassungsfähigen war neu. Mein Chef meinte damals zu mir, ich würde zu viele Science Fiction Romane lesen, unterstützte aber trotzdem meine Veröffentlichungen. ‚Du schreibst dicht und wissenschaftlich korrekt, nur deine Schlussfolgerungen sind Fantastereien‘, pflegte er zu sagen.“

Offenbar bildete sich bei Manuel eine Anspannung im Nacken, denn er führte seine Hand dorthin, bemerkte, dass er Latexhandschuhe trug, und rollte daraufhin stattdessen mit den Schultern. „Eines Tages erhielt ich eine Einladung zu einem Navy-Event, auf dem mich zwei Navy-Ärzte zahlreiche nervige Dinge zu meinem kleinen Forschungsprojekt und meinen Beobachtungen fragten. Ich fand das seltsam und stellte mich deshalb dumm. Da ich in einem Katastrophengebiet arbeitete, ließen sich die Blutproben, die ich von meinen Patienten nahm, nicht wissenschaftlich einwandfrei konservieren. Das war auch gut so. Die Idee, das Militär würde mit dem Gedanken spielen, eine Armee von Superkriegern auszubilden, die besonders anpassungsfähig sind und die es schaffen, ihre Körper bewusst auf Zellebene zu beeinflussen, bereitet mir Übelkeit. Damit möchte ich nichts zu tun haben.“

Orlando starrte seinen Cousin an und Manuel starrte zurück. Schließlich entgegnete Orlando: „Lass mich raten. Du bist selbst an Malaria erkrankt und hast etwas erlebt, das du als eine Art Spontanheilung interpretierst. Seitdem glaubst du, dass es eine Art genetisch mutierte Menschenart gibt, die sich schneller an verschiedene Umstände anzupassen vermag als der Homo sapiens.“

„So wie du es beschreibst, hört es sich auch verrückt an“, grummelte Manuel und auf seinen Wangen zeigten sich hektische rote Flecken. „Aber weshalb hat sich dein Herz erholt?“

„Du bist der Arzt, sag du es mir.“

„Also ich würde dir eine Computertomographie empfehlen. So verifizieren wir auch sicherer, dass deine Thrombose sich aufgelöst hat.“

„Die ich vielleicht niemals hatte. Möglicherweise durchlebte ich auch eine Panikattacke auf die Nachricht meines Lebensgefährten, dass er einen Rückfall erlitten hat und sich wegen seiner Leukämie einer Transplantation unterziehen muss.“

Manuels Augen weiteten sich. „Vincent Gable ist wieder krank? Das tut mir sehr, sehr leid für ihn, für dich und deine anderen … äh … Mitbewohner.“

„Ich sehe, du liest die Klatschspalten über mich“, frotzelte Orlando.

„Nicht, ich, sondern meine Schwester Conny.“

Ein warmes Gefühl durchrieselte Orlando. Manuels jüngere Schwester Consuela hatte als einzige von seinen Cousins und Cousinen wenig Scheu vor Orlando gezeigt. Sie war damals allerdings zu klein gewesen, um sich wirklich gegen die Erwachsenen durchzusetzen, die ihr den Umgang mit Orlando verboten hatten. Aber wann immer sich die Gelegenheit ergab, hatte sie sich am Tisch auf den Familienfeiern neben ihn gesetzt.

Manuel kritzelte eine Handynummer auf einen Zettel und drückte ihn Orlando nachdrücklich in die Hand. „Sie versucht seit Monaten, dich zu erreichen, um dich zu ihrer Hochzeit einzuladen.“

Mit einem Grollen zerknüllte Orlando das kleine Stück Papier und warf es in Richtung des Papierkorbs. So gerne er Conny auch früher gehabt hatte, mit seinen Blutsverwandten wollte er nie wieder an einem Tisch sitzen. „Als würde ich Wert darauf legen, mit den Ramirez‘ zu feiern.“

„Du brichst ihr das Herz!“

„Dann war es das?“, fragte Orlando und blickte seinen Cousin ungeduldig an.

„Ich mache einen CT-Termin für dich aus.“

„Nope!“

„Nein? Aber …“

„Ich bin kein Forschungsobjekt, Manuel.“

„Fuck! Jeder Arzt würde dir eine CT empfehlen. Es muss einen Grund geben, weshalb sich die Verkalkung deiner Herzklappe von alleine gelöst hat, was normalerweise nicht der Fall ist.“

„Also bin ich doch kein Supermensch, sondern nur ein Mann, mit einem etwas absonderlichen Herzen.“

„Du hattest schon immer eine scharfe Zunge.“

„Bei der Familie brauchte ich die auch.“

„Stimmt!“, entgegnete Manuel und blickte Orlando fest an. „Ich schreibe dir noch ein Rezept für einen Blutverdünner auf. Davon nimmst du eine halbe Tablette am Tag. CT-Termin sobald wie möglich! Die Praxis ruft dich auf deinem Handy an!“

Manuel verschwand aus dem Raum, bevor Orlando ein weiteres Mal widersprach.

Zwei

Langsam wundert sich Marius, dass Orlando dem Personal nicht auf die Finger schaute, wenn sich so viele Gäste im Haus befanden. Orlando hatte sich seit dem frühen Nachmittag bei keiner Aktivität mehr blicken lassen. Wo konnte er nur abgeblieben sein? Es entsprach nicht seiner Art, sich irgendwo zu verkriechen. Selbst der Butler Bruno und seine Frau Lisette, die sonst fast immer wussten, wo sich all die Mitglieder des Haushalts aufhielten, ob Herrschaft oder Personal, zuckten ratlos mit den Schultern. Auch auf dem Handy erreichte Marius Orlando nicht. Die Anrufe landeten stets auf der Mailbox. Schließlich passte Marius Joel im luxuriösen Gästebüro ab, das dieser gelegentlich für Telefonate benutzte, oder um Berichte auf seinem Notebook zu tippen.

„Weißt du, wo Orlando ist?“

Joel blickte auf, kratzte sich am Nacken und antwortete: „Er wollte sich nach … hinlegen.“

Es kam Marius so vor, als hätte Joel den Satz während des Sprechens im letzten Augenblick abgeändert. Was verbarg Joel auf Orlandos Anweisung vor ihm? Misstrauisch geworden versuchte Marius, Joels Gesichtsausdruck zu deuten, der allerdings eher neutral und gelassen wirkte.

„In unserem Schlafzimmer ist er nicht.“

„Vielleicht zerknittert er wieder Marinas Klamotten und schläft auf ihrer Couch?“, bot Joel schmunzelnd an.

„Nope!“

„Wenn du möchtest, schaue ich für dich die Aufnahmen aus den Sicherheitskameras durch. Wenn sich der Boss auf einem der Anwesen befindet, wird er ja nicht vom Erdboden verschluckt sein.“

„Wo hast du ihn das letzte Mal gesehen?“, fragte Marius aus einer Eingebung heraus. Sah er da ein leichtes Zögern in Joels Blick?

„In der Garage.“

„Jemanden verabschieden, den Bruno zum Flughafen fahren sollte?“

Joel zuckte mit den Schultern.

„Okay! Was ist los?“, grollte Marius, legte die Hände flach auf den schwarz lackierten, polierten Schreibtisch und beugte sich etwas zu Joel herunter. Das Eindringen des muskulösen Marius‘ in seine persönliche Sphäre schien Joel wenig auszumachen. Als ehemaliger Offizier der französischen Fremdenlegion ließ er sich freilich nicht so schnell einschüchtern. Die Männer starrten sich in die Augen und schließlich nahm Joel einen Schluck aus seiner Kaffeetasse, was die Spannung zwischen ihnen eine Spur lockerte. Ganz sicher war Marius sich nicht, ob er gerade wirklich einen kleinen Sieg gegen den Sicherheitschef errungen hatte. Die pochende Ader an Marius‘ Stirn verriet den Grad seiner Anspannung und Joel kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass sie ein Zeichen für eine heranziehende Migräne oder sogar eine epileptische Episode darstellte, eine Spätfolge von Marius‘ schwerer Kopfverletzung. Um Marius zu besänftigen, schob Joel ihm den Teller mit Keksen hin und Marius steckte sich einen davon in den Mund.

„Also?“, fragte er kauend und unterdrückte es, die Ader zu massieren, damit das Ziehen abnahm. Noch mehr von Joels Aufmerksamkeit wollte er auf keinen Fall darauf richten. Andererseits – wenn Joel dann mit der Sprache herausrückte, brachte es Marius einen taktischen Vorteil. Während er den nächsten Schritt überlegte, zuckte Joel erneut mit den Schultern. „Als wenn mir der Boss erzähle würde, weshalb er sich von mir hat in Richtung Stadt fahren lassen.“

Nun gut! Joel näherte sich dem Thema über Umwege an, erkannte Marius. Damit ließ sich arbeiten. „Mit welchem Fahrzeug und wohin genau?“

„Chrysler …“

„Okay! Ich schaue ins Fahrtenbuch.“

Jetzt grinste Joel.

„Er hat dir doch nicht verboten, die Fahrt zu notieren?“

Joel schüttelte den Kopf.

„Danke!“ Marius drehte sich auf dem Absatz um und stürmte den Flur entlang in den anderen Teil der Villa, den er und Orlando bewohnten. In seinem Büro startete er den PC und loggte sich in die Software, die das Personal benutzte, um alle Touren mehr oder weniger genau zu notieren, die sie mit den Dienstfahrzeugen absolvierten. Nur auf Wunsch ihres jeweiligen Passagiers blieben sie diskret, ansonsten trugen sie routinemäßig das Ziel der Fahrt in das entsprechende Feld ein. Bald fand er den Eintrag von Joel und las nach, wo sich Orlando am Nachmittag aufgehalten hatte. Was, zum Teufel, hatte Orlando veranlasst, sich in die Klinik chauffieren zu lassen, in der sich die Praxis seines Kardiologen befand? Ein Arzttermin mitten während der Feierlichkeiten zu Marios und Kyles Hochzeit? Normalerweise fuhr Orlando selbst. Den Sicherheitschef als Fahrer für sich zu beanspruchen, wenn auf den drei Anwesen der Bär steppte, sah Orlando unähnlich.

Marius schlug mit der Faust auf den Tisch und ärgerte sich, dass er nicht schneller die richtigen Schlüsse zog. Scheiß Kopfverletzung! Er wünschte sich, wieder so rasch zu denken, wie vor dem Anschlag auf ihn. Obwohl in ihm nur gelegentlich Reste seines früheren Selbst aufblitzten, wusste er doch, dass Mike schon längst herausgefunden hätte, wo sich Orlando vor der Welt versteckte – warum auch immer.

„Denk nach, denk nach!“, befahl sich Marius. ‚In welches Mauseloch würde ich kriechen, wenn ich Zeit für mich bräuchte?‘

Mit der flachen Hand schlug sich Marius gegen die Stirn. „Da hätte ich auch gleich drauf kommen können“, murmelte er, erhob sich und eilte in Richtung der Jamastone-Villa.

xxx

Da saß Orlando im Laubengang – auf der Bank vor Marius‘ alter Wohnung in einem Seitenflügel der Jamastone-Villa. Auf seinem Schoß schlief Chihuahua Luis. Neben ihm stand eine Tasse. Offenbar hatte niemand im Garten mitbekommen, wie Orlando sich nach oben geschlichen hatte, sonst würden ihm bestimmt einige der Kinder Gesellschaft leisten. Die vielen Pflanzen in Tontöpfen, die auf dem wunderschön gefliesten Fußboden in der Nähe der Wohnung üppig blühten, boten allerdings eine recht gute Deckung.

Das Licht der Gartenlampen schimmerte da und dort durch das Grün der Ranken und Kakteen. Es genügte Marius, sich zu orientieren. So sah er davon ab, den Lichtschalter des Laubengangs zu drücken. Bei Orlando angekommen, stellte er die Tasse auf den Tisch neben der Bank und setzte sich zu seinem Lover. Er bemerkte einen zerknitterten Notizzettel in Orlandos Hand.

Das schrille Lachen einer von Vincents Tanten ließ Marius zusammenzucken und die Ohren des kleinen Hundes zuckten. Hoffentlich reiste sie bald ab. Dem Grunde nach hatte Marius nichts gegen sie, nur ihre Stimme nervte ihn mächtig. Luis hob das Köpfchen und gähnte. Beiläufig steckte Orlando den Zettel in die Brusttasche seines Hemds und stellte Luis sanft auf den Boden.

„Na los! Lass dir von Steven ein paar leckere Stückchen Fleisch geben“, forderte er den Hund mit gedämpfter Stimme auf. Als hätte Luis genau verstanden, raste er los und die Treppe hinunter. Amüsiert beobachtete Marius, wie Luis zwischen den Beinen von Stevens Bewunderern hindurchwuselte, die sich um den Hausmeister der drei Anwesen und den großen Grill versammelt hatten. Steven erzählte einer Gruppe von Hochzeitsgästen gerade irgendetwas über das Zubereiten von Fleisch auf Cajun-Art. Als Werbestar hatte er es schon längst nicht mehr nötig, als Hausmeister zu arbeiten, aber er fühlte sich hier wohl. Ob seine Angestellten über ein eigenes Vermögen verfügten oder nicht, spielte für Vincent keine Rolle. Solange Steven gute Arbeit leistete, sich diskret verhielt und nicht von sich aus kündigte, blieb er geschätztes Mitglied des Mitarbeiterteams. Steven bückte sich und streichelte Luis über das Köpfchen. Was er zu dem Minihund sagte, hörte Marius nicht. Kurze Zeit später lief Luis allerdings einige Meter weiter zu Stevens Dobermannhündin Lady und kuschelte sich zu ihr auf das Polster. Gleich darauf fuhr Steven mit der Lektion fort und seine Schüler hingen wie gebannt an seinen Lippen.

Sanft legte Marius eine Hand auf Orlandos Oberschenkel und gemeinsam beobachteten sie die Aktivitäten im Garten. Leckere Grill-Aromen zogen in ihre Richtung und Marius‘ Magen knurrte leise. Da spürte er, wie Orlando den Kopf drehte und ihm ins Ohr raunte: „Hunger, Darling?“

Als Marius den Mund für eine Antwort öffnete, klingelte sein Handy. Da er nicht wollte, dass jemand auf sie aufmerksam wurde, ging er eilig ran. „Vince?“

„Weißt du, wo Orlando ist? Langsam mache ich mir Sorgen um ihn. Er sah gestern und heute am Morgen etwas sehr blass um die Nase aus.“

„Er ist so lieb, sich um mich zu kümmern. Die vielen Gäste stressen mich und wir haben uns deshalb in meine Wohnung zurückgezogen. Aber verrate es niemandem.“ Marius beobachtete, wie Vincent unten kurz in Richtung Villa schaute, als versuchte er, sie auf dem Laubengang ausfindig zu machen.

„Ich schicke jemanden mit einer Auswahl von Speisen zu euch nach oben“, versprach Vincent. „Erhol dich gut!“

„Danke, Lieber.“ Marius steckte das Handy zurück an den Gürtel und legte seine Hand wieder auf Orlandos Schenkel. Nun verschränkte Orlando die Finger mit denen von Marius.

„Du musst nicht für mich lügen, Darling.“

„Einige Gäste stressen mich wirklich“, entgegnete Marius und wie auf Stichwort hörte er erneut dieses nervige Lachen.

„Wie ihr Mann das wohl all die Jahre ausgehalten hat?“, überlegte Orlando amüsiert und drückte Marius einen Kuss auf die Schläfe.

„Wirst du mir erzählen, was dich deprimiert?“, wisperte Marius, während er die vielen kleinen Küsse genoss, die Orlando auf seine Wange und seinen Hals mit seidenweichen Lippen und zärtlicher Hingabe platzierte.

„Ich habe keine Geheimnisse vor dir.“

„Dennoch hast du dich von Joel heimlich zum Arzt fahren lassen.“

„Hat er geplaudert?“, brummte Orlando.

„Der doch nicht. Ich habe in das Fahrtenbuch des Chryslers geschaut.“

„Nachdem Joel dir gesteckt hatte, dass er mich heute gefahren hat.“

„Ich ließ ihm keine Wahl. Weißt du, auch ich kann bedrohlich und einschüchternd wirken.“

„Ganz bestimmt“, murmelte Orlando und drückte seinen Mund auf den von Marius. Sie küssten einander zärtlich, sinnlich und ohne Eile, bis sie Schritte hörten. Lisette trug ihnen einen Picknickkorb die Treppe hoch. Schnell sprang Orlando auf, um ihr zu helfen.

„Sie sind die Beste, liebe Lisette.“

„Soll ich einen Klapptisch auf dem Laubengang decken oder das Essen auf dem Tisch in der Wohnung anrichten?“, fragte sie aufmerksam.

„Wir kommen schon zurecht. Vielleicht gönnen Sie Ihren Füßen eine kleine Pause und setzen sich zu Marius auf die Bank. Soll ich Ihnen ein Glas Wein eingießen?“ Orlando musterte die Haushälterin, deren Haare heute nicht ganz so ordentlich frisiert aussahen, wie normalerweise. Bestimmt genehmigte sie sich während der Feier kaum eine freie Minute und arbeitete bis spät in die Nacht, um alle Wünsche der Gäste zu erfüllen.

---ENDE DER LESEPROBE---